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[Kirche von Unten]

Die Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug

von Dietrich Kuessner

(Download des Textes als pdf hier)




Traueranzeigen, Orden und Ehrentafeln

Neben den Grußworten, Telegrammen und Zeitungsartikeln sind die Trauerannoncen und Trauergottesdientsordnungen ein besonderer Erweis, wie die Kirche vom Krieg dachte. Sie spiegeln die theologische Verarbeitung besonders der Opfer wider und antworten auf die Frage: wie sollen die Gemeindeglieder vom Krieg und von ihren Gefallenen denken?
Die hier abgedruckten Trauerannoncen stammen aus den Amtsblättern verschiedener Landeskirchen mit unterschiedlicher theologischer Richtung. Sie können als repräsentativer Querschnitt gelten.
Allen gemeinsam ist die Verzierung der Annoncen mit einem Eisernen Kreuz samt dem Hakenkreuz als Staatswappen. Es erscheint mir fraglich, ob die Kirche zur Abbildung dieses Zeichens in den kirchlichen Amtsblättern verpflichtet gewesen war. Sie dokumentiert auf diese Weise ihre Verbundenheit mit dem von Hitler angeführten Staat.
Im ersten Satz der Annonce wird beschrieben, für wen die Soldaten gestorben sind. Es werden die Stereotypen aus dem nicht-kirchlichen Raum verwendet.

„Für Führer, Volk und Reich“, „für Führer und Vaterland“, „für das Reich“, „für Führer, Volk und Vaterland“, „für Führer und Volk“ sind häufig wiederkehrende Textstücke. Dabei fällt nun doch die Hervorhebung der Person des Führers auf. Es ist sein Krieg. Er ist der verantwortliche Feldherr, so lassen es die Annoncen vermuten. Es ist wie früher in Kaiserzeiten. So unreflektiert der Soldat „für den Kaiser“ als Inhaber der höchsten Staatsgewalt starb, ebenso unreflektiert tut er es „für den Führer“.
Die Bezeichnungen des Ortes und des Feindes sind weitere Bestandteile der Trauerannoncen. Es wird annonciert, wo und wogegen jemand gefallen ist: „gegen den Bolschewismus“, „gegen das zersetzende Gift des Bolschewismus“. Durch die Benennung dieses Feindes wird der Tod bereits auf die Ebene der Rechtfertigung und Heiligung gehoben.

Entscheidend aber ist die biblische oder dichterische Losung, unter die der Tod gestellt wird. Sie sollen eine Sinngebung des Todes und eine seelische Stabilisierung des Trauernden bewirken. Beliebt waren jene Bibelzitate, die dem Gefallenen die Seligkeit versprechen, wie z.B. „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“ (Offenbarung Johannes 2,10), oder: „Selig ist der Mann, der die Probe bestanden hat“ (Jakobus 1,12), oder: „Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig“ (Matthäus 24,13). Oft wird der Tod als freiwilliges Opfer mißverstanden, als ob alle etwa freiwillig in diesen Krieg gezogen und nicht einberufen seien, das mit dem Opfer Jesu am Kreuz eine völlig unzulässige Beziehung gebracht wird. „Daran haben wir erkannt die Liebe, daß ER sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen“ (1.Johannesbrief 3,16) oder das beliebte Zitat: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde“ (Johannes 15,13). Der Tod der Gefallenen hatte also Erlösungscharakter. Sterben ist ihnen nach Philipper 1,22 „Gewinn“. Daher waren die Gefallenen „Heilige“. Darauf sollte das Psalmwort 116,15 verweisen: „Der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten vor dem Herrn“. Die Gefallenen waren Tote, die Gott „zu sich gezogen hat“ (Jesaja 31.3), und zwar „aus lauter Liebe“. Die Gefallenen hatten also bereits ein neues Leben bei dem Gott dieser Kirche. Der Tod war deshalb eine höhere Form „des Sieges“ (1. Korintherbrief 15,55: „der Tod ist verschlungen in den Sieg“). Der gefallene Theologiestudent diene nun „im oberen Heiligtum“, berichtete der Hamburgische Bischof. „Siehe, wir leben“ (2. Korintherbrief 6,9), war wie ein Rückruf der Gefallenen an die Hinterbliebenen. In diesem Sinne galt er als einer, der den Tod in einem höheren Sinne gar nicht gesehen hatte (Johannes 8,51). Sie waren also Unsterbliche. Diese Aussagen hat die Kirche in der Regel für jene bereit, die um ihres Glaubens willen gestorben sind, für die Märtyrer. Noch mit den Trauerannoncen also bestätigte die Kirche, daß es sich bei diesem Krieg um einen Glaubenskrieg, einen Kreuzzug handelt. Und nach altkirchlicher Tradition eröffnete die Teilnahme am Kreuzzug, wenn sie mit dem Tode gekrönt war, den Eingang in den Himmel.

Es ist kaum vorstellbar, dass nach dem Krieg eine Neubesinnung oder gar eine gedankliche Wende stattgefunden hat. Aber manches bibelfeste, von der Todesnachricht geschockte Gemeindemitglieder wird wohl mit Psalm 90 gewusst haben, dass es Zeichen des Zornes Gottes ist, „dass wir so plötzlich dahin müssen“, und jeder Krieg den Eingang eher in die Hölle öffnet. Eben diese mögliche Wahrheit galt es gedanklich abzuschalten.
Eine derartig missbrauchte biblische Lösung war genauso gut durch einen unbiblischen Text zu ersetzen. Deutsche Dichter gaben ein Motto her, wie z.B. Schiller mit: „Vor dem Tod erschrickst du? Du wünschtest, unsterblich zu leben? Leb im Ganzen! Wenn du lange dahin bist, es bleibt“, so im Thüringer Kirchenblatt, oder auch nur einfach deutschchristliche Plattheiten: „Die durch den Tod geschritten, die sind in unsrer Mitten“. Oder: „Wo Kampf und Sieg sich im Opfer vermählen, da richtet sich das Schicksal groß und gewaltig auf und wird zum Felsstein des Glaubens und der Zukunft.“ Diese unbiblischen Losungen finden sich ausschließlich im Amtsblatt der deutschchristlichen Thüringer Kirchenleitung. Sie haben indes den Vorzug, daß sie keinen direkten Mißbrauch des biblischen Wortes darstellen.
Es ist nicht verwunderlich, daß die Landeskirchen auch nach Kriegsende bei dieser Sinngebung geblieben sind. Bis in das Jahr 1947 finden sich in den Amtsblättern Trauerannoncen, nun allerdings ohne das nationalsozialistische Staatswappen und ohne Angabe, für wen sie gestorben seien, aber unter derselben biblischen Losung.

Im Krieg werden auch Orden verteilt. Dass der bekannteste Orden, das Eiserne Kreuz. die Verwendung eines christlichen Symbols ist, hat die Nazipartei und Staatsführung genauso wenig gestört, wie sie die Kirche irritiert hat. Die Landeskirchenämter wurden angewiesen, an die evangelische Kirchenkanzlei in Berlin die Anzahl der verschiedenen verliehenen Orden zu melden. Es war während des Frankreichfeldzuges aufgefallen , dass die katholische Kirche die Namen der katholischen Ordensträger veröffentlicht hatte, und damit ihre Treue zu Volk und Vaterland dokumentierte. Da durfte die evangelische Kirche nicht hintanstehen. Die verliehenen Orden wurden nun zu allem Überfluss auch in den Amtsblättern veröffentlicht, manchmal mit den Namen der Gefallenen unter der Überschrift „Ehrentafel“ zusammengefasst, meist jedoch gesondert. Ein Ritterkreuz, ein Eisernes Kreuz Erster und Zweiter Klasse , ein Kriegsverdienstkreuz 1 und 2. Klasse mit und ohne Schwertern, ein Deutsches Kreuz in Gold, ein Sonderabzeichen für Panzervernichtung im Nahkampf, ein Pioniersturmabzeichen, eine Rumänische Tapferkeitsmedaille, ein „Stern von Rumänien“ mit Schwertern, eine „Krone von Rumänien“ mit Schwertern am Bande, eine rumänische Medaille „Kreuzzug gegen den Kommunismus“, ein bulgarisches Soldatenkreuz des Tapferkeitsordens und solche spezifisch für den Russlandfeldzug ausgegebene wie die Ostmedaille, das Krimschild und die Tapferkeitsauszeichnung für Osttruppen I. und II. Klasse in Silber zieren die Ordensträger.

Auf einer Tabelle vom Oktober 1943 wurde in der Kirchenkanzlei in Berlin folgernde Anzahl von Ordensträgern unter den Pfarrern, Vikaren und Kandidaten der Theologie angegeben: 3 Ritterkreuzträger, 12 mit dem Deutschen Kreuz in Gold; 392 mit dem EK I; 1.435 mit dem EK II; 608 mit dem Sturm- und sonstigen Kampfabzeichen, 567 mit dem Verwundetenabzeichen, 56 mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Kl. mit Schwertern, 774 mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Kl. mit Schwertern.

Was damals als Ehre gegolten haben mag, kann heute als abstoßende Beförderung verstanden werden, an der viel Blut klebt. Es ist noch heute durchaus eher das Gefühl verbreitet, dass solche Orden den Pfarrern und der Kirche insgesamt zur Ehre gereichen als jenes andere, dass Geistliche die Annahme von Orden grundsätzlich verweigern sollten.



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Russlandfeldzug/, Stand: März 2021, dk