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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 125 - April 2009


Gottesdienst am 1. Advent 2008 im Braunschweiger Dom
50 Jahre "Brot für die Welt"

von Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
(Download als pdf hier)

Text: Mt 14,13-21 Die Speisung der Fünftausend
13 Als das Jesus hörte, fuhr er von dort weg in einem Boot in eine einsame Gegend allein. Und als das Volk das hörte, folgte es ihm zu Fuß aus den Städten.
14 Und Jesus stieg aus und sah die große Menge; und sie jammerten ihn, und er heilte ihre Kranken.
15 Am Abend aber traten seine Jünger zu ihm und sprachen: Die Gegend ist öde, und die Nacht bricht herein; laß das Volk gehen, damit sie in die Dörfer gehen und sich zu essen kaufen.
16 Aber Jesus sprach zu ihnen: Es ist nicht nötig, daß sie fortgehen; gebt ihr ihnen zu essen.
17 Sie sprachen zu ihm: Wir haben hier nichts als fünf Brote und zwei Fische.
18 Und er sprach: Bringt sie mir her!
19 Und er ließ das Volk sich auf das Gras lagern und nahm die fünf Brote und die zwei Fische, sah auf zum Himmel, dankte und brach's und gab die Brote den Jüngern, und die Jünger gaben sie dem Volk.
20 Und sie aßen alle und wurden satt und sammelten auf, was an Brocken übrigblieb, zwölf Körbe voll.
21 Die aber gegessen hatten, waren etwa fünftausend Mann, ohne Frauen und Kinder.


Liebe Gemeinde,
Jesus erfährt vom Tod Johannes des Täufers und fährt fort, allein, mit dem Boot über den See, in eine einsame Gegend. Er erträgt die Menschen nicht, weder ihre Nähe noch ihre Versuche zu trösten und wohl schon gar nicht ihre Angst, seiner Schwäche zu begegnen.
Er trauert.
Wenige Tage erst liegt der Totensonntag zurück. Wir haben all derer gedacht, die fortgegangen sind aus unserem Leben, die uns fehlen. Manch einer unter uns wird noch voller Traurigkeit sein und vielleicht auch beladen mit Bangigkeit, wie das denn werden wird, wenn die Festtage kommen und nichts mehr ist wie es war. Und ergeht es uns dann nicht genauso wie Jesus: Das Gedränge und Getöse, der fröhliche Lärm, den geschäftige Menschen machen - überhaupt, dass alles weitergeht und sich die Reihe wieder schließt obwohl die Lücke doch so schrecklich klafft -, all das ist nicht zu ertragen und so sucht man die Einsamkeit, flieht - wie Jesus. Auch er ist also ein Mensch wie wir. Einer, dem der Schmerz, die Wucht des Todes genauso zusetzt wie uns.
Doch die Menschen, so erzählt Matthäus, folgen ihm.
Merkwürdig pietätlos ist das. Denn sollten wir nicht dem, der sich zurückzieht mit seinem Schmerz, diese Momente des Alleinseins zugestehen? Sollten wir nicht akzeptieren, dass er, dass sie das jetzt so und nicht anders haben will?
Aber die Menschen sind weit davon entfernt. Das Gegenteil geschieht: Sie drängen ihm regelrecht hinterher, als hätten sie Angst, dass er sich genau jetzt entzieht, dass er nicht mehr für sie da sein will, dass die Chance vertan ist.
Auch wir werden erleben, dass die Menschen in den kommenden vier Wochen hier in den Dom und all die anderen Kirchen in Stadt und Land strömen. Und ich denke, sie tun das, weil sie spüren, dass sie gerade in dieser emotional so überladenen Zeit etwas brauchen, was sie nur hier finden können. Wir sollten darum nicht beklagen, dass sie nur jetzt kommen, sondern vielmehr froh sein, dass es offenbar doch in vielen Menschen einen Resonanzboden für die gute Nachricht des Evangeliums gibt und sei es, dass sie sich durch das Weihnachtsoratorium vermittelt.
Auch Jesus, in seinem Boot noch nicht einmal richtig angekommen, weist die vielen nicht zurück, schreckt sie nicht damit ab, dass das jetzt wohl der falsche Moment ist.
Sein eigenes Erleben hat ihn nicht taub gemacht für die Not und das Leid anderer.
"Es jammerte ihn und so heilte er sie und die Menge lagerte in einer öden Gegend"
"Es jammerte ihn", darum nahm er sich der Menschen an.
Wir hier im Braunschweiger Dom feiern heute nicht nur den ersten Advent und den Beginn des neuen Kirchenjahres, sondern auch das 50-jährige Bestehen der Aktion "Brot für die Welt." Es ist großartig, was in diesen 50 Jahren zusammengetragen worden ist, wie geholfen werden konnte, wie sich bei Menschen in unserem Land die Einstellung zu denen in der 2/3 Welt verändert hat.
Die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung passt zu diesem Tag. Vieles steckt in ihr, was sich auf "Brot für die Welt" übertragen läßt.
Denn wird hier nicht erzählt, dass die Menschen in einer öden Gegend lagerten und dort auf ihren Herrn warteten, wo es weder zu essen noch zu trinken gab?
Man kann sich nun durchaus fragen, wie es denn überhaupt passieren kann, dass so viele in eine derart unbehauste Situation geraten, in der sie sich nicht selbst versorgen können und auf fremde Hilfe angewiesen sind. Und sicher wäre die einfache, nahe liegende und denkbar unbarmherzige Antwort möglich: Sie sind selbst schuld. Sie haben sich selbst da hinein manövriert, sind dorthin gezogen, wo sie ihren Lebensunterhalt nicht finden konnten. Die Antwort kennen wir!
Aber wir sollten anderes fragen. Uns stünde es gut zu Gesicht, auf unseren eigenen Anteil an der Armut anderer zu sehen, auf die wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung, auf Klimawandel und Dumpingpreise.
In der Süddeutschen Zeitung erschien in dieser Woche unter dem Titel "Ein Leben zum Schnäppchenpreis" ein Bericht über zwei Frauen, zwei Näherinnen aus Bangladesch, die nach Deutschland - in Supermärkte - gereist sind, um zu sehen, was aus ihrer Arbeit geworden ist: "Suma Sarker lächelt. Tausende Kilometer entfernt von der Heimat hat sie ihre Nähte gefunden. Sie muss das Schild nicht lesen, natürlich ist diese Hose aus Bangladesch. ‚Das sind meine' sagt sie, schaut sich das Preisschild an, stutzt. 4,99 Euro, sie fragt den Übersetzer lässt sich den Preis umrechnen... Der Preis ist fast so schlimm wie die ewigen Flüche des Vorarbeiters in ihrer Fabrik, so schlimm wie die Angst, einen Fehler zu machen. Der Preis macht so deutlich wie billig sie sind...
,Das ist die Globalisierung' sagt der Übersetzer. Suma Sarker nickt. Natürlich, was denn sonst." Weiter unten wird klar: nur ein Prozent des Preises sind Lohnkosten.
Ist Suma Sarker also unseretwegen in die Ödnis und die Not geraten?
Und was können, was müssen wir tun?
Auch die Jünger Jesu scheinen mit den Dimensionen der Not um sich herum überfordert zu sein und versuchen, in den Dörfern der Umgebung Unterstützung zu suchen. Doch Jesus hält sie auf. Sie sollen nicht fortlaufen, sondern zu ihm kommen, mit dem, was da ist.
Das ist wichtig - auch heute für uns: Jesus hält die Jünger nicht auf, weil nichts zu machen ist, sondern weil sie in die falsche Richtung stürzen. Es ist schon nötig, dass sie reagieren und alles zusammentragen, was nur da ist. Aber ebenso nötig ist, sich auf ihn hin zu orientieren. Denn es geht in den Wundergeschichten um den Glauben und um seinen Herrn. In unserem Text der Speisung der Fünftausend geht es also gar nicht in erster Linie darum, das Brot übernatürlich zu vermehren, sondern darum, dass hier Gott dem Menschen begegnet. Hier soll kein Mirakel vorgemacht werden, keine übernatürlichen Mächte sollen hier in Aktion treten, sondern hier handelt der allmächtige Gott durch Jesus mit und unter den Menschen. Hier handelt der Herr des Glaubens an den Menschen. In diesem Glauben geht es um ein neues Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Vergangenes, Schuld und Angst sind vorbei, sind vergeben. Ein neues Leben vor Gott und den Nächsten ist möglich.
Um die Darstellung dieses neuen Verhältnisses geht es im Wunder, denn hier wird etwas von dem spürbar, was "Reich Gottes" heißt. Ein Anzeichen, ein erstes Signal, von dem endgültig die Welt verändernden Handeln Gottes wird aufgerichtet. Es ist dies ein Vorzeichen der neuen Welt, in der keine Angst, keine Tränen, kein Leid, kein Hunger mehr sein werden. Im Wunder, und das heißt im Handeln Gottes an den Menschen wird etwas völlig Neues, nie Dagewesenes angeboten.
Die wundersame Brotvermehrung, die Heilung des Lahmen, die Auferweckung des Toten, sind nicht das Neue.
Neu im Wunder ist dagegen, dass hier der Herr, der zugleich aller Knecht ist, handelt. Neu ist, dass Gott greifbar gegenwärtig ist. Neu ist das Licht der Hoffnung, das in jenen kleinen Hoffnungslichtern (Leben, Brot, Gesundheit) aufleuchtet und auf ein weit größeres weist. Neu ist die Versöhnung Gottes mit der Welt, die sich in der Genesung des von bösen Geistern Besessenen anzeigt. Neu ist die Liebe, das Erbarmen dessen, von dem in unserer Wundergeschichte gesagt wird: "sie jammerten ihn". Neu ist Jesus Christus. Und wem das aufgegangen ist, der kann gar nicht anders als zur Tat zu schreiten. Und dann entsteht "Brot für die Welt", dann kümmern sich Christen um Flüchtlinge aus dem Irak, dann werden Nachbarn besucht, die Tafel gedeckt und dem Herrn Jesus damit der Weg bereitet. Das braucht unsere Welt!
Lasst uns darum neu auf diese Geschichte hören.
Am ersten Tag des neuen Kirchenjahres.
Am ersten Advent.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, all unser Mühen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen




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