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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die vierte außerordentliche Landessynode 1902
Reform des Pfarreinkommens


Quelle Verhandlungen der durch die Landesfürstliche Verordnung vom 6. April 1902 Nr. 15 berufene außerordentliche Landessynode.

Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode

Ein Gebet aus der erneuerten Kirchenordnung Anton Ulrichs, dass die hohe Wertschätzung des Predigtamtes beschreibt.

Vorgeschichte
Bereits ein Jahr nach Ende der Mammutsynode 1901 wurden die Landessynodalen erneut zusammengerufen, weil die Landesversammlung die für die Staatsfinanzen folgenschwere Reform des Pfarreinkommens verabschiedet hatte und um die abgebrochenen Gesangbuchverhandlungen wieder aufzunehmen. Es war schon damals unverständlich, warum diese Verhandlungen nicht zu Ende geführt worden waren.
Die Synode dauerte nur vier Verhandlungstage, vom 29.April - 3. Mai 1902. Der Spielraum, dem beschlossenen Staatsgesetz das Pfarrereinkommen betreffend durch ein Kirchengesetz noch weitere Änderungen hinzuzufügen, war außerordentlich klein.
Es war günstig, dass sich an der personellen Zusammensetzung der Synode nichts geändert hatte.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 4. außerordentlichen Landessynode 1902

01. Albrecht, Heinrich, Vollmeier, Dölme, seit 1896.
02. Blanke, Friedrich, Holzhändler, Kl. Rüden, seit 1880.
03. Boehme, Carl, Pastor, Räbke, seit 1892.
04. Degering, Wilhelm, Pastor, Braunschweig, seit 1896.
05. v. Grone, Siegfried, Generalleutnant, Westerbrak, seit 1900.
06. Hauswaldt, Hermann, Kaufmann, Braunschweig, seit 1900.
07. Jeep, Rudolf, Superintendent, Holzminden, seit 1888.
08. Kellner, Robert, Superintendent, Blankenburg, seit 1900.
09. Kulemann, Wilhelm, Landgerichtsrat, Braunschweig, seit 1896.
10. Kunze, Wilhelm, Oberamtrsrichter, Salder, seit 1900.
11. Langerfeldt, Conrad, Kreisdirektor, Helmstedt, seit 1888.
12. Lerche, Rudolf, Generalsuperintendent, Braunschweig, seit 1900.
13. Lüderßen, Rudolph, Kammerpräsident, Braunschweig, seit 1900.
14. Müller, Gymnasialdirektor, Blankenburg, seit 1892.
15. Müller, Oberförster, Gittelde, seit 1892.
16. Müller, Ackermann, Watenstedt, seit 1896.
17. Perl, Ernst, Pastor, Beierstedt, seit 1900.
18. Pillmann, Wilhelm, Pastor, Uehrde, seit 1900.
19. Pini, Otto, Pastor, Braunschweig, seit 1896.
20. Retemeyer, Hugo, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1900.
21. Roemer, Landwirt, Beddingen, seit 1900.
22. Rothe, Emil, Superintendent Lichtenberg, seit 1884, erneut berufen.
23. Röttger, Friedrich, Gemeindevorsteher, Dannhausen, seit 1896.
24. Schliephake, August, Ackermann, Uehrde, seit 1896, fehlt.
25. Schulz, Wilhelm Superintendent, Halle a.d.W., seit 1886.
26. Schumann, Otto, Superintendent, Timmerlah, seit 1892.
27. v. Schwartz, Amtsrat, Hessen, seit 1888, erneut berufen.
28. Stichel, Rentner, Querenhorst, seit 1896.
29. Struve, Hermann, Pastor, Greene, seit 1900.
30. Willecke, Stadtrat, Königslutter, seit 1896.
31. Wollemann, Bruno, Superintendent, Ostharingen, seit 1896.
32. Zerbst, Carl, Pastor, Gebhardshagen, seit 1888.

Der Landesversammlung gehörten folgende sechs Synodale an: Kaufmann Hauswaldt, Kreisdirektor Langerfeldt, Pastor Pillmann, Landwirt Römer, Ackermann Schliephake, Pastor Struve.

Eröffnungsgottesdienst im Dom mit einer wiederum umstrittenen Predigt
Domprediger Hermann Bichmann gehörte zu jenen Bekenntnispfarrern, die sich von ihrem Glauben gedrängt fühlten, der bösen Welt zu ihrem Heil den Gottessohn in den Rachen zu werfen. Das ergab unabhängig vom gewählten Predigttext die einfache Predigtgliederung: erstens die schnöde Welt, zweitens Jesus der Gottessohn. So auch am 29. April 1902 vormittags im Dom. „Wir sehen zunächst, dass wir, zumal wenn sich’s um kirchliche Arbeit handelt, in einer bösen Zeit leben“. Der Unglaube sei ganz außerordentlich geschäftig, antichristliches Wesen bemächtige sich immer weiterer Kreise unseres Volkes, die kirchentfremdete christusfeindliche Masse organisiere sich immer mehr, in der Kirche würden die altbewährten Kräfte der Überwindung des weltlichen Wesens für unzureichend erklärt, durch geistreiche Vorträge glaube man, die modernen Gebildeten für die Kirche zurückzugewinnen, auf solchen aus dem Bereich der Kirche ins Lager dieser Welt gebauten Brücken würde kein einziger für den Heiland und die Kirche zurückgewonnen, stattdessen würde es vielen leicht gemacht, den ernsten Anforderungen der Kirche auf Heiligung des ganzen Lebens aus dem Wege zu gehen. Da hatten die Liberalen nun ihr Fett weg. Und beim zweiten Teil wieder: Es gelte das fleischgewordene ewige Wort, Jesus Christus zu bewahren, nicht ein selbstgemachtes, nach den eigenen Gedanken zurechtgedrechseltes (Wort), sondern das gottgegebene, gottgeoffenbarte und von den geisterleuchteten und geistgetriebene Augen- und Ohrenzeugen des Herrn niedergeschriebene (Wort), die doch wohl besser gewusst und verstanden haben müssen, wer Jesus war und was er gewollt, gemeint, geredet, getan und gegeben hat als die gelehrtesten Männer der Wissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert“.

Einem solchen Prediger stellt sich nicht die Frage nach dem Predigthörer und Gottesdienstbesucher. Das ewige Wort wird in den Raum geschleudert. Bichmann ist es auch gleichgültig, dass unter den Domkanzel seine Kollegen sitzen und engagierte Laien. Die liberale Synodenmehrheit bat Kulemann, den begreiflichen Ärger über die Predigt vor dem Plenum zu artikulieren, was er sehr zurückhaltend am Ende des ersten Sitzungstages auch tat. Prompt meldete sich Superintendent Jeep aus dem rechten Lager und behauptete, er sei von der Predigt durchaus erbaut worden. Es machte keinen Eindruck auf die Orthodoxen, dass es dieses Mal nicht Pastor Böhme war, der als scharfzüngig und konsistorienkritisch galt, sondern der eher noble Landgerichtsrat Kulemann. Zu Recht warf dieser dem Prediger mangelnden Takt vor. (Sb 1 S. 4)

Das Problem war nicht neu, und es wäre ein leichtes gewesen, dieses Mal in eine andere Stadtkirche zu gehen und einmal den Braunschweiger Generalsuperintendent predigen zu lassen. So frei aber war die Synode noch nicht. Denn den Predigtort und den Prediger bestimmte nicht das Präsidium der Synode, auch nicht der amtierende Synodalausschuss, sondern das Kultusministerium und der Kirchenkommissar Seiner Hoheit. So tapfer und konfliktfähig zeigte sich die Synode noch nicht, obwohl sie auf den Anfang der Synodentätigkeit hätte verweisen können, als Konsistorialrat Hille in der Brüdernkirche vor den Synodalen der konstituierenden Synode 1869 gepredigt hatte und homiletisch fair beide Gruppen bei der Auslegung vor sich über das Verhältnis von Amt und Freiheit nachgedacht hatte. So war dieser Eröffnungsgottesdienst am 29. April 1902 wieder ein Hinweis auf die staatliche Gebundenheit der Synode und ihre engen Bewegungsmöglichkeiten, die der Kirchenkommissar den Synodalen mit diesem Gottesdienst und diesem Prediger vor Augen führte. Also eines der vielen Machtspielchen, nur unpassend in einem Gottesdienst vorgeführt.

Termine und Themen

1. Sitzung 29. April 1902 Dienstag.
Wahl des Vorsitzenden, Bericht des Synodalausschusses, Eingabe von P. Fischer und 42 Patronatsgeistlichen, die der Pfründenkommission (Langerfeldt, Struve, Zerbst, Pillmann, Kulemann) überwiesen wurde.

2. Sitzung 1. Mai 1902 Donnerstag.
Aussprache über das sog. Kirchengesetz das Einkommen der Geistlichen betr.

3. Sitzung 2. Mai 1902 Freitag.
Lange Aussprache über den § 11 des Gesetzes, die Versetzung eines Geistlichen betr. und Zurückverweisung an den Ausschuss.
Antrag auf Wiederaufnahme der Verhandlungen betr. Gesangbuch durch den Synodalausschuss.

4. Sitzung Sonnabend 3. Mai 1902.
Zustimmung des Kirchenkommissars zu den Änderungswünschen und Beschlussfassung über das Einkommensgesetz.
Beschlussfassung, den endgültigen Entscheid in der Gesangbuchfrage dem Synodalausschuss zu überlassen.

Hauptgegenstände und Hintergründe

Das Ende des mittelalterlichen Pfründensystems und die neue Einkommensysrematik
Die Landessynode hatte in der vorhergehenden achten ordentlichen Synode ausgiebig und in zwei Lesungen über die Grundsätze der Pfründenreform debattiert. Nun hatte die Landesversammlung einstimmig ein der Landeskirche unerwartet entgegenkommendes Staatsgesetz beschlossen, der Synode lag dieses Staatsgesetz mit acht Paragrafen und ein Kirchengesetz mit elf Paragrafen vor. (Anlage 6)
Das Staatsgesetz sah im § 1 erstmals die Einrichtung eines Pfarrbesoldungsfonds vor, aus dem die Zuschüsse zu den Einkommen der Pfarrer gezahlt wurden und in den die Überschüsse der reichen Pfarrpfründen abgeliefert werden mussten. Nach wie vor also hatte der Pfarrstelleninhaber gewinnträchtig die Einkünfte seiner Pfarre einzutreiben. Aus ihnen wurde er auch für seine Arbeit bezahlt. Aber soweit sie nicht reichten, erhielt er aus dem Pfarrbesoldungsfonds Zuschüsse. Der Pfarrbesoldungsfonds wurde nicht etwa vom Konsistorium, sondern von der Hauptfinanzkasse im Finanzministerium verwaltet. Das Konsistorium verfügte nach wie vor über keine eigene entsprechende Konsistorialkasse.

In § 1 des Kirchengesetzes hatte die Landesversammlung eine lukrative Einkommensskala beschlossen, wobei erstmals das Diensteinkommen nicht nach den Möglichkeiten der Einkünfte der Pfarrstellen, sondern nach dem Dienstalter gestaffelt wurde. Das Einstiegseinkommen wurde von 2.100 M auf 2.400 M erhöht. Alle drei Jahre sollte es um 300 M steigen. Die Landesversammlung stellte eine weitere Steigerung und eine Anhebung vergleichbar mit den akademischen Beamtengehältern in Aussicht. Es hörte mit dem Einkommensgesetz das scheußliche Wechseln von armen auf reiche Pfarrstellen auf. Die älteren Pfarrer erhielten nunmehr ein Gehalt, das auch ihrem hohen Dienstalter entsprach. Vorher war er sein Leben lang darauf angewiesen, dass das Konsistorium ihn von einer schlecht dotierten Pfarrstelle irgendwann in eine bessere Stelle empfahl. Das Staatsgesetz sah im § 11 vor, dass ein Geistlicher vom Konsistorium einmal in seiner Dienstzeit nach zehn Dienstjahren versetzt werden konnte.

Die Stimmung in der Landesversammlung hatte sich nach dem Eindruck des Herausgebers des Evangelischen Gemeindeblattes grundlegend gegenüber der Landeskirche geändert. Dort sei eine „warme und lebendige Anerkennung der kirchlichen Arbeit im allgemeinen und des geistlichen Standes im besonderen festzustellen... Wo sind die Zeiten geblieben, da man in den Kreisen der „Gebildeten“ die Religion für entbehrlich, ja vielleicht sogar das Christentum für kulturfeindlich ansah?“ (EGbl 29.3.1902 S. 50)

Dieses Staatsgesetz lag der Synode zusammen mit dem Entwurf eines Kirchengesetzes vor und war in der Pfründenkommission beraten worden. Der synodalen Pfründenkommission gehörten die Synodalen Langerfeldt, Struve, Zerbst, Pillmann und Kulemann an.
Der Landessynode legte die synodale Pfründenkommission insgesamt 22 Veränderungswünsche vor, (Anlage 7) von denen die meisten redaktioneller Art waren, aber entscheidend den § 11 betrafen. Bisher war die Unversetzbarkeit eines Pfarrers altes und geschätztes Recht. Nun sollte es aufgehoben werden. Die Synodenkommission wünschte entgegen der Vorlage erhebliche Einschränkungen des beim Konsistorium uneingeschränkt liegenden Rechtes. Stattdessen sollte dem Pfarrer nahegelegt werden, von sich aus die Stelle zu räumen oder im Falle einer Zwangsversetzung mehrere Stellen angeboten werden, oder der Kirchenvorstand sollte sich zur Versetzung äußern können und schließlich der Synodalausschuss bei der endgültigen Entscheidung mitwirken. (Anlage 7,S.2)
Konsistorialpräsident Spies bezeichnete in sehr langen Ausführungen den Vorschlag der Synodenkommission als „unmöglich“, (Sb 3 S. 18). die Kommission beriet erneut und durch Vermittlung des Kirchenkommissars Trieps und einigen redaktionell anderen Formulierungen kam ein Versetzungsparagraf zustande, dem das Konsistorium und die Synodenmehrheit zustimmten.
Die Eingabe von Pastor Fischer und 42 Patronatsgeistlichen, auch die Patronatsstellen in das neue Einkommenssystem einzubeziehen, wurde dem Konsistorium als weiteres Material empfehlend überwiesen. (Sb 4 S. 29) Dieser Wunsch erfüllte sich zehn Jahre später bei der fünften außerordentlichen Landessynode.

Das Blatt der Liberalen feierte das Zustandekommen als eine Jahrhundertentscheidung, die das ganze liturgische Reformwerk in den Schatten stelle. „Es sind einige Stützen des alten Systems, die schon lange morsch waren, abgebrochen“ (EGbl 29.3.1902 S. 50)
Das Verdienst komme dem Referenten der Landtagskommission Schuldirektor Schaarschmidt zu, der die grundsätzlich finanzielle Gleichstellung aller akademischen Berufe gefordert hatte, weiterhin dem Referenten des jetzigen Landtages Kreisdirektor Langerfeldt und schließlich Kulemann als dem Vorsitzenden der synodalen Pfründenkommission.
(Das Evangelische Gemeindeblatt hatte im Vorfeld den § 11 für völlig unannehmbar bezeichnet (EGbl 29.3.1902 S. 49 „Pfründenreform“).
Beide Gesetze wurden im landeskirchlichen Amtsblatt am 27.12.1902 als Staatsgesetz Nr. 896 und als Kirchengesetz Nr. 897 das Einkommen der Geistlichen der ev.-luth. Landeskirche S. 84 ff betr. veröffentlicht, unterzeichnet von den Ministern Otto, Hartwieg Hartwieg, Trieps.

Die Gesangbuchreform
Die ausgebliebene Entscheidung hinsichtlich des neuen Gesangbuches in der vorausgegangenen Synode war vor allem psychologischer und kaum sachlicher Natur. Das Kultusministerium verstand weitere Zugeständnisse als Macht- und Gesichtsverlust. Es musste also ein Moderator beide streitenden Parteien wieder an einen Tisch bringen. Diese Aufgabe hatte der Landespredigerverein übernommen, der einen Ausschuss mit je drei Personen und dem Moderator Pastor Karl Simm gebildet hatte. Da diesem Ausschuss nur Pfarrer angehörten, die im Geschäft des Kompromissemachens ungeübt waren, wurde noch ein Unterausschuss mit einigen Laien, den Politikern Langerfeldt und Hauswaldt und auch zwei Pfarren gebildet, die einen Kompromiss zustande brachten.
Über diesen Kompromiss wurde jedoch auf der außerordentlichen Synode nicht debattiert, er lag auch gar nicht schriftlich vor, vermutlich, damit keine Seite öffentlich ihr Gesicht verlor, sondern der Synodalausschuss wurde beauftragt, nach der Sitzung für die Synode die Verhandlungen mit dem Konsistorium zuende zu bringen.

Daraufhin wurde die Synode zum Wochenende hin geschlossen und das Gesetz über das neue Gesangbuch überraschend schnell im Amtsblatt vom 28. März S. 19 f veröffentlicht. Das Gesangbuch hat in den schweren Zeiten des ersten und zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit gute Dienste geleistet.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk