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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 137 - August 2015


Psalm 23
Dankgebet eines Flüchtlings im Asyl

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Der Psalm 23 Der Herr ist mein Hirte... ist ein deutliches Beispiel dafür, wie wir in unserer oft biedermeierlich- bürgerlich-privaten Frömmigkeitskultur die politischen und sozialökonomischen Hintergründe biblischer Texte ausblenden.
Wie oft haben wir diesen Psalm bei kuscheligen Familientreffen, im Altersheim, bei Seniorenandachten gelesen oder als sakralen Leckerbissen bei Goldenen Hochzeiten. Das persönliche Gefühl, die Privatheit und Abschottung nach außen standen völlig im Vordergrund. Die Ausblendung jeglicher gesellschaftspolitischer Relevanz in der Frömmigkeitskultur ist bei uns über Jahrhunderte eingeübt.
Auch ich habe erst als Studentenpfarrer in den 80er Jahren unter dem Einfluss des niederländischen Theologen Ton Veerkamp gelernt, biblische Texte sozialkritisch, gesellschaftlich und konfliktbezogen zu lesen und zu verstehen. Ja, die Texte des AT sind seit dem Exodus eingebunden in den Existenzkampf des Volkes Israel. Erst aus dieser Perspektive gewinnen sie Kraft und Eindeutigkeit.
Auch die Gründung der „Flüchtlingshilfe Refugium“ im Umfeld der Pauligemeinde BS Ende der 80er Jahre und ein anstrengendes Kirchenasyl dort für eine jesidische Familie haben mir die Augen geöffnet.
Seitdem weiß ich, dass der Psalm 23 Der Herr ist mein Hirte... das Dankgebet eines Flüchtlings ist, der in einem Heiligtum Israels Zuflucht und Asyl gefunden hat: V 4 ff Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Interessanterweise nennt der Psalm exakt die notwendigen Hilfen des heutigen Asylbewerberleistungsgesetzes: Ernährung , Schutz, medizinische Versorgung und Bleiberecht.
Dieses kultisch sakrale Asylrecht hat eine lange religiöse Tradition. Nicht nur im AT, zB 1.Kön 1,50 , Adonia fasst die Hörner des Altars, sondern auch in vielen anderen antiken Religionen in Griechenland, Babylonien, bei den Kelten und auch in den Tempeln Indiens, dort sogar bis in die Neuzeit.
Ja, im Zentrum der religiösen Spiritualität, am Kultort findet die Staatsmacht ihre Grenze und ein Tabu. Hier regiert die göttlich sakrale Macht und die weltliche Macht muss das respektieren und ihr Schwert beiseite legen. Diese alte Tradition hat zwar heute keine direkte verfassungsmäßige Grundlage mehr, ist aber im Bewusstsein der Bevölkerung und auch im kanonischen Recht der katholischen Kirche noch verbal vorhanden. „Die Kirche erfreut sich des Asylrechts.“ Auch mir gegenüber haben die Braunschweiger Behörden das im Falle der jesidischen Familie zähneknirschend respektiert. „Bitte versprechen Sie aber, dass Sie das nicht wieder tun.“
Selbst wenn es dem Innenminister De Mazière nicht passt, muss er das Kirchenasyl respektieren. Ist er doch selbst Nachkomme der Hugenotten-Flüchtlinge aus Frankreich. Diese wurden nach Aufhebung des Toleranz-Edikts von Nantes 1685 von Ludwig XIV vertrieben und u.a. vom reformierten Kurfürsten von Brandenburg aufgenommen. Dieses Asyl geschah sicher auch im eigenen Interesse, da die Hugenotten eine wesentliche ökonomische und bildungsmäßige Bereicherung darstellten. Aber vielleicht hat ja der Psalm 23 auch eine Rolle gespielt. Haben nicht die Reformierten schon immer die Bibel ein bisschen gesellschaftspolitischer ausgelegt als wir Lutheraner?

Meines Erachtens verbirgt sich das kirchliche Asylrecht heute im Artikel 1,1 des Grundgesetzes:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ In jedem Fall des Kirchenasyls, den ich kenne, war die Würde des Menschen schwer gefährdet.
Das Asylrecht im alten Israel war natürlich stark geprägt durch die rettende Erfahrung des Exodus. Diese hat auf Dauer eine positive Akzeptanz gegenüber Migranten und Flüchtlingen bewirkt. Der klassische Text dazu steht im 3.Buch Mose 19,32 ff: Wenn ein Fremdling bei Euch wohnt in Eurem Lande, den sollt Ihr nicht bedrücken. Er soll bei Euch wohnen wie ein Einheimischer unter Euch und Du sollst ihn lieben wie Dich selbst. Denn Ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägypten.
Diese rettende Erfahrung des Exodus wirkt bis heute als Hoffnungsträger für alle Flüchtlinge. „Let my people go!“

Doch zurück zum Psalm.
Rückblickend wird dem dankbaren Flüchtling klar, dass seine Rettung nicht seine eigene Leistung und auch nicht die Leistung der Retter war, sondern dass Gott, der Befreier wie im Exodus als schützender Hirte seinen Weg begleitet hat. Auch durchs finstere Tal, bei dem wir heute an die tödlichen Fluten des Mittelmeers denken.
Wer durch Flucht dem Tod entronnen ist, wird dies nie als seine eigene Leistung, sondern dankbar als Geschenk betrachten. Ja, der Gott der Befreiung ist mein Hirte.
Von hier aus wird mir auch klar, weshalb dieser Flüchtlingspsalm 23 eine solch große Rolle in unserer eigenen Frömmigkeitskultur gefunden hat:
Wir alle sind Flüchtlinge. Wir alle haben unser ganz persönliches Flüchtlingsschicksal im direkten oder im übertragenen Sinn. Nicht immer ist uns das bewusst.
Menschheitsgeschichte ist Fluchtgeschichte. Von Anfang an.
Und so bewirkt dieser Psalm bis heute Gottvertrauen und Geborgenheit.




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