Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Die Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug

von Dietrich Kuessner

(Download des Textes als pdf hier)




Die evangelische Kirche unterstützt Hitlers Krieg bis in die Niederlage

Der Kirche blieb es nicht verborgen, dass der im Oktober 1941 dreist angekündigte Endsieg auch bis zum Jahresende ausgeblieben war. Daher klingen die Neujahrsgrüße mancher Kirchenleitungen für 1942 zurückhaltend. Das Maß des Menschenmöglichen sei im vergangenen Jahr wohl überschritten, mutmaßt der Evangelische Oberkirchenrat der Kirche der Altpreußischen Union, und gerade in einer solchen Situation würden die Menschen vom Empfinden einer ewigen Gottesmacht ergriffen. Die schwieriger gewordene Situation legte dem Oberkirchenrat nicht nahe, jetzt umzukehren, sondern er erinnert noch einmal die Gemeinden an die vom Geistlichen Vertrauensrat im Sommer 1941 genannten politischen Ziele hin zu einer „neuen Ordnung der Welt“, und zwar auf einem „deutschen Weg“. Dieser deutsche Weg sei unmißverständlich mit dem Führer verknüpft. Für ihn und seine Heere gelte es auch im neuen Jahr einzustehen. Auch die vor dem Feind gefallenen und zu beklagenden Opfer könnten die Hinterbliebenen nicht scheiden von der Liebe Gottes. „Das ist unser Trost, unsere Kraft, unser Friede.“ Hier wurde das Bibelwort – wie auch in den zahlreichen Trauerannoncen – als Betäubungsdroge gereicht, die den Gedanken verdrängen sollte, dass „Gatte, Sohn und Bruder“ in einem verbrecherischen Krieg für einen fanatischen, wahnhaften „Führer“ Hitler gestorben waren.

Der Lübecker Kirchenrat erwähnte als Ersatz für den ausgebliebenen Endsieg im Osten die Siege der ersten Jahreshälfte 1941. Er schloß sich mit der irrwitzigen Behauptung, dass in der „eisigen Kälte des Ostens und Nordens, in der heißen Wüste Afrikas“ die Heimat beschirmt werde, den Großraumphantasien Hitlers an. Die Lübeckische Kirchenleitung war fest in der Hand der Deutschen Christen. Daher endete der Neujahrsgruß stilgerecht mit einem Hitlerzitat. – Auch der deutschchristliche Neujahrsgruß an die evangelischen Christen in Thüringen kreiste um die allbeherrschenden Themen: Führer, Kampf, Sieg, Frieden.

Die Leitung der russisch-orthodoxen Kirche verbreitete dagegen Siegeszuversicht: „Die Stunde unseres Sieges ist nahe“, begann das 3. Sendschreiben des Metropoliten Sergej, das er am 24. November 1941 von seinem neuen Aufenthaltsort Uljanowsk an der Wolga an die Christen in der Sowjetunion sandte. Es war in besonders scharfer Sprache abgefasst, um den religiösen Vorwand des deutschen Überfalls zu demaskieren. Die ganze Welt wisse von dem Hitler Moloch, „daß diese Höllenbrut unter der Maske der Frömmigkeit nur ihre Untaten zu bemänteln sucht.. Den faschistischen Tieren ist das Herz des Christen verschlossen; angesichts des Feindes strömt es nur vernichtenden, tödlichen Haß aus.“
Statt Umkehr oder wenigstens Zurückhaltung zu üben versteifte sich die Deutsche Evangelische Kirche in einem trotzigen Beharren auf dem einmal eingeschlagenen Weg. Die Treue zum Führer sei „umwandelbar“, versicherte der Geistliche Vertrauensrat in einem Telegramm an Hitler anläßlich der 3. Wiederkehr des Tages des Kriegsbeginns. Gedanklich greift er zurück auf den Aufruf vom 2. September 1939. Die Kirche reiche zu den Waffen aus Stahl „unüberwindliche Kräfte aus dem Evangelium“. Hier beschwor er „die religiösen Kräfte des Evangeliums“, mit der die seelische Haltung ihrer Gemeindeglieder gestärkt werden solle. Es war die Absicht des Geistlichen Vertrauensrates, die Kraft der Waffen mit den Kräften des Evangeliums zu verbinden. Daß Jesus in Gethsemane dem Petrus die Waffe aus der Hand genommen hat, darf nicht gedacht werden.

Das Wort des Geistlichen Vertrauensrates zum Weihnachtsfest vermied nach dem auch Ende 1942 ausgebliebenen Endsieg sichtlich die großen Vokabeln und zog sich in die ihm vertraute „Sprache Kanaans“ zurück. Der ausführlichste, vierte Teil wandte sich den Verwundeten und Leidtragenden und erstmals den Opfern des Bombenkrieges zu. Nach einer fremdartig anmutenden dogmatischen Einleitung äußerte der Geistliche Vertrauensrat den Dank an Gott und darin prophetisch dankbar, „daß kein Feind deutsches Land hat betreten dürfen“. Das ist eine erstaunliche Äußerung. Sie paßte auch nicht zu dem gleich darauf folgenden Dank, „daß siegreicher Kampf den Lebensraum unseres Volkes gesichert und erweitert habe.“ Damit identifizierte sich der Geistliche Vertrauensrat wie schon häufiger seit Kriegsbeginn mit den territorialen Zielen Hitlers. Die Bekundung der Verbundenheit mit dem Volk bekam erstmals den Nebenklang „des leidenden, belasteten Volkes“. Während die hier eigentlich zu erwartende Beschreibung des belasteten Lage des Volkes Ende 1942 erst im nächsten Abschnitt begann, verwies der Geistliche Vertrauensrat als Zeichen der Verbundenheit der Kirche mit dem Volk auf den hohen Anteil der eingezogenen Pfarrer. Es sind nach einer Statistik der Evangelischen Kirchenkanzlei in Berlin am 01.10.1942 insgesamt 7.769 Pfarrer und Pfarramtsbewerber eingezogen, das sind 42,85% der gesamten Pfarrerschaft. 641von ihnen sind bisher gefallen oder an den Kriegsfolgen gestorben. Die abschließende Bitte enthielt die alten Stichworte „Kampf, Sieg, tapfere Wehrmacht, Person und Werk des Führers“, aber es fehlten die schmetternden Trompetentöne und die Zitate der sieghaften Choralverse aus der Zeit des Kriegsanfangs.

Schon sechs Wochen später stand die Kirche vor der schwierigen Aufgabe, die Niederlage von Stalingrad zu deuten. Der erste Sonntag nach Stalingrad, der auf die viertägige verordnete Staatstrauer fiel, der 7. Februar, war der seltene 5. Sonntag nach Epiphanias. Die alte Epistel des Sonntags, Kolosser 3,12 ff, ermahnt die Brüder, „herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld“ anzuziehen, und „vertraget einer den anderen und vergebet euch untereinander, wenn jemand Klage hat wider den andern.“ Als Predigttext wurde die Epistel der neuen Reihe, Röm.8,1 ff empfohlen. „So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind; die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.“ Mit diesem „nichts verdammlich“ schloß Gottes Wort für jene, die nach dem Geiste des Evangeliums lebten und nicht in dem Siegeswahn des Nationalsozialismus selber die Tore der Hölle von Stalingrad zu, wie die Stalingrader Madonna von Kurt Reuber bis heute bezeugt.

Es gibt nur wenige Zeugnisse wie die Kirche auf Stalingrad geistlich geantwortet hat. Das Wort der Leitung der Kirchenprovinz Brandenburg fiel durch ihren markigen Ton auf. Sie übernahm die Propagandathese vom „Fanal des Heldentums unserer Soldaten in Stalingrad.“ Es war ein wenig seelsorgerischer Hinweis. Offenkundig wurde aber eine bis zum Kriegsende zunehmende Bewegung schon deutlich, nämlich: die Reihen auch in der Kirche gerade in der drückender werdenden Notzeit enger zu schließen. Also gerade jetzt „in Liebe und Treue zu Führer und Vaterland und in vorbehaltloser Einsatzbereitschaft nicht zurückstehen“, wurde ein Grundtenor kirchlicher Äußerungen.

Das „Evangelische Deutschland“ nahm am 28. Februar im Leitartikel „Tapferes Ja“ das Getöse des Propagandaministers vom totalen Sieg auf. Die Kirche habe zu dieser Aufforderung ein vorbehaltloses, tapferes, freudiges Ja zu sprechen. So reihte der Verfasser der Evangelischen Kirche in die enthusiasmierte Menge des Sportpalastes am 18. Februar 1943 nachträglich noch ein.



Zum nächsten Kapitel
Zum vorherigen Kapitel


[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Russlandfeldzug/, Stand: März 2021, dk