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[Kirche von Unten]

Die Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug

von Dietrich Kuessner

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Der Kreuzzug Hitlers gegen die Sowjetunion

Die Niederwerfung der Sowjetunion war das eigentliche politische Ziel des Krieges. Für Hitler war der 1939 begonnene europäische Krieg von vornherein ein Weltkrieg. Er zielte auf die Sowjetunion. Hitler betrachtete den Krieg als „heilige Mission“ und deklarierte ihn zum „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“. Zwar hatte Hitler vor dem Reichstag nach dem Frankreichfeldzug am 19. Juli 1940 erklärt: „Das deutsch-russische Verhältnis ist festgelegt“, er habe mit Rußland eine „nüchterne Interessenfestsetzung“ vorgenommen, „um einmal für immer klarzulegen, was Deutschland glaubt, für seine Zukunft als Interessengebiet ansehen zu müssen, und was umgekehrt Rußland für seine Existenz als wichtig hält“, aber bereits seit Juni 1940 plante Hitler den Überfall auf die Sowjetunion. In der Weisung Nr. 42 vom 18.12.1940 bekundete Hitler die Absicht, noch „vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen“.

Der Überfall
Als Termin für den Beginn des Überfalls war der Mai 1941 gedacht, der aber wegen des Balkanfeldzuges verschoben werden muß. Am Sonntag, dem 22. Juni 1941, beginnt Hitler wieder wie schon gegen Polen ohne Kriegserklärung den Krieg gegen die Sowjetunion. Am Abend vorher, Sonnabend, den 21. Juni erklärte der ahnungslose deutsche Botschafter v. Schulenburg in Moskau dem sowjetischen Außenminister Molotow die Loyalität der deutschen Reichsregierung. Hitler begründete seinen Russlandfeldzug in einer „Proklamation an das deutsche Volk“ am 22. Juni 1941 mit einer englisch-sowjetischen Verschwörung, mit angeblichen Forderungen der Sowjetunion auf dem Balkangebiet, mit dem erfundenen Aufmarsch von 160 russischen Divisionen an der Grenze und mit erlogenen Grenzverletzungen, auf die Hitler später auch nie wieder zurückkam. Er schloss seine Proklamation mit: „Möge uns der Herrgott gerade in diesem Kampf helfen“.
Mit mehr als 3 Millionen Soldaten und 3.580 Panzern rückten die deutschen Truppen vor.

Fast ein „Blitzkrieg“
Der Beginn des Krieges sah mit der Eroberung des Baltikums, Weissrusslands, der Ukraine wieder wie ein „Blitzkrieg“ aus. Die Städte Bialystock, Minsk und Smolensk, die Festung Brest – Litowsk wurden „im Sturm“ erobert. In der Kesselschlacht von Kiew wurden 650.000 „Gefangene gemacht“. Ende August stand das deutsche Heer 650 Kilometer tief im russischen Gebiet. Am 8. Oktober 1941 verbreitete der Rundfunk die Sondermeldung: „Der Endsieg, der die entscheidenden Schlachten im Osten einleitete, ist da“. Am 10. Oktober 1941 meldete „Der Völkische Beobachter“ als Schlagzeile: „Die große Stunde hat geschlagen: der Ostfeldzug ist beendet“, und er berichtete, dass Stalins Armeen vom Erdboden verschwunden seien. In Berlin kursierte das Gerücht, Moskau sei gefallen.

Der Kreuzzug als Vernichtungskrieg
Der Russlandfeldzug war grundsätzlich anders als der Krieg gegen Polen und gegen Frankreich. Er zielte von Anfang an auf die Vernichtung des Gegners und die Beseitigung der slawischen Bevölkerung. Im März 1941 erklärte Hitler vor 250 deutschen Generälen: „Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad .. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf .. gegen Rußland: Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz… Die Führer müssen von sich das Opfer verlangen, ihre Bedenken zu überwinden-“. Kein General widersprach. Seit dem Putsch Hitlers gegen die von Röhm geführte SA im Juni 1934 galt Hitler als „oberster Gerichtsherr“. Von ihm habe kein unrechter Befehl kommen können, sagte noch 1961 einer der Generale von damals aus. Vom 12. Mai 1941 stammte der berüchtigte Kommissarbefehl, wonach politische Hoheitsträger und Kommissare sofort zu erschießen seien. Am 13. Mai 1941 wurde im Erlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit geregelt, dass militärische Verbrechen nicht verfolgt werden. Gegen ganze Ortschaften könnten „kollektive Gewaltmaßnahmen durchgeführt“ werden. Hitler führte keinen Krieg im üblichen Sinne, sondern einen Ausrottungsfeldzug gegen die slawische Bevölkerung. Vor Beginn des Feldzuges rechnete der Wirtschaftsstab Ost, Gruppe Landwirtschaft, mit 10 Millionen Toten allein in der westlichen Sowjetunion. Aus dem Hauptquartier vermerkte der Parteisekretär Martin Bormann am 16. Juni 1941 als Geheime Reichssache u.a. „Der Riesenraum müsse natürlich so rasch wie möglich befriedet werden; dies geschehe am besten dadurch, dass man Jeden, der nur schief schaue, totschieße.“

Die deutschen Soldaten, die praktisch freie Hand zum Töten der russischen Zivilbevölkerung haben, hinterliessen bereits im ersten halben Jahr eine furchtbare, mörderische Spur. In der Stadt Shitomir werden vom 4.7.-5.9. 1941 30.000 Russen, Juden, erschossen. Als die deutschen Truppen die Stadt Charkow Ende Oktober eingenommen haben, werden 250 Bürger der Stadt auf Straßen und Plätzen aufgehängt. Deutsche Soldaten fotografierten immer wieder die aufgehängten Leichen und trugen die Fotos mit sich. Am 23. Oktober 1941 wurden 19.000 Juden auf einen offenen Platz in der Nähe des Hafens von Odessa zusammengetrieben und von den rumänischen Verbündeten zusammengeschossen und die Toten auf der Stelle verbrannt. Das Einsatzkommando V der Einsatzgruppe C mordete bis zum 20. Oktober 1941 insgesamt 15.110 Russen in Dnjepropetrowsk. Die Befehlshaber des Einsatzkommandos IV,1 der Einsatzgruppe C meldeten ihrem Vorgesetzten in Berlin: „Als Vergeltungsmaßnahme für die Brandstiftung in Kiew wurden sämtliche Juden verhaftet und am 29. und 29. 9. insgesamt 33.771 Juden exekutiert.“ Heute werden die Besucher an die Gedenkstätte bei der Schlucht Babi Yar geführt.. „Eine besonders starke seelische Belastung der mit der Durchführung beauftragten Männer des Einsatzkommandos V stellte die am 18.10.1941 vorgenommenen Liquidation von 300 geisteskranken Juden der Kiewer Irrenanstalt dar“, heißt es in der Ereignismeldung UdSSR Nr. 132. Der Wehrmachtsbefehlshaber Ostland berichtet am 19.11.1941 stolz, die Gesamtzahl der Gefangenen betrage 10.940, „davon erschossen 10.431.“ Die Wirkung auf die kämpfenden Truppen war verrohrend. Der 22jährige Hugo O. aus Cannstatt schrieb nach Hause: „Selbstverständlich ziehen wir den toten Russen die Filzstiefel usw. aus, und wenn das nicht geht, lassen wir die Lebendigen die Klamotten ausziehen und knallen sie dann über den Haufen. In dieser Beziehung sind wir ganz kalt geworden.“ Die sowjetische Regierung verließ am 16. Oktober 1941 die Hauptstadt Moskau. Mehr als 1.2 Millionen sowjetische Soldaten waren bereits in Kriegsgefangenschaft geraten. Der Moskauer Metropolit Sergius wich nach Uljanowsk an der Wolga aus.

Der unerwartete Winterkrieg
Aber der Ablauf der Ereignisse entsprach bereits seit September nicht den illusionären wahnhaften Vorstellungen Hitlers. Der hatte auf einen „Blitzsieg“ gesetzt und auf die Winterausrüstung der Soldaten verzichtet. Die Operation „Barbarossa“ sollte im November beendet sein. Bis Ende Juli sollte nach Plan die Rote Armee in Einzelteile aufgelöst sein und Anfang August die deutschen Truppen den entscheidenden zweiten Schlag gegen Moskau und Leningrad führen, die dem Erdboden gleichgemacht werden sollten, eine beispiellose Kulturbarbarei. Den Angriff auf Moskau befahl Hitler nun am 2. Oktober unter dem Namen Operation „Taifun“. Wieder war der Anfangserfolg groß, aber im November verlangsamte sich der Vormarsch unprogrammässig, und am 1. Dezember 1941 kam die Offensive 27 km vor Moskau endgültig zum Stehen. Die deutschen Truppen zogen sich zurück. Hitler und seine Generäle hatten die Weite des Raumes, die Nachschubmöglichkeiten bei den andersartigen Straßenverhältnissen, die Beweglichkeit der sowjetischen Truppen auf eigenem Boden, die Fähigkeit, rasch neue Divisionen aufzustellen und die Wirksamkeit des Partisanenkrieges weit unterschätzt. Die Überlebenschancen schätzten die Soldaten vorne an der Front bereits ganz nüchtern miserabel ein. Der Cannstätter Hugo O. schrieb an seinen Vater am 1. November 1941: „Ich schreibe dir ganz nüchtern die Möglichkeiten, wie ich sie taxiere, in Prozenten auf. Zeig das aber bloß der Mutti nicht, sonst wird sie ganz schön nervös und Du hast dann das Kreuz mit ihr! In einem Monat bin ich schätzungsweise, wenn es so weitergeht wie bis jetzt, zu 10 Prozent Möglichkeiten tot, zu 5 Prozent Möglichkeiten gefangen, zu 30 Prozent Möglichkeiten schwer verwundet, zu 40 Prozent Möglichkeiten krank oder mit erfrorenen Füßen im Lazarett, zu 10 Prozent leicht erkrank oder verwundet im Lazarett. Bleiben 5 Prozent Möglichkeiten. Diese Aufstellung ist durchaus sachlich und mag Dir einen Anhalt geben, wie ich die Lage für mich taxiere. Das ist ein Wort unter Männern. Frauen und andere weiche Gemüter geht das nichts an. Herzliche Grüße Dein Sch.“

Fünf hohe Generäle traten zurück oder wurden entlassen. Hitler übernahm selber den Oberbefehl und erwartete nun vom neuen Jahr eine Wende, aber er bereitete die Bevölkerung auf „gewaltige Anforderungen“ vor. In seinem im Völkischen Beobachter veröffentlichen Neujahrsaufruf beeindruckte er wieder seine christlichen Zuhörer: „Wir können an der Wende dieses Jahres nur den Allmächtigen bitten, dass er dem deutschen Volk und seinen Soldaten die Kraft geben möge, das mit Fleiß und tapferem herzen zu bestehen, was erforderlich ist, um uns Freiheit und Zukunft zu erhalten… Das Jahr 1942 soll, darum wollen wir alle den Herrgott bitten, die Entscheidung bringen zur Rettung unseres Volkes und der mit uns verbündeten Nation“. Am 30. Januar 1942 beschwört Hitler im Sportpalast die Vernichtung des Judentums in Europa.. „Wir sind uns dabei im Klaren, daß der Krieg nur damit enden kann, daß entweder die arischen Völker ausgerottet werden oder daß das Judentum aus Europa verschwindet.“ Das Ergebnis des Krieges werde „die Vernichtung des Judentums“ sein. Diese schauerliche Rede beendete Hitler in Gebetsform: „Herrgott, gib uns Kraft, daß wir uns die Freiheit erhalten, unserm Volk, unseren Kindern und Kindeskindern, und nicht nur unserem deutschen Volke, sondern auch den anderen Völkern Europas. Denn es ist nicht ein Krieg, den wir diesmal für unser deutsches Volk allein führen, sondern es ist ein Kampf für ganz Europa und damit für die ganze zivilisierte Menschheit“. Tatsächlich hatte die systematische Ausrottung des russischen Judentums längst begonnen, nämlich am Anfang des Kreuzzuges. Sie war ein wichtiger Bestandteil des Kreuzzuges. Als am 27. Juni Bialystock erobert wurde, wurden noch am selben Tage 2000 Juden der Stadt von Einheiten der deutschen Wehrmacht und des Einsatzkommandos ermordet. Ende 1941 war ein großer Teil der in ihrer Heimat verbliebenen weißrussischen Juden systematisch umgebracht. Aber Hitler erreichte damit keine Veränderung an der militärischen Front.

Stalingrad
Seit dem 22. November 1942 war die 6. Armee bei Stalingrad eingeschlossen. Der fromme Wunsch Hitlers in seinem Neujahrsaufrug am 1. Januar 1943, „wie immer unserem Herrgott zu bitten, daß er uns so wie bisher seinen Beistand nicht versagen möge. Der Winter mag schwer sein. Härter wie im vergangenen Jahr kann er uns nicht treffen,“ ging nicht in Erfüllung. Am 2. Februar 1943 kapitulierte der letzte Truppenteil in Stalingrad, 100.000 deutsche Soldaten gehen entkräftet und ausgehungert in die Gefangenschaft, die Generalität und 300 Offiziere dagegen wurden im Schlafwagen und bei üppiger Beköstigung in die Gefangenschaft gefahren. Schon im Januar wurde die Bevölkerung in der Heimat auf die militärischen unhaltbar gewordenen Lage eingestimmt, und durch überspitze Alternativen („Dasein oder Nichtsein“ – „Sieg oder Bolschewismus“) zum Durchhalten aufgemöbelt. Am 4. Februar erfuhr die deutsche Öffentlichkeit unter abstoßenden Phrasen ein Heldenepos, dass die Übergabe der Truppen zweimal stolz abgelehnt sei und alle Offiziere und Mannschaften Schulter an Schulter „bis zur letzten Patrone“ kämpfend gefallen seien. Für vier Tage wurde Nationaltrauer befohlen.

Zum ersten Mal hatte Hitler eine Niederlage zugegeben. Nun sei der Krieg nicht mehr zu gewinnen, konnte man hinter vorgehaltener Hand hören. Um sich ein echtes Bild von der Stimmung unter den Soldaten zu verschaffen, wurden aus der letzten aus dem Kessel herausgeflogenen Maschine am 12. Januar 1943 sieben Postsäcke beschlagnahmt, die Briefe geöffnet, Anschrift und Absender entfernt und dem Oberkommando folgender Stimmungsbericht übergeben: positiv zur Kriegsführung: 2,1%; zweifelnd: 4,4%; ungläubig, ablehnend: 57%; oppositionell: 3,4%; ohne Stellungnahme, indifferent: 33%. Ein daraus zusammengeschriebenes dokumentarisches Werk über „Die Schlacht an der Wolga“ wurde von Goebbels verboten, weil „untragbar für das deutsche Volk“. Was Goebbels für tragbar hielt, demonstrierte er am 18. Februar 1943, wo er in der berüchtigten, wüsten Rede im Sportpalast die schon 1918 von Ludendorff verbreitete Redeweise vom „totalen Krieg“ aufgriff und die deutsche Öffentlichkeit auf den „totalen Sieg“ verpflichtete. „Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen totalen Sieg des deutschen Volkes?“ (Antwort: „ja“). In einer Proklamation anläßlich der Parteigründungsfeier am 24.02.1943 pochte Hitler ausdrücklich auf seinen Glauben, ein erwähltes Werkzeug göttlicher Vorsehung zu sein. „Ich habe ein Recht zu glauben, daß mich die Vorsehung bestimmt hat, diese Aufgabe zu erfüllen“, nämlich den Sieg über die „jüdische Weltkoalition“.

Aber das Jahr 1943 brachte eine Niederlage nach der anderen: am 13. Mai kapitulierten die deutschen Truppen in Afrika, am 8. September kapitulierte die italienische Regierung vor den amerikanischen Truppen. In Rußland brach nach wenigen Tagen im Sommer 1943 die Panteroffensive „Zitadelle“ zusammen, und im Gegenzug rückten erstmals die sowjetischen Divisionen im schnellen Gegenzug Hunderte von Kilometern vor. 1943/44 tobten noch der Krieg und die schauerliche Vernichtung über die nun vom Rückzug zum zweiten Mal betroffenen russischen Städte und Dörfer. Im Januar 1944 gingen der amerikanische Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill bei der Konferenz in Casablanca von der Niederlage Hitlers aus und vereinbarten als Modalität der Niederlage „die bedingungslose Kapitulation“. In Teheran schloss sich Stalin im März 1944 dieser Modalität an, und auf Vorschlag Churchills wurde die Oder als die neue Ostgrenze des deutschen Reiches bestimmt. Im Januar 1945 drangen sowjetische Truppen in das Gebiet des deutschen Reiches ein und eroberten nun ihrerseits in einem „Blitzkrieg“ die deutsche Ostprovinz. Am 2. Mai 1945 kapitulierte die „Reichshauptstadt“ Berlin vor der russischen Armee, und am 9. Mai unterzeichnete General Kasten die bedingungslose Kapitulation in Berlin-Karlshorst.



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