Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 124 - Dezember 2008


Ein Hohes Lied auf die gegenwärtige Taufpraxis in der Landeskirche

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Durch Zufall geriet ich kürzlich in drei Taufgottesdienste. In der Martin Luthergemeinde in Wolfenbüttel hielt Pastor Dose zwei unterschiedliche Paar Schuhe in die Höhe: eins aus der Puppenstube und seine eigenen, Schuhgröße XXXL. „Die kennt ihr wohl“, meinte Dose, und die Gemeinde lachte, weil sie sie kannte. Das Evangelium dieser „homiletischen Hintertreppe“: „Jesus passt in jede Schuhgröße, ist also auch was für die Kleinsten“. Das verstand die Tauffamilie und die Gemeinde und war bei der Taufe mit dabei, auch im Blick auf ihre eigene Schuhgröße. Ich probierte einen unbekannten Radweg und kam vom Südsee radelnd nach Broitzem. Die kirchenungewohnte Taufgesellschaft saß in der vordersten Reihe, Pfarrer Etzold griff zur Gitarre und sang ein flottes Lied, etwa so: Ha ho hi, wir sind jetzt alle hier und fassen uns an und sind eine Gemeinde“, also so ungefähr. Sinn der Sache: die Taufgesellschaft „abzuholen“ und in die christliche Gemeinde zu integrieren. Die Gemeinde neben mir kannte das Lied, sie reichten sich tatsächlich auch die Hände und nun waren alle irgendwie „bei der Sache“, abgeholt. Dritte Taufe: extra, nicht im Gottesdienst, sondern an einem Nachmittag, in der Magnikirche in Braunschweig. Pastor Fay machte sie, wichtigstes Utensiel: das Taufkleid. Das hatten schon die anwesenden Großeltern vor dem ersten Weltkrieg angehabt, und dann die Eltern auch, und nun der Täufling im neuen Jahrtausend. In diesem größtenteils immer noch großbürgerlichen Villenteil der Stadt Braunschweig wird eben noch die Tradition gepflegt und daher auch traditioneller Weise getauft. Taufe gehört zur Familiengeschichte. Alle drei Taufen hatten gemeinsam, dass sich die Pfarrer sehr persönlich der Tauffamilien zuwandten. Ich war irgendwie angetan.

Dann bekam ich einen Anruf, ich sollte selber eine Taufe in meiner früheren Offleber Gemeinde machen, im Gottesdienst. Ich war neun Jahre aus der Gemeinden und hatte erbetene Amtshandlungen bisher strikt abgelehnt, um den Nachfolgern nicht in die Quere zu kommen. Ich erklärte mich bereit, die Taufe zu machen und bot im Taufgespräch den Eltern, die ich schon selber getauft und konfirmiert hatte, an, am Taufakt mitzuwirken, nämlich so: „Im Namen des Vaters“ – der Vater oder Erzeuger oder ein Pate gießt eine Handvoll Wasser über den Kopf des Kindes; „im Namen des Sohnes“ – die Mutter begießt den Kopf des Kinder; „und des Heiligen Geistes“ – der Pfarrer begießt den Kopf des Kindes und spricht danach unter Handauflegung den Taufspruch, über den er dann auch predigt. So abgesprochen und bereits zweimal bei einer Taufe „mit Erfolg“ praktiziert. Am Taufsonntag aber zuckten sie doch unmittelbar vor der Taufe zurück. Es war auch die ganze Gemeinde da, die Dorfkirche war sehr voll. Ein Angebot, aber ein ernsthaftes und abgesprochenes und zum Nachdenken den Aktiven hiermit empfohlen.

Hinsichtlich der Taufpraxis erlebt unsere Landeskirche historisch gesehen einen Höhenflug. Bis 1873 bestand in der Landeskirche noch Taufzwang und damit Mitgliederzwang. Es gab kein Entrinnen vor der Kirche. Dann hob die Landesregierung (nicht die Kirche!) diesen mit dem Evangelium unvereinbaren Jahrhunderte langen Zustand auf. Seither blieb die Taufe noch „Namensgebung“ „Welchen Namen soll das Kind haben“ musste ich selber noch zu Beginn meiner Dienstzeit 1963 die Taufeltern fragen, ein Rest aus jener Zeit des Taufzwanges, wo Taufe eben Namensgebung war. Mit der neuen Taufagende ist das auch vorbei: „Welchen Namen hat das Kind“, heißt es nun. Heute gibt es eine Taufkerze, Beteiligung der Paten, Einbeziehung der mitfeiernden Kinder, ein Taufgespräch, wer mag: sogar ein Gebet über das Taufwasser, wofür es in der Agende ein schönes Beispiel gibt. Nochmal zum Vergleich: noch um 1900 notierte sich der Pfarrer an der Kirchentür den Namen des Kindes, der Vater war in der Kneipe, die wichtigste Person die Hebamme, die das Kind trug, meist war auch die Mutter dabei, und so wurden Taufen oft zu Hunderten völlig lieblos „abgewickelt“. Schrecklich. Daher: ein Hohes Lied auf die gegenwärtige Taufpraxis in der Landeskirche.

In diesem Jahr erschien die vom Rat der EKD in Auftrag gegeben „Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis der Taufe in der Ev. Kirche“, die leider reichlich defensiv geraten ist, offenbar „Ordnung“ in die Vielfalt der gegenwärtigen Taufpraxis bringen will, mit leider höchst problematischem Verständnis der biblischen Quellen. Aber immerhin: eine nützliche Lektüre in den Amtskonferenzen statt Organisationsgequatsche. So eine Taufe ist ein Jungbrunnen für „abgebrannte“ Pfarrer.




[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu124/taufpraxis.htm, Stand: Dezember 2008, dk