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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die fünfte außerordentliche Landessynode 1911
Die Einkommenangleichungssynode


Quelle: Verhandlungen der durch landesfürstliche Verordnung vom 24. Februar 1911 Nr. 20 berufenen fünften außerordentlichen Landessynode.

Die 5. außerordentliche Landessynode wurde am 14. März 1911 eröffnet und am 16. März schon wieder geschlossen. Es gab lediglich zwei Sitzungstage. Es war die kürzeste aller bisherigen Synoden.

Vorgeschichte
Auf der vierten außerordentlichen Synode im April/Mai 1902, auf der die grundlegende finanzielle Einkommensreform beschlossen worden war, war auch eine Angleichung der Pfarrergehälter auf das Niveau der Staatsbeamten in Aussicht gestellt worden. Diese Angleichung war für die Lehrer und Staatsbeamten inzwischen erfolgt.

Der Landespredigerverein hatte 1907 eine Umfrage bei den Patronatsherren und wahlberechtigten Gemeinden veranstaltet. 23 Patronatsherren für 35 Stellen hatten sich in ihren Antworten für eine finanzielle Gleichstellung mit allen anderen Geistlichen und für entsprechende Verhandlungen mit den zuständigen Behörden ausgesprochen, nur drei für vier Pfarrstellen wünschten keine Veränderung. (Amtsbrüderliche Mitteilungen des Landespredigervereins 1. Juni 1907 S. 1 ff) Das Ergebnis ermutigte den Landespredigerverein zu einer Eingabe an das Konsistorium und den ständigen Synodalausschuss, zur nächsten Landessynode ein Gesetz einzubringen, die Patronatsgeistlichen in das Pfarrbesoldungsgesetz von 1902 einzubeziehen. (Amtsbrüderliche Mitteilungen 15.10.1907 S.2 f) Zur Synode 1908/09 lag jedoch kein Gesetzentwurf der Kirchenregierung vor. Der Landespredigervereinsvorsitzende Pillmann hingegen verbreitete in seinem Jahresbericht im Juni 1908 Zuversicht: „Die Einbeziehung der Patronatspfarrer in die neue Gehaltsordnung der Landgeistlichkeit wird denn auch, wie wir vertrauen dürfen, der nächste große Sieg des L.P.V. sein, den in absehbarer Zeit zu erringen, wir in geschlossener Phalanx unaufhaltsam immer weiter vordringen werden.“ (Amtsbrüderliche Mitteilungen 20. Juni 1908 S. 12) Ein Jahr später begrüßte Schriftführer Pastor Simm beim Jahresbericht, dass die Landessynode sich dem Begehren des Landespredigervereins angeschlossen hatte, beklagte zugleich jedoch, dass die Besoldungsreform nicht um ein Jahrzehnt früher erledigt worden sei. (Amtsbrüderliche Mitteilungen 20.Juni 1909 S. 11) Im nächsten Jahr bat der Landespredigerverein den Landtag um finanzielle Gleichstellung der Pfarrerschaft. Bei der Erhöhung der Gehälter anderer Stände unseres Herzogtums mit derselben Vorbildung und gesellschaftlichen Stellung werde die ungenügende Besoldung des geistlichen Standes bei uns besonders schmerzlich empfunden. (Amtsbrüderliche Mitteilungen 15. Juni 1910 S. 11) Vor Zusammentritt der Landesversammlung lud der Landespredigerverein zu einer außerordentlichen Generalversammlung am 24. November 1910 ein, zu der auch zahlreiche Landtagsabgeordnete erschienen waren, und bekräftigte seine bekannten Forderungen. (Amtsbrüderliche Mitteilungen 20. März 1911 S. 3)

Nunmehr hatte die Landesversammlung die Verhandlungen für eine Anhebung der Pfarrergehälter aufgenommen und wünschte vor ihrer Beschlussfassung einen Beschluss der Landessynode. Diese Angleichung galt als Staatsgesetz, insofern es erheblich in die Staatsfinanzen und in das staatliche Patronatrecht eingriff. Es war indes ein Kirchengesetz, weil es eine innere Angelegenheit der Landeskirche betraf. Es waren nach damaligem Verständnis beide beschlussfassenden Organe mit dieser Frage befasst.

Aber es war auch für die Regierung ein unerfreulicher Vorgang, dass die Landessynode wie schon so oft hinter der Landesversammlung her beschließen sollte. In seiner Eröffnungsrede ging Minister Wolff vor der Landessynode auf diese auf die Dauer deprimierende Tatsache ein. Er gestand ein, dass die Landesregierung anerkenne, dass es sich „im rechtlichen Kernpunkt um kirchengesetzliche Angelegenheiten handele“. (Sb 1 S. 2) Der synodale Berichterstatter Floto anerkannte, dass die Synode sich in einer „Zwangslage“ befände, dämpfte aber sofort alle Änderungsgelüste: „So sind Änderungen durch die Synode zwar zulässig, aber, wie die Kommission hofft, überflüssig.“ (Sb 2 S. 7+8)
Nach Vorstellung des Konsistoriums sollte die Synode kurz und bündig sein, denn an dem von der Landesversammlung bereits endgültig verhandelten Gesetz war nichts mehr zu ändern. Der personelle Aufwand dieser Synode war daher sehr hoch. Alle 32 Mitglieder mussten zusammengetrommelt werden. Zwei meldeten sich ab. Offenbar war es nicht möglich gewesen, dass der Synodalausschuss als vorläufig beschließendes Organ die Gesamtsynode in diesem Falle vertrat und die Synode auf der nächsten regulären Tagung diesen Beschluss endgültig bestätigte.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 5. außerordentlichen Landessynode 1911

01. Albrecht, Heinrich, Vollmeier, Dölme, seit 1896.
02. Becker, Wilhelm, Mühlenbesitzer, Sickte, seit 1908.
03. Beste, Wilhelm, Stadtsuperintendent, Wolfenbüttel, neu, berufen.
04. Boden, Robert, Kreisdirektor, Blankenburg, seit 1908.
05. Bohnsack, Hermann, Gemeindevorsteher, Erzhausen, seit 1908.
06. Brandes, Benno, Oberamtmann, Offleben, seit 1904.
07. Dannenbaum, Erich, Kreisdirektor, Gandersheim, seit 1904.
08. Deecke, Karl, Amtsrat, Evessen, seit 1908.
09. Degering, Wilhelm, Generalsuperintendent, Braunschweig, seit 1896.
10. Floto, August, Kreisdirektor, Wolfenbüttel, neu.
11. Gerlich, Richard, Pastor, Braunschweig, seit 1908.
12. Gronau, Carl, Superintendent, Lehre, seit 1908.
13. v. Grone, Siegfried, Rittergutsbesitzer, Westerbrak, seit 1900.
14. Hauswaldt, Hermann, Kaufmann, Braunschweig, seit 1900.
15. Jeep, Rudolf, Superintendent, Holzminden, seit 1888, fehlt.
16. Kellner, Robert, Superintendent, Blankenburg, seit 1900.
17. Kunze, Wilhelm, Oberamtsrichter, Salder, seit 1900.
18. Langerfeldt, Conrad, Kreisdirektor, Helmstedt, seit 1888.
19. Meyer, Werner, Superintendent, Vorsfelde, seit 1908.
20. Nieß, Heinrich, Landwirt, Kl. Sisbeck, seit 1904.
21. Perl, Ernst, Pastor, Beierstedt, seit 1900.
22. Pillmann, Wilhelm, Pastor, Uehrde, seit 1900.
23. Rehkuh, Friedrich, Schuldirektor, Braunschweig, neu.
24. Retemeyer, Hugo, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1900.
25. Röttger, Friedrich, Gemeindevorsteher, Dannhausen, seit 1896.
26. Runte, Heinrich, Pastor, Braunschweig, neu.
27. Schilling, Oberamtsrichter, Blankenburg, seit 1904, fehlt.
28. Schomburg, Wilhelm, Forstmeister, Marienthal, seit 1908.
29. Schulz, Wilhelm, Superintendent, Halle a.d.W., seit 1886.
30. Struve, Hermann, Pastor, Greene, seit 1900.
31. Wollemann, Bruno, Generalsuperintendent, Gandersheim, seit 1896.
32. Zerbst, Carl, Pastor, Gebhardshagen, seit 1888.

Der Synodale Dahl war verstorben, ihm folgte Schuldirektor Prof. Dr. Rehkuh. Da die Synodalen Rahlwes, Rothe und Schliephake ausgeschieden waren, traten einige weitere Mitglieder neu in die Synode ein: Kreisdirektor Floto für Schliephake, welcher sein Amt niedergelgt hatte und Pastor Runte für Rahlwes, welcher die Landeskirche verlassen hatte. Für Rothe trat Pastor Struve in den Synodalausschuss ein. Zudem wurde der Wolfenbüttler Stadtsuperintendent Beste vom Herzog-Regenten berufen, Kreisdirektor Floto, Schuldirektor Prof. Dr. Rehkuh und Pastor Runte waren gewählt worden.

Die Staatsregierung vertrat der Regierungskommissar Minister Wolff, begleitet von Regierungsrat Albrecht, das Herzogliche Konsistorium war vom Konsistorialpräsident Sievers und Konsistorialrat Abt Moldenhauer vertreten.

Zum Vorsitzenden der Synode war Kreisdirektor Langerfeldt präsentiert und gewählt worden und Kirchenrat Dr. Zerbst zum Stellvertreter.

Termine und Themen

Der Sitzung ging ein Gottesdienst im Braunschweiger Dom voraus.

1. Sitzung 14. März 1911 Dienstag.
Eröffnungsrede von Minister Wolff, Wahl des Präsidenten, Gelöbnis der vier neuen Abgeordneten, Bericht des Synodalausschusses, Bildung von zwei Ausschüssen.

2. Sitzung 16. März 1911 Donnerstag.
Beratung und Beschlussfassung eines Gesetzes, die kirchliche Beitragspflicht auch auf Nichtmitglieder zu erweitern (Anlage 7) und das Kirchengesetz die Verbesserung des Einkommens betr. (Anlage 8).

Hauptgegenstände und Hintergründe

Der Synode lagen zwei Gesetzesentwürfe vor: die Einkommensverhältnisse der Pfarrer betr., (Anlage 8) und eine Verbesserung der Zuständigkeit der Kirchenvorstände. (Anlage 7)

Die Einkommensverhältnisse
Die bestehenden Einkommensverhältnisse der Pfarrerschaft erschienen nicht mehr haltbar. Aus der Begründung zum Gesetz wurde allerdings auch deutlich, wie der soziale Stand des Pfarrers erst den dritten Platz hinter denen des Staatsbeamten und des Gemeindelehrers einnahm. Dort hieß es: nachdem die Staatsbeamten sowie die Lehrer an den Gemeindeschulen eine Aufbesserung ihrer Gehälter erfahren haben, werde eine Erhöhung des Einkommens der Geistlichen „nicht zu umgehen“ sein. Das klang nicht nach einer Anerkennung der Arbeit der Pfarrerschaft, sondern nach einem offenbar nicht mehr zu umgehenden Vorgang in der Landesversammlung. (Anlage 8 S. 10) Die Verhütung einer dauernd ungleichmäßigen Lage der Geistlichen und die „daraus hervorgehende unvermeidliche Unterschiedlichkeit der Berufsfreudigkeit“ liege im dringenden Interesse der ganzen Landeskirche. Das war eine späte Einsicht in die Berechtigung einer immer wieder vorgetragenen Beschwerde aus der Pfarrerschaft. So lag das Einkommen von sechs Stellen über 6.000 M (Bruchmachtersen, Halle a.d.W., Eintzum, Köchingen, Schliestedt, Kl. Stöckheim), von zwei über 7.000 M (Gr. Dahlum 7.400 und Halchter 7.240 M), von zwei Pfarrstelle sogar über 8.000 M (Bevenrode 8.820M und Kissenbrück (8.340 M), andere hingegen unter 2.000 M pro Jahr (nach Anlage 8 Anlage 1 Übersicht der Patronat- und Wahlgeistlichen des Landes).

Das Gesetz sah drei entscheidende Veränderungen vor: a) das Anfangsgehalt wurde von 2.400 auf 2.700 M, das Einkommen zwischen dem 4. und 24. Dienstjahr alle drei Jahre um 500 oder 600 M und die Endstufe von 6.000 auf 6.900 M angehoben, und das Dienstalter zur Erreichung dieses Endgehaltes von 27 auf 24 Jahre gesenkt. Das war eine beträchtliche Verbesserung der finanziellen Situation der Pfarrerschaft. „Meines Wissens sind die Vorschriften in keinem anderen Bundesstaate gleich günstig“, vermerkte der Berichterstatter Floto vor der Synode. (Sb 2 S. 8).
b) Es wurden die Patronatspfarrer in das Einkommensgefüge einbezogen. Das betraf 61 Patronatspfarrer, von denen sich nur vier Privatpatronatspfarrer und zwei Gemeindewahlpatronatspfarrer mit der Einbeziehung nicht einverstanden erklärten, weil sie offenbar sehr viel günstiger gestellt waren. (Anlage 8 S. 13). Andere Patrone hingegen stellten ihre Pfarrer sehr viel schlechter als die 1902 beschlossene Einkommensskala es vorsah. Dazu gehörten die zehn Pfarrstellen, deren Stelleninhaber teilweise weit unter 2.000 M jährlich erhielten. Dazu gehörten u.a. die Pfarrstellen Astfeld mit 1.480 M Einkommen; Bessingen mit 1.270 M; Deesen 988 M; Harderode 1.496 M; Herrhausen 1.4412M; Oelber a.w.W. 1.421 M; Volkersheim 1.932 M (nach Anlage 8 Anlage 1 Übersicht der Patronat-und Wahlgeistlichen des Landes). Diese finanziellen Verbesserungen traten allerdings nicht auf einmal in Kraft, sondern stufenweise.
c) Schließlich wurde der seinerzeit umstrittene Paragraf 11, der der Behörde die einmalige Versetzungsmöglichkeit eines Pfarrers bot, geändert. Es wurden als Hindernisse gegen mögliche Willkürmaßnahmen der Behörde die Einwilligung des Kirchenvorstandes in die Versetzung in das Gesetz eingefügt und dem betroffenen Pfarrer die Möglichkeit geboten, gegen die Entscheidung bei Spruchgericht Einspruch einzulegen.

Bürgermeister Retemeyer berichtete noch während der Sitzung,, dass in den kirchlichen Kreisen über die neue Regelung der Gehälter „Freude herrsche“. (Sb 2 S. 10) So auch der Superintendent Gronau aus Lehre:„Wir Geistlichen sind der Regierung und dem Landtage für ihr Entgegenkommen von Herzen dankbar. In allen Kreisen herrscht große Freude“. (Sb 2 S. 13)

Erhebung von Kirchensteuern durch den Kirchenvorstand
Die zweite Vorlage sollte die finanzielle Situation der Kirchengemeinden verbessern. In der Kirchengemeindeordnung war den Kirchengemeinden das Recht zugestanden worden, Ortskirchensteuern von den Gemeindemitgliedern zu erheben. Die Novelle vergrößerte den Kreis der Kirchensteuerzahlenden auf rechtliche Personen, Fabriken, industrielle und landwirtschaftliche Betriebe, jedoch erst nach Genehmigung der Kreisbehörde. Mit dieser Ausweitung der Kirchensteuerzahlenden war kein neuer Zustand geschaffen, sondern der alte wiederhergestellt, der vor der Verabschiedung der Kirchengemeindeordnung geherrscht hatte. Der Berichterstatter Perl erklärte: „Jetzt sind wirklich alle Bedenken gegen die Kirchengemeindeordnung entkräftet. Die Kommission empfiehlt daher die Annahme en bloc. Möge die Kirchengemeindeordnung in Verbindung mit diesem Gesetz ihren gesegneten Einzug in die Kirchegemeinden halten“. (Sb 2 S. 14)
Die Synode folgte der Empfehlung, regte noch eine Überarbeitung der Liturgie bei der Feuerbestattung an und ging wie üblich mit einem „freudig aufgenommenen dreifachen Hoch auf Seine Hoheit den Herzog-Regenten“ auseinander.

Der langjährige Vorsitzende des Landespredigervereins, der Uehrder Pastor Pillmann, begrüßte in der Hauptversammlung am 14. Juni 1911 im Evangelischen Vereinshaus die Synodalvereinbarung und den einstimmigen Beschluss der Landesversammlung mit dem Psalmwort: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden“. (Ps. 126,1) „In der Tat, meine Herren und Brüder, etwas von der Herzens- und Seelenstimmung , die den frommen aus der Gefangenschaft von Babel heimkehrenden Israeliten erfüllte, bewegt auch uns Männer vom Braunschweigischen Pfarrerverein die Brust nun nach grundsätzlicher Gleichbewertung der Geistlichen mit den Staatsbeamten und nach Durchbrechung des Bannes, der besonders auf den gehaltlich isolierten Patronatspfarrern lastete; der Freiheit Hauch durch die Braunschweigische Landeskirche weht.“ (Amtsbrüderliche Mitteilungen 1. Juli 1911 S. 11) Zehn Tage später war Pillmann im Alter von 65 Jahren am Schlaganfall in seiner Gemeinde gestorben. „Das war ein Schlag, der den Baum unseres braunschweigischen Pfarrervereins erzittern ließ von der Wurzel bis zum Wipfel.“ (Amtsbrüderliche Mitteilungen 17.- Juli 1911 S. 1)



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk