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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 125 - April 2009


Predigt anlässlich der Beerdigung von Karl - Heinrich Büchsel (1922 - 2009)

von Martin Granse
(Download als pdf hier)

Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

Liebe Gemeinde. Liebe Nachbarn und Freunde von Karl - Heinrich Büchsel. Liebe Weggefährten aus Kirche und Kirchenmusik. Liebe Angehörige. Liebe Kinder, Schwiegerkinder und Enkel. Liebe Frau Walter. Liebe Frau Büchsel.

Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Natürlich ist unbefangenes Vertrauen das erste, was aus diesem Vers spricht: Ich habe nichts zu befürchten. Ich bekomme, was ich brauche. Ich gehe meinen Weg ganz frei.

Wenn man das vor Gott als Gebet aus spricht, höre ich auch einen deutlichen Anspruch heraus: Du hast dich zu meinem Hirten gemacht. Hier bin ich mit allem, was mir fehlt, was mich schmerzt und mit meinem Vertrauen zu dir. Jetzt musst du auch dazu stehen. So ein Beter wirft sich Gott geradezu in die Arme.

Als drittes schwingt Treue mit: Ich stehe zu dir. Ich bin bereit, dir zu folgen und alles für deine Sache ein zusetzen.

Ich glaube: Das alles hat Karl - Heinrich Büchsel erfüllt und voran getrieben. Es hat ihn getragen. Dafür und damit hat er gelebt. Und es war natürlich auch die Grundlage für seine Musik. Seine Musik war immer Musik zur Ehre Gottes, gleichgültig ob er großen Oratorien dirigiert hat, ob er Bachs Fugen oder die Liturgie oder die Schlager der 30er und 40er Jahre gespielt hat. Sie war immer Gespräch und Austausch mit Gott. Was in ihm war, hat er in der Sprache der Musik vor Gott getragen, Lebensfreude und Dankbarkeit, Vertrauen, Treue und manchmal auch den Hilfeschrei. Er hat sich musikalisch mit Gott unterhalten, ihn an gebetet, sich ihm in die Arme geworfen, vielleicht auch mal mit ihm geschrien. Er hat in der Musik Gottes Antwort gefunden und so seinen Weg gefunden.

Für manchen anderen wäre die Theologie wahrscheinlich das Studium der Wahl gewesen, um solch eine Beziehung zu Gott zu leben und zu klären und weiter zu entwickeln. Karl - Heinrich Büchsel hat das versucht, hat versucht, in die Fußspuren seines Vaters zu treten und sich nach einigen Semestern in Bethel und Erlangen eingestanden, dass er anders mit Gott reden musste. Dann hat er kurz entschlossen gewechselt und fast aus dem Stand die B - Prüfung bestanden, später dann nach berufsbegleitendem Studium auch das A - Examen.

Die Musik war seine Sprache um mit Gott zu reden, aber sie war genau so Gottes Geschenk an ihn, grüne Weide und frisches Wasser. Manches Mal hat sie ihn gerettet, vor dem seelischen Tod und ein Mal wahrscheinlich vor dem leiblichen.

Karl - Heinrich Büchsel hat als elfjähriger seine Mutter verloren. Diesen Schmerz hat er sein Leben lang gespürt. Wir haben nicht ausdrücklich darüber gesprochen, aber ich bin sicher, dass die Musik da geholfen hat, ihm das Zutrauen zum Leben zurück zu geben.

Wohl der Not gehorchend hat sein Vater die Kinder nach dem Tod der Mutter und dem eigenen Stellenwechsel in Internate geschickt. Das Leben in einer reinen Jungenschule mit den damals sehr rauhen Erziehungsmethoden und Ritualen der Schüler war nun so gar nichts für ihn. Wieder bot die Musik ihm Zuflucht. Als Organist bei den Schulgottesdiensten hat er sich Respekt erworben und war vor manchen Grausamkeiten geschützt.

Im Krieg wurde seine Einheit zum Angriff auf Russland abkommandiert, als er im Gottesdienst die Orgel spielte. Als er zurück kam, war niemand mehr da. Karl - Heinrich Büchsel wurde nach München versetzt, später nach Österreich und hat als einer von wenigen überlebt.

In München hat ihn die Musik mit der Frau seines Lebens zusammen gebracht. Karl - Heinrich Büchsel hatte ja ein sehr feines Gespür für den richtigen, für seinen Weg und wusste sehr bald, dass diese Irmgard Bergsträßer die Richtige war. Er hat es gehört an dem entschlossenen Soloeinsatz der Violine bei der Aufführung einer Bachkantate. Es war dann noch einige Beharrlichkeit nötig, um auch sie davon zu überzeugen, dass da gerade im Himmel eine Ehe beschlossen worden war, aber ich glaube, dass beide Partner das auch fast 61 Jahre nach der Hochzeit nicht bereut haben.

Aus dem Krieg ist Karl - Heinrich Büchsel als Pazifist wieder gekommen. Er war ja auch ein konsequenter Mensch. Sein Vater war Leiter einer Behinderten - Einrichtung gewesen. Er hat diese Stelle nach Beginn der sogenannten Euthanasie aufgegeben. Karl - Heinrich Büchsel hat also als Jugendlicher mit erlebt, was da geschehen ist. Dazu kam die Kriegserfahrung. So hat er sich gesagt: nie wieder und hat sich gegen alle Versuche gewehrt, den Krieg wieder als denkbar, normal oder notwendig in den Gedanken zu verankern.

Mit der gleichen Konsequenz hat er sich viel später beim Ausscheiden aus dem Amt des LKMD aus der Arbeit gelöst und dann noch einmal aus der Tätigkeit als Kantor in Hankensbüttel. Er wollte keinen Schatten als Vorgänger werfen. Er wollte nicht in Verhandlungen um seine Nachfolge verwickelt werden. Er wollte sich aber auch ersparen mit an zu sehen, wie seine Arbeit von anderen anders weiter geführt wurde. Und schließlich hat er gemerkt, dass eine Kräfte altersbedingt nach ließen und er seine Qualitätsstandards nicht mehr zuverlässig halten konnte.

Nach den Stationen Spenge, Ibbenbüren und Soest erreichte Karl - Heinrich Büchsel der Ruf nach Wolfenbüttel. Er wurde der erste LKMD hier. Er war auf fast allen Gebieten der Kirchenmusik tätig und hat auf allen so viel geleistet, dass es gar nicht leicht zu sagen ist, welcher Teil denn so seine ureigene Domäne war. Da war die Ausbildung von Organistennachwuchs - da kam seine pädagogische Begabung zum Tragen. Er war natürlich Organist, hier an St. Trinitatis. Gottesdienste und Konzerte lagen ihm gleichermaßen am Herzen. Er hat komponiert: Gebrauchsmusik, oft für die Liturgie und auch sehr anspruchsvolle Werke. Er hat Chöre geleitet, am Braunschweiger Dom, an St. Magni in Braunschweig. In Wolfenbüttel hatte er seinen Jugendchor. Wenn es eine ureigene Domäne gab, dann war es dieser Chor. Bis zu 100 Sängerinnen und Sänger bildeten mit ihm eine verschworene Gemeinschaft. Einige davon sind immer noch zusammen und singen heute seine Werke. Seine Arbeit hat dann wohl auch einige Theologen und vielleicht Musiker ? auf den Weg gebracht. Er selbst war mitten drin, hat sein Charisma eingebracht, sein jugendliche Lebendigkeit, diese kleine Portion Schlitzohrigkeit, die sicher nie boshaft, aber lustvoll war, und natürlich diesen tiefen, echten und deswegen überzeugenden Glauben. So waren die Jahre in Wolfenbüttel sicher seine große Zeit.

Als er wegen der erreichten Altersgrenze ausscheiden musste, war seine Energie noch lange nicht verbraucht. Dreizehn Jahre hat er als Kantor in Hankensbüttel weiter gearbeitet und nach der Rückkehr in den Wolfenbüttler Gemeinden Organistendienste übernommen, wann immer er konnte. So habe ich ihn kennen gelernt, und es war sehr anrührend zu erleben, wie dieser Mann eben noch mit größter Mühe die Treppe zur Orgelempore bestiegen hatte und dann, wenn er merkte, dass der Funke zur Gemeinde übersprang, noch einmal das alte Feuer entfachte.

Dem Ehepaar Büchsel sind sechs Kinder geschenkt worden, die die Familie im Lauf der Jahre durch ihrer eigenen Partner und die acht Enkel bereichert haben. Natürlich war es die Sprache der Musik, die Sie als Familie mit einander gesprochen haben und noch sprechen. Wie könnte es bei diesem Mann und Vater anders sein? Seine Berufung hat genau so natürlich Ihr Familienleben bestimmt. Manches mussten Sie mit tragen: die Umzüge, die blanken Nerven kurz vor der großen Aufführung. Und vieles hat er Ihnen geschenkt: die Musikalität, die Überzeugungen und Werte, die Lebenshaltung mit ihrer Konsequenz, ihrer Klarheit und Treue, den Glauben. Das ist ja etwas, wo von man leben kann, wovon Sie noch leben. Das ist Substanz, die er Ihnen mit gegeben hat.

Nun ist er 87 Jahre alt geworden. Er wollte diesen Tag groß feiern, hat alle seine Lieben ein geladen. Er muss gespürt haben, dass es Zeit war zu gehen. Dieser Gedanke hatte ihm immer Angst gemacht, aber jetzt hat er sich dem guten Hirten offenbar entschlossen hin gegeben, im vollen Vertrauen, dass Gott auch diesen Weg zu einem guten Ziel führen würde, vielleicht auch mit der Haltung 'Hier bin ich. Meine Kraft ist erschöpft. Nun musst du für mich sorgen.' Für ihn war das sicherlich die richtige Art, diesen Schritt zu gehen.

Aber wir sind ja hier ohne ihn. Ohne ihn ist es, als wäre die Geborgenheit im Leben auch gegangen. Er hat Vertrauen für mehr als nur eine Person gehabt. Er konnte Sie mit tragen, Sie Frau Büchsel, Sie als Kinder und Enkel, Sie als Weggefährten.

Es mag jetzt gut zu wissen sein, dass Gott bei uns ist, der gute Hirte. Ihm legen wir nicht nur Karl - Heinrich Büchsel ans Herz, sondern auch uns. Wir bitten ihn, dass er sein Kind mit aller Liebe bei sich auf nehme. Und wir legen ihm unseren Schmerz vor. Er ist unser Hirte. Er muss uns heilen. Er muss uns führen auf einem guten Weg.




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu125/buechsel.htm, Stand: April 2009, dk