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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die siebente ordentliche Landessynode 1896/1897
Die Küsterdienstsynode


Quelle: Verhandlungen der siebenten ordentlichen Landes-Synode des Herzogthums Braunschweig eröffnet am 17. Dezember 1896 und geschlossen am 11. Mai 1897.

Vorgeschichte
1895/96 war für die Landeskirche eine Zeit großer Veränderungen. 1895 war mit 60 Jahren der Konsistorialpräsident Carl v. Schmidt-Phiseldeck verstorben.(zu v.Schmidt-Phiseldeck siehe Klaus Jürgens 300 Jahre Predigerseminar S. 114 Anm 102; Nachruf von Zimmermann im Braunschweigischen Magazin 1895 S, 33 ff) v. Schmidt-Phiseldeck war der erste am Ort wohnende Präsident, der die Behörde auch tatsächlich leitete. Er hatte es verstanden, den Bewegungsraum der Landeskirche innerhalb der engen und oftmals auch ungeklärten staatskirchenrechtlichen Schranken zu erweitern und eine wachsende Selbständigkeit der Landeskirche gegenüber dem herzoglichen System zu betreiben. Dazu gehörte das Erscheinen eines eigenen landeskirchlichen Amtsblattes. Bisher waren alle kirchlichen Gesetze nur in der Gesetzes- und Verordnungssammlung (GuV) des Herzogtums erschienen. v. Schmidt-Phiseldeck hatte ein bis heutzutage lesenwertes, gründliches Kirchenrecht der Landeskirche verfasst, das im Todesjahr erschienen war und fortgesetzt werden sollte. (Carl v. Schmidt-Phiseldeck Das evangelische Kirchenrecht des Herzogtums Braunschweig Wolfenbüttel 1894)
v. Schmidt-Phiseldeck verband diese Bemühung um mehr Selbständigkeit der Landeskirche allerdings mit einer konservativen Grundhaltung. Die Landeskirche, so schrieb er, wäre auf immer und ewig mit dem Herzog als Oberhaupt der Landeskirche verbunden. Es kam aber der Landeskirche zu gute, dass v. Schmidt-Phiseldeck über eine reiche kommunalpolitische Erfahrung verfügte. Er gehörte dem Wolfenbüttler Stadtparlament an und hatte dort den Vorsitz inne. Er gehörte lange der Landesversammlung an, und zwar nicht als Kirchenbeamter, sondern er war innerhalb seiner zweiten Wählerklasse aufgestellt und gewählt worden. Seit 1885 war er Behördenleiter des Konsistoriums, dem er als Konsistorialrat seit 1875 angehört hatte. Sein Nachfolger wurde Konsistorialrat Spies, der nun als Konsistorialpräsident an der Synode teilnahm.

Der Konsistorialvizepräsident Abt Heinrich Sallentien hatte, bereits erkrankt, an der Eröffnung der Synode noch teilgenommen. Er starb 72 jährig während der Synode am 3. Februar 1897 (zu Sallentien ausführlich Klaus Jürgens 300 Jahre Predigerseminar S.93). Sallentien war der eigentliche theologische Kopf im Konsistorium. Er war seit 1875 als Konsistorialrat in der Kirchenbehörde und hatte seit der Gottesdienstreform 1876 die Umgestaltung der Agende mit betrieben. Ihm war das schrittweise geschaffene Agendenwerk zu verdanken, deren Drucklegung er 1895 noch erlebte. Eindrucksvoll sind die von ihm formulierten Gebete. In einem Nachruf bemerkte das Evangelische Gemeindeblatt, die Liberalen seien öfters gegensätzlicher Ansicht gewesen, aber sie rühmten, wie schon an v. Schmidt-Phiseldeck, seine „urbanen“ Umgangsformen. Er sei „stets ein begeisterter, energischer Förderer aller kirchlichen Bestrebungen gewesen, ein warmer väterlicher Freund der Geistlichen mit einer verhältnismäßig milden, entgegenkommenden Beurteilung freierer Regungen in unsere Kirche“. (EGbl. 7.2.1897 S. 24) Sein Nachfolger wurde Abt Rohde. (zu Rohde Klaus Jürgens ebd. S. 94)

Im März 1897 wurde auch der 91 Jahre alte Kirchenrat Brodkorb begraben, der die Synode mit einer ausführlichen Denkschrift über den kirchlichen Charakter des Kloster- und Studienfonds beschäftigt hatte. Selbst die Liberalen charakterisierten ihn als einen „scharfen und energischen Vorkämpfer der modernen, pietistisch gefärbten Orthodoxie“, dem die Pfarrer der Landeskirche die weitherzig gefasste Verpflichtungsformel verdankten, die sie nicht auf den Wortlaut des Bekenntnisses, sondern auf die darin enthaltene evangelische Lehre verpflichtete. ( EGbl 1897 S. 67)

Neben diesen mehr traurigen Ereignisse feierte das deutsche Volk im März 1897 die hunderste Wiederkehr des Geburtstags der verstorbenen Majestät Kaiser Wilhelms I. Im Evangelischen Gemeindeblatt erschien ein Aufruf der Gesamtvertretung der Evangelischen Jünglingsbündnisse: „Das ganze deutsche Volk geht mit freudiger Erregung dem großen Tag entgegen, an dem vor hundert Jahren der Vater des Vaterlandes, der große König und Kaiser Wilhelm I., der Liebling seines Volkes, das Licht der Welt erblickte“. Sie sammeln für ein deutsches Soldatenheim in Metz, „dem Schilderhaus an Deutschlands Westgrenze“. Alle Soldaten, „die an christlicher Zucht und Sitte Freude haben, sollen eine gute Heimstätte finden“. (EGbl 1897 S. 40) Das braunschweigische Kultusministerium wies das Konsistorium an, Festgottesdienste am 21. März zu veranstalten, wozu in die Allgemeine Fürbitte eine Danksagung eingeschoben werden sollte. Es wurde sogar das apostolische Glaubensbekenntnis gebetet. (Landeskirchliches Amtsblatt 1897 S. 12 f)

Die Synode tagte am 17./18. Dezember 1896 und vom 29. April – 11. Mai 1897 in 10 Sitzungen, also verhältnismäßig kurz, denn zu den eigentlichen Verhandlungen kam es erst im April, also in acht Sitzungen.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 7. ordentlichen Landessynode 1896/97

01. Albrecht, Heinrich, Vollmeier, Dölme, neu.
02. Bach, Albert, Superintendent, Königslutter, neu.
03. Baumgarten, Amtsrat, Forst, seit 1890.
04. Bertram, Werner, Generalsuperintendent, Braunschweig, seit 1890, erneut berufen.
05. Blanke, Friedrich, Holzhändler, Kl. Rüden, seit 1880.
06. Boehme, Carl, Pastor, Räbke, seit 1892.
07. Broistedt, Friedrich, Stadtsuperintendent, Blankenburg, am 28.12.1896 verstorben, dafür
      07. Sorge, Pastor, Braunlage.
08. v. Cramm, Hausmarschall, Burgdorf, seit 1876.
09. v. Cramm, Rittergutbesitzer, Oelber a.w.W., seit 1892.
10. Degering, Wilhelm, Pastor, Braunschweig, neu.
11. Dettmer, Vitus, Generalsuperintendent, Helmstedt seit 1892, erneut berufen.
12. Hartung, Emil, Pastor, Gehrenrode, seit 1892.
13. v. Heinemann, Otto, Oberbibliothekar, Wolfenbüttel, seit 1882, erneut berufen.
14. Jeep, Rudolf, Superintendent, Holzminden, seit 1888.
15. Kulemann, Wilhelm, Landgerichtsrat, Braunschweig, neu.
16. Langerfeldt, Conrad, Kreisdirektor, Helmstedt, seit 1888.
17. Müller, Gymnasialdirektor, Blankenburg, seit 1892.
18. Müller, Oberförster, Gittelde, seit 1892.
19. Müller, Ackermann, Watenstedt, neu.
20. Pini, Otto, Pastor, Braunschweig, neu.
21. Pockels, Wilhelm, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1880.
22. Rothe, Emil, Stadtsuperintendent, Wolfenbüttel, seit 1884.
23. Röttger, Friedrich, Gemeindevorsteher, Dannhausen, neu.
24. Schliephake, August, Ackermann, Uehrde, neu.
25. Schrader, Karl, Provisor, Braunschweig, seit 1884.
26. Schulz, Wilhelm, Superintendent, Halle a.d.W., seit 1886.
27. Schumann, Otto, Superintendent, Timmerlah, seit 1892.
28. v. Schwartz, Amtsrat, Hessen, seit 1888, erneut berufen.
29. Stichel, Rentner, Querenhorst, neu.
30. Willecke, Stadtrat, Königslutter, neu.
31. Wollemann, Bruno, Superintendent, Ostharingen, neu.
32. Zerbst, Carl, Pastor, Gebhardshagen, seit 1888.

Die Synode hatte ein neues Gesicht erhalten. Die Männer der ersten Stunde Eimecke, Kuhn und Skerl, die seit 1869 mit dabei waren, und Keunecke ab 1875, waren verstorben. Es waren ausgeschieden Pastor Eggeling, Braunschweig, Bürgermeister Guericke, Helmstedt, Regierungsrat v. Kalm, Braunschweig, Professor Leidloff, Holzminden, Landsyndikus Rhamm, Braunschweig, Kreisbaumeister Scholvien, Gandersheim und Generalsuperintendent Schröter, Gandersheim.
Otto Eggeling, seit 1875 in der Landessynode, hatte sich mit 58 Jahren in den Ruhestand versetzen lassen und war Professor an der Kunsthochschule in Weimar geworden. (Zu Ferdinand Carl Friedrich Otto Eggeling siehe Johannes Beste Album der evangelischen Geistlichen 1900 S. 77)
Auch der Landsyndikus Rhamm war ausgeschieden. Seit Beginn der Synodengeschichte hatte der jeweils amtierende Landsyndikus einen Sitz in der Synode. Dessen enorme kommunalpolitische Erfahrung fehlte nun.
Es rückten elf Mitglieder nach, eine verhältnismäßig hohe Zahl, nämlich der Vollmeier Albrecht, Superintendent Bach, Pastor Degering, Landgerichtsrat Kulemann, Ackermann Müller aus Watenstedt, Pastor Pini, Gemeindevorsteher Röttger, Ackermann Schliephake, Rentner Stichel, Stadtrat Willecke und Superintendent Wollemann. Unter ihnen war Kulemann als Kommunalpoltiker und engagierter Liberaler bekannt.

Um die Plätze in der Synode wurde teilweise heftig gestritten, und entsprechend knapp waren manchmal auch die Abstimmungsergebnisse gewesen. Superintendent Wollemann wurde mit 37: 35 Stimmen gewählt. Superintendent Schulz erhielt von 55 anwesenden Wählern 35 Stimmen. Rentner Stichel erreichte von 78 anwesenden Wählern gegen Witten zwar 38:30 Stimmen, verfehlte aber die absolute Mehrheit. Im zweiten Wahlgang war das Ergebnis noch knapper: 39:37 Stimmen bei zwei ungültigen Stimmen, aber ausreichend. Holzhändler Blanke erreichte nur ein Ergebnis von 38:34 Stimmen. Vergleichsweise mager war die Wahlbeteiligung in der Stadt Braunschweig. Es waren nur 32 Wahlmänner erschienen, um Pastor Pini zu wählen, und 32 Wahlmänner, um Kulemann zu wählen. Es gab auch sehr große Vertrauensbeweise, so für Ackermann Schliephake, der 133 Stimmen von 134 erhielt. (alle Ergebnisse nach LAW Syn 21 Acta die Wahlen zu der Landessynode 1872-1920)

Das Ergebnis der Wahlen brachte nach Einschätzung der Wochenblätter 12 Sitze für die Rechten und 17-18 Sitze für die Liberalen. (nach EG 1896 S. 191) Die Lutheraner beklagten in ihrem Blatt einen „Misserfolg“ und dass die Wahlen „hier und da nicht nach Wunsch verlaufen“ seien, es sei zu wenig gebetet worden. „Wären wir uns einig gewesen ohne nach links oder rechts zu sehen, so wäre unsere Niederlage nicht so groß gewesen“ Aber auch die Gründung des Landespredigervereins, so die Vermutung der Wochenblätter, habe den Rechten Stimmen gekostet. Sie beklagten eine Wahlagitation seitens der Liberalen, die jede Verständigung ablehne, aber Widerspruch „mit einem nie gesehenen Terrorismus” niederzwinge. (Ev.-luth. Wochenblätter 1896 S.192 Artikel „Das evangelische Gemeindeblatt“)

Der Landesversammlung gehörten folgende drei Synodale an: Rittergutsbesitzer v. Cramm, Oelber a.w.W.; Kreisdirektor Langerfeldt, Oberbürgermeister Pockels.

Von der Regierungsseite nahmen Kirchenkommissar Geheimrat Wilhelm Spies, und vom Konsistorium Konsistorialpräsident Spies, zunächst Konsistorialvizepräsident Sallentien dann Rohde, sowie die Konsistorialräte Lieff und Hustedt teil.

Durch Wahl per Zuruf wurden dem Prinzregenten Pockels, Rothe und v. Cramm-Burgdorf als Vorsitzende präsentiert und Pockels und Rothe zum Vorsitzenden und Stellvertreter bestimmt.

In den Synodalausschuss wurden auf Zuruf gewählt: Pockels, Bertram, Degering, Rothe, Langerfeldt.
Als Stellvertreter: Schrader, Pini, Blanke, Dettmer, Müller-Blankenburg

Der kirchenrechtlichen Kommission gehörten auf Zuruf an: Pockels, Kulemann, Zerbst, Langerfeldt, Wollemann.
Der liturgischen Kommission gehörten auf Zuruf an: Blanke, Schumann, Pini, Schulz, Müller-Blankenburg.
Jeweils drei Mitglieder gehörten im Ausschuss den Liberalen.

Die Presse
Sehr ausführlich berichtete das Blatt der Liberalen, das Evangelische Gemeindeblatt, über die Synodenvorgänge aus seiner Sicht (EGbl 9.5. S.73/ 16.5.S. 77/ 23.5. S. 81) und die
Ev.-luth. Wochenblätter (15.5.1897 S. 78 „Die 7. ordentliche Landessynode“ vom Synodalen Pastor Georg Eißfeldt.) In diesem vier Spalten langen Artikel wurde die Ablösung niederer Küsterdienste mit einem einzigen Satz am Ende erwähnt.

Eröffnungsgottesdienst im Dom mit einer umstrittenen Predigt von Domprediger Bichmann

Termine und Themen

1. Sitzung 17.12.1896.
Nüchterne Eröffnungsrede des Kirchenkommissar Kultusminister Spies,
Wahlen, Wahl des Synodalausschusses,
Eingänge, Anträge.

2. Sitzung 18.12.1896.
Bericht des Synodalausschusses, Wahl der kirchenrechtlichen und liturgischen Kommission.
Selbständige Anträge von Synodalen; Vertagung auf Ende April /Mai.

3. Sitzung 29.4.1897 Donnerstag.
Eingabe der Denkschrift und Bittschrift des Landespredigervereins zur Besoldung,
Besprechung der „Eingehende Mittheilung über die Zustände und Verhältnisse der Landeskirche“,
Frage der „Eidesnot“, revidierter Bibeltext, Kandidaten der Theologie nach dem 2. Examen als Religionslehrer an Gymnasien, Teilung von Kirchengemeinden.

4. Sitzung 30.4.1897 Freitag.
Fortsetzung der Aussprache „Eingehende Mittheilung über die Zustände und Verhältnisse der Landeskirche“, Einziehung der Pachtgelder nicht mehr durch den Pfarrer, sondern durch dazu bestimmte Organe; Vorlage des Konsistoriums erbeten zur Feststellung des Pfarrinventars sowie bezügl. Einsetzung eines Studiendirektors am Predigerseminar;
Antrag auf Herabsetzung der Normalzahl der auf einen Lehrer kommenden Schüler.

5. Sitzung 1.5.1897 Sonnabend.
Aussprache über das Kirchengesetz Verhalten der Kirchen beim Begräbnis von Selbstmördern.

6. Sitzung 4.5.1897 Dienstag.
Antrag Kulemann betreffend das Recht der Kirchengemeinden Kirchensteuern zu erheben.
Fortsetzung der Aussprache Begräbnis von Selbstmördern betr.
Kirchengesetz die sog. niederen Kirchendienste betr.
Nachmittags Besuch des Marienstiftes.

7. Sitzung 5.5.1897 Mittwoch.
Eingabe von Pastor Schall, Bahrdorf, Antrag von Kulemann, dass Kirchenvorstände selbständig Kirchensteuern erheben können; Antrag Zerbst Protest der Synode gegen Aufhebung des Jesuitengesetzes angenommen; Weiterberatung des Kirchengesetzes die sog. niederen Kirchendienste; Beratung der Änderungsvorschläge der Kommission zum Entwurf des Gesetzes über die Erhebung von Kollekten.

8. Sitzung 6.5.1897 Donnerstag.
Fortsetzung der kontroversen Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes betr. Erhebung von Kirchenkollekten. Konsistorialpräsident Spies kann den zahlreichen Änderungsanträgen nicht zustimmen.

9. Sitzung 7.5.1897 Freitag.
Antrag Müllers nach Aufbesserung der Pfarrergehälter wurde abgelehnt, um nicht eine gründliche Besoldungsreform zu verhindern.

10. Sitzung 11.5.1897 Dienstag.
Antrag Kulemann auf mehr Gleichberechtigung der Katholiken wurde abgelehnt; Antrag von Zerbst für Vereinigung der General-Inspektions- Prediger- Witwenkassen wurde gegen den Einspruch des Konsistoriums angenommen. Ein Antrag v. Cramms, das Konsistorium möge die Einführung eines neuen Gesangbuches in Erwägung ziehen, wurde angenommen.
Zustimmung zum Kirchengesetz „Verhalten der Kirche bei dem Begräbnis von Selbstmördern“.

Hauptgegenstände und Hintergründe

Zum Auftakt der Verhandlungen gab es am ersten Sitzungstag wie schon bei der vorhergehenden Synode wieder eine Diskussion über die Drucklegung der Predigt von Domprediger Bichmann.
Dieser hatte in der Predigt den missverständlichen Satz gesagt: „Im Heiligtum wirft man mit Rechten herum, das sei aber ein gefährlich Ding“. Der Synodale Jeep hatte wie üblich die Drucklegung beantragt, der Synodale Böhme beantragte dagegen, die Predigten künftig ständig zu drucken, damit in der jeweiligen Aussprache nicht der Eindruck einer Predigtkritik entstünde. Die Rechte stimmte geschlossen gegen den Antrag des Liberalen Böhme, der mit der knappen Mehrheit von 18 Stimmen angenommen wurde. Es war nicht das erste Mal, dass während der Verhandlungen sich liberale und lutherische Gruppe schroff gegenüber standen.
Es herrschte von Anfang an eine eisige Atmosphäre im Plenum.

Der 6. Lagebericht des Konsistoriums

Die „Eingehende Mittheilung über die Zustände und Verhältnisse der Landeskirche“, wie der umständliche Titel für den Lagebericht lautete, umfasste 1896 79 Seiten und fünf weitere Anlagen von 26 Seiten. Es war nach den Berichten der Jahre 1876, 1880, 1884, 1888, 1892 nunmehr der sechste Bericht des Konsistoriums für die Synode, in dem sich manche Passagen, z.B. über die Situation des Gottesdienstes wiederholten. Der systematische Aufbau, insgesamt 17 Kapitel beginnend mit Verhältnis der Kirche zum Staat, zur Gesamtkirche, Kirchenverfassung, Kirchenvisitationen, Verhandlungen der Inspektionssynoden, das Predigtamt, das kirchlich- religiöse Leben und den Gemeinden bis hin zum Begräbniswesen, Kirchenbuchführung und Gemeindeschulen war immer derselbe. Das erleichterte Vergleiche etwa bei der Kasualstatistik oder bei den Einkünften der Pfarrstellen und Einkommen der Pfarrstelleninhaber, die sich lange Zeit kaum veränderten.

Aber es gab auch Neues. Die liberale Synodenmehrheit hatte oft bei Debattenbeginn immer wieder gefordert, das Konsistorium möge auf eine engere Verbindung der Landeskirchen untereinander drängen und über die Eisenacher Kirchenkonferenz die Bestrebungen zur Bildung einer Evangelischen Kirche in Deutschland unterstützen. In diesem sechsten Bericht gab das Konsistorium auf 13 Seiten ausführlich Beschlüsse und Anregungen der Eisenacher Kirchenkonferenz aus den zurückliegenden vier Jahren wieder, (Anlage 11 a S. 3-16) z.B. die Grundsätze über die kirchliche Armenpflege. Dieses Thema wurde vom Konsistorium an die Inspektionssynoden weitergegeben, ebenso wie die „Bekämpfung der Eidesnot“. Das Offenhalten der Kirchen wurde ein aktuelles Thema. Es sei „zu stiller Andacht überall, wo sich ein Bedürfnis dieser Einrichtung wie namentlich in den grösseren Städten (...) den kirchlichen Vertretungen solcher Gemeinden zu empfehlen“. (ebd S. 7) Von den Abendmahlsfeiern berichtete die Eisenacher Konferenz, dass sich in einigen Großstädten in Rücksicht auf die eigentümlichen Verhältnisse in Massengemeinden ein Termin am Abend einzelner Sonn- und Festtage eingebürgert habe. (ebd S. 14) Die Konferenz betonte, es sei im Prinzip daran festzuhalten, „dass der volle Begriff des Gottesdienstes im evangelischen Verständnis erst in der Verbindung von Wortverkündigung und Sacramentsfeier sich verwirkliche“, (ebd S. 14) auch wenn bei der Abendmahlsfeier an einen Abend der Nachdruck auf dem sakramentalen Teil liege. Schließlich erinnerte das Konsistorium an die maßgeblichen Grundgedanken zum evangelischen Kirchbau von 1861. Das war aktuell, weil im selben Lagebericht der Bau von zwei großen Kirchen in der Stadt Braunschweig, verbunden mit zwei Pfarrstellen, angekündigt wurde.

Der Lagebericht nahm die Ergebnisse der Volkszählung aus dem Jahre 1895 auf. Danach gehörten zur Landeskirche 406.620 Mitglieder (also mehr als im Jahre 2010), organisiert in 28 Inspektionen, die größte war Braunschweig mit Landbezirk 105.163 Mitglieder, damals sagte man „Seelen“, gefolgt von Langelsheim (21.253 Mitglieder), Gandersheim-Greene (20. 691), Blankenburg (17.513), Vorsfelde-Calvörde (16.969), Stadtoldendorf (16.687), Seesen-Gittelde (16.515), dann erst mit Abstand Wolfenbüttel (14.119) bis hin zu Kleinstinspektionen wie Bruchmachtersen (6.573), Hasselfelde (6.431)´und Lichtenberg (6.295). Die Sogwirkung der Stadt Braunschweig ist unverkennbar. Die nächst größeren Inspektionen waren am weitesten von der Landeshauptstadt entfernt.

Umso wichtiger war die Visitationspraxis, die vergleichsweise eine hohe Dichte aufwies. Es wurden in den vergangenen vier Jahren insgesamt 101 Kirchengemeinden visitiert, in den Jahren 1892: 22 Kirchengemeinden, 1893: 29, 1894: 22, 1895: 28 Kirchengemeinden. (Anlage 11 a S. 25 f)
In den vier Berichtsjahren hatten 25 Kandidaten der Theologie eine erste Pfarrstelle erhalten, 43 Pfarrer hatten ihre Pfarrstelle gewechselt. (Anlage IV zu Anlage 11 a) 14 Pfarrer mussten mit dem Minimaleinkommen von 175 M. monatlich auskommen, 19 zwischen 175 und 200 M. monatlich, und 25 zwischen 200 und 225 M. (Anlage 11 a S. 43)

Die Inspektionssynoden hatten allesamt getagt und sich 1893 mit der Bedeutung der kirchlichen Armenpflege im Verhältnis zur privaten und staatlichen befasst, 1895 war das Thema freigestellt. Das Konsistorium fasste die Verhandlungen wie üblich zusammen. Das Organ der gemeindlichen Armenpflege sollte der Kirchenvorstand sein. „Die Gemeinde ist in kleinere Bezirke einzutheilen, und diese sind für die Ausübung der Armenpflege den einzelnen Mitgliedern des Kirchenvorstandes zu überweisen... Anzustreben ist die Anstellung von Gemeindeschwestern für die Kinder- und Krankenpflege“. Wo das nicht möglich war, sollten Frauen und Witwen aus der Gemeinde angesprochen werden mit dem Ziel einer Anstellung als „Gemeindepflegerin“. (S. 27) Wünschenswert sei auch die Errichtung eines „Pflegehauses“ als Wohnung für die Schwestern und zeitweiliger Aufenthalt für Kranke. Die finanziellen Mittel sollten aus den sog. Beckengeldern, aus Klingelbeutel, Kollekten bei Taufen, Trauungen und anderen Anlässen kommen.
Die Idee der Gemeindepflege war bereits auf fruchtbaren Boden gefallen. In der Stadt Braunschweig gab es an St. Magni und St. Petri eine Gemeindepflegestation mit je drei Diakonissen aus dem Marienstift, in Katharinen und St. Andreas mit je zwei Schwestern, an Michaelis, St. Ulrici und der reformierten Gemeinde je eine Schwester. Diese insgesamt 13 Diakonissen waren eine beträchtliches, sichtbares Zeugnis für das Bewusstsein, dass die Armenpflege ein prägender Teil der kirchlichen Arbeit war. In Wolfenbüttel unterhielt die Hauptkirche sogar vier Schwesternstationen und Johannis zwei, außerdem in Holzminden, Bad Harzburg, Destedt, Oelber a.w.W., Steterburg, Königslutter, Riddagshausen je eine und neu waren im Berichtsraum hinzugekommen die Kirchengemeinden Deensen, Stadtoldendorf und Gandersheim mit einer vom Diakonissenmutterhaus Marienstift besetzten Gemeindepflegestation. (Anlage 11 a S. 65) Das Marienstift feierte im Synodenjahr 1896 sein 25 jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass besuchten die Synodalen während ihrer Aprilsitzung an einem Nachmittag das Mutterhaus.

Der Armenpflege im weitesten Sinne hatte sich der Evangelische Verein verschrieben, nämlich der Heilung der leiblichen, sittlichen und geistlichen Verarmung der Bevölkerung. Das Konsistorium berichtete in seinem Lagebericht ständig im gesonderten Kapitel J „Christliche Liebestätigkeit“ von der sich ausbreitenden Arbeit des Vereins, der 1895 erstmalig ein kleines eigenes Vereinshaus beziehen konnte. In jeder Inspektion war nach Angaben des Konsistoriums ein Beauftragter des Vereins tätig. Mit dem Braunschweigischen Volksblatt machte sich der Verein der interessierten lesenden Öffentlichkeit bekannt.

Außer dem Armenwesen (1893) beschäftigten sich die Inspektionssynoden 1895 meist mit der Lage der Kirchengemeinden in ihrer Inspektion oder mit freigewählten Themen und richteten als Ergebnis 35 Anträge und Anregungen aus allen Arbeitsbereichen an das Konsistorium, deren Beantwortung sämtlich im Bericht enthalten waren. (Anlage 11 a S. 28-36)
Die Predigersynoden hatten sich mit aktuellen theologischen Themen befasst, z.B. wie man die Auffassung beurteile, dass das Abendmahl nicht auf einer Stiftung Jesu beruhe (Generalinspektion Wolfenbüttel), wie das Bekenntnis „Auferstehung des Fleisches“ zu verstehen und die Leichenverbrennung vom kirchlichen Standpunkt aus zu beurteilen sei. (Generalinspektion Braunschweig). Die Braunschweiger Inspektion pickte sich aus Bebels „Die Frau“ ein Zitat heraus, dass das Christentum die Frau verachte. Es war zu untersuchen, welche Stellung das Neue Testament der Frau im häuslichen, kirchlichen und öffentlichen Leben anweise.
Ein Schwerpunkt bei der Dokumentation des Konsistoriums war die Einrichtung von zwei neuen Kirchengemeinden samt zwei Kirchen (Pauli und Johannis) mit je zwei Pfarrstellen und zwei Pfarrhäusern. (Anlage I zu Anlage 11 das Schreiben des Staatsministeriums an den Magistrat der Stadt vom 19.2.1892) Als Richtzahl für einen Seelsorgebezirk waren 6.000 Gemeindemitglieder (Seelen) vorgesehen. (zur Entstehung der Johannisgemeinde siehe Klaus Jürgens Ev.-luth. Kirche in einer werden Großstadt Zur Entstehung der St. Johannis-Gemeinde in Braunschweig in: Gott dem Herrn Dank sagen, Festschrift für Gerhard Heintze, Wuppertal 2002 S. 243 ff) Damit war zugleich die Auflösung der rechtlich verschlungenen Opfereiangelegenheiten verbunden, die wiederum für die Organistenstellen wesentlich waren.

Die Synode debattierte an zwei Tagen einige Stunden über die Mitteilungen. Aus der Plenardebatte gingen 14 Anregungen an die Kirchenregierung hervor, die u.a. die Neugestaltung des Predigerseminars, des Pfarrinventars, einen staatlichen Zuschuss für das Marienstiftund die Einrichtung von Orgelkursen betrafen. (Anlage 19)

Die niederen Küsterdienste
Das weitreichende Hauptthema dieser Synode war die Ablösung der sog. „niederen Küsterdienste“ vom Schuldienst. Zu diesen wurden folgende Dienste gezählt: „Anschlagen der Betglocke, Läuten bei Sterbefällen, Beerdigungen, Taufen und Trauungen, Sturmläuten, Warten der Kirchenuhr, Beschaffung warmen Wassers für die Taufe, Aufstellen und Fortschaffen der Kniebank oder des Kniekissens, Begleitung des Geistlichen zu Haustrauungen und bei Begräbnissen, Öffnen, Schließen und Lüften der Kirche, Ausschmücken der Kirche bei festlichen Gelegenheiten, Abholen der Gesangbuchnummern und Anschreiben oder Anstecken derselben, Anzünden und Auslöschen der Kirchenbeleuchtung, Aufstellen und Fortschaffen der Opferstöcke sowie der Sammelteller bei Kollekten, Reinigen der Kirchengeräte, an Filialorten die Bestellung des Fuhrmanns zum Abholen des Geistlichen.“ (Anlage 10 a S. 3f)

Vorgeschichte
In den Lehrervereinen des Herzogtums war 1889/90 die Ablösung eines Teils der kirchlichen Küsterdienstes vom Schuldienst lebhaft diskutiert worden. Auf dem 8. Deutschen Lehrertag in Berlin 1890 wurde eine Resolution angenommen, wonach die sog. niederen Küsterdienste in keinem Zusammenhang mit dem Lehrerstande stünden, sie wären „entwürdigend für seine Stellung“. Die niederen Küsterdienste sollten einem Lehrer nicht mehr übertragen werden. 1891 schickte der
Vorstand des Braunschweiger Lehrervereins eine weitergehendere Eingabe an das Herzogliche Konsistorium, nämlich alle kirchlichen Dienstleistungen mit Ausnahme des Organisten-, Kantoren- und Lektorenamtes dem Lehrer abzunehmen. Es kam zu Verhandlungen zwischen dem Lehrervereinsvorstand und dem Konsistorium.
Sogar die Lutheraner behandelten die Sache in den lutherischen Wochenblättern und empfahlen, auf die Trennung des niederen Küsterdienstes vom Lehreramt „als eine mit der socialen Stellung des Lehrers nicht verträgliche empfundene Bürde“ wohlwollend einzugehen. (Ev.-luth. Monatsblätterr 1892 Nr 16 und 17 S. 67 nach Anlage 10b S. 10) Pastor Schumann, Lesse, hatte das Thema am 16.12.1892 vor die 6. Landessynode gebracht. „Hochwürdige Landessynode wolle an die Hohe Kirchenregierung das Ersuchen richten, Hohe Kirchenregierung wolle der Landessynode einen Gesetzentwurf betreffend die Befreiung der Opferleute von den sog. niederen Küsterdiensten vorlegen.“
Inzwischen hatte am 1. März 1893 das Staatsministerium dem Konsistorium die Denkschrift des Lehrervereins zur Begutachtung zugesandt und umgehend hatte das Konsistorium sich dazu geäußert, man könne sich gegenüber dem Begehren der Lehrer „nicht schlechthin ablehnend verhalten“. Das klang nicht sehr ermutigend, und so war es wichtig, dass der Antrag Schumanns am 14. April 1893 behandelt und auch angenommen wurde. Das liberale Gemeindeblatt begrüßte diese Initiative, weil damit „eine Quelle ewiger und nutzloser Reibereien zwischen Pastor und Opfermann verstopft“ würde. (Ev. Gemeindeblatt 1893 Nr. 17 S. 68 zitiert nach Anlage 10b S. 11)

Da mit dem Gesetz auch Finanzfragen verbunden waren, wurde es vor die Landesversammlung gebracht und fiel dort mit knapper Mehrheit am 24. März 1896 durch. Das Schulblatt fasste die Begründung folgendermaßen zusammen, „es schiene (den Abgeordneten), als ob sich die Lehrer in Überhebung jener Dienste schämten und – gerne länger schlafen wollten.“

Die Vorlage des Konsistoriums
Trotz der Ablehnung der Landesversammlung legte das Staatsministerium der Landessynode 1897 einen Gesetzesentwurf (Anlage 10 a) und eine sehr ausführliche Begründung vor. (Anlage 10 b) Das war ungewöhnlich, und nicht ohne Risiko. Schon der Blick auf die anderen Landeskirchen, die in der Begründung ausführlich dargestellt wurde, (Anlage 10 a. S. 11-16) legte eine gesetzliche Regelung nahe. In den größten Teilen des Reichsgebietes sei in mehr oder weniger großem Umfange der Kirchendienst vom Amt des Lehrers getrennt worden. In der Braunschweiger Landeskirche wurde er als Fortsetzung eines bereits eingeschlagenen Weges dargestellt, denn schon 1867 war gesetzlich das Glockenläuten und Reinigen der Kirche den Lehrern als Küstern abgenommen und anderen Personen auf Kosten der Kirchenkasse übertragen worden. Es gab auch politische Motive. Den Lehrerstand zu halten und zu heben wäre um so mehr geboten, „je mehr seitens der umstürzlerischen Elemente in den unteren Volksschichten fortwährend auch an dem Ansehen der Schule und der einzelnen Lehrer gerüttelt“ werde. Die Vorlage des Konsistoriums hatte also eingestandenermaßen ein antisozialistisches Motiv.

Das Kirchengesetz zählte in Paragraf 1 die oben genannten Geschäfte des niederen Küsterdienstes auf, die nunmehr einem „Kirchendiener“ oder „Kirchenvoigt“ übertragen werden konnten. Die Aufsicht über den Kirchenvoigt jedoch sollte der Lehrer behalten, auf keinen Fall der Ortspfarrer, denn „es wäre unpassend zu fordern, dass er, wo er der ernstesten Sammlung zur Verrichtung der geistlichen Arbeit bedarf, mit jenen äußerlichen Dingen sich zerstreue“. (Anlage 10 a S. 18) Das war also kein gemeinsamer Dienst auf gleicher Augenhöhe, sondern amtlich gehörig abgestuft. Der Kirchenvoigt erhielt vom Kirchenvorstand einen Dienstvertrag und aus der Kirchenkasse die Vergütung, über deren Höhe das Gesetz sich ausschwieg (§ 4). In die Kirchenkasse floss allerdings ein Viertel der bisherigen Vergütung für den Kirchendienst oder höchstens 50 Mark aus der Tasche des Lehrers dafür, dass ihm diese niederen Küsterdienste abgenommen worden waren (§ 3). Der Lehrer/Küster hatte in Zukunft „nur noch“ folgendes zu besorgen: Tragen der heiligen Gefäße, auch des Taufbeckens, des Kommunionweines und der Oblaten von ihrem Aufbewahrungsort zur Kirche oder zu dem Ort der Privatkommunion oder Haustaufe (1), Zurichtung des Altars, der Kanzel und der Taufvorrichtung, auch der heilige Gefäße und des Taufbeckens zu den betreffenden gottesdienstlichen Handlungen (2), Aufstellen, Anzünden und Auslöschen der Altarkerzen (3), Sauberhalten der heiligen Gefäße und des Taufbeckens, sowie der Altar- und Kanzelbekleidung (4), Annahme der Anmeldung zu geistlichen Amtshandlungen (5) (§ 5). Das Gesetz sagt viel über das überzogene Standesbewusstsein des Pastors auf dem Lande, über die Zögerlichkeit einer deutlichen Trennung von Kirche und Schule und das mangelnde, weil hierarchischen Mitarbeiterverständnis.

Aussprache und Beschlussfassung in der Synode
Die kirchenrechtliche Kommission hatte der Vorlage bis auf kleine Veränderungen zugestimmt und noch folgenden Dienst hinzugefügt, wonach der Lehrer im Filialort dem Pfarrer auf Kosten der Kirchenkasse einen erwärmten Raum in seiner Wohnung zur Verfügung stellen sollte. (Anlage 17 S. 2) In der Aussprache am 4. Mai 1897 beantragte Pfarrer Sorge im Sinne der Eingabe des Lehrervereins die fällige radikale Lösung, nämlich die vollständige Trennung des Lehreramtes vom Küsterdienst. „Der Dienst des Opfermanns wird von dem des Lehrers getrennt und einem Kirchendiener übertragen“. (Sb 6 S. 29) Der Kirchendienst des Lehrers sollte sich auf den Organistendienst und die Beaufsichtigung der Kinder beschränken. Aber der Synode, die bereits auf eine allgemeine Aussprache verzichtet hatte, diskutierte nicht lange, sondern lehnte den Antrag Sorges nach drei Wortmeldungen ab. Eine kurze Diskussion gab es über die Höhe des Betrages, den der Lehrer in die Kirchenkasse abführen sollte. Ein Viertel erschien der Kommission zu hoch. Nach Einspruch des Konsistorialpräsidenten Spies konnte indes der Betrag auf Antrag der Beteiligten vom Konsistorium ermäßigt werden. (Sb 6 S. 30) Auch der Vorschlag mit dem erwärmten Raum im Filialort fiel dem Einspruch des Konsistoriums zum Opfer. Am 5. Mai 1897 wurde das Gesetz von der Landessynode beschlossen. (Anlage 21 die beschlossenen Veränderungen des Gesetzes)

Die Veröffentlichung des Gesetzes zögerte sich noch lange hinaus. Die Landesversammlung behandelte das Gesetz erst später. Da nach der Verabschiedung durch den Landtag auch die Landessynode erneut das Gesetz beschließen musste, kam die Vorlage erst 1902 noch einmal in die Landessynode, wo sie nach sehr kurzer Debatte angenommen und im Kirchlichen Amtsblatt endlich veröffentlicht wurde. (Amtsblatt des Herzoglich Braunschweig-Lüneburgischen Consistoriums 1902 Nr. 858 S. 25 ff)

Die schulstatistische Erhebung von 1905 vermerkte, dass noch 224 Lehrerstellen mit den niederen Kirchendiensten verbunden und das Gesetz von 1902 noch nicht zur Anwendung gekommen wäre. Das deutete auf die schwierige finanzielle Situation der Gemeindeschullehrer hin, die auf die 50 Mark, die sie der Kirchenkasse abgeben sollten, dringend angewiesen waren. Die Entlastung war offenkundig auch nicht so erheblich. Es war nicht gelungen, Schuldienst und Kirchendienst eindeutig zu trennen, sondern es wurde um ein weiteres Amt, das Küsteramt, erweitert. Der Stand des Küsters rangierte nunmehr weit unter dem des Lehrers auf der untersten Skala. Ein Verständnis von mitverantwortlicher Mitarbeiterschaft war nicht vorhanden.

Kirchliche Bestattung von Selbstmördern
Es war das Anliegen des Landsyndikus Rhamm, die Diskriminierung bei der Bestattung von Selbstmördern zu beenden. Wenigstens bei denen, die ihren Tod aus psychischer Erkrankung begangen hatte. Rhamm war ausgeschieden und konnte die Angelegenheit in der Synode nicht mehr selber weiter verfolgen. Aber der Prinzregent Albrecht hatte der Synode ein „Kirchengesetz, das Verhalten der Kirche beim Begräbnis von Selbstmördern betreffend“ (Anlage 12) und auch eine sehr ausführliche Begründung (Anlage 14) zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegen lassen.
Das Konsistorium verwies bei der Begründung einer grundsätzlichen Ablehnung einer Beteiligung des Pastors an dem Begräbnis eines Selbstmörders auf „die schreckhafte Zahl von Selbstmordfällen besonders unter der protestantischen Bevölkerung; die in ihr letzthin weit verbreitete Schwäche des christlich-sittliche Bewusstseins, gepaart mit der weite Kreise beherrschenden inneren Gleichgültigkeit in Dingen der christlichen Religion und mit dem Mangel an ernstem Pflichtgefühl, welches sie auferlegt, immerfort noch gesteigert und genährt durch materialistische und pessimistische Zeitrichtungen und durch die im socialen und wirtschaftlichen Leben sich verschärfenden und verallgemeinernden egoistischen Regungen Einzelner und ganzer Gesellschaftsklassen; alles Strömungen, die allmählich die religiös-sittliche Widerstandskraft gegen Not, Unglück und andere zu Selbstmorde führende Beweggründe aufzehren müssen“. (Anlage 14 S. 6) Das Konsistorium machte die seiner Ansicht nach unchristliche, gesellschaftliche Schieflage für die hohe Selbstmordrate verantwortlich. Die materialistische Grundstimmung könne die Kirche nicht auch noch dadurch unterstützen, dass sie Selbstmördern ohne weiteres wie jedem anderen Gemeindemitglied ein „christliches“ Begräbnis“ gestatte. § 1 des Gesetzes setzte eine klare Schranke,( § 1: „Bei Begräbnissen und in Beziehung auf Sterbefälle von Personen, welche sich selbst entleibt haben, ist eine Bethätigung des geistlichen Amtes, und sind auch die sonst bei Begräbnissen vorkommenden kirchlichen Auszeichnungen, wie Begräbnisgeläut, Geleit und Gesang der Schulkinder unter Führung des Opfermanns und dergleichen nicht zulässig.“ Anlage 12 Kirchengesetz. § 1), aber § 2 machte ein Begräbnis unter Mitwirkung der Kirche als Ausnahme möglich für den Fall, dass der Selbstmörder geisteskrank war, keine Einsicht in die Verwerflichkeit seiner Handlung hatte oder zwischen Tat und Eintritt des Todes aufrichtige Reue gezeigt habe. (Anlage 12 S. 4) Die Entscheidung darüber lag beim Ortspastor, der dabei die Lebensführung des Toten wie auch die Umstände seines Todes unberücksichtigt lassen sollte. Das war ein für die Seelsorge wichtiger Hinweis, der den Pastor davon befreite, Hintergrundsuntersuchungen anzustellen. Schließlich beendete § 6 des Gesetzes jede Form einer diskriminierenden Bestattung. Der Tote wurde „in der Reihe“ bestattet. Schließlich sollte sich der Pastor bei der Versagung eines kirchlichen Begräbnisses seelsorgerlich um die Hinterbliebenen kümmern ( § 7).

Die kirchenrechtliche Kommission legte der Synode eine sehr gründliche, detaillierte 21 Seiten umfassende Stellungnahme vor, zeigte sich mit den Grundzügen der Vorlage einverstanden, machte indes mehrere Verbesserungsvorschläge. (Anlage 16) In ihrer Stellungnahme stellte die Kommission sehr ausführlich die Rechtslage in den anderen Landeskirchen dar.

Der Querumer Pfarrer Eißfeldt hatte eine Bittschrift eingereicht, wonach die Bestattung von Selbstmördern zwar auf dem Kirchhof, aber nach dem bisher üblichen Herkommen geschehen sollte. Die Kommission lehnte die Bittschrift rundweg ab, und Kirchenkommissar Spies erhielt spontanen heftigen Beifall, als er erklärte: „Die Selbstmörder in schimpflicher Weise zu beerdigen, ist weder gerecht noch barmherzig.“ (EGbl 16.5.1897 S. 77) Über die Bittschrift wurde daher gar nicht abgestimmt, da sie auch nicht von der lutherischen Seite unterstützt wurde. Kurios war der aus dem Bayrischen stammende Paragraf vier, der sinngemäß feststellte, dass Duellanten nicht zu jenen gehörten, die sich selbst entleibt hätten. Der Paragraf wurde gegen das Votum des Konsistorialpräsidenten Spies vollständig gestrichen. Hingegen wurde ein neuer Paragraf (§ 6) am Ende eingefügt, wonach der Pastor von der agendarischen Form abweichen dürfe; da die Wortwahl „da es dem allmächtigen Gott gefallen hat, diesen unsern entschlafenen Bruder aus dieser Zeitlichkeit abzurufen…“ der Kommission unpassend erschien. Die Formulierung sollte dem amtierenden Pastor überlassen bleiben.

Nachdem die Synode zur Kenntnis genommen hat, dass das Gesetz mit den beschlossenen Änderungen die Zustimmung des Staatsministeriums gefunden hatte, wurde das Gesetz am letzten Tag als Ganzes angenommen und im Amtsblatt Nr. 668 1898 S. 23 f veröffentlicht. Ob sich an der herkömmlichen unterschiedlichen Beerdigungssituation etwas geändert hat, ist schwer zu beurteilen. In den Städten und vor allem in der Stadt Braunschweig war die kirchliche Bestattung von Selbstmördern häufiger und üblicher als auf den Dörfern, in denen es oft hieß: „Opa soll nicht neben einem Selbstmörder begraben werden“.

Das Echo auf die Synodalsitzung
Wenige Tage nach Synodenschluss berichteten die Synodalen Boehme und Kulemann im Freien kirchlichen Verein und äußerten sich „mit äußerst lebhaften Befriedigung über den Verlauf der Synode. Der Schwerpunkt der ganzen Synode, der in früheren Zeiten vielfach beim Kirchenregiment, hier und da auch bei den „Rechten“ geruht habe, lag diesmal ganz ohne Frage auf Seiten unserer Freunde; die Schlagfertigkeit und parlamentarische Sicherheit der einzelnen, der feste und entschlossene Zusammenhalt der ganzen linken Seite, vor allem aber der Eifer und die Energie, mit der man sich den für das Heil der Kirche notwendigen Aufgaben widmete, gaben unseren Freunden ein ganz entscheidendes Übergewicht, das sich bei den Verhandlungen und Abstimmungen in oft überraschender Weise geltend machte. Die freie kirchliche Richtung, die bis vor einigen Jahren in stetem Rückgang schien, hat sich wieder kräftig zusammengefasst. Sie hat gezeigt, dass mit ihr gerechnet werden muss.“ (EGbl 30.5.1897 S. 87)

Schwerwiegender waren offenbar die Differenzen mit der Kirchenregierung. „Es ist eine Spannung zwischen der Kirchenregierung und der Synode eingetreten, die nicht selten mit großer Schärfe zum Ausdruck gekommen ist“, stellte der Herausgeber des Evangelischen Gemeindeblattes fest. (EGbl 9. Mai 1897 S. 73) Diese Spannungen wuchsen sich in der nächsten Landessynode zu einer handfesten Krise aus.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk