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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die vierte ordentliche Synode 1884/1886
Die „Begräbnissynode“


Quelle: Verhandlungen der vierten ordentlichen Landessynode eröffnet am 4. Dezember 1884 und geschlossen am 17. Dezember 1886.Wilhelm Rauls, Das Begräbnis in der Geschichte der Evang. Luth. Landeskirche in Braunschweig, Jahrbuch für Niedersächsische Kirchengeschichte 1980, 115-143.

Vorgeschichte
Der Beginn der vierten Synode am 4. Dezember 1884 stand unter einem unglücklichen Stern. Am 18.10.1884 war Herzog Wilhelm nach einer 53-jähriger Regierungszeit gestorben. Damit war der Landeskirche das Oberhaupt abhanden gekommen. Kultusminister Wirk ordnete ein 16-tägiges Trauergeläut mittags und abends in allen Kirchen an. Im Trauergottesdienst am 26. Oktober, in dem der Sarg in die Krypta getragen wurde, der Domprediger mit einer Kerze voranschreitend, fragte Domprediger Thiele nach einer ausführlichen Beschreibung der Sterbestunde, die er zu seinem Bedauern knapp verpasst hatte, in seiner Predigt: „Welche Sorgen tauchen auf? Was wird aus uns werden? Solche Gedanken ziehen unruhig durch unsre Seele. Aber lasset uns an das tröstliche Wort halten: Er wird uns auch heilen; er wird uns auch verbinden (...). Er wird auch Wege finden, wo dein Fuß gehen kann, o du treues Braunschweigisches Volk. Er wird dich nicht verlassen, wenn du dich nicht selbst verlässt.“ (Gedruckter Ablauf des Gottesdienstes und Predigt in LAW S 1129)
Das Glockengeläut hatte noch ein Nachspiel. Die Kirchenvorstände fragten nämlich beim Konsistorium an, ob sie den Betrag für die Läutenden aus der Kirchenkasse nehmen durften. Die Kirchenvorstände wollten die Kosten auf die kommunale Kasse abwälzen. Diese wiederum fragten, ob die Summe nicht aus dem hinterlassenen Vermögen des Herzogs erwartet werden könnte. In diesem Sinne schrieb der Konsistorialpräsident an das Staatsministerium. Die Summen waren hoch. In Watenstedt mussten drei Männer die zwei Glocken läuten. in Bortfeld vier Männer, eine Glocke wiege bereits 12 Zentner. Schließlich bewilligte die Landesversammlung zwei Jahre später 20.000 M allein für das Tage lange Geläute. (Briefwechsel und Endaufstellung in Reskriptenband Bd III LAW S. 3228 )

Da der Herzog keine Kinder hinterlassen hatte, übernahm vorübergehend ein fünfköpfiger Regentschaftsrat die Regierungsgeschäfte, der auch die Kirchengewalt in Anspruch nahm. Zu ihm gehörten die drei Landesminister, der Präsident der Landesversammlung und der Oberlandesgerichtspräsident. Die Zukunft des Herzogtums Braunschweig war ungewiss, weil das Reich eine Übernahme der Regierung durch einen Welfen keinesfalls dulden wollte. Trotzdem begann die Tagung der Landessynode zwei Monate später im Dezember 1884. Dann aber vertagte der Regentschaftsrat nach sieben Sitzungstagen die Landessynode und stellte eine neuerliche Einberufung in Aussicht.
Am 2. November 1885 zog der 48jährige Friedrich Wilhelm Nikolaus Albrecht Prinz von Preußen unter dem Jubel der Bevölkerung als Prinzregent in die Landeshauptstadt ein. Der Landessynodalausschuss überbrachte dem Prinzregenten die Huldigungsgrüße der Landessynode. Ein Jahr später nahm die Landessynode im Dezember 1886 ihre Verhandlungen kurz wieder auf.
So macht die Synode schon terminlich mit sieben Sitzungen im Dezember 1884 und vier Sitzungen im Dezember 1886 einen zerrissenen Eindruck. Während dieser zweijährigen Pause starben einige Abgeordnete, andere schieden aus Altersgründen aus der Synode aus. So war auch personell keine geschlossene Kontinuität gewahrt. Schließlich legte das Konsistorium zwar wie geplant, eine Begräbnisordnung vor, aber seine inhaltliche Beratung sollte wegen noch ausstehender Absprache mit der Landesversammlung zurückgestellt werden. Es verblieben noch der Konsistorialbericht über die Zustände in der Landeskirche und einige Anträge der 3. Landessynode und Petitionen aus der Mitte der Synode zur Beratung übrig.

Ein Stimmungsbild von der Situation im Dezember 1884 bot die Rede von Kultusminister Wirk zu Beginn der ersten Sitzung, die wegen ihrer Plastizität hier vollständig wiedergegeben wird:

„Nach Gottes Fügung ist es eine Zeit allgemeiner tiefer Herzensbekümmernis, in welcher dieser Willkommensgruß an Sie ergeht. Wie das ganze Land so hat sich auch unsere Landeskirche durch das Hinscheiden unsres theuren Herzogs Wilhelm mit tiefer Trauer erfüllt finden müssen. Verödet ist die Stelle, wo ihr in dem Verewigten ein treuer oberster Bischof aus erlauchtem Fürstengeschlecht thronte – aus einem Fürstengeschlechte, welches durch Gottes Vorsehung bestimmt war, dem evangelisch-lutherischen Glauben ein starker unerschütterlicher Hort zu werden, - leer geworden ist die Stätte, zu welcher unsere Landeskirche über ein halbes Jahrhundert vertrauensvoll hat aufblicken dürfen, wenn sie sich höchster Gewährung für die Förderung und Sicherung ihrer irdischen Zuständlichkeit und ihrer Wirklichkeit bedürftig fand, - im Grabe ruht die Hand, aus welcher sie während dieses langen Zeitraums ihre Diener empfangen hat und nicht minder alle ihre Ordnungen und Einrichtungen, vermöge deren sie ihrem hochheiligen Ziele im Frieden mit sich selbst und mit der Welt, ja! mit Freudigkeit und mit gottgefälligem Erfolge hat nachstreben können und unter denen das Werk, zufolge dessen Sie, meine Herren! sich heute wieder als Hochwürdige Landessynode hier versammelt finden, einen hervorragenden Platz einnimmt. Unvergesslich wird auch der von reinster und tiefster Bewegung zeugende Ausdruck bleiben, den die Kirche ihrer Trauer um den Verewigten gegeben; hat sie doch in demselben zugleich die Trauer des ganzen Landes als in der würdigsten und feierlichsten Art ihre Kundgebung zusammengefasst finden müssen. So in dem, die Herzen mächtiger, als je, erschütternden Trauergeläute, welches die theure Leiche zu mitternächtlicher Stunde in hiesiger Stadt empfing, - in der so erhabenen wie ergreifenden kirchlichen Beisetzungsfeier, mit welcher eine, dem Lande Braunschweig angehörige vierhunderjährige Fürstengeschichte, deren letzte, mehr als 53jährige Periode eine Zeit so glücklichen Befriedigtseins für das Herzogthum gewesen war, nunmehr ihren Abschluss in der Krypta des Doms Heinrich d. Löwen finden sollte,- darnach in den Trauergottes-diensten, in denen die Herzen ihr demütige Traueropfer dargebracht haben vor dem Herrn. Und noch Wochen hinaus haben die Kirchenglocken durch das ganze Land die Klage um den schmerzlichen Verlust auf ihren Schwingen hinausgetragen in den Mittag und in den Abend. Aber nicht die Klage bloß, sondern diese Kirchenglocken haben ihre Stimmen zugleich hinaufgesandt zum Thron des Höchsten, Dank sagend für die dem ganzen Lande in der langen segensreichen Regierung seines verewigten Fürsten zu Theil gewordene Gnade und diese Gnade anrufend, dass sie ferner walten möge in und über dem von ihr gestifteten Werke. Und wie das gleiche Gebet aus dem Herzen der Getreuen unsres Volkes emporgestiegen ist zu dem Herrn, in gottesdienstlicher Versammlung und Feier und in der Stille des Kämmerleins, - und so wir nur den Blick getreu und fest gerichtet halten auf die Hülfe, die von oben kommt, so dürfen wir uns ja getrösten, dass Gott sein Braunschweigisches Volk nicht verlassen und insbesondere auch unsere Landeskirche ferner in Seinen gnädigen Schutz nehmen werde. Mit dieser tröstlichen Zuversicht lassen sie uns ans das Werk gehen, das unser wartet.“
(Verhandlungen 1884 Sb 1 S. 2 f)

Kultusminister Adolf Wirk (1814-1891) war erst seit 1881 Minister und bereits 70 Jahre alt. Es war seine erste Landessynode. (nach Christoph Römer, Regierung und Volk im 19. Jahrhundert Die Zeit Herzog Wilhelms (1831-1884), Braunschweig, 1979).

Seine blumige Einleitungsrede täuscht über das tatsächliche Verhältnis zwischen dem Herzog und der Landeskirche. Die tatsächliche Entscheidungsgewalt in Kirchensachen hatte Herzog Wilhelm längst dem Staatsministerium überlassen. Er hatte sich um die Landeskirche überhaupt nicht mehr gekümmert, genauso wenig wie um das Land Braunschweig. Er war kaum noch im Braunschweigischen anwesend, und wenn er im Schloss residierte, war er menschenscheu. Er umgab sich mit Mätressen und bot der Bevölkerung kein Beispiel für einen engagierten beispielhaften Regenten. Große Enttäuschung hatte hervorgerufen, dass er Stadt und Land Braunschweig testamentarisch nicht bedacht hatte. Aber die Rede gibt den großen Eindruck wieder, den das wochenlange Geläut der Kirchen in Stadt und Land auf einen Teil der Gesellschaft gemacht hatte.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 4. Landessynode 1884/86

01. Apfel, Hermann, Superintendent, Seesen, seit 1869, ausgeschieden wg Emeritierung, dafür
      01. Hörmann, August, Pastor, Kirchberg, neu seit 1886.
02. Bank, Bernhard, Generalsuperintendent, Holzminden, seit 1880, 19.11.1886 verstorben, dafür
      02. Schulz, Wilhelm, Superintendent, Halle a.d.W. neu seit 1886.
03. Beste, Wilhelm, Generalsuperintendent, Braunschweig, seit 1882, berufen.
04. Blanke, Friedrich, Holzhändler, Kl. Rüden, seit 1880.
05. Brunke, Heinrich, Superintendent, Wolsdorf, seit 1872, ausgeschieden wg Emeritierung, dafür
      05 Bach, Adalbert, Pastor, Calvörde, neu seit 1886.
06. v. Cramm Hausmarschall, Burgdorf, seit 1876.
07. Cunze, August, Superintendent, Ahlum, seit 1880, ausgeschieden wg Emeritierung, dafür
      07. Drewes, Superintendent, Engelnstedt, neu seit 1886.
08. Dedekind, Theodor, Superintendent, Stadtoldendorf, seit 1872.
09. Eggeling, Otto, Pastor, Braunschweig, seit 1875.
10. Eimecke, Christoph Friedrich, Gemeindevorsteher, Watzum, seit 1869.
11. Eißfeldt, Gustav, Pastor, Querum, neu.
12. Guericke, Hildebert, Bürgermeister, Helmstedt, seit 1882.
13. v. Heinemann, Otto, Oberbibliothekar, Wolfenbüttel, seit 1882, berufen.
14. v. Kalm, Regierungsrat, Braunschweig, seit 1880.
15. Keunecke, Gemeindevorsteher, Frellstedt, seit 1876.
16. Kuhn, August, Generalsuperintendent, Helmstedt, seit 1869.
17. Kühne, Landgerichtsrat a.D., Blankenburg, seit 1869.
18. Lerche, Kreisdirektor, Gandersheim, seit 1869.
19. v. Löhneysen, Kammerherr, Brunkensen, seit 1882, berufen.
20. Oehns, Oberamtsrichter, Stadtoldendorf, neu.
21. Pockels, Wilhelm, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1880.
22. Rhamm, Albert, Landsyndikus, Braunschweig, neu.
23. Rose, Heinrich, Generalsuperintendent, Blankenburg, seit 1876, verstorben am 21.9.1885, dafür
      23. Schönermark, Günter, Generalsuperintendent, Blankenburg.
24. Rothe, Emil, Stadtsuperintendent, Wolfenbüttel, neu.
25. Scholvien, Kreisbaumeister, Gandersheim, seit 1880.
26. Schrader, Karl, Provisor, Braunschweig, neu.
27. Skerl, August, Pastor, Braunschweig, seit 1869.
28. Teichmann, Friedrich, Pastor, Naensen, seit 1880.
29. Thiele, Heinrich, Domprediger, Braunschweig, seit 1872, berufen, verstorben am 7.5.1886, dafür
      29. Schröter, Wilhelm, Generalsuperintendent, Gandersheim.
30. Vasel, Ackermann, Beierstedt, seit 1880.
31. v. Veltheim, Oberkammerherr, Destedt, neu.
32. Wolff, Friedrich Theodor, Landgerichtspräsident, Holzminden, wieder seit 1880.

Oberlandesgerichtsrat a. D. Bode war seit der letzten a.o. Synode verstorben.
Es blieb bei der Vierzahl von Generalsuperintendenten (Bank, Beste, Kuhn und Rose; nach dem Tod von Bank rückte Superintendent Schulz, nach dem Tod von Rose Generalsuperintendent Schönermark, nach dem Tod von Domprediger Thiele Generalsuperintendent Schröter nach.) Von den fünf Superintendenten Apfel, Brunke, Cunze, Dedekind, Rothe schieden die ersten drei aus, für den ausgeschiedenen Superintendent Apfel traten Pastor Hörmann, für Superintendent Brunke Pastor Bach und für Superintendent Cunze der Superintendent Drewes in die Synode ein.
Die Anzahl der Pfarrer hatte sich 1886 von vier auf sechs Pfarrer erhöht. Sechs Synodale waren neu, darunter der Landsyndikus Rhamm, der den Platz des verstorbenen Landsyndikus Oesterreich einnahm. Rhamm, durch sein Amt in der Landesversammlung mit den parlamentarischen Gepflogenheiten eng vertraut, nahm sofort eine kritische und engagierte Rolle ein. Er ist der Verfasser des bisher einzigen ausführlichen Kommentars der Landschaftsordnung von 1832.
Neu in der Synode war auch Oberkammerherr v. Veltheim (1824-1896), der als Präsident der Landesversammlung dem Regentschaftsrat angehört hatte. Das war zusammen mit Oberbürgermeister Pockels, der Vorsitzender des Synodalausschuses wurde, ein beachtliches Trio kommunalpolitischer Repräsentanz.
Mehr als ein Drittel der Abgeordneten waren „Männer der ersten Stunde“ und gehörten den Landessynoden 1869/ 1872 und 1876 an.

Vom Staatsministerium nahmen Kultusminister Dr. Wirk und Regierungsrat Hartwieg teil. Hartwieg (1849-1914) war ein Aufsteiger, er war mit 25 Jahren bereits Bürgermeister in Helmstedt gewesen (1874-1879), war dann Ministerialsekretär geworden, 1882 Regierungsrat und mit 35 Jahren Kabinettssekretär des Prinzregenten Albrecht.
Vom Konsistorium nahmen die Konsistorialräte Schmidt-Phiseldeck, Abt Sallentien, Spies und Rohde teil.

Der Landesversammlung gehörten an: v. Cramm, Eimecke, Keunecke, Kuhn, Lerche, Pockels, Thiele, v. Veltheim, vom Konsistorium Konsistorialrat Sallentien als gewählter Geistlicher und Konsistorialrat v. Schmidt-Phiseldeck als gewählter Abgeordneter.

Dem Regentschaftsrat wurden Pastor Skerl (29 Stimmen), Kreisdirektor Lerche (27 Stimmen) und Oberbürgermeister Pockels (19 Stimmen) präsentiert und Lerche zum Präsidenten und Skerl als Stellvertreter gewählt, dabei gab nicht das Amt, sondern die Dauer der Tätigkeit in der Landessynode den Ausschlag. Beide gehörten seit 1869 der Landessynode an.

Zu Mitgliedern des Synodalausschusses wurden in der ersten Sitzung am 4. Dezember 1884 Skerl (31 Stimmen), Thiele (30 St.), v. Cramm (22 St.), Pockels (21 St), Eggeling (19 St.) gewählt.

Zur Vorberatung der liturgischen Vorlagen wurden in die liturgische Kommission gewählt: Thiele, Skerl, Brunke, Rothe, v. Cramm.

Presse
Wie bisher berichteten die Tageszeitungen aktuell und umfassend über die Vorgänge in der Landessynode. Am 1.12.1883 eröffneten die Liberalen das „Evangelische Gemeindeblatt“. Absichtsvoll verzichteten sie auf das konfessionelle Signal „lutherisch“ im Titel.
Das Evangelische Gemeindeblatt brachte Zusammenfassungen von den Verhandlungen der Synode in den Ausgaben 1884 S.96 und 1886 S. 213 f. (EG)

Im Eröffnungsgottesdienst führte der Domprediger die Gemeinde in die Krypta an den Sarg des Herzogs. Der offenbar übliche Empfang der Synode im Schloss fiel aus, weil es keinen Schlossinhaber gab. (EG 1884 S. 96 „Die vierte Landessynode“)

Termine und Themen

1. Sitzung 4. Dezember 1884 Donnerstag.
Ergreifende Einleitungsrede von Kultusminister Wirk zum Tod von Herzog Wilhelm. Wahl des Präsidenten und seines Stellvertreters, Einbringung der Vorlagen, Wahl des Synodalausschusses.

2. Sitzung 5. Dezember 1884 Freitag.
Tätigkeitsbericht des Synodalausschusses (Skerl) .
Beratung des Berichtes des Konsistoriums über die Zustände in der Landeskirche.
Die Missstände bei der Konfirmation: Antrag auf Verlegung der Konfirmation vom Weißen Sonntag auf den Sonntag Palmarum.

3. Sitzung 6. Dezember 1884 Sonnabend.
Fortsetzung der Beratung über die Zustände der Landeskirche.
Der Antrag auf Streichung der Kollekte für Vikare wird angenommen, Frage des Konfirmationsalters; Debatte über die Anträge der Inspektionssynoden.

4. Sitzung 9. Dezember 1884 Dienstag.
Bericht und Debatte über die Verringerung der Patronate. Dem Konsistorium erscheint die Behandlung dieser Frage „jetzt und noch bis auf Weiteres nicht rätlich“. Ein Antrag, die Gemeinden an der Wahl eines Pfarrers stärker zu beteiligen, wird abgelehnt. Antrag für eine breitere Öffentlichkeit bei Inspektionssynoden.

5. Sitzung 10. Dezember 1884 Mittwoch.
Der Antrag v. Cramms, „die Kirchenregierung zu ersuchen, die Angelegenheit Verringerung der Patronate und größere Beteiligung der Gemeinden an der Wahl der Prediger betr. fernerhin im Auge zu behalten“ wird angenommen.
Beratung eines Kirchengesetzes die liturgische Ordnung des Begräbnisses betr. Begräbnisordnung und Zustimmung.
Die Öffentlichkeit der Inspektionssynoden wird ausgedehnt auf die Anwesenheit von Pfarrern, Lehrern, Patrone und Kirchenvorsteher. Frage der Beteiligung von Anstaltsgeistlichen.
Antrag zur Herstellung eines erheblichen Anhanges zum Gesangbuch.

6. Sitzung 11.Dezember 1884 Donnerstag.
Antrag Teichmanns, den Opfermann mit der Abhaltung von Begräbnissen zu beauftragen, wenn der Ortspfarrrer verhindert ist.
Antrag Rhamms, Selbstmördern ein kirchliches Begräbnis bei Geistesstörung nicht zu versagen.
Kostenlose Ausstellung von Tauf- und Trauscheinen.

7. Sitzung 12. Dezember 1884 Freitag.
Anträge zu Gesangbuchanhang, Tauf- und Trauscheinen, Vorziehung des Konfirmationsalters;
lange Ausführung über die Darlegung von P. Brodkorb über die Verwendung von Geldern zum Emeritierungsfonds (Pensionskasse) durch den Kloster- und Studienfonds.

8. Sitzung 14.Dezember 1886 Dienstag.
Gelöbnis der neu eintretenden Abgeordneten;
Nichtöffentliche Sitzung zur Beratung eines Huldigungstelegramms an den Prinzregenten Albrecht.

9. Sitzung 15. Dezember 1886 Mittwoch.
Antwort des Prinzregenten auf das Ergebenheitstelegramm der Synode,
Beschlussfassung über einen Gesangbuchanhang und die Einführung in den Gemeinden.

10. Sitzung 16. Dezember 1886 Donnerstag.
Antrag und Zustimmung zur Mitwirkung des Opfermanns oder Lehrers bei der Abhaltung eines Begräbnisses; Die Kirchenregierung beschloss, dass Trauscheine kostenlos ausgestellt werden müssen. Das Fehlen eines Reskriptes zur Frage einer kirchlichen Bestattung von Selbstmördern wurde von mehreren Synodalen deutlich kritisiert. Der Prinzregent hatte sich noch nicht entschieden.

11. Sitzung 17. Dezember 1886 Freitag
Die Petition, die Pfarre Essehof zu teilen, blieb nach längerer Aussprache unberücksichtigt.
Abschließende Beratung zum Gesangbuchanhanggesetz.
Schlussansprache von Geheimrat Dr. Wirk.

Hauptgegenstände und Hintergründe

Der vierte Lagebericht
Der Zustandsbericht des Konsistoriums für die Jahre 1880-1883 umfasste 82 Seiten. (Anlage 6a)
Der Lagebericht informierte wiederum über die erstaunliche Visitationsdichte zu Beginn der 80er Jahre. Es wurden visitiert 1880: 26 Gemeinden, 1881: 26 Gemeinden, 1882: 22 und 1883 17 Kirchengemeinden, insgesamt 91 Kirchengemeinden in vier Jahren, ca ein Viertel aller Kirchengemeinden. (S. 6 f).
Die Inspektionssynoden hatten wiederum fast vollständig und einige gemeinsam getagt und 1881 das Thema 1.) „Welche Mißstände finden sich etwa in den Gemeinden, welche geeignet sind, den Segen der Confirmationsfeier zu beeinträchtigen und auf welche Weise kann denselben entgegengewirkt werden? 2.) Was ist zu tun, um der Jugend unseres Volkes den Segen der Confirmation zu erhalten?“ Die Inspektionssynoden stellten dazu 10 Anträge, die teilweise vom Konsistorium schon beantwortet wurden. Immerhin lösten die Anträge eine sehr lange Diskussio0n in der Synode aus.
Für das Jahr 1883 hatte das Konsistorium das Thema freigestellt. Es wurden 26 Anträge und Anregungen an das Konsistorium gestellt, die die Zusammensetzung der Inspektionssynode, Geldbewilligungen für die Lutherfeier, zusätzliche Kollaboraturen an zwei Braunschweiger Stadtkirchen, Erhöhung der Geldmittel für den Kirchendienst der Lehrer, die Gottesdienstzeit am Hagelfeiertag, die immer wieder beklagte mangelnde Feiertagsruhe am Sonnabend und Sonntag, das Friedhofswesen und die Kirchenbuchführung betrafen. Sämtliche Antworten des Konsistoriums wurden im Bericht wiedergegeben. Andere Themen betrafen die Förderung des Missionsgedankens, die „Vagabundennot“, das Überhandnehmen von Meineiden, das Verhalten der Pfarrer beim Begräbnis von Selbstmördern, die „Verächter der kirchlichen Trauung“, und der Lagebericht der jeweiligen Inspektion. (Anlage 6 a S. 22-30)

Die Einkommensverhältnisse der Prediger hatten sich vergleichsweise „wesentlich verbessert“. (Anlage 6a S. 34) Die Landesversammlung hatte 1883 das Mindesteinkommen auf 2.100 M festgelegt, nach fünf Dienstjahren steigend auf mindestens 2.400 M, nach zehn Dienstjahren auf 2.700 M. und nach fünfzehn Dienstjahren auf 3.000 M. Damit verbesserten sich auch die Zahlung einiger Alterszulagen.
Die Ackerpacht war erhöht worden und so hatten sich die Einkünfte der Pfarrstellen, das sog. Pfründeneinkommen, „beträchtlich“ erhöht. (ebd S. 35). Es betrug durchschnittlich 4. 114 Mark. Allerdings blieben 147 Pfarrstellen unter diesem Durchschnitt, also mehr als die Hälfte aller Pfarrstellen. Diese erheblichen Einkünfteunterschiede blieben eine Quelle ständiger Besorgnisse, zumal die Pfarrer für das Aufkommen der Einkünfte zuständig waren.

Die Zahl der Abiturienten, die Theologie studieren wollten, war von 23 (1876-1879) auf erfreuliche 94 (1880-1883) gestiegen. Die Predigersynoden sich beschäftigten meist mit theologischen Themen („ de pantheismo“, das Zungenreden, „Pauli de fide et bonis operibus doctrina“, die Schlüsselgewalt u.a., aber auch über aktuelle Themen z.B. über die preußische Union und die Bestrebungen einer größeren Einheit der evangelischen Kirchen in Deutschland, „inwiefern fordern die kirchlichen und socialen Zustände unserer Zeit zur Förderung der Diakonissensache auf ?“

„Zur Störung der Sonntagsruhe durch Werktagsarbeiten tragen namentlich die immer zahlreicher werdenden Fabrikanlagen, besonders Zuckerfabriken, bei, die nicht blos unmittelbar durch die Fabrikarbeit selbst, sondern ebenso sehr durch die vermehrte Arbeit, welche der in Folge davon immer größere Ausdehnung gewinnende Rübenanbau erfordert.“ (S. 50)

Sehr ausführlich ging der Bericht auf die Abendmahlsbeteiligung ein, die von 41,5 % auf 28 % gesunken war, was dem allgemeinen Trend auch in den anderen Landeskirchen entsprach. Allerdings besagten die Prozentzahlen wirklich wenig, sondern vor allem, dass diese natürlich mit der wachsenden Bevölkerungs- und damit Gemeindemitgliederzahl sank. Der Kern der Abendmahlsgemeinde war stabil geblieben. Der prozentuale Anteil von kirchlichen Begräbnissen war von 30 % (1862) auf 35 % (1883) gestiegen.

Die Aufwendungen für den Kirchbau waren wieder sehr hoch. Es wurden 9 Kirchen bzw. Turmneubauten für 249. 592,16 M errichtet, 17 Kirchen im größeren Ausmaß für 297.233, 65 M restauriert, 335 kleinere Kirchenrestaurationen für insgesamt 218.114,56 M. vorgenommen, 29 neue Orgeln angeschafft, vier Pfarrhäuser neu gebaut (insgesamt ca 115.000 M) neun größere und 119 kleinere Umbauten vorgenommen. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler in den Stadt- und Landschulen war von 55.828 (1880) auf 60.390 (1883) gestiegen. Das Konsistorium sah sich zur Bemerkung veranlasst, dass dort, wo ein Lehrer dauernd 120 Kinder zu unterrichten habe, ein zweiter Lehrer angestellt werden müsste.

Es war wieder sehr viel Stoff für eine ausgiebige Diskussion in der Synode gegeben, für die sich die Synode drei Tage Zeit nahm und sich besonders mit der Konfirmationsfrage beschäftigte.

Die neue Begräbnisordnng


Im Begräbniswesen vollzog sich durch die neue Begräbnisordnung eine enorme Veränderung. Nach der geltenden, noch 1862 erneut gedruckten Kirchenordnung von 1709 war ein christliches Begräbnis unter Mitwirkung eines Pfarrers auf dem Friedhof nicht vorgesehen. Es gab überhaupt keine Begräbnisagende.

Ein notwendiger Rückblick
Der bisherige seelsorgerliche Dienst des Pfarrers am Kranken und Sterbenden

Der seelsorgerliche Dienst des Pfarrers endete am Sterbebett des Gemeindemitgliedes. Auf zehn Seiten beschrieb das Kapitel 13 der geltenden Kirchenordnung „Wie die Prediger mit Krancken umzugehen haben“, und auf weiteren 17 Seiten „Wie mit den Krancken umgangen werden soll, welche in den letzten Zügen liegen“. Das Sterben und der Todeskampf wurden als der letzte Versuch des Teufels verstanden, sich der Seele der Sterbenden zu bemächtigen. Der Dienst des Pfarrers bestand darin, den Sterbenden im Stande des Glaubens zu erhalten. Daher begann der Pfarrer am Sterbebett mit drei Fragen, ob der Sterbende die Vergebung seiner Sünden durch Jesus Christus begehre.

In den folgenden neun Gebetsvorschlägen machte sich der Pfarrer zum Sprecher des Sterbenden, der sich seiner Meinung nach in einer Gethesemanesituation befinde. „..der du für mich im Garten am Oelberge hast blutigen Schweiß mildiglich geschwitzest, ich armer Sünder bitte dich, wasche und reinige mich, mit solchem deinen Todes-Schweiß vor allen meinen Sünden, in meiner letzten Stunde: Zeige deinem himmlischen Vater dieses dein Blut, so du für mich vergossen, und stille damit seinen Zorn, welchen ich mit meinen Sünden wol verdienet habe, die Seele, die du hast erlöset, der gib, Herr Jesu deinen Trost. Amen.“ Der Versöhnungstod Jesu galt als der zentrale Trostgedanke. „Der du auch in deinem Todt dein heiliges Haupt geneigt hast, alle arme tröstlich zu küssen. Nimm auch mich auf in deine Gnadenreiche Arme, und beschütze mich für aller List und Gewalt des Teuffels; Küsse auch mich armen Sünder mit dem Kusse deines Mundes und gib kräfftigen Trost in mein betrübtes Hertz, Amen.“ Diese kräftige, bilderreiche Sprache wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts formuliert. Zuletzt kniet der Pfarrer nieder und bestürmt Gott mit der Erinnerung, daß der Sterbende sein Geschöpf wäre. „Es ist deiner Pflantzen eine, welche du lieber himmlischer Vater durch deinen heiligen Geist selbsten in die Kirchen gepflanzet und biß daher darinnen erhalten hast. Darum so bitten wir, du wollest diese krancke Person auch anjetzo in ihrem letzten Abschied für dein werthes Geschöpff, für dein teuer erkaufftes Gut und für deine liebe Pflantzen erkennen und annehmen, muß schon der Leib anjetzo zur Erden werden, dieweil er von der Erden genommen ist, so befehlen wir doch die Seele in deine Hände...“. Das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, die Litanei, das Nunc dimittis beschließen diese Gebetsserie.

Wenn der Tod eingetreten war, sprach der Pfarrer ein Gebet zu Gott dem Vater und nimmt dabei die Gedanken der Umstehenden auf: „Wir können nicht sagen, warum machstu uns also? Noch klagen wir über deinen heiligen Willen, daß du abermal einen von uns aus dieser Welt abgefordert und dem zeitlichen Todt ergeben hast, sondern müssen vielmehr deiner väterlichen Liebe dancken von Hertzen, daß du den Menschen nach deinem Bild erschaffen und zu einem Erben deines Reichs verordnet hast...“.
Das Gebet zu Gott, dem Sohn, bittet um eine christliche und selige Nachfahrt und beginnt mit einer barocken Anrede Jesu: „Herr Jesu Christe, ein Licht der Blinden, ein Weg der Irrenden, ein Lehrer der Unwissenden, ein Hoherpriester der Verlassenen, das Leben der Sterbenden, eine Aufferstehung der Todten, ein Heyl der Gläubigen und der einige Mittler zwischen Gott und den Menschen: Wir trösten uns anitzo deiner treuen Hülff und Zusage über dieser abgestorbenen Persohn, indem du gesagt: Warlich ich sage euch, wer mein Wort höret und glaubet dem, der mich gesandt hat, der wird nicht kommen in das Gericht, sondern ist vom Tode ins Leben hindurchgedrungen..“ Die vielfache Beschreibung der Person Jesu nimmt die Situation der Hinterbliebenen bildlich auf, die sich verlassen vorkommen, keinen Weg nach vorne sehen, an irrigen Gedanken hängen und denen der Trost zugesprochen wird, dass der Verstorbene „hindurchgedrungen ist“ und zwar durch das Gericht ins Leben. Es überwiegt in diesen Gebeten der Gedanke vom überstandenen Kampf mit dem Bösen und die Zusage eines ewigen Lebens bei Gott.
Das dritte Gebet zu Gott dem Heiligen Geist dient der Beruhigung „Daß Er uns gebe zu betrachten die Ruhe der auserwehlten Seelen“. Der Heilige Geist habe dem Verstorbenen bis in den Tod beigewohnt und die Seele bis in das ewige Leben geführt. „Darüber wir auch deine Güte und tröstliches Amt von Hertzen preisen und demütiglich bitten, du wollest täglich verklähren die seelige Ruhe der auserwehlten Seelen, damit wir über dero Hinfahrt getröstet, zu einer seeligen Nachfahrt aufgemuntert, und in allem Leyden frölich gemacht werden. Ach seelig, und aber seelig seind, die in dem Herren sterben von nun an..“

Diese Gebetsordnung am Sterbebett schließt mit einer Anweisung, daß auch alle Umstehenden sich am Beten beteiligen möchten, „und die arme in höchster Angst und der letzten Gefahr liegende Seele, welche der Sohn Gottes mit seinem theuren Blut und bittern Todt erworben hat, dem Teuffel aus dem Rachen gerissen werden möge.“ Da wird am Ende noch einmal das beherrschende Motiv für die Seelsorge, die Fürbitte und die ausdrucksstarken Gebete genannt.

Es war alles bedacht und gesagt, was unter den gegebenen religiösen Voraussetzungen aus der Sicht des Pfarrers am Sterbebett und zu den Hinterbliebenen zu sagen war. Eine weitere Begleitung der Leiche auf dem Friedhof erwies sich nunmehr als überflüssig. Den Frauen war ein Gang hinter der Leiche zum Friedhof untersagt. So kam es also, dass in der Landeskirche noch um 1850 durchschnittlich weniger als 30 Prozent der evangelischen Gemeindemitglieder unter Teilnahme eines Pfarrers begraben wurden. 70 Prozent der Verstorbenen wurden noch um 1870 ohne einen Pfarrer begraben, und die anderen 30 Prozent nur dann, wenn um seine Teilnahme ausdrücklich gebeten worden war. 1885 waren es 37,2 %. Das darf keinesfalls als eine Form geschwundener Frömmigkeit gedeutet werden, sondern der Pfarrer sah in der Begleitung von Sterbenden seinen eigentlichen Auftrag.
Daß die kirchliche Mitwirkung eines Geistlichen in Preußen 65 % betrug und in der Hannoverschen Landekirche 90 % (so Rauls Begräbnis 139), verweist m.E. auf eine unterschiedliche Gewichtung des seelsorgerlichen Auftrages.

Es bleiben trotzdem viele Fragen: War das infernalische Szenario, das der Pfarrer dem Kranken vor Augen stellte, angemessen und hilfreich? War bei aller bildkräftigen Sprache des Betens nicht zu viel? Wirkte bei der fortgeschrittenen Säkularisierung in Stadt und Land diese Ordnung nicht als Überrumpelung und Überforderung des Sterbenden und seiner Familie? Es muss auch offen bleiben, ob eine derart ausgebreitete Sterbebegleitung in den Kirchengemeinden allgemein üblich oder doch eher die Ausnahme war. Diese Ordnung darf jedenfalls nicht mit der pfarramtlichen Praxis verwechselt werden.

Es hatten sich auch allerlei Missstände eingebürgert. Da eine Beerdigung Kosten verursachte, wurden sog. „stille Beerdigungen“ auf den Friedhöfen gelegentlich sogar zur Nachtzeit veranstaltet. Es kam vor, dass nun andere Redner auf den Friedhöfen auftraten. Der Sterbefall musste dem Pfarrer gemeldet werden und wurde gegen eine Gebühr in das Sterberegister eingetragen. Der Pfarrer fungierte wie schon bei den Geburten als Staatsbeamter und sah darin zunehmend wohl seine Hauptaufgabe.
Im Kirchenblatt für die evangelisch-lutherischen Gemeinde aus dem Jahre 1850 beschrieb ein Teilnehmer in einem Leserbrief sein tiefes Missbehagen. Die Kirche ginge herzlos und handwerksmäßig vor. Der Sarg würde eingesenkt, die Totengräber forderten zu einem stillen Vaterunser auf und hielten sich dazu die Hüte vors Gesicht und verabschiedeten sich vorzeitig statt mit einem Amen mit einem „Guten Morgen meine Herren“ vom Friedhof. Es herrsche ein „Mangel an allen Segnungen der Kirche“. Die Kirche nähme wohl die Gebühren, aber tue nichts dafür. (Rauls, das Begräbnis, 137)

Einen ersten Änderungsvorschlag hatte der Domprediger Thiele in seinem Kirchenbuch von 1852 vorgelegt, das eine Begräbnisliturgie enthielt. (Heinrich Thiele Kirchenbuch zum evangelischen Gottesdienst Braunschweig 1852 S. 281 –285) Danach begleiteten Pfarrer, Kantor und Schulkinder die Leiche zum Friedhof und sangen auf dem Weg unter Glockengeläut ein Begräbnislied. Der Sarg wurde sofort hinabgelassen, der Pfarrer sprach einen Psalm, hielt möglicherweise eine knappe Ansprache und warf dreimal Erde auf den Sarg. Es folgte die Lesung von der Auferstehung der Toten aus 1. Korinther 15, ein Dankgebet, Vaterunser und der Segen. Danach konnte auch noch in der Kirche eine Leichenrede gehalten werden.
Die Handlung auf dem Friedhof war kurz gehalten. Friedhofskapellen gab es nicht. In der Stadt Braunschweig wurde in der Regel eine Andacht im Trauerhaus gehalten.

Die neue Begräbnisagende von 1886

In anderen Landeskirchen gab es schon seit langem Begräbnisordnungen, nach Rauls in Preußen seit 1822, in Württemberg seit 1843 und in Bayern seit 1844. (Rauls Begräbnis 139)

Auf der 3. Landessynode 1880 war die Kirchenregierung aufgefordert worden, eine Begräbnisagende bei der nächsten Landessynode vorzulegen und sich zu der Frage der Bestattung von Selbstmördern zu äußern. Der Regentschaftsrat ließ der Synode ein Kirchengesetz betr. die liturgische Ordnung des Begräbnisses und den Wortlaut der Ordnung samt einer kurzen Begründung zugehen. (Verhandlungen 1884 Anlagen 11 a-c)
Die neue Begräbnisagende schuf keineswegs die bisherige Ordnung, die vor allem eine Begleitung des Sterbenden vorsah, ab, sondern fügte einen weiteren Dienst des Pfarrers hinzu.
Die Vorlage sah drei Möglichkeiten des Begräbnisses vor: eine nur auf dem Friedhof (Form A. Anlage 11 b S.4), eine zweite auf dem Friedhof beginnend und in der Kirche schließend (Form B Anlage 11 b S.9) und eine dritte in der Kirche beginnend und auf dem Friedhof schließend (Form C Anlage 11 b S.10).
Der Pfarrer begleitete den Leichenzug entweder vom Trauerhaus oder empfing ihn am Friedhofseingang. Schulkinder sollten gegebenenfalls unter Leitung des Opfermanns singend dem Leichenzug vorangehen. Der Sarg wurde zu Beginn der Liturgie sofort ins Grab gesenkt. Für die folgende Liturgie sah die Vorlage drei Möglichkeiten vor, die sich vor allem durch den Eingangsteil unterschieden. Die reichere Ausgestaltung bot zum Eingang biblische Lesungen zur Auswahl (Hiob 14; Röm. 5; Johannes 5 und 11; Röm. 14 und Psalm 90), auf sie konnte eine kurze Grabrede folgen, danach dreimaliger Erdwurf, Lesung von 1. Kor. 15, ein dreifaches Kyrie, Gebet, Vaterunser, Segen.

In der zweiten Ausgestaltung der Form A wechselten im Eingangsteil Lesungen und Liedstrophen: Psalm 130, „Mitten wir im Leben sind“; Röm 4,6 und Joh.11, „Jesus lebt mit ihm auch ich“, Offenb. Joh. 7,9-17). Die dritte Ausgestaltung vermied jeden Gesang, sondern begann mit drei Lesungen über die Hinfälligkeit des Menschen, die ernste Bereitschaft zum Tode und den Trost angesichts der „Vergänglichkeit des Fleisches“. Das war ein reiches Angebot. Der Gedanke vom Gericht Gottes trat zurück. Er hatte seine Stelle am Sterbebett des Kranken.
Wenn sich nach dem Begräbnis auf dem Friedhof die Trauergemeinde noch in der Kirche versammelte (Form B), zu der nun auch die Frauen hinzukommen konnten, folgte auf einen Gemeindegesang eine Antiphon („Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, Halleluja/ denn der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit Halleluja) , eine Schriftlesung, Lied, Leichenpredigt mit Vorlesung der Personalien wo es üblich war, Lied, Gebet am Altar, Vaterunser, Segen. Diese Form konnte vom Pfarrer auch gekürzt werden.
Die dritte Form ( C ) unterschied sich von den vorhergehenden dadurch, dass sich der Sarg vor dem Altar befand, der Gottesdienst folgte der Ordnung B bis zum Predigtschluss, danach begab sich die Gemeinde zum Friedhof, wo das Begräbnis nach der Form A fortgesetzt und beendet wurde.

Die Vorlage bot sehr unterschiedliche Formen des Begräbnisses an und sammelte durchaus rücksichtsvoll die in den Kirchengemeinden bereits bestehenden Begräbnisformen.
Eine vierte Form wurde nicht förmlich als D aufgenommen, weil sie die vorgeschlagenen drei Formen überflüssig machen konnte, nämlich die Feier im Sterbehaus. Die Vorlage der Kirchenregierung vermerkte lediglich: „Wenn eine Feier bereits im Sterbehaus stattfindet, ist dieselbe, wo es thunlich ist, mit Gesang zu beginnen und zu schließen.“ (Anlage 11 b S. 10) Auf den Gesang folgten Schriftlesung, Ansprache, Gebet, Vaterunser, Segen. Das war die in der Stadt Braunschweig übliche Bestattungsform, wobei die Begleitung des Trauergefolges auf den Friedhof durch den Pfarrer eine Frage der Bezahlung war.
In einem weiteren ausführlichen Anhang wurden zwölf weitere Schriftlesungen allgemeiner Art und beim Tod von Kindern, jungen Menschen, Alten, nach langem Leiden ( Anlage 11 b S. 11 ff) sowie zehn weitere Begräbnisgebete angeboten. (Anlage 11 b S. 14 ff)
Die liturgische Kommission der Landessynode, zu der auch Domprediger Thiele gehörte und dessen Handschrift unverkennbar ist, hatte die Vorlage der Kirchenregierung bearbeitet.
So kam es, dass die Begräbnisagende ohne Aussprache über die vorgelegten Texte angenommen wurde. (Verhandlungen 1884 Sb 5 S. 33)
Die Begräbnisagende wurde von der Bevölkerung mit allmählicher Zustimmung angenommen.
Die Anzahl der Begräbnisse mit Teilnahme des Geistlichen stieg spürbar an. 1880: 30,3 %; 1888: 45,9 %; 1897: 55,1 %; 1902 60% und 1907 68,8 % der Gemeindemitglieder.
Alle weiteren Begräbnisagenden folgten im Laufe der Kasualgeschichte im Wesentlichen dieser Grundform.

Bestattung durch den Lehrer
Die Vorlage erfuhr eine aus heutiger Sicht bemerkenswerte Erweiterung. Der Abgeordnete Teichmann, Pastor in Naensen, beantragte, dass auch ein Opfermann oder Lehrer ein Begräbnis halten sollte, wenn der Pfarrer verhindert sei. Dazu müsse eine liturgische Ordnung verfasst werden. (Verhandlungen 1884 Sb 7 S. 51) Konsistorialrat Abt Sallentien unterstützte den Antrag wiederholt. Dabei war es in der Landessynode keine Frage, ob ein Lehrer dazu theologisch befugt sei. Es gab keinerlei Einwände vom Amtsbegriff her. Eher von Schulalltag. Der Lehrer sollte durch diesen Dienst nicht die eigentliche Arbeit in der Schule versäumen. Er sollte zu diesem Dienst nicht verpflichtet werden. Für manche Kirchengemeinden war die Vornahme eines Begräbnisses durch den Opfermann bzw. Lehrer allerdings auch nichts Neues. Gegen Bezahlung des Opfermanns war sie z.B. in Watzum üblich. Das Protokoll: „Abgeordnete Eimecke constatirt, dass die Opferleute in seiner Gegend bei Begräbnisse nicht Theil nehmen, ausser wenn sie eine Entschädigung dafür erhielten“. (Sb 7 S. 52)
Die Synode nahm den Antrag wie das ganze Gesetz mehrheitlich an. (Verhandlungen 1884 Sb 10 S. 70)

Diese bemerkenswerte Änderung der Vorlage war nur deshalb möglich, weil eine Beteiligung des Pfarrers an einem Begräbnis nicht zum pfarramtlichen Alltag gehörte. Der Pfarrer „gab also nichts von seinem üblichen Dienst auf“. Einhundert Jahre später erscheint diese Möglichkeit infolge eines veränderter Amtsbegriffes viel schwieriger.

Bestattung von Selbstmördern
Unerledigt, aber breiter erörtert wurde die Frage der Bestattung von Selbstmördern. Der Abgeordnete Rhamm hatte dazu einen Vorstoß unternommen und beantragt, die herzogliche Kirchenregierung zu ersuchen, „den sofortigen Erlass von Bestimmungen in Aussicht zu nehmen, nach denen Selbstmördern bei nachgewiesener oder anzunehmender Geistesstörung ein kirchliches Begräbnis nicht zu versagen ist“. (Verhandlungen 1884 Sb 8 S. 40) Die bestehende Rechtslage war, dass Selbstmörder ohne Gesang, ohne Geläut, ohne Gefolge, in der Stille zu begraben seien. Die Ordnung stammte vom fürstlichen Geheimratskollegium, aus dem Jahre 1832 und war 1859 und noch 1876 auch vom Konsistorium bekräftigt worden. Rhamms Antrag zielte auf die Beendigung dieser Rechtslage und die Aufhebung dieses staatlichen Reskripts. Konsistorialrat Spies erläutert in zwei langen Beiträgen, dass das Konsistorium zunächst die Initiative des Staates abwarten wolle, distanzierte sich aber von der bestehenden Rechtslage und hielt eine kirchliche Regelung angesichts der verschiedenen Handhabungen in den Kirchengemeinden und auch in vielen anderen Ländern für notwendig.

Die Synodalen spürten die unbequeme Lage des Konsistoriums, das einerseits eine mildere Handhabe bei der Genehmigung für Bestattung von Selbstmördern wünschte, sich aber an das Reskript von 1832 gebunden sah, und drängten in drastischen Beiträgen zu einer Änderung der Lage. Oberbürgermeister Pockels unterstützte den Antrag Rhamms als „dringend notwendig“ (Sb 6 S. 43), Kühne wollte eine Bestattung am Rande des Friedhofes abschaffen, der Abgeordnete v. Löhneysen bezeichnete das Reskript als „einen Überrest mittelalterlicher Barbarei“. (Sb 6 S. 44) Nach acht weiteren Wortbeiträgen wurde der Antrag Rhamms angenommen. (Sb 6 S. 45) Aber bei der Wiederaufnahme des Synode 1886 lag den Synodalen immer noch keine Vorlage des Staatsministeriums vor, was der Abgeordnete Rhamm verärgert als „einigermaßen überraschend“ kritisierte, (Sb 10 S. 71) zumal das Konsistorium dem Staatsministerium eine Vorlage vorgelegt hatte. Das Staatsministerium war sich noch nicht schlüssig, ob die Rechtslage durch ein Kirchengesetz oder ein Staatsgesetz geändert werden müsse. (ebd) So blieb der Antrag inhaltlich unerledigt, aber das Staatsministerium hatte ein sehr deutliches Stimmungsbild von der Landessynode, die eine Änderung forderte.

Mehr Öffentlichkeit bei den Inspektionssynoden
Die 3. Landessynode hatte an die Kirchenregierung das Ersuchen gerichtet, die Sitzungen der Inspektionssynoden auch für Anstaltsgeistliche zu öffnen und Pfarrer, Lehrer und Kirchenvorsteher als Zuhörer zuzulassen. Die Anregung fiel beim Konsistorium auf fruchtbaren Boden, es legte der Synode ein entsprechendes Kirchengesetz vor (Anlage 10), wonach die der ev. luth. Kirche des Landes angehörigen Geistlichen und Lehrer, ferner Patrone und Kirchenverordnete der Inspektion sowie Mitglieder der Landessynode bei den Verhandlungen der Inspektionssynoden zuhören konnten. Die Kirchenregierung hatte also den Zuhörerkreis um die Patrone erweitert, die Synode strich aus der Vorlage die Eingrenzung von Lehrern und Kirchenvorstehern auf die Inspektion und erweiterte sie auf die gesamte Landeskirche. Obwohl der Konsistorialbericht anschaulich von den Verhandlungen und Ergebnissen der Inspektionssynoden berichtet hatte, so erhofften sich die Synodalen mit ihrem Antrag eine größere Beteiligung der Gemeindemitglieder an ihren Verhandlungen. Das war ein Problem, das später bei den Propsteisynoden immer wiederkehrte. Anstaltsgeistliche, in Braunschweig der Gefängnispfarrer und der Pfarrer des Marienstiftes, sowie der Pfarrer von Neu-Erkerode, erhielten einen Sitz in der Inspektionssynode. (Sb 5 S. 35)

Frage der Patronate
Die dritte Landessynode hatte von der Kirchenregierung eine Vorlage zu den Patronaten in der Landeskirche erbeten. Die Synode wünschte eine erhebliche Verringerung und eine grundsätzliche Klarstellung. Sie verknüpfe damit die Frage der Beteiligung der Kirchengemeinden bei der Pfarrerwahl, denn viele Patrone hatten noch das Besetzungsrecht für die Ortspfarrre. Das Konsistorium erstattet dem Regentschaftsrat dazu einen ausführlichen Bericht, der auch der Synode als Anlage 7 vorgelegt wurde. Darin erklärte das Konsistorium einleitend „die einstweilige Unthunlichkeit einer Aufhebung“ (Anlage 7 S. 3), die Patrone kämen vorbildlich ihrer Bauverpflichtung nach und bei der Besetzung der Pfarrstelle gäbe es Absprachen mit dem Konsistorium. Das sei keine abwägende Stellungnahme; das Interesse der Gemeinden werde zu wenig berücksichtigt, stellte Pfarrer Skerl in der Debatte fest. (Sb 4 S. 25) Die Patrone in der Synode v. Löneysen und v. Cramm wie auch Domprediger Thiele lehnten als Betroffene und Nutznießer einen Antrag für ein neues Pfarrerwahlsystem ab. Generalsuperintendent Rothe lehnte den Antrag mit der Begründung ab, das Gemeindewahlrecht sei ein „zweischneidiges Schwert“. Man müsse mit der Einführung noch abwarten, „da wir uns nicht in Verhältnissen befänden, die uns drängten, uns den Schwingungen der Gemeindewahl auszusetzen.“ (Sb 4 S. 26) Bürgermeister Guericke, Helmstedt, gab zwar zu, dass „die Strömung unserer Zeit, die Rechte des Volkes zu vermehren und dem Willen der Allgemeinheit mehr Geltung zu schaffen als bisher, auf kirchlichem Gebiet dahin führen werde, dass die Gemeinden ihre Prediger selbst wählen“ würden. Aber zur Zeit nicht erforderlich. Bürgermeister Eimecke, Watzum, widersprach und versprach sich von einem neuen Wahlsystem „gute Erfolge“. (Sb 4 S.28) Schließlich empfahl auch Konsistorialrat v. Schmidt-Phiseldeck Ablehnung und so wurde der Antrag abgelehnt. Erstaunlicherweise stellte der Abgeordnete v. Cramm in der nächsten Sitzung jedoch den Antrag, „das Kirchenregiment zu ersuchen, die Angelegenheit, Verringerung der Patronate und größere Beteiligung der Gemeinden der Wahl der Prediger betr. fernerweit im Auge zu behalten“. (Sb 5 S.32) Die Sache selber sollte also weiterhin auf dem Verhandlungstisch bleiben. Die Synode stimmte ohne Aussprache dem Antrag zu.

Die Gestaltung des Konfirmationstages

Einen erheblich größeren Zeitraum als die Begräbnisordnung nahm die Frage der Gestaltung des Konfirmationstages ein. Er war ein Schwerpunkt des Berichtes des Konsistoriums über die Zustände in der Landeskirche.

Die Inspektionssynoden hatten über die vom Konsistorium gestellten Frage betr. die Missstände bei der Konfirmationsfeier und wie man ihnen begegnen könnte, ausgiebig diskutiert, und das Konsistorium berichtete über die Ergebnisse der Inspektionssynoden der Landessynode ausführlich (Verhandlungen 1884 Anlage 6 a S. 8 - 15). Die Konfirmation würde als „feierliche Art der Schulentlassung“ missverstanden. Luxus bei der Kleidung nehme „Überhand“, Eitelkeit und Neid würden dadurch unter den Konfirmanden geschürt, bei Geschenken und den Gratulationskarten würde übertrieben und sie passten überhaupt nicht zum Anlass. In den letzten Wochen vor der Konfirmation seien gesellige Vergnügungen beiderlei Geschlechts ohne Aufsicht der Eltern üblich geworden, was „mancherlei Befürchtungen nahe lege“. Auch bei der ausgiebigen Vorbereitung zur Ausschmückung der Kirche gehe es „nicht immer anständig her.“ Beim Umherziehen der Konfirmanden nach dem Konfirmationsgottesdienst zu gegenseitigen Hausbesuchen habe die „reichliche Bewirtung auch mit geistigen Getränken oft sehr unerfreuliche Folgen“. Herkömmlich würde an einem Ort sogar von den Konfirmanden am Nachmittag ein Fass Bier gekauft und ausgetrunken. In der Woche nach der Konfirmation würden „Tanzbelustigungen“ für die Konfirmanden veranstaltet, die „nicht etwa als unschuldige Vergnügungen anzusehen seien“. Die Inspektionssynoden Wolfenbüttel und Braunschweig klagten über den „Missstand der Massen-Confirmation“, und über den völlig überfüllten und daher unergiebigen Unterricht. Die Pfarrer an Katharinen und Magni fühlten sich aber nicht frei, die Gruppen zu teilen, wie sie vorschlugen, und mehrere Konfirmationsgottesdienste abzuhalten. Das Konsistorium schilderte eine Jugend, die in Folge der eingehenden französischen Reparationszahlungen in den 70er Jahren Anteil hatte am üppigen Leben der siegreichen Nachkriegszeit. An anderer Stelle wurde über das zunehmende Vagabundenleben geklagt, das waren jene Arbeitslose, die Opfer des auf den Wohlstand folgenden Wirtschaftskrachs wurden. (Inspektion Börssum ebd. S. 22 f) Es mangelte nicht an Vorschlägen zur Besserung: Einrichtung von Jugendgruppen, Bitte um Mithilfe an die Eltern, die Religionsstunden in den oberen Klassen sollten vermehrt werden, die Polizeibehörden sollten die Feiertagsordnung nachhaltiger schützen.

Es gab keine Rückfragen an den reichlich dogmatischen und jugendfremden Unterricht, für den das Katechismusbuch von Ernesti benutzt wurde. Es fehlten ausreichende Unterrichtsräume. 1884 gab es noch kein einziges Gemeindehaus in der Landeskirche. Die Synode beschloss mehrheitlich, die Konfirmation vom Weißen Sonntag auf den Sonntag Palmarum zu verlegen. Das war der letzte Sonntag in der Passionszeit, eröffnete die Karwoche als „Stille Woche“. Die Synodalen hofften auf Rücksicht der Jugendlichen auf diese kirchenjahresmäßig geprägte ruhige Zeit, jedoch vergeblich. Die Konfirmationsunsitten wurden lediglich von Weißen Sonntag auf den Sonntag Palmarum verlegt. Zum wirksamen Mittel, Konfirmation vom Schulabschluss zeitlich zu trennen, konnte sich die Synode nicht entschließen.

Die Revision des Gesangbuches

Eine Revision des Gesangbuches war seit Jahrzehnten im Gespräch. Domprediger Thiele hatte sein Kirchenbuch von 1852 mit einem Abdruck von 233 Liedern beschlossen, in denen zahlreiche, in der Aufklärung veränderte Lieder wieder in die Urform zurückversetzt und zahlreiche neue angefügt wurden. (siehe Dietrich Kuessner, Das Braunschweigische Gesangbuch, Wolfenbüttel 2007, Kap. 4. S. 64 ff) Pfarrer Otto Lohmann hatte für seine Gemeinde Meinbrixen 1877 ein Gesangbuch erstellt und die alten reformatorischen Choräle wieder zu Ehren gebracht. Der Superintendent in Wahle, Christian Oberhey, hatte 1880 eine grundgelehrte Abhandlung über „Das braunschweigische Gesangbuch nach seiner Entstehung und Gestaltung. Beitrag zur Geschichte der Gesangbuchreform im vorigen Jahrhundert“ veröffentlicht. Er schilderte darin die Entstehung des aktuellen Gesangbuches, das aus der Aufklärung stammte, nahm dessen Inhalt gegen wütende Angriffe des konfessionalistisch-lutherischen Lagers in Schutz, befürwortete indes die Herstellung eines neuen Gesangbuches.

Pfarrer Berndt aus Hehlen und die Kirchenvorstände von Warle und Schliestedt sowie die Inspektionssynoden von Lunsen-Thedinghausen und von Ahlum baten die Landessynode 1883 um die Einführung eines neuen Gesangbuches, „da das bislang gültige „Neue Braunschweigische Gesangbuch“ veraltet ist und dem Erbauungsbedürfnis der jetzt lebenden Generation wenig entspricht“. (Verhandlungen 4 Anlage 6 a S. 18 f). Diese Bitte hatte über den Lagebericht des Konsistoriums die Synodalen erreicht. Das Konsistorium erwiderte den Inspektionssynoden, dass es nicht beabsichtige, der Synode dazu eine Vorlage zu machen. Man habe „überhaupt Bedenken“. (ebd) Allerdings nahm die liturgische Kommission der Landessynode diese Anträge auf und formulierte nun ihrerseits eine entsprechende Bitte an die Kirchenregierung. Zur liturgischen Kommission gehörten der Domprediger Thiele, Pfarrer Skerl, Superintendent Brunke aus Wolsdorf, Baron v. Cramm aus Burgdorf und Stadtsuperintendent Rothe, Wolfenbüttel. Skerl berichtete der Landessynode am 10. Dezember 1884, empfahl, dem Vorschlag des Kirchenvorstandes von Warle zu folgen, und dem Gesangbuch einen Anhang beizugeben, der die 150 Lieder des Gesangbuches für das Deutsche Heer enthalten sollte. (Verhandlungen 1884 Sb 5 S. 35 ff) In der Aussprache begrüßte der Synodale Dedekind, Superintendent von Stadtoldendorf, „die Ausmerzung der kalten und frostigen Gesänge.“ Der Gemeindevorsteher von Watzum, Eimecke Friedrich, hielt dagegen eine Änderung des Gesangbuches für unnötig. Das jetzige Gesangbuch enthalte „so viel schöne Lieder“. Er wurde vom Gemeindevorsteher Keunecke aus Frellstedt unterstützt. Der Kommissionsantrag erhielt die Mehrheit.

Aber die Fortführung des Projektes war noch zweifelhaft, denn Konsistorialrat Abt Sallentien äußerte gegenüber den Synodalen, „dass er augenblicklich nicht in der Lage sei, über die betr. Verhältnisse genaue Auskunft zu geben, dieselben jedoch demnächst einer Prüfung unterziehen werde.“ (Sb 5 S. 37).

Das Konsistorium überraschte die Synode mit einer vollständigen inhaltlichen Kehrtwendung während der einjährigen Synodenpause und stellte in seiner Eingabe an das Staatsministerium Sommer 1885 fest: „Der Wunsch nach einer Erneuerung des jetzigen Gesangbuches hat sich in weiten Kreisen unseres Landes bereits seit längerer Zeit geregt und ist uns zu verschiedenen Malen auch von Inspektionssynoden schon entgegengetragen. Wir können denselben nur für begründet erachten, da unser jetziges Landes-Gesangbuch den an ein solches zu stellenden Anforderungen in nur sehr geringem Maße entspricht. Es findet sich in demselben eine größere Anzahl von Liedern, denen kaum jemand dichterischen Wert und tieferen erbaulichen Gehalt zusprechen wird“. (Anlage 23 S. 1) Innerhalb von neun Monaten hatte das Konsistorium seine Meinung diametral geändert. Wer diesen Sinneswandel herbeigeführt hat, ist nicht festzustellen. Er könnte auf den Einfluss von Abt Sallentien zurückgehen.

Das Konsistorium listete die Lieder des neuen Anhanges folgendermaßen auf: 77 Lieder des Militärgesangbuches seien ganz neu und 59 befänden sich zwar im gegenwärtigen Gesangbuch, jedoch in sehr stark abgeänderter Form. Das der Synode vorgelegte Kirchengesetz war vom Prinzregenten Albrecht unterzeichnet.

Die Landessynode beriet im Dezember 1886 über die Vorlage des Staatsministeriums und beschloss den Liederanhang. Den berechtigten Wünschen vieler würde entgegengekommen und die Einführung eines völlig neuen Gesangbuches sollte in angemessener Frist angebahnt werden. (Verhandlungen 1886 Sb 9 S. 66) Die Synode drängte auf eine rasche Einführung, das Landes-Choral-Melodiebuch müsste ergänzt werden und es sollten „rhythmische Parallel-formulare“ beigegeben werden. (Anlage 29 S. 1) Das war ein bemerkenswerter Einschnitt in eine Jahrhunderte lang eingeschliffene Singegewohnheit in der gottesdienstlichen Gemeinde.
Es war eine weitsichtige Entscheidung. Das Register des Gesangbuches von 1887 nannte 140 Lieder im sog. Anhang des Gesangbuches. Davon sind 104 im heutigen EG enthalten. Von den 37 Liedern, die inzwischen entfallen sind, waren einige noch im EKG. Es sind die bekannten „Lobe den Herren“, „Befiehl du deine Wege“ „Fröhlich soll mein Herze springen“, „Gott des Himmels und der Erden“, „Hinunter ist der Sonne Schein“, „Tut mir auf die schöne Pforte“ u.v.a.m. Diese Lieder haben also eine nunmehr 100jährige ununterbrochene Liedtradition hinter sich.
Äußerlich wirkte das Gesangbuch wie eine Einheit, tatsächlich handelte es sich bei den 140 Liedern nicht um einen Anhang, sondern um ein zweites, inhaltlich völlig anderes Gesangbuch. Ein weiteres Fortschritt war die Veränderung der Druckbuchstaben, die sich dem geläufigen Schriftbild anpasste und dass unter jedes Lied nun der Verfasser angegeben wurde.
Zu Ostern 1887 wurde der Anhang offiziell mit den angehängten Nummern 719-858 eingeführt. In Zusammenarbeit von Gemeindeinitiative und Landessynode war zugunsten der reformfreudigen Kirchengemeinden ein wichtiger Schritt zu einem neuen Gesangbuch getan, mit dem sich die Landessynode 1902 beschäftigte.

Beim zusammenfassenden Überblick über diese vierte, zeitlich unterbrochene Synodenperiode stellt sich die gewählte Überschrift als arge Vereinfachung dar, zumal debattengeschichtlich die Behandlung der Begräbnisordnung überhaupt keiner Erwähnung bedürfte, weil überhaupt keine Debatte stattgefunden hatte. Allerdings bedeutete die Verabschiedung der Begräbnisordnung eine wesentliche Veränderung in der Begleitung der Gemeindemitglieder. Sie verlagerte sich allmählich und dann vollständig vom Beisein des Pfarrers am Sterbebett auf die Begleitung der Hinterbliebenen bei der Beerdigung. Und sie vervollständigte die vorgesehene Agendenreform.
Debattiergeschichtlich waren die Aussprachen über die Konfirmation und das Gesangbuch unvergleichlich erheblicher. Zusammen mit dem vierten umfassenden Lagebericht standen mit der Bearbeitung von Konfirmation, Gemeindegesang und Beerdigung grundlegende Vorgänge und Veränderungen in den Kirchengemeinden im Mittelpunkt dieser vierten Landessynode.

Stimmungsbild am Ende der Synodaltagung
Ein Stimmungsbild von der Synode gab Geheimrat Dr. Wirk in seiner Schlussansprache am 17. Dezember 1886: „Sie begann in den Tagen tiefer, schmerzlicher Trauer und schwerer lastender Sorge, in welche das ganze Land und mit ihm unsere evangelisch-lutherische Landeskirche sich durch das Dahinscheiden unseres geliebten Herzogs versetzt fand- sie endet in einer Zeit, da Volk und Gesellschaft, Staat und Kirche sich gemeinsam erfüllt finden von dem hoch beglückenden, bereits durch eine reiche Erfahrung unerschütterlich begründeten Bewusstsein: Gott hat unser Braunschweig nicht verlassen wollen. Er hat es vom Neuem gesegnet, indem Er uns einen Regenten gab, der in hochherziger landesväterlicher Fürsorge und Weisheit Sich des verwaisten Landes hat annehmen wollen und mit den segensreichsten Erfolgen – überall begeisterungsvolle Liebe und Hingebung erntend – angenommen hat und fernerhin annehmen wird.“ (Verhandlungen 1886 Sb 11 S. 77 f)
Der Synodenvorsitzende brachte ein dreimaliges Hoch auf Seine Königliche Hoheit, den Regenten aus, „in welches die Versammlung begeistert einstimmte“.

Dazu hatten die Synodalen auch einen konkreten Anlass. Der Prinzregent hatte die ganze Synode noch am selben Tag zu einem Hoffest eingeladen. Das hatte es vorher lange nicht mehr nicht gegeben.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk