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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 135 - Mai 2012


Aus der Landeskirche

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

* Zum Tod von Helga Hansi
Helga Hansi ist wenige Monate nach ihrem 85. Geburtstag in Hannover Anfang des Jahres gestorben und in einem Friedwald begraben worden. Helga Hansi war Berlinerin, ist dort geboren und verlebte in der Reichshauptstadt von ihrem Geburtsjahr 1926 an bis 1944 ihre Schulzeit und erstes pflegerischen Vorpraktikum. Aber sie kehrte nie wieder nach Berlin zurück. Sie sprach über diese Zeit ungern. Es waren keine glücklichen Jahre. Seit ihrem 20. Lebensjahr absolvierte sie zielstrebig ihre berufliche Aus- und Weiterbildung als Krankenschwester, 1950 das große Krankenpflegeexamen und 1955 das als Wohlfahrtspflegerin. Sie arbeitete 1956-1971 in der städtischen Braunschweiger Jugendfürsorge. In dieser Zeit wurde sie 1968 zur Stadtamtmännin ernannt. 1971-1973 war sie Oberin im Annastift Hannover und wurde von der Hannoverschen Landeskirche zur Kirchenbeamtin auf Lebenszeit ernannt. Seit 1974 war sie in der Braunschweiger Landeskirche bis zu ihrer Pensionierung 1991 als Leiterin der Erwachsenenbildung tätig.
Sie war oft auch im Offleber Pfarrhaus, und wir schmiedeten Pläne, z.B. die Ausstellung über die Nazizeit in der Landeskirche im Braunschweiger Altstadtrathaus, oder die Vortragsreihe in der Wolfenbüttler Herzog August Bibliothek über Staat und Kirche. Sie organisierte über die Hannoversche Erwachsenenbildung 20.000 DM, um den Katalog zur Ausstellung, die dann in der Andreaskirche gezeigt wurde, drucken zu lassen. Von Jugend an gewohnt sich durchzubeißen strahlte sie eine herbe, aber durchaus fröhliche Durchsetzungsfähigkeit aus, die vor der männlichen Obrigkeit keinen Halt machte und manchen Verweis wegsteckte. Sie veranstaltete zusammen mit Uwe Ostelmann (Salzmann) Tagungen, gut vorbereitete Seminare und vielfältige Veranstaltungen zu den Themen Frieden, Gerechtigkeit, Frauen, Umwelt und den Nord-Südbeziehungen, oft zusammen auch mit Johanna Linz, dem damaligen Mitglied der Hannoverschen Landessynode. Helga Hansi trommelte in der Landeskirche für den Boykott von südafrikanischen Früchten und beteiligte sich beim Kirchentag in Frankfurt am Sitzstreik vor den Banken. Als die Landeskirche 1982 wieder einmal einen Kirchentag veranstaltete unter dem unverfänglichen Thema „Zum Glauben ermutigen“, organisierte sie mit dem Kinderschutzbund und anderen Gruppen einen beachtlichen Gegenkirchentag unter dem Thema „Zum Frieden ermutigen“, für unsere kleine Landeskirche ein alternativer Lichtblick. Auch nach ihrer Pensionierung blieb sie ehrenamtlich in der Ökumene tätig, nahm an den Vollversammlungen der Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra (1991) und Harare (1996) teil und war mit Studien-Gruppen u.a. in Brasilien, Mexiko und Südafrika.
Die letzten Jahre waren von den schweren Folgen eines Schlaganfalls mitten in einem Konzert in Hamburg gezeichnet.
Sie gehörte zu den prägenden Gestalten in unserer Landeskirche, als das gesellschaftspolitische Engagement in der Kirche noch eine Selbstverständlichkeit war. Die Landeskirche hat Helga Hansi viel zu verdanken.

* Verabschiedung des Leitenden Landeskirchenbaurat Helmut Müller
Man sah es ihm nicht an. Jugendfrisch wirkt er, und 65 wird er auch erst am 25. Dezember. 1947 ist er auf einem Dorf in der Nähe von Göttingen geboren, ging dort zur Volksschule, machte eine Maurerlehre, besuchte die Ingenieurschule in Holzminden und studierte 1972-1977 an der TU Braunschweig Architektur. „Ich bin von dem sachlichen Stil Kremers geprägt“, sagt er. Bevor er am 1.9.1995 ins Landeskirchenamt kam, hatte er einen interessanten Posten am Staatshochbauamt Magdeburg, Abteilung Neuplanung. Nach Wolfenbüttel zog es ihn, da dort sein Haus stand, in dem seine Frau auch praktizierte, die drei Kinder lebten, und Magdeburg wurde wegen der rechtsradikalen Umtriebe ungemütlich. Hier wurde er der Vierte.
Der Reihe nach: der erste war Friedrich Berndt, Gott ja, der berühmte Berndt (1903-1983), der schon einen Platz im Braunschweigischen Biografischen Lexikon (S. 54) errungen hat, 1934-1945 fest eingebunden in die Luftwaffen-Rüstungsforschung in Braunschweig Nord, nach dem Krieg durch die Protektion von Propst Jürgens dann rasch aufgestiegen in den kirchlichen Dienst, Oberlandeskirchenrat. Seine Zeit war geprägt vom atemlosen Wiederaufbau der Braunschweiger Stadtkirchen und dem Neubau zahlreicher Betonburgen auf dem Lande und an den Stadträndern. Er hat seinen Schwiegersohn, der auch Architekt war, stark gefördert und an den Bauten beteiligt, die betroffenen Kirchengemeinden weniger.
Sein Nachfolger wurde 1971 Werner Taeger, (Jahrgang 1920) der bereits seit 1952 im der Bauabteilung tätig war. Er setzte das Werk Berndts bis zu seinem Ruhestand 1983 fort. Aber die Bauabteilung wurde nun dem Finanzreferat unter OLKR Dr. Konrad Bluhm unterstellt. Es war die Zeit, wo das Geld noch sprudelte. Schon zu Taegers Zeiten begann der aus den freien Architekten herkommende Klaus Renner 1973 seinen Dienst im Landeskirchenamt wurde Taegers Stellvertreter und seit 1983 sein Nachfolger als Leitender Landeskirchenbaurat. Renners Zeit ist die Phase der Restaurierung. Die Bausünden der Berndtschen Zeit, in der zahlreicher Kanzelaltäre abgerissen und Vieles grau übergestrichen wurde, wurden so weit wie möglich beseitigt. Statt Eliminieren restaurieren. Renner, Jahrg. 1933, hat einige sehenswerte Bildbände über seine Arbeiten in unserer Landeskirche veröffentlicht. er zog in den Ruhestand an den Rand Berlins. Da er begeisterter Posaunist ist, hat er über die Kirchenmusik immer noch Verbindungen zur früheren Landeskirche.
Nachfolger Renners des Dritten, wurde Helmut Müller, der Vierte, und gleich zu Anfang mit einer Riesenaufgabe betraut: dem Umzug des Landeskirchenamtes vom Neuen Weg in Kasernen an der Lindener Straße. Die zweite große Aufgabe der Müller Zeit ist die baulicher Grundsanierung der Kirchen und Pfarrhäuser in dem ehemaligen DDR Gebiet, Blankenburg, das sich kurz vor Beginn seines Dienstantritts zum Anschluss an die Braunschweiger Landeskirche entschlossen hatte, mehr überredet als nach gründlicher Beratung und Überlegung. Dazu wurden ein Sonderhaushalt und Millionenmittel zur Verfügung gestellt. Prunkstück ist die in 12 Jahren und 2008 einweihte restaurierte holzverschalte Oberharzer Fachwerkkirche mit barocker Originalausstattung von Trautenstein.
Das leitende Stichwort für diesen vierten Abschnitt in der landeskirchlichen Baugeschichte heißt „erhalten“. „Bauen und erhalten“ lautet eine 2009 erschienene Broschüre mit einem Vorwort von Müller und zahlreichen Projekten aus seiner Zeit. Nach „Wiederaufbauen“ und „Restaurieren“ war also „erhalten“ angesagt, was von restaurieren nicht scharf getrennt werden kann, wie das gemeindeferne Mammutprojekt der Wolfenbüttler Marienkirche zeigt, um das sich Müller heftig kümmern musste. Zum völlig neuen Tätigkeitsbereich des Leitenden Baurates kam nun das Einwerben von Geldmitteln und das Erschließen neuer Geldquellen hinzu, was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Architektonisch hat sich Müller in der Restaurierung der Türme der Braunschweiger
Andreaskirche verewigt. Er hat dazu einen ausführlichen Aufsatz in dem Band „Die Türme von Sankt Andreas zu Braunschweig“ Bs 2009 S.327-359 verfasst. Ein weiterer Aufsatz von ihm behandelt die „Landeskirchliche(n) Baumaßnahmen in der Zeit des Nationalsozialismus“ in: „Kirchbau im Nationalsozialismus“ 2009, anlässlich der Ausstellung in der Brüdernkirche, eine Arbeit, die ihn in seinem alltäglichen Arbeitsablauf eher störte. Jüngst hat er die multireligiöse Kapelle im Wolfenbüttler Krankenhaus entworfen.
Die Redaktion wünscht dem Ehepaar Müller noch glückliche Jahre zu Hause und auf Reisen und seinem Nachfolger Martin Schuseil Geduld und Freude im Dienst.

Bürgermeister Ulrich Römer
In einen Ruhestand ganz anderer Art ist der langjährige Weststadt Pfarrer Ulrich Römer abgedampft. Römer, Jahrg. 1945, war seit 1980 Pfarrer in der Braunschweiger Weststadt und mit großem Bahnhof und viel Anerkennung in den Ruhestand verabschiedet worden. Im Hinterkopf schwante ihm wohl schon die Idee: hier werde ich Bürgermeister. Er ließ sich auf der Liste der SPD als Parteiloser aufstellen und holte für die Rosaroten die meisten Stimmen bei der Kommunalwahl 2011 (3.041 Stimmen) und bekam 12 Stimmen (von 17) bei der Wahl zum Bezirksbürgermeister. Die CDU band er als Stellvertreter in die Kommunalverantwortung ein, nicht immer zur Freude der Hartköpfe in der SPD. Stimmenverhältnis: 7 SPD, 7 CDU, drei : Grüne Bibs, Linke. Die Voraussetzung für dieses erstaunliche Wahlergebnis war u.a. diese:. Römer hatte sehr lange die von ihm mitgegründete „Arbeitsgemeinschaft Weststadt“, geleitet, in der alle Vereine und Gruppen sich sammelten und absprachen. Beim Neujahrempfang lobte der Bezirksbürgermeister Römer (ich muss mich daran erst noch gewöhnen) die Vorteile der Weststadt: „Wir sind ein Stadtteil, mit Zukunft, mit vielen Kindern und erfahrenen Eltern, bester Verkehrsanbindung, Arztpraxen, Einkaufs- Erholungsmöglichkeiten und Netzwerken.“ Wir drücken die Daumen.

Bonhoeffer in Braunschweig
Im März war in der Braunschweiger Bonhoeffergemeinde in Melverode auf 13 Tafeln eine Ausstellung zum Leben Dietrich Bonhoeffers zu besichtigen. Es war das insbesondere in den 70er Jahren veröffentlichte Bonhoefferbild: junger Mann aus großbürgerlichem Elternhaus, Aufsteiger an der Berliner Uni, Vikar mit Konfirmanden, Mitglied der Bekennenden Kirche, während des Krieges zum militärischen Widerstand stoßend und am 9. April im KZ Flossenbürg hingerichtet. Was nicht zu sehen war: Die Bekennende Kirche weigerte sich, für Bonhoeffer zu beten und seinen Namen in die Fürbittliste der BK aufzunehmen. Der bayrische Bischof Meiser weigerte sich, nach dem Krieg an der Einweihung eines Bonhoefferdenkmals in Flossenbürg teilzunehmen. Unvorstellbar, dass Bonhoeffer nach dem Krieg eine führende Rolle in der westdeutschen Kirche erhalten hätte. Also die schmerzliche Isolierung Bonhoeffers innerhalb der evangelischen Kirche. Nicht hingewiesen wurde auf den Bonhoefferschüler Richard Grunow in unserer Landeskirche, der seit Ende der 50er Jahre das Braunschweiger Volksblatt (die heutige EZ!) leitete und Theater mit den Oberlandeskirchenräten Röpke und Dr. Breust bei seiner Schilderung der „Affäre Althaus“ bekam. Grunow hatte Bonhoeffer im Predigerseminar selber erlebt und ein Bonhoefferbrevier während seiner Braunschweiger Zeit veröffentlicht. Heutzutage wären auch Fragen an die Ethik Bonhoeffers zu stellen. Also Heldenverehrung und Märtyrerschmalz war nicht Bonhoeffers Sache. Der Vater Bonhoeffers, der Chef der Psychiatrie an der Berliner Charite, hat übrigens 1946 ein Gutachten über den Geisteszustand Hitlers verfasst, das den Hitlerbiografen nicht bekannt ist. Gerhard Heintze war der erste leitende Theologe, der bereits in seiner Ansprache nach der Wahl im April 1965 in unserer Landeskirche auf
Bonhoeffer aufmerksam machte. Domprediger Hempel erzählt dazu jene Geschichte, dass er über die Ethik Bonhoeffers sich habe im zweiten Examen prüfen lassen wollen, was vom früheren Propst Strothmann (bis 1945 kirchlicher Generalvertreter im Hermann Göring Gebiet) abgelehnt, jedoch vom BK Mann OLKR Kammerer akzeptiert worden sei. (Noch Fragen zur Geschichte unserer Landeskirche?). Oben ist der Einleitungsvortrag von Bischof Weber abgedruckt, der zur Lektüre empfohlen wird. Es wäre zu wünschen, dass sich auch noch andere Kirchengemeinden anhand der 13 Melveroder Tafeln mit diesem Theologen beschäftigen würden.

Enchiridion auf Reisen
Die Marktkirchenbibliothek Goslar beherbergt das 1524 erschienen Enchiridion mit den ersten Gesangbuchliedern Luthers. Eine Kstbarkeit. Es ist jetzt auf Reisen gegangen und in den Franckschen Stiftungen in Halle zu besichtigen, wo sich eine beträchtliche Gesangbuchausstellung anlässlich des Themenjahres „Die Reformation und die Musik“ befindet. Die Ausstellung ist von vielen Vorträgen begleitet. Der Musikwissenschaftler Korth hat bei einem kürzlichen Vortrag die Begeisterung über das Choralsingen in den Gemeinden zur Zeit der Reformation erheblich gedämpft. Auch nachzulesen in „Das Braunschweiger Gesangbuch“.

Mehr Geld für kleine Gemeinden
Unter dem Titel „Der neue Finanzausgleich“ ist eine 34 starke Broschüre aus der Feder des Finanzdezernenten OLKR Mayer erschienen, in der die neue Verteilung der Landeskirchensteuer erklärt wird. Die Landessynode wird Anfang Juni darüber befinden. Zur Erinnerung: die Landeskirchensteuer kommt aus den Gemeinden, und gehört auch wieder in die Gemeinde.
Die Arbeit in den Kirchengemeinden stelle die „höchste Priorität“ dar“ (S. 11), heißt es in der Broschüre.
Nach welchen Gesichtspunkten bekommen die Gemeinden ihren Anteil? In meiner Jugendzeit als Pfarrer in den 60er und 70er Jahren bekam der am meisten Geld, der am unverschämtesten drängelte und auch Schulden machte, die am Ende das Landeskirchenamt übernahm. Nur so kam man überhaupt an Geld heran. Da gab es Drängler mit dem entsprechenden theologischen Profil, das zur Mütze von OLKR Fischer passte. Beispiel: die Endlosfinanzierung des Gemeindehauses in Seesen unter der Ägidie von Propst Hartig. Dann hatte Fischer die kuriose Idee, die Mittel, u.a. nach der Größe der Kirchengebäude und weiterer Gebäude zu verteilen. Dazu wurde heftig „Bedarf“ angemeldet, der dann je nach Wohlwollen genehmigt wurde. Sparen war Unsinn. Wer z.B. Mittel zusätzlich reinholte, etwa durch Vermieten der nicht benötigten Garage oder des Pfarrbodens, wurde bestraft. Die Mittel wurden vom Landeskirchensteueranteil abgezogen. Auch die Zinsen von Ersparnissen. Klug war, wer solche zusätzlichen Mittel einnahm und unter „Spenden“ im Kirchengemeindehaushalt erst öffemtlich verausgabte.
Jetzt wird alles anders: die zahlreichen Mittelkriterien werden auf zwei gekürzt. Es gibt in Zukunft einen Sockel von 5.000 € für jede Gemeinde unabhängig von der Größe und dazu pro Kirchenmitglied einen Betrag, der sich nach der Höhe der Einnahmen der Landeskirchensteuer richtet, z.Zt. ca 22,68 €. (S. 13)
Das ist gut für kleine Gemeinden mit kleinen Kirchen, nicht so gut für mittlere mit großem Bauunterhaltungsbedarf. Die werden endlich gezwungen, Baufördervereine zu gründen und weitere Mittel einzuwerben. Das sei jedoch dringend auch den kleineren Dorfkirchengemeinden empfohlen.
Auch der undurchsichtige Wirrwarr der vielen Rücklagen wird beseitigt. Eine fünfjährige Übergangsregelung soll Härtefälle berücksichtigen. Die Sache scheint mir auf einem guten Weg zu sein.

Atelier Sprache feiert 10 Jähriges
Im Franziskussaal feierte das Atelier Sprache am 11. Mai sein zehnjähriges Bestehen mit kirchlicher Prominenz und Sponsoren, Grußworten, Klaviermusik und einem Vortrag von Martin Nicol, Professor für Praktische Theologie an der Uni Erlangen. Sein Buch „Einander ins Bild setzten. Dramaturgische Homiletik“, Göttingen 2002, gilt als der inhaltliche Leitfaden für eine neue, lebendige Art zu predigen. Im Atelier Sprache werden Kurse angeboten, die mit der Auszeichnung „Meisterpredigt“, gemeint wohl „Meisterprediger“, abschließen. Ich kam vor dem Festakt mit Olaf Neuenfeld, Pfarrer in Weddel, ins Gespräch. Er hatte einen solchen Kurs fast abgeschlossen und erzählte ausgesprochen angetan. Das Echo aus der Gemeinde war: „Sie predigen anders“, lebendiger, anschaulicher. Es ist schade, dass uns solche „Meisterpredigten“ in „Meistergottesdiensten“ in der Stadt vorenthalten werden.
Bischof Weber wies in seinem Grußwort darauf hin, dass die Beteiligung aus der Landeskirche zu wünschen übrig ließe. Das hat aber Gründe.
Das Thema Nicols lautete „Mit Beethoven beten“. Ich hatte wegen dieses Themas keine Lust, zu dem Festabend zu gehen, mich dann aber doch überwunden. Vor dem Vortrag spielte ein 27 jähriger armenischer Pianist, in Moskau ausgebildet, jetzt im Westen, ein Stück von Franz Schubert, und während des Vortrags einige erläuternde kurze Sequenzen.
Nicol begann biografisch: er hatte bei seinem Großvater, der Pfarrer war, viel Beethovenmusik gehört. Die langsamen Stücke, von Wilhelm Kempff vorgetragen, bewirkten bei ihm eine Art von „Adagiofrömmigkeit“. Sie hätten choralartigen Charakter. „Ein Trostgesang“. Mit vielen Zitaten von Künstlern holte Nicol die Beethovensonaten in religiöse Deutungen. Beethoven hören sei wie Beten, erzeuge Meditation, die auch zur Ekstase führe, zur „höchsten Verzückung“. Das Wohltemperierte Klavier Bachs sei wie das Alte Testament, die Betthovensonaten (der Großvater sagte Bett, statt Beethoven) dagegen wie das Neue Testament. Durch die Beethovenmusik zur Erlösung. Also ein religiöses Erlebnis. Viel mehr: als Höhepunkt seiner Deutung zitierte Nicol aus dem Johannesevangelium Kap. 8 Vers 23 das Jesuswort: „Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt; ich bin nicht von dieser Welt.“ Beethovenmusik in der Rolle von Jesus. „Nicht von dieser Welt“ im Sinne des Johannes. Das streifte an diesem Abend die Gotteslästerung, aber keiner der Bischöfe rührte sich, Weber nicht, die Bischöfin von Mitteldeutschland Junkermann nicht, Landesuperintendent Gorka nicht. Altbischof Müller, der extra aus Erlangen angereist kam und so herzzerreißend öffentlich Bibel und Bekenntnis wahren kann, wenn zwei Frauen oder zwei Männer in einem Pfarrhaus zusammenwohnen, auch nicht. die Oberräte Kollmar und Hofer auch nicht.
Es folgten die vier Sätze der viel zitierten Klaviersonate op.10 Nr.3 in D dur, aber der Kunstgenuss stand unter großartigen Vorbehalten: es sollte eine Art Gebetsstunde sein, Verzückung stand bevor, ein Gotterlebnis, überhaupt: viel weniger „Verstehen“, sondern „Erleben, Gott erfahren“ ist ja heutzutage angesagt. Frau Drost v. Bernewitz hatte die Gelegenheit, bei ihrem abschließenden Dankwort ein kleines Regulativ anzubringen. Stattdessen: Nicol habe „neue Räume eröffnet“. Sie zitierte aus der Einleitung der Programmschrift, es wachse in Braunschweig „eine neue homiletische Gemeinsamkeit“.
Die Versammlung strömte in den Kreuzgang, wo ein Abendbrot hergerichtet war und Hans Martin Gutmann eine launige Tischrede halten wollte.
Ich war von diesem Ausflug in die spinnennetzbehangene, ungelüftete Stube des Kulturprotestantismus restlos bedient und hatte mich geschämt, dass ich nicht aus dem Raum gegangen war. Es war eine Totenerweckung der Theologie vor dem 1. Weltkrieg. Wenn Nicol nun wenigstens die drastischen Gegenpositionen von Barth, Gogarten und anderen der 20iger Jahre referiert und sich damit auseinandersgesetzt und seine Position innerhalb der heutigen Theologie frisch begründet hätte, na meinetwegen. Aber dieses Terrain ist nun wirklich abgegrast. Es ist nicht zu erwarten, dass Nicol diesen massierten Unsinn von Vortrag in der gehaltenen Form drucken lässt.
Der anwesende Generalstaatsanwalt und andere Justizgrößen können sich nun am Sonntag morgen einen Besuch in den Stadtkirchen sparen, legen mit Frau und Kindern eine Beethovenplatte auf und können auf Befragen der Pröpstin guten Gewissens sagen: wir haben heute Vormittag lange gebetet und waren auch ganz schön verzückt.
Die Einwände gegen diesen Bericht kenne ich schon: „Ich habe den Vortrag ganz anders wahrgenommen“, sagt einer; ein anderer: „Kuessner hat ja recht, aber muss er das wieder rausposaunen?“ Also: Das Problem liegt mal wieder nicht bei Nicol, sondern bei anderen.

Empfehlung Kunstausstellung
Wer zur Stadtbibliothek geht, kommt an einer vorzüglichen Ausstellung von kleinen Meisterwerken Feiningers vorbei mit Briefen aus Amerika 1947 und folgende an das Ehepaar Ralfs in Braunschweig. Das ist sehr erholsam und entspannend.

Ordinationsjubiläum
Die Jubilare einer 25-40-50-60 Jahre zurückliegenden Ordination wurden von Bischof Weber Ende Juni zu einem Gottesdienst in die Martinikirche eingeladen. Wer sich darüber informieren will, in welchem erheblichen Maße sich z.B. die Kasualpraxis in dieser Zeit verändert hat, der greife zu „Gemeinsam-zärtlich-radikal“, in der Stadtbibliothek zu haben, im PS aber auch im Internet, wo ausführlich über die Veränderungen bei einer Taufe, eine Trauung und einer Beerdigung auf dem Lande berichtet wird.

Kirchenvögte feiern Fünfzigstzen
Am 10. November feiert die Arbeitsgemeinschaft der Kirchenvögtinnen und Kirchenvögte ihr 50jähriges Bestehen mit einem Festgottesdienst in der Frankenberger Kirche in Goslar ab 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Der Vorsitzende Rudolf Schäfer freut sich auf rege Teilnahme.

Zum Hundertsten
Am 14. November jährt sich der Geburtstag des verstorbenen Landesbischofs Dr. Gerhard Heintze zum hundertsten Mal. Ein Anlass zum Gedenken?




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