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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Die Erzählung


Der Abschied von OKR Dr. Friedrich Lambrecht
Es wurde deutlich, dass sich das Landeskirchenamt in einem dramatischen Umbau befand. Eine einvernehmliche Zusammenarbeit war für Oberlandeskirchenrat Lambrecht auf die Dauer unmöglich. Schon die Einrichtung einer Art Finanzaufsicht war für die Braunschweiger Landeskirche unverständlich, denn die Finanzen sowohl des Landeskirchenamtes wie in den meisten Kirchengemeinden befanden sich in einer mustergültigen Ordnung. Das war OKR Lambrecht zu verdanken, der seit 1924 eine neu eingeführte Landeskirchenkasse verwaltete und in den 20ger Jahren unermüdlich in die Kirchengemeinden gefahren war und vor Ort den Ortspfarrern die Führung einer Ortskirchenkasse erklärt hatte, die es vor der Einführung einer Landeskirchensteuer ab 1922 in dieser Weise nicht gegeben hatte. Dr. Lambrecht war versiert und in den Kirchengemeinden zu Recht angesehen und beliebt. Er war auch in den zahlreichen Gerichtsverhandlungen von geschätztem Verhandlungsgeschick und wirkte gegenüber der aggressiven Art von OKR Dr. Breust sehr häufig ausgleichend. Den fälligen Respekt und die gehörige Achtung vor der Arbeit von Lambrecht ließ Hoffmeister ostentativ vermissen. Lambrecht und Hoffmeister hatten völlig unterschiedliche Vorstellungen von einer kirchlichen Arbeit und dem Wesen der Kirche. So entschied sich Lambrecht, die Arbeit im Landeskirchenamt zu beenden.
„Am 30. November 1938 endete nach mehr als vierzehneinhalb Jahren meine berufliche Tätigkeit in der braunschweigischen Landeskirche. Zunächst versammelten sich die Mitglieder des Landeskirchenamtes im Zimmer des Landesbischofs. Dieser hielt eine Ansprache, in der er mir Dank und Anerkennung sowie die besten Wünsche für meine Zukunft aussprach und mir ein nettes Buchgeschenk mit Widmung der vier Herren überreichte. Meine Erwiderungsansprache war verhältnismäßig kurz und kümmerlich, weil mich eigenartigerweise eine starke Wehmut zu übermann drohte. Anschließend ging ich durch alle Dienststellen des Landeskirchenamtes und verabschiedete mich mit Handschlag von allen Beamten. Erst am Familientisch kam mir deutlich zu Bewusstsein,, wie schwer und schmerzlich der Abschied aus dem Kirchendienst für mich war.“
Diese Erinnerungen des gealterten und inzwischen erblindeten Lambrecht spiegeln anschaulich die immer noch persönliche Atmosphäre wider, die in guten Tagen in der Mitarbeiterschaft herrschte. Es war jener noch aus Bernewitzzeiten stammende familiäre Grundton, den Lambrecht erlebt hatte.


Das Hinausdrängen von Oberlandeskirchenat Jürgens aus dem Landeskirchenamt
Auch für Oberkirchenrat Jürgens wurde die Zusammenarbeit immer unfreundlicher. Es gab für Jürgens als einen selbständigen Referatsleiter kein Arbeitsfeld auf die Dauer. „Hoffmeister behandelte mich wie einen Erzfeind. Ich weiß nicht, was er gegen mich hatte. Ich kannte ihn und seine Familie schon lange. Sein Vater war Intendanturrat der Marine gewesen und hatte sich nach dem Kriege als Anwalt in Braunschweig bzw. Wolfenbüttel niedergelassen. Seine Praxis war unbedeutend, meine Praxis umfangreich. Vielleicht erzeugte das Neid, der auf den Sohn abfärbte. Ganz offensichtlich wollte der Sohn mich ausschalten unter Ausnutzung seiner politischen Machtposition. Er hätte ja damit zufrieden sein können, daß ich meine Anwaltspraxis aufgab, auf meine Ehrenämter als Mitglied der Anwaltskammer und als Mitglied des Ehrengerichtes verzichtete und sogar auf das mir zustehende Notariat kampflos verzichtete. Aber es ärgerte ihn offenbar, daß mich Johnsen ins LKA berief und Kerrl mich mit Lambrecht und Ahlhorn in der neu eingerichteten Finanzabteilung tätig werden ließ. Entscheidend war aber - so vermute ich - daß er mir meine materielle Lage missgönnte. Ich war in der Lage gewesen, mir die schöne Villa Neuer Weg 15 zu kaufen. lch konnte mir dank meiner Eltern ein Auto halten und größere Reisen machen. Dass meine Vorfahren als erfolgreiche Industrielle wirtschaftlich besser gestellt waren, als die normalen Beamten, empfand er wohl als Unrecht. Es ist schwer, sich in die Seele eines solchen Menschen hinein zu versetzen. Sein Hauptziel sah er in meiner Vernichtung. (.....) Hoffmeister blieb der Sieger. Er erreichte es, daß ich praktisch ausgeschaltet wurde.“

Ein neuer Geschäftsverteilungsplan sah für Jürgens kein eigenes Referat mehr vor. Er sollte neben Röpke Rechtssachen erledigen, aber das war auf die Dauer für ihn kein befriedigendes Arbeitsfeld.
Wieder war es ein aufgebauschter Vorwand, der das Ende der Arbeit für Jürgens im Landeskirchenamt einleitete. Ein Mitarbeiter des Landeskirchenamtes sollte für Hoffmeister eine Akte aus dem Dienstzimmer von OLKR Röpke holen, die dieser aber in einem Schrank verschlossen hatte. Der Bedienstete schlug eine Fensterscheibe des Schrankes ein, um an die Akte heranzukommen. Oberkirchenrat Jürgens wurde beauftragt, diesen Vorfall zu untersuchen, Hoffmeister benutzte diese Angelegenheit, um Jürgens vor versammelter Mitarbeiterschaft lautstark zu maßregeln. Bischof Johnsen schrieb zu diesem Vorfall einen Bericht an den Reichskirchenminister, der mit der Bitte um Ablösung von Hoffmeister schloss.

Einen für Jürgens besonders schmerzlichen Besuch erlebte er am 2. Mai 1939 im Landeskirchenamt. Als Vertreter des Reichskirchenministers erschien Landgerichtsrat Dr. Albrecht mit Hoffmeister um ¾ 6 Uhr bei ihm und bat um ein Gespräch ohne jeden weiteren Zeugen. Albrecht überreichte Jürgens ein Schreiben vom Minister Kerrl vom 25. April 1939, in dem Kerrl Hoffmeister zustimmt, in Zukunft auf den Braunschweiger Dom zu verzichten. Jürgens war überrascht und sprachlos, las das Dokument ein zweites Mal und fragte die Beiden, ob sie ein Erklärung von ihm wünschten. Das war den Beiden offenbar gleichgültig, Albrecht war nur gekommen, um Fragen einer beruhigenden Entschädigung zu besprechen, denn „dem Herrn Reichsminister läge nur daran, dass nicht eine Welle der Protestversammlung durch das Land rolle.“ Albrecht nannte die beleidigende Summe von 20.000 RM. Jürgens entgegnete, da müsse wohl noch eine Null angefügt werden, betonte jedoch im weiteren Gesprächsverlauf, dass es ihm weniger um den finanziellen als um den angerichteten ideellen Schaden ginge. Jürgens hatte die strittigen Domangelegenheiten seit 1928 immer wieder vor den Gerichten vertreten. So etwa das Gehalt des Domorganisten Walrad Guerike und die Gehälter des Dompfarrers, des Küsters, eines Domkantors und auch die bauliche Unterhaltung des Domes. Alles Zahlungen, die der Staat vor 1918 anstandslos geleistet, dann aber eingestellt hatte. Jürgens brachte eventuelle Kirchenneubauten in den neuen Siedlungsgebieten an den Stadträndern ins Gespräch. Auf diese Idee gingen die beiden Besucher überhaupt nicht ein. Albrecht verschärfte die Stimmung, indem er vorschlug, die Landeskirche möge doch auf eine Entschädigung überhaupt verzichten. Hoffmeister pflichtete ihm bei, der Haushalt habe im letzten Jahr einen Überschuss erwirtschaftet und sei auf die 20.000 RM nicht angewiesen. Die Beiden verließen das Landeskirchenamt unverrichteter Dinge, da Jürgens für eine zustimmende Erklärung nicht zu gewinnen war. Jürgens setzte nach dem Gespräch einen Vermerk für seine Unterlagen auf.

Es gab nur noch eine Hoffnung für Jürgens, der ihm unerträglichen Lage im Landeskirchenamt zu entkommen, nämlich dass Hoffmeister zum Wehrdienst einberufen würde. Er war jünger als Jürgens und daher „eher dran“. Aber Hoffmeister verfügte über die besseren Beziehungen, um von der Regierung Klagges als „unabkömmlich“ (uK) gestellt zu werden.
Jürgens empfand die Einberufung im Spätsommer 1939 als „Erlösung“. Er nahm als Soldat am Polenfeldzug und auch am Frankreichfeldzug teil, wobei er seine französischen Sprachkenntnisse als Dolmetscher einsetzten konnte.

Jürgens pflegte während des Krieges Briefaustausch mit Familie Lambrecht und auch mit Röpke, der ihm noch im November 1940 von dem Ergehen anderer zur Front eingezogenen Pfarrer berichtete und den Brief mit dem Wunsch schloss. „Ihnen, lieber Herr Jürgens, herzliche Grüße und ein herzliches Gottbefohlen. Kehren Sie bald heim zu uns. Herzliche Grüße von uns allen Ihr Röpke u. Familie.“ (Handschriftlicher Brief von Röpke an Jürgens von 11.11.1940)
Jürgens trug seine Absicht, die Arbeit im Landeskirchenamt zu beenden, Bischof Johnsen vor, der als Hauptmann in Calais stationiert war. Der Bischof zeigte Verständnis. Man könne die Haltung Jürgens „sehr gut verstehen“. „Man könne niemanden zumuten, seinen Dienst unter unwürdigen Umständen zu tun, erst recht keínem Kriegsteilnehmer. Ich habe“, fügte Johnsen hinzu, „mit dieser Bemerkung auch gleich für mich vorgebaut.“ (Schreiben Johnsen an Jürgens vom 3.3.41).



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Juergens/, Stand: März 2022, dk