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Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode in der Weimarer Zeit (1918-1933)
Auf dem Weg zur verfassunggebenden Synode
Die Landessynode zur Weimarer Zeit
Dieser Zweite Teil der Synodengeschichte unterscheidet sich vom ersten Teil durch seine völlig andere Quellenlage. Es gibt für die Verhandlungen im Landeskirchentag von 1920 und in der verfassunggebenden Synode (1920-1923) keine gedruckten Unterlagen. Es gibt nur handschriftliche Protokolle, die allerdings sehr zeitnah sind. Die Verhandlungen des ersten Landeskirchentages (1924-1929) liegen gedruckt im Amtsblatt vor, aber sie sind m. E. aus einem Abstand von 5 Jahren im Landeskirchenamt entstanden und geben zunächst die Sicht der Behörde wieder. Es gibt jedoch ebenfalls handschriftliche Protokolle, die der Kurzen Darstellung wohl zugrunde gelegen haben. Auch die Verhandlungen des zweiten Landeskirchentages (1929-1932) waren in derselben Form im Landeskirchlichen Amtsblatt wiedergegeben und waren für die Pfarrerschaft zugänglich. Es wurden auch Sonderdrucke für die Synodalen und interessierte Gemeindemitglieder hergestellt.
Überhaupt war alles anders. Die Synode tagte nicht mehr auf den Bänken des Sitzungsaales im Landschaftsgebäudes, sondern auf kirchlichem Gelände, im Gemeindehaus der Braunschwei-ger Magnigemeinde. Die Berichte über die Zustände in der Landeskirche wurden vom Landesbischof persönlich vorgetragen. Der Sitzungsrhythmus war ein anderer. Früher tagte die Synode alle vier Jahre, dafür kompakt, eine Woche und mehr, in der Weimarer Zeit Jahr um Jahr. Die Synoden wurden vom Präsidenten des Landeskirchentages eröffnet und geschlossen. Nach wie vor aber verfolgte die Regionalpresse die Verhandlungen zeitnah. Dazu kamen die mehr zusammenfassenden Berichte der Kirchenpresse.
Auf dem Weg zur verfassunggebenden Synode
Die Behauptung, die in der Regionalgeschichte gerne verbreitet wird, dass durch die totale Niederlage der deutschen kaiserlichen Armee im November 1918, durch die Flucht des Kaisers aus Berlin vor einem internationalen Gericht nach Holland, die Übergabe der Regierungsgeschäfte durch den Braunschweiger Herzog an den Soldatenrat und seine überstürzte Abreise aus Braunschweig die Landeskirche kopf- und ratlos geworden sei, wird den Ereignissen nicht gerecht. Es war im Gegenteil die in viele selbständige Kirchengemeinden gegliederte Landeskirche, die ungestört weiter arbeiteten. Auch das Konsistorium und der Synodalausschuss waren weiterhin funktionsfähig. Die Tatsache, dass der Herzog als oberster Bischof fungierte, hatte schon lange keinerlei praktische Bedeutung. Die Regierungsgeschäfte wurden im Staatsministerium bestimmt und erledigt. Aber der Herzog war Inhaber der sog. Kirchengewalt, der formalen Kompetenz, und er hatte den schweren Fehler begangen, diese Kirchengewalt nicht einer kirchlichen Institution zu übergeben.
Die Suche nach der Kirchengewalt
Es lag mehr als nahe, dass die Kirchengewalt in die Hände der Kirche, zum Beispiel der Landessynode, die erst zwei Jahre vorher getagt hatte, übergehen sollte. Das aber war fraglich. Die Mitglieder des Konsistoriums waren sich in dieser Frage nicht einig. Die Oberkonsistorial-räte Moldenhauer und Winter schlugen die Einberufung einer Landessynode vor, die die Kirchengewalt für sich in Anspruch nehmen sollte. Der Konsistorialpräsident Sievers hingegen sah die Kirchengewalt bei der staatlichen Obrigkeit, die der Landeskirche die Kirchengewalt förmlich übergeben müsste. Das war aus seiner Sicht auch stimmig, denn das Konsistorium war nach wie vor eine Staatsbehörde und die Gehälter ihre Mitglieder und die Sachausgaben der Behörde waren im Haushaltsplan der neuen Regierungen fest vorgesehen. Sievers also war für Abwarten. Es dauerte einige Monate, bis sich staatlicherseits ein verlässliches Gegenüber etablierte hatte, zumal im Frühjahr 1919 die Märkerschen Freikorpstruppen auf Befehl der Reichsregierung ungebeten in das Herzogtum einmarschierten und nach ihren soldatesken Vorstellungen „für Ordnung“ sorgen sollten.
Die Bildung eines Landeskirchenrates als Inhaber der Kirchengewalt
Quelle: LAW Syn 39/ StaW 12 A Neu 7b 608
Ende Mai 1919 hatte der Rechtsausschuss der Landesversammlung seine Beratungen über eine Reihe von Verfassungsänderungen abgeschlossen, deren §§ 21 - 24 das Verhältnis von Kirche und Staat betrafen. Er setzte als Träger einer vorläufigen Kirchengewalt den bisherigen Landesynodalausschuss, erweitert durch zwei evangelisch-lutherische Mitglieder der Landesversammlung ein, dem das Konsistorium wie bisher dem herzoglichen Staatsministerium zuarbeiten sollte. (§ 21). Dieser Landeskirchenrat war ein arbeitsfähiges Übergangsorgan, das auch Kirchenverordnungen erlassen konnte (§ 24). Die bestehende Landessynode sollte aufgelöst und nach dem Wahlrecht, das seit Dezember 1918 auch für die Landtags- und andere Wahlen galt, eine neue Synode gewählt werden, also aktives Wahlalter ab 20 Jahre für Männern und Frauen. Es herrschte in der Landesversammlung die Befürchtung, dass die vorangegangene Synode, zu der noch der Herzog vier Mitglieder berufen hatte, sich bei der Arbeit an einer neuen Verfassung nicht auf den Boden der Republik stellen würde. In linken Kreisen grassierte außerdem die Furcht vor einer bürgerlichen Gegenrevolution, an der sich die Landeskirche maßgeblich beteiligen könnte. Die Wahlen und die Einberufung der verfassungsgebenden Landessynode sollten bis zum 1. Januar 1920 erfolgen (§ 22). Die Übergangszeit des Landeskirchenrates sollte also kurz sein. Kirchengesetze und das allgemeine Kirchenrecht sollten weiter bestehen bleiben. Im Übrigen sollte die verfassunggebende Landessynode die gesamten Rechtsverhältnisse der Landeskirche rechtsverbindlich regeln (§ 23). Das war eine noble Regelung, jedenfalls kirchenfreundlicher als in Preußen, wo die Kirchengewalt zunächst auf drei Staatsminister übertragen wurde.
In der Begründung räumte der Rechtsausschuss ein, dass es an und für sich folgerichtig gewesen wäre, dass die Landeskirche die Frage der Kirchengewalt selber regeln würde, und deutete damit an, dass durch das Abwarten des Konsistoriumspräsidenten eine Lücke entstanden war, aber der Präsident hätte ja selber darauf bestanden, dass die Übertragung der Kirchengewalt von der Landesregierung aus erfolgen sollte. Dem Rechtsausschuss, dem als Berichterstatter der Welfe August Hampe und der Fraktionsvorsitzende der bürgerlichen Fraktion Roloff angehörten, war mit diesem Entwurf an einer maßvollen, von breiter Mehrheit getragenen Regelung des Staat-Kirche Verhältnisses gelegen. Er überließ die Mehrheit im Übergangslandeskirchenrat den fünf bisherigen Mitgliedern des Synodalausschusses, wobei die zwei weiteren Abgeordneten der Landesversammlung, die Abgeordneten Roloff und Keck, Pastor von Herrhausen, die Verbindung zur Regierung herstellen sollten.
In der Debatte am 13. und 14. Juni wurden die Anträge der USPD auf ein gesondertes Trennungsgesetz abgelehnt, wobei von der Fraktion der USPD zu Recht darauf verwiesen wurde, dass es keine Generalaussprache über die Trennung von Kirche und Staat gegeben habe, die die Voraussetzung für eine grundsätzliche Regelung gewesen wäre. Eine derartige Grundsatzdebatte wollten aber SPD, DDP und LWB vermeiden, um nicht durch die zwangsläufig dabei hervorgekehrten kirchenpolitischen Gegensätze den politischen Kompromiss zu verhindern. Auf Antrag des Abgeordneten Pastor Keck wurde die Anzahl der Abgeordneten aus der Landesversammlung im Landeskirchenrat von zwei auf vier erhöht. Die Frist für die Einberufung einer verfassungsgebenden Landessynode wurde auf den 1. Oktober verkürzt.
Dieser Entwurf war offenbar dem Konsistorium bis zur Vorlage in der Landesversammlung nicht zur Einsicht oder Stellungnahme vorgelegt worden. Der Beschluss der Landesversammlung löste beim Konsistorium eine heftige Enttäuschung aus und führte zu einer gravierenden Fehlinterpretation des Gesetzes. Das Konsistorium verkannte den guten Willen und die Absicht des Gesetzes.. Es verstand den Landeskirchenrat trotz dessen klarer Mehrheit der Synodalausschussmitglieder als ein politisches Instrumentarium zur Beherrschung der Landeskirche. Obwohl das neue Wahlrecht gerade den bürgerlichen Wählern eine überraschende Mehrheit verschafft hatte und auf dem Lande ganz überwiegend bürgerliche Gemeindevorsteher hervorgebracht hatte, misstraute das Konsistorium dem verordneten Wahlrecht und befürchtete irrational eine Überflutung der kirchlichen Gremien mit roten und kirchenfremden Gemeindemitgliedern. Vor allem aber fürchtete das Konsistorium um seine eigene Existenz, die im Gesetz aber ausdrücklich vorgesehen war. Das Konsistorium war auch im Sommer 1919 noch eine Außenstelle der Staatsorgane und finanziell wie dienstrechtlich von der jeweiligen Regierung abhängig. Diese ungeklärte Lage machte den Präsidenten des Konsistoriums in der Analyse der kirchenpolitischen Situation unsicher.
Er verweigerte daher die Mitarbeit mit dem Landeskirchenrat, agierte heftig und hoch polemisch öffentlich gegen diese Einrichtung, gab aber im November 1919 nach, nachdem der Reichsinnenminister die Landesregierung aufgefordert hatte, die Entscheidung vom Juni 1919 die Kirchenparagrafen 22-24 betreffend zurück zu nehmen. Es arbeitete mit ihm die nächsten Monate konstruktiv zusammen. Den Pfarrern der Landeskirche teilte der Konsistorialpräsident Sievers die nächsten gemeinsam geplanten Schritte mit: Die Landessynode sei aufgelöst, ein Landeskirchentag solle Wahlen zu einer Verfassunggebenden Synode bis Ende des Jahres vorbereiten. Bis dahin solle der Landeskirchenrat die kirchenregimentlichen Geschäfte übernehmen.
Diesem Landeskirchenrat gehörten die amtierenden Mitglieder des Synodalausschusses an, nämlich Generalsuperintendent Degering, Braunschweig, Superintendent Gronau, Lehre, Oberamtsrichter Kunze, Salder, Kreisdirektor Floto, Wolfenbüttel und Pastor Struve aus Greene., sowie als Mitglieder der Landesversammlung, Geschäftsführer Erdmann, Wolfenbüttel, Pastor Keck, Herrenhausen, Privatdozent Dr. Roloff, Braunschweig. Zur ersten Sitzung des Landeskirchenrates wurden die Mitglieder des Konsistoriums gebeten: Konsistorialpräsident Sievers, Konsistorialvizepräsident Abt Moldenhauer. Geheimer Konsistorialrat Winter und Konsistorialrat Wicke. In mehrstündiger gemeinsamer Sitzung wurden zahlreiche Personalien, Pfarrstellenbesetzungen und Emeritierungen verfügt.
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