Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 125 - April 2009


Drei neue Bücher

(Download als pdf hier)

Von Hartmut Padel sind "Erinnerungen an fünfzehn Jahre Katechetisches Amt in Braunschweig" unter dem Titel "Religionspädagogik auf neuen Wegen" in der an Aktualität und Qualität unterschiedlichen Reihe "Quellen und Beiträge zur Geschichte der Landeskirche" als Heft 18 erschienen. Padel beschreibt seine Tätigkeit als Nachfolger von Heinrich Brinkmann (1954-1961), in der er das Katechetische Amt bis 1976 leitete. Das war damals noch in einem Privathaus im sog. "Fliegerviertel" später "Malerviertel" (wg der Straßennamen) in Braunschweig untergebracht. Diesem Amt ist das erste Kapitel gewidmet. Es folgen "Das Arbeitsfeld Schule", "Arbeitsfeld Kirche" und schließlich die Veränderungen und der Umzug in das Haus kirchlicher Dienste in Riddagshausen. Zahlreiche Fotos aus Privatbesitz lockern die Darstellung auf. Da sieht man die alten Mitarbeiter, Frau Spennhoff-Mandry, die heute im Augustinum lebt, Ralf Kleefeldt,Wolfenbüttel und den gerade verstorbenen Paul Otto Gutmann Die Pädagogik ist in den letzten Jahrzehnten einen weiten Weg gegangen. Padel beschreibt die Anfänge mit der sinnlosen Paukkatechetik und einer eher dogmatisch gebundenen "Evangelischen Unterweisung", aus der sich dann langsam ein an Lebensthemen orientierter Unterricht entwickelte. Dabei war der enge Kontakt zur Lehrerschaft hilfreich, deren engagierter Teil sich unter den beengten Verhältnissen des Katechetischen Amtes in die Arbeit stürzte. Ein wesentlicher Arbeitszweig waren die Jahrestagungen, die auf dem Hessenkopf stattfanden und die führenden Köpfe der damaligen theologischen Fakultäten nach Braunschweig brachte. Mit ihren kritischen Ansätzen wirkten sie weit in die Lehrerschaft hinein. Sie bekam auf diese Weise auch ein anderes Bild von Kirche vermittelt, als sie es von Haus aus kannte. Ich habe diesen Abschnitt mit Wehmut gelesen. Padel beschreibt dann die neuen Unterrichtsansätze, wie sie von Hans Adolf Oelker in Lebenstedt, Christoph Brinckmeier in Braunschweig Am schwarzen Berge" und Hans Jörg Hasse und Martin Quandt, Goslar-Immenrode praktiziert wurden. Padel erinnert in einem weiteren Kapitel an die vielfältigen und engen Kontakte zur Propstei Blankenburg und deren Katechetinnen anlässlich der jährlichen Treffen in Berlin-Ost. Zwei Kapitel über das Versöhnungszentrum Corrymeela und den Streit über die sog. Braunschweiger Thesen (1966) schließen die persönlichen Erinnerungen Padels ab. Solche Erinnerungen sind wichtige Quellen zum Verständnis unserer Landeskirche und ihrer Geschichte. Wer zunächst mal hineinsehen will: es liegt ein Exemplar in der Stadtbibliothek unter den Anschaffungen im Lesesaal aus. Kue



Eine "Kleine Braunschweigische Kirchengeschichte" hat der Direktor des Predigerseminars Dieter Rammler unter dem Titel "Hinter jedem Hügel ein Kirchenturm" verfasst. Sie wurde im März im Predigerseminar vom Landesbischof, vom Sponsor "Stiftung Nord LB", vom Lutherischen Verlagshaus, wo es erschienen ist, und von Frau Drost v. Bernewitz vorgestellt. "Geschichte wäre im Trend" war das Motto. Als sich die Stadt Braunschweig um den Titel einer Kulturstadt bewarb, erschien für die Touristen ein Überblicksbuch "Von Karl d. Gr. bis Phaeno", oder so ähnlich. Ein solches Buch sollte auch für die Landeskirche geschrieben werden und dafür wurde eine Kommission unter Führung des Archivs einberufen, die aber bis heute nicht zu Potte gekommen ist. So dient also Rammlers Buch 176 Seiten als flott geschriebene, leicht lesbare, reich bebilderte Darstellung zur ersten Orientierung. Heimatkunde wäre schon immer sein Steckenpferd gewesen, meinte Rammler bei der Einführung. So ist ein heimatkundliches Buch entstanden. Rammler arbeitete alle vorhandenen Sekundärquellen sorgfältig zusammen. Knapp die Hälfte ist dem Mittelalter und der Reformation gewidmet (S. 11-79) und dem 19. und 20. Jahrhundert die letzten 70 Seiten. Rammler langweilt nicht mit theologiespezifischen Besonderheiten, sondern beschränkt sich auf fassliche Themen, die neugierig machen wollen: "Rübenschlösser und Rübenkirchen" (S. 102), "Unterm Hakenkreuz" (118), "Jammertal und Nissenhütten" (S. 129), "Kleiner und großer Grenzverkehr" (S. 156). Wer eigene, neue kirchgeschichtliche Ansätze und Bewertungen erwartet, liegt falsch. Das Buch schließt eine Lücke und ist (mit einer Ausnahme in der Pöhlmannfestschrift 1996) die bisher einzige Darstellung der Gesamtgeschichte der Braunschweiger Landeskirche.



Unter dem Titel: "Anmerkungen zur Novemberrevolution" bespricht Joachim Schulze eine Veröffentlichung von Dietrich Kuessner, Maik Ohnezeit und Wulf Otte.

Im November vergangenen Jahres erschien der Sammelband "Von der Monarchie zur Demokratie. Anmerkungen zur Novemberrevolution 1918/19 in Braunschweig und im Reich". In der Einleitung wird der Anspruch an diese "Anmerkungen" formuliert: Ziel sei es, "die Ereignisse des November 1918 und deren Folgen in der allgemeinen Wahrnehmung von überlieferten Mythen zu befreien und den Blick stärker zu den Ergebnissen der historischen Forschung zu lenken." Das Buch führt drei Autoren zusammen, die zu vier Aspekten ihre "Anmerkungen" entwickeln. Dietrich Kuessner schreibt über Mythen und Legenden sowie über die evangelische Landeskirche, Wulf Otte untersucht die bürgerliche Braunschweigische Landeszeitung und Maik Ohnezeit das bürgerlich-konservative Lager.
Kuessners erster Beitrag hat den Titel "Braunschweiger Novemberrevolution. Mythos und Wirklichkeit". Er ist mit 58 Seiten der längste Beitrag des Buches. Aus der Betitelung könnte man durchaus eine Auflistung gängiger Legenden und Mythen erwarten und anschließend die Gegenüberstellung der historischen Fakten. Kuessner fasst aber die Deutungen zu zwei Komplexen zusammen. Auf der politischen Rechten war es die Vorstellung der "bolschewistischen Sturzwelle", d.h. die Behauptung, dass russische Agitatoren die deutschen Matrosen aufgehetzt und so den nahen Endsieg verhindert hätten. Auf der Linken kennzeichnet der Stolz auf die besondere Radikalität der Braunschweiger Arbeiterschaft einen solchen Mythos, der von der Rechten in der Weise geteilt wurde, als sie diese Radikalität gerade als besondere Schande empfanden. Kuessner untersucht nun nicht die Entstehung dieser Vorstellungen, sondern beschreibt sehr fundiert, ausführlich und fast immer durch Quellen belegt den Verlauf der Revolution, sowohl in der Stadt, als auch im Herzogtum bzw. Freistaat. Mit Fakten widerlegt er die angesprochenen Mythen und Legenden, ohne noch einmal explizit auf sie einzugehen. Auffällig ist, dass er die Abläufe in den Kreis- und Kleinstädten des Freistaats - teilweise auch in den Dörfern - gleichwertig zu denen in der Hauptstadt stellt. Seine häufigste Quelle ist dabei die Schöninger Zeitung. Gleich an den Anfang stellt er seine kontrovers zu diskutierende Hauptannahme: Der Streik der Seestreitkräfte wäre nicht der Beginn einer Revolution sondern nur einer Streikbewegung für den Frieden gewesen. Eine Kapitelüberschrift lautet dann auch "Der verdeckte Militärstreik im Heer" und die Charakterisierung der politischen Bewegung als "Streik" wiederholt sich in verschiedenen Überschriften. Eine abschließende Zusammenfassung zeigt in zwölf Punkten noch einmal, wie der Autor den Verlauf sieht. Wer sich über die Revolution in Braunschweig nach neuestem Quellenstand informieren möchte, sollte allein wegen dieser Darbietung die 14,90 Euro für das Buch aufbringen.

Der Beitrag "Die (gelesene) Revolution 1918/19. Zur Berichterstattung der Braunschweigischen Landeszeitung" von Wulf Otte schließt sich an. Die Landeszeitung war das führende bürgerliche Tagesblatt in Braunschweig. 1880 gegründet, war sie bis zur Revolution 1918 das inoffizielle Organ der Nationalliberalen. Ottes Anliegen ist es, "Argumentationslinien herauszuarbeiten" (S. 81), wie diese Zeitung über die Revolution berichtete. Er füllt damit eine bestehende Forschungslücke zur Pressegeschichte, beschränkt sich allerdings auf die Landeszeitung, "die rechts-konservative und links orientierte Presse werden ausgeblendet" (S.81). Otte weist durch Zeitungsausschnitte auf, wie sich das Tagesblatt peu ä peu in einem Auf und Ab und Hin und Her allmählich zu einer pro-republikanischen Zeitung entwickelte, die sich zum neuen Staat bekannte. Otte kommt zu dem Schluss, dass die Landeszeitung meistens objektiver über die revolutionären Ereignisse berichtete als die linke Presse.
Im dritten Beitrag des Sammelbandes beschreibt Maik Ohnezeit das Verhalten des von Otte ausgesparten rechts-konservativen Lagers. Er beschreibt dieses Verhalten für das Reich, nur selten bringt er Beispiele aus Braunschweig. Als Titel seiner "Anmerkungen" wählt Ohnezeit eine Aussage des auch als Historiker bekannten Theologen und Philosophen Ernst Troeltsch: "Kein Mann tot für Kaiser und Reich!" Troeltsch meinte diesen Ausspruch nicht als Aufforderung, sondern wollte angesichts des fehlenden Widerstands gegen die Revolution seine Verwunderung ausdrücken. Ohnezeit kommt am Ende seiner Ausführungen zu dem Schluss: "Das bürgerlich- konservative Lager blieb mehrheitlich bei seiner Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und trug so zum Niedergang der ersten Republik und der späteren Machtübernahme bei" (S. 131).
Ohnezeits Beitrag hat zu selten Bezüge zu Braunschweig und macht es dem Leser schwer nachzuvollziehen, wie sich aus dem konservativ-bürgerlichen Lager mit der DVP doch eine Partei herausbilden konnte, die sich zur Weimarer Demokratie bekannte, an mehreren Regierungen beteiligt war und mit Gustav Stresemann einen herausragenden Außenminister und Reichskanzler stellte. Der Abschnitt ist dennoch reich an Fakten und flüssig geschrieben.
Dietrich Kuessner, der evangelischer Pfarrer war und durch seine Arbeiten zur regionalen Kirchengeschichte bekannt geworden ist, nimmt im letzten Beitrag "Die braunschweigische Landeskirche und die sogenannte Novemberrevolution 1918" seine Charakterisierung der politischen Ereignisse als Streikbewegung wieder auf. Die Braunschweigische Landeskirche hat in der Revolution enorm an Einfluss und Macht verloren. Sie verlor die Schulaufsicht, sie musste künftig die Trennung von Staat und Kirche hinnehmen. Sie verlor in der Person des Herzogs ihr regionales Oberhaupt, und in der Rätezeit wurde der Religionsunterricht aus der Schule verbannt.
Kuessner gelingt es, kenntnisreich und übersichtlich darzustellen, wie die evangelische Kirche diesen Machtverlust verkraftete und wie sie aus der Konfrontation allmählich zu einer Kooperation überging.
Eine umfassende Bibliografie von Maik Ohnezeit "Die Novemberrevolution 1918/19 im Reich und Braunschweig in der wissenschaftlichen Literatur" schließt die Veröffentlichung ab.




[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu125/rezensionen.htm, Stand: April 2009, dk