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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 135 - Mai 2012


O Gott du frommer Gott

von Gerhard Hinrichs
(Download als pdf hier)

Zugegeben, die erste Zeile dieses Liedes reizt nicht gerade dazu, sich mit diesem Choral zu beschäftigen. Wer kann sich schon von unseren Gemeindegliedern etwas unter einem „frommen Gott“ vorstellen. Und da es den jungen Pastoren wahrscheinlich ähnlich geht, wird dieses Lied allein wegen der unverstandenen ersten Zeile kaum noch gesungen. Es hilft auch kaum jemandem weiter, wenn erklärt wird, dass „fromm“ im 17. Jahrhundert. eine andere Bezeichnung für Zuverlässigkeit, Treue, Geduld war. Bei uns in Niedersachsen bezeichnet man manchmal noch ein Pferd als „fromm“, und das hat nun nichts mit Religiosität zu tun. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass wir in den unruhigen siebziger Jahren uns einmal im Pfarrkonvent über dies Lied unterhielten und eine Pfarrerin meinte, allein diese Überschrift zeige, wie die Lieder des 16. und 17. Jahrhunderts der Gemeinde völlig unzumutbar seien.
Und ich weiß es noch sehr genau, wie ich damals bereits schnell kontern konnte, weil wir als Kinder dies Lied hatten auswendig lernen müssen und ich ihr mit ein paar Strophen demonstrieren konnte, dass es kaum ein anderes Lied auch in unseren Tagen gibt, dass sich besser als tägliches Gebet eignet als eben dieser Choral. Dabei ist dieses Lied frei von allen „frommen“ oder religiösen Vokabeln.
Wie wäre es denn, wenn jeder Pfarrer vor Beginn seiner Predigt leise mit der 3. Strophe gegen alle fromme Geschwätzigkeit und gegen jede leichtfertigen Plattidüden beten würde: „Hilf, dass ich rede stets, womit ich kann bestehen; lass kein unnützlich Wort aus meinem Munde gehen; und wenn in meinem Amt ich reden soll und muss, so gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn’ Verdruss.“
Und nicht nur für jeden Propst, sondern für jedes Gemeindeglied wäre es ein Segen, wenn er jeden Tag mit Sätzen aus der 3. und 4. Strophe begönne:
„Gib, dass ich meinen Feind mit Sanftmut überwind und, wenn ich Rat bedarf, auch guten Rat erfind. Lass mich mit jedermann in Fried und Freundschaft leben, soweit es christlich ist.“
Ich habe am vergangenen Sonnabend, als ich zu einer Goldenen Hochzeit eingeladen war - und bei einer solchen Feier sind ja, abgesehen von den Enkeln, eigentlich nur Senioren versammelt -, meine Rede mit der 6. Strophe abgeschlossen: “Soll ich in dieser Welt mein Leben höher bringen, durch manchen sauren Tritt hindurch ins Alter dringen, so gib Geduld; vor Sünd und Schanden mich bewahr, dass ich in Ehren trag all meine grauen Haar.“ Und ich habe es wohl bemerkt, wie der Bräutigam, der sonst mit der Kirche nicht viel im Sinn hat, bei dieser Strophe seine Zustimmung durch sein Kopfnicken bestätigte.
Und ich freue mich, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin und bei meinem Singen bei der 7. Strophe angekommen bin, weil hier ein Dichter die Vorstellungen seiner Zeit glaubhaft in Reime gebracht hat: „Lass mich an meinem End auf Christi Tod abscheiden; die Seele nimm zu dir hinauf zu deinen Freuden; dem Leib ein Räumlein gönn bei seiner Eltern Grab, auf dass er seine Ruh an ihrer Seite hab.“
Und jedem Leser von KvU möchte ich die Orgelpartita von Johann Sebastian Bach zu diesem Lied empfehlen – und er möge beim zweiten Zuhören einmal das Lied in seinen acht Strophen mitlesen. In unserem Gesangbuch sind dem Choral zwei Melodien mitgegeben. Bach hat in seinem Orgelwerk die erste Melodie als Interpretation des Liedes verwendet.
Und um dann dies Lied noch besser zu verstehen, lese man im Gesangbuch die kurzen Erläuterungen zu dem Lebenslauf des Dichters, der dies Lied in den Wirren des dreißigjährigen Krieges und unter schwersten persönlichen Lebenserfahrungen gedichtet hat. Und dann lege man einmal dies Lied als Maßstab an manchen modernen Song an. Nein, ich freue mich, dass dies Lied nicht aus unserem Gesangbuch ausgemerzt wurde, wenn auch die erste Zeile wie gesagt den Zugang nicht erleichtert.




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