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[Kirche von Unten]

Die Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug

von Dietrich Kuessner

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Die russisch - orthodoxe Kirche zu Kriegsbeginn

Die anfangs siegreichen deutschen Truppen erleben hier und da eine Bevölkerung, die sich vom Stalinismus befreit fühlte. Wehrmachtspfarrer öffneten die geschlossenen oder mißbrauchten orthodoxen Kirchen und hielten darin zum ersten Mal seit langer Zeit einen Gottesdienst ab. Von der gläubig gebliebenen russischen Bevölkerung wurden die geöffneten Gotteshäuser dankbar neu in Gebrauch genommen. In der Heimatskirche kursierten Berichte von solchen erstmaligen Gottesdiensten. Sie bestärkten den Eindruck, als ob es in diesem Krieg darum gehe, dem christlichen Abendland die russisch – christliche Kultur zu erhalten.
Dieser Eindruck wird nicht nur von dem mörderischen Verhalten der Einsatzgruppen und von Wehrmachtsteilen widerlegt, sondern auch von der russischorthodoxen Kirche selber. Der Überfall auf die Sowjetunion brachte eine bisher unvorstellbar gehaltene Koalition zustande: die der Stalin-Diktatur mit der russisch-orthodoxen Kirche. So wie Hitler mit der evangelischen Kirche 1939 einen Burgfrieden geschlossen hatte, so schloß Stalin nun einen mit der orthodoxen Kirche. Das war deswegen eine weit über die sowjetischen Grenzen hinausgehende Sensation, weil die russisch-orthodoxe Kirche zwischen 1917 und 1941 einer furchtbaren Kirchenverfolgung ausgesetzt war.

Einen Tag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verfaßte der 70 jährige Patriarchatsverweser Metropolit Sergej ein Sendschreiben an die Christen in der Sowjetunion und rief sie zur Verteidigung der Heimaterde auf dem „Wege der Selbstaufopferung“ auf. Kirche und Volk seien in der russischen Geschichte ungetrennt gewesen. Der Kampf gehe gegen „vom Geist des Faschismus besessene Räuber“. Mit der Hilfe Gottes werde der Sieg auf der Seite der rechtgläubigen Krieger sein. Der Aufruf stieß auf ein geteiltes Echo. Er vermied jede Verurteilung des Kommunismus. Tatsächlich aber vermied der Aufruf auch jede Erwähnung der Unterstützung des kommunistischen Regimes. Die Verteidigung gelte der Heimaterde, nicht dem atheistischen System, dem Volke, nicht der atheistischen Partei.

In derselben Woche hielt der Metropolit in der Epipaniaskathedrale am 26. Juni 1941 eine Ansprache, in der er dringend vor dem Irrglauben warnt, die deutschen Truppen würden die Gotteshäuser schonen. Möglicherweise waren bereits Nachrichten von wieder geöffneten und von deutschen Truppen zurückgegebenen Kirchen im nunmehr besetzten Gebiet bis nach Moskau gedrungen. Der Metropolit warnte daher vor Überläufern und verwies auf die Verbreitung altgermanistischer Kulte, wie sie ja auch bei Teilen des NSDAP besonders unter Führung von Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler üblich geworden waren. Nicht zu Unrecht vermutete der Metropolit, dass „dieser Wahnsinn“ darauf ziele, ganze Völker damit anzustecken, die unter deutsche Herrschaft geraten seien. Sergej sieht die orthodoxe Kirche einem zweiten „Gottlosenansturm“ ausgesetzt, und die wenigen verbliebenen Gotteshäuser würden durch den Krieg noch verwüstet.
In der evangelischen Kirche in Deutschland wurde der Burgfriede mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. „Moskau erzwingt Bittgottesdienste“, meldete „Das evangelische Deutschland“. Der Gottesdienst sei nicht für die Gläubigen sondern für amerikanische Wochenschauaufnahmen abgehalten worden, und die Änderung der Religionspolitik sei ein Trick Stalins. Der evangelischen Kirche wurde kaum bewusst, dass in diesem Krieg sich zwei in der christlichen Tradition tief verwurzelte Völker mit langen staatskirchlichen Traditionen gegeneinander bekriegten, und der Begriff „Kreuzzug“ schlechterdings unpassend war.



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