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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Die Erzählung


Als Verteidiger von Landesbischof Beye im Prozeß im März 1934
Im Frühjahr 1934 erhielt Jürgens von seiner Behörde einen sehr unangenehmen, dienstlichen Auftrag. Landesbischof Beye war in seiner alten Kirchengemeinde Wenzen der Staatsanwaltschaft aufgefallen und sollte vor Gericht gestellt werden. Jürgens sollte die Verteidigung übernehmen. Was lag vor?

Aus der Dorfgemeinde Wenzen hatten drei Dorfbewohner gegen den Dorfpastor Wilhelm Beye schwere Vorwürfe erhoben. Er habe Kollektengelder veruntreut und Rechnungen gefälscht. Diese Anzeige schickten sie aber nicht an das zuständige Landeskirchenamt nach Wolfenbüttel, sondern an einen Landesminister in Braunschweig, einen Reichsminister in Berlin und an den Reichsbischof Müller. Ihnen ging es offenbar nicht darum, die in ihrer Kirchengemeinde in Unordnung geratenen Zustände wieder gerade zu rücken, sondern den Ortspastor, der im Januar 1934 im Braunschweiger Dom als Landesbischof eingeführt werden sollte, so heftig zu beschädigen, dass eine Einführung unmöglich gemacht würde. Die drei Anzeiger hatten Einfluss in der lokalen Nazipartei, einer von ihnen soll selber Gelder veruntreut haben, was Wilhelm Beye als Ortsgruppenleiter veranlasste hatte, ihn aus der Partei hinauszuwerfen. Also eine „Retourkutsche“ gekränkter Parteigenossen? Ein regionales Possenspiel?
In der Kirchengemeinde ging es tatsächlich drunter und drüber. Der Ortspfarrer Beye schien überlastet, und zu seiner Entlastung hatte das Landeskirchenamt den 25jährigen Vikar Friedrich Elster in die Gemeinde abgeordnet. Dieser stellte fest, dass die Kirchenbücher zwei Jahre lang nicht geführt worden waren und die zum Nachtragen nötigen staatlichen Bescheinigungen wie Geburtsschein, Trauschein, Sterbeurkunde irgendwo zwischen den Akten herumlagen. Einige entdeckte er sogar auf dem Pfarrhausklo. Die Gottesdienstkollekten waren einige Monate nicht sachgemäß aufgelistet worden. Im Schreibtisch des Ortspastors befand sich eine Blechdose, in der sich Geldstücke befanden. Pastor Beye hatte sich mehr und mehr um die Parteiarbeit in den umliegenden Dörfern gekümmert. Seit seiner Einführung ins Pfarramt im September 1930 war die NSDAP-Ortsgruppe von 2 auf 60 Mitglieder gewachsen. Beye selber schilderte die Unermüdlichkeit seines Parteieinsatzes folgendermaßen:
„ In dieser eigentlichen Kampfzeit zog ich mit meinen wenigen Getreuen über die Berge bei Nacht und Nebel durch tiefen Schnee und Regen, umlauert vom Terror der Roten, um in der Gegend für den Führer zu werben. Wenn es uns dann gelang, z.B. in Rengerhausen, im Kreis Einbeck, an einem Abend 16 Mitglieder aufzunehmen, so gab uns dies Mut. Währenddessen war das Pfarrhaus zu einer Niederlage (gemeint ist Niederlassung D.K.) der NSDAP geworden, Uniformen wurden ausgegeben, Flugblätter und Plakate von hier aus verteilt. Für 110 Mark bezog ich von einer Stuttgarter Versandbuchhandlung eine nationalsozialistische Bibliothek, deren Bücher aber bald im Dorf die Runde machten. Daneben trat eine intensive Schulung der noch wenigen Mitglieder, und zwar wöchentlich 1 mal. Sehr bald wurde es notwendig ein Wohnzimmer im Pfarrhaus auszuräumen und für Parteizwecke zur Verfügung zu stellen. Manchen Abend habe ich dann auf dem Saal gestanden, um die SA, die zunächst von militärischen Begriffen keine Ahnung hatte, einzudrillen. Oft genug kam ich spät abends nach Hause und fand zwei SA Männer vor der Tür, die in meiner Abwesenheit das Haus hatten bewachen müssen.(.. ) Neben dieser Arbeit für die Partei, die täglich wuchs, stand der eigentliche Dienst im Pfarramt. In dem 5 Dörfer umfassenden Kirchspiel war regelmäßig Unterricht zu erteilen, im Sommer gingen durch den Unterricht 4 Vormittage verloren, im Winter daneben Konfirmandenunterricht an zwei Nachmittagen, 3 kirchliche Vereine, Frauenhilfe, Jungmädchenbund und Jungmännerbund wollten betreut werden. ..Hinzu kam die übrige Betätigung, 5 Kirchengemeinderäte, die regelmäßig zu Sitzungen zusammentraten..“
Auf acht Seiten beschrieb Beye in diesem Stil für seine Verteidiger seine Tätigkeit in Wenzen. Beye praktizierte das deutsch-christliche Prinzip des Ineinander von Parteiarbeit und Kirchenarbeit. Arbeit für die Partei sei immer zugleich Arbeit für das Reich Gottes.

Die Anzeige gegen Beye, der inzwischen eingeführter Bischof war, datierte vom 29. Januar 1934. Schon am 30. Januar erschien in der Villa des Landesbischofs der Oberstaatsanwalt Rasche, um den Bischof zu Sache zu vernehmen. Beye bestritt alle Anschuldigungen, er sei für die Kollektengelder gar nicht zuständig, der Klempner des Dorfes, Tümmler, sei mit dem Ausstellen der Rechnung sehr „bummelig“ gewesen. Nach der staatsanwaltschaftlichen Befragung eilte Beye in die Wolfenbüttler Marienkirche, die überfüllt war von Fahnen und Uniformen, um eine zündende Predigt in einem Dankgottesdienst anlässlich des ersten Jahrestages der Regierung Hitler zu halten.
Der Januar 1934 war der Glanzmonat für Bischof Beye. Er saß fest im Sattel der kirchlichen Behörde, war umgeben von sieben gleichgesinnten deutsch-christlichen Kreispfarrern, die im Sinne der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ ihre Pfarrerschaft zur Volksmission motivierten, um deutsch-christliches Gedankengut und Führernachfolge in ihren Kirchengemeinden zu verbreiten. Seine Kontakte zu Reichsbischof Müller in Berlin und zu den deutsch-christlichen Bischöfen waren gefestigt, was sich bei seiner Amtseinführung am 21. Januar 1934 im Braunschweiger Dom zeigte. Die Braunschweiger Regionalpresse schwärmte und zählte die zu diesem Anlass in der Herzogstadt erschienene Elite der deutsch-christlichen Repräsentanz auf, an der Spitze der Reichsbischof Müller. Beye wiegte sich im Gefühl einer unangreifbaren bischöflichen Autorität, als der Oberstaatsanwalt Rasche die bischöfliche Villa am 30. Januar verließ.
Dieser knöpfte sich einige Tage später den Vikar Friedrich Elster vor, den Beye inzwischen aus Wenzen wieder abgezogen und in das weit entfernte Sambleben versetzt und ihm dienstlich untersagt hatte, Sambleben für die nächste Zeit zu verlassen. Das war für den jungen Vikar unbequem, denn seine Verlobte wohnte in Einbeck, in der Nähe von Wenzen.

Der Besuch des Generalstaatsanwaltes und die weiteren Ermittlungen blieben nicht unentdeckt, und die Gerüchteküche in der Landeskirche schäumte. Wer steckte hinter diesen Angriffen gegen den Bischof und was für eine Absicht verfolgten seine Gegner? Die Vermutungen konzentrierten sich rasch auf Mitglieder der Bekennenden Kirche, die den Vikar Elster gebeten hatten, „Material“ für eine Anklage gegen den Bischof in seiner Gemeinde Wenzen zu sammeln, was Elster jedoch strikt abgelehnt hatte. Die Ermittlungen galten als einen gezielten, schmutzigen Angriff auf die „Glaubendbewegung Deutsche Christen“. In der bekannten Wolfenbüttler Gaststätte „Zum Kronprinzen“ sei ein Gast mit Akten aufgetaucht. Was eine lokal begrenzte Ungeschicklichkeit im weit entfernten Wenzen schien, wuchs sich nun zu einer öffentlichen Affäre aus. Es bildeten sich Gruppen Für und Wider den Landesbischof. Besonders rege war dabei eine auf Anregung von Oberkirchenrat Schlott zur ausdrücklichen Verteidigung des Landesbischofs gegründete „Kampfstaffel Grüner“. Grüner war ein junger Pfarrer mit radikal deutsch christlichen Ansichten, der seit kurzem an der Martinikirche in Braunschweig eingeführt worden war.
Anfang Februar erhielt Beye Kenntnis von der Anzeige und bat am 10. Februar die Kirchenregierung um sechs Wochen Urlaub. Beye nahm den Hildesheimer Rechtsanwalt Bürckel als Verteidiger und das Landeskirchenamt verpflichtete Rechtsanwalt Jürgens als weiteren Verteidiger. Jürgens fuhr einmal mit Beye zusammen in die Gemeinde Wenzen, um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu verschaffen.

Schon am 17. Februar schickte der Generalstaatsanwalt Müller dem Landgericht eine Anklageschrift zu. Darin wurde dem Landesbischof Beye und dem Klempner Karl Kley vorgeworden, gemeinsame Sache bei einer fingierten Abrechnung für Arbeiten an dem neu bezogenen Pfarrhaus von insgesamt 83.-- RM zu Lasten der Kirche und zu Gunsten des Ortspfarrers Beye gemacht zu haben. Außerdem seien die Gottesdienstkollekten nicht ordentlich an die Kirchenkasse abgeführt worden, Beye habe Schulden gemacht und sei mit dem Tilgen trotz mehrfacher Mahnungen erheblich im Verzug.
Jürgens und Bürkel übergaben Beye eine ausführliche Antwort auf die Anklage mit dem Ziel, dass das Landgericht die Annahme der Anklageschrift verweigern sollte. Das war der Augenblick, zu dem möglicherweise das Landeskirchenamt noch hätte tätig werden können und sozusagen „hinter den Kulissen“ eine Überweisung an das kirchliche Disziplinargericht organisieren konnte. Aber über das Verbleiben von Beye im Bischofsamt und in Wolfenbüttel entschieden nicht mehr lokale Instanzen, sondern der Reichsbischof in Berlin und sein Staatssekretär sowie der Vertreter des Reichsinnenministeriums. Dort war schon vor dem Prozess die Entscheidung gefallen, an der auch der Staatssekretär Jäger vom Reichskirchenministerium mitwirkte: „Beye muss weg.“
Am 21.04.1934 setzte Reichsbischof Müller den Berliner Oberkonsistorialrat Oskar Evers zum Bevollmächtigten mit „allen Befugnissen des Landesbischofs“ ein.



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