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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 135 - Mai 2012


Gedanken zu Dietrich Kuessners Buch
„Ansichten einer versunkenen Stadt: Die Braunschweiger Stadtkirchen 1933 – 1950“.

von Gerhard Hinrichs
(Download als pdf hier)

Das opus magnum ist da. Über 650 Seiten hat das Buch, in dem Dietrich Kuessner über die Kirchengemeinden der Stadt Braunschweig und ihre Pfarrerschaft schreibt. Und wie alle anderen Kuessner-Bücher und Artikel ist auch dieses Buch so spannend zu lesen, dass man es am liebsten in einem Zuge durchlesen möchte. Das Buch ist in 34 Kapitel gegliedert und es ist sehr hilfreich, dass die zahlreichen Anmerkungen nach jedem Kapitel aufgeführt und nicht, wie sonst üblich, erst am Schluss des Buches angehängt werden. Erwähnenswert ist weiter die „ökumenische“ Ausrichtung des Buches. Immer wieder wird über das Verhalten der katholischen Stadtkirchengemeinden berichtet.

Das Ende der Märchen
Das Buch ist, und wer hätte es bei dem Verfasser auch anders erwartet, ein kirchenkritisches Buch.
Das erste Märchen, das als solches entlarvt wird, lautet: „Die Kirchen wurden im 3. Reich verfolgt“.
Die Kirchengemeinden der Stadt Braunschweig standen besonders nach dem Ende des 1. Weltkrieges 1918 im Kampf mit einer zunehmenden Säkularisation. Die ehemalige gut bürgerliche Residenzstadt entwickelte sich in immer stärkerer Weise zu einer Industriestadt mit einer sozialdemokratisch bestimmten Bevölkerung, die der Kirche ablehnend gegenüberstand. 1933 gehörten bereits 17 % der Bevölkerung der Stadt Braunschweig keiner christlichen Kirche mehr an. Das war eine Besonderheit dieser Stadt, die nicht verglichen werden darf mit dem doch sonst recht konservativen Teil der Bevölkerung der Landeskirche.
Die Pfarrerschaft und auch die kirchliche Bevölkerung erhoffte sich nun vom Ende der Weimarer Republik und von dem Beginn des 3. Reiches eine Fortsetzung der kirchenfreundlichen Politik, die mit „Thron und Altar“ umschrieben wird. Man kann von einer „klammheimlichen“ Zustimmung der Kirche zum Regierungswechsel 1933 sprechen. Nie traten so viele Menschen wieder in die Kirche ein wie in den Jahren 1933 – 1935. Kuessner redet von einem „Ansturm auf Taufen und Konfirmationen“. Und wenn es tatsächlich einmal kirchenfeindliche Äusserungen gab, dann entsprachen diese nicht der vom Nationalsozialismus angestrebten Einheit von Kirche und Staat. Nicht einmal zu Kaisers Zeiten wurden in der Stadt Braunschweig so viele neue Kirchen erbaut wie in den Jahren von 1936 – 1939. So sieht „Kirchenverfolgung“ nun wirklich nicht aus.
Das zweite Märchen, das immer noch kolportiert wird, beginnt mit dem Satz: „Die Pfarrerschaft und mit ihr die Kirche stand im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.“ Man lese dazu das 18. Kapitel unter dem Titel: „Die Bindung der Pfarrerschaft an Person und Politik Hitlers.“ Natürlich gab es den Pfarrernotbund und natürlich gab es die „Bekennende Kirche“.
Aber zumindest in der Stadt Braunschweig spielten diese Gruppierungen keine nennenswerte Rolle. Es ist erschütternd zu lesen, wie die Kirchen nur Einspruch erhoben, wenn sie bei ihren innerkirchlichen Aktivitäten wie Gottesdiensten, kirchlichem Unterricht oder kirchlicher Gruppenarbeit behindert wurden, dass sie aber schwiegen, wo sie laut hätten schreien müssen, nämlich bei der Judenverfolgung, bei den „Rieseberg-Morden“, bei dem so genannten Röhm-Putsch 1934 mit seiner Lynch-Justiz oder bei der völkerrechtswidrigen Okkupation benachbarter Staaten.

Die Entstehung des Buches
Ein solches Werk entsteht nicht in einem Zuge. Ihm geht eine Vielzahl von Veröffentlichungen voraus. Im Literaturverzeichnis werden allein dreizehn Schriften des Verfassers genannt, die sich mit der Thematik dieses Buches beschäftigen. Dazu kommen Ausstellungen und weitere Dokumentationen. Und über die Versuche, ein solch kirchenkritisches Buch zu verhindern, müsste auch noch ein Artikel geschrieben werden.
Dem Buch hätte man einen besseren Lektor gewünscht, der die Druckfehlerzahl hätte verringern können. Und der unbedarfte Leser erwartet von der Überschrift her ein Buch, das die Zerstörung der Stadtkirchen Braunschweigs durch die Bombardierungen zum Ende des 2. Weltkrieges beschreibt. Aber das sind Marginalien. Der Leser bedankt sich bei dem Autor für die immense Mühe und bestätigt ihm gerne: Der Arbeitsaufwand hat sich gelohnt. Danke!




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu135/gedankenbuch.htm, Stand: Mai 2012, dk