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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Der Quellenteil

Jürgens Brief vom 26.07.1982

Hamburg, den 26.7.82

Dr. Jur. Hans-Wilhelm Jürgens
2 Hamburg 55 Blankenese
Babendiekstr. 2
Fernsprecher 86 28 92

Herrn Pastor Dietrich Kuessner
Kirchstr. 3
3333 Büddenstedt

Sehr geehrter Herr Pastor!
Im Nachgange zu meinem Schreiben vom 16.7.82 übersende ich Ihnen anliegend ein paar Schriftstücke, die ich in der Zwischenzeit noch gefunden habe:
1. In dem Brief von Bernewitz und der Kirchenregierung vom 25.2.28 wird die von Breust gewählte Form seines Wahlkampfes für die Aufwertungspartei hart kritisiert. Wenn Bernewitz schreibt: “Die Art der politischen Betätigung des Dr. Breust drohte zur Katastrophe zu führen“, so beweist diese Formulierung, daß Bernewitz im Interesse der Kirche auch vor harten Worten nicht zurückschreckte.
2. Das beigefügte vertrauliche Schreiben von Johnsen vom 30.8.40 kennzeichnet die Lage, in die er durch Hoffmeister gebracht wurde.
Johnsen war genau so verzweifelt wie ich. - Ob die Vertraulichkeit des Dokuments mich heute noch bindet, glaube ich - 35 Jahre nach Johnsens Tod - verneinen zu müssen, da die Klärung historischer Fragen Vorrang hat.
3. Sie haben den Eindruck, daß Hoffmeister nach dem Kriege zum Sündenbock gemacht wurde. Das Schicksal Johnsens und mein eigener Lebensweg spricht genau so dagegen wie das Ausscheiden von Lambrecht aus dem kirchlichen Dienst. In meinen Augen handelte Hoffmeister charakter- und gewissenlos, weil er sich als Dissident und Kirchenfeind zum Treuhänder und Sachwalter der Kirche ernennen ließ. Man muß auch die ungeheure Spannung der damaligen Zeit berücksichtigen. Wer diese Jahre nicht persönlich erlebt hat, kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, unter welchen Bedrohungen, Drangsalierungen und Rechtsbrüchen viele Deutsche damals leben mußten.
So las ich damals zu meinem Erstaunen in der Zeitung unter der Überschrift "Unschädlichmachung von vorsätzlichen Feinden des Staates", daß insbesondere von meinem Grundstück Adolf Hitlerstr. Nr. 15 (früher Neuer Weg 15) eine vom Rundfunk übertragene Führer-Rede vorsätzlich und böswillig gestört worden sei. In der Bekanntmachung heißt es weiter: "Die schärfsten Maßnahmen gegen solche vorsätzlichen Verbrechen am deutschen Volkskörper werden ergriffen. In den Konzentrationslagern ist für solche Kreaturen noch genügend Platz".
Die Verdächtigung bzw. Beschuldigung war völlig aus der Luft gegriffen, eine Richtigstellung wurde aber nicht zugelassen.
Auch konnte ich meinem Kameraden Ackenhausen nicht beistehen, als er von dem Sturmbannführer Günther in Wort und Tat zu Unrecht angegriffen wurde. Günther sah es schon als Beleidigung an, daß ich mit "Herr Günther " anredete statt mit "Führer des Sturmbannes III/46 Obersturmführer Günther". Er drohte mir im Falle einer Sachaufklärung mit der "lebhaften Teilnahme" der Nationalsozialisten, insbesondere "seines engeren Kreises", auch mit Einschaltung der Presse, die den “sensationellen Fall“ mit „größtem Heißhunger“ „aufsaugen“ würde, damit Wolfenbüttel auf längere Zeit ein "angenehmes" Gesprächsthema hätte!
Es verstand sich von selbst, daß es den SA-und SS-Männern nach der Machtübernahme oft an barem Geld fehlte. Der einfachste Weg der Geldbeschaffung war - mit gezogener Pistole - eine "Spende" zu kassieren und zwar auch von mir in meinem Büro, nachdem mein Büropersonal im Vorzimmer beiseite geschoben wurde. Meine Bürokasse wurde unter Drohung geraubt. Der Raub lohnte nicht, denn in der Kasse lag kein größerer Betrag.
Auch in meiner Wohnung, Neuer Weg 15, machte man sich breit: Standartenführer Hannibal persönlich mit seinem Stab von 4 Leuten begehrte Einlaß. Man inspizierte mein Haus und beanstandete, daß in keinen Zimmer ein Hitlerbild zu sehen sei. Bei der nächsten „Inspektion“ hätte ein solches Bild vorhanden zu sein! Da man so schonend mit mir umgegangen sei, erwarte man, daß ich mich mit Bier oder Wein erkenntlich zeige. Die Eindringlinge machten es sich in meinen Sesseln bequem und löschten ihren Durst..
Wenn solche Hausinspektionen auch gesetzwidrig waren, sie wurden von Hannibal doch in gezügelter Form vorgenommen, trotzdem bekam Hannibal nach Kriegsende wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit 5 Jahre Gefängnis und Sturmbannführer Günther 2 Jahre und 8 Monate Gefängnis, womit zahlreiche tätliche Übergriffe der SA gesühnt werden sollten. In meinen Augen war Hannibal weit gemäßigter als Hoffmeister. Hannibal mußte aber für Ausschreitungen seiner SA büßen, obwohl das Gericht anerkannte, daß Hannibal sich stets bemüht habe, Ausschreitungen seiner Männer zu verhüten. Insofern wurde Hannibal zum Sündenbock gemacht für die nicht in Zaum zu haltenden SA-Horden.
Ganz im Gegenteil dazu war Hoffmeister die treibende Kraft, um die Kirche zu vernichten und ihre Verteidiger aus dem Wege zu räumen. Gewiß gab es nicht mehr viele Verteidiger der Kirche, denn wer wollte sich in einen so ungleichen Kempf stürzen! Alle Macht lag bei Hoffmeister. Wer sich ihm widersetzte, war verloren.
Natürlich konnte sich Hoffmeister nicht mehr auf Schläger im Braunhemd stützen, denn der Zeit der Machtübernahme wer eine Epoche der Machtstabilisierung gefolgt. Jetzt galt es mit Kabale und Hinterlist zu arbeiten. Hoffmeister verstand das meisterhaft. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß er bei allen NS-Stellen und Ämtern gegen mich intrigierte und zwar in erster Linie aus Neid, im übrigen, um ein Fundament der kirchlichen Rechtsposition zu sprengen. Meine Amtsenthebung war ja auch genau berechnet: Zwei Mitarbeiter sollten im Zimmer zugegen sein, das ganze Haus sollte sein Geschrei hören. Jeder im LKA sollte wissen, daß Hoffmeister jeden aus dem Amts jagen würde, bei dem nur der leiseste Verdacht einer Opposition aufkäme. Ich hatte mich zwar sehr vorsichtig verhalten und keinerlei begründeten Verdacht einer oppositionellen Handlung erregt. Es genügte ihm aber schon die Tatsache, daß ich ein Mensch war, der solchen Verdacht hätte erregen können.
(((Hoffmeister handelte wie Stalin, der gemäß Art. 58 Abs. 10 des sowjetischen Strafgesetzbuches berechtigt war, einen Menschen wegen der Art seiner nicht ausgesprochenen Gedanken zu verurteilen. Selbst wenn ein solcher Gedanke fehlte, unterstellte man, er hätte gedacht sein können! Das Schuldbewußtsein der Beschuldigten stellt sich von selber ein, dafür sorgen die Schergen des Staats.
Niemand wird Stalin oder Hitler zum Sündenbock für andere machen können, denn ihre Unmenschlichkeit was notorisch.)))

Ebensowenig kann man Hoffmeister von schwerer Schuld entlasten. Er war nur durchtriebener als andere, insbesondere als sein Parteigenosse Minister Alpers, der seine juristische Minderbegabung durch Forschheit auszugleichen versuchte. „ Bei der "Gleichschaltung" der Anwaltschaft benötigte Alpers zum Abschluß der Sitzung einen Paukenschlag vor Presse und Öffentlichkeit zur fortdauernden Einschüchterung aller Beteiligten. Er ließ den Rechtsanwalt Wagner wegen einer berechtigten Frage auf der Stelle verhaften. und aus dem Saale führen.
Hoffmeister hätte so nie gehandelt. Öffentliche Paukenschläge mochten wirkungsvoll sein, aber sie brachten auch öffentliche Kritik und Gefahren. Ampere bejahte offen die Vernichtung seiner Gegner. Hoffmeister hätte zu der am 6.7.33 in der Mühlenstrasse 6 in Wolfenbüttel erfolgten Folterung und anschließenden Ermordung der 3 Wolfenbüttler Fischer, Perkampus und Müller öffentlich niemals Stellung genommen. Er hätte auch nie den Selbstmord des Domänenpächters bejaht, den Alpers bei einer Sitzung im Ministerium in meiner Gegenwart verlangte. Alpers setzte alles auf eine Karte und erschoß sich, als er verspielt hatte. Hoffmeister brauchte den Galgen nicht zu fürchten, denn was konnte man ihm mit absoluter Sicherheit schon nachweisen?
Mit Hoffmeister war auch eine Erörterung von Parteibefehlen und Erlassen absolut unmöglich da er sich nicht der Gefahr einer Fehldeutung aussetzen wollte.

(((Dabei gab es unendlich viele klärungsbedürftige NS-Anordnungen, deren Fassunser unverständlich oder mehrdeutig waren. Ich verweise hier nur auf den umstrittenen Erlaß des Gauleiterstellvertreters v. 22. 3. 34, der folgenden Wortlaut hatte:
Wie kann ich meine 10 Punkte erfüllen auf der Pflichtnachweiskarte des Gaues Südhannover-Braunschweig der NSDAP?
Als 10 Punkte zählt: wer als Jugendlicher seinen Arbeitsplatz zugunsten eines Verheirateten aufgibt, um Ehrendienst im FAD zu leisten
als 5 Punkte zählt: die Einstellung eines Volksgenossen auf mindestens 6 Monate bei ordentlichen Lohn.
als 1 Punkt zählt: der Werbedienst der Arbeitsschlacht bei 10 Familien
als 1 Punkt zählt: das Austragen von 100 Werbeschriften f. d. Arbeitsschlacht
als 1 Punkt zählt: des Verkaufen von 20 Eintrittskarten zu Veranstaltungen der Arbeitsschlacht
als 1 Punkt zählt: des genehmigte Reden in einer Veranstaltung der Arbeitsschlacht.
als 1 Punkt zählt: die Erteilung eines Reparaturauftrags v. 20.- RM
als 1 Punkt zählt: der Einkauf von Kleidung, Inventar pp mit 20.- RM
als 1 Punkt zählt: Die Anmeldung eines Radios oder Kauf d. Geräts
als 1 Punkt zählt: Kauf eines Autos, Photoapp. oder Badeeinrichtung
als 1 Punkt zählt: Erwerb eines Theaterabonnements, einer Wohnung oder eines Luftschutzkellers
als 1 Punkt zählt: eine Geldspende von 20.- RM für d. Arbeitsschlacht
als 1 Punkt zählt: die Darlehensgabe von 100.- zu Normalzins für die Arbeitsschlacht
als 1 Punkt zählt: die Mithilfe in der Arbeitsschlacht trotz Alter, Armut und Gebrechen
als 1 Punkt zählt: die Mithilfe in Arbeitsschlacht trotz schwerer Kriegsbeschädigung
als 1 Punkt zählt: die Heirat
als 1 Punkt zählt: 4 Wochen ehrenamtl. Dienst i. Arb.beschaffungsamt
als 1 Punkt zählt: wenn ein zusätzlich. genehmigtes Mittel erfüllt ist
als 1 Punkt zählt: jedes Kind, vom vierten Kinde an!

Die durch den Pflichtnachweis zu erfüllenden 10 Punkte im Gau Südhannover-Braunschweig hat auf Grund der persönlichen Verhältnisse der Einzelne ein-bis zehnfach zu erfüllen Hierüber entscheiden die Quittierungsberechtigten.
Diese obenstehenden Möglichkeiten, die zehn Punkte zu erfüllen, sind nach Überprüfung durch alle Dienststellen als endgültig zu betrachten und in Gemeinschaft mit der SA und HJ erlassen.
Ausführungsbestimmungen sind inzwischen den zuständigen Stellen im Gau zugegangen. Der Pflichtnachweis gilt für alle Volksgenossen vom 15. Lebensjahr an, für Betriebe und Organisationen aller Art im Gau Südhannover-Braunschweig.
Mußte man nicht angesichts dieses Erlasses am Verstand der Gauleitung zweifeln? Mit 10 neugeborenen Kindern zu bereits vorhandenen 4 Kindern konnte man den Pflichtnachweis erbringen, aber auch mit der Erteilung eines Reparaturauftrages von insgesamt 200.- RM!)))
Ein weiteres Problem bildeten die Preisstoppgesetze: In einer Gemeinde wurden die Fabrikanten Ernst Flack und Paul Adams ins KZ geworfen, weil sie zu wenig verdienen wollten und ihre Produkte zu billig verkauften und damit den Wirtschaftsfrieden störten! In einer anderen Gemeinde wurde Otto Pförtner ins KZ geworfen, weil er zuviel verdienen wollte und Überstunden gemacht hatte.
Auch mir drohte ein Strafprozeß wegen krimineller Preisverstöße. Als Leiter der Grundstücksabteilung sollte ich überhöhte Preise gefordert haben. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Anzeige gegen mich von Hoffmeister veranlasst worden war. Da aber die Untersuchung gegen mich in Händen der Kriminalpolizei und nicht der NSDAP lag, hatte ich nichts zu befürchten. Das Verfahren wurde eingestellt.
Eine schwierige Lage ergab sich zuweilen für die Landwirte: Wer seine durch Witterungsverhältnisse gefährdete Ernte sichern wollte und dazu einen NS-Feiertag benutzte, mußte mit Verhaftung rechnen. Der Gemeindevorsteher und Bauer August Johns in Adersheim mußte seinen dringend erforderlichen Ernte-Einsatz mit KZ-Haft büßen. - Wer aber nicht gebührend für die Sicherung der Ernte sorgte, mußte als Saboteur der Erzeugungsschlacht mit seiner Verhaftung rechnen.
Gefährdet waren vor allem die Personen, die ohnehin als politisch unzuverlässig gelten:
So las ich eines Tages, daß eine Frisörinnung beschlossen habe, die Selbstrasierer als Schwarzarbeiter zu brandmarken. Um nicht als solcher verteufelt zu werden, beauftragte ich den in meiner Nähe wohnenden Frisör Müller, mich allmorgendlich in meinen Hause zu rasieren. Das war ein schwerer Fehler: Men erkannte zwar an, daß ich durch Verzicht aus meine Selbstrasur zwar kein Schwarzarbeiter sei, aber ich hätte die Arbeitsschlacht gröblichst sabotiert, indem ich einem bereits wirtschaftlich gesicherten Frisörmeister zu weiterem Verdienst verholfen hätte. Meine Pflicht wäre es gewesen, von Müller zu verlangen, daß er sofort einen Gesellen einstelle und von diesem hätte ich mich bedienen lassen müssen.
Völlig ungeklärt wer auch die Judenfrage: Jeder Wolfenbüttler bekam eine Liste aller jüdischen Geschäfte ausgehändigt mit dem Hinweis, wer beim Juden kauft ist ein Volksverräter! Die Namen der Käufer in jüdischen Geschäften wurden listenmäßig angeprangert. Auf einer Liste standen nun die Namen der Wolfenbüttler Juden Pohly, Kaufmann und Moses, die alle drei in einem jüdischen Geschäft gekauft hätten. Waren die Juden nun Volksverräter, weil sie bei ihren Rassegenossen gekauft hatten? Oder sollten die Juden nur bei Ariern kaufen, die Arier aber nicht bei Juden ? Im letzteren Fall hätte Breust ja völlig korrekt gehandelt, als er ein geringwertiges Stückchen Land gegen gutes Geld an einen Juden verkaufte!
Damit sind wir wieder bei dem Problem Breust, das wohl auch in der Zukunft nicht gelöst werden kann:
Niemand im Dienste der Kirche hat so widersprüchlich gehandelt wie Breust, niemand hat so viel Intelligenz mit so wenig Menschenkenntnis in sich vereinigt, niemand hat so viel unberechtigten Zorn und ebenso viel unberechtigte Gunst verteilt! Es war unberechenbar, wer von ihm als Freund, und wer als Feind deklariert wurde! Zu mir zeigte er immer eine positive Einstellung (was die anliegenden Briefe bestätigen), obwohl ich eindeutig auf Johnsens Seite stand. Auch Timmermann sieht Breust in einem ganz falschen Licht. Breust wittert in ihm den Staatskommissar, der ihn und alle Mitarbeiter des LKA „hinauskanten“ wollte!
Breusts Gedanken führen in einen Irrgarten. Niemand wird ihn in seinen Widersprüchen verstehen und niemand wird sein Bündnis mit Hoffmeister billigen können.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
     

PS.
Ihren wir freundlicherweise
zur Verfügung gestellten
„Überblick“ möchte ich gerne behalten.
Kann ich ihn käuflich erwerben?
Gegebenenfalls wäre ich Ihnen für
Aufgabe des Preises und des Bankkontos
dankbar.


Jürgens hat in seinen im Keller aufbewahrten Unterlagen noch weiter gesucht und einige Aktenstücke gefunden, darunter den persönlichen Brief des Bischofs vom 30.8.1940, der ausschnittsweise auf der Bildseite wiedergegeben ist. Jürgens gibt in diesem Brief vor allem das Klima im nazifizierten Wolfenbüttel wieder und nennt dabei den Sturmbannführer Günther und Standartenführer Hannibal, sowie eine Begegnung im Dienstzimmer des Ministers Alpers.



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Juergens/, Stand: März 2022, dk