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[Kirche von Unten]

Die Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug

von Dietrich Kuessner

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Gegenströmung und Lichtblicke

Es gab in der heute bedrückend wirkenden, vielschichtigen Strömung von Mitläufertum und Anpassung der evangelischen Kirche an die kriegerische Außenpolitik der Hitler-Regierung auch Gegenströmungen. Mitten im Krieg und an der Front entstanden Lichtblicke des christlichen Glaubens, die weit ab von den trüben Gewässern des Propagandageräuschs und der Parteiphrasen ein ungetrübtes Zeugnis der Wirklichkeit Gottes und der Gegenwart Christi sprechen.

Am 16. Und 17. Oktober 1943 tagte die 12. Bekenntnissynode der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union Breslau. An ihr nahmen Abgeordnete aus allen Bruderräten der Provinzkirchen der Altpreußischen Union teil. Das Hauptthema waren die 10 Gebote. Längst waren Nachrichten vom Terror an der Front und von der Tötung der Geisteskranken und von der Ermordung der Juden in den Bevölkerungsteilen durchgesickert. Die Synode bestritt in klarer Sprache dem Staat das Recht, fremdes Leben zu „liquidieren“. Es schärfte dem Soldaten die persönliche Verantwortung für sein Tun ein. Die Entschließung wurde als Handreichung an Pfarrer und Älteste in den Bruderräten der preußischen Provinzkirchen weitergegeben.

Persönliche Zeugnisse ganz anderer Art entstanden an der russischen Front, einfache Verse, ohne literarischen Anspruch, die von der Frage nach Gott nicht losgelassen sind. Bei der Stadt Kiew war der 22 jährige Pfarrer Hans Walter Wolff stationiert. Er gehörte der Bekennenden Kirche an. Er beschrieb in Anlehnung an das Bibelwort, daß Jesus dort sei, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt seien (Matth. 18,20), am 1. Passionssonntag Invokavit die Gegenwart Jesu.

Albrecht Goes, Jahrgang 1908, Pfarrer in Württemberg, fand nach einer unruhigen und trostlosen Nacht am Morgen Trost beim Ansehen von Dürers Radierung „Rasenstück“, die Hoffnung auf eine friedliche Schöpfung mitten im kriegerischen Feldquartier.
An der Nordfront war der 30 jährige Pfarrer Siegbert Stehmann eingezogen. Er hatte im Eckhart-Verlag bereits einen Gedichtband veröffentlicht und war mit Rudolf Alexander Schröder befreundet. Am 18. Januar 1945 fiel er bei dem Rückzug in Polen. Zu Silvester notierte Stehmann mit kräftigen Gegensatzpaaren im Rückblick auf das Jahr 1942 die tiefen Einbrüche in das gewohnte Denken, die in einem Gebet enden und die er darin auch ertragen konnte (siehe das Gedicht „Abgesang“ Seite 93). In einem anderen Gedicht verband Stehmann das Gefühl der Befremdlichkeit der Jünger von Emmaus (Lukas 24), die sich auf dem Weg befinden, um am Abend dem Fremden das Brot zu reichen (siehe das Gedicht „Fremder Weg und fremde Hütte“ Seite 93).

In dieser Arbeitshilfe befinden sich mehrere Bilder von Kurt Reuber. Kurt Reuber, 1906 in Kassel geboren, studierte Theologie und promovierte bei Professor Heiler in Marburg. Er begann auch ein Medizinstudium und promovierte nach einer richtungsweisenden Bewegung mit Albrecht Schweitzer aus der Arbeit in seiner ersten Gemeinde in Wichmannshausen 1938 zum Doktor der Medizin. Seine andere Liebe und Begabung galt der Malerei, die er in der Schwälmer Künstlerkolonie formte. Als Seuchenarzt wurde er früh in den Kriegsdienst eingezogen. Seine Bilder zeigen Begegnungen mit russischen Menschen, die vom nazistischen Zeit- und Frontgeist nur noch als Objekt der Vernichtung und Ausbeutung verkannt werden sollten. Hier sieht der Betrachter in offene, fragende, melancholische Gesichter. Im Kessel von Stalingrad zeichnete Reuber auf der Rückwand einer Landkarte zum Weihnachtsfest 1942 die „Stalingrader Madonna“. Ein Freund brachte sie mit 150 anderen Kohlezeichnungen in einem der letzten Flugzeuge aus dem Kessel. Reuber wurde gefangengenommen. Im Lager zeichnete er zum Weihnachtsfest 1943 die „Gefangenenmadonna“. Am 20. Januar 1944 starb Kurt Reuber in russischer Gefangenschaft. Das Original der „Stalingrader Madonna“ hängt heute in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.



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