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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die elfte ordentliche Landessynode 1912/13
Die Schul- Synode


Quelle: Verhandlungen der elften ordentlichen Landessynode des Herzogthums Braunschweig.

Die Vorgeschichte
Mit 12 ununterbrochenen Sitzungstagen im April/ Mai 1913 gehörte die elfte Synode zu den eher unauffälligen, „normalen“ Synoden ohne eine herausragende Thematik. Aber man kann sie die pädagogische nennen, weil Schul- und Katechismusfragen auf ihr behandelt wurden.
Die ersten Seiten der Regionalpresse waren während der Synodenzeit mit den Kriegsereignissen auf dem Balkan beschäftigt, die in den Geschichtsbüchern als der erste und zweite Balkankrieg bezeichnet werden. Bulgarien drängte die osmanischen Truppen zurück. Das war nicht weit weg, wie die Braunschweigischen Anzeigen kommentierten: „Die Franzosen bilden sich ein, dass sie die Deutschen im Balkankrieg besiegen; sie haben den Bulgaren die Kanonen geliefert. Sie haben die Offiziere der vier verbündeten Balkankönigreiche zum Siegen ausgebildet. Die geschlagenen Türken haben dagegen deutsche Kruppkanonen, die angeblich nichts taugen, und ihre Lehrmeister, deutsche Offiziere haben sich als unfähig erwiesen.“ So behauptete jedenfalls ein französischer General.

Es gebe nur eine Antwort auf „den Deutschhaß unseres Nachbarn jenseits der Vogesen: Hüten wir mit verstärkter Sorgfalt den unüberwindlich starken Kriegsgeist, wie er sich gegen die Franzosen vor einhundert und auch vor 42 Jahren in fast unvergleichlicher Überlegenheit bestätigt hat.“ (BA 22.11.1912)
Die Regionalgruppe des Deutschen Wehrvereins veranstaltete am 23. November 1912 im Hofjäger eine große Veranstaltung, bei der Generalleutnant von Wrochem aus Berlin über das Thema sprach: „Ist Deutschland für den nächsten Krieg gerüstet?“(BA 23.11.1912) Es waren also keineswegs Militärnachrichten aus fernen Ländern, die die Braunschweiger Regionalpresse einhellig wochenlang kolportierte, sondern es ging um Kriegsgeist jetzt und ob auch die Braunschweiger mit der massiven Aufrüstung der kaiserlichen Reichsregierung zufrieden seien.
Eine Woche später schärfte auf einer Veranstaltung des rechtsradikalen Alldeutschen Verbandes in Schraders Hotel ein Münchner Referent seinen Zuhörerinnen und Zuhörern ein: „Bei einem kommenden Krieg handelt es sich um das Dasein unseres Volkes und um die Güter der Kultur. Das höchste Gut des Mannes ist sein Volk, das höchste Gut des Volkes ist der Staat. (stürmischer Beifall).“ (BA 3.12.1912) Das Kriegsthema war gegenwärtig und die Opposition auch: 20.000 antimilitaristische Broschüren seien im Rheinland in einem sozialdemokratischen Büro beschlagnahmt worden. (BA 1.12.1912)

Umso hingebungsvoller widmeten sich die Braunschweiger einem zunächst familiären Ereignis.
In jenem Frühjahr ging über dem Braunschweiger Land der Schimmer neuer herzoglicher Glanzzeit auf. Aus dem „Haus Braunschweig“, das sonntäglich in den Gottesdiensten bei der Fürbitte ausdrücklich erwähnt wurde, hatte sich der junge welfische Prinz Ernst August mit der preußischen Kaisertochter verlobt. Das eröffnete verführerische Aussichten, die allerdings für die Kirchengeschichte bedeutungslos blieben, denn die faktische Kirchengewalt lag seit je her beim Kultusminister. Allerdings verfehlte es der Präsident der Landessynode in der ersten Aprilsitzung nicht, eine Erklärung in Superlativen abzugeben. Auch die Landessynode nehme „lebhaftesten und herzlichsten Anteil“ und sei „von den zuversichtlichsten Wünschen erfüllt“, dass dieses Ereignis „auch für die Landeskirche von den segenreichsten Folgen begleitet sein möge“. (Sb 3 S.13)
Den Zeitläuften näher war der neuerliche Einschub in das sonntägliche Fürbittgebet für die deutschen Kolonien und sog. „Schutzgebiete“. Nun hörten die Gottesdienstbesucher: „ ...Beschütze die deutsche Kriegsmacht zu Wasser und zu Lande. Segne die Glieder unseres Volkes, welche im Dienst der Kirche und des Vaterlandes in unsern deutschen Kolonien und Schutzgebieten arbeiten“ oder: „Lasset uns beten (...) für das deutsche Reich, dass Er es in Seinen Schutz nehme mit seiner gesamten Kriegsmacht zu Wasser und zu Lande, für die Glieder unseres Volkes, welche im Dienste der Kirche und des Vaterlandes in unsern deutschen Kolonien und Schutzgebieten arbeiten, dass Gott sie segne. (Landeskirchliches Amtsblatt 1910 S. 123) So wurden schon frühzeitig die Sinne und Gedanken auch der Gottesdienstbesucher auf die weite Welt und das deutsche Wesen gerichtet, das der Welt zur Genesung gereichen sollte. Mission und koloniale Gewinne Hand in Hand und in einem Atemzug am Sonntag morgen.

Das innenpolitische Klima hat sich allerdings seit der letzten Synodalsitzung in der Stadt erheblich verändert: Mit aller Macht drängte die Arbeiterschaft endlich auf eine Änderung des antiquierten Wahlrechtes. Eine große Demonstration auf dem Hagenmarkt wurde 1910 von der Polizei gnadenlos zusammengeprügelt. Viele Tausend marschieren am 1. Mai aus der Stadt in das Pawelsche Holz; in den Betrieben mehrten sich die Streiks für bessere Arbeitsbedingungen, die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder war von 11.751 Mitgliedern (1906) auf 19.343 Mitglieder (1912) gestiegen, in der Stadt Braunschweig die Zahl der SPD Parteimitglieder von 4.632 (1909) auf 7.639 (1912) angewachsen, seit 1890 hatte die SPD bei den Reichtagswahlen den 1. Wahlkreis Braunschweig/Blankenburg gewonnen. (Alle Angaben nach Friedhelm Boll Massenbewegungen in Niedersachsen 1906-1920 S. 102; 127 ff; 131; 134 f)

Die Wahl zur elften Landessynode fand wie bisher in zwei Stufen statt. Nach den Wahlen der Wahlmänner im Oktober 1912 durch die Kirchengemeinderäte, wählten die Wahlmänner eines Wahlbezirkes Anfang November die Landessynodalen. (Amtsblatt 1912 S. 70 Nr. 1590)
Einige Sitze waren frei geworden, andere mussten sich nach der Wahlordnung erneut zur Wahl stellen.
Pastor Carl Zerbst, seit 1888 in der Synode, war mit 74 Jahren aus seiner Gebhardshagener Gemeinde in den Ruhestand gegangen. Für ihn wurde mit 89:47 Stimmen der 51 jährige Wilhelm Ziegeler, Pastor an der Johanniskirche in Wolfenbüttel, gewählt. Der Vorsitzende des Landespredigervereins, Wilhelm Pillmann, Pastor in Uerde, war plötzlich mit 65 Jahren am 24.6.1911 einem Schlaganfall erlegen. Um seinen Sitz bewarben sich der Schöppenstedter Superintendent Johannes Beste und Carl Simm, Pastor in Gr. Stöckheim. Erst in der Stichwahl setzte sich der Superintendent mit 84:50 Stimmen durch. Auch der Offleber Amtmann Brandes hatte seinen Sitz in der Synode aufgegeben. Das war nicht seine Welt. Er meldete sich kaum zu Wort. Sein Nachfolger wurde mit 54:33 Stimmen der Beierstedter Landwirt Schäfer. Auch die bewährten Synodalen Perl (seit 1900 in der Synode) und Nieß (seit 1904 in der Synode) mussten sich im Helmstedter Wahlkreis gegen Konkurrenten durchsetzen. Perl wurde mit 55:32 Stimmen und Nieß mit 54:34 Stimmen gewählt. Für den ausgeschiedenen Blankenburger Oberamtsrichter Schilling setzte sich der herzogliche Hofjägermeister v. d. Schulenburg nur knapp mit 23:19 Stimmen gegen seinen Mitbewerber durch. Selbst der Alterspräsident der Synode, Superintendent Schulz in Halle a.d.W., musste sich einer Wahl stellen und gewann mit 45:10 Stimmen souverän. Für den am 3.4.1911 wie Pillmanm im Dienst verstorbenen 67 Jahre alten Superintendenten Rudolf Jeep rückte sein 50jähriger Amtsnachfolger Superintendent Knopf nach. Er erhielt 44:14 Stimmen. Mit 40: 14 Stimmen wurde Heinrich Albrecht, seit 1896 in der Synode, wiedergewählt, und Gemeindevorsteher Bohnsack ebenfalls mit 53:28 Stimmen. (Alle Ergebnisse nach LAW Syn 21)
Die hohe Zahl der Wahlmänner, (in Wolfenbüttel 136 Personen, in Helmstedt 88 Personen), die Vielzahl von aufgestellten Gegenkadidaten, selbst bei bewährten Synodalen, die durchaus hohe Zahl an Gegenstimmen sind m.E. ein Kennzeichen für eine beachtliche Form von Demokratisierung in der Landeskirche und ein respektables Maß an Repräsentativität, derer sich die gewählten Synodalen erfreuen konnten.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 11. Synode 1912/13

01. Albrecht, Heinrich, Vollmeier, Dölme, seit 1896.
02. Becker, Wilhelm, Mühlenbesitzer, Sickte, seit 1908.
03. Beste, Wilhelm, Stadtsuperintendent, Wolfenbüttel, seit 1911, berufen.
04. Beste, Johannes, Superintendent Schöppenstedt, neu.
05. Boden, Robert, Kreisdirektor, Blankenburg, seit 1908, berufen.
06. Bohnsack, Hermann, Gemeindevorsteher, Erzhausen, seit 1908.
07. Dannenbaum, Erich, Kreisdirektor, Gandersheim, seit 1904.
08. Deecke, Karl, Amtsrat, Evessen, seit 1908, berufen.
09. Degering, Wilhelm, Generalsuperintendent, Braunschweig, seit 1896, berufen.
10. Floto, August, Stadtdirektor, Wolfenbüttel, seit 1911.
11. Gerlich, Richard, Pastor, Braunschweig, seit 1908.
12. Gronau, Carl, Superintendent, Lehre, seit 1908.
13. v. Grone, Siegfried, Rittergutsbesitzer, Westerbrak, seit 1900.
14. Hauswaldt, Hermann, Kommerzienrat, Braunschweig, seit 1900.
15. Kellner, Robert, Superintendent, Blankenburg, seit 1900.
16. Knopf, Robert, Superintendent, Holzminden, neu.
17. Kunze, Wilhelm, Oberamtsrichter, Salder, seit 1900.
18. Langerfeldt, Conrad, Kreisdirektor, Helmstedt, seit 1888.
19. Meyer, Werner, Superintendent, Vorsfelde, seit 1908.
20. Nieß, Heinrich, Landwirt, Kl. Sisbeck, seit 1904.
21. Perl, Ernst, Pastor, Beierstedt, seit 1900.
22. Rehkuh, Friedrich, Schuldirektor, Braunschweig, seit 1911.
23. Retemeyer, Hugo, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1900.
24. Röttger, Friedrich, Gemeindevorsteher, Dannhausen, seit 1896.
25. Runte, Heinrich, Pastor, Braunschweig, seit 1911.
26. Schäfer, Ackermann, Wobeck, neu.
27. Schomburg, Wilhelm, Forstmeister, Marienthal, seit 1908.
28 Graf v. d. Schulenburg, Hofjägermeister, Blankenburg, neu.
29. Schulz, Wilhelm, Superintendent, Halle a.d.W., seit 1886.
30. Struve, Hermann, Pastor, Greene, seit 1900.
31. Wollemann, Bruno, Generalsuperintendent, Gandersheim, seit 1896.
32. Ziegeler, Wilhelm, Pastor, Wolfenbüttel, neu.

Zum ersten Mal waren die Superintendenten Johannes Beste, Schöppenstedt, und Robert Knopf, Holzminden, der Landwirt Schäfer und Graf v.d. Schulenburg und Pastor Wilhelm Ziegeler in der Synode. Der bekannteste von ihnen war der Schöppenstedter Superintendent, der mit einer quellenreichen Geschichte der Landeskirche von der Reformationszeit bis zur Neuzeit bekannt geworden und geblieben ist. Denn es war für die nächsten hundert Jahre die einzige Gesamtgeschichte der Braunschweiger Landeskirche.

Der Synode gehörten zwei Generalsuperintendenten, sieben Superintendenten und fünf Pfarrer an. Das kirchenleitende Amt war wie in den Jahrzehnten vorher überrepräsentiert.
Außerdem waren sieben Synodale in der Kommunalpolitik tätig, meist in führender Position: drei Kreisdirektoren (Boden, Dannenbaum, Langerfeldt), ein Stadtdirektor (Floto), der Braunschweiger Oberbürgermeister und zwei aus den Dörfern Erzhausen und Dannhausen. Mit fünf Landwirten war die Landwirtschaft außerordentlich gut vertreten, demgegenüber andere Berufe wie die Juristen (einer), Pädagogen (einer), Handwerk (keiner), Wirtschaft (einer), Arbeiter (keiner) weit zurücktraten.
Die hohe Zahl der Kommunalpolitiker war ein Widerschein der Jahrhunderte langen engen Verflechtung von staatlichen und kirchlichen Organe, die sich seit der Synode 1908/09 auf der unteren Kommunalebene weitgehend gelockert hatte.

Die Zahl der profilierten Theologen war mit dem Ausscheiden von Jeep, Pillmann und Zerbst geringer geworden. Es fehlten zündende theologische Themen, die die Pfarrerschaft in Bewegung bringen mochten. So war es nicht verwunderlich, dass die Synode mit der heftigen Diskussion eines Uraltthemas endete, mit der Frage, ob und wie das apostolische Glaubensbekenntnis im Gottesdienst verwendet werden sollte. Darüber gab es in jener Zeit aber auch in Berlin und anderswo stürmische Debatten, die Professor Adolf v. Harnack 1892 angestoßen hatte.

Nach wie vor kam es zu jener peinlichen Situation, dass manche Gesetze bereits im Landtag beschlossen worden waren und erst hinterher die Landessynode ihre Meinung dazu äußern konnte, ohne am Gesetz etwas ändern zu können. So war es nützlich, dass manche Mitglieder der Synode auch Mitglieder des Landtags waren und dort bereits die Interessen und Ansichten der Landessynode äußern konnten. Mitglieder der Landesversammlung und der Landessynode waren Wilhelm Becker, Gemeindevorsteher Bohnsack, August Floto, Langerfeldt, Hugo Retemeyer und Hermann Struve. Langerfeldt war Präsident und Retemeyer Vizepräsident der Landesversammlung. Außerdem war Pfarrer Wilhelm Broistedt von der Pfarrerschaft in den Landtag gewählt worden.

Zum Vorsitzenden der Synode wurden dem Prinzregenten die Synodalen Langerfeldt, Degering und Dannebaum präsentiert und als Vorsitzender Langerfeldt, als Stellvertreter Degering gewählt. Langerfeldt war damit zum vierten Mal Vorsitzender der Synode (seit 1900) und hatte mit seiner Doppelpräsidentschaft in der Landessynode und in der Landesversammlung eine starke, vor allem ausgleichende Position.

Auf Zuruf wurden Langerfeldt, Struve, Wollemann, Degering und Kunze in den Synodalausschuss gewählt und als Stellvertreter Dannenbaum, Perl, Gronau, Gerlich und Hauswaldt.

Die Synode beschloss zur Durcharbeitung der Vorlagen die Bildung von zwei fünfköpfigen Kommissionen. Der Kommission eins gehörten die Synodalen Gerlich, Gronau. Knopf, Rehkuh und Schomburg an; der Kommission zwei die Synodalen Dannenbaum, Hauswaldt, Perl, Struve und Ziegeler. In der Kommissionsarbeit machte sich gelegentlich, etwa bei Schul – und theologischen Grundsatzfragen, bemerkbar, dass jeweils drei Mitglieder der lutherischen Gruppe und zwei der liberalen angehörten.

Von der Regierung nahmen regelmäßig Kultusminister und Kirchenkommissar Wolff und anfangs Regierungsrat Albrecht teil sowie vom herzoglichen Konsistorium ständig Konsistorialpräsident Sievers und die Konsistorialräte Moldenhauer, Dettmer und Winter.

Termine und Themen

1.Sitzung 18. Dezember 1912 Mittwoch.
Eröffnungsrede durch Wolff, Gelöbnis von fünf neu eintretenden Synodalen,
Wahl des Vorsitzenden; Wahl des Synodalausschusses und der Stellvertreter,
Eingänge von 10 Reskripten.

2. Sitzung 19. Dezember 1912 Donnerstag 10 ¼ - 12 Uhr.
Anträge der Synodalen,
Wahl von zwei Kommissionen.

3. Sitzung 22. April 1913 Dienstag.
26 Eingänge, Berichte und Bittschriften,
Beratung „Eingehende Mitteilungen“.

4. Sitzung 23. April 1913 Mittwoch.
Fortsetzung der Beratung „Eingehende Mitteilung“.

5. Sitzung 24. April 1913 Donnerstag.
Fortsetzung der Beratung „Eingehende Mitteilung“.

6. Sitzung 25. April 1913 Freitag 10 ¼ - 1 Uhr.
Beratung des landeskirchlichen Fonds;
Vorlage Verlegung des Hagelfeiertag auf den Sonntag und Fortfall des staatlichen Schutzes für Gründonnerstag.

7. Sitzung 26. April 1913 Sonnabend.
Beratung eines Entwurfes einer neuen Geschäftsordnung.

8. Sitzung 28. April 1913 Montag; Beginn: 4 Uhr. Ende 7 Uhr.
Gebühren für Amtshandlungen; darf ein Pastor Geschenke annehmen?
Gesetz die liturgische Ordnung bei der Einführung eines Pfarrers betr.
Änderung der Vorschriften hinsichtlich des Gebrauches der Perikopen.

9. Sitzung 29. April 1913 Dienstag.
Fortsetzung der Aussprache: Änderung der Vorschriften hinsichtlich des Gebrauches der Perikopen; die Kirchenregierung zieht die Vorlage zurück.
Gottesdienstordnung für eine Trauerfeier bei einer Feuerbestattung.

10. Sitzung 2. Mai 1913 Freitag.
Beschlussfassung: Verlängerung des Konfirmandenunterrichtes auf ein halbes Jahr und Durchführung eines unterschiedlichen Unterrichtsbeginns zu Ostern und zum Herbst.
Antrag Gerlich, Agenden anderer Landeskirchen benutzen zu dürfen.

11. Sitzung 3. Mai 1913 Sonnabend 11 ¼ - 2 Uhr.
Beratung eines „Entwurfes“ zu einzelnen Bestimmungen des vom Landtag bereits beschlossenen Gesetzes über die Gemeindeschulen; Verhältnis Lehrer – Organistendienst; Aufsicht über den Religionsunterricht in Gemeindeschulen.

12. Sitzung 5. Mai 1913 Montag.
Fortsetzung der Beratung des Antrags Gerlich, Agenden anderer Landeskirchen benutzen zu dürfen;
Bittschrift des Deutsch-evangelischen Frauenbundes für ein kirchliches Frauenwahlrecht;
Förderung des Wechselgesanges in der Kirche.

13. Sitzung 6. Mai 1913 Dienstag.
Bittschrift der Freunde evangelischer Freiheit nach Reform des Landeskatechismus (von Ernesti);
scharfe Kritik Rehkuhs am Landeskatechismus.

14. Sitzung 7. Mai 1913 9.00 Mittwoch.
Fortsetzung der Beratung der Bittschrift der Freunde evangelischer Freiheit nach Reform des Landeskatechismus.
Antrag Kunze: Ergänzung der Agende bezügl. des apostolischen Glaubensbekenntnisses
und ausgedehnte Debatte über das Glaubensbekenntnis.

Presse
In der Landeshauptstadt las man die Braunschweiger Anzeigen (BA), die Braunschweiger Landeszeitung (BLZ) und die Neuesten Nachrichten (NN). Das Staatsorgan Anzeigen veröffentlichte pünktlich am nächsten auf die Verhandlungen folgenden Tag ein ausführliches Protokoll. Das hatte schon seit 1869 Tradition, eine beachtliche und innerhalb der Synodengeschichte einmalige journalistische Leistung. Es fällt auf, dass die Berichte gelegentlich vier Zeitungsspalten füllten. (BA 19.12.1912/ 20.12./ 23.4.1913/ 24.4./ 25.4./ 26.4./ 27.4./ 30.4./ 3.5./ 4.5./6.5./ 7.5./ 8.5.) Gelegentlich luden Annoncen unter Nennung der Tagesordnung zur nächsten Sitzung ein.
Die Neuesten Nachrichten unterrichteten, wie auch die Anzeigen, pünktlich und ausführlich an Hand des Synodalprotokolls. (NN 24.4./ 25.4./ 26.4./ 27.4./ 30.4./ 3.5./ 4.5./ 6.5./7.5./ 8.5.) Aber sie begleiteten die Synode auch mit Sonderbeilagen. Die Redaktion nahm die Bittschrift der Frauengruppen zum Anlass, einen Bericht mit vier Zeitungsseiten unter der Überschrift „Das Stimmrecht der Frauen in der Kirche“ als Beilage zur Sonntagsausgabe zu veröffentlichen. Es enthielt den vollständigen Text der Petition und die Stellungnahme von 24 Pfarrern in der Stadt und auf den Dörfern. Sie lehnten rundweg jede Form von Stimmrecht für die Frauen in der Kirche ab.
Als der Antrag des Synodalen Kunze bekannt wurde, dass das apostolische Glaubensbekenntnis nur noch eingeschränkt im Gottesdienst verwendet werden sollte, organisierte die Lutherische Vereinigung dagegen einen Vortragsabend mit dem Göttinger Prof. Bonwetsch, über den die NN ausführlich berichtete. Pastor Kellner, Schlewecke referierte über „Die Wahrheit über das sog. apostolische Glaubensbekenntnis“. Er trug eine gemäßigte liberale Stellungnahme vor.
Die Neuesten Nachrichten zeigten sich für kirchliche Belange ungewöhnlich aufgeschlossen.

Hauptgegenstände und Hintergründe

Der elfte und letzte Lagebericht

Das konnte keiner ahnen, dass der Landessynode die „Eingehenden Mitteilungen über die Zustände und Verhältnisse der Landeskirche“ zum letzten Mal zur Vorlage gemacht wurden. Während des Krieges verzichtete das Konsistorium für die Sitzung 1916 auf einen Bericht und die folgenden Synoden wählten eine andere Berichtssystematik und einen anderen Sitzungsrhythmus.
Der Bericht umfasste 70 Seiten und verzichtete auf weitere Anlagen, wie das früher üblich gewesen war. Das Konsistorium referierte Eingangs die von der Eisenacher Konferenz behandelten Themen, nämlich die ausführlichen Ratschläge für einen modernen Kirchbau - der vorläufig letzte Kirchbau, die Braunschweiger Jakobikirche, war Ostern 1911 eingeweiht worden, – das Vorgehen bei der Zusammenlegung von Kirchengemeinden, die Bekämpfung des Alkoholismus, das liturgische Handeln der Kirche bei der Bestattung, was offensichtlich noch nicht selbstverständlich war und die Versetzung von Geistlichen im Interesse des Dienstes. (Anlage 9 S. 2 ff)
Die Einführung der Kirchengemeindeordnung habe sich „fast in allen Gemeinden glatt vollzogen“, (Anlage 9 S. 17) in Blankenburg und Bündheim waren neue Kirchengemeinden gebildet, in Bodenburg drei kleinere Gemeinden zusammengelegt worden. In den Pfarrverband Gr. und Kl. Denkte, Sottmar und Wittmar wurde ein Predigtamtskandidat zur Entlastung nach Wittmar delegiert.

Das Einkommen der Pfarrer hatte sich verbessert. Es betrug pro Jahr zwischen 2.700 und 6.900 Mark, in der Stadt Braunschweig lag das Anfangsgehalt mit 4.100 erheblich höher. Es reichte bis 7.400 Mark, ein ungesunder Einkommensunterschied bei durchaus vergleichbarem Dienst. Die Pfarraufkünfte konnten die Gehälter nicht tragen. Für 199 Pfarrer mussten staatlich Einkommenszuschüsse beansprucht werden, (Anlage 9 S. 27) zumal von diesen 199 Pfarrern 120 ein Jahresgehalt von 5.900 – 6.900 Mark erhielten. (Anlage 9 S. 28)
Auf den Predigersynoden beschäftigten sich die Pfarrer vor allem mit exegetischen und dogmatischen Fragen (z.B. die Begriffe thanatos und zoe bei Paulus sind zu erläutern, Meditation über Röm. 2, „das Amtgewissen der Geistlichen“), aber auch mit der modernen Gemeinschaftsbewegung und in der Generalinspektion Braunschweig und Helmstedt mit der Frage: „Wie ist über die gegenwärtige Emanzipationsbestrebungen der Schule zu urteilen und was hat seitens der Kirche zu geschehen, wenn diese Bestrebungen zur Lockerung oder völligen Lösung der bisherigen Verhältnisse zwischen Kirche und Schule führen sollen?“ Dieses Thema sollte die Synodalen während der Synode noch intensiv beschäftigen.

Der Nachwuchs war nicht schlecht, es hatten bis Ende 1911 von 43 Kandidaten 29 das theologische Hauptexamen absolviert, fünf waren in die Gemeinde gegangen, drei als Hilfsprediger tätig und immerhin 16 im Schuldienst des Herzogtums beschäftigt. (Anlage 9 S. 40) Aber das Konsistorium klagte, dass nicht alle Plätze im Predigerseminar besetzt werden konnten.
Die Kirchengemeinden wurden wie in den Vorjahren zahlreich visitiert: 1908: 21 Gemeinden, 1909:22 Gemeinden, 1910: 29 Gemeinden, 1911: 26 Gemeinden. (Anlage 9 S. 20)
Die Inspektionssynoden erhielten 1909 Fragen zur äußeren Mission und zur Bedeutung des Kollektenwesens gestellt und 1911 das Reizthema der Verlegung des Hagelfeiertages und des polizeilichen Schutzes des Gründonnerstages. Das andere Thema jedoch fragte nach der Umsetzung der Kirchengemeindeordnung. Leider referierte das Konsistorium anders als in den vorhergehenden Jahren die Beschlüsse der Inspektionssynoden in dieser Frage nur kümmerlich. Es fasste nur lapidar zusammen, dass überall Referate und manchmal auch Korreferate gehalten worden seien und die Konsistorialmitglieder viele Fragen beantwortet hätten. „Es ist anzunehmen, dass durch diese Aussprachen auf den Synoden der Übergang von der alten Ordnung zu der neuen Kirchenverfassung in den Gemeinden nicht unerheblich erleichtert ist.“ (Anlage 9 S. 22)
Beim Bericht über das kirchlich-religiöse Leben in den Gemeinden (Kapitel X) wurde wie immer über die miserable Heilighaltung des Sonntags geklagt, besonders über die Sonntagsarbeit in den Landgemeinden mit „dem immer intensiver betriebenen Anbau von Konservenfrüchten“. Von Sonntagsruhe könne kaum noch die Rede sein. Dazu komme „das Übermaß von weltlichen Lustbarkeiten“. (Anlage 9 S. 45 f) Dagegen sei die wachsende Kirchenmusik ein hoffnungsvolles Zeichen. Die Abendmahlsbeteiligung hatte in den letzten vier Jahren nicht nachgelassen. Sie betrug 1908: 119.017 und 1911: 119.061 Gemeindeglieder. (Anlage 9 S. 47). Es gab also immer noch einen festen Kern derer, die sich zur Gemeinde zugehörig fühlten. In den Familien mit zwei evangelischen Elternteilen war die Taufe und die kirchliche Trauung immer noch absolut üblich. (Anlage 9 S. 50), die Anzahl der kirchlichen Bestattungen hatte weiterhin zugenommen. Sie betrug 1904 65 % und 1911 70,5 % der Beerdigungen.
Bei der konfirmierten Jugend habe „eine Bewegung eingesetzt, die darauf ausgeht, die Jugend intellektuell zu fördern, moralisch zu stärken und mit vaterländischem Geist zu erfüllen,“ offenbar ohne jedes „religiöse Moment“. (Anlage 9 S. 46)
Da sich die Zahl der Schwesternschaft im Marienstift von 126 auf 143 Schwestern erhöht hatte, waren zu den bestehenden 55 Stationen 14 neue hinzugekommen, darunter in fünf Kirchengemeinden Gemeindepflegestationen (Hessen, Königslutter, Ölsburg, Oker, Stiege) und Krippen in St. Katharinen und St. Jakobi Braunschweig. (Anlage 9 S.58 )
Auch die Bautätigkeit hatte kaum nachgelassen. In 35 Kirchen wurden größere Reparaturen in einem Gesamtbetrag von 288.580 M durchgeführt, (Anlage 9 S. 64 ff) 21 neue Orgeln angeschafft, 46 in größerem Maße wieder instand gesetzt, und in 39 Kirchen Heizungen installiert, sieben Pfarrhäuser mit Konfirmandensälen errichtet und an 19 umfangreichere Reparaturmaßnahmen durchgeführt.

Die Debatte über den Lagebericht
Zwei Tage lang (23. und 24. 4.1913) diskutierte die Synode über den Bericht des Konsistoriums die Zustände in der Landeskirche betreffend. Neun Anregungen wurden an die Kirchenregierung ausgesprochen. (Anlage 22)
Die wichtigste Anregung war das Ersuchen an die herzogliche Kirchenregierung, „der nächsten ordentlichen Landessynode eine Gesetzesvorlage zu machen über die Errichtung einer Landeskirchenkasse, die ihre Mittel aus einer Landeskirchensteuer und einer Besteuerung der größeren Kirchenvermögen erhält.“ (Anlage 22 S.3) Die Landessynode hatte dazu eine Eingabe des Landespredigervereins aufgegriffen. Der Synodalausschuss hatte das Votum aufgegriffen und erheblich erweitert. Es sollte eine Landeskirchensteuer und eine Sondersteuer für die vermögenderen Kirchengemeinden eingeführt werden, die in eine Landeskirchenkasse fließen sollten. Die Kirchenregierung sollte dazu in der nächsten ordentlichen Landessynode eine Gesetzesvorlage einreichen. Einige Synodalen wünschten eine größere finanzielle Unabhängigkeit der Landeskirche von dem Staat, und Konsistorialpräsident Sievers berichtete von entsprechenden Überlegungen im Konsistorium und von der Absicht, bereits dieser 11. Landessynode eine entsprechende Vorlage zu machen. (Sitzungsbericht 6 S. 50) Offenbar war keine Übereinstimmung mit dem Kultusministerium herbeizuführen. Dem Ersuchen des Synodalausschusses stimmte die Landessynode zu.
Es wäre der Landeskirche viel Ärger erspart geblieben, wenn schon vor 1918 eine Landeskirchensteuer zur Gewohnheit der evangelischen Bevölkerung geworden wäre.
Weiterhin regte die Synode an, den Schulschluss „um den 1. April herum“ zu legen, um das letzte Viertel des Schuljahres abzukürzen. An dem Weißen Sonntag als Konfirmationstag brauche nicht festgehalten zu werden. Der Konfirmandenunterricht sollte auf 13 Wochen ausgedehnt werden. Die Missstände bei der „Heilighaltung des Sonntags“ sollten nicht durch schärfere Bestimmungen des polizeilichen Schutzes beseitigt werden. Sportveranstaltungen hingegen sollten möglichst nicht auf den Sonntagvormittag gelegt werden.

Die gottesdienstlichen Reformen gehen weiter

Im Jahr 1895 war das komplette Agendenwerk erschienen und erlitt das Schicksal aller Agenden, dass bald nach ihrem Erscheinen an ihrer Revision gearbeitet wird.

Die Einführung eines Pfarrers
Die Gottesdienstordnung bei der Einführung eines Pfarrers gehört zum klassischen Bestandteil jedes Agendenwerkes. Die Ordnung bei der Einführung eines Geistlichen (Agende 1895 Kap. XIX S. 168 ff) sah vor, dass die Einführung nach der Predigt durch den Superintendenten erfolgte. Der eingeführte Pfarrer beschloss den Gottesdienst mit Antiphon, Kollekte und Segen. Das Konsistorium schlug der Synode vor, die Einführung nach dem Bekenntnislied in der Eingangsliturgie vorzunehmen, sodass die dann folgende Predigt von dem bereits eingeführten Pfarrer gehalten wurde. (Anlage 7 mit Begründung) Die vorherigen Synoden hatten im Grunde noch ein anderes Beschwer. Sie wünschten eine Verkürzung des Einführungsgottesdienstes. Ihnen erschien der Einführungsgottesdienst zu lang und sie schlugen vor, gegebenenfalls auf die Predigt zu verzichten. Das Konsistorium bestand in der kurzen Aussprache auf die Abhaltung einer Predigt. So blieb es nur bei der Umstellung der Einführung aus der Schlussliturgie in die Eingangsliturgie, aus der Sicht der Gemeinde ziemlich gleichgültig. Wichtiger wäre eine Reform der Lesungen gewesen, denn die obligate Lesung aus dem 3. Kapitel des 1. Timotheusbrief suggerierte für die Hörergemeinde, dass hier ein Bischof eingeführt würde und nicht ein Dorfpfarrer. Dort hieß es: „Das ist gewißlich wahr, so jemand ein Bischofsamt begehrt, der begehret ein köstliches Amt. Es soll aber der Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann, nüchtern, mäßig, sittig, gastfrei, lehrhaftig, nicht ein Weinsäufer, nicht unehrliche Hantierung treiben; sondern gelinde, nicht haderhaftig, nicht geizig, der seinem eigenen Hause wohl vorstehe, der gehorsame Kinder habe mit aller Ehrbarkeit“. (Agende 1895 S. 169) Die Hörergemeinde wird bei dieser Lesung wohl an den Vorgänger gedacht und im Stillen sortiert haben, was von dem verlesenen Sittenkatalog zutraf und was eher nicht. Eine sehr problematische Textwahl.
Für die Kenntnis der Lutherlieder in der Landeskirche war es bezeichnend, dass das agendarisch vorgeschrieben zu singende Lied „Komm heiliger Geist, Herre Gott“ in den Gemeinden vor allem in den Städten zu unbekannt war. Die Synode beschloss „zur Sicherung der Volltönigkeit des Gesanges“, dass auch andere Choräle gesungen werden durften.
(Anlage 47)
Pfarrer Struve regte an, auch eine Gottesdienstordnung für die Einführung eines Organisten und Lehrers zu entwerfen. (Sb 6 S. 108)

Kein Perikopenzwang
Das Konsistorium hatte der Synode eine andere, für den Gottesdienst wesentlichere Vorlage gemacht, die von der Synode im Anschluss an die beschlossene Einführungsrevision behandelt wurde. In Zukunft sollte festgelegt werden, über welchen Text am Sonntag gepredigt werden sollte. Es gab zwei Perikopenreihen: eine sog. „alte“ traditionelle Lesereihe, das sog. „alte Evangelium“ und die „alte Epistel“, die seit Jahrhunderten in den Kirchen immer an demselben Sonntag verlesen wurde und seit 1872 eine zweite Lesereihe mit einem sog. „neuen Evangelium“ und einer „neuen Epistel“. Die Gemeinde wurde auf diese Weise mit mehr Bibeltexten vertraut gemacht, und die Pfarrer hatten zur Predigt eine größere Auswahl. Die Vorlage des Konsistoriums sah nun vor, dass vier Jahre lang hintereinander über die beiden Lesereihen gepredigt werden sollte. Im fünften Jahr sollten die Pfarrer einen Text zur Predigt frei wählen können. Dann begann die Perikopenreihe von vorne: altes Evangelium, alte Epistel, neues Evangelium, neue Epistel, freie Textwahl.

In der Aussprache erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Die debattierenden Pfarrer offenbarten, dass sie sich bisher an keine Predigtordnung gehalten hatten, sondern am liebsten natürlich über das alte, bekannte Evangelium predigten, zumal sie sich auf die Predigt vom Vorjahr über denselben Text stützen konnten. Pastor Struve hielt diesen bisherigen Zustand für besser, (Sb 8 S. 76) Pastor Runte war auch dafür, „dass wir bei der alten Freiheit bleiben“, (ebd) die Debatte dehnte sich über den nächsten Tag aus, Pastor Gerlich hielt ein flammendes Plädoyer für völlig freie Textwahl, so habe er es bisher an seiner Johanniskirche in Braunschweig gehalten, „mögen sich die Herren Weltlichen also klarmachen, was das heißt: ein Jahr lang immer über die Episteln predigen lassen und Jesus damit zu Gunsten seiner Jünger ausschalten.“ (Sb 9 S.80)
Erschrocken meldeten sich nun auch die „Weltlichen“ zu Wort, voran der Braunschweiger Oberbürgermeister Retemeyer, der nun auch gegen die Vorlage plädierte, ebenso wie Oberamtsrichter Kunze aus Salder, ihm folgte Kirchenpatron v. Grone, ebenfalls ablehnend, und Mühlenbesitzer Becker aus Sickte: „Ich bin der Meinung, dass man den Pastoren mehr Freiheit in der Wahl der Texte geben müsste, damit sie die Texte dem in Stadt und Land verschiedenen Auffassungsvermögen der Gemeinde anpassen könne.“ (Sb 9 S. 83) Vergeblich meldete sich Oberkonsistorialrat Moldenhauer sechs Mal in der Aussprache zu Worte. Die Vorlage beruhe auf einer Bittschrift des Landespredigervereins, dem Subjektivismus müsse eine Ordnung entgegengesetzt werden, die der Gemeinde nicht vorenthalten werden dürfte. Retemeyer schlug vor, die Synode möge beschließen, dass die Kirchenregierung die Vorlage zurückziehe. Erst nach Annahme dieses Antrages zog die Kirchenregierung ihre gut gemeinte Vorlage zurück.

Gottesdienstordnung bei einer Feuerbestattung
Noch am selben Tage wurde eine weitere gottesdienstliche Vorlage in der Synode behandelt.
In der Stadt Braunschweig war ein unter kirchlicher Verwaltung stehender zentraler Friedhof und auf ihm auch ein Krematorium errichtet worden. Der Landtag hatte am 19.12.1910 ein Gesetz zur Feuerbestattung verabschiedet. (Amtsblatt 1911 S. 5 Nr. 1449 Gesetz die Feuerbestattung betreffend) Die a.o. Synode von 1911 hatte den Synodalausschuss beauftragt, nötigenfalls eine vorläufige Ordnung zu erstellen. Daraufhin war dem Synodalausschuss vom Konsistorium eine Gottesdienstordnung zugegangen, die liturgischen Unsicherheiten bei den beteiligten Pfarrern vorbeugen sollte. Diese vorläufige Ordnung war im Amtsblatt veröffentlicht worden. (Amtsblatt 1912 S. 35 Nr. 1560 Verfügung die amtliche Beteiligung der Geistlichen bei Feuerbestattungen betreffend) Danach wurde die amtliche Beteiligung bei Feuerbestattungen den Geistlichen freigestellt. Die Trauerfeier konnte im Trauerhaus oder im Krematorium stattfinden. Dabei war alles zu vermeiden, „was als kirchliche Billigung der Feuerbestattung erscheinen kann“. (ebd. S. 36)
Die Feuerbestattung störte die plastische Vorstellung von einer leiblichen „Auferstehung von den Toten“. Wenn mit der Feuerbestattung „eine kirchenfeindliche Demonstration“ verbunden wäre, sei eine geistliche Mitwirkung zu versagen. Andrerseits sei ein Begräbnisgeläut vor der Feuersbestattung möglich, auch eine häusliche Andacht, bevor die Leiche zum Krematorium transportiert werde.
Nun wurden diese Gottesdienstordnung und die vorangehende Verfügung der Landessynode vorgelegt. (Anlage 17) Sie schloss sich eng an die agendarische Begräbnisordnung an. Auf einleitende biblische Voten und einen Psalm folgte eine Ansprache, danach Gebet, Vaterunser, Segen. „In der Trauerrede hat der Geistliche die christliche Hoffnung auf eine Auferstehung der Toten und ein ewiges Leben hervorzuheben“. Eine Beteiligung bei einer Urnenbestattung war nur in Ausnahmefällen nach Genehmigung des Konsistoriums vorgesehen.
Eine theologische Grundsatzaussprache kam bei diesem Gesetz nicht mehr zustande, sie hatte bereits in den Vorjahren stattgefunden, und die Landeskirche hatte sich schrittweise mit einer geistlichen Begleitung bei der sog. Feuerbestattung abgefunden.
Aber der Kommissionsreferent Gerlich erläuterte ausführlich den Wunsch der Minderheit der Kommission, dass in der Verfügung des Konsistoriums alles unterbleiben möge, was als eine kirchliche Bekämpfung der Feuerbestattung erscheinen konnte, nämlich die Bemerkung, dass ein Pfarrer alles unterlassen solle, „was als kirchliche Billigung der Feuerbestattung erscheinen kann“. Die Kirche habe mehr und mehr einen Rückzug antreten müssen, was nicht zur Hebung ihres Ansehens in der Öffentlichkeit beigetragen habe, deswegen wäre ein neutraler Standpunkt das beste. (Sb 9 S. 85) Vergeblich. Die Verfügung von 1912 mit ihrem polemischen Schnörkel blieb in Kraft.

Die Frauenfrage
In einer Bittschrift hatten die Ortsgruppen des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes von Braunschweig und Wolfenbüttel angeregt, den Frauen das aktive und passive kirchliche Wahlrecht (nicht etwa das politische) einzuräumen. Die kirchlich-soziale Frauengruppe Blankenburg hatte sich mit Einschränkungen dieser Forderung angeschlossen. Die synodale Kommission hatte leicht herablassend den „erfreulichen Wunsch der Frauen, der Kirche mehr zu dienen und in ihr wirksamer tätig zu sein“, begrüßt (Sb 12 S. 195) und angeregt, zunächst einmal die in der Kirchengemeindeordnung empfohlenen Frauenausschüsse in den Kirchengemeinden zu installieren. In der kurzen Aussprache unter den Männersynodalen sprach sich wie schon im Synodalausschuss keiner für ein kirchliches Frauenwahlrecht aus. Ängstlich hatte Pastor Ziegeler bemerkt, dadurch könne nicht selten ein Riß in das Familienleben hineingebracht werden. (Sb 12 S. 116) Selbst der Antrag von Pastor Runte, wenigstens ein Frauenwahlrecht für die Bildung von kirchlichen Frauenausschüssen zu gewähren, lehnte die Synode ab. Fünf Jahre später feuerte dasselbe Konsistorium die Frauen in den Kirchengemeinden an, von ihrem über Nacht zugesprochenen politischen Wahlrecht zahlreich Gebrauch zu machen.

Zustimmung zum Gemeindeschulgesetzt

Geistliche Schulaufsicht hieß das Reizwort, das wohl weniger den praktischen Schulalltag betraf, aber die Möglichkeit einer unangemessenen strukturellen Einmischung der Ortskirche in das Schulleben bezeichnete. Das Ende der geistlichen Schulaufsicht stand auf der Wunschliste der Braunschweiger Lehrerschaft ganz oben.
Tatsächlich war das Verhältnis Kirche-Schule bereits entzerrt. Das Gesetz über die Gemeindeschulen auf dem Lande (1851) nahm die Kommunalgemeinde in die Pflicht, ihre Dorfschule zu unterhalten und dem Dorfschullehrer sein mageres Gehalt auszuzahlen. Jede Dorfschule erhielt einen Schulvorstand, dem der Pfarrer, der Gemeindevorsteher, ein Mitglied des Kirchenvorstandes und des Gemeinderates angehörte und der Lehrer beratendes Mitglied wurde. Das war bereits ein Ergebnis des republikanischen Aufbruches von 1848. Der Ortspfarrer wurde der nächste Vorgesetzte, aber nur auf dem Lande, in der Stadt war es ein Schuldirigent. Ab 1868 gab es Lehrerinnen an den Gemeindeschulen und ein Gesetz von 1873 legte ein gestaffeltes Gehalt je nach der Einwohnerzahl des Dorfes fest.

Zum 75. Bestehen des Landeslehrervereins 1903 hatte der kirchlich engagierte Kantor und Lehrer Bebenroth aus Warle in Wolfenbüttel einen auf große Begeisterung stoßenden Festvortrag gehalten, in dem er folgende zukunftsweisende Thesen aufstellte: Die Schule wäre nicht mehr in erster Linie eine kirchliche Bildungsanstalt, die Lehrerschaft hätte sich zu einem Stande entwickelt, der befähigt, ihre pädagogische Aufgabe selbständig zu erledigen. Die Erziehungs- und Bildungslehre habe sich zu einem „Sondergebiet umfassender Kenntnis“ entwickelt. Die Herrschaft der Kirche wäre daraufhin im Bildungswesen immer mehr zurückgegangen. Die geistliche Schulaufsicht wäre daher nicht mehr zeitgemäß und der Bedeutung und den Bedürfnissen des Volksschulwesens nicht mehr angemessen. Deshalb sollten hauptamtliche Bezirksschulinspektoren eingerichtet werden, die geistliche Ortsschulpflicht entfallen, sämtliche vielklassigen Schulen einem Hauptlehrer und das gesamte Volksschulwesen einer besonderen Oberbehörde unterstellt werden. In einer Schulsynode sollte die Verbindung zwischen Schule und Volk gepflegt werden.
Das breit angelegte Referat machte Stimmung und Forderung in der Braunschweiger Lehrerschaft deutlich. Die Lehrerschaft wünschte die vollständige Trennung von der Kirche. wie sie in anderen Ländern, z.B. in der Hansestadt Hamburg und in dem in vieler Hinsicht mit dem Herzogtum Braunschweig vergleichbaren Herzogtum Coburg durchgeführt war.
Zehn Jahre lang wurde nun das Thema der geistlichen Schulaufsicht in den kirchlichen Blättern und im Neuen Schulblatt scharf kontrovers behandelt. Weder die herzogliche noch die kirchliche Gewalt waren zu einer Trennung bereit aus Furcht, der Charakter der Gemeindeschulen und die Lerninhalte könnten sich verändern und die Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche fördern, wie sie bereits bei den höheren Schulen unübersehbar geworden war, die ausnahmslos nicht kirchlich gebunden waren.

Nach zehn Jahren wurde im April 1913 ein neues Gemeindeschulgesetz im Landtag verhandelt. Vor der Schuldebatte sammelten sich 800 Mitglieder des Braunschweiger Lehrervereins in Braunschweig zu einer Kundgebung, um noch einmal ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ihr Sprecher Otto Böse forderte, dass der Schulvorstand (in dem ja der Pfarrer Vorsitzender war) kein Recht hätte, dem Unterricht beizuwohnen, Bezirksschulinspektoren sollte aus dem Kreis der Lehrer gewählt werden und nicht etwa aus dem Kreis der Superintendenten, die Aufsicht über den Religionsunterricht sollten die Bezirksschulinspektoren ausüben, und das gesamte Volksschulwesen einer ministeriellen Abteilung wie in Preußen unterstellt werden.

Dem Landtag lag im Februar 1913 ein umfangreiches Gemeindeschulgesetz vor, das er nach 16 Sitzungen in zwei Lesungen am 15. März 1913 beschlossen hatte. Darin sollte die berüchtigte geistliche Schulaufsicht beendet werden, so hoffte die Lehrerschaft. Es war ein umfangreiches Gesetzeswerk, das einige weitere Reformen in den Gemeindeschulen des Herzogtums durchführte. So wurde die Aufsicht über die Schulen den Superintendenten genommen und neu eingeführten Bezirksschulinspektoren übertragen. Das rechtlich verwickelte Schulvermögen (Opfereivermögen), das sich aus kirchlichem und schulischem Eigentum zusammensetzte, wurde teilweise entflochten. Der Fächerkanon wurde modernisiert, mit zahlreichen alten Schulgesetzen gründlich aufgeräumt.

Aber der Regierung gelang nicht der entscheidende Durchbruch zu einer förmlichen Trennung von Schule und Kirche, wie er längst in anderen Ländern durchgeführt worden war. Sie wollte ihn auch gar nicht, Kultusminister Wolff stellte in der allgemeinen Aussprache in der Landesversammlung fest: „Das Gesetz gründet sich auf dem Willen der Regierung, dem Lande seine evangelisch-lutherischen Gemeindeschulen zu erhalten. Wir wollen unsere konfessionellen Schulen behalten und wollen die weitere Gestaltung des Schulwesens in der Weise bewirken, dass sie überall verbunden sein muss mit der Eigenart einerseits und dem praktischen Bedürfnis andrerseits“. (Verhandlungen der Landesversammlung 1912/1913 Sitzungsberichte (Sb) 39 S. 767) und etwas später ebenso deutlich: „Ein weiteres Abrücken des Gesetzes von der Mitwirkung des geistlichen Standes, ist ausgeschlossen (lebhafter Beifall). Ich bitte, in dieser Richtung sich keinen Hoffnungen hinzugeben“. (ebd. S. 768)
Als der Abgeordnete und Pastor Broistedt monierte, dass das Gesetz ohne Mitwirkung der Landessynode zustande gekommen sei, reagierte der Kultusminister gereizt, die Landessynode habe mit dem Gesetz als solchem nichts zu tun. Das Konsistorium habe sich schriftlich und mündlich gegenüber dem Staatsministerium geäußert und sogar unmittelbaren Vortrag vor dem Herzog-Regenten gehalten. (ebd Sb 41 S. 811)

Tatsächlich war die Rolle des Konsistoriums im Gesetz sehr häufig präsent. Von einer Absicht, die geistliche Schulaufsicht zu beenden, war nichts zu lesen. Anstatt die Aufsicht über das gesamte Volksschulwesen in das Ministerium zu verlagern, wie es längst für die Gymnasien des Landes galt, wurde dem Konsistorium die Oberaufsicht übertragen, das dadurch weiterhin den hässlichen Eindruck eines verlängerten Verwaltungsarmes des Staatsministeriums behielt, ohne eigene schulpolitische Vorstellungen entwickeln und durchsetzen zu können. In nicht weniger als 21 Paragrafen wurde das Konsistorium in verschiedenen Aufgaben und Positionen genannt. (In den §§ 1, 9, 16, 19, 20, 28, 31, 32, 33, 34, 37, 39, 40, 41, 44, 56, 57, 58, 66 des Schulgesetzes). Der § 35 beschrieb die tragende Rolle: „Die Leitung des gesamten Gemeindeschulwesens und demgemäß die Aufsicht über die Gemeindeschulen, ihr Vermögen und das ungeteilte Vermögen der Schul- und Opfereistellen, den Schulbetrieb, die Lehrkräfte und die örtlichen wie die Bezirksschulbehörden liegt dem Konsistorium ob, dem stets ein im Schulwesen besonders bewährtes Mitglied angehören muss.“ (Landeskirchliches Amtsblatt 1913 Nr. 1648 S. 58)

Diese Rolle des Konsistoriums war in der Landesversammlung keineswegs unbestritten. Gleich zu Beginn der allgemeinen Aussprache spießte der Abgeordnete v. Dähn, Rechtsanwalt in Braunschweig, das Problem der Schulaufsicht durch das Konsistorium auf und kritisierte die Inkonsequenz, dass die Landesregierung zwar das Oberaufsichtsrecht für sich beanspruchte, unterhalb des Konsistoriums zur Fachaufsicht über die Dorfschulen Bezirksschulinspektoren einrichtete, den Vorsitz im Schulvorstand wiederum dem Ortspastor beließ. Das war eine Kompromisskonstruktion, die nicht mehr praktikabel erschien.

In der Aussprache der Landesversammlung wurde auch gefragt, warum das Staatsministerium nicht eine Schulbehörde als Unterabteilung des Kultusministeriums einrichte. Es wurde sogar ein Antrag auf Beseitigung des Konsistoriums als Schulbehörde gestellt; (ebd Sb 48 S. 991) daraufhin machte Minister Wolff Kostengründe geltend und eine für ihn zwingende ministerielle Unabhängigkeit von der Behörde, in diesem Falle des Konsistoriums.

Besonders eng und sichtbar wurde die Verbindung Landeskirche und Staat bei der Schulpflicht der 6-14 Jährigen, denn in diese Schulpflicht wurde auch die kirchliche Kinderlehre einbezogen. „Für Kinder evangelisch-lutherischen Bekenntnisses in den Landschulen erstreckt sich die Schulpflicht auch auf die Teilnahme an der für den Schulort bestimmten kirchlichen Kinderlehre der Landeskirche.“ (Landeskirchliches Amtsblatt 1913 S. 42 § 14,3) Diese Gottesdienstpflicht war, wie einige Abgeordnete betonten, in den Städten überhaupt nicht durchführbar, sie galt auch nicht für die Kinder in den Bürgerschulen, die sich ebenfalls meist in den Städten befanden. Die Zwangskinderlehre hatte sich überholt, weil sie auch auf dem Lande längst zusammengebrochen war, das Freizeitverhalten der Kinder sich geändert hatte, die Pastoren in altersgemäßen Methoden ungeübt waren und seit mehr als 20 Jahren es bereits eine Kindergottesdienstbewegung gab. Geklagt wurde über die zunehmende Verrohung und Widerspenstigkeit von Jugend und Kindern. Selbst der reformfreudige Pädagoge und Fachmann Seminardirektor Everlien, den die Regierung zu den Sitzungen der Landesversammlung gebeten hatte, berichtete: „Wenn ich heute durch die Straßen des Dorfes gehe, fällt mir auf, dass der Geist der Ordnung, der Geist des Respekts und der Geist der Ehrfurcht der Jugend doch wesentlich gewichen ist.“ (Sb 58 S. 118) Das Wort von der Verrohung der Jugend sei an der Tagesordnung, aber es müsse auch von der Verrohung der Alten gesprochen werden.“

Ein anderes Feld, auf dem die Verbindung von Kirche und Schule bedrückend sichtbar wurde, blieb trotz der Einrichtung eines Küsteramtes seit 1902 der Pflichtkirchendienst vieler Lehrer. Jeder Dorfschullehrer war verpflichtet, im Kirchendienst des Herzogtums Aushilfe zu leisten (§ 44). Mehr noch: in den rund 140 Stellen, in denen Opferei- und Kirchenstelle fest verbunden waren, war „jeder Lehrer verpflichtet, in seiner Kirchengemeinde den Opfereidienst und, wenn er dazu geeignet war, auch den Organistendienst zu übernehmen.“ (Landeskirchliches Amtsblatt 1913 S. 68 § 50) Das war allerdings auch finanziell eine kleine Entlastung der nicht üppigen Vergütung eines Dorfschullehrers, dessen Anfangsgehalt mit 1.410 M begann, sich im 7. Jahr auf 1.800 gesteigert hatte und ein Endgehalt von 3.300 M erreichte. Die Entschädigung betrug für den Kirchendienst alle Sonntage vormittags und nachmittags jährlich 450 M und ohne Nachmittagsgottesdienst 360 M. Trotzdem blieb die Pflicht zum Kirchendienst ein Streitpunkt.

Daher blieb die Enttäuschung in Lehrerkreisen über dieses Gemeindeschulgesetz groß, zumal große Hoffnungen in sie gesetzt wurden und die Lehrerschaft dafür auch mobilisiert worden war.
Vor der Schuldebatte hatten sich 800 Mitglieder des Braunschweiger Lehrervereins in Braunschweig zu einer Kundgebung versammelt, um noch einmal ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ihr Sprecher Otto Böse forderte, dass der Schulvorstand (in dem ja der Pfarrer Vorsitzender war) kein Recht hätte, dem Unterricht beizuwohnen, Bezirksschulinspektoren sollte aus dem Kreis der Lehrer gewählt werden und nicht etwa aus dem Kreis der Superintendenten, die Aufsicht über den Religionsunterricht sollten die Bezirksschulinspektoren ausüben, und das gesamte Volksschulwesen einer ministeriellen Abteilung wie in Preußen unterstellt werden. Das waren keine neuen Forderungen.

Die Landesversammlung hatte am 15. März 1913 dem Gesetz mit 41:6 Stimmen zugestimmt und der Herzog-Regent Johann Albrecht samt seinen Ministern das Gesetz am 5. April 1913 unterzeichnet. Am 7. April ließ Kultusminister Wolff der Landessynode „den Entwurf eines Kirchengesetzes zu einzelnen Bestimmungen des Gesetzes über die Gemeindeschulen mit dem Ersuchen zugehen, die kirchenverfassungsmäßige Zustimmung zu dem Entwurf des Kirchengesetzes zu erteilen“ (Anlage 25)
Wenn die Zustimmung der Landessynode dem Verständnis des Staatsministeriums nach kirchenverfassungsmäßig zwingend notwendig war, hätte es anständigerweise die Verhandlungen in der Landessynode abwarten müssen, bevor es unterzeichnet wurde.

Das hätte eine grundlegende Aussprache über das Verhältnis von Kirche und Schule sein können.
Aber der Landessynode war also nicht das ganze Gesetzeswerk, sondern nur drei Paragrafen ( § 50, 58, 71 ) vorgelegt worden. (Anlage 25 Kirchengesetz) Schon diese Auswahl war problematisch. Das Gemeindeschulgesetz wimmelte ja von Paragrafen, die die Landessynode angingen. Schon der Grundsatzparagraph 3 über die Aufgaben wäre eine Aussprache wert gewesen: „Die Gemeindeschulen haben als die Volksschulen des Herzogtums die Aufgabe, der schulpflichtigen Jugend unter ständiger Fürsorge für ihre körperliche Wohlfahrt durch Erziehung und Unterricht die Grundlagen christlicher und vaterländischer Bildung und die für das bürgerliche Leben notwendigen allgemeinen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verschaffen“. (Landeskirchliches Amtsblatt 1913 S. 36) Dieser Grundsatzartikel sprach nicht von „evangelisch-lutherischen Gemeindeschulen“; die konfessionelle Bezeichnung fehlt an dieser entscheidenden Stelle und kam überhaupt im Gesetz äußerst selten vor. Nur im § 1, der den Geltungsbereich des Gesetzes umschrieb, hieß es: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf die evangelisch-lutherischen Gemeindeschulen im Herzogtum Anwendung.“ (Landeskirchliches Amtsblatt 1913 S. 35) Waren die Braunschweiger Dorfschulen wirklich, wie es später immer wieder beteuert wurde, evangelische Bekenntnisschulen? Wenn dies so wäre, dann wäre das vorliegende Gemeindeschulgesetz tatsächlich ein Schritt hin zu einer allgemeinen Volksschule, gewiss für den Lehrerverein ein viel zu kleiner und für den Volksfreund nichts als eine „Schulverpfaffung“,

Die wenigen Paragrafen waren in der Kommission vorberaten worden, und der Synodale Struve beklagte bei seiner Einbringungsrede, dass das Gesetz bereits Gesetzeskraft erlangt hätte. „Wir werden uns im großen und ganzen mit dem von dem Landtage beschlossenen Gesetz einverstanden erklären müssen“, ( Sb 11 S. 101) stellte er resigniert fest, und er hätte es begrüßt, wenn „eine reinliche Scheidung zwischen dem, was der Schulgemeinde zukommt und dem, was der Kirche gehört, vollzogen worden wäre.“ Diese Unterlassung entwickelte in der Weimarer Zeit eine kirchen- und schulpolitisch verhängnisvolle Kraft, die die nationalsozialistische Landtagsfraktion agitatorisch erfolgreich ausnutzte.

Die Landessynode verzichtete auf eine allgemeine Aussprache. Der Kultusminister Wolff meldete sich in der kurzen Debatte sieben Mal kritisch zu Wort, drang darauf, die Aussprache nicht auszuweiten und bemerkte zum Religionsunterricht, den die Landeskirche als ihr eigenes Revier ansah, schließlich spitz: „In der kirchlichen Presse ist betont, dass der Religionsunterricht ausschließlich Sache der Kirche sei. So liegt die Sache aber nicht. Das Schulwesen ist staatlich, doch hat die Kirche ein lebhaftes Interesse an der Schule und namentlich am Religionsunterricht. Was die innerreligiöse Gestaltung des Unterrichts anlangt, so hat der Staat vor der Kirche zurückzutreten, was aber die pädagogische und schultechnische Seite anlangt, so hat die staatliche Aufsicht einzutreten (...) Ich möchte übrigens zu der rechtlichen Seite bemerken, dass die Synode zwar Wünsche äußern kann, aber die Wahrung der Rechte ist in diesem Falle lediglich Sache des Konsistoriums.“ ( Sb 11 S. 109) Das klang nicht nur wie ein Maulkorb und nach Ende der Aussprache, sondern legte auch die Grenzen der Wirksamkeit der Landessynode bloß.
Es wurden auch unterschiedliche Auffassungen über schulpolitische Grundsätze offengelegt. Die Lutheraner interpretierten den § 3 als Beschreibung der Gemeindeschule als christliche Volksschule, gerade diese Aussage vermied aber der § 3.
Die magere Aussprache in der Landessynode mochte darin liegen, dass die kirchliche Rechte und das Konsistorium mit dem Erreichten zufrieden waren, und der Minister eine ausführliche Aussprache nicht wünschte. Außerdem gab es in der Landesynode nur einen Pädagogen, den Braunschweiger Schuldirektor Rehkuh, der sich indes viermal zu Worte meldete. Der Minister hatte sich geärgert, dass die Kommission eine Abänderung des Gesetzes bei der Entschädigung des Kirchendienstes vorgeschlagen hatte, deren Regelung sich nach den örtlichen Gegebenheiten richten und vom Kirchenvorstand entschieden werden sollte. Rehkuh widersprach aus seiner früheren Erfahrung als Organist auf dem Lande dem Minister und pflichtete dem Kommissionsantrag bei. Ein anderes Mal bemängelte er die Konstruktion der dreifachen Aufsicht des Religionsunterrichtes durch den Bezirksschulinspektor, den Superintendenten und das Konsistorium. Eine Aufsicht durch den Superintendenten hielte er für „vollkommen überflüssig“. „Haben Sie doch etwas Zutrauen zu den Lehrern“. (ebd S. 110) Dadurch provozierte er die grundsätzliche Bemerkung des Ministers, der noch einmal hervorheben wollte, „dass eine schroffe Scheidung nicht möglich ist, denn dazu liegen zu viele Berührungspunkte vor.“ Die nicht vorgenommene Trennung von Schule und Kirche hatte also durchaus auch in der Absicht des Staatsministeriums gelegen.

Liberale Theologen hingegen drängten auf endgültige Trennung von Schule und Kirche. Das Gesetz bildete einen Kompromiss, der nicht weiterführte und hinter der Entwicklung in anderen Ländern weit hinterherblieb.

Keine Reform des Katechismus

Die „Freunde der evangelischen Freiheit“ hatten eine Bittschrift an die Landessynode gerichtet, den gebräuchlichen Katechismus von Abt Ernesti zu beseitigen, es bei den Kleinen Katechismus von Luther zu belassen und einige Sprüche, Kirchenlieder und Gebete hinzuzufügen.

Der Katechismus von Heinrich Friedrich Theodor Ernesti (1814-1880)
Der Katechismus von Ernesti war im Dezember 1858 erstmals und danach in vielen weiteren Auflagen erschienen. Er war „mittels Landeskirchlicher Verordnung in sämtlichen Kirchen, Schullehrseminaren und Gemeindesschulen des Herzogtums eingeführt“. Heinrich Ernesti, gebürtiger Braunschweiger, 1814 geboren, hatte Gemeindeerfahrung an der Andreaskirche in Braunschweig und an der Hauptkirche in Wolfenbüttel gesammelt und die Unzuträglichkeiten des zwei Jahrhunderte geltenden Katechismus von Justus Gesenius erlebt. Seit 1850 arbeitete er als Konsistorialrat in der Kirchenbehörde und hatte die Gemeinde fest im Blick beim Gesetz über die Kirchenvorstände (1851) und der Einführung der Synodalverfassung (1869).

Sein Katechismus wollte die geltende lutherische Kirchenlehre mit einer persönlichen Ansprache an die damaligen Jugendlichen verbinden. Die Du-Anrede war damals neu und in seinem Katechismus vorherrschend. „Nach wem heißt du ein Christ?“ war die erste Frage. Frage 5: „Worin beruht die Seligkeit, welche du als Christ erlangen kannst?“ Es folgen Fragen zur Bibel „als sicherste Unterweisung zur Seligkeit“ (Frage 17) und auf die Frage „Wie mußt du die Bibel lesen, daß du dadurch zur Seligkeit unterwiesen werdest?“ lautete die Antwort: „Heilsbegierig, fleißig und mit Andacht, ehrfurchtsvoll, besonnen und mit Eifer, dem Worte Gottes treulich nachzuleben.“ (S.17) Auf diese Einleitung mit insgesamt 27 Fragen folgen 182 Fragen und Antworten zu den Zehn Geboten, 203 Fragen und Antworten zum Glaubensbekenntnis, 74 Fragen und Antworten zum Vaterunser, 39 zur Taufe und 84 Fragen und Antworten zum Abendmahl, danach eine Sammlung von Gebeten morgens, abends und zu Tisch, eine Art Haustafel, gedacht für eine Hausgemeinde sowie eine Darstellung des Kirchenjahres.
Die vorformulierten Antworten enthielten eine komplette lutherische Dogmatik. „Wodurch hat Christus dich erlöst und erlöst er dich noch?“ „Nicht mit Gold oder Silber“ - wohl aber durch alles, was er kraft seines dreifachen Amtes als der rechte Prophet, Priester und König getan hat und immerfort tut“. „Worin besteht sein prophetisches Amt?“ Das angesprochene „dreifache Amt Christi“ stammte aus der nachlutherischen Dogmatik. „Wo lernst du denn nun, wie du Christ eigen werden und bleiben und sein Heil erlangen kannst?“ „Das lerne ich im dritten Artikel, welcher von der Heiligung handelt.“
Auf die Antworten folgten sehr viele Bibelzitate, von denen einige unterstrichen und offenbar auswendig zu lernen sind.
Mit diesem Katechismus von Ernesti wurden die Schülerinnen und Schüler der evangelischen Volksschule in Stadt und Land unterrichtet und traktiert. Es war das staatlich legitimierte Religionsbuch, das ein Lehrer oder Pfarrer schlecht umgehen konnte. Man spürt die Rohrstockpädagogik, die die Schüler disziplinieren sollte mit dem Ziel: stille sitzen, gerade sitzen, gehorchen, vorformulierte Antworten aufsagen, beten, etwas lesen und schreiben.
Die Zeiten hatten sich seit 1851 durch die Bevölkerungsexplosion und die dadurch hervorgerufenen völlig überfüllten Klassen, den erhöhten Bildungsanspruch und das vermehrte Freizeitangebot drastisch geändert. Die Antragsteller der Freunde der evangelischen Freiheit wollten mit ihren Vorschlag darauf reagieren und das ganze Frage und Antwort-System im Katechismus Ernestis beseitigen. Aber sie rührten an die Autorität einer hoch geachtete Persönlichkeit, der die Landeskirche viel zu verdanken hatte.

Die Debatte in der Synode
Die Synode hatte den Antrag an eine Kommission überwiesen, von deren fünf Mitglieder drei (Gronau, Knopf, Schomburg), eine lutherische Mehrheit, den Antrag rundweg ablehnte und deren Minderheit (zwei Mitglieder: Gerlich, Rehkuh) ihn ausdrücklich und begründet befürwortete.
An den beiden letzten Tagen der Synode prallten die Gegensätze in elf Redebeiträgen am vorletzten und zehn Beiträgen am letzten Tag unversöhnlich gegeneinander. Sprecher der auf dem Zustand einer evangelischen Bekenntnisschule verharrende Mehrheit war der 54 Jährige Kommissionsvorsitzende Superintendent Carl Gronau aus Lehre, wo er seit 17 Jahren tätig war.
Der Braunschweiger Oberbürgermeister Retemeyer zog am Ende der Debatte folgendes Resume: „Wenn man die zweitägige Debatte überblickt, wo scharf für und gegen den Katechismus gesprochen worden ist, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Schule den Schaden haben wird. Der ganze Kampf auch in der Presse wäre vermieden worden, wenn das Konsistorium die Synode mit einem fertigen Entwurf überrascht hätte.“ Retemeyer brachte folgenden Vermittlungsantrag ein: „Es wolle unter Hinzuziehung von Sachverständigen aus dem Kreise der Geistlichen und der Lehrerschaft eine Umarbeitung des Landeskatechismus vorgenommen werden, der „unter Wahrung der kirchlichen Interessen den berechtigten Forderungen der Schule Rechnung“ trage. (Sb 14 S. 134) Auch dieser Vermittlungsantrag prallte am angemaßten Wahrheitsanspruch der lutherischen Synodalmehrheit ab. Es blieb beim pädagogisch sinnlosen, aber hochverehrten Katechismus vom Abt Ernesti.

Der Streit um das Glaubernsbekenntnis
In eine ähnliche Richtung wie der Antrag der Freunde der evangelischen Freiheit ging der Antrag des Synodalen Kunze. Er wünschte sich im Gottesdienst, bei der Taufe und Konfirmation etwas mehr intellektuelle Redlichkeit beim Aufsagen und Beten des Glaubensbekenntnisses und schlug eine allgemeine Fassung der Einleitungsworte vor. Er wollte die Gottesdienstbesucher, die Paten bei der Taufe und die Konfirmanden bei der Konfirmation von einem seiner Meinung nach unzumutbaren persönlichen, wörtlich verstandenen Bekenntnis befreien.
Obwohl die Synodalen von der vorhergehenden Debatte um den Katechismus Ernestis schon erschöpft sein konnten, löste der Antrag Kunzes noch 16 Debattenbeiträge aus. Wieder standen sich schroff das orthodoxe und liberale Lager gegenüber, und die orthodoxe lutherische Mehrheit schmetterte auf Antrag der Kommission den Antrag Kunzes ab.

Kaum war die Synode am 7. Mai 1913 zu Ende, rüstete Braunschweig zu dem Großereignis, das, vor vielen Kirchen noch heute sichtbar, damals auf einem Findling in Stein gehauen wurde: die Silberhochzeit des Kaiserpaares am 24. Mai 1913 und die Trauung des Welfenprinzen mit der Kaisertochter im Berliner Dom. Die beiden Paare machten die Festivitäten, wie die Braunschweiger sagen, „in einem Abwasch ab“. Da 1913 zugleich die hundertjährige Wiederkehr der Völkerschlacht von Leipzig und die glückliche Wende in den Befreiungskriegen festlich begangen wurde, vermischten sich glorreiche Vergangenheit und glorreiche Gegenwart zu einer für viele Zeitgenossen unvergesslichen Zeit. Am 2. Mai 1913 wurde aus diesem Anlass ein Findling auf dem Kirchplatz von Volkmarsdorf bei Vorsfelde errichtet. Zum Feldgottesdienst waren Landwehr- und Schützenverein aufmarschiert. „Der Denkstein, ein großer Findling aus unserer Feldmark, war mit viel Mühe und Anstrengung aufgerichtet. Er trägt als Inschrift die Worte E. M. Arndts „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“. Nach der Weihe sprachen Ehrenjungfrauen Gedichte zur Erinnerung an die Freiheitskriege. Mit einer dreimaligen Gewehrsalve und einem Hoch auf den Kaiser und den Regenten endete die Feier auf dem Festplatz“. Danach gemeinsames Essen in der Gastwirtschaft, wo die Schulkinder noch einige Theaterstücke aufführten. „Die schöne Feier wird unseren Einwohnern unvergesslich bleiben“. (Braunschweigisches Volksblatt Ausgabe Vorsfelde 11.5.1913) Solche Findlinge wurden vor zahlreihern Dorfkirchen errichtet.

Es war, was keiner ahnen konnte, die letzte Landessynode in Friedenszeiten. Die nächste Synode, die turnusmäßig vier Jahre später im Jahre 1916 stattfand, sollte verschoben werden. Das Herzogtum befand sich seit 1914 unter dem in Hannover stationierten Heereskommando. Aber aus der Verschiebung wurde nichts.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk