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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die fünfte ordentliche Landessynode 1888/89
Die Taufsynode


Quelle: Verhandlungen der fünften ordentlichen Landessynode eröffnet am 19. Dezember 1888 und geschlossen am 16. Februar 1889.

Die Vorgeschichte
Das Jahr 1888 blieb der Bevölkerung lange als ein Trauerjahr in Erinnerung. Am 9. März 1888 war Kaiser Wilhelm I. im hohen Alter von 91 Jahren verstorben und auch die Kirchen in der Braunschweiger Landeskirche läuteten eine Woche lang dreimal am Tag morgens, mittags und abends die Kirchenglocken und in der zweiten Woche sieben Tage lang mittags. Konsistorialrat Sallentien verordnete ein eindrucksvolles Kirchengebet anlässlich des abzuhaltenden Trauergottesdienstes. (Amtsblatt 1888 S. 43 und S. 45) Wenige Monate später verstarb sein Sohn, der liberale Nachfolger Kaiser Friedrich III., am 15. Juni 1888 mit 57 Jahren an Kehlkopfkrebs, ebenfalls schwer betrauert. Wieder läuteten die Glocken 14 Tage lang (Amtsblatt 1888 S. 76 Nr. 58) und Abt Sallentien veröffentlichte folgendes Gebet:

„Barmherziger, ewiger Gott, mit tiefgebeugtem Herzen kommen wir vor Dein heiliges Angesicht, denn Deine Hand, o Herr, liegt schwer auf uns und unserm ganzen Volke. Vor wenigen Wochen erst haben wir an dem Grabe unseres ruhmgekrönten Kaisers Wilhelm gestanden.
Nun hast du auch dem Erben seine Krone, unserm heldenmütigen Kaiser Friedrich, nach so kurzer Regierung das Szepter schon wieder aus seiner Hand genommen und ihn abgerufen in das ewige Leben. Ja, Herr, Du biszt ein verborgener Gott; Deine Gedanken sind nicht unsre Gedanken und unsre Wege sind nicht Deine Wege. Aber vertrauend halten wir uns an Dein heiliges Wort: „Ich weiß wohl, was für Gedanken ich über euch habe, nämlich Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“ Und so beugen wir uns denn heute demütig unter deine gewaltige Hand und opfern Dir Dank für alle Gnade und Barmherzigkeit, Liebe und Treue, die Du unserm heimgegangenen Kaiser in seinem Leben so reichlich erwiesen hast, auch für den reichen Segen, mit dem Du in einer für unser Deutsches Vaterland so ernsten Zeit sein Tun gekrönt und ihn hast mithelfen lassen, unser Volk groß und mächtig zu machen. Vor allem aber danken wir Dir, dass Du ihm in seinem letzten schweren Leiden mit Deiner Gnade nahe gewesen bist und ihn ausgerüstet hast mit Deiner Kraft, dass er es mit heldenhaftem Mute hat tragen können und im Aufsehen zu Dir die schwere Kunst gelernt hat, „zu leiden ohne zu klagen“. Nun hast Du ihn aus allem Leid hinweggenommen und, wie wir zu Deiner Gnade vertrauen, eingehen lassen in Dein ewiges Himmelreich, wo nicht Leid, noch Geschrei, noch Schmerz mehr ist, und das Licht Deines Angesichtes ihm leuchtet zu seliger Freude.
Sei Du mit Deinem Troste nahe allen Anverwandten des kaiserlichen Hauses und Allen, die um seinen Tod betrübt sind. Hilf ihnen, dass sie sich Deinem unerforschlichen Ratschlusse mit kindlicher Ergebung unterwerfen und bei allem Schmerze fest halten an dem Trost Deines heiligen Wortes. Insonderheit sei mit dem tiefgebeugten Sohne des Heimgegangenen, unserm nunmehrigem Kaiser Wilhelm. Erfülle ihn mit Deinem Geiste, schütze und segne ihn in dem hohen Amte, zu dem Du ihn berufen hast und lass ihn zum Segen werden für unser gesamtes deutsches Vaterland.
Uns alle aber lehre doch, dass es auch mit uns einmal ein Ende haben muss, und unser Leben ein Ziel hat, und wir davon müssen. Siehe, unsre Tage sind einer Hand breit bei Dir, und unser Leben ist wie nichts vor Dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben. Darum, verleihe uns Gnade, o Herr, dass wir die Lebensfrist, die Du uns noch schenkst, wohl anwenden, und unsre Herzen zu Dir kehren, und mit Ernst suchen, was droben ist. O Herr, durch Deine Kraft uns bereit, und stärk des Fleisches Blödigkeit, dass wir hier ritterlich ringen, durch Tod und Leben zu Dir dringen. Dazu hilf uns, lieber Herre Gott, um Deines lieben Sohnes, unsres Herrn und Heilandes Jesu Christi willen. Amen.
(Amtsblatt 1888 S. 78 f)

Friedrichs Sohn trat 29 jährig als Kaiser Wilhelm II die Nachfolge an. Wilhelm I, Friedrich III, Wilhelm II. – das Dreikaiserjahr. Das Braunschweiger Tageblatt sah in seinem Jahresrückblick trotzdem zuversichtlich in die Zukunft: „Wir, die von lauernden Feinden rings umgebene Nation, können uns eines jungen, noch nicht auf den Schlachtfeldern erprobten Kaisers erfreuen und behalten dennoch nicht nur den Frieden sondern das alte Ansehen“. (BT 1.1.1889) Am 27. 1. 1889, dem ersten Geburtstag als Kaiser fand in Behneckes Saalbau ein Galaessen statt.
Am Ende dieses Dreikaiserjahres trat die fünfte ordentliche Landessynode im Haus der Landesversammlung zusammen.

Die Wahlen zur Landessynode
Die Wahl der Synodalen durch Wahlmänner war auf ein unterschiedliches Echo gestoßen. In Helmstedt war Generalsuperintendent August Kuhn einstimmig mit den 81 anwesenden Stimmen gewählt worden, er war von Anfang an dabei und ein synodales Urgestein, aber um die beiden weltlichen Posten gab es eine Kampfabstimmung. Gegen Kreisdirektor Langerfeldt (68 St.) hatte Stadtrat Willeke, Königslutter (10 St.) kandidiert, und gegen Bürgermeister Guericke (43 St.) der Querkopf der Landesversammlung, der Landwirt Lambrecht aus Reinsdorf (23 St.). (BT 17.11.1888) In der Stadt Braunschweig dagegen waren nur 21 Wahlmänner erschienen, um die fristgerecht ausscheidenden Synodalen Eggeling und Rhamm wieder zu wählen. (BT 21.11.1888) Die Schöppenstedter hatten sogar eine große Anzeige für die erneute Wahl von Bürgermeister Eimecke und Pastor Zerbst aufgegeben. Es seien „Männer, deren Wirksamkeit in Synode und Pfarramt dafür bürgen, dass sie in eine gesunde Entwicklung unserer Landeskirche im gut evangelischen Geiste als Vertreter derselben ihre ganze Kraft widmen werden“. (BT 17.11.1888) Die Synode war schon im Vorfeld durch der Tagespresse präsent.

Diese Landessynode bildete einen Einschnitt in der Synodengeschichte. Die Synode sah nunmehr auf eine 20jährige Geschichte zurück. Nur noch vier Synodale waren 69er und hatten an der konstituierenden Sitzung 1869 teilgenommen. Die Erinnerung an den ersten Aufbruch in einen neuen Abschnitt der Braunschweiger Kirchengeschichte verblasste allmählich. Man hatte sich an das Bestehen der Synode gewöhnt. Sie gehörte nun zum Bild der Landeskirche. Ein geschäftsmäßiger Unterton beherrschte das Synodengeschehen.
Es änderte sich auch die Atmosphäre in der Synode. In der Aufbruchzeit bemühte man sich trotz scharfer Gegensätze im Plenum um einen Kompromiss, um das Ganze nicht zu gefährden. Nun trat die zweite Generation der Bekenntnislutheraner an, die es besser machen wollten als ihre Vorgänger und erheblich kompromissloser argumentierten. Vor allem aber stießen einige gewichtige liberale Synodale derart mit dem Kirchenkommissar zusammen, dass dieser auf seine übliche Dankesrede zum Schluss der Verhandlungen verzichtete. Die Synode endete in eisiger Atmosphäre.

Die Landessynode tagte an 15 Sitzungstage am 19.12.1888 und vom 16.1.-28.1./ 12.2.-16.2. 1889. Die Verhandlungen zogen sich über fast zwei Monate hin. Es bildete sich ein neuer Rhythmus. Die Synode trat im Dezember konstituierend zusammen, machte eine längere Pause und trat erst nach fast vier Wochen zu den Verhandlungen zusammen und nahm für den Schlussabschnitt einen neuen Anlauf. Damit ging die zeitlich geschlossene Form der bisherigen Synoden verloren. Die Zeit zur Durcharbeitung der Vorlagen durch die Kommissionen wurde länger.
Die Protokolle enthielten früher eine knappe Übersicht und wurden jetzt viel ausführlicher. Sie unterschieden sich damit nicht mehr so deutlich von den Sitzungsberichten.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 5. Landessynode 1888

01. Bach, Adalbert, Pastor, Calvörde, seit 1886.
02. Beste, Wilhelm, Generalsuperintendent, Braunschweig, seit 1882, berufen.
03. Blanke, Friedrich, Holzhändler, Kl. Rüden, seit 1880.
04. v. Cramm, Hausmarschall, Burgdorf, seit 1876.
05. Eggeling, Otto, Pastor, Braunschweig, seit 1875.
06. Eimecke, Christoph Friedrich, Gemeindevorsteher, Watzum, seit 1869.
07. Eißfeldt, Gustav, Pastor, Querum, seit 1884.
08. Guericke, Hildebert, Bürgermeister, Helmstedt, seit 1882.
09. v. Heinemann, Otto, Oberbibliothekar, Wolfenbüttel, seit 1882, berufen.
10. Hörmann, August, Pastor, Kirchberg, seit 1886.
11. Jeep, Rudolf, Superintendent, Holzminden, neu.
12. v. Kalm, Regierungsrat, Braunschweig, seit 1880.
13. Keunecke, Gemeindevorsteher, Frellstedt, seit 1876.
14. Kuhn, August, Generalsuperintendent, Helmstedt, seit 1869.
15. Kühne, Landgerichtsrat a.D., Blankenburg, seit 1869, fehlt.
16. Langerfeldt, Conrad, Kreisdirektor, Helmstedt, neu.
17. Leidloff, Professor, Holzminden, neu.
18. Lerche, Kreisdirektor, Gandersheim, seit 1869.
19. Oehns, Oberamtsrichter, Stadtoldendorf, seit 1884.
20. Pockels, Wilhelm, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1880.
21. Rhamm, Albert, Landsyndikus, Braunschweig, seit 1884.
22. Rothe, Emil, Stadtsuperintendent, Wolfenbüttel, seit 1884.
23. Scholvien, Kreisbaumeister, Gandersheim, seit 1880.
24. Schönermark, Günter, Generalsuperintendent, Blankenburg, seit 1886.
25. Schrader, Karl, Provisor, Braunschweig, seit 1884.
26. Schröter, Wilhelm, Generalsuperintendent, Gandersheim, seit 1886.
27. Schulz, Wilhelm, Superintendent, Halle a.d.W., seit 1886.
28. v. Schwartz, Karl, Superintendent, Cremlingen, neu, gewählt.
29. v. Schwartz, Oberamtmann, Hessen, neu, berufen.
30. Skerl, August, Pastor, Braunschweig, seit 1869.
31. v. Veltheim, Oberkammerherr, Destedt, seit 1884.
32. Zerbst, Carl, Pastor, Gebhardshagen, neu.

Der Landessynode gehörten vier Generalsuperintendenten (Beste, Kuhn, Schönermark, Schröter), vier Superintendenten (Jeep. Rothe, Schulz, v. Schwartz) und sechs Pfarrer (Bach, Eggeling, Eißfeldt, Hörmann, Skerl, Zerbst) an. Das kirchenleitende Amt war wie bisher übermäßig repräsentiert. Es überwog auch die Zahl der sieben Kommunalpolitiker: Bürgermeister Eimecke, Bürgermeister Guericke, Regierungsrat v. Kalm, Bürgermeister Keunecke, Kreisdirektor Langerfeldt, Kreisdirektor Lerche, Oberbürgermeister Pockels, Landsyndikus Rhamm.
Die die Gesellschaft prägende Landwirtschaft war durch Oberamtmann v. Schwartz vertreten, der in Hessen eine Domäne verwaltete, vielleicht auch durch v. Cramm und v. Veltheim, die ihre Güter in Burgdorf und Destedt bewohnten.
Von den beiden Juristen Kühne und Oehns fehlte ersterer. Scholvien konnte als Kreisbaumeister und Blanke als Holzhändler den Handel repräsentieren.
Der Synode gehörten nicht wie früher Pädagogen an. v. Heinemann mochte als Oberbibliothekar das sog. Geistesleben repräsentieren. Schrader und Leidloff waren schwer einzuordnen. Das Fehlen von Pädagogen wurde von der Presse bedauert und die Ernennungen der drei Synodalen durch den Prinzregenten als einseitig orthodox bedauert. (BT 16.1.1889)

Ebenso wichtig wie die soziale Zusammensetzung war für den Ablauf der Synode das Verhältnis der neuen Synodalen zu den Sitzungserprobten. Seit der letzten ordentlichen Synode waren elf neue Mitglieder zugestoßen. Es fehlten die früher prägenden Synodalen Bode und Thiele.

Von der Staatsregierung nahmen Kultusminister Regierungskommissar Wirk und Regierungsassessor Schmid und gelegentlich Regierungsrat Hartwieg teil.
Die Staatsregierung wurde von den Ministern Geheimrat Görtz-Wrisberg, Wirk, Otto gebildet.

Der Landesversammlung gehörten folgende Synodale an: Eimecke, Keunecke, Kuhn, Langerfeldt, Lerche, Pockels und v. Veltheim;
außerdem Konsistorialvizepräsident Sallentien als gewählter Geistlicher und v. Schmidt-Phiseldeck.

Vom Konsistorium waren Konsistorialpräsident v. Schmidt-Phiseldeck sowie die Konsistorialräte Sallentien, Spies und Rohde anwesend. v. Schmidt-Phiseldeck war 1885 zum Präsidenten des Konsistoriums ernannt worden. Damit hatte das unwürdige Spiel, einen lediglich passiv „fungierenden“, aber nicht aktiven Präsidenten an der Spitze der Behörde zu haben, ein Ende.

Zum Präsidenten wurden dem Prinzregenten Skerl (29 St.), Lerche (28 Stimmen) und Pockels (21 St.) präsentiert und Lerche und Skerl als Präsidenten und Vizepräsident bestellt.
Lerche gehörte wie Skerl der Synode von Anfang an, seit 1869 an, beide waren zum dritten Mal, seit 1882, zum Vorsitzenden und Stellvertreter der Synode gewählt worden.

In den Synodalausschuss wurden in der ersten Sitzung Skerl, Rothe, Pockels auf Zuruf, sowie Rhamm (19 St.) und Langerfeldt (17 St.) gewählt.

In den liturgischen Ausschuss wurden Schulz (30 St.), Rothe (20 St.), Eimecke (18 St.), Leidloff (19. St.) und Hörmann (17 St.) gewählt.

Außerdem wurden drei weitere Kommissionen gewählt, nachdem Konsistorialrat Sallentien noch weitere Vorlagen in Aussicht gestellt hatte.
In einer Kommission zur Vorberatung der theologischen Prüfungsordnung wurden Eggeling, v. Heinemann und Schröter mit je 29 St., Pockels mit 28 St. und Bach mit 16 St. gewählt.
In die Kommission zur Vorberatung eines Gesetzes über die Kirchenzucht wurden Eißfeld (29 St.), Schönermark (27 St.) und Rhamm, Schrader und Keunecke mit je 16 Stimmen gewählt.
In die dritte Kommission zur Prüfung von Bittschriften wurden Langerfeldt und Zerbst mit je 29 Stimmen, Jeep mit 26 St., Scholvin mit 25 St. und Oehns mit 16 St. gewählt.
Die Stimmenzahl drücken dabei doch eine gewisse Beliebtheit unter den Synodalen aus.
Diese Vielzahl von Kommissionen ist ein Hinweis auf die Sorgfalt, mit der die Vorlagen an die Synode geprüft wurden, sie verweisen auch auf eine zunehmende Bürokratisierung verbunden mit einem strukturellen Misstrauen gegenüber der Behörde.

Presse
Die Regionalpresse berichtete wie schon früher aktuell und sachlich. In der Regel konnten die Braunschweiger am nächsten Tag im Braunschweiger Tageblatt (BT), im Braunschweiger Anzeiger (BAA) und in der Braunschweiger Landeszeitung (BLZ) Synodenberichte lesen. (Berichte in der Braunschweiger Landeszeitung am 20.12.1888 / 17.1.1889/ 18.1./ 19.1./ 22.1./ 23.1./ 24.1./25.1./ 26.1./ 27.1./ 29.1./ 13.2./ 14.2./ 16.2./ 16.2. Abendausgabe/ 17.2.1889. Das Braunschweiger Tageblatt übertrumpfte die Konkurrenz durch einen Bericht von der Eröffnung am 19. Dezember noch in der Abendausgabe desselben Tages. Weitere Berichte: ./20.12.1888/ 17.1.1889/ 18.1./ 19.1./ Das Braunschweiger Tageblatt berichtete von der zweistündigen Geschäftsordnungsdebatte.
Braunschweiger Landeszeitung: 20.12.1889/ 17.1.1889/ 18.1./ 22.1./ 24.1./ 25.1./ 26.1./ 27.1./ 29.1./ 13.2./ 14.2./ 16.2./
Braunschweiger Anzeiger: 18.1.1889/ 19.1./ 23.1./ 24.1./ 29.1./ 17.2.
Der BA vom 17.2. ließ die Bitte von Skerl um rechtzeitige Zusendung der Synodenunterlagen weg, weil sie offenbar als Kritik empfunden wurde.

Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode

Aus der Taufordnung die bis 1888 galt.

Man konnte ausführliche, meist gleichartige Berichte lesen, die im Wesentlichen das Protokoll der Sitzungen wiedergaben. Es gab keine Kommentare oder Glossen, was die Berichte auf die Dauer eintönig machte. Die Zeitungen hoben sich in ihrer Berichterstattung über die Verhandlungen in der Synode auch nicht voneinander ab. Es waren Protokollabschriften.

Termine und Themen

1. Sitzung 19.12.1888 Mittwoch.
Gefühlvolle Eröffnungsansprache des Kultusministers Wirk, Gelöbnis der sechs neuen Synodalen, Wahl des Präsidenten und seines Stellvertreters, Bekanntgabe von Eingängen, Wahl von vier Kommissionen zur Vorberatung der Eingänge.

2. Sitzung 16.1.1889 Mittwoch.
Bericht des Synodalausschusses,
Eingang von drei Petitionen,
Besprechung der Mitteilungen des Konsistoriums über die Zustände in der Landeskirche/
ausgedehnte Debatte über eine Verlegung des Hagelfeiertages/ Anträge von Zerbst.

3. Sitzung 17.1.1889 Donnerstag.
Fortsetzung der Besprechung der Mitteilungen des Konsistoriums über die Zustände in der Landeskirche.

4. Sitzung 18.1.1889 von 10.15 – 13.45 Uhr Freitag.
Fortsetzung der Besprechung der Mitteilungen des Konsistoriums über die Zustände in der Landeskirche.

5. Sitzung 21.1. 1889 Beginn 11.30 Uhr Montag.
Fortsetzung der Besprechung der Mitteilungen des Konsistoriums über die Zustände in der Landeskirche.

6. Sitzung 22.1.1889 Dienstag.
Wahl der Kommission für die Landes-Pfarrwitwen-Versorgungskasse,
erste Lesung des Gesetzes die liturgischen Ordnung von Taufe und Konfirmation betr.

7. Sitzung 23. 1. 1889 Mittwoch.
Bericht der liturgischen Kommission über das Gesetz: Verletzung kirchlicher Verpflichtungen bei der Taufe. Der § 12, der auch den Ausschluss von der Teilnahme am Abendmahl als Mittel der Kirchenzucht vorsah, wurde von der Synodenmehrheit nach sehr kontroverser Debatte gestrichen;
theologische Prüfung; Wahl einer Kommission zur Prüfung der Vorlage über die Landes-Pfarrwitwen-Versorgungskasse;
Fortsetzung der Lesung über das Gesetz die liturgische Ordnung von Taufe und Konfirmation betr.

8. Sitzung 24.1.1889 Donnerstag.
Lesung der liturgischen Ordnung von Taufe und Konfirmation, insbesondere die Konfirmation.

9. Sitzung 25.1.1889 Freitag.
Fortsetzung der Aussprache über die Konfirmationsordnung,
Antrag Skerls, Trauungen in der Karwoche auszuschließen; Antrag Bachs, Erweiterung des Verwendungszweckes des Kirchenvermögens betr.

10. Sitzung 26.1.1889 Sonnabend.
Vorlage des Gesetzes Verletzung kirchlicher Pflichten bei Taufe, Konfirmation und Trauung betr.
Die Kommission beantragte, § 12 (Verweigerung des Abendmahls als Kirchenzucht-maßnahme) zu streichen, was auf erbitterten Widerstand stieß, aber angenommen wurde.

11. Sitzung 28.1 1889 Montag.
2. Lesung der liturgischen Ordnung von Taufe und Konfirmation.
Wiederaufnahme einer Debatte um den § 12 wurde von einer Mehrheit abgelehnt.

12. Sitzung 12.2.1889 Dienstag.
Beratung des Gesetzes die Einrichtung einer Landespfarrwitwenversorgungsanstalt betr.; Beratung Antrag v. Schwartz (Cremlingen) betr. Interpretation einer Verordnung vom 14.8.1814 die Verwaltung der Kirchen betreffend.

13. Sitzung 13.2.1889 Mittwoch.
Fortsetzung der Debatte über den Antrag v. Schwartz; Antrag Bach über Erweiterung des Verwendungszweckes des Kirchenvermögens.

14. Sitzung 15.2.1889 Freitag „trotz weit vorgerückter Stunde.“
Bekanntgabe eines Reskriptes des Regenten, wonach er eine Wiederaufnahme der Debatte um den § 12 wünscht, was auf heftigen Widerstand in der Synode stieß und eine zweistündige Geschäftsordnungsdebatte auslöste; lange Debatte um die Zurückweisung der beantragten Streichung des § 12 (Abendmahlsverweigerung) durch den Prinzregenten. Nach Sitzungsunter-brechung gab der Kirchenkommissar nach.

15. Sitzung 16.2.1889 Sonnabend.
Rhamm abwesend; Antrag von Zerbst auf Vermehrung der Pfarrstellen abgelehnt; ähnlicher Antrag von Eißfeldt nach Intervention des Konsistorialpräsidenten zurückgezogen;
Skerl bittet um rechtzeitige Zusendung der Vorlagen an den Synodalausschuss;
Der Kirchenkommissar verzichtete auf die übliche Dank-und Schlussrede.

Aus der Erölffmungsansprache des Kirchenkommissars Geheimrat Wirk
Als die vierte ordentliche Landessynode zusammentrat, geschah dies unter dem Druck der Trauer und der schweren Sorge, welche in Folge des Hinscheidens Seiner Hoheit, unseres Herzogs Wilhelm, auf dem ganzen Lande und auf allen Gemüthern lastete, und von welcher auch unsere evangelisch-lutherische Landeskirche tief ergriffen finden musste. In die Trauer um den dahingeschiedenen Hüter ihres Heiligtums – eine Trauer, welcher sich den vollsten und würdigsten Ausdruck gab – mischte sich unwillkürlich die Sorge um ihre nunmehr verschleiert vor ihr liegende Zukunft. Aber sie vertraute auf die Gnade des Höchsten. Wie der Höchste die lange segensreiche Regierung des verewigten Landesfürsten auch für sie eine Zeit stetigen friedevollen und segensbringenden Waltens und Wesens hatte sein lassen, so durfte sie sich der Zuversicht getrösten, das ER sie auch fernerhin unter seinen gnädigen Schutz und Schirm werde nehmen wollen. Heute wissen wir längst, dass sie sich in dieser Zuversicht nicht getäuscht hat. In der Person des Prinzen Albrecht von Preußen, unseres durchlauchtigsten Regenten, hatte Gottes Gnade unserer teuren Landeskirche einen obersten Bischof wieder verliehen, dessen von tiefster Erschlossenheit kirchlichen Sinnes getragener Weisheit und Fürsorge sie sich – freudig gehobenen Mutes – von Anfang an hat versichert halten dürfen und fortdauernd zu erfreuen haben wird. Um so freudiger werden denn auch Sie, meine hochverehrten Herren, sich der hochbedeutsamen Aufgabe widmen wollen, die Ihrer jetzt im Namen unserer Landeskirche wartet.
Und diese Kirche selbst – wie hochwerth Ihrer liebevollsten Hingebung an diese Aufgabe muss Ihnen, meine Herren Synodalen! – sie, die entgegen einem schrillen und unseligen Widerstreite eigensüchtiger Meinungen in kirchlichen Dingen und in Sachen des Glaubens sich in ihrem Innersten den Geist des Friedens und den Einklang mit der Stimme des Evangeliums zu bewahren gewusst hat. Ich möchte hierbei wörtlich wiederholen dürfen, was in dieser Beziehung von dieser Stelle aus zu der zweiten ordentlichen Synode bei deren Eröffnung aus christgläubig beredten Munde geredet wurde: „Im Innern unserer Landeskirche gibt es wohl verschiedene Stellungen und Richtungen, aber keine Wortführer, welche in den geweihten Räumen der Kirche Sitz und Stimme fordern, um unser christliches Heiligtum den Glauben an den geoffenbarten Sohn des lebendigen Gottes zu bemäkeln und negiren.“
Das ist – Gott sei gepriesen! – bis heute wahr geblieben, und mit Gottes gnädigem Beistande werden wir uns dieses Segens auch ferner zu erfreuen haben; Sie aber, meine Herren Synodalen! werden Sich beglückwünschen wollen, dass dem Rufe, den diese Kirche an Sie ergehen lässt, kein Missklang beigemischt ist, welcher in Ihren Verhandlung, einen, wenn auch nur willkürlichen Widerhall finden könnte...“
(Sb 1 S. 2).

Mit einer mehr als warmherzigen Erinnerung an den verstorbenen Herzog Wilhelm begann der Kirchenkommissar Geheimrat Staatsminister Wirk seine Eröffnungsansprache. Dieses Ereignis lag bereits vier Jahre zurück. Die Synode hatte danach 1886 schon wieder getagt. Wirk tauchte Bild und Wirken des verstorbenen Herzog noch einmal in das erfreulichste Licht. An diesem hellen Bild hatte es nämlich inzwischen Schatten gegeben. Herzog Wilhelm hatte Stadt und Land Braunschweig in seinem Testament mit nichts bedacht, eine finanzstarke Stiftung war das wenigste, was man in der Öffentlichkeit erwartet hatte. So hatte sich allgemach Enttäuschung ausgebreitet. Nun sollte wenigstens die Kirche der Ort besten Gedächtnisses an die „lange segensreiche Regierung“ mit seinem „stetigen friedevollen und segenbringenden Walten(s) und Wesen(s)“ sein. Besondere Verdienste und Zuneigung des verschlossenen Herzog Wilhelm zu der Landeskirche sind bisher nicht dargestellt worden. Die Kirchenpolitik wurde außerdem viel weniger vom Herzog als vom Staatsministerium gestaltet, z.B. vom langjährigen Staatsminister Schulz, der einen Tag vor der Eröffnung der Landessynode im Alter von 82 Jahren verstorben war und dem das Braunschweiger Tageblatt am Eröffnungstag eine ausführliche Würdigung widmete.

Auf diese tränenreiche Erinnerung erfolgte eine Huldigung an den regierenden Prinzregenten Albrecht. Dieser stammte aus Preußen und gehörte konfessionell also den allen Lutheranern so verhassten Unierten an. Es kam viel darauf an, dass auch nicht eine Spur der Kritik an der Konfession des Prinzregenten aufkam. Albrecht von Preußen war auch nicht zu der Erklärung aufgefordert worden, das lutherische Bekenntnis der Landeskirche nicht anzutasten. Das wurde vorausgesetzt. Umso mehr war Wirk daran gelegen, in seiner Eröffnungsansprache den kirchliche Sinn seiner Hoheit (nicht dessen Bekenntnisstand! ) hervorzuheben und dass mal wieder Gottes Gnade der Landeskirche einen obersten Bischof „verliehen“ habe.

In dem dritten Teil seiner Rede pries der Kirchenkommissar, dass es in der Braunschweigischen Landeskirche keinen „schrillen und unseligen Widerstreit“ gebe. Und schon gar nicht in der Landessynode als „in den geweihten Räumen der Kirche“, obwohl man im Plenarsaal der Landesversammlung am Eiermarkt tagte. Vielleicht sollte diese Erhebung der Synode einer Kritik daran vorbeugen, dass das Konsistorium mit einigen Vorlagen nicht rechtzeitig fertig geworden war und diese erst in die laufenden Verhandlungen einbringen wollte, was nun allerdings die Synode nicht wortlos hinnahm.

Der hohe Lobpreis auf die Synode erstarb im Munde des Kirchenkommissars im Laufe der Verhandlungen. Der sonst so wortgewaltige und stilverliebte Kommissar Wirk verzichtete auf die übliche Ansprache zum Schluss, sondern ließ, was völlig aus dem Rahmen fiel, durch den Präsidenten den einzigen Satz verlesen: „Nachdem die Geschäfte der fünften ordentlichen Landessynode mit dem heutigen Tage beendet worden sind, wollen Wir dieselbe hiermit beschließen. Braunschweig den 16. Februar 1889 Auf Höchsten Special-Befehl. Wirk“. (Anlage 36)

Hauptgegenstände und Hintergründe

Der fünfte Lagebericht
Es war der fünfte, umfängliche Lagebericht von 70 Seiten und drei Anlagen von 25 Seiten, den das Konsistorium für die Jahre 1885-1888 erstellt hatte, der erste seit v.Schmidt-Phiseldeck Konsistorialpräsident war. (Anlage 6 a)
Der Lagebericht ging auf 17 Seiten ausführlich auf die Verhandlungen und Beschlüsse der Inspektionssynoden sein. Für 1885 hatte das Konsistorium die Frage gestellt, wie die Kirche sich zu den Tauf- und Trauverweigerern stellen sollte. Die Inspektionssynode Braunschweig lehnte eine Beantwortung mit der Begründung ab, eine Wiedereinführung der Kirchenzucht sei nicht zeitgemäß. (Anlage 6 a S. 9) Alle anderen Inspektionssynoden waren dafür, den Verweigerern das passive Wahlrecht zu entziehen, mit der Ausnahme einer Inspektionssynode auch das aktive Wahlrecht, die sehr große Mehrheit wünschte auch den Entzug des Patenrechtes, jedoch sollten ihnen das Abendmahl nicht verweigert werden.

Für das Jahr 1887 hatte das Konsistorium die Frage nach der Bedeutung des Hagelfeiertages gestellt. (Anlage 6 a S. 12 ff) Der Vorstand des Landwirtschaftlichen Zentralvereins hatte beim Staatsministerium beantragt, den Hagelfeiertag wegen „dringender Feldarbeiten“ insbesondere der so bedeutsamen Rolle des Zuckerrübenanbaus auf einen Sonntag zu verlegen, Die einhellige Meinung der Inspektionssynodalen von 22 Inspektionssynoden (von 24 ) war, es bei dem gegenwärtigen Zustand zu belassen, den Hagelfeiertag am 2. Montag im Juni zu begehen. (Anlage 6 a S. 12). Pfiffig erwiderten sie, dass die heimischen Zuckerrübenkultur trotz des Hagelfeiertages zu hoher Blüte gelangt sei.
Es sei „auch in socialer Beziehung nicht wohlgetan, den arbeitenden Klassen einen Tag der Ruhe und Erholung, welche sie bisher besessen hätten zu nehmen.“ (Anlage 6 a s. 14) Nur die Inspektionssynoden Helmstedt-Wolsdorf und Schöningen bejahten mit der sehr knappen Mehrheit von 7:6 Stimmen die Verlegung. Das Thema beschäftigte dann die folgenden Landessynoden.

Der Bericht über die Inspektionssynoden gab überdies 18 Anträge zu weiteren Themen und deren Beantwortung durch das Konsistorium wieder. Danach beschäftigte sich der Bericht mit den Einkünften und Einkommen der Pfarrstellen. Denn es gab nach wie vor erhebliche Unterschiede in den Einkünften der Pfarrstellen. 49 Pfarrstellen erwirtschafteten das Minimaleinkommen von 2.100 Mark, 81 blieben unter dem Durchschnitt von 4.140,08 M. 99 Pfarrstellen erwirtschafteten zwischen 4.000 und 7.000 M und 18 gehörten zu den fetten Pfründen, die zwischen 7.000 und über 9.000 M erzielten. Entsprechend unterschiedlich gestaltete sich auch das Einkommen der Pfarrer. 49 gehörten zu den ärmeren Einkommen von 2.100 - 2.700 M jährlich, 52 zu den eher mickrigen Einkommen von 2.700 – 3.500 M, 91 zu den Normalverdienern von 3.500 – 5.000 M jährlich, und 48 zu den Großverdienern von 5.000 bis mehr als 9.000 M.

Einige Predigersynoden beschäftigten sich mit aktuellen Themen. „Wie sind die Hauptforderungen der Socialdemokratie vom Standpunkt der neutestamentlichen Lehre aus zu beurteilen? Inwieweit und auf welche Weise hat sich die Kirche an der Lösung der socialen Frage zu beteiligen?“ (Predigersynode Holzminden/Gandersheim 1888) (Anlage 6 a S. 39). Die Predigersynoden von Wolfenbüttel und Blankenburg beschäftigten sich 1888 mit der Frage einer „Entstaatlichung“ der Kirche, veranlasst durch die sog. Hammersteinschen Anträge und die darauf beruhenden Forderungen von Kleist-Retzow. (Anlage 6a S. 40)
Von den 1888 insgesamt 249 Pfarrstellen waren 18 vakant, die von den Nachbarpfarrern vertreten werden mussten, während die Einkünfte aus den Pfründen in den Emeritierungsfonds flossen. Das war ein beträchtlicher Beitrag der aktiven Pfarrerschaft zum Unterhalt ihrer Vätergeneration.

Die eingeführten Christvespern hatten sich bewährt und einige neue waren hinzugekommen. (Anlage 6a S. 41)
Es wurden zwischen 1884 und 1887 elf Pfarrhäuser für insgesamt 304.703 M. neu erbaut, 15 in größerem Maße instandgesetzt, an 215 laufende Reparaturen vorgenommen, 12 neue Turmuhren installiert, elf Kirchturmneubauten für 278.074 M und größere Instandsetzungen an Kirchen für 351.633 M getätigt und 26 neue Orgeln angeschafft. (Anlage 6a S. 58 f)
Seit dem 15.9.1887 erschien das Amtsblatt.

Diskussion über den Lagebericht
An vier Tagen diskutierte die Synode Kapitel für Kapitel den Lagebericht des Konsistoriums und stellte zahlreiche Anträge, die entweder sofort behandelt oder einer Kommission überwiesen wurden. Eggeling schlug vor, Ehrenmitgliedern eines Kirchenvorstandes ein Abstimmungsrecht einzuräumen, was nach sechs Debattenbeiträgen abgelehnt wurde. Keunecke und Eimecke, Gemeindevorsteher in Watzum und Frellstedt wünschten eine zeitliche Verlegung des Hagelfeiertages, am liebsten auf einen Sonntag, was nach acht Redebeiträgen abgelehnt wurde, aber das Thema wurde auf die Tagesordnung der nächsten Landessynode gesetzt und die Inspektionssynoden befragt. Skerl, der Braunschweiger Stadtpfarrer, beantragte angesichts der Bevölkerungsexplosion die Gründung neuer Kirchengemeinden.

Superintendent Schulz aus der Inspektion Halle/Ottenstein beantragte die Ausarbeitung eines neuen Gesangbuches. Der vorhandene Anhang reiche nicht aus. Diese Anregung rührte an einen wunden Punkt. Der Watzumer Bürgermeister Eimecke hielt ein neues Gesangbuch gerade für die Landbevölkerung für überflüssig, man solle doch in kirchlichen Sachen so wenig wie möglich wechseln. Skerl wollte ein Gesangbuch auf gesamtkirchlicher Ebene abwarten, Superintendent v. Schwartz schlug vor, das hannoversche oder provinzsächsischen Gesangbuch einzuführen, Leidloff und Keunecke mahnten zu allmählichem Vorgehen, Abt Sallentien ersuchte die Versammlung, „sich bei ihren Beschlüssen doch thunlichst auf practisch durchführbaren Boden zu halten“. (Protokoll 3 S. 16). Pastor Eggeling griff eine Anregung der Inspektionssynode Schöningen auf, bei der kirchlichen Trauung das Ehrenprädikat „Junggesell“ und „Jungfrau“ wegfallen zu lassen. Die einen wollten auf diese Bezeichnung als „sittliches Zuchtmittel“ keinesfalls verzichten, andere rieten dazu. Das Protokoll vermerkte „lebhafte Debatte“ und sieben Redebeiträge.

Der Vorabend des Totensonntages sollte von dem „Überhandnehmen von Vergnügungen“ freigehalten werden. Der Antrag des Synodalen Schulz, der die obligatorische Einführung des Handarbeitsunterrichtes in den Landschulen wünschte, fand keine genügende Unterstützung, dagegen eine großer Mehrheit eine Neuordnung des Disziplinarverfahrens gegen Kirchendiener anlässlich eines akuten Falles. Damit war die Debatte noch nicht vorbei.

Das Konsistorium konnte befriedigt feststellen, dass sein Lagebericht zur Kenntnis genommen wurde, auf Interesse stieß und zahlreiche Anregungen gerade aus der Sicht der Kirchengemeinden auslöste.

Alte Grabenkämpfe
In der 5. Sitzung wurden zwei bereits erledigte Themen wieder aufgegriffen, die seinerzeit für Wirbel gesorgt hatten. Das damalige Abstimmungsergebnis sollte nun revidiert werden. Der Synodale Pastor Eißfeldt aus Watzum, hatte eine Petition an die Synode gerichtet, in dem sonntäglichen Gottesdienst das apostolische Glaubensbekenntnis sprechen zu können. (Prot. 2 S. 10) Das war von der zweiten Synode 1876 abgelehnt und dafür das Glaubenslied in die Liturgie eingeführt worden. Für die Kommission empfahl der Synodale Jeep die Ablehnung der Petition, stellte aber einen neuen Antrag, dass das Glaubensbekenntnis nicht wie bisher an den hohen Festen, sondern an allen Festtagen gesprochen werden könnte. Die Kommission ließ offen, wie der Synodale Skerl bemängelte, welche Festtage gemeint seien. Eggeling: „man sollte jetzt durch Änderungen nicht wieder unnötige Unruhe hervorrufen und das ewige Rütteln an kirchlichen Dingen unterlassen“. (Sb 5 S. 29) Immerhin hatte Generalsuperintendent Schönermark die Petition mit unterschrieben, nannte das Bekenntnislied ein Surrogat, das Glaubensbekenntnis gehöre nun einmal zur kirchlichen Gottesdienstordnung, dann könne es auch für jeden Sonntag gelten. (ebd.) Anders die Bürgermeister Guericke und Keunecke. Guericke, Helmstedt, fand die langen Bekenntnisse „monoton“, die Gemeinden würden sich gelangweilt fühlen. (Sb 5 S. 30) Kommissionsmitglied Kreisdirektor Langerfeldt nannte Himmelfahrt und Reformationsfest als die in Frage kommenden Feste. Schließlich wurden beide Anträge abgelehnt.

Unmittelbar darauf wurde eine andere Bittschrift, diesmal von Pastor Pillmann zur Aussprache gestellt, nämlich bei der kirchlichen Trauung doch den Mädchennamen der Braut bei der Traufrage verwenden zu dürfen. (Wortlaut der Petition Sb 6 S. 33) Das war in der außerordentlichen Synode 1875 gründlich beraten und abgelehnt worden. Überraschenderweise empfahl der Bittschriftenausschuss mit 3:2 Stimmen die Annahme der Petition. Viele Geistliche der Landeskirche hielten sich gar nicht an das Formular, und im übrigen werde der Mädchenname in den Trauformularen der meisten anderen Landeskirchen verwendet. (Sb 5 S. 31) Konsistorialrat Sallentien zeigte sich höchst überrascht über die Eigenmächtigkeit von Pfarrern. Landsyndikus Rhamm sprach von einem „Sturmlauf der Geistlichkeit gegen die Zivilehe“. ( ebd.) Auch Leidloff warf den Geistlichen vor, „Verwirrrung und Beunruhigung in die Gemüter zu tragen“. (ebd) Es war wieder Generalsuperintendent Schönermark, der diese Petition mit unterzeichnet hatte und seine Unterschrift verteidigte. Der Abgeordnete v. Schwartz empfahl zynisch, den Antrag deshalb anzunehmen, weil er „stets wieder von Neuem eingereicht würde“. (Sb 5 S. 32) Die Debatte uferte aus, die Abstimmung wurde auf den nächsten Tag verschoben, und dann der Antrag gegen 10 Stimmen abgelehnt.

Überarbeitung der theologischen Prüfungsordnung
Die vierte Synode hatte die Kirchenregierung aufgefordert, ein Kirchengesetz zu den theologischen Prüfungen vorzulegen, das die Synodalen in den Vorlagen rechtzeitig vorfanden: ein Kirchengesetz (Anlage 7 a), eine Begründung (Anlage 7 b) und den Entwurf einer Instruktion für die theologische Prüfungskommission (Anlage 7 c). (Zur Situation der Ausbildung um 1888 siehe Klaus Jürgens Das Predigerseminar in Wolfenbüttel unter der Leitung des herzoglichen Konsistoriums 1836 – 1922 S. 93 ff) Im Gesetz wurde die bisherige Prüfungspraxis, die zwei Examina vorsah, in denen vor allem biblische Theologie, Kirchengeschichte, Dogmatik und Ethik geprüft wurden, bestätigt. Das Gesetz sah neu vor, dass die bisherige Prüfungskommission, die aus drei Konsistorialräten des Konsistoriums bestand, um zwei Geistliche aus der Landeskirche ergänzt werden sollte. Die Hoffnung der Synode, dass ihr die Wahl der beiden prüfenden Pfarrer vorbehalten werde, wurde enttäuscht. Das Konsistorium beanspruchte dieses Recht für sich selber. Es wählte jedoch mit Pastor Eggeling und Stadtsuperintendent Rothe, Wolfenbüttel, zwei Synodale in die Prüfungskommission. (Amtsblatt 1889 S. 105 Nr. 138) Außerdem sah das Gesetz eine Erweiterung beim 2. Examen darin vor, dass neben der Praktischen Theologie auch die Pädagogik Prüfungsfach wurde. Nach Paragraf 9 des Kirchengesetzes verpflichtete sich jeder Kandidat, „sich mit dem Volksschulwesen genauer bekannt zu machen“, und einen sechswöchigen Seminarkurs in einem der beiden Lehrerseminare zu besuchen. Diese Ausbildung sollte der Qualifizierung der Dorfpfarrer für die ihr obliegende Aufsichtspflicht der Dorfschule dienen.

Die Synode zeigte sich mit dem Gesetz einverstanden, schlug indes vor, dass von der Synode drei Pfarrer vorgeschlagen werden sollten, aus denen dann die Kirchenregierung zwei für die Prüfungskommission auswählen sollte. Erst nachdem Konsistorialrat Sallentien „auf das allerdringlichste“ sich gegen diesen Kommissionsvorschlag ausgesprochen hatte und Kirchenkommissar Wirk für den Fall der Annahme das ganze Gesetz in Frage stellte (Sb 6 S. 38 f), lehnte die Synode den Kommissionsvorschlag mit Mehrheit ab. Trotzdem zog sich die Debatte an der Frage der Dauer des Schulpraktikums und an der Examenspredigt noch über den nächsten Sitzungstag hin. (Sb 7 S. 43) Im März wurde das Gesetz veröffentlicht. (GuV 1889 N. 7 S. 13 ff 18.3.1889; Amtsblatt 1889 S. 35 Nr. 120).

Die Pfarrwitwenversorgung
Schon am ersten Synodentag im Dezember hatte Konsistorialrat Sallentien noch weitere Eingänge angekündigt. Trotzdem war der Eingang eines Gesetzes zur zentralen Pfarrwitwenversorgung überraschend. Schon wegen seines Umfanges. Es umfasste einen 15-seitigen Gesetzestext (Anlage 13 a), eine 40seitige Begründung (Anlage 13 b) und einen weiteren 14 Seiten langen Anhang zu Finanzfragen (Anlage X zur Anlage 13 b). Die Synode wählte mitten in ihren Verhandlungen am 23. Januar die Synodalen Rhamm, Langerfeldt, Oehns, Skerl und Schönermark in einen vorberatenden Ausschuss. (Sb 7 S. 44)
Es war einleuchtend, dass nach dem Emeritierungsgesetz, das die Altersversorgung der Pfarrer sicherstellte, nun auch ein entsprechendes Gesetz für die Pfarrwitwen verabschiedet werden sollte. Die Pfarrwitwenversorgung lag ganz in den Händen der Pfarrstelleninhaber. Die Pfarrwitwen hatten freie Wohnung in einem am Ort errichteten Pfarrwitwenhaus und dazu etwas Land, das sie meist verpachteten. Außerdem hatte der Pfarrstelleninhaber einen bestimmten Betrag an die Pfarrwitwe zu zahlen. In den Generalsuperintendenturen gab es außerdem zur finanziellen Unterstützung Pfarrwitwenkassen. Dieses System hatte Mängel: die Unterhaltung war zeitlich und materiell unregelmäßig, weil sie abhängig von den schwankenden Pfarreinkünften blieb. Sie belastete die Pfarrstellen ungleichmäßig, denn nicht zu jeder Pfarrstelle gehörte eine Pfarrwitwe. Die Kinder blieben von der Unterhaltung ausgeschlossen. Ein Vergleich mit der Versorgung von Beamtenwitwen fiel sehr ungünstig für die Pfarrwitwen aus. (zur Versorgung von Pfarrfrauen seit der Reformationszeit siehe Kristina Kühnbaum-Schmidt, Frauen in der Braunschweigischen Kirchengeschichte, in: Von der Taufe der Sachsen zur Kirche in Niedersachsen 2010 S. 601 ff)
Das neue Gesetz enthob die Kirchengemeinden der Versorgung, zentralisierte sämtliche bisherigen, beträchtlichen Einnahmen in einer Zentralkasse, die vom Staatsministerium verwaltet wurde (Anlage 13 a § 2), und gründete eine Landes-Pfarrwitwen-Versorgungsanstalt. Hinter diesem umständlichen Namen verbarg sich eine Stiftung. Grundstock der Stiftung war das Kapitalvermögen der einzelnen Kirchengemeinden (§ 4) (ebd.S. 4), sowie die jährlichen Einnahmen von dreieinhalb Prozent des Diensteinkommens. ( § 22) Außer dem unantastbaren Grundstock wurde ein Reservefonds gebildet, in den die Zinsen des Grundstockes sowie eine einmalige Abgabe von einem Zwölftel des Diensteinkommens des Pfarrers, dessen Frau Nutznießer des Pensionsfonds werden sollte, flossen.

Die Rolle der Landessynode war sehr bescheiden. Die Landesversammlung hatte das Gesetz bereits beschlossen, Änderungen waren, wie der Kirchenkommissar unmissverständlich in der Einleitung bemerkte, unerwünscht und auch nur mit Genehmigung des Kirchenkommissars möglich. Aber vor Inkraftsetzung des Gesetzes sollte die Landessynode das Gesetz „gutachterlich“ behandeln. Nun gehörten bereits acht Synodale der Landesversammlung an und waren an der staatlichen Gesetzgebung beteiligt. Der mit der Materie bestens vertraute Landsyndikus Rhamm trug der Landessynode sehr ausführlich den Sachverhalt vor und nannte einige wenige stilistische Änderungen der Kommission. Auf heftige Einreden seitens des Konsistoriums und auch des Kirchenkommissars wurden einige Anträge wieder zurückgezogen und der Vorlage zugestimmt.
Bei der Veröffentlichung in der Gesetz- und Verordnungs-Sammlung vom 5.5.1889 „Gesetz, die Errichtung einer Landes-Pfarrwittwen-Versorgungsanstalt betreffend“, S. 141 ff sowie im Amtsblatt des Herzoglich Braunschweig-Lüneburgischen Consistoriums fehlt bezeichnenderweise ein Hinweis auf Landessynode und Beirat des Konsistoriums. Das Gesetz ist unterzeichnet von den Mitgliedern des Staatsministeriums Otto, Spies und Hartwieg. (GuV Nr. 22 vom 5.5.1889; fehlt auch im Amtsblatt 1889 S. 87 Nr. 134)

Die Taufe

Mit der Neuordnung des Taufgottesdienstes wurde das 1878 begonnene Agendenwerk weiter geführt.

Die Taufe vor 1886
Wir machen uns heute kaum noch eine Vorstellung davon, in welchem völlig andersartigen Zustand sich die Kirche Jahrhunderte lang bei der Vornahme einer Taufe befunden hat. An der Taufe kam kein Einwohner vorbei. Er musste getauft werden. Schon die Tatsache der Zwangstaufe war dem Evangelium zuwider. Die Hebamme, die bei der Entbindung der Mutter behilflich war und das Kind „geholt“ hatte, meldete die Geburt beim Pfarrer an. Wenn die Paten („Gevattern“) feststanden, gingen die Paten zum Taufgottesdienst. Der Ansprechpartner für den Pfarrer war nicht die Mutter, die an der Taufe nicht teilnahm, und auch nicht der Vater sondern die Paten. Die Taufhandlung folgte der Dramaturgie eines Heilseinbruches. Das seit seiner Entstehung und Entbindung befleckte Menschenkind befand sich in einem erbärmlichen Zustand, sozusagen im Rachen der Hölle, und musste daraus durch die Taufe herausgerissen und errettet werden. Das gestaltete sich als ein Drama zwischen Pastor und Täufling, und die Paten waren Zeugen und Zuschauer dieses Dramas.

Den Paten wurde zu Beginn der Taufhandlung ihre Rolle bei diesem Heilsdrama eröffnet, „dass sie wohl bedenken, was für ein hohes und wichtiges Werk es sei, ein Kind, das in Sünden empfangen und geboren und daher unter den Zorn Gottes bleiben und in Ewigkeit verdammt sein müsste, aus solchem jämmerlichen Zustand heraus zu helfen“. (KO Anton Ulrich Agende Teil 2 S. 45). Der Täufling sollte durch das Blut Jesu von seinen Sünden abgewaschen, mit dem Heiligen Geist getauft und versiegelt und von der Gewalt des Teufels „mächtiglich“ erlöst werden.

Dann fragte der Pastor nach dem Namen des Kindes, „worauf die Gevattern dem Kinde den Namen geben“. Taufe war also Namensgebung. Nun wird Gott als der eigentliche Täufer erstmals angerufen. „O du barmherziger und gnädiger Gott. Siehe, dies liebe Kind, welches wir vor dein Angesicht bringen, ist aus sündlichem Samen gezeugt und in Sünden empfangen und geboren, also von Natur ein Kind des Zorns und wegen der Sünde wird der unreine Geist Gewalt über dasselbe finden“. Aber da Christus erschienen wäre, die Werke des Teufels zu zerstören, so möge Gott das Kind durch die Kraft des Blutes, die in der Taufe vorhanden sein, das Kind von seinen Sünden reinigen. Taufe ist also ein Reinigungsvorgang. „Du wollest sein Herz zu einer Wohnung des Heiligen Geistes machen und es antun mit der Kraft aus der Höhe, dass es dem Satan fest im Glauben widerstehen, wenn die Stunde der Versuchung kommt, alles wohl ausrichten, den Sieg erhalten und endlich als ein guter Streiter (Streiterin!) Jesu Christi die Krone der Gerechtigkeit davon bringen möge.“ (ebd. S. 47). Die folgende Bezeichnung mit dem Kreuz diente der „heilsamen Erinnerung“, dass Jesus Christus am Stamm des Kreuzes für den Täufling den Tod erlitten „und dich von der Gewalt des Satans und der ewigen Verdammnis erlöst hat“. Nun bitten auch die Paten - der Pastor macht sich zu ihrem Sprecher - und bittet Gott, dass der Täufling „den ewigen Segen dieses himmlischen Bades erlange“.

Nach der Lesung des sog. „Kinderevangeliums“ (Markus 10), wird Gott um Segen angerufen. Er wolle ja selbst allhier Täufer sein, und diesem Kindlein seinen Heil Geist reichlich mitteilen, der in seinem Herzen anzünde, bekräftige und auch erhalte einen festen Glauben und gewisse Zuversicht auf das einige Verdienst Jesu Christi, durch welchen Glauben dieses liebe Kindlein itzund möge werden, hernachmals sein und ewiglich bleiben ein Kind Gottes und Erbe aller himmlischen Güter, und also endlich erlangen und überkommen die ewige Seligkeit und das ewige Leben.“
Der Pastor legt dem Täufling die Hand auf und betet mit den Paten das Vaterunser.
Jetzt erst geht der Pastor mit den Paten zum Taufstein, jetzt erst kann der Täufling durch den Mund der Paten dem Teufel, seinen Werken und all seinem Wesen namentlich „entsagen“ und den apostolischen Glauben, der ihm in Frageform vorgesagt wird, bekennen. Es wirkt wie ein retardierendes Moment, dass der Pastor die Frage stellt: Willst du getauft sein? Antwort: Ja. Dann erfolgt die Taufe, wobei das Besprengen mit Wasser nicht eigens erwähnt wird, sondern es heißt: Der Prediger behält das Kind über die Taufe und spricht das Gebet, das heute noch gebetet wird: „Der allmächtige Gott und Vater unsres Herren Jesu Christi, der dich anderweit (aufs neue) geboren hat durch das Wasser und den Heiligen Geist, und hat dir alle deine Sünde vergeben, der stärke dich mit seiner Gnade zum ewigem Leben. Amen.“

Danach wurden die Paten auf ihre Rolle in diesem Heilsdrama angesprochen, nämlich, dass sie Zeugnis geben und durch ihren Mund vor Gott dem Herrn und allen seinen heiligen Engeln angelobet haben, dass es mit dem Satan und allen seinen Werken und Wesen nichts zu schaffen habe, hingegen an Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist glauben wolle. Schließlich werden sie auf ihre Pflichten angesprochen, nämlich für dieses Kind fleißig zu beten, Sorge zu tragen, dass es in der Erkenntnis Gottes auferzogen werde, den Katechismus lerne, und sich zu Kirche und Schule halte. Sie bekräftigen diesen Pflichtenkatalog mit einem „Ja“.
Ein Dankgebet, dass Gott dieses Kind durch die Taufe wiedergeboren und seinem Sohn Jesus „einverleibet“ hat, und er möge es durch seine Barmherzigkeit bewahren. Der Segen gibt dem Drama einen zuversichtlichen Schluss.

Eine schrittweise, allmähliche Beschreibung aller aufeinander folgenden Phasen dieses Heilsdramas macht anschaulich, dass mit dieser Taufliturgie ein in sich schlüssiger, spiritueller Vorgang beschrieben wird.

Es erscheint mir fraglich, ob die Taufe in dieser Form in allen seinen Teilen bis zum Erscheinen einer neuen Taufordnung eingehalten wurde. Es konnten ganze Teile ausgelassen werden, wie z.B. die Absage an den Teufel, die Einleitung und Gebete konnten gekürzt werden. In jedem Fall blieb die Taufe eine auf den Pastor und den Täufling eingeengte Handlung zum Zwecke der Befreiung aus dem sündigen Urzustand und das Hineinheben in den Gnadenstand Christi. Eine Beteiligung der Gemeinde und der Eltern war bei dieser Prozedur unnötig. Die Taufhandlung vor 1886 ist ein gutes Beispiel, dass der Gemeindebegriff noch nicht erfunden und ein Verständnis von Kirche als Gemeinde noch nicht vorhanden war.

Vor allem aber war durch die Aufklärung und die Französische Revolution ein völlig anderes, positives, säkulares Menschenbild im Umlauf gekommen und auch gesellschaftsfähig geworden, die keine Voraussetzung für den Entwurf eines Heilsdramas zuließ.

Revision der Taufagende durch Domprediger Thiele
Domprediger Thiele hatte in seinem Kirchenbuch 1852 eine revidierte Taufordnung vorgestellt. Er „ent-teufelte“ den Text, ohne die Grundaussage, dass der Täufling von seiner sündlichen Natur erlöst würde, aufzugeben. Er fügte als Lesung den sog. Taufbefehl (Mt. 28) hinzu, der merkwürdiger Weise in der vorangegangenen Ordnung fehlte, obwohl er zum festen Bestand des kleinen Katechismus von Martin Luther gehörte. Er beteiligte die Paten am Segen über dem Täufling, indem sie mit dem Pastor die Hände über den Täufling halten, er fügte das schöne Gebet hinzu, in dem an die Arche Noah und den Zug Israels durch das rote Meer erinnert wird, das sich heute in der weiteren Auswahl von Gebeten in der Agende befindet, und er empfahl, die Taufe möglichst vor oder nach einen Sonntagsgottessdienst zu halten, damit die Gemeindemitglieder am Taufgottesdienst teilnehmen und sich ihrer eigenen Taufe erinnern konnten. Das waren zahlreiche praktische Hinweise für eine kommende Revision der Taufordnung.

Die erneurte Taufordnung

Die dritte Landessynode 1880 hatte die Kirchenregierung um die Vorlage einer erneuerten Taufagende gebeten. Das Konsistorium hatte dies zunächst nicht für dringlich gehalten und legte erst der fünften Landessynode 1888/89 einen Entwurf vor zusammen mit einer Ordnung für die Erwachsenentaufe, einer sprachlich überarbeiteten Ordnung der Einsegnung der Wöchnerinnen und einer erneuerten Konfirmationsordnung.
Diese Vorlage des Konsistoriums war von der liturgischen Kommission vorberaten und der Synode zur Aussprache und Beschlussfassung vorgelegt. Die Vorlage (Anlage 10 a) sah eine Grundform mit einem erweiterungsfähigen Einleitungs- und Schlussteil vor. Die Grundform bestand aus einer Anrede zu Beginn und der zweifachen Bezeichnung mit dem Kreuz an Stirn und Brust des Täuflings „zur heilsamen Erinnerung, dass dein Heiland Jesus Christus am Stamm des Kreuzes für dich den Tod erlitten hat – unter diesem Zeichen sollst du leben, sollst kämpfen und sollst siegen“. Nach einem Gebet wurden der Taufbefehl (Mt 28), Taufverheißung (Mk 16) und das sog. Kinderevangelium ( Mk 10) verlesen und danach unter Handauflegung vom Pfarrer das Vaterunser gebetet.
Es folgte das apostolische Glaubensbekenntnis in zwei Varianten (als Frage an die Paten, oder gemeinsam gesprochen) und die Frage an die Taufzeugen, ob das Kind getauft sein wolle. Danach folgte die Taufe, ein Segenswort, eine Ermahnung der „Gevattern“, also der Paten, und der Schlusssegen.

Wer eine reichere Form bevorzugte, konnte im Eingangsteil eine entfaltete trinitarische Formel verwenden: („Im Namen Gottes des Vaters, der Himmel und Erde geschaffen und nach dem Reichtum seiner Gnade uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich Seines lieben Sohnes. Im Namen Seines eingeborenen Sohnes, unsres Heilandes Jesu Christi, in welchem wir haben die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden, und der auch die Kindlein zu Sich gerufen und verheißen hat, daß ihrer das Reich Gottes sei. In Namen des heiligen Geistes, durch welchen wir wiedergeboren werden in dem Wasserbad der heiligen Taufe, auf daß wir gerecht und Erben seien des ewigen Lebens.
Er, der heilige, dreieinige Gott, hochgelobt in Ewigkeit, sei uns gnädig und fördere das Werk unserer Hände bei uns zu Seines Namens Ehre. Amen.
Geliebte in Christo! Wir sind hier versammelt vor dem Angesicht Gottes, des heiligen und dreieinigen, um in Seinem Namen nach der Ordnung und Einsetzung unsres Herrn Jesu Christi Ihm dieses Kind in der heiligen Taufe zuzuführen, damit Er es in Seinen Gnadenbund aufnehme und es ein Kind Gottes und Erbe Seiner Herrlichkeit werde..“).
Vor dem Segen folgte ein ausführliches Dankgebet und eine Ermahnung an die „Gevattern“.

Eine andere Form betonte eingangs die sündige Natur des Täuflings („..dass wir von Adam her allesamt der Sünde und ihrem Elend unterworfen sind und deshalb vor Gott nicht bestehen können, sondern ewiglich verloren wären, wenn sich nicht Gott, der Vater aller Gnade, unser erbarmt und Seinen Sohn Jesum Christum, unsern Heiland in die Welt gesandt hätte, uns aus solchem Verderben zu erretten. Auch dieses Kindlein ist seiner Natur nach mit gleicher Sünde, wie auch wir behaftet und ist mit uns gleichem Tod verfallen. Denn es ist Fleisch vom Fleisch geboren und kann nicht in das Reich Gottes eingehen, es sei denn von neuem geboren aus dem Wasser und Geist..“).
Im Schlussteil entfielen die Ermahnungen an die Paten.

Eine dritte kürzere Form vermied die dogmatische Korrektheit und Fülle. Sie verzichtete auf die umstrittene Formulierung „Entsagst du der Sünde samt allem Wesen und allen Werken des Satans und seines Reiches der Finsternis“. Sie verzichtete auch auf ein längeres Dankgebet und eine spezielle Vermahnung der Paten nach dem Taufakt, der nach dem Taufvorgang abrupt mit dem aaronitischen Segen abgeschlossen wurde.

Diese drei Varianten konnten untereinander auch getauscht werden, also ein längerer Einleitungsteil und ein kurzer Schlussteil und umgekehrt. Darin war die Vorlage wegweisend.
Mit den drei unterschiedlichen Formen war dem orthodoxen wie liberalen Pfarrer Genüge getan.

Die althergebrachte Sitte der Einsegnung der Mutter („Wöchnerin“), die gewöhnlich erst nach sechs Wochen erfolgte und mit dem ersten Kirchgang der Mutter verbunden war, konnte unmittelbar auf die Taufe folgen. Die Mutter kam mit dem Täufling an den Altar, wo ein Psalm und ein Dankgebet für die glückliche Entbindung gesprochen wurden.

Diese Taufliturgie bedeutete gegenüber der vorangegangenen Taufpraxis eine Straffung und bot unterschiedliche Varianten. Aber der Taufvorgang war wie bisher auf den Pastor und den Täufling zugespitzt. Die Empfehlung Thieles nach möglicher Beteiligung der Gemeinde und der Mitwirkung der Paten am geistlichen Geschehen wurde nicht in die Agende aufgenommen. Auch eine auf die familiäre Situation eingehende Predigt oder die Auslegung eines Taufspruches kam nicht vor.

Bei der Aussprache in der Landessynode wurde die aktuelle Taufsituation nicht beschrieben, die offenbar nicht als kritisch angesehen wurde.

Immer noch Namensgebung?
Die erneuerte Taufagende begann mit dem verräterischen Vermerk „Vor der Taufvornahme hat der Geistliche nächst den sonstigen Notizen für das Kirchenbuch auch die Namen, welche das Kind erhalten soll, zu erkunden.“ „Erhalten soll“ ? Der Täufling hatte ja bereits seinen Namen. Offenbar war die Jahrhunderte alte Gewohnheit, dass Taufe auch Namensgebung war, noch zu fest eingewurzelt. Die zwingend notwendige Anmeldung der Geburt erfolgte seit 1876 beim Standesbeamten, wobei oft auch der Vorname des Kindes registriert wurde. Nun erfuhr der Pastor den Namen des Täuflings erst vor der Kirchentür.
In der Inspektionssynode Walkenried 1885 war allerdings die Trennung von Taufe und Namensgebung bedauert worden. (Anlage 6 a S. 23) Die Synodalen erstrebten, dass der Name des Täuflings erst nach erfolgter Taufe dem Standesamt mitgeteilt werden sollte. Die nunmehrige Übung bedeute eine „Verachtung des Segens der Taufe“. (ebd)

Es konnte „wo sich’s einrichten ließ“, vor und nach der Taufhandlung ein oder einige passende Verse aus dem Gesangbuch gesungen werden. Das blieb wohl, wenn überhaupt, dem Lehrer und seinen Schülern vorbehalten. Das ist auffällig, da das gebräuchliche Gesangbuch besonders Lieder zur Taufe aufführte.

Immer noch keine Beteiligung der Gemeinde
In der ersten evangelischen Taufordnung von 1569 hatte es noch geheißen: „Und wäre gut, daß um nützlicher Erinnerung und um des gemeinsamen Gebetes willen die Handlung der Taufe, wo es geschehen könnte und sich leiden wollte, verrichtet würde, wenn die ganze Gemeinde Gottes beisammen ist. Jedoch sollen Freunde, Nachbarn, Bekannte und andere vermahnet werden und dabei sein, wenn ein Kindlein getauft wird.“ (KO S. 126) Dieser wichtige Gedanke, dass ein Kind in eine Gemeinde hineingetauft wird und die Gemeinde eine Verantwortung für den Täufling hatte, war im Laufe der Jahrhunderte individualistisch „vereinfacht“ worden.

Wenige Monate nach der Synodalbeschlussfassung wurde die Taufordnung im Amtsblatt veröffentlicht (Amtsblatt 1889 S. 47 Nr. 122) und zum 15. Mai 1889 offiziell eingeführt. Die Pfarrämter erhielten für je 70 Pf. die für die Agenden bestimmten Exemplare. (Amtsblatt 1889 S. 103 Nr. 135 und Nr. 136). Übergangsfristen waren nicht vorgesehen.

Es war nicht unlogisch, dass mit dieser Liturgie auch zehn oder zwanzig Täuflinge in einem Taufgottesdienst getauft werden konnten. In der Magnikirche sollen an einem Sonntag 50 Täuflinge getauft worden sein.

Geburten und Taufen
  Gesamt Stadt BS Land BS
Jahr Geburt Taufen % Geburt Taufen % Geburt Taufen %
1888 12.598 12.079 95,9 2.920 2.548 87,3 9.678 9.531 98,5
1889 12.874 12.301 95,5 3.059 2.641 86,3 9.815 9.660 98,4
1890 12.708 11.951 94,0 3.117 2.695 86,5 9.591 9.256 96,5
1891 13.466 12.954 96,2 3.443 2.976 86,4 10.023 9.978 99,6
1892 13.082 12.412 94,9 3.318 2.879 86,8 9.764 9.533 97,6
1893 13.679 13.142 96,1 3.460 3.062 88,5 10.219 10.080 98,6
1894 13.189 12.562 95,2 3.381 3.033 89,7 9.808 9.529 97,2
1895 13.348 12.781 95,8 3.360 2.909 86,6 9.988 9.872 98,8
Quelle: Die Synodenberichte

Es änderte sich an der Taufgewohnheit in der Gesellschaft durch die neue Taufordnung nichts. Auf den Dörfern wurde fast noch jedes Kind zur Taufe gebracht. In der Stadt Braunschweig fing die Taufsitte an zu bröckeln. Es gab also nicht getaufte Braunschweiger. Das war für die Stadtgeistlichkeit nur schwer zu ertragen.

Die Konfirmationsordnung

Der innere Zusammenhang von Taufe und Konfirmation war seinerzeit keineswegs so selbstverständlich wie heutzutage.

Die bis 1889 bestehende Konfirmationsordnung
Die im 19. Jahrhundert geltende Ordnung der Konfirmation nach der Kirchenordnung von Anton Ulrich war im Kern eine öffentliche Feststellung des Wissensstandes der Jugendlichen, dem die zweifache Frage folgte, ob sie „in solcher Erkenntnis, Glauben und Bekenntnis“ bleiben und bis ans Ende beständig verharren wollten. Auf die bejahende Antwort der Konfirmanden folgte eine Vermahnung der Gemeinde sowie ein längeres Dankgebet mit der segnend ausgestreckten rechten Hand des Pfarrers, Vaterunser und Schlusssegen.
Diese Ordnung vermied das Glaubensbekenntnis, ein feierliches Gelöbnis der Konfirmanden und eine Einsegnung. Es war vor allem Erklärung und Versprechen der Konfirmanden, sowie seelsorgerlich erläuternde Ansprache des Pfarrers, die die Handlung umrahmten. Das Besondere war, dass Eltern, Paten und Konfirmanden bei dieser verhältnismäßig kurzen Handlung am Altar standen. Die erläuternde Ansprache zu Beginn verwies auf die stellvertretende Rolle der Paten bei der Taufe. Nun wiederholten die Konfirmanden das Bekenntnis, was vom Pfarrer bestätigt (konfirmiert) wurde. Nach der Prüfung hatte der Pastor den Kindern „beweglich vorzustellen, was für einen teuren Schatz diese Kinder durch solche Erkenntnis erlangt und überkommen, wie sich Gott mit ihnen als ein Vater mit seinen Kindern in allen Gnaden verbunden und sie in keiner Not nimmermehr werde verderben lassen, wenn sie in solcher Erkenntnis, Glauben und Bekenntnis verharren.“ (KO 1862 S. 62)

Erhebliches seelsorgerliches Gewicht hatte nach dem Versprechen der Konfirmanden die Anrede der Eltern und Paten: „Ihr aber, die ihr als Eltern, Vormünder und Paten hier vor Gottes Angesicht steht, auch übrige gegenwärtige Christen sollt diesen Kindern mit einem unschuldigen unärgerlichen Wandel vorangehen und dafür möglichst sorgen, dass diese Kinder in keiner Weise geärgert, sondern in aller Gottseligkeit zum ewigen Leben erzogen werden.“
Eltern, Paten und Gemeinde wurden nicht aus ihrer geistlichen Verantwortung entlassen, sondern darauf ausdrücklich angesprochen.
Im abschließenden Gebet dankte der Pastor Gott für diese seiner Kirche geschenkten Kinder, und bat: „du wollest das gute Werk, so du in ihnen angefangen hast, stärken, deinen Heiligen Geist in ihnen mehren, auf dass sie in deiner Kirchen und Gemeinde und wahren Gehorsam des Evangelium stetigst bleiben... dass sie also nach ihrem Taufbund Glauben und gut Gewissen bewahren, christlich leben, geduldig leiden, ritterlich ringen und durch Tod und Leben zu dir in den Himmel dringen mögen..“ (KO S. 64)
Dieses Gebet wurde vollständig in die Vorlage für die neue Konfirmationsordnung übernommen, ein Zeichen dafür, dass Teile der alten Konfirmationsordnung noch im Gebrauch waren.

Die Konfirmation nach Thieles Kirchenbuch
Domprediger Thiele setzte entschieden neue Akzente. Die Prüfung trat völlig in den Hintergrund, mehrfach betont wurde dagegen das „Taufgelübde“. „Geliebte Söhne und Töchter: wollt ihr nun euren Taufbund mit Gott bestätigen, euren christlichen Glauben öffentlich bekennen und das Taufgelübde, das einst eure Paten für euch abgelegt, nach vorhergegangener Unterweisung im Worte Gottes aus Antrieb des Geistes nun selber auf euch nehmen? so sprechet : Ja. Antwort: Ja“. (Kirchenbuch S. 255 f)

Da die Absage an den Teufel und seine Werke für Thiele wesentlicher Bestandteil der Taufe war, wurde diese in besonders feierlicher Form stellvertretend von einem Konfirmanden ausgesprochen. Dazu knieten alle Konfirmanden nieder, die Betglocke wurde angeschlagen, dann der Pastor: „Ich frage euch, seid ihr gewillt, zu entsagen allem Bösen, so bekennet es nun vor Gott und vor dieser Gemeinde. Einer der Knaben spricht: „Ich entsage dem Teufel und allen seinen Wesen und Werken, aller eitler und sündhaften Lust dieser Welt, und allem was Gott zuwider ist, so dass ich wider dieselben beharrlich streiten und sie nicht will herrschen lassen über mich. - So helfe mir Gott durch Jesum Christum. Amen.“
Daraufhin sprach ein Konfirmand das apostolische Glaubensbekenntnis und die Konfirmanden wurden gefragt, ob das auch ihr Bekenntnis wäre. „Ja, so glauben wir; Gott stärke uns. Amen.“ Darauf folgte ein Gelöbnis, in dem es u.a. hieß. „Wollt ihr also geloben... das Wort des Herrn gerne zu hören, sein Sakrament zu feiern, in seinem Namen zu Gott zu beten, dabei unverrückt eurer Heiligung nachzujagen..“ Antwort: „Ja, das wollen wir, mit Gottes Hilfe. Amen“.

Daraufhin bestätigte der Pastor „kraft meines Amtes als verordneter Diener der christlichen Kirche euren Taufbund, nehme euch auf in die volle Gemeinschaft der Kirche Christi…“. Daraufhin breitete der Pfarrer beide Hände über die Konfirmanden und sprach ihnen unter Geläut aller Glocken den Heiligen Geist zu: „Nehmet hin den Heiligen Geist…“. Es folgte Handauflegung bei jedem einzelnen Konfirmanden mit dem bereits oben zitierten Dankgebet aus der alten Kirchenordnung. Danach Vaterunser und Segen.

Diese Gottesdienstordnung unterschied sich grundlegend von der bisher herkömmlichen durch die Rolle des Pfarrers. Dieser war bisher der väterliche, ermahnende Seelsorger. Bei Thiele ist er der Bevollmächtigte Gottes, der den Segen auf die Konfirmanden nicht etwa nur erbittet, sondern regelrecht ihnen auflegt. Die Thielesche Ordnung erforderte ein neues Amtsbewusstsein. Die Rolle der Konfirmanden ist wesentlich gewichtiger. Waren sie in der herkömmlichen Ordnung vor allem die Beschenkten, so sind sie bei Thiele die Entsagenden, Glaubenden, Gelobenden. Mitten in der theologischen Abkehr vom Rationalismus zu einem konfessionellen Luthertum lastete auf den Konfirmanden ein ethisches Schwergewicht. Wenig Freude aber viel Verpflichtung.
Teile dieser Konfirmandenordnung wurden bald auch von den orthodoxen Lutheranern in der Landeskirche übernommen, so der persönlich ausgesprochene Segen.

Die Synodenvorlage und Synodendebatte

Das Konsistorium verzichtete leider auf eine inhaltliche Begründung der Vorlage, bemerkte jedoch, dass „in Rücksicht auf die verschiedenen localen Verhältnisse“ mehrere Formen angeboten würden.
Das bedeutete, dass die herkömmliche Konfirmationsordnung nach der Kirchenordnung von 1709 häufig verlassen worden war.
Die Vorlage hielt an der Verbindung von Prüfung und Konfirmation an einem Tage fest, ließ aber auch die Prüfung an einem anderen Tage zu. (Anlage 10 b S. 17)
Danach folgte die Vorlage in wesentlichen Teilen der Ordnung aus dem oben beschriebenen Thieleschen Kirchenbuch. Sie entfernte aus ihr lediglich die dramatische Absage an den Teufel. Die Konfirmationsordnung erinnerte stark an das Taufgelübde, führte das Glaubensbekenntnis in die Konfirmationshandlung ein, mal als Frageform, mal von einem Konfirmanden allein gesprochen, der Pastor vollzog die Konfirmation kraft Amtes als verordneter Diener der christlichen Kirche. Am Ende nahm die Vorlage die in einigen Kirchengemeinden eingeführte persönliche „Einsegnung“ auf, wobei nach dem Vaterunser die Konfirmanden einzeln oder gruppenweise am Altar kniend vom Pastor mit Handauflegung „eingesegnet“ wurden und einen „Bibelspruch als Denkspruch fürs Leben“ erhielten. Die Vorlage nannte fünf Bibelsprüche. Nach der Einsegnung sprach der Pastor zu allen Konfirmanden „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben, so spricht der Herr, dein Erlöser. Darum meine Lieben, seid fest und unbeweglich und nehmet immer zu in dem Werke des Herrn. Denn Gott ist treu, der euch berufen hat.“ (Anlage 10 b S. 20)

Die liturgische Kommission bejahte grundsätzlich die Vorlage und legte der Synode als größte Textveränderung folgende längere Einleitung vor: „Meine Geliebten in dem Herrn, ihr seht hier die Söhne und Töchter, welche schon in ihrer Kindheit durch die heilige Taufe unserm Herrn Jesus Christus und Seiner heiligen Kirche eingepflanzt sind, auf dass sie unter christlicher Zucht und Ermahnung als Gottes Pflanzen erwachsen und mit Früchten der Gerechtigkeit erfüllt werden möchten. Weil sie nun nach dem Befehl des Herrn in Gottes Wort unterrichtet und zur Erkenntnis Seines Willens und Seines heiligen Evangeliums angeleitet worden sind, so begehren sie ihren christlichen Glauben mit eignem Munde allhier zu bekennen und das Taufgelübde selbst über sich zu nehmen, damit sie an dem Sakrament des heiligen Abendmahls Teil haben und als vollständige Glieder der Kirche Jesu Christi wandeln können.“ (Anlage 14 S. 1)

Es ist unschwer zu erkennen, dass der Text wörtlich aus dem Thieleschen Kirchenbuch entnommen ist. Der gehäufte Gebrauch von „heilig“ als Adjektiv in einem kurzen Text (heilige Taufe, heilige Kirche, heiliges Evangelium, heiliges Abendmahl) hatte ein katholisierendes Kirchenverständnis zur Voraussetzung, das der Aufklärung und der herkömmlichen Konfirmationsordnung fremd war. Die Synode stimmte dieser Veränderung der Vorlage zu. In der Endfassung von 1895 wurde diese Einleitung in Klammern gesetzt. Sie konnte also entfallen. Katharinenpfarrer Skerl" schlug als weitere Veränderung aus dem Thieleschen Kirchenbuch die Verleihung des heiligen Geistes durch den amtierenden Pastor vor. „Nehmet hin den heiligen Geist“. So sei es in der Stadt Braunschweig Sitte. (Sb 8 S. 51) Konsistorialrat Sallentien bemerkte zu diesem Wunsch, ihm liege ein katholischer Gedanke zu Grunde. (Sb 8 S. 52) Der Antrag wurde abgelehnt. Die Vorlage sah keine Handauflegung vor, aber die Kommission führte sie, Thiele folgend, als Möglichkeit während des großen Dankgebetes am Ende ein. „Während des Gebetes kann der Geistliche segnend seine rechte Hand über die Konfirmanden ausstrecken entweder am Altar stehend oder zwischen ihnen hindurchschreitend. Wo die Zahl der Konfirmanden es zulässt, kann dabei jedem Einzelnen die Hand aufs Haupt gelegt werden.“ (Sb 8 S. 51)
In der Debatte wurden die Schwierigkeiten bei dieser Prozedur aufgezählt. Der segnende Pastor habe die Hände nicht frei, weil er das Gebete ablesen müsse, das Gebet sei zu lang, um es auswendig sprechen zu können, beim Hindurchgehen dürfe keine Drängelei entstehen. „So gut dieses gemeint sei, so sei es doch im höchsten Grade unerbaulich“. (Abt Sallentien ebd S. 51)
Die schließlich verabschiedete neue Konfirmationsordnung, die noch im selben Jahr offiziell in die Landeskirche eingeführt wurde, (Amtsblatt 18889 S. 67 ff) verstärkte gegenüber der bisherigen Ordnung den Verpflichtungscharakter für die Konfirmanden, führte liturgische Gesten ein, Konfirmation war weniger väterliche Ermahnung und mehr „Einsegnung“ als kultische Handlung des Amtsträgers. Die Einbeziehung von Eltern, Paten und Gemeinde in die künftige seelsorgerliche Verantwortung entfiel bedauerlicherweise vollends. An der Vielfalt der Gottesdienstordnungen anlässlich der Konfirmation wird sich vorerst wenig geändert haben.
Es fällt auf, dass weder in der Vorlage noch in der Debatte ein einziges Mal der Name des theologischen Vordenkers dieser Konfirmationsordnung, Domprediger Thiele, gefallen ist, obwohl er selber lange Mitglied der Landessynode gewesen und erst vor zweieinhalb Jahren, im Mai 1886, verstorben war.

Die Sprache der Konfirmationsordnung ging an der Lebenswelt der Jugendlichen völlig vorbei. 1889 war die Welt auch der Jugendlichen in Stadt und Land Braunschweig durch die Wucht der Industrialisierung in einer derartigen Veränderung, dass die Warnung vor „fleischlichen Lüsten“ an der Neugier auf die Moderne völlig abprallte, die Anrede als Gottes Pflanzen, die unter Zucht und Ermahnung aufgewachsen seien, entsprach auch nicht im geringsten der Situation, in der Jugendlichen aufgewachsen waren.
Es war auch nicht geschickt, dass die oft gleichzeitig stattfindende Entlassung aus der Schule nicht zur Sprache kam. Die viel beklagten Festivitäten und Ausgelassenheiten bei den Konfirmationsfeiern galten ja keinesfalls dem gottesdienstliche Ritus, sondern der Tatsache, dass Schule und Elternhaus endlich vorbei waren, und die Eltern waren froh, dass ein Esser weniger im Haus war.
Schließlich thematisierte die Synode auch nicht die durch die Bevölkerungsexplosion sich rasant verändernde Unterrichtssituation. Wo und wie sollten die Konfirmandenmassen wenigstens ein Vierteljahr unterrichtet werden? Diese und andere praktische Fragen ließ die Synode offen. Die Ordnung des Konfirmationsgottesdienstes wurde zugleich mit der Taufordnung veröffentlicht. (Amtsblatt 1889 S. 67 ff )

Zahl der Konfirmanden in der Landeskirche 1890 – 1909
1890 1891 1892 1893 1894 1895 1.896 1897 1898 1899
6942 8.073 8.171 8.066 7.800 7.802 8.191 8.103 8.217 8.505
101 121 119 133 110 120 154 177 182 198
                   
1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909
8.680 8.805 9.189 9.170 9.263 9.796 9.365 10.061 9.996 9.967
216 232 248 271 280 304 286 357 304 299
Quelle: Statistische Mitteilungen aus der deutschen evangelischen Landeskirche.

Die Tabelle dokumentiert das starke Anwachsen der Konfirmandenzahlen zum Jahrhundertende. Die zweite kleinere Zahl enthält die Zahl der Konfirmanden aus sog. Mischehen.

Kirchenzucht bei Verletzung kirchlicher Pflichten. Das stürmische Synodenende
Eine weitere Vorlage für ein Kirchengesetz, betreffend die Verletzung kirchlicher Pflichten in Bezug auf Taufe, Confirmation und Trauung, (Anlage 12) machte deutlich, wo das Konsistorium in Zukunft Probleme sah. Bisher konnte der Staat als Büttel etwa bei Verweigerung einer Taufe herangezogen werden. Da diese Möglichkeit nicht mehr bestand, wurden lässige Kirchenmitglieder mit Kirchenzucht belegt. Dieses Thema war 1885 von allen Inspektionssynoden behandelt worden und die Mehrheit hatte sich für Kirchenstrafen bei Tauf- und Konfirmationsverweigerern ausgesprochen, allerdings einen Entzug der Abendmahlsbeteiligung abgelehnt.
Der vorliegende Gesetzesentwurf sah vor, dass jene, die sich nicht pünktlich taufen, konfirmieren und trauen ließen, nach fruchtloser Vermahnung mit dem Entzug des Wahlrechts und der Patenschaft bestraft werden sollten. Eltern, die ihre Kinder nicht taufen oder Ehepaare, die sich nicht trauen ließen, sollten seelsorgerlich ermahnt (ebd. § 1) oder schriftlich durch den Kirchenvorstand aufgefordert werden (§ 2), ansonsten würden sie auf Beschluss des Kirchenvorstandes das kirchliche Wahlrecht und Patenrecht verlieren. (ebd. § 4 und 5) Ungetaufte konnten nicht zur Konfirmation, jedoch zur kirchlichen Unterweisung zugelassen werden. (ebd. § 13) Wer getauft aber nicht konfirmiert war, konnte ebenfalls kein Wahlrecht und Patenamt ausüben. (ebd. § 13) Allerdings war die Unterlassung der kirchlichen Trauung kein Grund, die Taufe zu versagen. (ebd. § 14) Durch Schuld der Eltern ungetauft verstorbene Kinder hatten keinen Anspruch auf „die ehrende Mitwirkung der Kirche bei der Beerdigung“. (ebd. § 16)
Eine erbitterte Auseinandersetzung ergab sich in der Aussprache über den § 12, wonach pflichtvergessene Kirchenmitglieder auch vom Abendmahl ausgeschlossen sein sollten, wie es die Hannoversche Landeskirche vorsah, die Mehrheit der Inspektionssynoden aber abgelehnt hatte. Für die kirchenrechtliche Kommission empfahl der Abgeordnete Rhamm die Streichung dieses Paragrafen.
Konsistorialrat Sallentien dagegen verwies in der Debatte „auf die guten Ergebnisse“ in der benachbarten altpreußischen Landeskirche. Vor allem die Laien in der Synode hielten dagegen derlei Kirchenstrafen besonders in der Stadt Braunschweig für zwecklos, zumal mit geringen Ausnahmen die überwiegende Zahl der Kirchenmitglieder die kirchlichen Amtshandlungen nach wie vor begehrten. Die Einführung von Kirchenstrafen bewirkten statt der notwendigen seelsorgerlichen Überlegungen eine fragwürdige Art von angeblich abschreckender Verrechtlichung der Amtshandlungen. Die Synode beschloss die Streichung des § 12 aus dem Entwurf.

Am vorletzten Sitzungstag wurde die Synode jedoch von einem Reskript des Prinzregenten überrascht, dass er die Streichung des § 12 nicht billige, die Synode möge einen neuen Beschluss fassen. Das hielt der Sprecher der kirchenrechtlichen Kommission, Rhamm, aus inhaltlichen Gründen für unmöglich, weil alle Argumente ausgetauscht worden seien, außerdem sei eine Wiederaufnahme geschäftsordnungswidrig. Das Argument wog schwer, weil Rhamm als Landyndikus auch über die Geschäftsordnung der Landesversammlung wachte. Für eine erneute Aufnahme der Debatte setzten sich energisch Konsistorialrat Sallentien, Ministerialrat Hartwieg und Kirchenkommissar Wirk ein, stießen aber auf den harten Widerstand Rhamms und anderer Kommunalpolitiker.
Der Abgeordnete v. Schwartz provozierte die Synode durch wiederholte Versuche, sofort einen Antrag zum § 12 vorzubringen und wurde von erregten Zwischenrufen der Abgeordneten mehrfach unterbrochen. Als er sich zu der Meinung verstieg, man könne eine Bitte des Prinzregenten nicht abschlagen, erntete er heftige Oho! Rufe. Die Lokalpresse berichtete über die amtlich nicht protokollierte Stimmung. (BT 16. 2.18 89/ BLZ 16.2.1889) Die Synode beharrte auf der Streichung, der Konflikt eskalierte, die Sitzung wurde unterbrochen, dem Kirchenkommissar wurde eine Brücke gebaut, wonach frühere Bestimmungen über den Ausschluss vom Abendmahl aus ganz alter Zeit unberührt blieben.

Nun rächte sich die Synode am Verhalten des Kirchenkommissars und bemängelte die verspätete Zusendung der Synodenvorlagen, über die sie bisher schweigend hinweggegangen war. Der Abgeordnete Zerbst beantragte, dem Synodalausschuss die Vorlagen rechtzeitig zuzusenden, damit dieser sie den Synodalen zustellen konnte. Die Synode nahm den Antrag einstimmig an, und der Kirchenkommissar, berühmt für seine blumigen Ansprachen, verzichtete darauf, die Sitzung mit einer üblichen Dankesrede persönlich zu schließen. Er ließ das von ihm unterzeichnete Reskript durch den Präsidenten verlesen, wozu sich die Synodalen zu erheben hatten (Braunschweiger Landeszeitung 16.2.): „Nachdem die Geschäfte der fünften ordentlichen Landessynode mit dem heutigen Tage beendet worden sind, wollen wir dieselbe hiermit schließen. Braunschweig den 16. Februar 1889 Auf Höchsten Spezial Befehl Wirk.“ (Anlage 36)

Die Atmosphäre zwischen dem Staatsministerium und der Synode war eisig. Die Synode dankte dagegen dem ergrauten Kreisdirektor Lerche durch Beifall und Erheben von den Plätzen für die umsichtige Leitung der teils stürmischen, kontroversen Debatte. (BLZ 16.2.1889)

Das Gesetz wurde umgehend in der Gesetz- und Verordnungs-Sammlung (GuV Nr. 10 1889 S. 53 ff vom 24.3.1889) ebenso umgehend im kürzlich eingerichteten Amtsblatt der Landeskirche veröffentlicht. (Amtsblatt 18. Mai 1889 S. 79 ff) Obwohl ausdrücklich als „Kirchengesetz“ bezeichnet, wurde es im Amtsblatt nicht von einem Mitglied des Konsistoriums mitunterzeichnet, sondern von Albrecht Prinz von Preußen, Wirk, Otto, Hartwieg.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk