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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die sechste außerordentliche Landessynode 1916
Die Kriegssynode


Quelle: Verhandlungen der durch die Landesfürstliche Verordnung vom 17. Oktober 1916 Nr. 53 berufene außerordentliche Landessynode des Herzogtums Braunschweig eröffnet am 28. November und geschlossen am 1. Dezember 1916.

Die Vorgeschichte
Gesetzmäßig hätte zu diesem Zeitpunkt nach vier Jahren wieder eine ordentliche Landessynode zusammentreten müssen. Es stand auch die Mehrzahl der Synodalen der vorangegangenen Synode von 1912 zur Verfügung und nahmen an der a.o. Synode teil, insgesamt 24 Abgeordnete.
Aber der Synodalausschuss hatte ein Schreiben vom 31. Juli 1916 des Konsistoriums erhalten, wonach der Herzog gnädigst geruht habe, eine 12. ordentliche Synode erst für 1920 einzuberufen oder zu einem früheren Zeitpunkt nach dem siegreichen Ende des Krieges. (LAW Syn 21) Eine Absprache mit dem Synodalausschuss hatte offenbar nicht stattgefunden. Eine außerordentliche Synode sollte nur zu dem Zweck einberufen werden, um diese zu vertagen.
Es war immerhin die erste - und was keiner annahm - einzige Landessynode, die der junge Herzog Ernst August einberufen ließ. Die vorhergehende Synode 1912/13 hatte noch unter dem Prinzregenten Johann Albrecht von Mecklenburg stattgefunden. Dieser war im Herbst 1913 vornehm in die politischen Kulissen zurückgetreten und hatte dem Herzog Ernst August und seiner Frau Victoria Luise das unwirtliche Schloss am Bohlweg ohne Bedauern überlassen.

Synodalausschuss und Feierlichkeiten 1913
Am 9. Mai 1914 war die Taufe des ersten Kindes des jungen Paares mit viel Adelsprominenz in Anwesenheit des deutschen Kaiserehepaares begangen worden, sicherte doch die Geburt anders als zu Wilhelms Zeiten die Nachfolge des welfischen Thrones im Herzogtum. Es war den Synodalen übel aufgestoßen, dass sie bei der Einladung zu den ausgedehnten Feierlichkeiten anlässlich der Taufe übergangen worden waren.

Drei Monate nach der Taufe zettelten die Kriegsministerien von Rußland, Österreich und Deutschland einen Krieg an in der Hoffnung eines günstigen territorialen Ergebnisses, in Folge einer jahrelangen, vorausgegangenen Rüstung und einer düsteren Kriegshysterie in den bürgerlichen Kreisen. Durch den Eintritt Frankreichs und Englands in das Kriegsgeschehen weitete sich der Krieg sofort zu einem europäischen Krieg aus, und später zu einem Weltkrieg. Das Kaiserreich spielte schon lange vorher mit einer phantastischen territorialen und ethischen Geltung in der Welt, die am deutschen Wesen genesen sollte, obwohl es sich nach dem deutsch-französischen Krieg mit dem Besitz von Elsaß-Lothringen und Metz als Garnisonstadt als endgültig saturiert dargestellt hatte.
Der Herzog war auch in seiner Rolle als oberster Bischof im August 1914 an die Front gezogen, einige Räume des Schlosses waren in ein Lazarett umgewandelt worden. Das erhoffte rasche Kriegsende vor Weihnachten 1914 hatte sich als trügerisch erwiesen, auch Weihnachten 1915 war immer noch Krieg. Auf eine lange Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln war die Regierung in Berlin nicht eingestellt, es gab Proteste der Pfarrerschaft gegen Lebensmittelwucher und Kriegsgewinnler.
In dieser kritischen Situation trat die Synode im November 1916 zusammen.

Die Synode tagte unter dem Generalkommando Hannover.

Statt einer vom Konsistorium geplanten Vertagung blieb die Synode vier Tagen vom 28. November bis zum 1. Dezember 1916 zusammen.

Da verschiedene Synodale verstorben oder ausgeschieden waren, hatten Neuwahlen stattgefunden. In die Synode traten neun Synodale neu ein.

Namen der gewählten und berufenen Synodalen der 6. außerordentlichen Synode 1916

01. Albrecht, Heinrich, Vollmeier, Dölme, seit 1896.
02. Becker, Wilhelm, Mühlenbesitzer, Sickte, seit 1908.
03. Beste, Wilhelm, Stadtsuperintendent, Wolfenbüttel, seit 1911.
04. Beste, Johannes, Superintendent, Schöppenstedt, seit 1912.
05. Deecke, Karl, Amtsrat, Evessen, seit 1908.
06. Degering, Wilhelm, Generalsuperintendent, Braunschweig, seit 1896.
07. Drude, Generalsuperintendent, Gandersheim, neu.
08. Floto, August, Stadtdirektor, Wolfenbüttel, seit 1911.
09. Gerlich, Richard, Pastor, Braunschweig, seit 1908.
10. Gronau, Carl, Superintendent, Lehre, seit 1908.
11. v. Grone, Siegfried, Rittergutsbesitzer, Westerbrak, seit 1900.
12. Hartmann, Amtmann, Voldagsen, neu.
13. Heine, Fabrikdirektor, Teichhütte, neu.
14. Knopf, Robert, Superintendent, Holzminden, seit 1912.
15. Kulemann, Wilhelm, Landgerichtsrat a.D., Braunschweig, wieder eingetreten.
16. Kunze, Wilhelm, Oberamtsrichter, Salder, seit 1900.
17. Meier, Julius, Landwirt, Zweidorf, neu.
18. Meyer, Werner, Superintendent, Vorsfelde, seit 1908.
19. Nieß, Heinrich, Landwirt, Kl. Sisbeck, seit 1904.
20. Palmer, Ottmar, Superintendent, Blankenburg, neu.
21. Perl, Ernst, Pastor, Beierstedt, seit 1900.
22. Retemeyer, Hugo, Oberbürgermeister, Braunschweig, seit 1900.
23. Röttger, Friedrich, Gemeindevorsteher, Dannhausen, seit 1896.
24. Runte, Heinrich, Pastor, Braunschweig, seit 1911.
25. Schäfer, Ackermann, Wobeck, seit 1912.
26. Schomburg, Wilhelm, Forstmeister, Marienthal, seit 1908.
27. Graf v. d. Schulenburg, Blankenburg, seit 1912.
28. Schulz, Wilhelm, Superintendent, Geh. Kirchenrat, Halle a.d.W., seit 1886.
29. Semler, Geh. Justizrat, Rechtsanwalt und Notar, Braunschweig, neu.
30. Struve, Hermann, Pastor, Greene, seit 1900.
31. Witten, Oberlandesgerichtsrat, Braunschweig, neu, berufen.
32. Ziegeler, Wilhelm, Pastor, Wolfenbüttel, seit 1912.

Einige bewährte und profilierte Synodale wie Kreisdirektor Langerfeldt, Kommerzienrat Hauswaldt und Generalsuperintendent Wollemann waren in der Zwischenzeit verstorben, ebenso wie Gemeindevorsteher Bohnsack, Schuldirektor Rehkuh und Kreisdirektor Dannebaum. Kreisdirektor Boden war in das Staatsministerium eingetreten. Das Gelöbnis legten sieben gewählte Abgeordnete ab, nämlich Mühlenbesitzer Becker, Generalsuperintendent Drude, Gandersheim, Amtmann Hartmann, Voldagsen, Fabrikdirektor Heine, Teichhütte, Landgerichtsrat a. D. Kulemann, Braunschweig, Landwirt Julius Meier, Zweidorf, Superintendent Palmer, Blankenburg und Justizrat Semler, Braunschweig. Zudem war Oberlandesgerichtsrat Witten, Braunschweig, vom Herzog berufen worden. Mit dem inzwischen pensionierten Landgerichtsrat Kulemann war ein wegen seiner Initiativen bekannter ehemaliger Abgeordneter erneut in die Landessynode eingetreten.

Zum Vorsitzenden wurden durch Stimmzettel Floto, Degering und Schomburg als Kandidaten dem Herzog präsentiert und Floto als Vorsitzender und Degering als Stellvertreter „bestätigt“.
Der Synodalausschuss sollte fortbestehen, aber es wurden Ergänzungswahlen vorgenommen und für Langerfeldt, Floto, für Wollemann Gronau, Vertreter Beste, und für die Ausschussvertreter Dannebaum und Hauswaldt Kunze und Floto gewählt.

Es wurden außerdem in eine liturgische Kommission Gerlich, Gronau, Knopf, Kunze und Schomburg gewählt und in eine kirchenrechtliche Kommission Kulemann, Perl, v.d. Schulenburg, Struve und Ziegeler. Damit dokumentierte die Synode, dass es keine Vertagungssynode werden sollte, sondern eher eine ordentliche zwölfte Synode.

Termine und Themen

1. Sitzung 28. November 1916.
Eröffnungsansprache von Minister Wolff, Gelöbnis von acht neuen Synodalen, Wahl des Vorsitzenden und Stellvertreters und von zwei Kommissionen.

2. Sitzung 29. November 1916.
Eingaben; ausführlicher, schriftlicher Rechenschaftsbericht des Synodalausschusses; Bericht der kirchenrechtlichen Kommission.

3. Sitzung 30. November 1916.
kriegsbedingte Anträge, Jugendwehr.

4. Sitzung 1. Dezember 1916.
Kampf gegen die Unsittlichkeit;
Verschiedene Bittschriften abgesandt.

Hauptgegenstände du Hintergründe

Gruss an die evangelischen Landsleute im Felde
Die Tagung fand im dritten Kriegsjahr statt und das Kriegsgeschehen bestimmte viele Anträge und auch den Beginn der Tagung. Der Abgeordnete Pastor Runte verlas einen „Gruß an die evangelischen Landsleute im Felde“, in dem der Soldaten und ihrer Familien gedacht wurde. Der Gruß war von vaterländischen Übertreibungen frei und sprach auch nicht vom fälligen Sieg, sondern vom ehrenvollen Frieden. Er hatte folgenden Wortlaut.

„Beim Zusammentritt der Landessynode in dieser Kriegszeit gedenken wir in aufrichtiger Dankbarkeit unserer im Felde stehenden Brüder, die in Tapferkeit, Pflichttreue und Vaterlandsliebe für uns streiten. Wir senden ihnen treudeutschen Gruß und evangelischen Segenswunsch und geloben, ihnen betend und fürsorgend für ihre zurückgebliebenen Familienglieder treu zur Seite zu stehen und mit unserem ganzen deutschen Volke willig alle Opfer fürs Vaterland auf uns zu nehmen, bis uns durch Gottes Gnade ein ehrenvoller Friede geschenkt wird.“ (Sb 1 S. 6)

Ein anderer Vorschlag, dem sog. „Eisernen Heinrich“ auf dem Schlossplatz für eine Geldspende einige Nägel einzuschlagen, wurde vom Vorsitzenden abgebogen und es bei einer Geldspende belassen.

Statt Lagebericht des Konsistoriums Bericht des Synodalausschusses
Die Landessynode bildete eine liturgische und kirchenrechtliche Kommission für die Dauer der Synode, als ob doch mit weitergehenden Anträgen zu rechnen wäre. Offenkundig wollte sich die Synode nicht unter Zeitdruck setzten lassen. Es war die erste Landessynode nach der Thronbesteigung von Ernst August, dem Inhaber der Kirchengewalt. Eine Würdigung dieses Ereignisses wäre ein guter Einstieg in einen Lagebericht gewesen. Es lag aber von der Regierungsseite nur das Kirchengesetz betr. Einberufung der 12. ordentlichen Landessynode vor, die im Jahre 1920 stattfinden sollte. Die Amtsdauer des Synodalausschusses sollte bis dahin verlängert werden. Vorher eine Synode einzuberufen bliebe im Ermessen der Kirchengewalt, also beim Herzog Ernst August. Weil die geistlichen Mitglieder der Synode in den Kirchengemeinden schwerlich entbehrt würden, sollte nur eine kurze außerordentliche Synode stattfinden. Das Konsistorium hatte auf die fällige Vorlage über die Zustände in der Landeskirche verzichtet, was „unbedenklich einige Jahre hinausgeschoben werden könnte.“ (Drucksache 8 S. 3)

Stattdessen legte der Synodalausschuss zum Unwillen des Konsistoriums einen ziemlich ausführlichen Tätigkeitsbericht (Gesangbuchdruck, Verwaltung des landeskirchlichen Fonds, Briefverkehr) vor, er berichtete auch von Spannungen mit dem Konsistorium, das sich eine Anregung, vor einschneidenden Strukturreformen wie die Zusammenlegung von Superintendenturen möge der Synodalausschuss gutachtlich gehört werden, als Einmischung verbeten hatte, wie die Anmahnung, endlich die völlig überholte Dienstinstruktion für den Kirchendienst der Opferleute, die aus dem Jahre 1836 stammte, zu revidieren. Auch darüber hatte sich das Konsistorium ungehalten gezeigt. Der Synodalausschuss bedauerte weiterhin in seinem Bericht, dass zwar alle Abgeordnete der Landesversammlung aber keiner der Landessynode und nur zwei Mitglieder des Synodalausschusses zu den Feierlichkeiten anlässlich der Taufe des Erbprinzen 1914 eingeladen worden waren.
So bot der Bericht allerlei Stoff zur Diskussion und rief – was sehr ungewöhnlich war – auch 21 Wortmeldungen hervor. Für Oberamtsrichter Kunze trat diese außerordentliche Synode an die Stelle der 12. ordentlichen Synode (Sb S. 12) und damit formulierte er das Empfinden nicht weniger Abgeordneter. Er forderte die Ausmerzung aller Fremdwörter und verstieg sich zu dem Ausruf: „Wo lernt man gutes Deutsch? Darauf kann man nur antworten: In den Heeresberichten und in den Erlassen des Deutschen Kaisers.“ Die Bemerkung löste nicht Heiterkeit sondern einen Antrag des Abgeordneten Ziegeler, Pastor in Wolfenbüttel, aus, in der Landeskirche sollten bisher gebräuchliche Fremdwörter durch gute deutsche Bezeichnungen ersetzt werden. Er begründete seinen Antrag mit der ernsten Kriegszeit, in welcher „wir uns besinnen und kehren zurück zu urdeutscher Art. Deutschland steht gegen die ganze Welt. Da sollte auch das deutsche Wort herrschen“. (Sb S. 15)

Kunze brachte auch die Spannungen zwischen dem Synodalausschuss und dem Konsistorium zur Sprache, die bei der Anregung des Ausschusses, die völlig veraltete Dienstinstruktion für die Opferleute aus dem Jahre 1836 zu überarbeiten, entstanden waren. „Wir kommen nur bei den Sachen zu Worte, die das Konsistorium für wichtig erachtet“, klagte Pastor Struve, Mitglied des Synodalausschusses, und Superintendent Knopf aus Holzminden beschwerte sich, dass er die Vergrößerung seiner Inspektion um sechs Kirchengemeinden aus der Zeitung erfahren hätte. Es hatten sich Spannungen aufgebaut, die durch die Aussprache in der Synode abgebaut werden sollten, oder hatte die Kirchenregierung die Absicht, durch die Einberufung nur einer außerordentlichen Synode und die Nichterstattung des fälligen Lageberichtes eine allgemeine Aussprache zu verhindern? Bei der Begründung der Stellungnahme des Synodalausschusses zu dem von der Regierung vorgelegten Gesetzesentwurf kam Kulemann als Referent der kirchenrechtlichen Kommission sofort auf diesen Sachverhalt zu sprechen. Es hätte über die Nichteinberufung einer ordentlichen Synode „starke Missstimmung“ geherrscht, (Sb 2 S. 20) „sie solle augenscheinlich ausgeschaltet werden“. Die Mitwirkung der Synode bei den Beratungen über die eingehenden Mitteilungen über die Zustände und Verhältnisse der Landeskirche würden wohl „für überflüssig erachtet“, „dass sie ausgeschaltet werden soll“. Struve ließ nebenbei durchblicken, dass er dieses Gesetz zur Verschiebung den Synodalausschuss „sehr unerwartet“ angetroffen hätte. Man hätte sich in der Kommission sogar die Frage gestellt, die Vorlage abzulehnen, aber an dieses „Nächstliegende“ doch im Ernst nicht gedacht. Kulemann formulierte sehr geschickt den aufgestauten Unwillen. Der Synodalausschuss solle ermächtigt werden, die Einberufung einer Synode bei der Kirchenregierung anzuregen, wenn er es auch schon vor 1920 für angezeigt hielte. Kulemann kämpfte für eine Erweiterung der Kompetenzen des Synodalausschusses, der seiner Meinung nach eine beratende und unter Umständen auch eine gesetzgeberische Tätigkeit ausübe. (Sb S. 20) Minister Wolff stimmte einer Bevollmächtigung des Ausschusses durch die Synode sofort zu. Minister Wolff sah die Möglichkeit, die nicht von der Hand zu weisen wäre, dass der Krieg noch lange dauert“ und empfahl dann die Einberufung einer weiteren außerordentlichen Synode.

Kriegsfürsorge
Nach Annahme dieses Gesetzes wandte sich die Synode weiteren kriegsbedingten Anträgen zu. Der Krieg schaffe viele Witwen, Kriegsverletzte und Verstümmelte. Es wäre die Aufgabe der Landeskirche, diesen bevorzugt in der Kirchengemeinde eine Tätigkeit zu verschaffen. Dazu sollten Ausbildungslehrgänge angeboten werden, beantragte Pastor Ziegeler. Ein weiterer Antrag des Abgeordneten Knopf wollte den Pfarrwitwen und –waisen für die Dauer der Kriegsteuerung erhöhte Teuerungszulagen gewähren, was in der Aussprache strikt abgelehnt wurde, weil der entsprechende Fonds völlig aufgebraucht wäre.
Eine Bittschrift des Landespredigervereins mit mehreren Anregungen füllte die Aussprache am dritten Verhandlungstag. Trotz der Kriegszeit sollte das Reformationsjubiläum, der 400. Jahrestag des Thesenanschlages, am 31. Oktober 1917 würdig begangen werden. Nur die beiden Landwirte Deecke und v. Grone bemängelten, dass dieser Wochentag von Arbeit frei gehalten werden möchte.

Welche Fürsorge wäre für die aus dem Krieg heimkehrenden oder kriegsversehrten Theologen getroffen? wollte der Landespredigerverein wissen. Man wolle alles tun, die kriegsversehrten Theologen in ihrem Berufe zu erhalten, wiegelte der Konsistorialvizepräsident ab.

Die Pfarrer trauten sich nicht, Gebete aus der Agende der Kriegszeit entsprechend abzuändern und nicht im Gesangbuch befindliche, vaterländische Lieder singen zu lassen, weil sie Abmahnungen vom Konsistorium fürchteten. Daher beantragte Pastor Gerlach, ein Heft mit passenden Gebeten und Liedern wie z. B. „Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten“ herauszugeben. Der Antrag löste eine längere Aussprache aus, ob das Konsistorium berechtigt wäre, von sich aus neue Lieder und Gebete zu empfehlen, und ob es nicht richtiger wäre, das Verständnis der vorhandenen Lieder durch die Kriegszeit sich vertiefen zu lassen. Schließlich wurde der Antrag zur raschen Herausgabe eines Heftes mit zusätzlichen Liedern und Gebeten angenommen.

Ein anderer Antrag beschäftigte sich mit der kirchlichen Arbeit an der konfirmierten Jugend. Die Kommission hatte in Abänderung eines Antrages des Landespredigervereins beantragt, die Kirche möge Einfluss auf die Jugendwehr nehmen. Ringsum waren paramilitärische Jugendgruppen entstanden, in denen gelegentlich sogar Pfarrer als Begleiter mitwirkten. Superintendent Knopf erhoffte sich für die Zeit nach dem Kriege, dass die Teilnahme an der Jugendwehr vom Staat zur Pflicht erhoben würde. Für diesen Fall sollte der Kirche „in irgendeiner zweckentsprechenden Weise ein Einfluss auf diese Jugendpflege eingeräumt werden“. (Sb 3 S. 35) Die Jugendwehren waren ein Ärgernis in den Gemeinden, denn sie hielten ihre halbmilitärischen Übungen am Sonntagvormittag und Nachmittag zur Gottesdienstzeit ab. Nun wollte man „für die kommende Zeit, in der das neue Deutschland gebaut werde“, Vorsorge treffen, denn die Jugendfürsorge gehörte zu den wichtigsten Aufgaben der Kirche. (Sb 3 S. 35) Diese vaterländische Umformulierung der Anregung des Landespredigervereins, der eher an Einführung von Jugendgottesdiensten gedacht hatte, stieß auf großen Zuspruch.

Kampf gegen die Unsittlichkeit
Im Reich wie im Lande Braunschweig hatte sich eine Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der offen um sich greifenden Unsittlichkeit gebildet. Die Kriegszeit förderte die öffentliche und geheime Prostitution und richte schwere sittliche Schäden an. Das wirklichkeitsfremde Bild von der betenden Heimatfront, die hinter dem kämpfenden Soldaten stünde, war längst zusammengebrochen, aber es setzte sich nicht die Einsicht durch, dass Familie, Ehe und Schule durch den Krieg gründlich beschädigt wurden und nur ein sofortiges Kriegsende den Schaden an der Wurzel fassen würde. Davon konnte indes keine Rede sein, so blieb es bei einem Appell an Regierung und Konsistorium.

Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes
Scharfe Kritik an der Dienstinstruktion für die Lehrer
Die Synode endete in Missstimmung. Superintendent Knopf hatte die Kirchenregierung um Auskunft gebeten, wann mit einer Verfügung über die Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes zu rechnen wäre. Durch das Ausbleiben einer Verfügung, ob der Ortspfarrer oder der Superintendent oder das Konsistorium die spezielle Aufsicht des Religionsunterrichtes ausüben sollte, war eine beträchtliche Unsicherheit vor Ort entstanden.
Nach dem Gemeindeschulgesetz von 1913 war der Ortspfarrer als Vorsitzender des Schulvorstandes immer noch befugt, dem gesamten Unterricht eines Lehrers beizuwohnen und etwaige Bedenken mit ihm zu besprechen. Hier ging es um eine spezielle Aufsicht des Religionsunterrichtes.
Nun war das Verhältnis der Landeskirche zur Lehrerschaft durch eine vom Konsistorium im Sommer erlassene Dienstinstruktion schwer belastet, in welcher den Opferleuten ihre dienstlichen Aufgaben vorgehalten wurden. Sie war im Amtsblatt 1916 S. 82 ff veröffentlicht worden. Dort war verfügt, der Opfermann habe im dunklen Anzug zum Dienst zu erscheinen, die Paramente an Kanzel und Altar anzubringen, Altarkerzen aufzustellen, anzuzünden und auszulöschen, Abendmahlswein und Oblaten im Filialort zu besorgen, für Ordnung und Reinlichkeit in der Kirche Sorge zu tragen, die Orgel zu warten und zu beaufsichtigen, den Gesang zu leiten und die Orgel zu spielen, die Schulkinder während des Gottesdienstes zu beaufsichtigen und bei Bedarf Lesegottesdienste vom Lesepult aus zu halten. Es war der Ton, der die Missstimmung hergerufen hatte. Der Lehrer im „gehobenen Küsterdienst“ – im Gegensatz zu den niederen Küsterdiensten – war nicht als gern gesehener Mitarbeiter in der Kirchengemeinde definiert, sondern: „Er ist dem Geistlichen unmittelbar unterstellt und ihm Ehrerbietung und in amtlichen Angelegenheiten Gehorsam schuldig“. (§ 1) In diese belastete Situation kam die Frage nach einer Aufsicht über den vom Lehrer abgehaltenen Religionsunterricht zu einer denkbar schlechten Zeit.
Der Abgeordnete Struve bezog sich auf die Dienstinstruktion: Die Lehrer wollten in keiner Weise mehr der Aufsicht der Geistlichen unterstellt sein. Bürgermeister Retemeyer bestätigte diese Ansicht: Die Aufsicht wäre nun einmal „der Grund zum Kampf zwischen Lehrerschaft und Geistlichkeit geworden“. (Sb 4 S. 62) Superintendent Meyer berichtete, gerade die jungen Lehrer neigten sehr dazu, die Schule ganz von der Kirche zu lösen. Kulemann nahm an, dass wohl auch „gewisse Standesinteressen“ im Spiele wären. So wirkte es weit ab von der Schulwirklichkeit, dass Konsistorialpräsident Sievers begeistert von mehreren unvermuteten Visitationen des Unterrichts durch Konsistorialmitglieder berichtete. Oberamtsrichter Kunze hingegen warnte vor zu viel Aufsicht. „Sie ermüdet, macht misstrauisch und lässt vor allem die Schaffensfreudigkeit erlahmen. Man stelle sich doch auch mal vor, wie es wirkt, wenn ein ganz junger Geistlicher einem alten erfahrenen Schulmann hinsichtlich der Erteilung seines Religionsunterrichtes Vorschriften macht; das gibt Mord und Totschlag“. (Sb 4 S. 60) Die Lehrerschaft wollte die Aufsicht den Kreisschulinspektoren übertragen.

Aber auch in der Pfarrerschaft war die Verstimmung sehr groß und die Bereitschaft, die Verbindung zur Schule aufzugeben wäre bei 99 Prozent der Geistlichen vorhanden, wenn es sich nicht um ein Recht der Kirche handelte, das nicht aufgegeben werden dürfte. Es ging also gar nicht mehr um einen qualifizierten Religionsunterricht, sondern um Rechte der Landeskirche und Positionen des Pfarrers im Dorf. Ein Signal der Landessynode auf ein verträglicheres Verhältnis zur Lehrerschaft blieb aus. Es fehlte auch der Mut, die Aufsicht über die Schule ganz aufzugeben. Wie leicht dies zu vollziehen gewesen wäre, macht dann der Staat nur zwei Jahre später vor, indem er die gesamte Aufsicht über die Gemeindeschulen der Landeskirche entzog, ohne dass den Schulen dadurch ein Schade entstanden wäre.

Es war nicht die einzige Missstimmung, in der die Synodalsitzung schloss, sondern Superintendent Knopf sprach die „tiefe Missstimmung“ der Pfarrerschaft über den Erlass des Konsistoriums an, dass auch während der Gottesdienstzeit auf dem Felde gearbeitet werden dürfte. Konsistorialpräsident Moldenhauer zeigte sich „schmerzlich“ bewegt, Staatsminister Wolff äußerte sich „überrascht“, der Vorsitzende beendete mit einem dreifachen Hoch auf Seine königliche Hoheit den Herzog die Tagung.

So war aus der Synode, die eigentlich nur ihre Vertagung hatte beschließen sollen, eine allgemeine Aussprache über Brennpunkte der kirchliche Lage geworden, ohne nationalprotestantische, überzogen patriotische Nebengeräusche, allerdings auch ohne sich zur Kriegs- und Friedensfrage oder zur trübseligen Versorgungslage zu positionieren.
Die wichtigste Entscheidung dieser kurzen Kriegssynode für die nächste Zeit war die Wahl eines Synodalausschusses, der bis zur nächsten Synodalsitzung amtierte. Mit dieser letzten Sitzung am 1. Dezember 1916 endete ziemlich lautlos der erste Teil der bisher 47 Jahre währenden Synodalgeschichte.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Synode/, Stand: August 2020, dk