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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode in der Weimarer Zeit (1918-1933)

Der erste Landeskirchentag (1924-1929)


Quelle: Anlage zum landeskirchlichen Amtsblatt Nr. 4545 Stück 4/1930. Kurze Darstellung des ersten Landeskirchentages der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche der Jahre 1924/1929. Diese Darstellung ist leider nicht zeitnah, sondern nachträglich etwa 1929/30 verfasst worden. Vieles spricht dafür, dass sie im Referat von OKR Dr. Breust entstanden ist.
Syn 134 enthält eine zeitnahe handschriftliche ausführlichere Wiedergabe der Verhandlungen.
Die Vorgeschichte
Am 4. Juli 1923 hatte die verfassungsgebende Synode „unter lebhafter Zustimmung“ Alexander Bernewitz zum ersten Landesbischof der Braunschweigischen Landeskirche gewählt. Große Hoffnungen auf den Anfang eines, das kirchliche Leben grundlegend erneuernden Abschnittes in der Geschichte der Landessynode verknüpfte sich mit diesem Wechsel an der Spitze der Landeskirche. Erstmals seit Jahrhunderten leitete kein Jurist, sondern ein Theologe die Landeskirche. Die Kirche sollte also in Zukunft nicht mehr bürokratisch verwaltet, sondern geistlich geführt werden. Nicht mehr Paragraphen, sondern das brüderliche Gespräch würde das Verhältnis zur Kirchenbehörde prägen. Die Pfarrer seufzten nach Mitgefühl mit ihrer durch Inflation gebeutelten persönlichen und auch durch die Kriegsfolge verwilderten, traditionell schwierigen gemeindlichen Situation. Die Hoffnungen richteten sich auf den Träger des Amtes, Alexander Bernewitz, der mit 60 Jahren Bischof der Braunschweiger Landeskirche wurde. (Dietrich Kuessner, Landesbischof D. Alexander Bernewitz 1863-1935, Vom Baltikum nach Braunschweig, Blomberg 1985, im folgenden zitiert als Kuessner-Bernewitz)

Alexander Bernewitz
Bernewitz war kein Braunschweiger, er stammte aus dem Baltikum, was man seiner schwerfälligen Sprache auch anhörte. Bernewitz hatte eine jahrzehntelange Erfahrung in der Gemeindepraxis und im kirchenleitenden Amt hinter sich. Er kannte die Schönheit des Pfarramtes auf dem Lande, er war tief überzeugt von der Wirksamkeit der Predigt, wie er sie bei seinem Vater, der ebenfalls baltischer Pfarrer war, vielfach erfahren hatte. Er hatte dort seit 1908 mit 45 Jahren die kirchenleitende Stellung eines kurländischen Generalsuperintendenten angetreten, zu dem die Gouvernements Kowo, Wilna, Grodno, Minsk, Mohilew und Witebsk mit insgesamt 585 300 Gemeindemitgliedern gehörten. Er musste mit seiner Familie 1919 fliehen, als das Baltikum durch den Versailler Vertrag in selbständige Staaten umgewandelt wurde. Nach der Flucht hatte er in Schlesien vergleichsweise geistlich kümmerliche Verhältnisse kennengelernt.
Bernewitz war ein nüchterner, auf dem Boden des lebendig erlebten Schriftwortes und der lutherischen Tradition stehender Theologe, der seine Amtsbrüder pastoral und patriarchalisch zu sammeln suchte. Er hatte seine lutherische, deutschsprachige, baltische Kirche gegen die zaristische, russische, orthodoxe Obrigkeit und gegen die Wellen liberal-anarchistischer und roter Agitation verteidigt. Er wusste, dass die Kirche Gegner hatte und dass ohne Apologetik in dieser Zeit keine Kirche Bestand hatte. Bernewitz hatte als Kandidat der kirchlichen Rechten die Stimmen aller Kirchenparteien bei seiner Wahl im Landeskirchentag am 4. Juli 1923 erhalten. Von ihm erhoffte man, dass er den Streit in der Kirche dämpfen würde. Er würde auch der rechte Mann sein, der die Rechte und Interessen der Kirche gegen die sozialistischen Regierungen im Freistaat Braunschweig verteidigen würde.

Zu seiner Einführung am 16. September 1923 erschien die gesamte Braunschweigische Pfarrerschaft im Ornat und geleitete ihren Bischof in den Dom. So vermittelte sie dem Bischof das Gefühl, dass es ein gemeinsamer Anfang sein soll. Der Bischof bewahrte sich das Gefühl der Seltenheit und Großartigkeit des Augenblicks seiner Einführung und schrieb Jahre später davon in seinen Lebenserinnerungen:

„Meine Einführung war groß und feierlich. Die ganze Pfarrerschaft war gekommen und die geladenen Gäste, die rote Staatsregierung aber hatte keinen Vertreter geschickt. Der Zug ging aus der Sacristei durch das Seitenschiff in den Haupteingang. Voran die Candidaten des Predigerseminars, der Senior trug auf schwarzem Kissen mein kurländisches goldenes Amtskreuz, das mir nun als Bischofskreuz wieder umgehängt werden sollte, denn goldene Kreuze konnte damals kein Millionär bezahlen. Ich saß gegenüber der Kanzel, von der aus der Geistliche Vizepräsident des Landeskirchentages die Rede hielt, dann fand der feierliche Act am Altar statt. Der Dom war brechend gefüllt, die Glocken dröhnten, die Orgel brauste, ich sprach über das Bibelwort aus dem 37. Psalm „Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“. Nach Schluß des Gottesdienstes, als die Gemeinde hinausgegangen war, gingen wir auf den Hochaltar, es fanden Begrüßungen und Ansprachen statt. Auf ein und demselben Fleck stehend habe ich 16 Ansprachen einzeln beantwortet, ohne vorher genau zu wissen, wem und worauf ich zu antworten haben würde. Aber wess´ das Herz voll ist, geht in solchen Stunden der Mund über“. (Alexander Bernewitz, Rückblicke am Ende eines Lebensweges, in Kuessner-Bernewitz, S. 139f.)

Es sollte vor allem den Gemeinden bewusst werden, dass in der Geschichte der Braunschweiger Landeskirche ein ganz neues Blatt aufgeschlagen wird. Im Vormittagsgottesdienst des Einführungstages, dem 16. September, wurde von allen Kanzeln ein Aufruf der neuen Kirchenregierung verlesen, in dem der Dienstbeginn der neuen Kirchenregierung und des Landeskirchenamtes als „bedeutsamer Wendepunkt“ beschrieben wurde. Der Aufruf schloss mit einem missionarischem Appell an alle Gemeindeglieder: „Im Sturm müssen alle Mann an Bord. Wachet, steht fest im Glauben, seit männlich und seid stark“. (Landeskirchliches Amtsblatt 6.September 1923 S. 93) Der Landesbischof hatte noch einen persönlichen Aufruf „an die evangelisch-lutherischen Christen im Braunschweiger Lande“ verfasst, der ebenfalls abgekündigt werden sollte.

So festlich der gottesdienstliche Auftakt im Braunschweiger Dom war, so verheerend war der Dienstbeginn in der Kirchenbehörde in Wolfenbüttel am Schlossplatz. Der Bischof nahm unter desaströsen Verhältnissen die Arbeit im verwahrlosten Landeskirchenamt auf. Es gab keine Übergabe der Dienstgeschäfte. Der frühere Konsistorialpräsident räumte nicht einmal die private Dienstwohnung. Der frisch gebackene, aber doch nicht mehr jugendliche Bischof musste mit seiner Familie provisorisch in den Räumen des Landeskirchenamtes unterkommen. Im hübschen Wolfenbüttel fand sich keine andere Bleibe.

Die „Wahl“
Zwei Monate nach der Einführung des Bischofs sollte die Wahl zum ersten Landeskirchentag stattfinden. Aber die drei Kirchenparteien hatten eine Wahl, die am 18.11.1923 vorgesehen war, vermieden und stattdessen die Sitze des Landeskirchentages unter sich aufgeteilt. Es standen statt 48 nun 36 Sitze zur Verfügung, die proportional folgendermaßen aufgeteilt wurden: die kirchliche Rechte erhielt 15 Sitze (vorher 21), die kirchliche Linke 12 Sitze (vorher 16), die kirchliche Mitte 9 Sitze (vorher 11). (Die Volkskirche März 1930, S. 4ff) Die Kirchenparteien hatten es mit geringfügigen Unterschieden bei dem alten Proporz der Zusammensetzung der verfassunggebenden Synode belassen: Die kirchliche Rechte erhielt 42% (statt 44%), die kirchliche Linke wie bisher 33%, die kirchliche Mitte 25% (statt 23%).

Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode

Der Präsident der verfassunggebenden Synode Holland führte Alexander Bernewitz als ersten Landesbischof ein und überreichte ihm diese handgeschriebene und von ihm unterzeichnete Urkunde. Die Kirche hatte kein Geld für einen Druck. Im Original sind noch die Spuren des Radiergummis zu erkennen.

Die Namen der „gewählten“ Mitglieder des ersten Landeskirchentages
Quelle: Landeskirchliches Amtsblatt 24. November 1923 Nr. 2937 S. 117 Bekanntmachung der Ergebnisse der Wahlen zum Landeskirchentag


01. Bank, Edmund, Oberregierungsrat, Braunschweig, bis 1926, dafür
      01. Flagge, Ilse, Braunschweig.
02. Bebenroth, Kantor, Rautheim.
03. Brandes, Friedrich, Ackerman, Hondelage.
04. Brinckmeier, Richard, Justizrat, Holzminden.
05. Cramm, Friedrich Wilhelm, Landwirt, Timmerlah.
06. Deppe, Robert, Pfarrer, Wenden.
07. Gerhard, Kurt, Landgerichtsrat, Braunschweig.
08. Germer, Willi, Landwirt, Esbeck.
09. Goetze, Alfred, Pfarrer, Braunschweig, neu.
10. Grotrian-Steinweg, Elsbeth, Braunschweig.
11. Hauers, Oberamtmann, Clus-Ganderseim, bis 1925, dafür
      11. Eggers, Ludwig, Hüttenmann, Oker.
12. Herbst, Leo, Kirchenrat, Seesen, bis 1927, dafür
      12. Eißfeldt, Johannes, Stadtoldendorf.
13. Henseling, Fabrikdirektor, Holzminden.
14. Holland, Wilhelm, Generalstaatsanwalt, Braunschweig.
15. Jeep, Walter, Pfarrer, Braunschweig.
16. Kebbel, Ernst, Kaufmann, Schöningen.
17. Kirchberg, Werner, Pfarrer, Uthmöden.
18. Klöpper, Karl, Kotsaß, Bortfeld.
19. Koch, Wilhelm, Werkmeister, Helmstedt.
20. Lagershausen, Hermann, Pfarrer, Braunschweig.
21. Maus, Wilhelm, Verlagsbuchhändler, Braunschweig.
22. Meyer, Carl., Studienrat, Wolfenbüttel.
23. Müller, Heinrich, Kaufmann, Seesen.
24. Niemann, Albert, Pastor, Atzum.
25. Palmer, Ottmar, Kirchenrat, Blankenburg, seit 1916.
26. Rieke, Wilhelm, Sattlermeister, Kemnade.
27. Rötticher, August, Lokomotivführer, Kreiensen, bis 1927, dafür
      27. Ebeling, Karl, Arholzen.
28. Rudeloff, Hans, Regierungsrat, Wolfenbüttel.
29. Schultz, Hans Martin, Professor Dr., Braunschweig.
30. Schultz, Georg, Kreisdirektor, Blankenburg.
31. Schomburg, Emil, Pfarrer, Braunschweig, bis 1925, dafür
      31. Freise, Walter, Pfarrer, Braunschweig.
32. Schlüter, Hermann, Landwirt, Veltheim a.d.Ohe.
33. Schwerdtfeger, Rudolf, Pfarrer, Astfeld.
34. Schräpel, Paul, Pastor, Dettum, bis 1928, dafür
      34. Steinhoff, Rudolf, Pfarrer, Leinde.
35. Struve, Hermann, Pastor, Greene, seit 1890 bis 1927, dafür
      35. Wolter, Ernst, Pastor, Dielmissen.
36. Zerbst, Karl, Bürgermeister, Blankenburg.

Es überwog die personelle Kontinuität zur Zusammensetzung der verfassunggebenden Synode. Von den 36 Mitgliedern des Landeskirchentages gehörten 22 bereits der verfassunggebenden Synode an, nämlich 13 nichtordinierte Mitglieder und 9 Pfarrer. Das war bei der völlig neuen Gestaltung der Kirchenbehörde ein wichtiger stabilisierender Faktor. Nur 3 Pfarrer gehörten zu den Neulingen, einer von ihnen war Pfarrer Alfred Goetze.

Der Landeskirchentag wählte zu seinem Präsidenten den Generalstaatsanwalt Holland, der auch schon Präsident der verfassungsgebenden Synode gewesen war, und zu seinen Stellvertretern Kirchenrat (Herbst und Oberregierungsrat Bank. Zu Mitgliedern der Kirchenregierung wurden außer dem Landeskirchentagspräsidenten die Pfarrer Albert Niemann und Emil Schomburg gewählt. Zu diesen vom Landeskirchentag gewählten Mitgliedern der Kirchenregierung traten noch der Landesbischof und Dr. Reinhold Breust. Kirchenpolitisch gesehen war die kirchliche Rechte durch die Mitglieder Bernewitz, Breust und Niemann in der Mehrheit gegenüber der Fraktion der Mitte (Holland) und der Linken (Schomburg)

Termine und Themen

1924
Quelle: LAW Syn 124/ Syn 133.
Walter Jeep, Erster Landeskirchentag, Braunschweigisches Volksblatt 1924 S. 152-153

1. Sitzungstag 19. Mai 1924 Montag im Gemeindehaus der Magnikirchengemeinde in Braunschweig
Anwesend: 34 Abgeordnete; es fehlen 2 Abgeordnete.
Wahl des Präsidenten des Landeskirchentages und der zwei Stellvertreter.
Wahl der Mitglieder des Ältestenausschusses, des Wahl- und Bittschriftenausschusses, des Finanzausschusses und des Rechtsausschusses.
Ausführlicher Bericht des Landesbischofs über die Lage der Landeskirche. (Syn 134 S. 7-23)

2. Sitzungstag 20. Mai 1924 Dienstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen drei Abgeordnete: Maus, Cramm und Brandes.
Aussprache über den ersten Lagebericht des Bischofs, 13 Redebeiträge von Synodalen und mehrfache Antworten des Bischofs.
Antrag Goetzes auf Bildung eines fünfgliedrigen Ausschusses zur Schaffung eines kirchlichen Presseamtes, angenommen. Dem Ausschuss gehören an: Jeep, Goetze, Schräpel, Schultz-Blankenburg, Maus.

3. Sitzungstag 26. Mai 1924 Montag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen drei Abgeordnete: Brinckmeier, Cramm und Henseling.
Vorlage des Haushaltsplanes durch Oberregierungsrat Bank, den Vorsitzenden des Finanzausschusses und Durchberatung des Haushaltsplanes mit mehr als 24 Redebeiträgen (Wiederaufnahme der Predigersynoden, Predigerseminar, Aufblühen der Jugendarbeit, Konfirmandenunterricht, Verhältnis zur Schule, kirchliche Frauenarbeit u.a.) sowie verschiedene Bitten und Anregungen an die Kirchenregierung. Bischof und Breust beteiligen sich mit Antworten. Zustimmung zum Haushaltsplan. Der Landeskirchentag verabschiedete den für die nächsten zwei Jahre vorgelegten Haushaltsplan, dessen Ausgabe 1.145 Millionen RM betrugen. Die Landeskirchensteuer wurde auf 20% festgelegt, plus 5 % Ortskirchensteuer, die an die Gemeinden abgeführt werden.

4. Sitzungstag 27. Mai 1924 Dienstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen zwei Abgeordnete: Cramm und Henseling.
Voranschlag des „Haushaltsplanes für das Landeskirchenamt“ von Bank vorgestellt und angenommen.
Lange Aussprache in nicht öffentlicher Sitzung über einen Antrag zur Änderung der Zusammensetzung der Kirchenregierung, wonach von den Mitgliedern des Landeskirchentages eines ein geistliches und eines ein weltliches Mitglied sein muss.
Wahl der Kirchenregierung: Holland, Niemann, Schomburg und die Stellvertreter Zerbst, (Herbst, Schraepel.

5. Sitzungstag 28. Mai 1924 Mittwoch im Magnigemeindehaus.
Es fehlen vier Abgeordnete Brandes., Cramm, Henseling, Kirchberg.
Bericht des Wahlprüfungsausschusses; Antrag des Rechtsausschusses, die Kirchenregierung solle den Entwurf eines Gesetzes zur Frage der Beteiligung von Pfarrern bei einer Beerdigung von Selbstmördern vorlegen. Einführung der Amtsbezeichnung „Oberkirchenrat“.
Der Antrag von Pastor Wandersleb „als Beauftragter von 32 Altpfründnern“, „allen Pfarrern den vollen Ertrag der Pfründe zu geben“, wird abgelehnt. Er zeige, „wie wenig Verständnis für die Not der Kirche bei manchen Geistlichen bestehe.“
Bestätigung der im Juli 1924 vorgenommenen Wahl des damaligen Gerichtsassessor Dr. Breust zum Mitglied des Landeskirchenamtes und zur Kirchenregierung.
Eine von Goetze formulierte Entschließung zur Schulfrage wird ohne Debatte angenommen und soll auf Antrag von Kebbel am Pfingstsonntag von der Kanzel verlesen.
Der Landeskirchentag vertagt sich bis zum Herbst.


1925

Quellen: LAW Syn 133/ Syn 134.
Braunschweigisches Volksblatt 29.März 1925 S.99 von Jeep: „Braunschweiger Landeskirchentag“.

6. Sitzungstag 18. März 1925 Mittwoch im Gemeindehaus der Magnikirche in Braunschweig.
Es fehlt kein Abgeordneter.
Der Abgeordnete Hauers scheidet in Folge Wohnungswechsels aus, dafür Eggers.
Beratung des Gesetzes einer Kirchensteuerordnung, ob neben der Ortskirchensteuer und der Landeskirchensteuer eine Kreiskirchensteuer erhoben werden könnte. Einsetzung eines Kirchensteuerausschusses.
Beschluss des Rechtsausschusses auf Anregung der Blankenburger Gemeinden, dass eine zeitliche Trennung von Konfirmation und Abendmahlsfeier von den Kirchenvorständen beschlossen werden könne, wird „nach längerer Aussprache“ angenommen.

7. Sitzungstag 19. März 1925 Donnerstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlt kein Abgeordneter.
Keine gesetzliche Regelung über das Gewähren und Versagen der kirchlichen Ehren bei Trauungen. Gesetz über Beerdigung von Selbstmördern. Dreistündige nicht öffentliche Beratung über das Kirchensteuergesetz 1926. Kurze Debatte über die Zusammenlegung von zwei Kirchengemeinden, Kundgebung zur „Wiederstellung des christlichen Charakters der öffentlichen Schule“ gegen das Votum des Bischofs.

8. Sitzungstag 20. März 1925 Freitag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen 2 Abgeordnete: Cramm, Henseling.
Entwurf eines Gesetzes zur Erhebung von Kirchensteuern 1925. Beschluss zur massenhaften Verbreitung einer Denkschrift von Dr. Breust zum Verhältnis von Staat und Kirche in Braunschweig. Wahl eines Ausschusses zur Revision der Konfirmationsordnung.
Zuwahl zum Kirchensteuerausschuss. Lange Ausführungen von OKR Dr. Breust zu seiner Denkschrift.

9. Sitzungstag 13. Mai 1925 Mittwoch Magnigemeindehaus.
Es fehlen drei Abgeordnete: Struve, Germer, Frau Grotrian-Steinweg.
Eine nicht vorgesehene Sitzung, weil Schomburg auf eigenen Antrag aus der Kirchenregierung ausscheidet und Direktor des städtischen Jugendamtes wird. An seine Stelle wird der Abgeordnete Gerhard in die Kirchenregierung gewählt.
Antrag auf Gewährung eines Darlehens bei Übernahme des Pfarrinventars. Frage der Besetzung von Patronatsstellen.
Bittschrift der Kirchengemeinde St. Marienberg löst eine „längere Aussprache“ aus.


1926

Der 10. Sitzungstag beginnt mit einem Gottesdienst im Dom, bei dem Bischof Bernewitz die Predigt über Markus 12,24 hält, „in dem er an Hand des Bibelwortes die entscheidungsvolle Lage unserer Kirche eindringlich betonte, und das Gelingen ihrer Aufgabe an unserem Volke als nur möglich aufzeigte, wenn die Irrtümer der Zeit durch Wort und Kraft Gottes überwunden werden. (BLZ 4.3.1926)

10. Sitzungstag 3. März 1926 Dienstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlt ein Abgeordneter: Bank.
Erster Tagesordnungspunkt: Bericht des Bischofs über die Kirchliche Lage 1925/26. (Der Bericht fehlt in der amtlichen „Kurzen Darstellung“ im Amtsblatt. Zusammenfassung in der BLZ 4.3.1926, auch BV 1926 S. 82 ff).
Für Schomburg tritt Pastor Freise in den Landeskirchentag,
Nachruf des Vorsitzenden Holland auf Abt Moldenhauer, der am 18.10.1925 verstorben war.
Gesetzentwurf zur Anpassung des Kirchensteuergesetzes von 1925 und zur Erhebung der Kirchensteuern von 1926 „nach längerer Beratung angenommen.“ Erhebung von Mahngebühren.

11. Sitzungstag 4. März 1926 Donnerstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlt ein Abgeordneter: Bank.
Ausgiebige Aussprache über den vorgelegten Haushaltsplan 1926, der kapitelweise durchberaten wird, mit vielen Redebeiträgen und zahlreichen Änderungsanträgen. Ausführliche Aussprache über ein Presseamt. Kirchenrat (Herbst schlägt ein Pfarramt für die soziale Arbeit vor. Der Bischof äußert sich immer wieder, „die Bewilligungsfreudigkeit“ erscheine nicht gerechtfertigt. Am Ende einstimmige Annahme des Haushaltsplanes für 1926. „Wegen Überlastung des Landeskirchenamtes könne eine Rechnungsabnahme noch nicht erfolgen“, die nun vom Finanzausschuss erfolgen solle.
Statt Bank Karl Händler in den Kirchensteuerausschuss.

12. Sitzungstag 5. März 1926 Freitag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen zwei Abgeordnete: Bank, Cramm.
In „Vertraulicher Sitzung“ Änderung des Dienstvertrages von Dr. Breust und Gesetzentwurf betr. Gesetzliche Vertretung der Opfereien bei der Auseinandersetzung mit den Schulen. Statt zwei nebenamtlich tätigen Mitgliedern (Meyer und Heydenreich) wird eine hauptamtliche und eine nebenamtliche theologische Stelle eingerichtet. Wahl von Oberkirchentrat Meyer auf die hauptamtliche Stelle. Sehr ausführlicher Bericht von Lagershausen über die „Konfirmandennot“ mit Vorschlägen des Ausschusses. Klarstellung des Landeskirchentages, keine Bittschriften an ihn zu richten. Besetzung eines Amtes als Gefängnisseelsorger in Braunschweig. Dank an den Evangelischen Bund nach Bericht von Frau Grotrian-Steinweg. Die Anregung des Pfarrervereins eine Pfarrerhilfskasse einzurichten, wird abgelehnt.

13. Sitzungstag 6. März 1926 Sonnabend im Magnigemeindehaus.
Es fehlen zwei Abgeordnete: Bank, Cramm.
Antrag für ein Gesangbuch nur noch mit Noten. Der Vertrag mit dem Verlag laufe 1926 aus. Wegen der bestehenden Preisdifferenz würden nur Gesangbücher ohne Noten gekauft. Es wären durchschnittlich 30 – 40 Melodien im Gebrauch.
Vorschlag zur Bildung eines Volksbildungsausschusses, um das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern zu verbessern. Ausführliche Aussprache.
Kampf um den Sonntag nach der Devise: „Sonnabend Nachmittag frei für Sport und Spiel, Sonntag Vormittag frei von Sport und Spiel.“ Antrag Schräpels gegen „die furchtbaren Gefahren betr. Alkoholmissbrauchs.“


1927

14. Sitzungstag 31. Januar 1927 Montag eine Sondersitzung im Magnigemeindehaus.
Es fehlen zwei Abgeordnete: Rieke, Struve.
Es sind ausgeschieden: Kirchenrat (Herbst, Lokomotivführer Röttcher, Oberregierungsrat Bank. Für sie treten ein: Pastor Eißfeld, Arbeiter Ebeling, Frl. Ilse Flagge.
Bericht des Bischof zur kirchlichen Lage. Lange Aussprache über die Kirchenaustritte Industrieller. Der Landeskirchentag spricht der Kirchenregierung die Anerkennung für die unnachgiebige Haltung aus.

15. Sitzungstag 1. Februar 1927 Dienstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen zwei Abgeordnete: Rieke, Struve.
Das Gehalt von Domorganist Guericke wird von der Landeskirchenkasse übernommen.
Kirchenregierungsrat Lambrecht begründet ein Notgesetz der Kirchenregierung zur Kirchensteuererhebung.
Eingabe der Kirchengemeinde Grafhorst wg. Unverträglichkeit mit dem Ortspfarrer.
Anträge aus der Arbeit des Bittausschusses z.B. Eingabe des Ev. Bundes betr. Einrichtung einer geordneten Mischehenpflege.
Antrag Kebbels für wissenschaftliche Förderung der Pfarrer wird abgelehnt. Gnadenpension für eine Pfarrwitwe.

16. Sitzungstag 27. April 1927 Mittwoch im Magnigemeindehaus.
Es fehlen fünf Abgeordnete: Jeep, Klöpper, Rieke, Schultz, Zerbst.
Änderung des Kirchensteuergesetzes. Erhebung einer Art Kirchgeld. Das Landeskirchenamt ist gesetzlicher Vertreter in Opfereisachen.

17. Sitzungstag 28. April 1927 Donnerstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen drei Abgeordnete: Klöpper, Rieke, Zerbst.
Vertrauliche Sitzung über die „Angelegenheit Grafhorst“.
Palmer berichtet für den Rechtsausschuss über das Verhältnis zwischen Lehrer und Kirche und eine sehr ausführliche Wunschliste dazu von Seiten der Synode.
Es ist eine kurze Sitzung, die schon um 16.08 schließt.

18. Sitzungstag 29. April 1927 Freitag im Magnigemeindehaus, vormittags und nachmittags.
Es fehlen zwei Abgeordnete: Rieke, Zerbst.
Wahl von Delegierten für einen Volksbildungsausschuss. Antrag auf Einrichtung eines Wohlfahrtsamtes mit einer Pfarrstelle in Braunschweig.
Erhebung eines unterschiedlichen Kirchensteuersatzes in der Stadt Braunschweig und im Land führt zu einer längeren Aussprache, Haushaltsberatung.
Breust berichtet ausgiebig über den Stand der Prozesse gegen den Staat über Finanzierungs-fragen.

19. Sitzungstag. 30. April 1927 Sonnabend im Magnigemeindehaus.
Es fehlen folgende Abgeordnete: Henseling, Kebbel, Schultz, Schwerdtfeger, Rieke, Zerbst.
Fortsetzung der Haushaltsberatungen. Einzelanträge.


1928

20. Sitzungstag 29. Februar 1928 Mittwoch im Magnigemeindehaus.
Es fehlen vier Abgeordnete: Frl. Flagge, Gerhard, Rieke, Schräpel.
Gedenken des verstorbenen Kirchenrats Wilhelm Schulz.
Lagebericht des Landesbischofs. Keine Aussprache.
Antrag auf Änderung des Gesetzes über die Landeskirchenkasse,
Wieder lange Ausführungen von OKR Breust zum Stand der Prozesse.
Langes Schlusswort des Bischofs.

21. Sitzung 1. März 1928 Donnerstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen fünf Abgeordnete: Frl. Flagge, Cramm, Kebbel, Rieke, Schräpel.
Fortsetzung der Haushaltsberatung mit zahlreichen Änderungsanträgen,
Antrag Palmers betr. Pfarrergehälter. Lange Aussprache über das Kapitel Presseamt.
Schluss der Sitzung um ½ 7 Uhr.

22. Sitzung 2. März 1928 Freitag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen fünf Abgeordnete: Frl. Flagge, Cramm, Kebbel, Rieke, Schräpel.
Fortsetzung der Haushaltsberatungen. Genehmigung des Vollzugs des Haushaltes 1926/27.
Debatte über einen Antrag, dass sich Gemeindeglieder einen anderen Pfarrer als den Ortspfarrer zu Amtshandlungen wählen können. Die Einrichtung einer Unterstützungskasse für Organisten wird nach langer Aussprache abgelehnt. Ein Gesetz zur Übernahme der Pfarrinventarkosten durch die Landeskirchenkasse wird angenommen.

23. Sitzung 31. Oktober 1928 Mittwoch im Magnigemeindehaus.
Es fehlen zwei Abgeordnete: Brandes., Zerbst.
Gedenken des verstorbenen Oberkonsistorialrats Winter, des verstorbenen Pfarrers Schomburg als Direktor des städtischen Jugendamtes und Pastors Schräpel. Für ihn kommt Pastor Steinhoff aus Leinde in die Synode.
Rudeloff referiert über Änderungen beim Pfarrbesoldungsgesetz. Sehr lange Aussprache.

24. Sitzungstag 1. November 1928 Donnerstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen sechs Abgeordnete: Brandes., Flagge, Henseling, Klöpper, Kreisdirektor Schultz, Zerbst.
Fortsetzung der Beratung über die Gehaltsordnung und Annahme eines Gesetzes dazu.


1929

In seiner Predigt zur Eröffnung des Landeskirchentages am 13.03.1929 über Luk. 13, 23f. von der engen Pforte ermahnt der Bischof Pfarrer und Abgeordnete zur Verdichtung und Verinnerlichung der Arbeit.

„Allmählich kommen wir von der suggestiven Macht der Idee los, als wäre das Volk wahrhaft christlich... Wer durch die enge Pforte will, muß viel Gepäck abladen... Meine lieben Brüder im heiligen Amt! Lasset uns ringen, Seelsorger zu sein, nicht Amtsgeschäfte zu erledigen, nicht Tagesarbeit zu tun, sondern trotz aller vollendeten menschlichen Schwachheit Wegbereiter zu sein von Gottes heiligen Händen geführt. Verehrte Abgeordnete. lasset uns darnach ringen, daß unsere Kirche Geist und Leben habe, Kraft und Licht, denn wir sollen doch unserer Brüder Hüter sein.“ (Alexander Bernewitz, Predigt zur Eröffnung des Landeskirchentages am 13.03.1929, in: Ruf und Rüstung 1929, S. 52ff)

25. Sitzungstag 13. März 1929 Mittwoch im Magnigemeindehaus.
Es fehlen vier Abgeordnete: Flagge, Schultz, Ebeling, Grotrian-Steinweg.
Kein Bericht der Kirchenregierung, Verlegung des Kirchensteuerjahres. Debatte über Steuerbescheide, Gestaltung des Steuerbescheides.
Ein Antrag, Palmarum als einheitlichen Konfirmationstag einzuführen, wird abgelehnt.
Die Möglichkeit von Amtshandlungen durch andere als durch den zuständigen Pfarrer wird diskutiert. Lange Ausführungen des Bischofs dazu.

26 Sitzungstag 14. März 1929 Donnerstag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen vier Abgeordnete: Flagge, Schultz, Ebeling, Grotrian-Steinweg.
Referat von Rudeloff, dem Vorsitzenden des Finanzausschusses, über den Haushaltsplan 1929/30 und die Kirchensteuern, lange Aussprache über Kirchensteuern.
Aussprache über den Haushalt, der von Maus vorgetragen wird. Anträge zur Lage.
Bischof beantwortet die Frage Palmers nach Vorarbeiten für eine veränderte Ausbildung der Vikare.

27. Sitzungstag 15. März 1929 Freitag im Magnigemeindehaus.
Es fehlen vier Abgeordnete: Flagge, Schultz, Ebeling, Grotrian-Steinweg.
Fortsetzung der Beratung über den Haushaltsplan.
Kritik von Jeep an dem Fehlen eines Berichtes über die Lage der Landeskirche und scharfe Aussprache über Leserbriefe im Braunschweiger Volksblatt. Die darin enthaltenen Vorwürfe werden vom Bischof und von Breust zurückgewiesen. Haushaltsplan 1928/29 angenommen. Der Vollzug 1927/28 gebilligt. Entlastung für das Landeskirchenamt für den Vollzug 1926/27 und für 1927/1928.
Es sind bei den folgenden Verhandlungen nur noch 23 Abgeordnete anwesend. Der Landeskirchentag ist beschlussunfähig. Der Landesbischof spricht über die Zusammenlegung von Landeskirchen in Niedersachsen. Präsident Holland gibt einen kurzen Überblick über die Tätigkeit des ersten Landeskirchentages seit seinem erstmaligen Zusammentreten und schließt den 1. Landeskirchentag mit Dank und guten Wünschen.

Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode

Die kurze Beschreibung der Landeskirche im kirchlichen Jahrbuch 1925, Seite 655. Die Struktur des Landeskirchtages wird prägnant beschrieben.

Schwerpunkte und Hintergründe

Die Bischofsberichte
Bernewitz hielt vor dem Landeskirchentag vier Bischofsberichte: am 19. Mai 1924, 3. März 1926, 31. Januar 1927 und am 29. Februar 1928. Diese vier unterschieden sich sehr stark voneinander. Beim ersten Lagebericht lag der Tag der Einführung erst acht Monate zurück, aber Bernewitz überraschte durch detaillierte Angaben zur Situation der ihm bisher fremden Landeskirche. Der Herausgeber des Braunschweiger Volksblattes, Pfarrer Walter Jeep, der als Abgeordneter den Bericht persönlich erlebt und gehört hatte, schrieb darüber in seinem Bericht über den Landeskirchentag u.a.:

„Unter gespanntester Aufmerksamkeit lauschte das Haus den mehrstündigen, klaren, umfassenden und fesselnden Ausführungen. Rückblickend schilderte der Bischof das Verhältnis zur braunschweigischen Regierung in finanzieller und rechtlicher Beziehung, die Stellung unserer Landeskirche zur deutschen evangelischen Gesamtkirche, den Neubau und die bisherige Tätigkeit des neuen Landeskirchenamtes, die finanzielle Lage und Aussicht der Kirche, vor allem des Pfarrerstandes, ging dann über zu der inneren Lage der Kirche, ihrer Aufgaben für die Zukunft, Ausbildung des theologischen Nachwuchses, den zur Fortbildung und Förderung der Pfarrer nötigen Einrichtungen, dem religiösen Stande der Gemeinde und all den Mitteln und Wegen, die geeignet sind, das religiöse Leben zu fördern, und schloß mit einem Ausblick in die Zukunft, die trotz aller Schwierigkeiten hoffnungsvoll sei angesichts der unter den Enttäuschungen der letzten Jahre zunehmenden Abkehr vom Materialismus und angesichts des neuen Geistes, der sich im deutschen Volke und besonders unter der Jugend rege. Der lebhafte Beifall am Schluß galt nicht nur den nüchternen und doch warmherzigen Ausführungen, sondern vor allem auch der Tatsache, daß in der Leitung unserer Landeskirche endlich ein fester, zielbewusster Wille sich geltend macht, und die so lang ersehnte, energische Führung vorhanden ist“. (Braunschweigisches Volksblatt 8.06.1924, S. 152ff)

Jeep war offensichtlich sehr angetan vom Bericht und der Persönlichkeit des Bischofs.

Dem zweiten Bericht des Bischofs am 3. März 1926 ging ein Gottesdienst im Dom voraus, in dem der Bischof die Predigt hielt. Vor dem Landeskirchentag lag der Schwerpunkt des Berichtes auf übergeordneten gesellschaftlichen Zusammenhängen: Bischof Bernewitz sah die Landeskirche in einer dramatischen Entscheidungssituation, ob die Gesellschaft christlich bleibe oder kommunistische Ideen und Vorstellungen im Deutschen Reich vorherrschend würden. Diese Sicht war von der Lage der ehemaligen Heimat des Bischofs in Kurland geprägt, die von der Nähe des übergroßen geografischen Nachbarn Sowjetrußlands beherrscht war. Bernewitz übertrüg diese Situation viel zu schnell auf die im Deutsche Reich.

Es war kein Jahr vorüber, als der Bischof selber zum 31. Januar 1927 einen Landeskirchentag aus besonderem Anlass einberief. Es hatten sich einige Braunschweiger Industrielle entschlossen, aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach zu hohe Landeskirchensteuer aus der Kirche auszutreten. Diese Austritte, über deren Höhe unterschiedliche Angaben bestehen, waren in der Presse ein wochenlang behandeltes Thema. Aber der Landesbischof zeigte sich unnachgiebig.

Im vierten und letzten Bischofsbericht vor diesem Landeskirchentag am 20. Sitzungstag, dem 29. Februar 1928 befasst sich der Landesbischof in erster Linie mit Fragen der inneren Entwicklung der Kirche und ihres inneren Lebens“, vermerkt Dr. Breust in der „Kurzen Darstellung.“ Bernewitz versucht wachzurütteln: „Wir müssen gerade in unserer Landeskirche im Pfarramt sehr frisch, sehr aktiv sein, müssen unermüdlich Mittel und Wege suchen, dürfen keinen Versuch unterlassen, müssen die oft beschauliche Ruhe friedlicher Zeiten vergessen, um zu pflegen, die wir noch haben.“ Als „Quelle geistige Erfrischung“ hofft der Landesbischof auf die monatlichen Pastoralkonferenzen. Es müsse immer wieder die Frage zur Behandlung gestellt werden: „Was kann zur Belebung und zur Vertiefung, zur Verinnerlichung unserer Pfarrkonferenzen geschehen?“ Bernewitz hebt die zunehmende Arbeit im Landesverein für Innere Mission hervor. Durch die rege Arbeit von Pfarrer Jeep sei die Zahl der Mitarbeiter erheblich angestiegen. Es würden Volksmissionstage, Gemeindeabende, Jugendsonntage, Jungmädchenfreizeiten veranstaltet, Wohlfahrtsarbeit und Pressedienst intensiviert. Er schließt mit einem hoffnungsvollen Ausblick: Die Gegenwart sei beherrscht von einem „gewaltigen Kampf der Geister, ein Kampf um die Weltanschauung“. „Deshalb brauchen wir unsere Kirche mehr denn je. Wenn wir auf unserem Landes-Kirchentage nach Mitteln und Methoden suchen, so müsse Einigkeit darin bestehen, dass das Programm letztlich laute: Vertiefung, Verinnerlichung, Kraft und Liebe.“ (Kurze Darstellung 71)

Anfang 1929 verzichtete die Kirchenregierung auf einen Bericht, was mancher Abgeordnete nicht mehr schweigend hinnahm. Pfarrer Walter Jeep kritisierte dieses Verhalten der Kirchenregierung vor dem Plenum scharf und lancierte in dem von ihm herausgegebenen Braunschweigischen Volksblatt zwei Leserbriefe, die eine schwerfällige Bürokratie in der Wolfenbüttler Behörde und mangelnde Seelsorge beanstandeten. Im Plenum des Landeskirchentages löste diese Kritik empörte Gegenreaktionen aus. Allerdings erschien in kürzester Zeit im Landeskirchlichen Amtsblatt eine umfangreiche Darstellung der Tätigkeiten in der Landeskirche für die Zeit 1924-1929, die jedoch erst dem Zweiten Landeskirchentag vorgelegt und von diesen Abgeordneten diskutiert wurde.

Verhältnis des Landeskirchenamtes zum Landeskirchentag
Der Landeskirchentag ließ unbeanstandet einen Vorgang durchgehen, der das Verhältnis der beiden Organe der Landeskirche untereinander kennzeichnete. Ohne den Landeskirchentag zu fragen, hatte das Landeskirchenamt eine zweite Stelle für einen Juristen geschaffen und diese Stelle auch mit dem jungen Assessor Dr. Friedrich Lambrecht besetzt. Das war ein eindeutiger und schwerwiegender Verstoß gegen § 46 der Verfassung, der bestimmte, dass es „insbesondere“ zu den Aufgaben des Landeskirchentages gehörte, die Mitglieder des Landeskirchenamtes zu wählen. Lambrecht schilderte in den Lebenserinnerungen seinen Eintritt ins Landeskirchenamt folgendermaßen:

„Im Landeskirchenamt fand weder eine feierliche Einführung noch eine Vereidigung oder förmliche Verpflichtung statt, sondern der Vorsitzende des Landeskirchenamtes, der Landesbischof Dr. Bernewitz, beschränkte sich darauf, mich kurz willkommen zu heißen... Anschließend fuhren alle Mitglieder des Landeskirchenamtes sofort nach Braunschweig, wo an diesem Tage eine Tagung des Landeskirchentages stattfand, und überließen mich in meinem neuen Dienstzimmer meinem Schicksal.“ (Aus den Lebenserinnerungen von Dr. Friedrich Lambrecht, in: Kuessner-Bernewitz, a.a.O., S. 172 ff)

Offenbar hatte Dr. Lambrecht am 1. Sitzungstag des Landeskirchentages seinen Dienst im Landeskirchenamt aufgenommen. Es wäre durchaus Zeit gewesen, erst den Landeskirchentag um die Bewilligung und Besetzung der Stelle zu bitten. Der Anfang von Dr. Lambrecht war auffällig informell zumal bei den auf Rechtsnormen sonst so bedachten Männern wie Dr. Breust und Bischof Bernewitz. Waren sie sich ihrer Sache gegenüber dem Landeskirchentag nicht ganz sicher? Die Wahl wurde später nachgeholt,. Aber der Vorgang zeigt immerhin, dass das Landeskirchenamt an den frisch geschaffenen Verfassungszuständen vorbei Entscheidungen traf, für die es nicht zuständig war. Dem Landeskirchentag wurde bedeutet, dass seine Trägerschaft der Kirchengewalt nur eine Formalie war und für die Entscheidungsprozedur in der Kirche geringe Bedeutung hatte. Hier lagen in der Gewichtung und Zuordnung der drei Verfassungsorgane (Landeskirchentag, Landeskirchenamt, Kirchenregierung) in der Kirche erste, klare Beschädigungen vor, die sich später verheerend auswirkten und bis heute nicht ganz beseitigt sind.

Finanzen
Dominierendes Thema bei den Verhandlungen des ersten Landeskirchentages waren die kirchlichen Finanzen. Die Finanzstruktur der Landeskirche war in einer dramatischen Veränderung begriffen. Bisher lag die Finanzhoheit bei den Kirchengemeinden. Sie hatten Einnahmen durch ihren Besitz und konnten Defizite durch die Erhebung einer Ortskirchensteuer ausgleichen. Weitere Defizite wurden durch den Pfarrbesoldungsfonds behoben. Der Pfarrbesoldungsfonds, der vom Staatsministerium verwaltet wurde, war durch die Inflation vernichtet worden. Der Fonds wurde in den folgenden Jahren vernachlässigt. Staat und Kirche zahlten nicht mehr ein. Von ihren Einkünften der Pfarren konnten jedoch nur wenige Pfarrer leben, außerdem weigerten sich die Überschussgemeinden, von ihren Überschüssen an die minder bemittelten Kirchengemeinden Finanzmittel solidarisch abzugeben. Bischof Bernewitz berichtete in seinem ersten Bischofsbericht 1924 von der erheblichen Hilfe „durch das Reich“, wie sie auch alle anderen Landeskirchen erhielten. 75 % der Besoldungszuschüsse seien „vom Reich“ gekommen. „Für Oktober, November, Dezember wurden wie bei jeder Landeskirche die Gehälter aus Reichszuschüssen gezahlt.“ Es gab also Hilfe von außen. Es gab außerdem eine große ökumenische Hilfsbereitschaft durch Sach- und Geldspenden aus Schweden, der Schweiz, den USA.

Das Landeskirchenamt, das keine eigenen Einkommen erzielte und vor dem Umbruch 1918 als Staatsbehörde vom herzoglichen Staatministerium finanziell unterhalten wurde, erhielt durch den Trennungsvertrag von 1923 einen nicht üppigen, aber immerhin, einen Zuschuss. Das Landeskirchenamt falle dem Haushalt nicht zur Last, sondern erhalte sich durch die „Staatsrente“, informierte der Bischof die Öffentlichkeit, in der das Gerücht herumging, das Landeskirchenamt verzehre die Kirchensteuern für sich. OKR Dr. Breust sah es als seine Hauptaufgabe an, immer neue finanzielle Quellen ausfindig zu machen, um die Landeskirchenkasse zu füllen und Rücklagen zu bilden. Er fand das nötige Geld dort, wo es vorhanden war: bei der Bevölkerung durch die Erhebung der Landeskirchensteuern, beim Staat und der jeweiligen Regierung durch das Anfordern von alten finanziellen Verpflichtungen, sowie bei den Kirchengemeinden durch das neue Zauberwort „Zentralisierung“. Der 33- jährige Dr. Breust machte mit jugendlicher Rücksichtslosigkeit das Aufspüren derartiger Finanzresourcen zum Hauptgegenstand seiner erfolgsfixierten Arbeit im Landeskirchenamt.

Es war in der Geschichte der Landessynode etwas völlig Neues, dass nun Jahr für Jahr ein Haushaltsplan zur Genehmigung vorgelegt wurde, auch ein Vollzug des Haushaltsplanes, dass Jahr für Jahr die Höhe einer Landeskirchensteuer beschlossen werden musste, die in der Stadt Braunschweig und im Land Braunschweig in unterschiedlicher Höhe erhoben wurde. Dazu kamen weitere Finanzfragen wie die Erhebung einer Kirchensteuer auf Kirchenkreisebene und die Erhebung einer Art Kirchgeld. Immerhin bot die Vorlage eines Haushaltsplanes den Abgeordneten die Gelegenheit, sich mit einzelnen Posten z.B. der Wiederaufnahme von Predigersynoden, dem Aufblühen der Jugendarbeit, dem Verhältnis zur Schulpolitik zu befassen, Erhöhungen und Kürzungen zu beschließen und Anregungen an die Kirchenregierung zu richten.

Von insgesamt 27 Sitzungstagen beschäftigten sich allein 18 mit Finanzfragen, und zwar gelegentlich die ganze Tagesordnung füllend. Das wirkte auf die Dauer auf eine große Zahl von Abgeordneten ermüdend.

Mit der Einführung der Reichsmark im September 1924 hatte sich in allen Landeskirchen die Finanzlage verbessert, so auch in der Braunschweigischen. Das Aufkommen der Landeskirchensteuer überstieg den im Haushaltsansatz für das Jahr 1924 geschätzten Betrag von 711.000,00 RM um erhebliche 220.000,00 RM. Es erhöhte sich von 937.000,00 RM im Jahre 1924 auf 1,280 Millionen RM im Jahr 1925. Der Prozentsatz der Landeskirchensteuer wurde in den folgenden Jahren kontinuierlich gesenkt, und zwar unterschiedlich in der Stadt Braunschweig und im Land Braunschweig. In der Landeshauptstadt betrug der Kirchensteuersatz 1925 9%, 1926 6%, 1927 3%, 1928 6%. Im Lande Braunschweig war er dagegen erheblich höher und betrug 1925 12%, 1926 10%, 1927 7%, 1928 9%. Dem entsprechend sanken auch die Kirchensteuereinnahmen und stiegen wieder kräftig an. Sie betrugen nach dem Rekordjahr 1925 mit 1,28 Millionen RM, 1926: 882.000,00 RM, 1927: 683.000,00 RM, 1928: 1,019 Millionen RM, 1929: 1,316 Millionen RM. (Bericht über die Entwicklung der braunschweigischen-ev.-luth. Landeskirche in den Jahren 1923 – 1929 dem II. ordentlichen Landeskirchentag vorgelegt von der Kirchenregierung Wolfenbüttel 1930, S. 24ff). Die Landeskirche war bereits im September 1925 in der Lage, alle Pfarrer nach der Gruppe 10 der staatlichen Besoldung zu bezahlen, das war zwar weniger als die Staatsbeamten erhielten, aber eine wesentliche Verbesserung gegenüber den Vorjahren.

Die Aussagen des Landeskirchenamtes über die Finanzlage der Landeskirehe variierten je nach dem Gegenüber. Gegenüber den Kirchengemeinden betonte das Landeskirchenamt die jeweils durchaus gefestigte Finanzlage. Gegenüber dem Staat betonte das Landeskirchenamt jedoch seine Notlage, um die Notwendigkeit der ausbleibenden Staatszuschüsse zu begründen. Da im Finanzministerium auch die kirchlichen Haushaltspläne mitgelesen wurden, wurde im landeskirchlichen Haushaltsplan auch wiederholt ein Minus in der Höhe der erwarteten Staatszuschüsse ausgewiesen.

Gegenstand der Beratungen im Landeskirchentag war auch wiederholt ein gelegentlich sehr ausführlicher Bericht von Dr. Breust über den jeweiligen Stand der von ihm für die Landeskirche geführten Prozesse um Finanzansprüche. Es gab mit unterschiedlichem Ausgang Verfahren bei Amtsgerichten, bei Landgerichten, beim Oberlandesgericht, schließlich immer wieder beim Reichsgericht in Leipzig. In einer Denkschrift „über die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche im Lande Braunschweig“ hatte Dr. Breust die Rechtsansprüche dargestellt. In der Sitzung am 20. März 1925 beschloss der Landeskirchentag auf Antrag des Abgeordneten Henseling die Herstellung einer Massenauflage dieser Denkschrift. Im Bericht über die Entwicklung der Landeskirche in den Jahren 1923-1929 ist daher „Der Kampf der Kirche um ihr Recht“ prononciert an den Anfang gestellt, in dem der Leser über die Ansprüche und Prozesse in Sachen der Grundsteuerfreiheit, der Besoldungszuschüssen, des Gehaltes des Domorganisten, des Emeritierungsfonds, des Schul- und Opfereivermögens, der Baupflicht des Staates, der Stolgebührenrente, der Kosten des Landeskirchentages, der Bibliothek des Predigerseminars, des Dehnschen Legates in Wendhausen und über weitere Prozesse mit anderen Schuldnern informiert wurde. Dieser Dominanz der Finanzfragen hatten die Theologen im Landeskirchenamt offenbar nicht entsprechend gewichtige Fragen und Themen entgegenzusetzen. Die Dominanz der Finanzfragen führte ein Jahr später zu einer Kirchenaustrittswelle von Industriellen.

Kirehenaustritte
Seit der Jahreswende 1926/27 verbreitete sich in der Landeskirche das Gefühl, dass auch die bürgerliche Regierung im Freistaat kein zuverlässiger Partner der Landeskirche war. Es wurde ausgelöst durch die Weigerung der Regierung Marquordt, die hohen Besoldungszuschüsse auf die Dauer zu zahlen. Sie verwies die Kirchenleitung auf den Klageweg. Die Enttäuschung war jedoch beiderseitig, denn die Kirchenleitung hatte den Vertrag über die Trennung des Schul- und Opfereivermögens von 1919 gekündigt. Das Vermögen war in der Zeit von 1919/1922 unter Mitwirkung der kommunalen und ortskirchlichen Gremien in den meisten Fällen in beiderseitigem Einverständnis getrennt worden, und die Regierung Marquordt hatte davon ausgehen können, dass dieser Teil der Trennung von Staat und Kirche erledigt wäre. Dr. Breust jedoch sah erhebliche Nachteile bei der Trennung für die Kirche und wollte höhere Beträge durch neue Verhandlungen erzielen.

Ausdruck der sich verschlechternden Beziehungen war die sehr hohe Kirchenaustrittsziffer von 3.227 Personen zum Jahresende 1926, davon in der Stadt Braunschweig 2.659. (Landeskirchliches Archiv Wolfenbüttel (LAW): I. ordentlicher Landeskirchentag, Stenographischer Bericht der Sitzung vom 31.01.1927, Bericht des Bischofs S. 27, mit einer schriftlichen Eintragung von Bernewitz, die Zahl der Ausgetretenen betreffend) Es war die zweithöchste Austrittsziffer in der Geschichte der Landeskirche und wurde erst wieder 1937 erreicht. Zu den Ausgetretenen gehörte erstmals eine finanzstarke Gruppe von Braunschweiger Industriellen. Sie sah den Staatshaushalt durch die Zahlungen des Staates an die Landeskirche in einem Maße belastet, dass Entlastungen der mittelständischen Betriebe seitens des Staates ausbleiben müssten. Der Staatshaushalt schloss 1926 erstmals mit einem Defizit von 11 Millionen RM, auch der Etat der Stadt Braunschweig schloss mit zwei Millionen RM Defizit. In diesem Jahr griff die Arbeitslosigkeit in der Region erstmals wieder um sich. In dieser Situation waren hohe Forderungen der Landeskirche nicht für alle einsichtig.

Der Bischof griff in einer im Januar 1927 von ihm einberufenen Sondersitzung des Landeskirchentages diesen auffallenden Vorgang des Austritts von „namentlich reichen Menschen mit sehr großem Einkommen“ auf und wies das Ansinnen einer Kirchensteuersenkung und der Einstellung der Prozesse wegen hoher Zahlung von Staatszuschüssen zurück. Aber er bezweifelte, dass dadurch ein großer Schaden für die Kirche entstehen würde. Der Bischof blieb unnachgiebig, und das machte im Landeskirchentag Eindruck und fand Zustimmung und Anerkennung. In der offiziellen Statistik des kirchlichen Jahrbuches erschien allerdings statt der wirklichen Austrittsziffer von 3.227 Personen nur eine Zahl 1.551. Es blieb bei den kirchlichen Abgeordneten der Nachgeschmack, dass sich die Kirche auch auf das Großbürgertum nicht würde verlassen können und längst gelöste Bindungen zur Kirche auf diese Weise offenkundig geworden waren.

Das Verhalten der Industrie und der hinter ihr vermuteten Regierung löste ein kritisches und besorgtes Echo in der Presse der Kirchenparteien aus. Ein „Kampf ums Recht der Kirche“ betitelte die Schriftleitung der Zeitschrift „Freier Christenglaube“ den Streit. Es ginge „um einen groß angelegten Angriff der Leute mit den ganz großen Einnahmen, die die „Last“ der Kirchensteuer nicht mehr tragen wollen.“ Zielscheibe der Kritik war der Abgeordnete und Industrielle Helle. Er wollte nicht nur eine Senkung der Kirchensteuer und eine Einstellung von Prozessen der Kirche gegen den Staat, sondern auch personelle Veränderungen im Landeskirchenamt erzwingen, wobei er offenbar Dr. Breust meinte.

Die Schule
Die sozialistischen Regierungen erstrebten eine Ablösung des reformfeindlichen Schulgesetzes von 1913 und einen bestimmenden Einfluss auf die Braunschweiger Landschulen. Aber die Regierungsdauer von drei Jahren war verhältnismäßig kurz und daher die Nachhaltigkeit des sozialistischen Einflusses beschränkt. Die sozialistischen Regierungskoalitionen ab 1919 wurden 1924 durch die bürgerliche Regierungskoalition unter Minister Marquordt abgelöst und diese bürgerliche Regierung 1927 durch eine erneute sozialistische Regierung unter Ministerpräsident Jasper. Jede dieser Regierungen erließ besondere Schulerlasse, die den traditionellen Religionsunterricht einschränkten: im März 1922 den Grotewohlschen Schulerlass, im Oktober 1923 den Jasperschen, im September 1925 den Marquordtschen, im Januar 1928 den Sieversschen Schulerlass. Keiner wollte den Religionsunterricht in der Schule völlig abschaffen, das hätte gegen die Weimarer Verfassung verstoßen, aber die durch das Schulgesetz 1913 festgeschriebene christliche Grundstruktur des gesamten Schulbetriebes sollte beseitigt werden. Schon 1913 war das Bild einer ausgeprägt evangelischen Volksschule eine von der Schulwirklichkeit völlig abgelöste, groteske Vorstellung. In der braunschweigischen Landeskirche bildeten sich evangelische Elternbünde, die lautstark für eine evangelische Volksschule anno 1913 Stimmung machten.

Hauptinitiator der Elternbünde war Alfred Goetze, Pfarrer an der Braunschweiger Paulikirche, Jahrgang 1880, also in jener Zeit Mitte vierzig. Goetze war Mitglied des Landeskirchentages geworden und wollte das Gremium sofort für seine Agitation gewinnen. Da war es günstig, dass Pastor Deppe nach dem Bischofsbericht am 20. Mai 1924 in einer Stellungnahme die Gründung von Elternbünden durch den Ortspfarrer oder den Kirchenvorstand für „schädlich“ erklärte und Zurückhaltung im „Schulkampf“ empfahl. Der Abgeordnete Henseling von der kirchlichen Rechten hielt dagegen die Elternbünde für „das hervorragendste Lebenszeichen der Kirche“. Der Landesbischof gab seine Sympathie für die Elternbünde bekannt, hielt aber eine öffentliche Stellungnahme der Kirchenregierung für falsch. Er bemühte dabei ein anschauliches Bild aus dem Krieg: Ein Generalstab könne sich nicht in den Schützengraben begeben. Deppe und Goetze nahmen noch einmal das Wort, und Goetze bat, dieses Thema einmal auf die Tagesordnung zu setzten. Der „Schulkampf“ hatte also den Landeskirchentag früh erreicht. Eine Woche später bereits reichte Goetze in der 5. Sitzung am 28. Mai eine zu Hause formulierte „Entschließung zur Schulfrage“ vor, die gegen den Protest des Abgeordneten Deppe ohne Aussprache angenommen wurde, und der Abgeordnete Kebbel beantragte, diese Entschließung an einem der Pfingstsonntage von der Kanzel zu verlesen, was der Landeskirchentag auch beschloss.
Im nächsten Jahr reichte der Abgeordnete Henseling am 19. März 1925 einen Antrag ein, den christlichen Charakters der öffentlichen Schulen wiederherzustellen. „Der Abgeordnete setzt sich für einen energischen Kampf zur Wiedererlangung der evangelischen Schule ein.“ Dieses Mal warnte der Bischof vor übermäßigem Drängen, aber die Mehrheit des Landeskirchentages stimmte dem Antrag Henseling zu „als eine Kundgebung zur allgemeinen Einstellung in dieser Frage“. Im Frühjahr 1926 fanden nur vier Sitzungstage statt, und der Landeskirchentag diskutierte ausgiebig die Bildung eines Volksbildungsausschusses, um das Verhältnis zur Lehrerschaft zu verbessern. Darin sollte „in regelmäßig wiederkehrenden Beratungen über wichtige Erziehungs- und Schulfragen verhandelt und beschlossen“ werden. Erst ein Jahr später, am 29. April 1927 wurden Delegierte für den Volksbildungsausschuss gewählt. Aber die Lehrerschaft winkte ab. Der Landeskirchentag fand nicht in eine vermittelnde Rolle.

Schluss
Es war in gewisser Hinsicht ein Alarmsignal, dass am letzten Sitzungstag, dem 15. März 1929 nur noch 23 Abgeordnete im Magnigemeindesaal anwesend waren. Der Präsident gab noch einen kurzen Überblick über die Tätigkeit des ersten Landeskirchentages und schloss „mit dem Wunsche, dass alle, die in den sechs Jahren für das Wohl der Kirche tätig gewesen seien, sich mit Freude der Stunden der gemeinsamen Arbeit erinnern mögen.“ Das hörten nicht mehr alle.

Es fehlte den Verhandlungen dieser ersten Sitzungsperiode des neuen Landeskirchentages ein perspektivischer Akzent für das beginnende neue Jahrzehnt und die kommende Legislaturperiode Es war dem Bischof nicht gelungen, die Abgeordnete vor dringende Fragen über die Zukunft der Landeskirche zu stellen: „Begrüßt der Landeskirchentag einhellig die Loslösung aus den staatskirchlichen Formen? Welche primären theologischen Aufgaben hat das neue Landeskirchenamt neben den dominierenden finanziellen? Welche Gestalt sollte Kirche in Zukunft haben?“ Otto Dibelius hatte 1926 das Buch „Das Jahrhundert der Kirche“ geschrieben, das in kurzer Zeit hohe Auflagen erreichte. Galt das auch für die Braunschweigische Landeskirche?
(Verhandlungen des zweiten Landeskirchentages der braunschweigischen evangelisch – lutherischen Landeskirche, erste Tagung vom 6. Januar bis 25. März 1930, Sonderdruck Wolfenbüttel 1931. Sonderbeilage zum landeskirchlichen Amtsblatt Nr. 4611, Stück 3/1931).



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