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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Die Erzählung


Der neue Nachbar Bischof Wilhelm Beye
Der Landeskirchentag wählte im September 1933 eine neue theologische Leitung für die Landeskirche. Die bewährten alten Mitarbeiter des 70jährigen Bischofs Bernewitz, die Oberkirchenräte Georg Meyer 66 Jahre und August Heydenreich, 66 Jahre, gingen in den Ruhestand. Bischof Bernewitz räumte die Dienstwohnung am Neuen Weg, nunmehr zeitgemäß in Adolf Hitlerstraße umbenannt, und zog mit seiner Frau nach Blankenburg.
Einen Monat später tauschte der vom Landeskirchentag ins Bischofsamt gewählte mit 30 Jahren sehr junge Pfarrer Wilhelm Beye sein Pfarrhaus im Dorfe Wenzen mit der vergleichsweise herrschaftlichen Villa in Wolfenbüttel. Beye war drei Jahre jünger als Jürgens, seit drei Jahren verheiratet, sie hatten zwei kleine Kinder. Beye war nach der Vikarszeit bei Richard Wandersleb, dem Pfarrer in Emmerstedt, der sich sehr aufgeschlossen für die „Erneuerungsbewegung“ zeigte, 1930 Pfarrer in Wenzen geworden, und hatte sich neben seinem Pfarrdienst in die Parteiarbeit gestürzt. Er war 1930 Parteigenosse und nationalsozialistischer Ortsgrupppenleiter in seinem Dorf geworden und ging mit neu geworbenen Parteimitgliedern in fremde Parteiversammlungen, wobei bei einer Stahlhelmfeier auch die Stühle flogen. Alles, was nicht zur NSDAP gehörte, war für Beye „rot“. Das Verhalten Beyes führte im Landeskirchenamt zu einer Vermahnung. Beye trat den „Deutschen Christen“ (DC) bei und baute zusammen mit Johannes Schlott, Pfarrer an der Katharinenkirche in Braunschweig, den DC-Gau Braunschweig auf, der auch Zulauf erhielt und bei den Kirchenwahlen Juli 1933 eine überaus große Mehrheit eroberte. Beye war jung, blond, begeisterungsfähig. Die Braunschweiger bekamen den Bischof, den sie wollten, wie 1923 den alten Bernewitz, so 1933 den jungen Beye.
Jürgens erlebte den jungen Bischof in der Behörde am Schlossplatz. Jugend war der Trumpf der Zeit. Beye wollte seinen Parteiadjutanten Ernst Engelke, den er aus Wenzen mitgebracht hatte, bei der Übergabe der Dienstgeschäfte dabei haben, aber Bernewitz lehnte seine Anwesenheit ab. Den Dienst eines Adjutanten kenne man in der Behörde nicht. Er bot aber an, den jungen Nachfolger für eine Übergangszeit in die Arbeit einzuführen. Dies lehnte Beye ab.
Das Landeskirchenamt befand sich nun in einem vollständigen Stilbruch. Der neue Bischof amtierte ungeniert in brauner Parteiuniform, ebenso wie sein Adjutant Ernst Engelke im Vorzimmer. Eine Änderung in der Arbeit der Grundstücksabteilung hat es für Jürgens nicht gegeben. Aber in seiner Nachbarschaft am Neuen Weg habe Hochbetrieb geherrscht. Wie das Pfarrhaus in Wenzen teilweise der NSDAP Ortsgruppe zur Verfügung gestellt gewesen war, so nun die Bischofsvilla in der Adolf Hitlerstraße für die Mitglieder der Deutschen Christen, zu denen insbesondere die frisch gewählten Kreispfarrer gehörten. Die traditionellen Kirchenkreise waren aufgelöst und die alten Kirchenräte verdrängt worden, der Titel wurde abgeschafft. Stattdessen wurden sieben neue, mit den politischen Landkreisen deckungsgleiche Kreise eingerichtet und mit neuen, jungen, systemtreuen Kreispfarrern besetzt. Die Politik wurde in der Bischofsvilla gemacht. Der Parteiadjutant im Vorzimmer wechselte aus dem Zimmer im Schlossplatz in ein Zimmer der Dienstvilla in der Hitlerstraße. Der Nachbar Jürgens bekam den Wechsel durch den nächtlichen Geräuschpegel mit.



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Juergens/, Stand: März 2022, dk