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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Die Erzählung


Jürgens wechselt als Kirchenrat in das Landeskirchenamt
In dieser entspannten Atmosphäre ergab sich für Hans Wilhelm Jürgens ein einschneidendes Angebot. Seine Mitarbeit in der Behörde hatte sich immer mehr gefestigt. Er konnte auf eine zehnjährige gelungene Arbeit im Landeskirchenamt zurückblicken. Die Zusammenarbeit mit OKR Lambrecht hatte sich einvernehmlich und reibungslos gestaltet. Der Bischof unterbreitete ihm das Angebot, als Beamter fest eine Stelle als Kirchenrat, dann als Oberkirchenrat im Landeskirchenamt anzutreten. Der Wechsel ist für jeden Juristen als freier Anwalt hinein in den eher festgefahrenen Beamtenstatus ein schwerer Schritt. In der Kirchenbehörde war die Stelle von OKR Dr. Breust nicht wieder besetzt worden. Jürgens hatte in immer neuen Gesprächen Johnsen zu einer Versöhnung gedrängt. Aber der Bischof war eisern entschlossen, Breust nicht wieder in die Arbeit des Landeskirchenamtes aufzunehmen. Wir wissen nicht, was in den Gesprächen zwischen den Beiden vorgefallen war, was zu dieser verhärteten und lebenslangen gegenseitigen Feindschaft zwischen Johnsen und Breust geführt hat. Für Jürgens eröffnete sich die Möglichkeit, neben Oberkirchenrat Lambrecht nun die zweite Stelle eines leitenden Juristen in der Kirchenbehörde anzutreten. Die familiären Verhältnisse waren gefestigt, die Wohnlage exquisit, der Sohn Hans Wilhelm, geb. 1932, kam gerade in die Schule, seine Schwester Ingrid wurde 1936 geboren, also wagte er den Schritt von der Anwaltschaft in Wolfenbüttel und Braunschweig in das Beamtentum am Schlossplatz.
Das Verhältnis zu Bischof Johnsen wurde mit der Zeit immer enger. Jürgens nennt als Beispiel dafür ein Gespräch mit dem Bischof über den Antisemitismus.
Natürlich sprach ich mit Johnsen über die Kristallnacht und die Judenverfolgung. Er rückte keineswegs von mir ab, als ich erklärte, daß wir in Hamburg angesichts der Verdienste von Albert Ballin, Max Warburg, E. Banke und Budge keine Antisemiten sein können und dass ich treuste jüdische Freunde hätte, die über den Tod hinaus unverbrüchlich zu mir gehörten. Ein echter Nationalsozialist hätte mich bei solchem Bekenntnis als artfremd von sich gestoßen. Johnsen aber zeigte – bei allem ihm durch die Partei und Staat gesetzten Grenzen – Verständnis für meine Einstellung, wenn sie auch nicht in Einklang zu bringen war mit seinen weltanschaulichen Einflüssen, So wurde der Landesbischof mein Kamerad, ja, ich darf sagen: ein Freund!“. (Brief 3. 1. 1983)

Die Jahre 1936-37 waren trotz mancher Anfeindungen vom nationalsozialistischen Rosenberg-Himmler-Bormannflügel, der eine Kirchenaustrittsstrategie verfolgte, eine eher stabile Zeit, in der der Versuch, lutherische Kirche im nationalsozialistischen Staat zu bilden, vor allen in den Kirchengemeinden auf fruchtbaren Boden gefallen war. Der Nationalsozialismus fand in der Bevölkerung steigende Zustimmung, besonders während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.


Die allmähliche Umgestaltung des Landeskirchenamtes
Kirchenminister Kerrl war mit seinem Versuch, mit Hilfe eines Reichskirchenausschusses die Kirche in den nationalsozialistischen Staat zu integrieren, gescheitert. Der Reichskirchenausschuss löste sich im Februar 1937 auf. Hitler scheiterte im Sommer 1937 mit seinem hilflosen Versuch, sich durch sog. Kirchenwahlen die evangelische Kirche gefügig zu machen. Der Reichskirchenminister Kerrl meldete sich für einige Monate mit Unterbrechung bis Frühjahr 1938 krank und überließ die Geschäfte des Ministeriums seinem Stellvertreter Hermann Muhs. Muhs kannte sich in der Hannoverschen Landeskirche aus. Er war zunächst Notar in Göttingen, 1933-1935 Regierungspräsident in Hildesheim und Mitglied des Kirchensenats im Landeskirchenamt Hannover und Verfechter eines radikalen deutsch-christlichen Kurses gegen Landesbischof Marahrens gewesen. Seit 1936 wurde er Mitglied im Reichskirchenministerium und seit 1937 dort Staatssekretär. Er steuerte eine scharfe kirchendistanzierte, zeitweise kirchenzerstörende Kirchenpolitik, indem er in den seit 1935 bestehende Finanzabteilungen kirchenfremde Personen einsetzte. Die spätere Entwicklung lief darauf hinaus, dass Mitarbeiter in den landeskirchlichen Finanzabteilungen nicht mehr Mitglieder der Kirche sein mussten.
Diesen Kurswechsel exerzierte Muhs im Wolfenbüttler Landeskirchensamt rigoros. Es gelang ihm, den dienstältesten, verdienstvollen Oberkirchentat Friedrich Lambrecht aus der Leitung der Finanzabteilung herauszudrängen. Dazu benutzte das Reichskirchenministerium eine Differenz mit Lambrecht als Vorwand. Lambrecht hatte eine Disziplinarangelegenheit eines stark deutsch-christlich eingefärbten Pfarrers in Blankenburg zu behandeln und empfahl, ihn aus der Kirchengemeinde zu versetzen. Der Pfarrer beschwerte sich erfolgreich im Reichskirchenministerium, Lambrecht weigerte sich, seine Disziplinarmaßnahme zurückzunehmen und wurde daraufhin von seinem Posten als Vorsitzender der Finanzabteilung abgelöst. Den Disziplinarfall im Reichskirchenministerium hatte ein Oberregierungsrat Albrecht behandelt.
An Lambrechts Stelle hätte Jürgens als nunmehrig Dienstältester den Posten von Lambrecht übernehmen können. Stattdessen wurde vom Reichskirchenminister der junge Jurist Ludwig Hoffmeister zum Vorsitzenden der Finanzabteilung eingesetzt. Hoffmeister war 1906 in Kiel geboren, bei Antritt seiner Stelle in Wolfenbüttel also 32 Jahre alt. Sein Vater hatte sich eine Anwaltspraxis in Wolfenbüttel aufgebaut. Sein Sohn besuchte dort die Schule und trat früh in die NSDAP ein. Er gehörte dem Regierungskreis von Ministerpräsident Klagges an, war überzeugter Nationalsozialist, ein typischer, ehrgeiziger, begabter Aufsteiger in der Nazihierarchie, der es als seine Aufgabe ansah, die Landeskirche der nationalsozialistischen Ideologie vollständig zu unterwerfen. Der Nationalsozialismus stand damals hoch im Kurs. Hitler hatte im März 1938 die österreichische Republik überfallen und dem Deutschen Reich einverleibt. Großer Jubel bei einem großen Teil der Bevölkerung. Wer Nazi war, war auf der Siegerseite der Gesellschaft. Als Hoffmeister zum Vorsitzenden der Finanzabteilung eingesetzt wurde, fand er in der Braunschweiger Landeskirche eine mustergültig geordnete Finanzverwaltung vor, die seit 1924 von Dr. Friedrich Lambrecht bis in die Kirchengemeindekassen aufgebaut worden war. Sie war lukrativ, denn Dr. Lambrecht hatte Finanzreserven aufgebaut. Zielstrebig baute Hoffmeister den Zuschnitt der Referate des Landeskirchenamtes um, weitete die Aufgabenbereiche der Finanzverwaltung exzessiv aus und den theologischen Bereich der ehemaligen Referate um die Oberlandeskirchenräte Wilhelm Röpke und Hans Eduard Seebaß ständig zurück. Die Belegschaft des Landeskirchenamtes hätte früher oder später eine gedeihliche Zusammenarbeit nit Hoffmeister gemeinsam aufkündigen können, war darin aber auch durch Bischof Johnsen blockiert, der sich durch ständiges Nachgeben eine erträgliche Zusammenarbeit mit der Finanzabteilung erhoffte. Hoffmeister zerstörte den Gesamtaufbau der Kirchenbehörde, indem er die Finanzabteilung aus der Behörde schrittweise ausgliederte und als eine selbständige Behörde neben und außerhalb des traditionellen Landeskirchenamtes organisierte. Die Belegschaft, auf Gehorsam gegenüber der kirchlichen Obrigkeit gedrillt, fügte sich. Jürgens beobachtete:
Steffen und Ude haben sich untergeordnet, weil sie sich mit allem abzufinden bereit waren. Natürlich gab es ausführende Organe, die sich streng nach Hoffmeisters Weisungen richteten. Denen lag die Kirche nicht am Herzen. Sie machten ihre Arbeit wie befohlen und gaben keinen Anlaß zum Tadeln. Die tägliche Anwesenheit Hoffmeisters im LKA war nicht erforderlich. Seine Richtlinien und seine wöchentliche Kontrolle sicherten den reibungslosen Ablauf der Geschäfte. (Brief vom 16.7.1982)

Außerdem schuf Hoffmeister neue Stellen und besetzte sie mit willfährigen Personen, sodass seine Anwesenheit die Woche über nicht mehr notwendig war. Vor allem aber weitete Hoffmeister seine Befugnisse im Landeskirchenamt extrem auf die Arbeit in den Kirchengemeinden aus. Das Ziel war eine dichte Nazifizierung der Kirchengemeinden. Dazu schuf er ohne Rücksprache mit der Kirchenleitung und der Vertretung der Pfarrerschaft in jeder Kirchengemeinde das Amt eines Bevollmächtigten, die die Kirchenfinanzen und zunehmend auch die Dienstgeschäfte des Kirchenvorstandes kontrollieren sollten. Dieser Bevollmächtigte sollte nicht aus dem Kreis des Kirchenvorstandes berufen werden, sondern von staatlicher Seite, z.B. der Bürgermeister des Ortes oder der Lehrer. Außerdem sollten die NSDAP-Kreisleiter eine Bescheinigung über die nationalsozialistische Zuverlässigkeit jedes Kirchenvorstehers ausstellen.
Der Bischof wurde von verschiedenen Seiten bestürmt, die Pfarrerschaft zum Widerstand zu mobilisieren. Johnsen hoffte immer noch auf eine einvernehmliche Zusammenarbeit mit Hoffmeister. Es war schließlich eine große Gruppe von 38 Notbundpfarrern, die an Hoffmeister einen sehr scharfen Protest gegen diese maßlose Überschreitung seiner Befugnisse richtete.



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