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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode in der nationalsozialistischen Zeit (1933-1935)

Der braune Landeskirchentag (1933-1935)


Die uniformierten, braunen Synoden (1933 – 1935)
Quelle LAW Syn 158
Landeskirchliches Amtsblätter 1933, 1934 und 1935


Daten der Zeitgeschichte
Der Reichspräsident v. Hindenburg hatte am 30. Januar 1933 den Parteiführer der NSDAP Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, obwohl Hitler keine beruflichen und charakterlichen Voraussetzungen für die Führung eines Ministeramtes, geschweige einer Regierung mitbrachte und die NSDAP im Reichstag keine Mehrheit hatte. Der Reichspräsident löste den Reichstag auf, aber Hitler hatte auch nach einem wüsten Wahlkampf im Februar 1933 am Wahltag, dem 5. März 1933, keine Mehrheit im Reichstag. Mit den Stimmen der früheren DNVP, jetzt Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot jedoch und der katholischen Zentrumspartei sowie der Verhaftung der gesamten kommunistischen Reichstagsfraktion hatte sich Hitler eine Mehrheit im Reichstag terroristisch verschafft. Das Deutsche Reich verwandelte er durch die Verabschiedung eines Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 allmählich in einen autoritären Staat, schaffte das Wahlrecht ab und verbot sämtliche Parteien. Träger dieses revolutionsähnlichen Vorganges waren die SA und eine von ihm gegründete Hilfspolizei. Durch einen ständigen Wechsel von staatlich organisierten Volksfesten und einem angstverbreitenden Terror verschaffte sich Hitler bereits bis Ende des Jahres 1933 die Zustimmung der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung.

Daten der Kirchengeschichte
Hitler versprach schon Anfang Februar in einem „Aufruf an das deutsche Volk“ die Errichtung eines Nazistaates auf christlicher Grundlage. Er erneuerte dieses Phantasiegebilde eines christlich-nazistischen Deutschlands in seiner ersten Regierungserklärung am 23. März 1933. Hitler ging mit ausgebreiteten Armen auf die christlichen Kirchen im Deutschen Reich zu in der Hoffnung, sie seinem autoritären Staat als Reichskirche fest unterordnen zu können. Die Kirchen, die sich bis dahin ziemlich reserviert gezeigt hatten, versprachen nun ihre Mitarbeit bei einem Nazistaat auf christlicher Grundlage.
Seit dem Herbst 1932 hatte sich die Glaubensbewegung Deutsche Christen gebildet, die eine enge Verzahnung von NSDAP und evangelischer Kirchenstruktur erstrebten und die Auflösung der 28 Landeskirchen sowie die Bildung einer dem Hitlerstaat hörigen zentralen „judenfreien“ Reichskirche unterstützten.
Die Glaubensbewegung Deutsche Christen hatte im Frühjahr 1933 einen enormen Zulauf bis sich die Jungreformatorische Bewegung bildete, die sich deutlich gegen einen starken Einfluss der NSDAP-Partei in die kirchlichen Angelegenheiten aussprach.
Hitler ordnete für den Juli 1933 Kirchenwahlen zur Bildung von neuen Kirchenvorständen und Synoden an, die er persönlich unterstützte und die von den Deutschen Christen in allen Landeskirchen mit Ausnahme der westfälischen haushoch gewonnen wurden.

Daten der Landeskirchengeschichte
In der Landeskirche hatte sich eine Gruppe von Pfarrern in schriftlichen Aufsätzen schon im Jahre 1930/31 für eine vorsichtige Öffnung zur Nazipartei geäußert. Die Kirchenregierung aber rief erst im Mai 1933 in einem Aufruf, wie auch die meisten anderen Kirchenleitungen schon vorher in Berufung auf die Regierungserklärung vom 23. März 1933, die Kirchengemeinden zur freudigen Mitarbeit am vermeintlich christlichen Staat auf. „Nun tritt nicht zögernd sondern freudig und kraftvoll auf den Plan mit d e i n e m „Deutschland erwache“. (Landeskirchliches Amtsblatt 5.Mai 1933 S. 13 und 14) Treibende Kraft in der Kirchenregierung war Landesbischof Alexander Bernewitz. Zu den Synodalwahlen im Sommer 1933, die eigentlich erst für 1935 vorgesehen waren, traten zwei Listen auf. Die der Deutschen Christen wurde vom 55-jährigen Pfarrer an der Braunschweiger Katharinenkirche Johannes Schlott und vom 28-jährigen Dorfpfarrer von Wenzen, Wilhelm Beye, angeführt. Beide waren bereits Mitglieder der NSDAP und hatten eine radikale öffentliche Agitation betrieben. Die zweite Liste nannte sich „Evangelium und Kirche“ Ich finde es doch bemerkenswert, dass im autoritären Hitlerstaat noch so etwas wie eine Wahl überhaupt zustande kam, denn eigentlich sollte es keine Wahl, sondern ein plebeszitärer Akt der wahlberechtigten Kirchenmitglieder zum Hitlerstaat werden. Nachdem in der Nacht zum Wahltag Hitler über den Rundfunk ungeniert für die Liste der Deutschen Christen geworben hatte, zog v. Schwartz die Liste „Evangelium und Kirche“ zurück. Diese Nachricht erreichte nicht alle Wahllokale. Die Deutschen Christen erhielten eine übergroße Mehrheit. Der „erste Landeskirchentag im dritte Reich“, wie er sich selber nannte, bestand daher nur aus Mitgliedern der Deutschen Christen.

Der braune Landeskirchentag 1933-1935


Mitglieder des ersten Landeskirchentages im dritten Reich

01. Bechler, Hermann, Gremsheim, Pfarrer.
02. Bertram, Kurt, Braunschweig, Staatsrat.
03. Beye, Wilhelm, Wenzen, Pfarrer.
04. Blume, Walter, Thiede, Studienrat.
05. Bremer, Albrecht, Horstedt, Lehrer.
06. Brutzer, Ernst, Braunschweig, Pfarrer.
07. Buchheister, Otto, Bornum, Gemeindevorsteher.
08. Burgdorf, Friedrich, Geitelde, Landwirt.
09. Denecke, Paul, Helmstedt, Stadtrat.
10. Eberecht, August, Naensen, Landwirt.
11. Gerhard, Kurt, Braunschweig, Landgerichtsdirektor.
12. Göhmann, Wilhelm, Deensen, Landwirt.
13. Gremmelt, Otto, Ölsburg, Kirchenrat.
14. Gropp, Gustav, Stadtoldendorf, Pfarrer.
15. Heydecke, Hans, Holzminden, Studienrat.
16. Ibenthal, Seesen, Konservenkocher.
17. Jürgens, Karl, Braunschweig, Tischlermeister.
18. Kaiser, August, Boffzen, Glasmacher.
19. Kämpfert, Erich, Braunlage, Prokurist.
20. Kellner, Adolf, Blankenburg, Pfarrer.
21. Leidich, Alfred, Blankenburg, Sturmbannarzt.
22. Lüttgau, Walter, Braunschweig, Gärtner.
23. Müller, Friedrich, Bahrdorf, Pfarrer.
24. Müller, Rudolf, Gandersheim, Oberstudiendirektor.
25. Oppe, Karl, Wolfenbüttel, Mittelschullehrer.
26. Pfeil, Walter, Rübeland, Lackierer.
27. Schlott, Johannes, Braunschweig, Pfarrer.
28. Schütte, Günther, Braunschweig, Studienrat.
29. Steffen, Otto, Schöningen, Kassenbote.
30. Sturm, August, Warberg, Volksmissionar.
31. Tacke, Erich, Gandersheim, Kirchenrat.
32. Teichmann, Hermann, Sambleben, Pfarrer.
33. Vahldiek, Hermann, Braunschweig, Präsident der Handwerkskammer.
34. Wagner, Alfred, Braunschweig, Pfarrer.
35. Wandersleb, Richard, Emmerstedt, Pfarrer.
36. Wrege, Hans, Gandersheim, Kaufmännischer Angestellter.

Alle Abgeordnete mit Ausnahme von Erich Tacke waren neu in diesem Gremium. Es gab keine Spur von personeller Kontinuität. Dem Landeskirchentag gehörten keine Frauen an.

Termine und Themen

Eröffnungsgottesdienst durch Landesbischof Bernewitz vor Beginn der ersten Sitzung des Landeskirchentages im dritten Reich.

In seiner Predigt wiederholte der Bischof noch einmal seinen schweren Irrtum und seine später unerfüllten Hoffnungen, die er auf Hitler und den Nationalsozialismus gesetzt hatte.
„Wer sieht denn heute nicht, dass wir in einem neu erwachten Volk leben? Was Jahr um Jahr ersehnt worden ist, das ist zu einem Teil geworden, aus ganz kleinen Anfängen, aus jenen wenigen Menschen, die den Glauben und den Willen hatten, unser deutsches Volk aus der Not herauszuführen.“
Der Bischof wiederholt die vor und nach 1933 von Hitler und der Propaganda immer wieder aufgetischte Parteilüge von den kleinen Anfängen und dem herrlichen Ende. Der Bischof sieht auch die Opfer des Naziterrors, aber er vergleicht sie mit den vermuteten neuen Chance für die Kirche und gibt diesen den Vorzug. „Wenn das Alte stürzt, wer wollte leugnen, dass es dann auch viele Leidtragende gibt, aber es ist Gottes Hand, die uns in eine neue Zeit führt, in der einem neuen Geist die Türen geöffnet sind. Nun ist die Stunde der Kirche aufs Neue gekommen.“
Die Redeweise von der „Hand Gottes“ geisterte bis zum Ende des Naziterrors beschwichtigend durch die Redeweise der evangelischen Kirche.
Der Bischof weiß, dass es seine Abschiedspredigt im Braunschweiger Dom sein wird. Der scheidende Bischof knüpft daher noch einmal an seinen Abschied aus der baltischen Heimat 1919 an.
„Es ist der letzte Landeskirchentag, den ich eröffne, und ich möchte deshalb etwas Persönliches sagen. Als in meiner baltischen Heimat alles zusammenbrach, und ich nur noch das Leben zweier Menschen rettete, da habe ich diesen Zusammenbruch ertragen. Aber ich kam in das deutsche Vaterland, aus dem meine Vorfahren vor 400 Jahren ausgewandert waren, und ich fand, dass das deutsche Volk seiner eigentlichen gottgebotenen Art fremd geworden war. Da ist mir der Glaube schwer geworden, dass noch einmal eine deutsche Zukunft entstehen wird. Es ist aber geworden, und es ist wie eine Befreiung über die schier hoffnungslose Seele des deutschen Menschen gekommen.“

Diese „Befreiung“ wurde auch in der vor dem Bischof sitzenden Domgemeinde anschaulich. Er erinnerte sich nur wenige Jahre später so:
„Alle 36 neuen Abgeordneten des Landeskirchentages waren in der Parteiuniform erschienen, auch diejenigen, die noch nicht berechtigt waren, sie zu tragen, hatten für diesmal das Recht dazu erhalten. Manche von ihnen sahen in dieser Tracht wie verkleidet aus und schienen das selbst zu fühlen. Nach dem Gottesdienst zogen sie in geschlossenem Zuge in ihren Parteiuniformen zur Sitzung im Landtagsgebäude. Ich fuhr im Auto hin. Die Tribünen waren überfüllt, zwei Stunden verhandelten sie in Nebenräumen vertraulich, dann zogen sie ein. Die bisherigen synodalen Mitglieder der Kirchenregierung waren nicht erschienen, auch nicht die beiden geistlichen Oberkirchenräte Meyer und Pastor Heydenreich.“
(Rückblicke am Ende eines Lebensweges in: Kuessner, Landesbischof D. Alexander Bernewitz, Blomberg 1985 S.159)


1. Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich
28. Juli 1933 im Landtagsgebäude, Braunschweig
Quelle: Sonderbeilage des Landeskirchlichen Amtsblattes 1933 nach S. 51. Verhandlungen des ersten Landeskirchentages im dritten Reich der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche am 28. Juli 1933.Niedersschrift über die 1. Sitzung.

Es fehlt ein Abgeordneter: Heydecke.
Der Bischof vereidigte die Abgeordneten und gab bekannt, dass er und OKR Meyer zum 1. Oktober aus Altersgründen in den Ruhestand gehen werden.
Zum Präsidenten wurde auf Vorschlag von Pfarrer Beye Kurt Bertram, der Landtagspräsident des bereits gleichgeschalteten Landtages, gewählt, als Stellvertreter: Denecke und Burgdorf.
Wahl der Mitglieder der Kirchenregierung: Bertram, Beye, Wrege. Als Stellvertreter Gerhard, Oppe, Teichmann.
Wahl der Mitglieder für einen Wahlprüfungsausschuss, Finanzausschuss, Bittschriften- und Beschwerdeausschuss, Rechtsausschuss und deren Stellvertreter.
Die Pfarrer Schlott und Beye wurden „mit der kommissarischen Wahrnehmung der Geschäfte der beurlaubten Oberkirchenräte“ Meyer und Heydenreich beauftragt. Beide Neugewählte sollten auf Antrag von Wrege die Verhandlungen mit der Deutschen Evangelischen Kirche führen.
Auf Vorschlag von Bertram wurden Telegramme an Hitler, Hindenburg, Müller und das Staatsministerium geschickt.
Nach dem Schlusswort von Schlott wurde die Sitzung mit dem Lutherlied und dem Horst Wessellied („Die Fahne hoch..“) sowie einem dreifachen Sieg Heil auf den Reichspräsidenten und den Reichskanzler geschlossen.
Eröffnungsgottesdienst vor Beginn der zweiten Sitzung im Dom durch OKR Schlott
über das Bibelwort aus der Bergpredigt „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt. 5,48) mit der Gliederung „Tannenberg – Niederwalddenkmal -Nürnberg- Wittenberg“. Mit diesem Gottesdienst begann die Nazifizierung des Braunschweiger Staatsdomes.


2. Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich.
12. September 1933 im Landtagsgebäude, Braunschweig. Beginn 14.25. Ende 14.50
Quelle: Sonderbeilage des Landeskirchlichen Amtsblattes 1933 nach S. 51. Verhandlungen des ersten Landeskirchentages im dritten Reich der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche am 12. September 1933. Niederschrift über die 2. Sitzung.

Es fehlen: Ibenthal und Kämpfert.
Den Vorsitz in der Kirchenregierung hat für den „beurlaubten Landesbischof“ Bernewitz OKR Breust eingenommen.
Wahl von Wilhelm Beye zum Landesbischof. Da keine Wortmeldung und kein Widerspruch erfolgt, galt Beye als gewählt.
Wahl von Oberkirchenrat Schlott zum hauptamtlichen geistlichen Mitglied des Landeskirchenamtes.
Wahl von Pfarrer Bechler zum Mitglied der Kirchenregierung.
Bestätigung der Notgesetze vom 19.08.1933 betr. Besetzung von Pfarrstellen und vom 22.08.1933 betr. Neuordnung der Kirchenkreise nach kurzer Begründung durch Bischof Beye ohne Widerspruch und Aussprache.
Annahme eines Gesetzes zur Änderung des § 15 des Notgesetzes zur Neuordnung der Kirchenkreise. „Die Kirchenregierung ernennt für jeden Kirchenkreis einen Kreispfarrer und einen Stellvertreter.“
Zustimmung zu einem „Ermächtigungsgesetz über Volksmissionare“.
Zustimmung zu einem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten im Sinne der Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (Einführung des Arierparagraphen).


3. Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich
18. Dezember 1933 im Landtagsgebäude, Braunschweig.
Quelle: Landeskirchliches Amtsblatt 1933 nach S. 59 Niederschrift der 3.Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche am 18. Dezember im Landtagsgebäude zu Braunschweig.

Es fehlen: Eberecht, Denecke, Kämpfert, Dr. Müller-Braunschweig, Vahldiek, Wandersleb.
Einstimmige Zustimmung zum Gesetzentwurf betr. Übertragung der Befugnisse des Landeskirchentages auf die Kirchenregierung.
Protesttelegramm an den Reichsbischof Müller gegen die Gesetze die Rechtsverhältnisse der Geistlichen betr.
Der Landesbischof gab zunächst einen kurzen Überblick über die kirchliche Lage. Nach „kurzer“ Begründung durch Bischof Beye und Verlesung „der 28 Thesen zum inneren Aufbau der deutschen evangelischen Kirche“ wurden diese angenommen.
Anfrage des Abgeordneten Ibenthal: „Was gedenkt die Kirchenregierung zu tun, um gegen unbotmäßige Pfarrer die Autorität wieder herzustellen?“. Beye antwortet: „Der Landesbischof hat mit Bedauern von den Vorkommnissen in der Pfarrerversammlung vom 30. November in Dannes Hotel Kenntnis genommen und verurteilt die Handlungsweise auf das Allerschärfste aus christlich-nationalsozialistischen Gründen.“

Landeskirchliches Amtsblatt

Das Amtsblatt zeigt das deutsch-christliche Ineinander von Hakenkreuz und Christenkreuz. Unten rechts das für Beye vorgesehene Bischofskreuz, welches nicht rechtzeitig zur Amtseinführung fertig wurde. Der uniformierte, braune Landeskirchentag verabschiedete in seiner zweiten Sitzung das Gesetz mit dem die Pfarrer zum rückhaltlosen Eintritt für den Nationalsozialismus verpflichtet wurden.


4. vertrauliche Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich
23. Februar 1934 im Landtagsgebäude Braunschweig.
Beginn: 14.04 Uhr, Ende: 14.30 Uhr.
Quelle: Landeskirchliches Amtsblatt 1934, Seite 25
Es fehlen: Bremer und Denecke.
Bertram gibt den Rücktritt von Bischof Beye vom Bischofsamt bekannt
Aufhebung des Gesetzes vom 18. Dezember betr. Übertragung der Befugnisse des Landeskirchentages auf die Kirchenregierung.
Antrag von Gerhard, dass Beye seine bisherigen Bezüge behält. „Da keine Wortmeldung und kein Widerspruch erfolgt, ist der Antrag angenommen“.
Präsident Bertram verliest die Maßnahme von Reichsbischof Müller, OKR Evers als Kommissar nach Braunschweig zu entsenden, um den „Notstand“ zu beenden.
OKR Evers stellt sich dem Landeskirchentag vor.

OKR Evers bildet den Landeskirchentag mit dem Kirchengesetz Nr. 4920 vom 17. März 1934
um. Der Landeskirchentag besteht fortan aus 12 Abgeordneten:
Bertram, Kurt, Braunschweig, Staatsrat.
Burgdorf, Friedrich, Geitelde, Landwirt.
Denecke, Paul, Helmstedt, Stadtrat.
Gerhard, Kurt, Braunschweig, Landgerichtsdirektor.
Gremmelt, Otto, Ölsburg, Kirchenrat.
Kaiser, August, Boffzen, Glasmacher.
Kämpfert, Erich, Braunlage, Prokurist.
Kellner, Adolf, Blankenburg, Pfarrer.
Leidich, Alfred, Blankenburg, Sturmbannarzt.
Tacke, Erich, Gandersheim, Kirchenrat.
Teichmann, Hermann, Sambleben, Pfarrer.
Vahldiek, Hermann, Braunschweig, Präsident der Handwerkskammer.


5. Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich.
1. Juni 1934 im Landtagsgebäude, Braunschweig
Beginn: 13.35 Uhr. Ende 14.05 Uhr.
Quelle: Landeskirchliches Amtsblatt 1934, Seite 40. Niederschrift über die 5. Sitzung des ersten Landeskirchentages im Dritten Reich der braunschweigischen evangelisch lutherischen Landeskirche am 1. Juni 1934 im Landtagsgebäude zu Braunschweig.

Es fehlen zwei Abgeordnete: Vahldiek und Burgdorf. Als Gäste: Reichsbischof Müller und Ministerialdirektor Dr. Jäger.
OKR Breust begründet die Vorlage der Kirchenregierung vom 29.5.1934 über „das Gesetz zur Eingliederung der Braunschweigischen Landeskirche in die Reichskirche“ und verliest den Wortlaut des Gesetzes.“ „Da keine Wortmeldungen vorliegen, schließt der Präsident die Aussprache.“
Einstimmige Annahme des Gesetzes betr. Übertragung der Befugnisse der Braunschweigischen ev.-luth. Landeskirche auf die Deutsche Evangelische Kirche.
Überreichung der Ausfertigung der „Urkunde über die vollzogene Vereinigung“
durch OKR Dr. Breust. Breust „spricht bei der Gelegenheit dem Reichsbischof und Dr. Jäger für die an dem Einigungswerk der Deutschen Evangelischen Kirche bisher geleistete Arbeit den Dank der Versammlung aus und bittet die Versammlung, auf die beiden Herren ein dreifaches „Sieg Heil“ auszubringen.“
„Längere Ausführungen“ vom Reichsbischof und Dr. Jäger


6. Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich.
15. November 1934 im Landtagsgebäude, Braunschweig.
Quelle: Rundbrief Strothmann

Es fehlen: Burgdorf, Denecke, Kaiser (unentschuldigt), Vahldiek.
In der Kirchenregierung vertritt Lambrecht den beurlaubten Dr. Breust.
Röpke an Stelle des beurlaubten Schlott.
Röpke verliest zu Beginn ein Schriftwort.
Auf Antrag der Kirchenregierung wird Dr. Helmuth Johnsen zum Bischof „berufen“. Bertram begründet die Vorlage.
Bertram und Tacke begrüßen Johnsen im Namen des Landeskirchentages und der Pfarrerschaft.
Auf Antrag von Gerhard: Übertragung der Befugnisse des Landeskirchentages auf die Kirchenregierung.


7. Sitzung des ersten Landeskirchentages im dritten Reich
25. März 1935 im Dienstgebäude des Landeskirchenamtes Wolfenbüttel
Quelle: Landeskirchliches Amtsblatt 1935 S. 24. Niederschrift über die 7. Sitzung des ersten Landeskirchentages im Dritten Reich der braunschweigischen evang-lutherischen Landeskirche am 25. März 1935 im Dienstgebäude des Landeskirchenamtes in Wolfenbüttel.

Es fehlen: Burgdorf, Vahldiek, sowie Denecke (unentschuldigt)
Lambrecht in der Kirchenregierung als Vertreter von Breust
Tacke spricht zu Beginn ein Gebet.

Übersicht über Einnahmen und Ausgaben der Landeskirchenkasse, des Emeritierungsfonds und des Gesangbuchfonds im Rechnungsjahr 1933/34. Entlastung des Landeskirchenamtes. Haushaltsplan 1935/36. Anfrage vom Abg. Leidig, ob ein Einspruch von Berlin zu erwarten sei.
Vorlage der Kirchenregierung betr. Bestätigung der Notgesetzes vom 20.12.1934 und 11.1.1935
Übertragung der Befugnisse des Landeskirchentages auf den Landesbischof. . Feststellung des Präsidenten: Die Anwesenheit von neun Abgeordneten bedeute eine verfassungsändernde Mehrheit.

Hauptgegenstände und Hintergründe

Umbruch
Das Führerprinzip war dem synodalen Prinzip frontal entgegengesetzt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Landeskirchentag aufgelöst würde. Aber zunächst sollte der Eindruck von Kontinuität erzeugt werden. Daher: Gottesdienste zu Beginn der Sitzungen, Wahl eines Präsidenten, Wahl von mehreren Ausschüssen, Tagesordnungspunkte, Tagegelder, Veröffentlichung von Sitzungsniederschriften im Amtsblatt.
Aber der Eindruck, dass die Geschichte des Landeskirchentages sich in einem völligen Umbruch befand, ließ sich nicht übersehen: Der Landeskirchentag tagte nicht mehr im Magnigemeindesaal, sondern wie zu Herzogs Zeiten im Landtagsgebäude. Das Landtagsgebäude wurde bald SS- Zentrale. Es wurde kein Bibelwort zu Beginn der Sitzung verlesen. Es fanden im Plenum keine Debatten oder Aussprachen statt.

Gleichschaltung
Das Modewort des Jahres 1933 lautete „Gleichschaltung,“ das bedeutete die Unterwerfung von Parteien und Vereinen wie der gesamten Öffentlichkeit unter die nationalsozialistische Norm. Die Gleichschaltung des Landeskirchentages wurde optisch organisiert durch die SA Uniform, die alle Delegierten bei der ersten Sitzung trugen. Das rief bei Nachdenklichen auch Heiterkeit hervor, aber es dokumentierte einen fanatischen Willen zur Durchsetzung eines kirchlichen Führerprinzips.
Der Landeskirchentag vollzog die Gleichschaltung auf drei Ebenen:
In der ersten Sitzung im Juli wurde die Kirchenleitung durch die Wahl regierungs- wie parteitreuer Genossen gleichgeschaltet. Das Angebot des Bischofs, in der Übergangszeit bis zu seinem Antritt des Ruhestandes am 1. Oktober behilflich zu sein, wurde ausgeschlagen. Das Vorzimmer des neuen Landesbischofs wurde von einem SA-Mann in Uniform besetzt. Stolz berichtete OKLR Breust, die Mitglieder des Landeskirchenamtes seien Mitglieder NSDAP. Das Landeskirchenamt unter der tatsächlichen Führung von OKR Dr. Breust und der neuen Kirchenregierung bereitete die Gleichschaltung der zweiten Ebene vor.
In der zweiten Sitzung im September erfolgte die Gleichschaltung der zweiten Ebene. Die bewährte Struktur der 18 Kirchenkreise wurde aufgehoben und durch sieben neue, der Größe eines Landkreises angepasste Kirchenkreise ersetzt. Die sieben neuen Kirchenkreise erhielten neue Kreispfarrer. Alle Kirchenräte wurden abgelöst. Das bedeutete die organisatorische und personelle Gleichschaltung auf der zweiten Ebene. Dieses Zusammenfallen von Landkreis und Kirchenkreis war a us der Sicht der Landeskirche unnötig und unbegründet. Es diente als Vorstufe für eine organisatorische Verschmelzung von staatlicher und kirchlicher Struktur. So wie Hakenkreuz und Christuskreuz im Titel des Amtsblattes ineinander übergingen, so sollte es in Zukunft auch auf der Mittelebene eine „Gleich“schaltung geben.

Die theologische Gleichschaltung, also auf der dritten Ebene, erfolgte im Dezember 1933 durch die Verabschiedung von „28 Thesen zum inneren Aufbau der Deutschen Evangelischen Kirche.“ Die 28 Thesen waren von Oberkirchenrat Walter Grundmann formuliert und von der sächsischen Landeskirche bereits angenommen. Im ersten Teil „Kirche und Staat“ heißt es, die Volkskirche bekenne sich zu Blut und Rasse und erstrebe die Einführung des Arierparagrafen, der jedoch zurückhaltend gedeutet wird. „Der Christ anderer Rasse sei nicht ein Christ minderen Ranges, sondern „ein Christ anderer Art.“ Im Übrigen erweckten die Thesen einen bekenntnistreuen Eindruck. Die vornehmliche Aufgabe der Kirche sei es, das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen, die Volkskirche könne das Alte Testament nicht aufgeben. Grundmann erwähnt ausdrücklich die Confessio Augustana. Im Landeskirchentag gab es nach der Verlesung der Thesen eine Aussprache, aber das Protokoll verschweigt, in welche Richtung diese Aussprache erfolgte, auf eine Verschärfung der deutsch-christlichen Aussagen oder eine
Zustimmung. Die Thesen sollten am ersten und zweiten Weihnachtstag im Gottesdienst verlesen werden.

Der Höhepunkt der Gleichschaltung unter OKR Dr. Breust
Die Gleichschaltung kam in der Landeskirche zum Höhepunkt durch die organisatorische Eingliederung der Landeskirche in die Reichskirche am 1. Juni 1934.
Die Braunschweigische Landeskirche war keineswegs die erste, die sich mit einem Synodalbeschluss freiwillig in die geplante Reichskirche eingliederte. Vorangegangen waren die größte Landeskirche, die Kirche der altpreußischen Union, die sächsische Landeskirche am 4. Mai 1934, die schleswig-holsteinische Landeskirche am 8. Mai 1934, die thüringische Landeskirche am 14. Mai 1934, die Hannoversche Landeskirche am 15. Mai 1934, die Hamburgische Landeskirche am 24. Mai 1934. Aber der Rausch der Eingliederung war ins Stocken gekommen: der bayrische Landesbischof Meiser protestierte gegen eine Eingliederung in einem Brief vom 17. Mai 1934 an den Reichsinnenminister, der Hannoversche Landesbischof hatte seine Unterschrift am 15. Mai durchgestrichen, sein Stellvertreter Schnelle hatte für ihn unterschrieben, in gut besuchten Bekenntnisversammlungen noch im Mai 1934 wurde gegen die Eingliederung der Hannoverschen Landeskirche protestiert. Vom 29.- 31. Mai 1934 tagte in Barmen die erste Bekenntnissynode als Protest gegen die Politik und Ideologie der Deutschen Christen. Es gab also am 1. Juni 1934, als der Braunschweigische Landeskirchentag zusammentrat, viel Anlass, sich eine Unterschrift unter eine Eingliederungserklärung zu überlegen und zu diskutierten.
Aber die Eingliederung war schon in der Kirchenregierung vom 29. Mai 1934 beschlossen und der Text formuliert. Er lautete:
„Die braunschweigische evangelisch-lutherische Landeskirche ist willens, das Werk der Einigung der deutschen evangelischen Landeskirchen unter Führung des vom Vertrauen des Volkskanzlers getragenen Reichsbischof im Dritten Reich mit zu vollenden. Sie erklärt ihre Bereitschaft, ihre Kirchenhoheit, sofern nicht Bekenntnis und Kultus in Frage kommen, einer geeinten Deutschen Evangelischen Kirche zu übertragen. Zur Vorbereitung dieses Werkes hat der Landeskirchentag folgendes Kirchengesetz beschlossen:

§ 1
Die Befugnisse des Landeskirchentages und der Kirchenregierung der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche werden auf die Deutscher Evangelische Kirche mit der Ermächtigung übertragen, auch verfassungsändernde Kirchengesetze zu erlassen. Der Landesbischof wird dem Reichsbischof unterstellt.

§ 2
Die übertragenen Befugnisse und die Weisungen des Reichsbischofs beziehen sich nicht auf Bekenntnis und Kultus. Die Landeskirche bleibt insofern gemäß Artikel 2 Ziffer 3 der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933 selbständig.

§ 3
Entgegenstehende Bestimmungen werden aufgehoben.

§ 4
Dieses Gesetz tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.
Wolfenbüttel den 1. Jun 1934
Die Kirchenregierung
Dr. Breust Schlott Gerhard Bertram Tacke.“

Mit diesem Gesetz unterwarf sich die Landeskirche vollständig der deutsch-christlichen Führung des Reichsbischofs Müller. Die Rolle der Deutschen Christen in der Landeskirche schien nach dem Prozess gegen Bischof Beye im März 1934 vor dem Braunschweiger Landgericht aber geschwächt. Die deutsch-christlichen Kreispfarrer votierten unterschiedlich zum Prozessausgang. Es hatte sich ein Pfarrernotbund gebildet, der offen gegen Bischof Beye gearbeitet hatte und seinen Widerstand gegen die deutsch-christliche „Theologie“ in Gestalt der 28 Thesen, nicht aufgegeben hatte.
OKR Dr. Breust war aber gegen die Notbundpfarrer disziplinarisch vorgegangen, er war selber den Deutschen Christen beigetreten und auch Mitglied der NSDAP. Insofern entsprach die Eingliederung seiner persönlichen Haltung. Sie verursachte aber zugleich eine Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen der BK und den DC in der Landeskirche.
Mit der Beschlussfassung des Gesetzes stimmte sie auch den kirchenpolitischen Plänen Hitlers zu, der sich eine zentrale, lenkbare, gleichgeschaltete Reichskirche wünschte.
Es wäre also in einer Aussprache durchaus manches zu besprechen gewesen. Aber es meldete sich kein Abgeordneter zu Worte. Das Protokoll erlaubte sich zu dieser Debattenkultur zu bemerken: „Da keine Wortmeldungen vorliegen, schließt der Präsident die Aussprache“, die gar nicht stattgefunden hatte. Nachdem alle zugestimmt hatten, lobte OKR Breust zur Freude von Ministerialdirektor Dr. Jäger die bisherige Entwicklung der Eingliederung und übergab noch in derselben Sitzung ein ausgefertigtes Exemplar des Gesetzes und animierte die Abgeordneten als Dank zu einem „Sieg Heil“ auf die beiden hohen Gäste.

Breust konnte sich nun auf dem Höhepunkt seiner kirchlichen Laufbahn wähnen. Er würde als Jurist die Führung einer derart eingegliederten Landeskirche übernehmen können.
Aber der von ihm hochgelobe Reichsbischof Müller schickte noch im selben Monat Juni den Lübecker Hauptpastor Dr. Helmuth Johnsen als Kirchenkommissar nach Braunschweig in die Landeskirche, um dort Ordnung zu schaffen. Sein Vorgänger Beye hatte noch nicht die Dienstwohnung geräumt, sondern sann auf Rache. Johnsen geriet in ein von den Deutschen Christen inszenierten Pressetrubel um ein Stück Land, das das Landeskirchenamt an einen verdienten Schöppenstedter Bewohner, aber einen Juden, verkauft hatte. Die Angelegenheit war für Johnsen so undurchsichtig, dass er die Verantwortlichen in der Behörde, OKR Schlott, OKR Breust und Kirchenregierungsrat Lambrecht nach Rückendeckung vom Reichsbischof mit sofortiger Wirkung beurlaubte. Das war am 21. Juni 1934 und traf Dr. Breust besonders hart, denn er wähnte sich nach der Eingliederung vor drei Wochen auf der Höhe seiner Machtentfaltung in der Behörde und war nun selber ausgegliedert. Nur Dr. Lambrecht kehrte wieder an seinen Arbeitsplatz zurück.

Obwohl schon zahlreiche Landeskirchen einer Eingliederung in die Reichskirche zugestimmt hatten, scheiterte diese im September/Oktober 1934 am Widerstand der württembergischen und bayrischen Landeskirche. Die unter Hausarrest gestellten Bischöfe Wurm und Meiser wurden im Oktober 1934 von Hitler empfangen, in ihre Ämter wieder eingesetzt, und Ministerial-direktor Jäger wurde entlassen.

Die schrittweise Reduzierung der Mitglieder und der Arbeit des Landeskirchentages
Im Jahre 1933 tagte der Landeskirchentag in seiner verfassungsmäßigen Größe von insgesamt 36 Mitgliedern, davon 12 Pfarrern und 24 „Weltlichen“ Abgeordneten. Aber die am 28. Juli in der ersten Sitzung noch vollständig personell besetzten Ausschüsse traten nie zusammen. Die Ausschussstruktur behinderte eine zentrale Lenkung der Entscheidungen. Stattdessen wurden vor Beginn der Sitzung Verabredungen getroffen, die unbekannt geblieben sind. Bischof Bernewitz erinnerte sich, dass er zwei Stunden auf den Beginn der Sitzung warten musste. Auch der Beginn der zweiten Sitzung am 23. September verzögerte sich um Stunden, weil nicht wie vorgesehen OKR Schlott zum Bischof gewählt wurde, sondern OKR Beye. Es stand zur Debatte, ob überhaupt noch ein Bischof gewählt werden sollte, oder Berliner niedersächsische Zusammenlegungspläne umgesetzt werden sollten.
Da die eigentliche Diskussion aus den Ausschüssen und auch aus dem Plenum in informelle Verabredungen unmittelbar vor Beginn der Sitzung verlegt wurde, blieb die Sitzungsdauer vergleichsweise sehr kurz. 2. Sitzung: 25 Minuten; 3. Sitzung: 65 Minuten, 4. Sitzung: 26 Minuten.
Nicht nur die Ausschusssitzungen wurden beendet, auch die die Anzahl der Mitglieder wurde drastisch reduziert. Der zwischenzeitlich eingesetzte Kirchenkommissar OKR Evers strich die Anzahl der Landeskirchentagsmitglieder im Februar 1934 von 36 auf 12 zusammen, wobei der verfassungsmäßige Proporz mit vier Pfarrern und acht „weltlichen“ Mitgliedern beachtet wurde. Er begründete dieses Kirchengesetz mit der „Behebung des in der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche bestehenden Notstandes“. Es kann nur vermutet werden, dass sich im Landeskirchentag noch zahlreiche Sympathisanten des zurückgetretenen Bischofs Beye befunden haben, die auf diese Weise um ihren kirchenpolitischen Einfluss gebracht werden sollten.
Dieser mitgliedermäßig reduzierte Landeskirchentag, reduzierte sich weiterhin durch entschuldigtes oder unentschuldigtes Fernbleiben. So waren bei der Sitzung am 1 Juni nur zehn, am 15. November acht und am 25. März neun ordentliche Mitglieder des Landeskirchentages versammelt.
Dieser reduzierte Rumpflandeskirchentag wurde zweimal geradezu bedeutungslos, indem er seine Befugnisse auf die Kirchenregierung übertrug, diese Übertragung aufhob und die wieder in Anspruch genommenen Befugnisse erneut, aber diesmal auf den Landesbischof übertrug.
Das war im Jahr 1934, in dem das Rechtssystem im Reich offiziell aufgehoben wurde, nachdem Hitler, Göring und Himmler Mitte des Jahres gegen das Berliner Bürgertum und die SA geputscht hatten und Hitler diese Mordserie vor dem sog. Reichstag mit der Behauptung gerechtfertigt hatte, er sei des Reiches oberster Gerichtsherr. Dann kam es auf Rechtsfiguren in einer kleinen Landeskirche schon gar nicht mehr an.

Die drei Bischöfe.
Der Landeskirchentag hatte innerhalb von 18 Monaten drei amtierende Landesbischöfe erlebt. Landesbischof Bernewitz, der die Öffnung der Landeskirche zum Nationalsozialismus hin eingeleitet hatte, war im Oktober 1933 70 jährig in Pension gegangen. Sein junger 30jähriger Nachfolger, Wilhelm Beye, der im Januar 1934 im Braunschweiger Dom in sein Amts als Landesbischof von Reichsbischof Müller eingeführt worden war, ließ den Mitgliedern des Landeskirchentages am 23. Februar durch seinen Präsidenten mitteilen, dass er von seinem Amt zurücktrete. Beye war in einem Prozess vor dem Braunschweiger Landgericht mangels Beweisen zwar freigesprochen, aber von der NSDAP Partei fallengelassen worden.
Der dritte Bischof war der zunächst als Kirchenkommissar, dann aber im November 1934 vom Landeskirchentag zum Bischof berufene Dr. Johnsen.
Breust, der gerne an der Spitze der Landeskirche geblieben wäre und Johnsen, der an die Spitze der Landeskirche berufen wurde, waren zwei fast gleichaltrige, ausgeprägt autoritäre Charaktere, die nicht nebeneinander bestehen konnten. Johnsen beurlaubte OKR Breust zusammen mit anderen leitenden Mitarbeitern im Landeskirchenamt aus Anlass der Nachricht von Landverkauf an einen Juden in der Gegend von Schöppenstedt.

Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode
Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode

Oben links: Bischof Bernewitz mit zwei Kreuzen, das Untere hatte ihm der Zar verliehen. Der nachfolgende Bischof Beye verweigerte wegen der kyrillischen Inschrift auf der Rückseite, es zu tragen. – Ober rechts Bischof Johnesn mit drei Kreuzen, das Eiserne Kreuz aus dem ersten Weltkrieg, darüber das Parteiabzeichen der NSDAP mit dem Hakenkreuz und sein Bischofkreuz. In der Todesanzeige erwähnt Bischof Johnsen die Berufung Bernewitzs durch die verfassunggebende Synode.

Der ebenfalls beurlaubte Oberkirchentrat Schlott fand eine Pfarrstelle in Lehndorf, den beurlaubten Kirchenrat Dr. Lambrecht holte Johnsen ins Landeskirchenamt zurück.

Der Landeskirchentag wählt am 15. November 1934 Helmuth Johnsen zum Landesbischof und beruft Wilhelm Röpke zum Oberkirchenrat.
Es war eine gespenstische Sitzung, denn zur Sitzung des 12köpfigen Landeskirchentages hatten sich drei Mitglieder entschuldigt und einer fehlte unentschuldigt. Es waren außerdem anwesend Kirchenregierungsrat Lambrecht, der den beurlaubten Dr. Breust in der Kirchenregierung vertrat, und Pfarrer Röpke, der den beurlaubten OKR Schlott im Landeskirchenamt vertrat. Einziger Tagesordnungspunkt war die Wahl des Bischofs. Die Kirchenregierung hatte den Antrag gestellt, Helmut Johnsen zum Bischof zu wählen. Der Präsident trug den Antrag und die Begründung vor: Johnsen habe es verstanden, „während der 4 ½ Monate seiner Tätigkeit als kommissarischer Kirchenführer die kirchenpolitischen Gegensätze innerhalb der braunschweigischen Landeskirche in erheblichem Maße auszugleichen und sich das Vertrauen der braunschw. ev.luth. Pfarrerschaft und auch des braunschweigischen Kirchenvolkes in weitem Umfange zu erwerben...“ In seiner folgenden persönlichen Begründung erwähnte der Präsident Bertram wiederholt die „äußerst ernste Lage“ im Reich. „Falls schwere Auseinandersetzungen im Reiche bevorstehen sollten“, sollte die Landeskirche „vor irgendwelchen größeren Schäden bewahrt“ bleiben. Johnsen sollte endgültig zum Landesbischof gewählt werden, „denn wir wissen nicht, welche Schwierigkeiten vielleicht in absehbarer Zeit bevorstehen.“ Es herrschte in den ns. Eliten eine Angststimmung.

Im Oktober 1934 hatten sich vor den unter Hausarrest gesetzten Bischöfen Meiser in München und Wurm, in Stuttgart größere Menschenmengen protestierend versammelt, das wurde auch im Ausland aufmerksam registriert. Unter anderem auch aus außenpolitischen Rücksichten auf die Beziehungen zu England hatte Hitler die süddeutschen Bischöfe zu einem Austausch zu sich nach Berlin gebeten, den Hausarrest aufgehoben und den Drahtzieher Ministerialrat Jäger mit sofortige Wirkung entlassen. In Berlin Dahlem tagte zu gleicher Zeit die zweite Bekenntnissynode mit 143 Delegierten aus allen Landeskirchen, die ein kirchliches Notrecht beschlossen, und mit dieser Spaltung der evangelischen Kirche die Absicht Hitlers, mit Hilfe von Reichsbischof Müller eine zentrale lenkbare Reichskirche zu installieren, zerstörte. Von Braunschweig nahmen Pfarrer Lachmund und Oberregierungsrat Dr. Bode an der Dahlemer Synode teil. Da war die Befürchtung nicht unberechtigt, ob sich diese Kirchenspaltung auch auf die Braunschweiger Landeskirche unheilvoll auswirken werde. Durch Handheben wurde Johnsen dann einstimmig zum Landesbischof gewählt.

Es erfolgt noch ein weiterer Antrag, durch Landgerichtsdirektor Gerhard, die Befugnisse des Landeskirchentages auf den Landesbischof zu übertragen, und zwar „wegen der zur Zeit noch völlig ungeklärten kirchlichen Lage.“ Mit dem Scheitern der Reichskirche war nämlich auch die wachsende Bedeutungslosigkeit des Reichsbischofs Müller verbunden. Würde es noch eine Institution geben, die die gesamte Deutsche Evangelische Kirche repräsentiere würde?
Der Standartenarzt Dr- Leidig stellte nach dem Antrag Gerhard folgende wichtige Frage: „Unter welchen Umständen und von wem kann die Übertragung der Befugnisse zurückgenommen werden?“ Bertram antwortete, der Landeskirchentag könne jederzeit mit einfacher Mehrheit seine Befugnisse wieder zurücknehmen. Der Landeskirchentag sollte also durch die Übertragung der Befugnisse keineswegs aufgelöst werden. Er sollte als Institutionsgerippe bestehen bleiben, aber reaktiviert werden können.

Nach dieser Klarstellung wurde Johnsen in das Sitzungszimmer gebeten, um ihm das Ergebnis mitzuteilen: Er sei einstimmig zum Bischof gewählt. Bertram wiederholte seine Begründung, und nach ihm ergriff für die Pfarrerschaft der Gandersheimer 70jährige Pfarrer Erich Tacke das Wort. Er zitierte aus dem Grußwort Johnsens, dass alle wissen sollten, dass er ein bewusster Lutheraner und ein getreuer Nationalsozialist sei. Das sei in der Pfarrerschaft auf „lebhaften Widerhall“ gestoßen, und Johnsen sei der Pfarrerschaft immer lieber geworden.
Es war in diesem kümmerlichen Rahmen eine herzliche Begrüßung. Bischof Johnsen erwiderte die Grußworte für die Teilnehmer gewiss überraschend mit einem Zitat aus dem Augsburger Bekenntnis. Er zitierte aus dem Artikel 28 „Von der Bischofen Gewalt“. „Derhalben ist das bischöfliche Amt nach göttlichen Rechten: das Evangelium predigen, Sünden vergeben Lehre beurteilen und solche Lehre, die dem Evangelium entgegensteht, verwerfen und die Gottlosen, deren gottloses Wesen´offenbar ist, aus der christlichen Gemeinde ausschliessen, ohne menschliche Gewalt, vielmehr allein durch Gottes Wort. Und insofern sind Pfarrrer und Kirchen schuldig, den Bischöfen gehorsam zu sein, laut dieses Ausspruches Christi (Lukas 10,16) Wer euch höret, der höret mich.“
Dieser Artikel 28 der CA behandelt die berühmte Lehre von den zwei Reichen, die in der nationalsozialistischen Zeit dazu missbraucht wurde, dem Hitlerstaat ein eigenständiges Recht zuzugestehen. Johnsen formulierte eine andere Doppelung als in seinem Grußwort vom 27. Juni. „Ein Doppeltes liegt mir am Herzen: Einmal unsere Kirche im Dritten Reich zum entschlossenen Einsatz zu bringen im Kampf für die Erneuerung unseres Volkes aus der Kraft des Glaubens, und zum anderen unser Volk für Christus und die Herrschaft Gottes auf Erden zu erobern. In diesem Doppelklang möchte ich mein Amt führen als Diener meiner Kirche, der nichts unversucht lassen will, auch den deutschen Menschen für Jesus Christus und das ewige Heil zu gewinnen.“
Das Protokoll dieser Wahlsitzung wurde allen Kirchengemeinden zur Kenntnisnahme zu- geschickt.
Besonders nachhaltig war die gleichzeitige Berufung von Wilhelm Röpke zum Oberkirchenrat und später zum Stellvertreter des Bischofs. Röpke konnte sich durch die Anfragen in den Jahren 1945/46 hindurchlavieren und blieb bis zum 70. Lebensjahr gelegentlich angefochtener Oberlandeskirchenrat.

Dieser Wahl folgte keine feierliche Einführung wie bei seinen Vorgängern. Dafür kam nur Reichsbischof Müller in Frage, dessen Stern jedoch so bedenklich im Sinken war, dass Johnsen auf eine Einführung durch Müller lieber verzichtete. Ob Bischof Marahrens oder ein andere „Kirchenführer“ gefragt worden ist, ist ungeklärt.

Die Aufhebung der Gleichschaltung durch Johnsen.
Breust, dessen Weiterverwendung zunächst unklar blieb – man dachte an eine Stellung in einer Berliner Behörde – erlebte nun von aussen die Aufhebung der vor allem von ihm eingefädelten Gleichschaltung. Im Vorzimmer des Bischofs im Landeskirchenamt saß nun kein uniformierter SA- Mann mehr. Die BK-Pfarrer, deren Außerdienstsetzung er intensiv betrieben hatte, ´kehrten in den Pfarrdienst zurück. Pfarrer Grüner von der Braunschweiger Martinikirche nahm seine unsäglichen deutsch-christlichen Sätze („In Adolf Hitler ist Jesus Christus erschienen“) öffentlich zurück. Die 28 Thesen, die „theologische Gleichschaltung“ hätten in der Landeskirche keine Gültigkeit, erklärte Johnsen. Das Gebiet der Landeskirche wurde wieder in zahlreiche Propsteien zurückgegliedert und die Kreispfarrer allmählich durch Pröpste ersetzt.
Während die Gleichschaltung formal durch Beschlüsse des Landeskirchentages vollzogen wurde, geschah die Aufhebung der Gleichschaltung ohne Mitwirkung des Landeskirchentages.
Die Gleichschaltung hatte auf tönernen Füßen gestanden. Stattdessen wurde nun unter Johnsen das Ziel einer gruppenfreien Landeskirche erstrebt und die DC-Mitgliedschaft beendet. Keinen Zweifel duldete die Kirchenleitung an der Auffassung von Hitler als der von Gott gesetzten Obrigkeit und der daraus resultierenden unverbrüchlichen Hitlertreue.

Es überrascht, dass trotz der Übertragung der Befugnisse des Landeskirchentages auf den Landesbischof, dieser zu einem 7. Landeskirchentag am 25. März 1935 zusammentrat, nicht im früheren Landtagsgebäude, sondern im Landeskirchenamt in Wolfenbüttel. Man begann die Sitzung nunmehr mit der Verlesung eines Gebetes und beschloss den Vollzug der Landeskirchenkasse und den Haushalsplan für das Rechnungsjahr 1935/36. Danach wurden durch Gesetzesentwurf die Befugnisse des Landeskirchentages erneut auf den Landesbischof übertragen. Der Präsident stellte ausdrücklich eine verfassungsändernde Mehrheit fest. Waren daran Zweifel bei der 6.Sitzung am 15. November entstanden?

Die Übertragung der Befugnisse auf den Landesbischof war synodengeschichtlich gesehen ein Verlust und war auch nicht zwingend. In der Kirche der altpreußischen Union wurden die Synoden bis in die Kriegszeit einberufen und verabschiedeten bedeutende Anregungen, so zur Abendmahlsgemeinschaft von Unierten und Lutheranern auf der Synode in Halle (1937) und ein deutliches Wort zur Verwilderung ethischer Normen im nationalsozialistischen Staat (Breslau 1943).



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