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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Der Quellenteil

Jürgens Brief vom 16.07.1982

Hamburg, den 16.7.82

Dr. Jur. Hans-Wilhelm Jürgens
2 Hamburg 55 Blankenese
Babendiekstr. 2
Fernsprecher 86 28 92

Herrn Pastor Dietrich Kuessner
Kirchstr. 3
3333 Büddenstedt

Sehr geehrter Herr Pastor!
Ich danke Ihnen für Ihre Zeilen vom 12.7.82 und die Übersendung der Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche 1930-4947 im Überblick. Durch diese Schrift wird mein Gedächtnis wieder aufgefrischt. Leider habe ich kein Tagebuch geführt. Auf mein Gedächtnis darf ich mich aber nicht zu sehr verlassen, denn seit 1926 sind 56 Jahre vergangen und in solcher Zeitspanne wird das Erinnerungsbild getrübt.
Dennoch lebe ich in der Vergangenheit mehr als in der Gegenwart.
Das Wort aus der Faust-Zueignung bewahrheitet sich:
Was ich besitze seh ich wie im Weiten,
und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
Zunächst habe ich in meinem Keller nach Briefen und Akten gesucht. Das Ergebnis ist dürftig: ein paar Zeilen von Oberkirchenrat D. Meyer, von Pastor Besser, von Röpke, Johnsen u. Lambrecht und ein Photo von mir aus den Hauptjahren meiner Tätigkeit für die Landeskirche (1926-1930).
Das historische Bild, wie Sie es entwerfen, deckt sich nicht immer mit meinen Erinnerungen. So sehe ich Bernewitz gewiß mit seiner "distanzierenden Autorität", aber mehr noch in der Eindringlichkeit seiner schlichten Rede zur Zeit der NS-Machtübernahme und seines Rücktritts vom Bischofsamt. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß Bernewitz die treibende Kraft für ein Ja zum Nationalsozialismus gewesen sein soll. Im Gegenteil! Ihm stand der blutige Aufstand vom Jan. 1905 in Petersburg vor Augen. Er erlebte die Aufstände der Letten und Esten gegen die Deutschen, aber er wußte auch, der kein Unterdrücker sondern ein Freund des Volkes war, wenn irre geleitete Fanatiker in den baltischen Pfarrern Steigbügelhalter des Zaren sahen, wußte er, daß deutsche Kultur und -für ihn persönlich- sein besonderes Interesse für das lettische Volk und die lettische Sprache seine Stellung nur festigen konnte. Gerade ein Mann, der Volksaufstände und Revolutionen am eigenen Leibe erlebt hatte, hätte ich m.E. nicht zum Wegbereiter einer NS-Revolution gemacht. Dazu war der Weg der Nazis viel zu Verworren und undurchsichtig.
Natürlich war Bernewitz so klug, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu rennen. Bei jeder Volksbewegung heißt es, geschickt zu taktieren, die Zügel fest in der Hand zu behalten, wenn nötig Zugeständnisse zu machen und darauf zu setzen, daß die Zeit die Menschen wieder zur Vernunft bringen wird. In späterer Sicht mag hierbei manches Wort fragwürdig oder abwegig erscheinen. Nicht auf das einzelne Wort, sondern auf das Ziel kam es an und dieses Ziel hat Bernewitz nie aus den Augen verloren: das Wohl der Kirche zu sichern, Es war klar, daß er sich öffentlich nicht frei äußern konnte. Aber im vertraulichen Kreise wurde er desto deutlicher und ließ keinen Zweifel an seiner wahren Gesinnung. Das hat auch Pastor Schlott gespürt, als er ihn so hartnäckig verfolgte. Im Übrigen zwangen die sich täglich verändernden Verhältnisse zu ständig neuen Überlegungen und evtl. auch Anpassungen. Es ist selbstverständlich, daß sich dadurch widersprechende Aussagen ergaben. Trotz allem bleibt Bernewitz für mich weder ein Zarenknecht noch ein NS-Wegbereiter. Er war ein treuer Diener seiner Kirche, ein pflichtbewußter Deutscher und eine überragende Persönlichkeit.
Verständlicherweise war sein Gebaren durch Tradition geprägt und wurde gerade deshalb -m.E. zu Unrecht- kritisiert. So will ich eine Szene erwähnen, die ganz unbedeutend, aber für Bernewitz typisch war. Ich war eines Tages in der Dienstwohnung von Bernewitz am Neuen Weg in Wolfenbüttel und fragte ihn nach Beendigung unserer Besprechung, ob er auch -wie ich- nach Braunschweig fahren müsse und -da ich meinen Pkw vor dem Hause hatte- ob er gegebenenfalls in meinem Wagen Platz nehmen möchte. Bernewitz nahm mein Angebot gerne an. Als er in meinen Wagen stieg, nahm er aber nicht den Platz neben mir -dem Fahrer- ein, sondern setzte sich in den Fond meiner Limousine. Er hatte das Gefühl, daß er als Landesbischof nicht neben dem "Chauffeur" sitzen könnte, seine Würde verlangte einen würdigeren Platz! Bei Johnsen wäre ein solcher Gedanke unmöglich gewesen, denn Johnsen fühlte sich als Kamerad, Bernewitz aber als Würdenträger. Ich habe mich durch Bernewitz nie herabgesetzt gefühlt, denn ich schätzte den "Kameraden" genau so wie den "Würdenträger".
Was ich mit Bernewitz zu besprechen hatte, waren eigentlich keine Fragen meiner Prozeßtätigkeit, über die er von Breust ohnehin genau informiert wurde, sondern Konflikte, die sich am Rande ergaben, aber für das kirchliche Ansehen von Bedeutung sein konnten. Wenn ich eine sehr heftige Auseinandersetzung mit einem Gegenanwalt hatte, die Presse darüber berichtete, wollte Bernewitz wissen, wie es zu diesem Zusammenstoß gekommen und ob er nicht vermeidbar gewesen sei. Ich habe nie erlebt, daß Bernewitz mein Vorgehen nach der Berichterstattung mißbilligte. Er freute sich aber, wenn ein öffentlicher Skandal -wie der Fall Schwede-Vibrans- friedlich und korrekt aus der Welt geschaffen wurde.
Sie fragen mich nun nach dem "Grotewohl-Flügel" und dem mehr pragmatischen Jasper. Grotewohl habe ich nie persönlich kennengelernt und ein Flügelproblem gab es für mich nicht. Mit Jasper habe ich sowohl im Anwaltszimmer des Landgerichts als auch sei in seinem Dienstzimmer im Ministerium wiederholt gesprochen. Als Anwalt war er mein Kollege und unser kollegiales Verhältnis war- trotz unserer gegensätzlichen Grundeinstellung - nicht getrübt. Die Besprechungen im Ministerium waren mehr durch die Referenten bestimmt und der persönliche Kontakt zum Minister war gering. So war es auch mit Marquordt. Eine Besprechung im Ministerium war nur sachdienlich, wenn man sich mit den Referenten auseinander setzen konnte. Ich erinnere mich, daß Ministerialrat Kiehne für Grundsatzfragen und Landesschulrat Böse für das Opferei-und Schulvermögen vernünftige Verhandlungsgegner waren, die auch mir gegenüber Takt und Verständnis zeigten. Persönlich waren wir uns nie gram. Dazu trug bei, daß ich mich um politische Fragen und Zusammenhänge überhaupt nicht kümmerte. Ich wollte ja nur die Rechte der Kirche sichern und war dabei traditionsbewußt und verschwieg nie meine Liebe zu Heimat und Vaterland.
Nach der Machtübernahme 1933 rieten mir meine Freunde, Mitglied der NSDAP zu werden. Ich lehnte aber jeder Parteibindung ab. Die einzige Konzession, die ich machte, war, daß ich dem Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten, beitrat. (Ich war Frontsoldat des letzten Kriegsjahres 1918). Damit wollte ich meine vaterländische Gesinnung zum Ausdruck bringen. Das sollte auch den Nazis genügen - so glaubte ich wenigstens! Aber es genügte ihnen nicht! Mein Stahlhelmbeitritt wurde vielmehr als Affront betrachtet, weil er nicht in den Jahren 1918 - 32 erfolgte, sondern erst nach der Machtübernahme Hitlers. Die Neustahlhelmer wurden als Reaktionäre verdächtigt, Düsterberg, als Nichtarier gebrandmarkt, Seldte blieb nichts weiter übrig als sich der NS-Bewegung zu unterwerfen und den Stahlhelm in die SA-Reserve zwangsweise überführen zu lassen. Das führte natürlich zu einer Säuberung. Politisch unzuverlässig erscheinende Individuen wurden ausgeschlossen. In die Kategorie fiel ich.
Ein dramatischer Zwischenfall war vorausgegangen. Der Kreisleiter der NSDAP hatte noch vor Ablauf des Jahres 1933 einen Schutzhaftbefehl gegen mich erlassen, - wie üblich ohne Angabe der Gründe. Zur Vollstreckung benötigte er aber -auf Grund einer inzwischen erlassenen Anordnung- die Gegenzeichnung der Kreisdirektion. Der Kreisdirektion lehnte aber die Gegenzeichnung ab, riet mir aber dringend, für einige Zeit aus Wolfenbüttel und Braunschweig zu verschwinden, damit sich die Gemüter wieder beruhigen Könnten. Am peinlichsten betroffen war mein guter Freund, der Leiter der Strafanstalten, ORR Greiffenhagen. Dieser sagte mir, es sei für ihn unerträglich, mich als Schutzhäftling in seiner Anstalt zu sehen. Ich müßte für einige Zeit untertauchen.
Ich folgte diesem Rat und ging für einige Monate nach Hamburg, wo ein politisch milderes Klima herrschte..
Was hatte man mir eigentlich vorzuwerfen? Meine Aktivität für die Kirche und andere bedrängte Personen? Oder meine offen zum Ausdruck gebrachte Freude über die gemeldete Welle der Kirchenwiedereintritte, die einen SA-Führer veranlaßte, mich auf der Straße anzusprechen und mir seine Verwunderung über meine Gesinnung auszusprechen? Oder war es mein gutes Einvernehmen mit dem Amtsgerichtsrat Hans von Nordheim vom Amtsgericht Wolfenbüttel? Nordheim war - als noch unkontrolliert verhaftet werden konnte- von einer Gruppe von Braunhemden im Gerichtssaal festgenommen worden. Ich war zugegen und mußte erleben, wie er vom Richterstuhl gezerrt und johlend auf die Strasse geführt wurde. Dann gingen die siegestrunkenen Nazis mit ihrer "Beute“ die Lange Herzogstrasse hinunter bis zum Ziegenmarkt, um dort den Schutzhäftling im Zuchthaus abzuliefern. Nordheim kam schnell wieder frei, wurde aber seines Richteramtes enthoben. Vierzig Jahre später bat mich Northeim, ihn in seinem Ruhesitz in der Hahnheide aufzusuchen, Er wollte mich bitten, das Ehrenamt eines Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes zu übernehmen. Ich konnte ihm diesen Wunsch nicht erfüllen, hatte aber Gelegenheit, mit Nordheim über die Vorgänge vor 1933 zu sprechen. Das war nur ein harmloses Theater, meinte er, die späteren Vernehmungen durch die Gestapo in Berlin seien weit unangenehmer gewesen. Immerhin habe er die böse Zeit überstanden und sei nach dem Kriege im Wege der Wiedergutmachung zum Landgerichtpräsidenten befördert worden.. Und was waren die wirklichen Gründe Ihrer Wolfenbüttler Verhaftung? fragte ich. Ach, die Leute wollten zeigen, was Volksgemeinschaft ist, sie grölten, bei mir fänge der Mensch erst vom Baron aufwärts an, meine unerträgliche Hochnäsigkeit müsse geahndet werden! Wer Sie wirklich kennt, weiß, wie groß Ihr soziales Verständnis stets war, sagte ich.
Nun, der Fall des Herrn v. Nordheim zeigte, wie unberechenbar mit Schutzhaftbefehlen damals gearbeitet wurde.
Der gegen mich erlassene Schutzhaftbefehl ist niemals vollstreckt worden und hat keine unmittelbaren Folgen für mich gehabt. Mit dem Verdacht der politischen Unzuverlässigkeit mußte ich leben und an diese capitis deminutio hatte ich mich langsam gewöhnt. Die wirkliche Gefahr trat erst später auf, als Hoffmeister seine Tätigkeit im LKA aufnahm. Hoffmeister behandelte mich wie einen Erzfeind. Ich weiß nicht, was er gegen mich hatte. Ich kannte ihn und seine Familie schon lange. Sein Vater war Intendanturrat der Marine gewesen und hatte sich nach dem Kriege als Anwalt in Braunschweig bzw. Wolfenbüttel niedergelassen. Seine Praxis war unbedeutend, meine Praxis umfangreich. Vielleicht erzeugte das Neid, der auf den Sohn abfärbte. Ganz offensichtlich wollte der Sohn mich ausschalten unter Ausnutzung seiner politischen Machtposition. Er hätte ja damit zufrieden sein können, daß ich meine Anwaltspraxis aufgab, auf meine Ehrenämter als Mitglied der Anwaltskammer und als Mitglied des Ehrengerichtes verzichtete und sogar auf das mir zustehende Notariat kampflos verzichtete. Aber es ärgerte ihn offenbar, daß mich Johnsen ins LKA berief und Kerrl mich mit Lambrecht und Ahlhorn in der neu eingerichteten Finanzabteilung tätig werden ließ. Entscheidend war aber - so vermute ich - daß er mir meine materielle Lage mißgönnte. Ich war in der Lage gewesen, mir die schöne Villa Neuer Weg 15 zu kaufen. lch konnte mir dank meiner Eltern ein Auto halten und größere Reisen machen. Das meine Vorfahren als erfolgreiche Industrielle wirtschaftlich besser gestellt waren, als die normalen Beamten, empfand er wohl als Unrecht. Es ist schwer, sich in die Seele eines solchen Menschen hinein zu versetzen. Sein Hauptziel sah er in meiner Vernichtung. Dieses Ziel konnte er nur mit Hilfe der Gestapo erreichen. Er lauerte darauf, mir eine Unbedachtsamkeit zu entlocken, um mich darauf der Gestapo auszuliefern, Eine Zusammenarbeit war mir mit Hoffmeister praktisch nicht möglich. Die Atmosphäre war bei unseren Verhandlungen so gespannt, daß es übermenschliche Anstrengungen erforderte, um sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen, wenn Johnsen bei solchen Besprechungen zugegen war, sagte er mir hinterher, er müsse zugeben, daß mir ein Dienst unter derart unwürdigen Umständen nicht zugemutet werden könne.
Hoffmeister beendete dann unsere Zusammenarbeit durch meine Dienstenthebung. Wenn sein Handeln letzten Endes als unbegründet festgestellt wurde, Hoffmeister blieb der Sieger. Er erreichte es, daß ich praktisch ausgeschaltet wurde. So wirkte die Einberufung zum Wehr- und Kriegsdienst für mich als Befreiung.
Johnsen hat sich bei meinen Auseinandersetzungen mit Hoffmeister treu an meine Seite gestellt. Als ich dann in Laufe des Krieges endgültig aus dem kirchlichen Dienst ausschied, verteidigte Johnsen meinen Entschluß gegenüber Röpke und schrieb mir dazu, er habe damit gleich für sich selbst vorgebaut. Denn auch Johnsen glaubte nicht, daß er Zusammenarbeit mit Hoffmeister weiter durchstehen könnte. Johnsen konnte eine Einberufung zum Kriegsdienst wegen seines Alters nicht erwarten. Dennoch sah er in seiner Einberufung eine Erlösung. Hoffmeister hat ihn soweit getrieben, ohne Hoffmeister wäre Johnsen im Amte geblieben und nicht in Jugoslawien zugrunde gegangen.
Hoffmeister war ein eiskalter Rechner. Er war unaufrichtig, hinterhältig, neidisch und machtgierig. Als man ihn fragte, weshalb er 1931 in die NSDAP eingetreten sei, antwortete er, „weil ich etwas werden will“. Wenn es um den eigenen Nutzen, Beförderung und Macht ging, kannte Hoffmeister keine Gewissensbisse, keine Rücksicht, kein Gefühl für das von ihm verursachte Leid.
Wenn Sie meinen, die anderen Mitarbeiter hätten gut mit Hoffmeister zusammengearbeitet, dann verweise ich demgegenüber auf meinen anliegenden Briefwechsel mit Dr. Wilh. Timmermann. Timmermann rückt darin deutlich von Hoffmeister ab. Steffen und Ude haben sich untergeordnet, weil sie sich mit allem abzufinden bereit waren. Steffen erschien mir immer als ein etwas leidender Mensch (magenkrank?) der sich schonen mußte und deshalb auf ein Eintreten für die Kirche verzichtete. Natürlich gab es ausführende Organe, die sich streng nach Hoffmeisters Weisungen richteten. Denen lag die Kirche nicht am Herzen, sie machten ihre Arbeit wie befohlen und gaben keinen Anlaß zum Tadeln. Die tägliche Anwesenheit Hoffmeisters im LKA war nicht erforderlich. Seine Richtlinien und seine wöchentliche Kontrolle sicherten den reibungslosen Ablauf der Geschäfte.
Über Dr. Lambrecht brauche ich wohl nichts zu sagen. Er hat Ihnen direkt berichtet. Lambrecht war ein treuer kluger und fleißiger Mitarbeiter. Man konnte sich stets auf ihn verlassen.

Viel schwieriger ist eine gerechte Beurteilung von Dr. Breust. Als meine Kollegen, die mit mir das Assessorexamen gemacht hatten, hörten, daß ich nach Wolfenbüttel gehen wollte, sagten sie: wir verstehen Dich nicht, mit dem besten Examen von uns allen willst Du den schlechtesten Posten übernehmen. Mit dem Torquemada kann man doch nicht zusammenarbeiten! Ich entgegnete: Die Aufgabe lockt mich und Torquemada stört mich nicht! Breust hatte in der Juristenschaft den Spitznamen Torquemada erhalten weil er immer so finster drein blickte wie der Großinquisitor. Ich lernte nun Breust kennen und schätzen. Seine hohe Intelligenz war leider beengt durch einen gewissen Starrsinn. Er sah Feinde, die keine waren, er fürchtete Gefahren, die überspitzt waren, er neigte zum Extremen, kurz er war ein Sonderling. Jedoch wandelte er sich durch seine Eheschließung. Er hatte die Frau gefunden, die seinem nordischen Ideal entsprach. Er wurde geselliger, heiterer, aufgeschlossener. Trotzdem reagierte er anders als die anderen. Als er die Dienstwohnung am Neuen Weg bezog und mit einigen orientalischen Kostbarkeiten (Erinnerungsstücken, die ihm sein Onkel, der Miterbauer der Bagdadbahn, hinterließ) ausschmückte, sagte er nicht, hier werde ich glücklich sein, sondern "hier möchte ich sterben" etwa in Anlehnung an das "Napoli videre e poi morire".
Nur war die Breustsche Wohnung wirklich nicht so traumhaft, daß man das Verlangen nach dem Tode haben konnte.. Wir machten auch eine gemeinsame Autoreise d.h. das Ehepaar Breust mit meiner Frau und mir. Wir waren in bester Stimmung und erlebten schöne Tage im süddeutschen Raum. Wenn die Landschaft besonders beeindruckend war, schwärmte Breust nicht vom Rhein oder der Donau sondern ausgerechnet von Saltsjöbaden auf einer Halbinsel des Baggensfjärden. Das erinnert mich an die deutschen Touristen, die in Taormina im Anblick des Etna begeistert singen: "Warum ist es am Rhein so schön"! Breust meinte, nur in Saltsjöbaden könnte man wirklich glücklich sein. Ich habe die schwedische Landschaft erlebt und geschätzt, hatte mich aber nie zu einer so übersteigerten Lobpreisung bewegen lassen.
Meine dienstliche Zusammenarbeit mit Breust machte keine Schwierigkeiten. Wir verstanden uns alle gut: der thronende Bernewitz, der kluge und liebenswürdige OKR Meyer, der vielleicht nur von den theolog. Kandidaten etwas gefürchtet wurde, der treue Lambrecht und der Sonderling Breust. Wir waren ein buntes Gemisch mit vielen Gegensätzlichkeiten. Aber gerade daran fand ich gefallen. Nur einmal gab es einen ernsteren Konflikt. Breust beschloß, Politiker zu werden und mit einer eigenen Partei als Spitzenkandidat in den Landtag einzuziehen, Wie er seine Partei benannte, weiß ich nicht mehr, sie sollte für die durch die Inflation geschädigten Sparer eintreten und andere Ungerechtigkeiten aus der Welt schaffen. Dabei griff Breust auch die Stützen der Kirche an. Sein plakatierter Aufruf richtete sich "an alle, die nicht auf den Geldsäcken sitzen!" Aus dem Kirchenvolk kamen lebhafte Proteste. Dem Landesbischof und der Kirchenregierung wurde vorgeworfen, dem untragbaren politischen Treiben des Herrn Breust untätig zuzusehen. Bernewitz griff schlichtend ein. Irgendwelche Maßnahmen erübrigten sich aber, weil die Landtagswahl für Breust mit einem völligen Fiasko endete. Sein Weg als Politiker war damit beendet. Nicht aber sein Zorn über diejenigen, die ihn zum Scheitern brachten. Mir war Breust aber nicht böse, ob wohl er mir vielleicht als einzigem im kirchlichen Raum ein Liebäugeln mit den Geldsäcken hätte vorwerfen können. Man sieht daraus, Breust reagierte immer anders, als man erwarten konnte.
Natürlich hatte Breust einen Erzfeind und einen Erzkumpan. Sein Feind war Hamer, dem er -ganz zu Unrecht- Hinterhältigkeit vorwarf. Seine wichtige Stütze war Bruncke, ein entlassener Justizobersekretär, der mir gar zu devot war. Brunckes Ergebenheit erinnerte mich immer an die Gestalt des Sekretärs Wurm im Dienste des Präsidenten v. Walter in Schillers Kabale und Liebe. Natürlich hinkt der Vergleich, denn Wurm war ein Schurke, Bruncke aber ein schlichter Aktenmensch ohne besondere Merkmale. Ich hatte verstehen können, wenn Breust zu Hamer ein positives Verhältnis gefunden hätte und wenn ihm Bruncke unsympathisch gewesen wäre, weil dieser seinen nordischen Idealen so völlig entgegengesetzt war. Aber das Gegenteil war der Fall.
Bei Breust spielte die Sympathie eine große Rolle. Als Johnsen Landesbischof wurde, ergab sich durch den Landverkauf an Rosenbaum sofort ein schwerer Konflikt, der aber m. E. leicht zu beheben war. Ich habe mich selbst informiert, bin nach Schöppenstedt gefahren, habe das wertlose Stückchen Sumpf, das als Gartenland bezeichnet wurde, besichtigt, die Personalien des Juden überprüft, festgestellt, daß er dekorierter Frontkampfer wer und kam zu dem Schluß, daß der Fall Rosenbaum nicht wegen des Landverkaufs hochgespielt war , sondern nur zu dem Zwecke, den neuen Landesbischof gleich am Tage seines Amtsantritts in hinterhältiger Weise zu stürzen. Für Johnsen ergab sich eine üble Lage, er kannte seine Widersacher nicht, er kannte keinen vom LKA. Um sich zu behaupten, mußte er einen Kampf gegen alle führen. Deshalb ging er radikal vor. Seine Maßnahmen sollten nach außen wirken. Im Innern sollte schnell wieder Friede sein. Aber die Befriedung gelang ihm bei Breust nicht. Breust fühlte sich durch die Amtsenthebung tief verletzt. Johnsen wurde jetzt sein Erzfeind, dem er mit Troquemada-Miene entgegentrat. Breust suchte nach Bundesgenossen, um den Kampf gegen Johnsen aufzunehmen. Dabei war ihm selbst ein Bündnis mit dem schlimmsten Feind der Kirche, mit dem Dissidenten Hoffmeister willkommen. Es war eine tragische Entwicklung, voller Ungereimtheiten, voller Widersprüche. Ich stellte mich nicht gegen Breust, sondern war gewillt, ihm nach Möglichkeit zu helfen. Ich stellte mich aber eindeutig auf Johnsens Seite, wie ich mich immer auf die Seite des zu Unrecht Angegriffenen gestellt habe. Doch ein Brückenschlag zwischen Johnsen und Breust war nicht möglich. Politischer Druck einerseits, Breustscher Starrsinn andererseits verhinderten die Aussöhnung, die bei den andren Mitgliedern des LKA so einfach gewesen war.
Das Schreckensregiment, das Hoffmeister dann gegen die Kirche, gegen Johnsen und gegen mich führte, hatte eine enge Zusammenarbeit zwischen Johnsen und mir zufolge .Es wäre aber völlig abwegig zu glauben, Johnsen hätte mich aus diesem Grunde für geeignet gesehen, das Amt des Gauobmannes der DC zu übernehmen, als er es niederlegte. Ich weiß noch genau, daß mich Johnsen eines Tages fragte, ob ich -ihm zu Gefallen- bereit sei, das Amt des Gauobmannes zu übernehmen. Ich erwiderte auf der Stelle, das könnte nur ein Witz sein, er würde sich schaden und mich lächerlich machen. Daß Johnsen mich aber tatsächlich nominiert hatte, überrascht mich. Ich erfahre es erst aus dem "Überblick".
Sie fragen auch nach Heydenreich. Ich hatte wenig Berührungspunkte zu ihm. Ich stand freundschaftlich zu ihm, wie zu allen anderen Mitarbeitern, aber ich hatte den Eindruck, daß er sich etwas hilflos fühlte. Er kam zuweilen in mein Zimmer und bat mich, ein Aktenstück für ihn bearbeiten, was ich auch gerne tat. Von ganz anderem Format war Meyer, mit dem ich echte Freundschaft schloß. Meyer wollte mir gern Ämter und Ehren zuschanzen, stieß aber bei mir auf entschiedene Ablehnung, da ich mich nicht noch stärker exponieren wollte.
Merkwürdigerweise wird die nicht unwichtige Rolle von Dr. Timmermann von Ihnen nicht erwähnt. Timmermann arbeitete unter mir im LKA bis er 1933 zum Bürgermeister von Dömitz ernannt wurde. Zwei Jahre später war er zum Oberregierungsrat im Staatsministerium aufgestiegen. Er war von Klagges, aber auch von Alpers und Hoffmeister geschätzt. Er war Pate von Alpers Kindern. Er machte militärische Übungen mit und stieg im Kriege ¬ soweit ich unterrichtet bin- zum Major d. Res. auf. Ich hörte auch, daß er vor Kriegsausbruch von Göring zum Staatsekretär gemacht worden war. Im Gegensatz zu Hoffmeister war Timmernann ein großer Idealist. Als er einmal aus Nürnberg vom Reichsparteitag heimkehrte war er ganz über sich weg und zitierte Schirachs Vers:
Was sie auch Dome schufen –
für uns sind Altar die Stufen
der Feldherrnhalle.
und fragte mich: kann man in Ihrem Glauben wirklich noch leben? Ich antwortete: Sie fegen unsere herrlichen Dome vom Tisch. Was für eine Glaubenskraft gehört dazu, so etwas Großes zu schaffen und wie winzig erscheinen dagegen die paar Stufen zur Feldherenhalle! Immerhin dachte Timmermann nicht an seinen persönlichen Vorteil, an Avancement und Macht. Er wollte ein ehrlicher Kämpfer sein für seinen göttlich verehrten Führer. Er hätte keinen Menschen um Stellung und Brot gebracht, während Hoffmeisters ganzes Trachten darauf angelegt war, durch Ausschaltung und Vernichtung anderer unter Einsatz legaler oder illegaler Mittel Vorteile zu erreichen. Timmermann war ehrlich und offen, Hoffmeister verlogen und hinterhältig, Er hätte jeden Verrat begangen, wenn es ihm nützlich gewesen wäre, Timmermann hätte sich dagegen lieber in Stücke zerreissen lassen, als seinen Idealen untreu zu werden.
Auf Ihre Frage, ob die Kirche sich wegen ihrer Geldnot lieber an Preussen verkauft hätte, als zu hungern, ist zu sagen, daß solche Betrachtungen m.W. nicht angestellt wurden. Gewiß hätte mancher eine Vereinigung mit Hannover begrüßt, zumal so liebenswerte Persönlichkeiten wie Ahlhorn mit uns eng zusammenarbeiteten. In meiner Zeit wurden so grenzüberschreitende Probleme m.W. nicht erörtert. Viel näher lag die Frage, ob das LKA in Wolfenbüttel bleiben sollte oder nach der Stadt Braunschweig verlegt werden sollte. Hier traten ganz gegensätzliche Wünsche zutage. Ich kam aus Hamburg und zog die Kleinstadt vor. Überall wo ich gelebt hatte, strebte ich nach dem Leben en miniature, in Hamburg an den Stadtrand (Blankenese), in Paris in den Vorort (St. Germain-en-Laye).Für mich war Wolfenbüttel der richtige Platz, Lambrecht dagegen kam aus Neuwerk b. Rübeland im Harz und verbrachte seine Ferien wiederum in Neuwerk, diesmal vor Cuxhaven gelegen. Dazwischen lag das hübsche Wolfenbüttel, das ihm jedoch gar zu klein geraten war. So plädierte er für die Sitzverlegung nach Braunschweig.
Zu Ihrer weiteren Frage, warum die Kirche gezwungen war, ständig Prozesse gegen den Staat zu führen, ganz gleich, ob die Staatsregierung rechts oder links stand, ist zu sagen, daß die angeblich ideologisch bedingte Taktik eines Jasper garnicht so ideologisch bedingt war und von einer Kirchenfeindlichkeit der Rechtsregierung konnte man auch nicht sprechen. Die Wahrheit war: alle hatten Finanzsorgen und wollten sparen. Die Linken dachten dabei, ein bisschen weniger Kirche ist ganz gut, die Rechten meinten, in knappen Zeiten muß jeder den Gürtel enger schnallen. Unterschwellig konnte ich bei meinen Verhandlungen aber immer wieder feststellen, daß alle meine Gegenspieler von dem Gedanken beherrscht waren, man müßte eine bessere Regelung finden als das Aufwärmen oder Wiederbeleben uralter verstauter Rechte.
Es erben sich Gesetz und Rechte
wie eine ew'ge Krankheit fort,
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage......
Da es aber keinen vernünftigen machtvollen Menschen gab, der die Existenz der Kirche zu sichern bereit war, blieb der Kirche notgedrungen nichts anderes übrig, als um jedes einzelne Recht zu kämpfen.
Zum Schluß will ich noch Ihre letzte Frage beantworten:
Mein Lebenslauf nach dem Kriege war uninteressant. Ich war ja Mitten im Krieg nach Hamburg zurückgekehrt, meiner Vaterstadt, Hier betrieb mein Vater ein Metall- und Eisenwerk und bat dringend um meine Unterstützung, da die Kriegsfertigung für den Ubootbau - zumal bei den zunehmenden Bombenangriffen - seine Kräfte überstiegen. Die Kriegsmarine verlangte deshalb meine u-k-Stellung für kriegsentscheidende Fertigung. lm März 1945 ging mein Werk in Trümmer, 16 große Bomben hatten alle Hallen restlos zerstört und das Gelände in eine Mondlandschaft verwandelt. Jetzt stand ich plötzlich im Zwiespalt meiner Pflichten. Sollte ich nach Wolfenbüttel zurückgehen, nachdem Hoffmeister verschwunden war, und in den kirchlichen Dienst zurückkehren, oder war es nicht meine oberste Pflicht, meiner Belegschaft zu helfen, wieder ein Dach über den Kopf zu bekommen und einen Arbeitsplatz zu erhalten. Meine Belegschaft hatte die schweren Bombennächte - wenn auch mit betrüblichen Verlusten - durchstanden. Ich fühlte mich mit Ihnen durch " Blut, Schweiß und Tränen" eng verbunden und brachte es nicht fertig, sie jetzt einfach im Stich zu lassen. Der Wiederaufbau zog sich hin. Er dauerte rd. 10 Jahre. Es waren bittere Jahre für mich. Aber ich bin froh, sie glücklich durgestanden zu haben.- Jetzt lebe ich im Ruhestand, pflege meinen großen Garten und den Kontakt zu Kindern und Enkeln.
Mit freundlichem Gruß
Ihr
     


Schon eine Woche später nahm Jürgens den Erinnerungsfaden auf und stellte sie vorwiegend in den Zusammenhang mit seinem persönlichen Arbeitsfeld, dem Wolfenbüttler Landeskirchenamt. Es ist mit 10 Seiten einer der längsten Briefe. Jürgens zeichnet in kurzen Strichen die Mitarbeiter im Landeskirchenamt, die er erlebt hatte wie Steffen, Bruncke, Lambrecht, Heydenreich, Timmermann, Breust, beginnend aber erneut mit den Bischof Bernewitz und Johnsen, indem er der Darstellung im Überblick, den er erhalten hat, widerspricht, wie schon im vorhergehenden Brief. Ausführlicher jedoch beschäftigt sich Jürgens mit Hoffmeister, der das Ende seiner Dienstzeit in Wolfenbüttel betrieben hat, und noch während des Schreibens nach einem Grund für dessen abstoßendes Verhalten sucht.
Abweichend von der traditionell kritischen Einschätzung der kirchendistanzierten Regierungsseite nennt Jürgens das Verhandlungsklima mit Jasper, Marquordt, Kiehne und Böse „ungetrübt“. Offensichtlich wurde das Verhandlungsklima durch die Anwesenheit von OLKR Dr. Breust verschlechtert. Jürgens widmet einen aufschlussreichen Einblick dem Innenleben von Breust. Der Brief endet mit einer Beschreibung seines Lebens nach dem Kriege in Hamburg.



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Juergens/, Stand: März 2022, dk