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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Die Erzählung


Das Verhältnis zu Bischof Johnsen
Am 4.06.1934 wird der Lübecker Domprediger Helmut Johnsen vom Reichsbischof Müller zum kommissarischen Kirchenführer der Braunschweiger Landeskirche ernannt. Dessen Dienstantritt suchte die Gruppe um Beye zu torpedieren, indem sie einen Landverkauf des Landeskirchenamtes in Schöppenstedt aufbauschte, weil der schöppenstedter Käufer ein Jude war. Die Redeweise „Kirche verkauft Land an Juden“ war nach der bereits vergifteten öffentlichen Meinung skandalträchtig.
Jürgens erinnerte sich folgendermaßen:
Als Johnsen Landesbischof wurde, ergab sich durch den Landverkauf an Rosenbaum sofort ein schwerer Konflikt, der m.E. leicht zu beheben war. Ich habe mich selbst informiert, bin nach Schöppenstedt gefahren, habe das wertlose Stückchen Sumpf, das als Gartenland bezeichnet wurde, besichtigt, die Personalie des Juden überprüft, festgestellt, daß er dekorierter Frontkämpfer war und kam zu dem Schluß, daß der Fall Rosenbaum wegen des Landverkaufs hochgespielt war; nur zu dem Zwecke, den neuen Landesbischof gleich am Tage seines Amtsantritts in hinterhältiger Weise zu stürzen. (Brief 16.7.1982)
Johnsen machte kurzen Prozeß, versicherte sich der Zustimmung des Berliner Reichskirchenministeriums und schickte die drei amtierenden Oberkirchenräte in Urlaub. Davon waren betroffen: der theologische OKR Johannes Schlott und die beiden Juristen Dr. Breust und Dr. Lambrecht. Schlott und Breust blieben beurlaubt und kehrten nicht wieder in die Behörde zurück. Dr. Lambrecht holte der Bischof wieder zurück.

Die Gegenseite war außerdem bestrebt, atmosphärisch die Ankunft des vorgesehenen Bischofskandidaten zu erschweren. „Alles was wir über Johnsen hörten, konnte uns nur mit Sorge erfüllen. Wir hörten, Johnsen sei einer der völkischen Hitzköpfe, die schon in Coburg, München und zuletzt Lübeck schwierige4 Situationen heraufbeschworen hatte.“ (Brief 9.7.1982)
Jürgens hatte von Anfang an eine gegenteiligen Eindruck. „Statt eines Hitzkopfes erlebten wir einen klugen, besonnenen. verantwortungsbewußten und würdigen Repräsentanten der Kirche. Niemand konnte bezweifeln, daß Johnsen fest auf dem Boden des lutherischen Bekenntnisses stand. Niemand konnte bezweifeln, daß Johnsen ein tatkräftiges Christentum verwirklichen wollte. Konnte man sich in dieser Stunde einen besseren Landesbischof wünschen? (ebd)

Es dauerte noch einige Monate, bis die Bischofsvilla vom Vorgänger geräumt war. Jürgens erhielt einen neuen, ihm sympathischen Nachbarn. Johnsen war 43 Jahre alt, die Familie brachte drei kleine Kinder mit, zwei Jungen und ein Mädchen. Familie Johnsen und Familie Jürgens fanden rasch zu einer ersprießlichen, familienfreundlichen Nachbarschaft zusammen.

Diesem erfreulichen Anfang haftete ein jahrzehntelanger Fluch an: das unheilvolle Zerwürfnis von Bischof Johnsen und Oberkirchenrat Breust und dessen unersättliches Rachebegehren. Breust fühlt sich durch die Amtsenthebung tief verletzt. Johnsen wurde jetzt sein Erzfeind, dem er mit Troquemadamiene entgegentrat. Breust suchte nach Bundesgenossen, um den Kampf gegen Johnsen aufzunehmen. Dabei war ihm selbst ein Bündnis mit dem schlimmsten Feind der Kirche, mit dem Dissidenten Hoffmeister willkommen.. Es war eine tragische Entwicklung, voller Ungereimtheiten, voller Widersprüche. Ich stellte mich nicht gegen Breust, sondern war gewillt, ihm nach Möglichkeit zu helfen. Ich stellte mich aber eindeutig auf Johnsens Seite. Doch ein Brückenschlag zwischen Johnsen und Breust war nicht möglich.“ (Brief 16.7.1982)

In der Kirchenbehörde gab es Veränderungen, die auf den ersten Blick harmlos waren. Auf Anweisung des Berliner Reichskirchenministers Kerrl sollten 1935 in den Landeskirchen sog. Finanzabteilungen eingerichtet werden. Der Staat wollte Einfluss auf die gesamte Vermögens- und Finanzverwaltung in den Landeskirchen nehmen. Martin Niemöller warnte öffentlich mit der Schrift „Die Staatskirche ist da“. Für das Braunschweigische Landeskirchenamt wurde nun ein neuer Organisationsplan eingeführt. Oberkirchenrat Dr. Friedrich Lambrecht wurde zum Vorsitzenden dieser Finanzabteilung bestimmt, Jürgens behielt die Vermögensverwaltung. In der Belegschaft gab es keine personellen Änderungen. Die Finanzabteilung wurde „problemlos“ in die Kirchenbehörde integriert, so Hauke Marahrens in seiner grundlegenden Arbeit über die Finanzverwaltungen „Praktizierte Staatskirchenhoheit im Nationalsozialismus“. Der Vorschlag, Dr. Lambrecht zum Vorsitzenden der Finanzabteilung zu machen, stammte vom OLKR Mahrenholz, der Mitglied des Reichskirchenausschusses war. Dieser war vom Reichskirchenminister im Herbst 1935 als provisorische Reichskirchenleitung ins Leben gerufen worden und versuchte für die evangelische Kirche, einen modus vivendi im nationalsozialistischen Staat zu finden. Das war der Kurs der kirchlichen Mitte, lutherische Kirche in die nationalsozialistische Gesellschaft zu integrieren, wie ihn auch Bischof Johnsen in der Braunschweiger Landeskirche praktizierte.

Der Bischof hatte die Landeskirche aus den giftigen deutsch-christlichen Gewässern allmählich in die Mitte der kirchenpolitischen Strömung geführt und in den lutherischen Landesbischöfen Marahrens, Wurm und Meiser Mitgenossen gegen Anfeindungen aus der Deutschen Glaubensbewegung und auch aus dem Umfeld der Landesregierung Klagges gefunden. Das schätzte Jürgens und entsprach seiner eigenen kirchenpolitischen Haltung.
In diesem Kurs der Mitte, der eine entspannte Gesamtatmosphäre in der Braunschweigischen Pfarrerschaft schuf, konnte die Landeskirche in den Jahren 1937/1938 und 1939 drei außergewöhnlich und seither nicht mehr erreichte Großveranstaltungen durchführen. Im Januar 1937 strömten Kirchenvorsteher zu Hunderten aus der ganzen Landeskirche in die Magnikirche und zu Tausenden in die Martinikirche, um mit ihrem Bischof und den lutherischen Bischöfen Wurm, Marahrens und Meiser den Beitritt der Landeskirche zum Lutherrat in großen Festgottesdiensten zu begehen. Der Lutherrat hatte innerhalb der Bekennenden Kirche einen rechten Flügel gegen die in der Dahlemer Synode im Herbst 1934 gebildete Bekenntniskirche ausgerufen und sich ein Jahr später für eine Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuss und dessen Kirchenkonzept entschlossen. In diesem Konzept wurde den radikalen Thüringer Christen und den Anhängern der Dahlemer Synode das Recht auf Kirchenleitung abgesprochen. Im Januar 1938 wurde gleichfalls mit sehr großer Resonanz der erste Jahrestag des Beitritts zum Lutherrat begangen. 1939 feierten in der überfüllten Brüdernkirche anlässlich einer Lutherausstellung tausende Braunschweiger Kirchenmitglieder einen Abendmahlsgottesdienst, bei dem zehn Braunschweiger Stadtpfarrer gemeinsam das Abendmahl austeilten.



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Juergens/, Stand: März 2022, dk