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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 137 - August 2015


Magnificare Deum
Predigt zum Sonntag Estomihi, 10. Februar 2013

von Helmut Liersch
(Download als pdf hier)

10jähriges Organisten-Jubiläum von KMD K.D. Kern an der Neuwerkkirche Goslar.
Lukas 1, 46 ff., das Magnificat

Ein großartiges Lied, liebe Gemeinde, ein Psalm von ungeheurer Kraft! Das Magnificat. „Magnificat“, das ist einfach das erste Wort dieses Liedes in lateinischer Sprache. Luther übersetzt: „Meine Seele erhebt den Herren“ - und Bach hat sich mehrfach musikalisch damit auseinander gesetzt: Klaus Dieter Kern lässt uns das in diesem Gottesdienst in all seiner Meisterschaft hören, zu Gottes Lob. Wörtlich heißt magnificare „groß machen“, erheben, preisen. Darum geht es im Gottesdienst, dazu dienen die Orgelmusik wie die Predigt. Magnificat! Mutige Sätze sind es, gesprochen von einer jungen Frau. Maria, Mutter Jesu. Sie stellt in Frage, was scheinbar fraglos gilt. Eine junge, unbedeutende Frau enthüllt das wahre Wesen Gottes – und das tut sie, noch bevor Jesus geboren wird.

Dieser Frau hat man hier in der Neuwerk-Kirche ein gewaltiges Denkmal gesetzt! Ja, ursprünglich war diese Kirche sogar nach ihr benannt: „Maria in Horto“, Maria im Garten. Und dort in der Hauptapsis throhnt sie, als Himmelskönigin. Sieben Stufen der Seligkeit führen zu ihrem Thron. Und sieben Tauben schweben über ihrem Haupt, die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Sehr schön ist das, eindrucksvoll – aber natürlich auch überirdisch, weit weg, wenn man nicht bedenkt, wie sie da hingekommen ist.

Und das ist ihr Schicksal, so geht es dieser Frau seit zweitausend Jahren. Alles Mögliche ist sie im Laufe der Jahrhunderte geworden: Schmerzensmutter und reine Magd, ewige Jungfrau, Gottesgebärerin, Himmelskönigin, - nur eins durfte sie nicht sein: Prophetin! Und genau die ist sie hier im Magnificat! Sie deutet die Gegenwart mit dem Blick in die Zukunft; sie tut damit genau das, was die alttestamentlichen Propheten taten. Und die Zuhörenden wissen: jene Propheten behielten Recht!

Maria von Nazareth, die Prophetin, sagt so ungeheuerliche Sätze wie:

Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
Er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.

Sie erkennt das Wesen Gottes: so handelt er! Maria braucht dazu keine Priester und keine Politiker, keine irgendwie „hochgestellten“ Menschen. Aus einer inneren Freiheit heraus spricht sie die Wahrheit. Sie hat keine Angst vor Menschen, sie ehrt mit dem, was sie sagt, allein Gott.

Schockierend! Ein politisches Lied! „Er stürzt die Mächtigen vom Thron“ und „Er lässt die Reichen leer ausgehen“. Als junge Pfarrer haben wir da gern kräftig und direkt zugegriffen: antiautoritär ist gottgewollt! Und unser damaliger Bischof, Prof. Müller, schien uns merkwürdig spröde mit seinem Einwand: Achtung, nicht wir bringen die Umwälzung, sondern „Er“, das sagt Maria. Das habe ich seinerzeit für politisch reaktionär gehalten; und erst spät habe ich begriffen, was er meint: es bleibt eben Gottes Wirken durch uns, wenn immer es ein von Gott beglaubigtes Handeln sein soll…

Es ist ja überhaupt ein Wunder, dass dieses Lied erhalten geblieben ist! Anfangs, als die Christen selber noch die Armen und Verfolgten waren, da haben sie dieses Lied als das ihre genommen, haben sich damit getröstet in den Häusern, in denen sie sich versteckt haben vor den römischen Soldaten. Aber dieser Gebrauch des Liedes hat sich geändert. Das Christentum wird Staatsreligion. Konstantin der Große lässt im 4. Jahrhundert über die Geburtsgrotte, über dieses ärmlich Loch, in dem Jesus geboren wurde, eine gewaltige Kathedrale bauen. Keiner sollte merken, wie niedrig und bescheiden das alles einmal angefangen hat. Das passt ja mit dem Kaisertum nicht zusammen. So entsteht in Bethlehem eine gewaltige Anlage, die immer weiter ausgebaut wird. Dort, wo die Jungfrau Maria unter unwürdigen Verhältnissen niederkam, prunken Macht und Reichtum. An die niedrige Herkunft des Gottessohnes wollte keiner mehr erinnert werden. Damit ließ sich kein Staat machen.

Was konnte das nach dieser „Konstantinischen Wende“ heißen: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron“? Wer wollte denn das noch singen: „Er erhebt die Niedrigen“? Das war nun sozusagen erfüllt. Die Christen waren jetzt oben, sie hatten das Sagen. Aber: wir wissen aus der Geschichte, dass das in Wahrheit nur für wenige galt. Weiterhin gab es doch das schreiende Unrecht in der Welt, Niedrige und Arme, Menschen, die auf den machtvollen Arm Gottes warteten – und doch nur den machtvollen Arm der Regierungen spürten – und die Kirche machte dabei mit.

Aber immer wieder entdeckten sie, die unten waren, das Loblied der Maria als ihr Lied. Es war nun einmal in der Bibel drin. Immer wieder wurde es für Entrechtete zum Trost, auch für die, die durch die Kirche unterdrückt wurden – und davon gab es viele und gibt es viele.
Morgen ist ja Rosenmontag; gestern schon strebte der Karneval seinem Höhepunkt entgegen – wenn auch nicht gerade in Goslar, aber etwa heute Nachmittag in Braunschweig. Das sind ja Bräuche aus dem Mittelalter, so aus der Bauzeit dieser Kirche! Das Unterste wurde zuoberst gekehrt. Da durften alle, die sonst dienen mussten, einmal tun, was sie wollten. Wahnsinn: sie wählten aus ihren eigenen Reihen einen „Bischof“, führten ihn unter Gesang in die Kirche und legten ihm Gewänder um. Dann zelebrierte er die Messe, machte absichtlich groteske Fehler und zog damit die Liturgie ins Lächerliche. An diesem Tag hatten die Knechte alle Freiheiten. Sie spielten unter sich König und Herren, gingen in Purpur gekleidet, erschienen in der Kirche mit Tiermasken und als Gaukler. Am Altar opferten sie anstatt mit Weihrauch mit altem Stiefelleder. Statt der Choräle sangen sie schmutzige Lieder. Statt der Hostie genossen sie beim parodierten Abendmahl fette Würste. Manchmal trieben sie es noch weiter – aber das trau ich mich gar nicht zu erzählen...

Wohlgemerkt: das spielte sich alles in der Kirche ab! Da ging ein Ventil auf, und es kam einmal alles das heraus, was sich aufgestaut hatte. Der Höhepunkt dieses Festes aber war immer der Lobgesang der Maria! Das ganze Volk sang ausgelassen: Magnificat! Er stürzt die Mächtigen vom Thron! Und dann – wie unabsichtlich – blieben sie immer wieder an dieser Stelle hängen: Er stürzt die Mächtigen vom Thron! Er stürzt die Mächtigen vom Thron... und hörten damit nicht auf, bis auch der Letzte verstanden hatte, was darin für Zündstoff steckt. Das wurde den wirklich Mächtigen bald zuviel. So verordnete ein Erzbischof, das „Er-stürzt-die-Mächtigen-vom-Thron“ dürfe nicht öfter als fünfmal wiederholt werden, dann müsse es aber endlich weitergehen!

Für die Herrschenden ist das eine prophetische Kampfansage: Gott selber kehrt das Oberste zuunterst. Er kommt herab, er, der Höchste macht sich gering und wird ein Kind. Maria weiß: das bleibt nicht ohne Folgen für die Menschheit, für die Staaten, für das Zusammenleben der Menschen. Diese Frau kündigt den Umsturz an! Eine Prophetin – mit unbedingtem Gottvertrauen!

Es hat etwas Sperriges, das Lied der Maria. Bleibt es geliebtes Stück christlicher Erinnerung? Ja! Maria wurde sehr verehrt in der Zeit der Kriegsgefangenschaft. In den Lagern und dann beim ersten Gottesdienst im Frieden klang das wieder ganz frisch: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron“! Ich glaube, da hat man plötzlich wieder hingehört und verstanden. Das gibt es heute auch, nicht unbedingt bei uns, aber dort, wo Menschen unten sind, wo sie in ihren Rechten benachteiligt werden. Da wird Maria verehrt! Zum Beispiel bei den armen Bauern in Lateinamerika. Die einfachen frommen Menschen dort verehren die Jungfrau Maria, sie empfinden sie als ihre Mitstreiterin, als ihre Befreierin. Dieses ihr Lied ist so eindeutig, dass es keiner umdeuten kann, ohne sich lächerlich zu machen. Die Armen, die Entrechteten verstehen das unmittelbar. So sagt ein junges Mädchen aus Lateinamerika, als sie diesen Text hört: „Maria erkennt die Befreiung, wir sollen sie auch erkennen. Die Befreiung von der Sünde, das heißt vom Egoismus, von der Ungerechtigkeit, vom Elend...von allem, was die Menschen unterdrückt. Diese Befreiung ist auch in unserem Leib, scheint mir.“

Auch bei uns in Deutschland lebt dieses Lied, lebt die Bedeutung Marias, vor allem bei Frauen. Jesus hat keinen Vater im herkömmlichen Sinn! Gott hat bei seinem Sohn verzichtet auf männliche Beteiligung. Jesus wurde von einer Jungfrau geboren. Frauen, auch evangelische Frauen, entdecken neu, was da drinsteckt an Zündstoff, welche Aufwertung der Frau! Heute, wo alles stöhnt unter dem Wahn einer überwiegend von Männern regierten Welt, da wird die Frau Maria entdeckt. Man erkennt: Diese ungezählten Waffen, die da weltweit Menschen bedrohen, das sind Symbole männlicher Macht.

Da richtet sich die Hoffnung wieder auf das Erd-nahe, auf die Mutter Erde, auf die Materie – das heißt ja Mutter – mater. Alle Welt sehnt sich nach einer unbefleckten Erde, nach einem Neuanfang. Weihnachten...
Hier werden wir viel lernen müssen, wahrscheinlich wir Männer noch mehr als die Frauen. Lernen können wir von Maria. Denn sie ist es ja, die uns Gottes Weisheit bringt. Ohne dass ihr Priester oder Politiker oder and
ere Männer geholfen haben, hat sie die Wahrheit ausgesprochen und zur Welt gebracht – ohne Furcht vor den Menschen. Sie hat recht behalten: Hier in der Kirche können wir es sehen: nicht die Mächtigen auf dem Thron, sondern Maria, die Niedrige ist oben – und wir wissen, wie und warum sie dorthin gekommen ist! Die Herrschenden sind nicht „weg“, aber sie sind jetzt unten! Welch eine Botschaft, welch eine Herausforderung!
Und nun erklingt es, das Magnificat, vielfach anlässlich des nun schon zehn Jahre dauernden Wirkens von Ulrike und Klaus Dieter an dieser Kirche: Ihr wisst genau, was ihr da tut, dass ihr diesen Text so nach vorn stellt. Euer Spiel folgt dieser Spur der Maria. Gotteslob! Bach hat das aufgenommen wie kein Zweiter – und unermüdlich bringt ihr ihn zum Klingen – und damit das Lob Gottes! „Magnificare deum“, Gott groß machen, erheben, preisen, - das war und ist euer Anliegen. So wie es im Schlusschoral bei Bach heißt: „Lob und Preis sei Gott dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geiste. Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!“ Das ist ja überhaupt das Ziel aller Kirchenmusik: Gott groß machen, sein umwerfendes und umwertendes Erlösungshandeln hörbar zu machen – und so Verkündigung zu sein.

Ich stelle mir vor, dass sie sehr zufrieden ist mit dem, was sie seit zehn Jahren hier hört, die Himmelskönigin. „Der Mann an der Orgel und die Frau an der Orgel“, so könnte sie wohl sagen, „die sind auf Augenhöhe, nicht nur räumlich, auch theologisch!“

Amen.




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