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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die 3. außerordentliche Landessynode 1890
Die Disziplinarsynode


Quelle: Verhandlungen der durch landesfürstliche Verordnung Nr. 56 vom 11. October 1890 berufenen außerordentlichen Landessynode eröffnet am 5. und geschlossen am 15. November 1890.

Die dritte außerordentliche Landessynode dauerte von 5. - 15. November 1890 und beanspruchte fünf Sitzungstage. Gab es einen unausgesprochenen Zusammenhang mit der Aufhebung der Sozialistengesetze und damit einhergehende Befürchtungen über eindringende sozialistische Einflüsse?

Vorgeschichte
Die Notwendigkeit dieser Synodalsitzung ist aus kirchlicher Sicht nicht verständlich. Die Beschlussfassung und Verabschiedung eines Gesetzes konnte auch während der nächsten ordentlichen Synode erfolgen. Die Einberufung erfolgte auf Veranlassung des Prinzregenten Albrecht. (Anlage 1 Eröffnungsrede) Es lagen ein Gesetzesentwurf über ein neues Disziplinarrecht und eine geringfügige Novelle zum Emeritierungsgesetz von Seiten der Regierung vor. Außerdem wurde die a.o. Synode für eine Reihe von Anregungen und Anfragen an das Konsistorium genutzt.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 3. außerordentlichen Synode 1890

01. Bach, Adalbert, Pastor, Calvörde, seit 1886.
02. Baumgarten Amtsrat, Forst, neu.
03. Bertram, Werner, Generalsuperintendent, Braunschweig, neu.
04. Blanke, Friedrich, Holzhändler, Kl. Rüden, seit 1880.
05. Broistedt, Friedrich, Stadtprediger, Blankenburg, neu.
06. v. Cramm, Hausmarschall, Burgdorf, seit 1876.
07. Eggeling, Otto, Pastor, Braunschweig, seit 1875.
08. Eimecke, Christoph Friedrich, Gemeindevorsteher, Watzum, seit 1869.
09. Eißfeldt, Gustav, Pastor, Querum, seit 1884.
10. Guericke, Hildebert, Bürgermeister, Helmstedt, seit 1882.
11. v. Heinemann, Otto, Oberbibliothekar, Wolfenbüttel, seit 1882, berufen.
12. Hörmann, August, Pastor, Kirchberg, seit 1886.
13. Jeep, Rudolf, Superintendent, Holzminden, seit 1888.
14. v. Kalm, Regierungsrat, Braunschweig, seit 1880.
15. Keunecke, Gemeindevorsteher, Frellstedt, seit 1876.
16. Kuhn, August, Generalsuperintendent, Helmstedt, seit 1869.
17. Kühne, Landgerichtsrat a. D., Blankenburg, seit 1869.
18. Langerfeldt, Conrad, Kreisdirektor, Helmstedt, seit 1888.
19. Leidloff, Professor, Holzminden, seit 1888.
20. Lerche, Kreisdirektor, Gandersheim, seit 1869.
21. Pockels, Wilhelm, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1880.
22. Rhamm, Albert, Landsyndikus, Braunschweig, seit 1884.
23. Rothe, Emil, Stadtsuperintendent, Wolfenbüttel, seit 1884.
24. Scholvien, Kreisbaumeister, Gandersheim, seit 1880.
25. Schrader, Karl, Provisor, Braunschweig, seit 1884.
26. Schröter, Wilhelm, Generalsuperintendent, Gandersheim, seit 1886.
27. Schulz, Wilhelm, Superintendent, Halle a.d.W., seit 1886.
28. v. Schwartz, Karl, Superintendent, Cremlingen, seit 1888.
29. v. Schwartz, Oberamtmann, Hessen, seit 1888.
30. Skerl, August, Pastor, Braunschweig, seit 1869.
31. v. Veltheim, Oberkammerherr, Destedt, seit 1884.
32. Zerbst, Carl, Pastor, Gebhardshagen, seit 1888.

Von der Regierung nahm erstmals Kultusminister Geheimrat Spies als Kirchenkommissar teil, vom Konsistorium Konsistorialpräsident v. Schmidt-Phiseldeck, Konsistorialvizepräsident Sallentien, die Konsistorialräte Spies und Rohde. Überraschend und ohne erklärten Grund erschien am 3. Sitzungstag der Vorsitzende Minister Otto.
Die Synodalen Oehns, Beste und Schönermark waren verstorben. Bei den Ergänzungswahlen wurden in die Synode gewählt Amtsrat Baumgarten (für Oehns), Forst, Generalsuperintendent Bertram (für Beste), Braunschweig und Pfarrer Broistedt, Stadtprediger in Blankenburg (für Schönermark).

Als Vorsitzende wurden dem Prinzregenten Pockels (31 St.), Skerl (29 St.) und Lerche (28 St.) präsentiert und entgegen dem Stimmenverhältnis vom Prinzregenten Lerche zum Präsidenten und Skerl zu dessen Stellvertreter bestimmt.

Der Vorsitzende des Synodalausschusses Rhamm berichtete von Bedenken bei der Wahl der Wahlmänner. Offenbar war kein landesherrliches Wahlausschreiben erfolgt, was eine längere Debatte auslöste.

In die Kommission zur Vorberatung des Disziplinargesetzes wurden Langerfeldt, Rhamm, Rothe, Skerl und v. Schwartz Karl, Cremlingen gewählt.
Zur Prüfung eines Antrages von Bach, der die Dispensation von Kindern vom vorgeschriebenen Konfirmationsalter betraf, wurden in eine Kommission Eimecke, Schulz, Schrader, Schröter und Zerbst gewählt.
v. Schwartz beantragte, das Konsistorium möge sich um eine Verschärfung des Strafgesetz-buches bezüglich unzüchtiger Schriften bemühen.

Termine und Themen

Vor Beginn versammelten sich die Synodalen im Dom zu einem Gottesdienst.

1. Sitzung 5. 11.1890 Mittwoch.
Eröffnungsansprache des Kirchenkommissars Spies, Gelöbnis der drei neuen Mitglieder,
Wahl des Präsidiums.
Bericht des Synodalausschusses (Rhamm), Wahl einer Kommission zur Vorberatung des Gesetzes (Rothe, Skerl, v. Schwartz, Cremlingen, Langerfeldt, Rhamm).
Eingang: Entwurf eines Gesetzes betr. die Oberaufsicht über die Kirchendiener und die Disziplinarverhältnisse derselben. Wahl einer Kommission zur Beratung eines Antrags von Bach die Zulassung von Konfirmanden betr. Der Kommission gehörten an Schröter, Eimecke, Zerbst, Schulz, Schrader.
Antrag von v. Schwartz betr. Verschärfung der Strafbestimmungen in Bezug auf unzüchtige Schriften.

2. Sitzung 7.11.1890 Freitag 10 Uhr.
Antrag Langerfeldt für einen Gottesdienstraum im Kreisgefängnis.
Zwei weitere Anträge des Abgeordneten v. Schwartz betr. unzüchtige Schriften.
Beratung des Gesetzes Disziplinarverhältnisse.
Kommissionsantrag: Die Synode bedauert, an der Vorlage des in der Landesversammlung bereits beschlossenen Gesetzes nicht mehr viel ändern zu können. Dieser Antrag wurde einer Kommission überwiesen: v. Schwartz, Hessen, Pockels, Schulz, Keunecke, Bertram .

3. Sitzung 8.11.1890 Sonnabend 11 Uhr bis „vorgerückte Stunde“.
anwesend: Vorsitzender (!) Staatsminister Dr. Otto, Kultusminister Spies und Geheimrat Hartwieg.
Beschlussfassung über das Disziplinargesetz, das nicht einstimmig, sondern nur mit großer Mehrheit angenommen wird.
Beschlussfassung über eine sehr geringfügige Änderung des Emeritierungsgesetzes ohne Debatte.
Beschlussfassung über eine frühzeitige Zulassung von Konfirmanden zur Konfirmation.
Antrag v. Schwartz zur Änderung des Strafgesetzbuches abgesetzt;
Antrag von Guericke betr. erhöhte Wachsamkeit gegenüber den kirchenfeindlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vertagt.
Ohne Angabe von Gründen Vertagung der Synode durch den Prinzregenten um eine Woche. Die Tagesordnung werde den Synodalen durch den Braunschweiger Anzeiger bekannt gemacht, erklärt der Präsident der Synode.

4. Sitzung 14.11.1890 Freitag 10 Uhr.
Anwesend die wirklichen Geheimräte Dr. Otto und Dr. Spies, sowie das gesamte Herzogliche Konsistorium (v. Schmidt-Phiseldeck, Sallentien, Spies und Rohde);
Annahme eines Antrags von v. Schwartz zur Errichtung eines ständigen Ausschusses bei den Inspektionssynoden nach längerer Debatte angenommen.
Antrag auf geringfügige Änderung eines Schreibens des Konsistoriums zur frühzeitigen Zulassung von Konfirmanden angenommen.

5. Sitzung 15.11.1890 Sonnabend 10 Uhr.
Behandlung von fünf Anträgen von Synodalen betr. Einschreiten gegen den Verkauf unzüchtiger Schriften (v. Schwartz), der Einrichtung eines Gottesdienstraumes im Kreisgefängnis (Langerfeldt), Abschaffung der Staatslotterien (v. Schwartz), Einfügung einer Fürbitte für bedrängte Glaubensgenossen (Hörmann), Errichtung einer Synodalbibliothek (v. Schwartz).
Der Vorsitzende schließt die Synode ohne die üblichen Hurrarufe auf den Herzogregenten.

Hauptgegenstände und Hintergründe

Es gab keinerlei zwingende kirchliche Gründe, eine außerordentliche Landessynode einzuberufen. Da aber der Landesversammlung ein kirchliches Disziplinargesetz zur Beschlussfassung vorlag, das ohne Beschlussfassung der Landessynode nicht in Kraft treten konnte, wurde die außerordentliche Synode einberufen. Dieser Zustand löste bei den Synodalen heftige Verärgerung aus, die der Synodale v. Schwartz als „drückende Zwangslage“ und einen „allseits als unhaltbar anerkannten Zustand“ (Prot. 2 S. 9) geißelte, weil der Synode die Möglichkeit genommen war, noch Veränderungen am Staatsgesetz vorzunehmen. In anderen Zusammenhängen betonte das Staatsministerium gerne die Unabhängigkeit des Konsistoriums. So hieß es in der Begründung des vorgelegten Kirchengesetzes „In kirchlichen Angelegenheiten bildet das Herzogliche Staatsministerium keine dem Consistorium übergeordnete Instanz“. (Anlage 6 A a S. 18)
Die Vorgehensweise führte sogar dazu, dass die Synodalkommission einen ungewöhnlichen Antrag formulierte, wonach die Synode „ihrem Bedauern darüber Ausdruck“ gibt, „dass die Freiheit ihrer Entschließungen über einen wichtigen Kirchengesetzentwurf durch die vorhergehende Vereinbarung eines auf denselben Gegenstand bezüglichen Landesgesetzes beschränkt ist“. (Prot. 2 S. 9) Das war in höflicher Form ein deutliches Misstrauensvotum gegenüber der Vorgehensweise des Staatsministeriums. Bei der Beratung dieses Antrages erklärte Pastor Eißfeldt aus Querum, er werde dem Gesetz nicht zustimmen. „Im Namen vieler seiner Amtsbrüder müsse er erklären, wie sie es als eine tiefe Demütigung empfunden hätten, dass das Gesetz nicht zuerst der Synode vorgelegt sei“. (Sb 2 S. 14) Obwohl sich auch einige Abgeordnete für das eingeschlagene Verfahren aussprachen, wurde der Kommissionsantrag nur „mit geringer Mehrheit abgelehnt“. (Sb 2 S. 15) Das war eine Ohrfeige für das Staatsministerium und führte womöglich dazu, dass zur nächsten Sitzung die drei Mitglieder des Staatsministeriums an der Sitzung teilnahmen, sogar der Vorsitzende Staatsminister Otto.

Das Disziplinargesetz
Einige Landeskirchen u.a. von Mecklenburg (1880), Hessen (1883), in Preußen und Oldenburg (1886) hatten bereits ein eigenes, vom Staat unabhängiges Disziplinarverfahren geschaffen. Bisher unterlag ein Pfarrer im Falle von Disziplinarvergehen der staatlichen Justiz. Durch die neue Regelung wurden Staat und Kirche in gewisser Weise auf einem weiteren Gebiet entzerrt.
Die Vorlage der Braunschweiger Regierung, das Kirchengesetz „die Oberaufsicht über die Kirchendiener und die Disziplinarverhältnisse derselben betreffend“, enthielt 28 Paragrafen und unterwarf alle Kirchendiener der Oberaufsicht des Konsistoriums, verhängte unterschiedliche Ordnungsstrafen (Warnung, Verweis, Geldstrafe) (§ 8) oder eine Dienstentlassung (§ 9) und schuf mit der Disziplinarkammer und dem Disziplinarhof (§ 21) zwei Instanzen, denen neben Staatsbeamten auch Mitglieder des Konsistoriums, der Synode und Superintendenten angehörten. Das bedeutete auch eine gewisse Verselbständigung der Landeskirche gegenüber dem Staat.

Die Landessynode beriet über die Vorlage, die von einer Kommission bestehend aus den Synodalen Rothe, Skerl, v. Schwartz, Cremlingen, Langerfeldt und Rhamm vorbereitet worden war. In der Aussprache bedauerte der Kommissionssprecher v. Schwartz lebhaft, dass die Vorlage bereits im Landtag beschlossen worden war. Eine Änderung stünde der Synode zwar formell frei, wäre faktisch aber unmöglich, ein – wie v. Schwartz erklärte – „allseitig als unhaltbar anerkannter Zustand“. (Protokoll 2 S. 9) Einen entsprechenden Antrag, der dieses Vorgehen tadelte, lehnte eine knappe Mehrheit der Synode ab. Es wurden kleinere Verbesserungen vorgenommen, z.B. der Ausdruck „religiöse Irrlehre“ in „kirchliche Irrlehre“ verändert, und für die Vertretung der Anklage das juristische Mitglied des Konsistoriums statt des Oberstaatsanwaltes vorgeschlagen. Das Gesetz wurde schließlich „mit großer Mehrheit“, also nicht einstimmig angenommen.

Bei der Gesetzesnovelle zum Emeritierungsgesetz wurde lediglich die Veränderung der Erreichung des Höchstsatzes des Ruhegehaltes nach 40 und nicht nach 40 einhalb Jahren festgestellt. Sie wurde ohne Debatte angenommen.

Weitere Anträge
Danach wurden einige andere Anträge, wie die Schaffung eines Gottesdienstes im Kreisgefängnis, die Beschaffung einer Synodalbibliothek, ein Einschaltung einer speziellen Fürbitte für bedrängte Glaubensgenossen in das Fürbittgebet des Hauptgottesdienstes, die Abschaffung der Staatslotterien aus sittlichen Gründen, behandelt. Ausführlicher geriet die Behandlung eines Antrages des Abgeordneten v. Schwartz, gegen Aufführungen, Schaustellungen und Gesangsvorträge unzüchtiger Art gesetzlich vorzugehen und ein weiterer Antrag von Bürgermeister Guericke, dass die Kirchenvorstände zusammen mit den Pastoren angesichts der „feindlichen Angriffe der Social-Demokratie gegen die Kirche“ das sittliche Leben der Kirchengemeinde fördern sollten.

Alle Anträge wurden teils zurückgezogen, teils als Anregungen an das Konsistorium weitergegeben. Es waren Gelegenheitsanträge anlässlich dieser überraschend einberufenen außerordentlichen Synode.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk