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[Kirche von unten]

Die Geschichte der Revision der biblischen Lesungen (Perikopen)

im Gottesdienst der Braunschweigischen Landeskirche
in den Jahren 1852 - 1950

Wie es weiterging

Die beiden Perikopenreihen fanden in der Braunschweiger Pfarrerschaft sichtbare Anerkennung.

Predigtbände über die neue Perikopenreihe
Schon 1878 erschien ein Predigtband über die evangelischen Perikopen des zweiten Jahrganges mit Auslegungen für 72 Gottesdienste von insgesamt 54 Braunschweigischen Pfarrern. Diese enorme praktisch-theologische Pfarrerinitiative war von Pfarrer Gustav Stutzer organisiert und im Verlag der Erkeroder Anstalten, dessen Direktor er war, gedruckt worden. Er gab der Predigtsammlung den Titel "Aus dem Heiligtum". Dieser Predigtband war noch einmal eine Bestätigung für die Richtigkeit einer zweiten Lese- und Predigtreihe, und er gibt noch heute eine Übersicht über die Predigtweise im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in unserer Landeskirche. Es sind keine Predigten aus den großen Kirchen, sondern von Landpfarrern für Landgemeinden. Sie wollen behältlich sein, enthalten eingangs eine knappe, dreiteilige Gliederung und gehen nach einer Darstellung des biblischen Texte ohne Umschweife auf die praktische Alltagsanwendung zu. Sie haben die Gottesdienstbesucher im Blick und wollen Erkenntnisse vermitteln, erbauen, mahnen und trösten. Sie überspringen den garstigen historischen Graben. Zwei Jahre vor seinem 1880 erfolgten Tode konnte Konsistorialrat Abt Wilhelm Hille das Erscheinen dieses Predigbandes noch als Bestätigung seines Entwurfes von 1848 erleben.
1885 erschienen unter der Überschrift "Jerusalem und Vineta" Predigten für die Episteln der zweiten Reihe aus der Feder des Superintendenten W. Faber aus Bitterfeld, bei Hellmuth Wollermann, dem Braunschweiger am Bohlweg, gedruckt und dem Gedächtnis des Wolfenbüttlers Pädagogen Justus Jeep gewidmet. 1888 gab der bekannte Pfarrer Wilhelm Brodkorb, Superintendent in Benzingerode, zwei Jahre nach seiner Emeritierung im 80. Lebensjahr einen Predigtband über die Evangelienlesungen heraus. "Blätter vom Baume des Lebens" nannte er sie.
1891 erschienen Predigten über die Episteln des zweiten Jahrganges von Paul Beste unter dem Titel "Licht auf dem Wege". Beste war 36 Jahre alt und Pfarrer in Wendeburg, also ein Vertreter der jüngeren Generation. Diese Predigtbände festigten die doppelte Perikopenreihe in der Braunschweiger Landeskirche.

Der Vorschlag der Eisenacher Kirchenkonferenz
Die Perikopenrevision ging auf Reichsebene weiter. Die Eisenacher Kirchenkonferenz, ein lockeres, jedoch gehaltvolles Treffen der Kirchenleitungen im Reichsgebiet, deren Vorsitz lange die Wolfenbüttler Vizepräsidenten inne hatten, hatte sich seit 1888 eine Perikopenordung auf Reichsebene vorgenommen. Die beiden Superintendenten Heinrich Hummel und Anton Keunecke hatten sich schon 1852 für einen gemeinsamen, reicheinheitlichen Weg ausgesprochen. Die Eisenacher Konferenz tagte im zweijährigen Rhythmus. 1890 einigte man sich auf eine Rückkehr zur altkirchlichen Perikopenreihe. Jene Landeskirchen, die in den 30er und 40er Jahren wesentliche stärkere Eingriffe in die sonntäglichen Lesungen vorgenommen hatten, hatten sie auf ihren Synoden wieder zurückgenommen. Für die Braunschweiger Landeskirche bedeutete dies keine Neuerung. Das entsprach dem Synodenbeschluss vom 1872. 1892 jedoch gab es eine tiefgreifende Neuerung. Es wurde eine Reihe mit alttestamentlichen Texten beschlossen, die neben die zwei Jahrgänge treten sollte. Damit knüpfte die Eisenacher Konferenz an alttestamentliche Reihen an, die in den sächsischen. nassauischen, rheinischen Landeskirchen schon bestanden. Prälat Habicht, stellte das Ergebnis der Kommission vor. und Abt Uhlhorn, Hannover, äußerte in einem Korreferat allerlei Bedenklichkeiten. Der Vorschlag sah für jeden Sonntag einen a.t. Text vor: 23 aus den Psalmen, 16 aus Jesaja, 5 aus Jeremia, 4 aus den Sprüchen Salomos, und weitere aus dem 1.2. und 5. Buch Mose, 1.und 2. Könige, 2. Samuelis, Hiob und den Profeten Micha, Jeremia, Hesekiel, Daniel, Sacharja, Maleachi. Dieser Entwurf wurde im Juni 1892 beschlossen. Präsident dieser Synode war der Wolfenbüttler Vizepräsident Heinrich Sallentien. Im Juni 1896 verabschiedete die Konferenz unter Vorsitz von Sallentien eine zweite Evangelien und Epistelreihe, empfahl die nunmehrigen drei Perikopenreihen den Kirchenleitungen zur Beschlussfassung und ließ ein Perikopenbuch drucken. Es ist mehr als bedauerlich, dass Herwarth v. Schade und Frieder Schulz in ihrem Bericht über die Eisenacher Konferenz die Installation der a.t. Reihe nicht ausreichend würdigen.
In der Landeskirche wurde dieses Eisenacher Perikopenbuch bestellt und benutzt. Durch seinen großen Druck und die untereinander gesetzten Texte des ersten und zweiten Jahrganges samt dem a.t. Teil war es für den Gebrauch im Gottesdienst praktisch. Aufmerksame Benutzer konnten feststellen, dass der Epistelteil des zweiten Jahrgang doch erheblich von dem Braunschweigischen Perikopenbuch abwich.

Als die Landessynode 1902 ein neues Gesangbuch verabschiedete, beschloss sie den Abdruck der drei Reihen in dem Gesangbuch. Das Konsistorium ließ ein neues Perikopenbuch in Leder und Goldrand drucken und den Kirchengemeinden zukommen.

Bewährung in schweren Zeiten
50 Jahre hatte der Prozess der Perikopenrevision in unserer Landeskirche, von 1852 bis 1902, gedauert. Diese drei Reihen im Braunschweigischen Gesangbuch von 1902 begleiteten Gemeinden und Prediger die nächsten 50 Jahre bis ca. 1950, also durch die schwierige Zeit der Kirchenumgestaltung seit 1918 mit neuer Verfassung, erstmaligem Bischofsamt und finanzieller Unabhängigkeit, durch die Anfechtungen und Gefährdungen der nationalsozialistischen Zeit und durch das Gottesgericht über die evangelische Kirche in den Jahren 1944/45.
Es gab 1945 und in den folgenden Jahren nur Anlass zu lautem Dank an Gott für die Bewährung in schwerer Zeit mit dieser Perikopenreihe.

Die Beseitigung der Revisionsergebnisse durch OKR Mahrenholz 1949
Statt Dank legte OKR Christhard Mahrenholz den Mitgliedern der ersten Synode der Vereinigten Lutherischen Kirche im Januar 1949 in Leipzig ein neues Gesangbuch sowie eine neue Perikopenreihe vor. Während die Vorlage des neuen Gesangbuches nach einer ungewöhnlich langen Einbringungsrede durch OKR Mahrenholz von der Generalsynode ohne weitere Aussprache am Vormittag des 27. Januar 1949 angenommen worden war, erzeugte die Vorlage eines neuen Lektionars den Widerspruch einiger Synodaler. In seiner Einbringungsrede am Nachmittag des 27. Januar behauptete Mahrenholz wahrheitswidrig, die Vorlage übernehme jene der Eisenacher Konferenz von 1896. Den Synodalen lag indes keine ausreichende gedruckte Vorlage vor, weder für das neue Gesangbuch, geschweige denn zu der neuen Perikopenreihe, angeblich aus Geldmangel. "Das Lektionar, das Ihnen nun vorliegt, ist nun eigentlich in keinem Stück neu ausgearbeitet; bereits die Eisenacher Kirchen-Konferenz hatte 1896 ein Perikopenbuch ausgegeben, in dem es die sogenannten alten Perikopen, die die lutherische Kirche aus der Zeit vor der Reformation übernommen hatte, und die z.T. in älteste Zeiten zurückgehen, wieder zum Abdruck brachte. Was Sie hier vorfinden, ist in allen wesentlichen Stücken eine Wiederholung dessen, was in dem Eisenacher Perikopenbuch steht." Das war ein dreiste Unwahrheit. Mahrenholz hatte nämlich zwei Drittel der Eisenacher Perikopenreihe kurzer Hand gestrichen, also die vollständige zweite Reihe und die a.t.Reihe. Letzteres war nach der Judenverfolgung besonders auffällig und 1949 völlig unannehmbar. Es war indes erklärbar, denn Mahrenholz hatte seine Gesangbuchvorlage bereits 1936 für eine lutherische Kirche m Großdeutschen Reich konzipiert. Da hätte eine a.t. Perikopenreihe nicht hineingepasst. Es ist ein unverzeihliches Versäumnis der Arbeit von v. Schade und Schulz, dass sie diesen dramatischen Eingriff in die Perikopenarbeit der letzten 100 Jahre in ihrer Übersicht von 1978 nicht beschrieben haben. Es ist ein Zeugnis für die unter Lutheranern öfters anzutreffende "falsche Brüderlichkeit". Das Streichen der a.t.Reihe aus dem Perikopenwerk der Eisenacher Konferenz durch die lutherische Generalsynode 1949 verdient ein Bußwort und eine deutliche Korrektur bei der Bewertung der Arbeit von OKR Mahrenholz. Erstmals beschreibt Karl Heinrich Bieritz diesen Vorgang: "sang- und klanglos wurde auch die von Eisenach geschaffene alttestamentliche Reihe zu Grabe getragen - eine Entscheidung, die angesichts der nur wenige Jahre zurückliegenden Erfahrungen aus NS-Herrschaft und Kirchenkampf im nachhinein einigermaßen verwundert."

Allerdings regte sich während der Plenarsitzung der Lutherischen Generalsynode 1949 auch Widerspruch, indes nicht gegen den Wegfall der a.t. Reihe. Der Synodale Dietzfelbinger bemerkte, dass die Vorlage "in manche bisherige Ordnungen stark eingreift". Er wünschte, die Vorlage "genau durchzuarbeiten" und berief sich auf "Gründe der Gewissenhaftigkeit". Obwohl die Bedenken von den Mitgliedern des Liturgischen Ausschusses Knolle und Mahrenholz wortreich zurückgewiesen wurden, griff auch des Synodale Ihmels die Kritik auf: "Wir befinden uns hier in einem sehr schweren Dilemma". Ihmels kritisierte die große Fülle der Aposteltage, auch die Zählung der Sonntage nach Michaelis. Es bestünden "gegen manche Dinge schwere Bedenken". Auch der Synodale Herntrich schloss sich diesen Bedenken an. Ihmels brachte noch einen Zusatzantrag ein, die Kirchenleitungen zu bitten, "die in der Generalsynode geäußerten Bedenken noch einmal zu überprüfen". Die Vorlage erhielt eine Gegenstimme und zwei Enthaltungen; für die Lutherischen Kirchenleitungen ein kritischer Hinweis.

Das neue Braunschweigische Gesangbuch, das der Landeskirchentag im November 1949 beschlossen hatte, enthielt mit dem Sonderanhang und den populären Kinder- und Weihnachtsliedern bereits einen Extrastatus. Um die nunmehr zerstörte Perikopenreihe, die man im bisherigen Gesangbuch gut studieren konnte, hatte sich keiner gekümmert und den wahrheitswidrigen Behauptungen von Mahrenholz vertraut. Eine hundertjährige Gesangbucharbeit war zerstört. Die antiquierte altkirchliche Perikopenreihe befand sich im neuen Gesangbuch wie anno 1847, ohne auch nur die kleinen Revisionen des damaligen Konsistoriums aufzugreifen.

Dieser unerquickliche Zustand hielt in der Landeskirche bis zum neuen Gesangbuch (EG) 1992 an. Dort waren wiederum die sonntäglichen Perikopen abgedruckt, neben dem Evangelium und der Epistel auch eine Reihe a.t. Texte, eine Revision, die schon 1978 vorgenommen worden war.


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Perikopen/, Stand: Dezember 2016, dk