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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Der Quellenteil

Jürgens Brief vom 9.07.1982

Hamburg, den 9.7.1982

Dr. Jur. Hans-Wilhelm Jürgens
2 Hamburg 55 Blankenese
Babendiekstr. 2
Fernsprecher 86 28 92

Herrn Pastor Dietrich Kuessner
Kirchstr. 3
3333 Büddenstedt

Sehr geehrter Herr Pastor!
Mein Sohn, der Kieler Anthropologe, übersandte mir Ihren Brief vom 17. 6. 82 mit der Bitte um direkte Beantwortung.
Ich komme dieser Bitte gerne nach.
Als ich im Frühjahr 1926 mein Assessorexamen in Braunschweig bestanden hatte, trat die Braunschweigische Landeskirche an mich heran mit der Frage, ob ich bereit wäre, die für den Fortbestand der Kirche notwendigen Prozesse als Justitiar bzw. Syndikus der Kirche nach vorhandenen Akten und alten Unterlagen vorzubereiten und als Prozeßbevollmächtigter der Kirche durchzuführen. Die Doppelrolle als Kirchenhistoriker und Prozeßvertreter schien mir interessanter als andere mir gebotene Wege meiner juristischen Laufbahn. So nahm ich an.
Um welche Probleme es sich handelte ist Ihnen sicherlich aus den dem Landeskirchentage von der Kirchenregierung erstatteten Berichten über die Entwicklung der Braunschweigischen Landeskirche in den Jahren 1925 bis 1929 bekannt.
Wenn auch einige grundsätzliche Fragen zugunsten der Kirche bereits entschieden waren, blieben doch die meisten Probleme ungelöst. Der Staat vertrat in Braunschweig leider die Auffassung, daß jeder kirchliche Anspruch, selbst wenn er unabstreitbar war, durch Richterspruch bestätigt werden müßte. - Durch das Gesetz über die Trennung des Opferei-und Schulvermögens vom 19. 12. 1919 war eine der Reichsverfassung widersprechende entschädigungslose Enteignung kirchlichen Grundbesitzes herbeigeführt. - Die Rechte der Domkirche St. Blasii in Braunschweig wurden bestritten obwohl die Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses eindeutig festlegten, daß der Staat nach Einzug der Güter der Stiftskirche verpflichtet sei, die Kultuskosten des Domes zu tragen. -
Die wertvolle Bibliothek des Predigerseminares wurde nach und nach von der staatlichen Landesbibliothek formgültig entliehen, aber nicht zurückgegeben. Zum Entsetzen der Kirche verweigerte der Staat die Rückgabe mit der provozierenden Behauptung, die Kirche könne keine Ansprüche erheben, da sie garnicht rechtsfähig sei! So ging es fort bis zur kleinsten Vierzeitengeldrente, zu eindeutigen Baulastverpflichtungen, zu Hunderten von historisch begründeten Rechtsverhältnissen, die der Staat gegen Recht und Verfassung abzuschütteln versuchte. Die Prozeßführung erforderte oft ein Zurückgehen auf den historischen Ursprung der Rechte, d. h. auf eine Zeit der vorreformatorischen Epoche.
Diesem Aufgabengebiet habe ich mich mit großem Interesse gewidmet und glücklicherweise fast immer mit Erfolg. Dabei hatte ich natürlich mit den Mitgliedern des Landeskirchenamtes eng zusammenzuarbeiten, nicht nur mit den Juristen Dr. Breust und Dr. Lambrecht, sondern auch mit den Theologen, insbesondere dem Landesbischof D. Alexander Bernewitz und dem Oberkirchenrat D. Georg Meyer. Für Bernewitz - zur Generation meiner Eltern gehörig - war ich ein junger Dachs. Trotzdem zeigte er sich mir gegenüber sehr aufgeschlossen. Er war - wie die Deutschen aus dem Baltikum so sagten - ein Kronenträger, d. h. zur "Herren-Rasse " gehörig, aber nicht etwa im Sinne eines Herrschers und Unterdrückers, sondern als ein von allen Volksschichten des Baltikums hochgeschätzten Kulturträgers. Er war umfassend gebildet und besaß ein großes Redetalent. Er beherrschte und pflegte auch die lettische Sprache, übernahm Ämter und Ehrenämter, wurde Mitglied des Mitauer Konsistoriums und rückte zum kurländischen Generalsuperintendenten auf.
Auch zu Kaiser Wilhelm II. hatte Bernewitz ein gutes Verhältnis. Der Kaiser sagte ihm nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches 1917: Sie haben es unter den Russen schwer gehabt. Sie sollen es bei mir besser haben! Auch ohne des Kaisers Zutun bekam es Bernewitz in Deutschland besser, wenn er auch die Weite des östlichen Raumes entbehren mußte. Die ihm angebotene Stelle eines Landesbischofs von Braunschweig sagte ihm zu, war sein unmittelbarer Vorgänger im Amte des summus episcopus doch der Herzog in eigener Person gewesen. Was einer königlichen Hoheit zu Ehren gereichte, mußte auch einem so würdigen Manne wie Bernewitz gefallen.
1933 zeigte es sich, wer wirklich krönungswürdig war: Die Welfen, einige Hohenzollern und ein Coburger winselten um Hitler herum, aber der ungekrönte Bernewitz erhob seine Stimme gegen den Diktator. Wie ein Prophet zeichnete er ein apokalyptisches Zukunftsbild. Er sah den Untergang aller Werte, die Mißachtung von Moral, Kultur, Ehre, Gewissen, Recht und Familie. Hitler, des bedeutet das Ende des Deutschen Reiches! Bernewitz sprach feierlich, aber ohne Pathos. Seine im vertrauenswürdigen Kreise gehaltenen Reden waren so eindringlich und überzeugend, daß man sie nicht vergessen konnte. - Bernewitz hatte den Ausbruch der russischen Revolution von 1917 miterlebt. Auch vorher schon hatte er ein gegen ihn gerichtetes Attentat überlebt. Er wußte, was ideologische Besessenheit anzurichten vermag. Jetzt, als Hitler an die Macht kam, sah er Berge von Toten auch bei uns, ausgelöschte Städte, Flüchtlingselend, das ganze Grauen eines Weltbrandes und das alles zu einem Zeitpunkt, an dem fast die Hälfte des deutschen Volkes in einen Taumel der Begeisterung für Adolf Hitler verfiel.
Auch um das Schicksal der Kirche machte sich Bernewitz größte Sorge. Von seinem Amtsnachfolger Beye nahm er keine Notiz. Als dann aber Johnsen Landesbischof wurde, erkannte Bernewitz , daß nur eine starke Persönlichkeit wie Johnsen in der Lage sein würde, die Zerrissenheit im kirchlichen Lager zu überwinden. Wer hatte zu dieser Stunde besser für den Ausgleich der Gegensätze tätig sein können, als ein Mann, der zweifelsohne fest auf dem Boden unseres lutherischen Bekenntnisses stand und den Willen zur Verwirklichung eines tatkräftigen Christentums glaubhaft bekundete. Bernewitz - schon an der Schwelle des Todes - setzte seine ganze Hoffnung auf Johnsen.
Bevor sich Bernewitz am 1. 0kt. 1935 nach seinem Ruhesitz in Blankenburg zurückzog, scharten sich seine Mitarbeiter des Landeskirchenamtes noch einmal um ihn und dankten ihm für seine großen Dienste, die er der Kirche und den Mitarbeitern erwiesen hatte. Das anliegende Bild wurde bei dieser Gelegenheit aufgenommen.
Es zeigt: hintere Reihe: Ottmer, Jeimke, Werner
mittlere Reihe: Lampe, Kröger, Kahn, Müller, Frl. Gerade, Frl. Hantelmann, Frl. Wellbrock, Frl. Steinecke, Frl. Henkel, Udo Schnabel, Fricke.
vordere Reihe: Butzmann, Heydenreich, Meyer, Bernewitz, Breust, Lambrecht, Steffen, Bruncke.
Bernewitz starb in Blankenburg 2 Jahre nach seiner Pensionierung. Ich trug ihn mit zu Grabe.
Was Bernewitz prophetisch erkannt hatte, wurde bittere Wirklichkeit. Kaum war sein Nachfolger Beye feierlich in sein Bischofsamt eingeführt, da wurde er des Betruges, der Untreue und der Freiheitsberaubung bezichtigt. Handelte es sich um einen persönlichen Racheakt, eine Aktion der Unterwelt oder um eine neue Form des kirchlichen und politischen Kampfes? Gewiß, Beye hatte sich politisch sehr exponiert. Er war nicht nur Pfarrer in Wenzen, er war auch Ortsgruppenleiter der NSDAP. Er war ein einsatzfreudiger Kämpfer für die Deutschen Christen. In diesem Kampf war manches drunter und drüber gegangen. Sollte dabei gegen das Strafgesetz verstoßen worden sein, so fragte es sich, ob nach dem Grundsatz minima non curat praetor Bagatellfälle außer Betracht gelassen werden konnten. Oberstaatsanwalt Rasche, selbst ein überzeugter Nationalsozialist, sah aber das ihm vorgelegte belastende Material als so gravierend an, daß er sich gezwungen sah, wegen der Eigentumsdelikte Anklage gegen Beye zu erheben. Die Große Strafkammer unter Vorsitz von Landgerichtspräsident Lachmund hatte gerne von einer Eröffnung des Verfahrens Abstand genommen, zumal auch Lachmund Nationalsozialist war, doch hier handelte es sich ja um den Landesbischof, der als Haupt der Kirche und als Kämpfer für Hitler nicht im Betrugsverdacht bleiben konnte. Angesichts der damals bestehenden politischen Spannung war vorauszusehen, daß der Beye-Prozeß zu schwersten Erschütterungen des kirchlichen Lebens führen mußte. Und so kam es dann auch. Eine Kampfstaffel der Glaubensbewegung Deutscher Christen warf dem Oberstaatsanwalt vor, im Vorverfahren einseitig gegen Beye ermittelt zu haben.
Andererseits wurde dem Pfarrernotbund vorgeworfen, systematisch Material gegen Beye zusammengetragen zu haben, Material, das nicht die Wahrheit zu Tage förderte, sondern nur Verleumdungen.
Schließlich hatten Parteifreunde von Beye eine Rechtfertigungsschrift für ihn verfasst, in der die Behauptung aufgestellt wurde, der Oberstaatsanwalt stände in enger Beziehung zum Pfarrernotbund und sei gewissermaßen nur dessen ausführendes Organ.
Für die Rechtsfindung, für den Angeklagten und für die Verteidigung sind derartige Versuche einer Prozeßbeeinflussung nur von großem Nachteil.
In dieser Situation fiel mir nun eine äußerst undankbare Aufgabe zu. Ich bin Zivilrechtler und kein Strafverteidiger. Als Anwalt der Kirche hatte ich zivilrechtliche Ansprüche zu verfolgen, aber keine kriminellen zu klären. Im übrigen war es mein ganzes Bestreben, mich aus allen politischen Streitereien heraus zu halten. Ich war nicht Mitglied der NSDAP und war niemals Mitglied irgend einer Partei gewesen und wünschte es auch künftighin nicht zu werden. Um den Beyeprozeß zu entpolitisieren, vor allem aber um der Kirche die peinliche Situation zu ersparen, ihren Landesbischof auf der Anklagebank zu erleben, riet ich dringend zum sofortigen Rücktritt des Bischofs. Er selbst würde dadurch auch eine wirksamere Verteidigung führen können. Nach Abschluß des Strafverfahrens könnten dann alle personellen Regelungen durchgeführt werden.
Beye trat zurück, aber die Kirchenregierung trat an mich heran mich der Aufforderung, Beyes Verteidigung zu übernehmen. Der Reichsbischof Ludwig Müller hatte nach Beyes Rücktritt sofort einen Kirchenkommissar eingesetzt, Oberkonsistorialrat Evers, und dieser hielt es im Einvernehmen mit dem Landeskirchenamt für geboten, daß ich die Verteidigung von Beye in die Hand nähme. Da ich außerhalb der Kampflinien stände, könnte ich am ehesten dazu beitragen, eine weitere Zuspitzung der Lage zu verhindern. Trotz schwerer Bedenken nahm ich den Auftrag an, erkannte aber bald, daß ich in einen Hexenkessel geraten war. Von allen Seiten wurde ich bestürmt und beeinflusst, in Diskussionen und Auseinandersetzungen hineingezerrt, nachts um 2 oder 4 Uhr aus dem Bett gerufen, um zu schlichten, zu raten, zu warnen. Schließlich erkannte ich, daß ich nicht der richtige Mann sei, um solch eine Verteidigung zu führen. Ich entschloß mich, mein Mandat niederzulegen. Hier widersprach aber die Kirchenregierung, denn eine Mandatsniederlegung kurz vor der Hauptverhandlung könne nicht anders gedeutet werden, als daß der Verteidiger die Sache für aussichtslos hielte. Eine solche Belastung dürfe ich dem Angeklagten nicht zumuten.
So erfüllte ich den Auftrag so gut ich konnte. Beye wurde freigesprochen. Breust, der im Gericht zugegen war, beglückwünschte mich nach dem Urteil. Dazu fehlten aber alle Voraussetzungen. Der Freispruch konnte niemanden befriedigen. Der Oberstaatsanwalt kündigte auch die Einlegung der Revision an.
Ich hatte meine Pflicht getan und wollte von der Vertretung des Angeklagten in der zweiten Instanz unbedingt freigestellt werden. Breust, der den Vorsitz der Kirchenregierung führte, rief daraufhin eine Sitzung der Kirchenregierung ein, die über meine Mandatsniederlegung entscheiden sollte. Die Kirchenregierung beschloß, mich -meinem Antrag gemäß- von der Weiterführung der Verteidigung in 2. Instanz freizustellen. Allerdings gab es einen Zusatz zu diesem Beschluß, der mich in neue Konflikte führte. Ich sollte meine Mandatsniederlegung dem Gericht nicht mitteilen, der Zweitverteidiger, Brückel, könnte alleine handeln. In zweiter Instanz würde es nicht so auffallen, wenn nur ein Verteidiger erschiene.
Eine offizielle Mandatsniederlegung könne aber zu leicht zu Fehdeutungen führen. Nun trat aber der Oberstaatsanwalt an mich heran mit dem Ersuchen um eine amtliche Besprechung über die Behandlung des Verfahrens in der 2. Instanz. Andererseits trat der Vater des Angeklagten Beye an mich heran mit der Bitte, eine erschöpfende Eingabe aufzusetzen, die er Hitler persönlich zuleiten wolle. (siehe Anlage). Nach beiden Seiten mußte ich meine Mandatsniederlegung verschweigen. Ich reagierte ausweichend und konnte die Ansinnen mit dem Hinweis auf meine Verschwiegenheitspflicht ablehnen. Für mich war die Ära Beye damit abgeschlossen
Auf Beye folgte Johnsen. Man könnte denken, wir kamen vom Regen in die Traufe! Alles was wir über Johnsen hörten, konnte uns nur mit Sorge erfüllen, wir hatten nicht den Weitblick eines Bernewitz. Wir hörten nur, Johnsen sei einer der völkischen Hitzköpfe, die schon in Coburg, München und zuletzt Lübeck schwierige Situationen heraufbeschworen hätten.
Es war offensichtlich, daß dem Nachfolger Beyes eine erfolgreiche Arbeit in der Braunschweigischen Landeskirche erschwert werden sollte. Von welcher Seite oder welchen Gruppen diese Angriffe kamen, ist nicht festzustellen. Vielleicht waren es die gleichen Gruppen, die bereits im Beye-Prozeß aufeinander prallten. Jedenfalls sollte Johnsen gleich zu Beginn seines Amtes in einen Gewissenszwiespalt und Entscheidungskonflikt gestürzt werden. Der Landverkauf an den Juden Rosenbaum mußte zu diesem Zwecke hochgespielt werden. Der Fall ist zur Genüge erörtert worden. Er hatte aber zur Folge, daß ich mich auf Johnsens Seite stellte. Bevor er überhaupt zu Worte kam, sollte Johnsen zu Fall gebracht werden. Seine mir unbekannten Widersacher handelten hinterhältig und verwerflich.
Dazu kam, daß Johnsen als ein ganz anderer Mensch in Erscheinung trat, als man von ihm erwartet hatte. Statt eines Hitzkopfes erlebten wir einen klugen, besonnenen, verantwortungsbewußten und würdigen Repräsentanten der Kirche. Wie richtig hatte Bernewitz diesen Mann erkannt. Niemand konnte bezweifeln, daß Johnsen fest auf dem Boden des lutherischen Bekenntnisses stand. Niemand konnte bezweifeln, daß Johnsen ein tatkräftiges Christentum verwirklichen wollte. Konnte man sich in dieser Stunde einen besseren Landesbischof wünschen? Einen Bischof, der die zerklüftete Kirche nicht weiter spaltete, sondern zum Ausgleich der Gegensätze beitrug? Einen Mann, der das äußerst gespannte Verhältnis zum Staat erträglich zu machen bestrebt war?
Was man aus der Vergangenheit hervorsuchte, um Johnsen zu schaden, überzeugt keinen ehrlichen Menschen. Nach dem ersten Weltkrieg waren wir alle irgendwie aus dem Lot geraten. Jeder vaterländisch eingestellte Mensch wurde von der Not des Vaterlandes gepackt, zur Verzweiflung, manchmal zum Freitod getrieben. Alles, was in jenen turbulenten Jahren geschah, ist zeitbedingt und kann nur aus der Zeit verstanden werden. Wir verfallen gern in den Fehler, Lobredner oder Kritiker einer Epoche zu werden, die wie nicht verstehen und nie begriffen haben.
Selbst zwischen zwei so bedeutenden und sympathischen Persönlichkeiten wie Bernewitz und Johnsen hat es Fehldeutungen gegeben:
Johnsen sah in Bernewitz einen Wegbereiter Hitlers. Wer Bernewitz beim Umbruch 1933 erlebt hat, weiß, wie es wirklich in ihm aussah. Trotzdem setzte Bernewitz auf Johnsen, denn er wußte um den Wert der Persönlichkeit.
Mit freundlichem Gruß!
     

Nachschrift.
Ich vergaß, Ihre Frage zu beantworten, warum ich das LKA verließ.
Die Zusammenarbeit mit Johnsen führte dazu, daß er mich als Beamter in den Dienst des LKA berief. Hier aber scheiterte ich nach wenigen Jahren an den bekannten Rechtsbrüchen des Hoffmeister. Dieser enthob mich eines Tages grundlos meiner Ämter und verbot mir, die Diensträume zu betreten. - Johnsen trat nun energisch für mich ein. Reichsminister Kerrl prüfte, verhandelte und stellte schließlich fest, daß meine Dienstenthebung unberechtigt gewesen sei. Johnsen wurde beauftragt, eine neue Geschäftsverteilung auszuarbeiten, die alle Beteiligten zufrieden stellen sollte. Das war aber bei der Unnachgiebigkeit von Hoffmeister unmöglich. Johnsen konnte nichts anderes erreichen als die von Ihnen zitierte Geschäftsverteilung v. 20.5.39, nach der ich zwar der Vertreter des Landesbischofs in weltlichen Dingen sein sollte, aber praktisch zum Justitiar ohne Aufgabenbereich gemacht wurde.
Es war eine freundliche Geste von Johnsen, mehr nicht.
Eine praktische Auswirkung ergab sich nicht, da ich zur Wehrmacht und zum Kriegsdienst einberufen wurde. Im Felde ersah ich aus den Heimatbriefen, daß Hoffmeister trotz seiner jungen Jahre u-k gestellt war und die Kirche härter denn je drangsalierte. Hoffmeister saß fest im Sattel, ohne daß ein Ende seiner kirchenfeindlichen Arbeit erkennbar war.
Mir erschien es aber undenkbar, mich jemals unter das Joch eines solchen Menschen zu begeben. So nahm ich noch im Lauf des Krieges meinen Abschied vom kirchlichen Dienst.
Ein paar Unterlagen, die ich gerade finden konnte, füge ich diesem Schreiben bei. Die Briefe von Johnsen habe ich im Augenblick nicht finden können. Jedenfalls ergab sich aus unserem Briefwechsel, daß wir uns gut verstanden.
Zum Schluß noch einige Fragen meinerseits:
1. Lebt Dr. Lambrecht noch? Lebt überhaupt noch jemand von den LKA-Mitarbeitern von 1935? (siehe Photo)
3. Wurde Hoffmeister wegen seiner Nazi-Verbrechen abgeurteilt? Lebt er noch?


Anmerkungen
Der 82jährihe Hans Wilhelm Jürgens erinnert sich genau an seinen beruflichen Lebensweg in Wolfenbüttel. Ihm ist dabei bewusst, dass ihn seine Erinnerungen trügen können. Er stellt seine Erinnerungen jeweils in unterschiedliche Lebenszusammenhänge dar, mal im Zusammenhang mit seinem Arbeitsbereich im Landeskirchenamt, mal im Zusammenhang mit seinen juristischen Kollegen in Wolfenbüttel und Braunschweig, mal mit der Atmosphäre einer Kleinstadt, die ihm als Großstädter sympathisch ist.
In diesem ersten Brief vom 9.7.82 erinnert sich Jürgen vor allem an die ersten drei Bischöfe. Er lebte mit ihnen 14 Jahre in unmittelbarer Nachbarschaft am Neuen Weg und lernte sie aus einer Nähe kennen wie kein Pfarrer der Landeskirche sonst. Der liberale Hamburger schwärmt im Rückblick von dem tiefen Eindruck der jeweiligen Persönlichkeit der Bischöfe Bernewitz und Johnsen. Der junge Hamburger sieht mit Respekt und Hochachtung zum 63 jährigen Bischof auf, der einen bewegten Lebensweg im Baltikum hinter sich hat und ebenso zu Johnsen, der ihm an Lebensjahren näher steht und den er trotz aller beruflich bedingten Distanz als Freund und Kumpel gewinnt.
Die Schilderung des betagten Jürgens bestätigt die bekannten Darstellungen der neusten Kirchengeschichte und bringt zugleich nennenswerte Abweichungen. Bernewitz sei keinesfalls für die Pfarrerschaft ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen ebenso wenig wie Johnsen, der ihm als lutherischer und tatkräftiger Christ imponiert. Jürgens selber stellt sich als bewusster Nicht-Parteigenosse dar, der für die Ideale des Nationalsozialismus stärkste Abneigungen verspürt.
Der alte Jürgens will sich die prägenden Eindrücke seiner erfolgreichen Jugendzeit nicht durch Berührungen mit den Verbrechen der Nazis beschmutzen lassen.



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