Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Der Quellenteil

Jürgens Brief vom 18.08.82

Hamburg, den 18.8.82


Herrn Pastor Dietrich Kuessner
3333 Büddenstedt

Sehr geehrter Herr Pastor!
1.     Mein Bernewitz-Bild habe ich umgeschrieben. Anbei die Neufassung.
2.     In den Akten finden Sie den Namen Jürgens sehr oft.
Damit Sie durchfinden:
Ich firmierte ursprünglich: Dr. Jürgens Ra. Wolfenbüttel
u. nach Hinzunahme eines Stadtbüros in Braunschweig: Dr. Jürgens Ra. in Braunschweig u. in Wolfenbüttel
u. nach meiner Assoziation mit den Ra. Weichsel und Gramm: Dr. Jürgens II in Braunschweig
Alle 3 vorgenannten Jürgens sind also identisch!
Daneben gab es meinen Onkel, Bruder meines Vaters, der mit Justizrat Jürgens firmiert. Er war oft mein Prozeßgegner!
Schließlich gab es noch meinen Vetter Rolf Jürgens, der mit dem Justizrat assoziiert war. Auch er trat gelegentlich als mein Prozeßgegner auf.
3.     Ich habe mich weder politisch noch kirchlich irgendwie festgelegt. Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Ein deutscher Pfarrer galt m. E. etwas, wenn er glaubensstark war, sein Vaterland, seine Heimat liebte, Ehre, Tradition u. Familie schätzte. Für ausländische Priester galt dasselbe. Ich lauschte einem Pfarrer in einem kl. Dorf auf Sizilien und war so ergriffen, daß ich mich mit ihm anfreundete. Daß er Katholik war, störte nicht: Bischof Beye war Nazi, aber kein Pfarrer, seine Amtseinführung im Dom zu Br. war eine NS-Kundgebung, aber kein Gottesdienst.
4.     Über alle Glaubensstreitigkeiten quer durch die Jahrhunderte schüttelte ich nur den Kopf. Schon mit dem Konzil zu Nicäa ging es los. Doch zwischendurch gab es Lichtblicke, wie die Jungfrau v. Orleans, die mir zeitweilig näher stand als Christus, Ich sah aber auch, daß der Glaubenskampf sein Gutes haben kann. Der Hamburger Hauptpastor Goetze hat durch seine Fehde mit Lessing die Antigoetzebriefe hervorgerufen und damit zum Nathan beigetragen. In heutiger Zeit stehen mir die Pfarrer fern, die als aalglatte Wortverkünder ihren Glauben als Salonlöwen zur Schau tragen.
5.     Was mir an Johnsen so gefiel, war, daß er mich offen fragte: Sagen Sie ehrlich, kommen meine Worte, Aufrufe u. Proteste an oder empfinden Sie sie mehr als Wortgeklingel. Dabei übergab er mir einen Aufruf zur kritischen Stellungnahme. Ich antwortete: Wortgewalt kann schön sein, oft aber auch erdrückend. Der heutige Aufruf ist mir am Schluß zu bombastisch. Johnsen klopfte mir auf die Schulter und sagte: bravo, das habe ich gefühlt, aber nicht erkannt und wer korrigiert mich schon!
6.     Mit der Ansicht von Lektor Rudi Chmilewski im Bericht über die Kirche im Nationalsozialismus stimme ich nicht überein. Ch. sah 2 Möglichkeiten, dem Naziterror Einhalt zu gebieten: durch Kirche und Wehrmacht. Der Kirchenleitung in ihrer Gesamtheit müßte es 1934/38 möglich gewesen sein - natürlich unter Opfern - eine feste Position gegen die NSDAP zu beziehen und zu siegen. Die Wehrmacht amputierte sich selber, als sie den Treueid auf Hitler leistete. Unter Aufopferung des Einzelnen hätte sie in ihrer Gesamtheit den Eid als verfassungswidrig erklären müssen und damit Hitler zum Rücktritt oder Änderung seiner Zielsetzung zwingen müssen.
Ich frage: Wie sollen denn solche Gesamtheiten gebildet werden? Sollen alle die, die in alter Tradition aufgewachsen waren u. als gute Lutheraner ehrlich davon überzeugt waren, daß Thron und Altar zusammengehören, plötzlich erleuchtet werden u. ihren Irrtum erkennen und sich auf Gedeih und Verderb mit denen verbinden, die Hitler schon in den Anfängen durchschauten. In einer Zeit der
Ratlosigkeit u. Umorientierung erwartet Ch. die Einheit des Handelns. Noch weltenferner ist die Ansicht, die Wehrmacht hätte den Eid verweigern müssen. Der Eid galt ohnehin nicht mehr viel seit
Wilhelm II. die Flucht nach Holland ergriff und der Kronprinz ihm folgte. Der Eidbruch war nur noch ein Argument fürs Kriegsgericht. Nicht vom Eid, aber von der Soldatenehre hätte der Widerstand gegen Hitler erfolgen müssen. Aber wie sollte man Geschlossenheit erreichen, wo die einen den Anfängen wehren wollten, die anderen erst einmal den Verlauf des Geschehens abwarten, die dritten aber dem Grundsatz: right or wrong, my country folgten. Und selbst wo eine Einheit gegen den Terror zustande kam, wie bei den Tschechen unter Dubcek, hat es dem Lande nichts genutzt.
In Ungarn so wenig wie z. Zt in Polen. Die Auflehnung der Wehrmacht 1934 hätte mit Sicherheit einen Bürgerkrieg ausgelöst, vielleicht mit dem Untergang Hitlers, aber bestimmt auch der Mehrheit des deutschen Volkes.
Und die Kirche, die dem Rat von Ch. gefolgt wäre, wäre mit Stumpf und Stiel ausgelöscht. Nein, solch blutrünstigen Rat sollte man nicht geben.

Da lobe ich lieber den guten Bernewitz mit seinem Wort: Es ist gleich, ob man als Nazi oder Antinazi verschrien wird, maßgeblich allein ist die Sicherung der Kirche u. unseres Glaubens.
     



Zum nächsten Kapitel
Zum vorherigen Kapitel
Zum Inhaltsverzeichnis


[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Juergens/, Stand: März 2022, dk