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[Kirche von Unten]

Über die Geschichte der Braunschweiger Landessynode

Ein Kompendium von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf: Band 1 Band 2)



Über die Geschichte der Landessynode zur herzoglichen Zeit (1869-1916)

Die „Vorsynode“ Oktober 1869
Die konstituierende Synode

Titelblatt Verhandlungen der Vorsynode

Quelle: Verhandlungen der durch landesfürstliche Verordnung Nr. 68 vom 20. August 1869 berufene Vorsynode eröffnet am 1. und geschlossen am 16. October 1869 o.J. o.Ort.
Weitere Literatur: Verhandlungen der Braunschweigischen Vorsynode. Nach den amtlichen Protokollen und eigenen Aufzeichnungen zusammengestellt von F. Chamloth, Pastor zu Oelber a.w.W. Braunschweig 1870 Wagnersche Hofbuchhandlung.

Pfarrer Friedrich Chamloth (1831-1890), 38 Jahre alt, seit 12 Jahren Pfarrer in Ölber a.w.W. hatte an der Vorsynode selber teilgenommen. Er hatte nach der Lektüre des amtlichen Protokolls den Eindruck, dass Spitzen und Schärfen der Debatte „abgestumpft“ und „Schwächen verschwiegen“ worden seien (Vorwort) und veröffentlicht nach den amtlichen Protokollen und auch nach eigenen Aufzeichnungen schon 1870 einen eigenen Verhandlungsbericht von 132 Seiten, wobei er nicht chronologisch vorging, sondern beide Lesungen unter Sachgesichtspunkten zusammenfasste, indem er den Paragrafen des Gesetzes entlangging. Die Ausführungen der Synodalen gab er, anders als das amtliche Protokoll, wegen der Lesbarkeit in direkter Sprache wieder. Die Veröffentlichung von Chamloth ist daher eine gute Ergänzung des amtlichen Protokolls.

„Vorsynode“ ist ein komisches, unpassendes Wort. Es klingt nach etwas Vorläufigem, auf das das Eigentlich erst folgt. Das Wort ist falsch gewählt. Die Vorsynode sollte die Weichen stellen für alle folgenden Landessynoden. Als Weichen stellende Synode hatte sie eine zentrale Funktion. Sie war eine konstituierende Synode. So stand es auch im ersten Antrag des Oberlehrers Ferdinand v. Heinemann, der 1863 die Einberufung einer konstituierenden Synode gefordert hatte (siehe unten). In ihr spiegeln sich zahlreiche grundlegende Konflikte während der 150-jährigern Braunschweiger Synodalgeschichte.
Ich benutze im Folgenden beide Wörter wechselnd.
Der Bildung einer Vorsynode im Jahre 1869 ging eine jahrzehntelange Vorgeschichte voraus.

Die Vorgeschichte der Synode


Der lange Anlauf zur Vorsynde
Die Landschaftsordnung von 1832 hatte vorgesehen, dass sich die Landeskirche eine Verfassung geben sollte. Mehr in einem Nebensatz. Im § 212 heißt es: „Die Anordnung der rein geistlichen Angelegenheit bleibt, unter dieser Oberaufsicht, der in der Verfassung jeder dieser Kirchen begründeten Kirchengewalt überlassen.“ (GuV Nr. 18 1832 S. 255; Klaus Erich Pollmann „Die Braunschweigische Verfassung von 1832 Braunschweig 1982; A. Rhamm Verfassungsgesetze des Herzogtums Braunschweig, Braunschweig 1900) Danach sollte eine Verfassung die rein geistlichen Angelegenheiten ordnen. Das bliebe den Kirchen, genauer ihrer Kirchengewalt, überlassen. Die Initiative für eine Verfassungsgebung lag jedenfalls bei den Kirchen.

Im selben Jahr hatte es eine enorme Pastoreninitiative zur Bildung einer Verfassung in der Landeskirche gegeben. 184 Prediger unterzeichneten eine Petition an das Staatsministerium zur Abstellung kirchlicher Missstände; an erster Stelle stand der Wunsch nach einer Synodalverfassung. (Kommissionsbericht der Braunschweiger Landesversammlung in: Verhandlungen der Braunschweigischen Landesversammlung 1864 Anlage 33 zu Nr. 7 S.) In den revolutionären 48er Jahre hatten sich erneut einige Kirchengemeinden an das Konsistorium mit der Bitte nach einer zeitgemäßen Verfassung gewandt (Zur Entstehung siehe Vorwort des Herzoglichen Konsistoriums zum Entwurf der Verfassungsurkunde Braunschweig 1850 S. 5 ff). Das Konsistorium gab diese Bitte an das Staatsministerium weiter, das das Konsistorium mit der Ausarbeitung von Vorschlägen beauftragt hatte. Daraufhin lud die Konsistorialbehörde die fünf Generalsuperintendenten und einige Superintendenten zu einer Konferenz vom 18.-20. Juli 1848 nach Wolfenbüttel ein. Das Ergebnis der Besprechung wurde allen Pfarrern der Landeskirche schriftlich zugestellt mit der Bitte um Gegenäußerung. (Protokollarische Mittheilungen über die Verhandlungen der am 18.,19. und 20. Juli 1848 in Kirchenverfassungsfragen bei Herzogl. Consistorium zu Wolfenbüttel gehaltenen Conferenz Wolfenbüttel 1848 im LAW PA Langelsheim 217 Inspektionssynode).
Daraufhin schlug das Konsistorium dem Herzog vor, eine Verfassungskommission einzuberufen und ein Gesetz zur Einberufung einer Landessynode vorzubereiten. In einem Reskript vom 16.8.1848 folgte der Herzog diesem Vorschlag und berief eine Verfassungskommission ein, der der Minister Friedrich Schulz (Friedrich Schulz (1795-1864) siehe Scheel Biog. Lex. S. 553), Konsistorialrat Wilhelm Hille (Wilhelm Hille (1803-1880); zu Hille siehe Selle in Biog Lex. S. 277) und Generalsuperintendent Johann Andreas Christian Mühlenhoff (Mühlenhoff (1796-1860) war Pfarrer an der Braunschweiger Andreaskirche und Braunschweiger Generalsuperintendent; siehe Klaus Jürgens in Biog. Lex. S. 426) Generalsuperintendent Karl Stöter (Karl Stöter (1803-1881) war Generalsuperintendent in Gandersheim; siehe Klaus Jürgens in Biog.Lex. S. 596) und der damalige Wolfenbüttler Stadtsuperintendent und spätere Konsistorialrat Ludwig Ernesti (Ludwig Ernesti (1814-1880); zu Ernesti siehe Klaus Jürgens Das Predigerseminar in Wolfenbüttel S. 88f; ders. Biog. Lex. S. 167) angehörten. Nach eineinhalb Jahren, am 18. Dezember 1849, stellte die Kommission den Verfassungsentwurf vor, der gedruckt allen Kirchengemeinden zuging.

Der Verfassungsentwurf von 1849
Der Verfassungsentwurf von 1849 war ein gründliches, 247 §§ umfassendes Gesetzeswerk, in dem im ersten Teil als Organe der Kirchenleitung die Pfarrgemeinden und der Kirchenvorstand (1. Kapitel), die Kreisgemeinde, Kreissynode und der Kreissynodalausschuß (2. Kapitel) und die Landgemeinde, die Landessynode und deren Ausschuß (3. Kapitel) behandelt wurden. (Entwurf einer Verfassungsurkunde für die ev.-luth. Kirche des Herzogthums Braunschweig“, Braunschweig 1850) Die Kirchengewalt sollte weiterhin beim Landesfürsten verbleiben und als kirchenleitendes Organ statt des Konsistoriums ein Oberkirchenrat und als mittlere Ebene wie bisher Superintendenturen eingerichtet werden.

Die Kommission empfahl, zunächst ein Gesetz zur Einrichtung von Kirchenvorständen zu erlassen, was schon ein Jahr später 1851 erfolgte. Im Verfassungsentwurf war in den Paragrafen 12-25 bereits ausführlich vom Kirchenvorstand, seiner Zusammensetzung, dem aktiven und passiven Wahlrecht, den Aufgaben und dem Vorsitz abgehandelt worden.
In 32 Paragrafen (§§ 40-72) wurde auch die Zusammensetzung der Landessynode (Geistliche und Laien paritätisch), ihre Aufgaben, Sitzungsperioden (alle sechs Jahre), die Beschlussfähigkeit, die Verbindung zum Oberkirchenrat beschrieben. Das Wesen der Landeskirche, im Verfassungsentwurf noch schöner als „Landesgemeinde“ bezeichnet, wurde im § 38 nüchtern als „die Verbindung sämmtlicher Kirchenkreise des Landes zu gemeinsamer Vertretung und unter gemeinsamer Leitung“ definiert. § 39: „Die Landesgemeinde wird durch die Landessynode vertreten“. Damit wurde der Landessynode formal eine starke Stellung zugewiesen.
Gleichzeitig zum Verfassungsentwurf wurde auch eine Reform der Pfarrbesoldung angeregt.
Dem Staatsministerium lag also ein ganzes Reformpaket vor.

Dieser Verfassungsentwurf stieß auf den geharnischten Protest einer konservativen Gruppe, die vom Freiherrn v. Grone, Westerbrak angeführt wurde. Er veröffentlichte 1850 eine Kampfschrift gegen die neue Verfassung. (A.C.E. von Grone Über die kirchlichen Zustände und die kirchliche Verfassungsfrage Braunschweig 1851) Er sah in der Kirchenverfassung einen Einbruch von Ideen der französischen Revolution und der Frankfurter Versammlung. Jede Reform in Richtung Demokratisierung lehnte er als gefährliche Einschränkung der angeblich bewährten, tatsächlich längst ausgehöhlten, herzoglichen Kirchengewalt ab. Eine Kirchenreform würde auch die über zahlreiche Kirchengemeinden herrschenden Kirchenpatronate berühren und ihre Stellung schwächen oder gar sie ganz abschaffen wollen. Das betraf seine persönliche Stellung auf dem großen Gut in Westerbrak ganz erheblich. Der kleine Ort Westerbrak, zusammen mit Kirchbrak war vollständig von der Herrschaft derer v. Grone abhängig. Die Herrschaft auf dem Gut suchte sich den zu ihr passenden Ortspfarrer aus und nahm erheblichen Einfluss auch auf die Superintendentur und die Inspektion, zu der Westerbrak gehörte.
Insofern war der geharnischte Protest v. Grones auch sehr persönlich bedingt.

Nachdem das Kirchenvorstandsgesetz 1851 erlassen und in den Gemeinden durchgesetzt worden war, konnte auch eine Landessynode einberufen werden. Dazu kam es jedoch nicht. Einige andere Landeskirchen hingegen waren mitten in der Verfassungsarbeit und hatten sich bereits Synodalordnungen gegeben, die oldenburgische 1849, die württembergische 1854, die hannoversche dann 1864, die sächsische 1868.

Der Anstoß aus der Landesversammlung
Der nächste Anstoß kam aus der Landesversammlung. Im Dezember 1863 kam der 11. Braunschweigische Landtag erstmals zusammen. Schon in der 2. Sitzung am 12. Dezember stellte der Abgeordnete Oberlehrer Ferdinand v. Heinemann (Ferdinand v. Heinemann (1818-1881) siehe Rohse in Biog. Lex. S. 255) den Antrag, ein Gesetz über die Einberufung einer konstituierenden Synode zu erlassen, damit sich die Landeskirche eine neue Verfassung geben könnte. Der Antrag lautete: „Herzogliche Landesregierung wolle schleunigst der evangelisch-protestantischen Landeskirche durch ein der Landesversammlung zur verfassungsgemäßen Mitwirkung vorzulegendes Gesetz über die Berufung einer unter gebührender Berücksichtigung der Laien zusammengesetzte constituierende Synode in den Stand setzen, ihre Verfassung möglichst selbständig und den Anforderungen der Gegenwart gemäß zu gestalten.“ (Verhandlungen der Landesversammlung 1863-1864 Protokolle Anlage 33 zu Nr. 7)
Der Antrag enthielt drei Elemente, über die die Landesversammlung leider hinwegging. Ein solches Gesetz sollte umgehend („schleunigst“) vorgelegt werden, Die konstituierende Synode sollte eine Verfassung ausarbeiten. Die personelle Zusammensetzung der Synode sollte die Laien berücksichtigen. Heinemann begründete den Antrag mit einer notwendigen „Befriedigung des seit langer Zeit tief gefühlten Bedürfnisses einer größeren Selbständigkeit unserer Kirche, die nicht weiter hinausgeschoben werden könne“. (ebd. 4. Sitzung 4. Dezember 1863)
Der Antrag wurde einer Kirchenkommission überwiesen, der u.a. Caspari, Ernesti, Pape, Sandhagen, Schmid, Stöter und Heinemann selber angehörte, der seinen Antrag nun in der Kommission vorantreiben konnte. Die Zusammensetzung war für den Antragsteller günstig. Stöter war ein liberaler Generalsuperintendent, Schmid, der Pastorensohn, ein kirchlich engagierter linker Liberaler, Caspari hatte sich als Bürgermeister von Braunschweig Verdienste um die Braunschweiger Stadtkirchen erworben. Er führte so was wie ein fürsorgliches Stadtpatronat. Ludwig Ernesti war bereits 14 Jahre im Konsistorium als Konsistorialrat tätig und hatte schon an der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfes mitgewirkt. Schon in der Sitzung am 12. März 1864 legte die Kommission ihren Bericht vor und befürwortete rundweg den Antrag. Sie hätten sich versucht gefühlt, den Verfassungsentwurf von 1849 der Landesversammlung vorzulegen, wollten ihn aber der konstituierenden Synode vorbehalten. Die Kommission äußerte noch mehrere Reformwünsche: das Vokationsrecht in den Kirchengemeinden sei einer Reform „sehr bedürftig“, die als „längst missfällig und anstößig“ bezeichneten Einkommensverhältnisse müssten reformiert werden, die Pensionierung dienstuntüchtig gewordener Prediger sei nicht mehr lange zu umgehen. Um die Missdeutung zu beseitigen, als solle mit dem Antrag Heinemanns „mit der kirchlichen Vergangenheit völlig gebrochen werden“, wurde der Antrag umformuliert und gedehnt. (Der Antrag lautete: ......wolle die herzogliche Landesregierung ersuchen, recht bald die geeigneten Schritte behufs Berufung einer in ihrer Zusammensetzung sowohl das geistliche Amt, als auch die Gemeindegenossen der evangelischen Landeskirche gebührend berücksichtigenden Vorsynode zu thun, von welcher über Aufnahme synodaler Einrichtungen in die Verfassung derselben und unter Vorbehalt des sowohl Seitens der Kirche als auch der Standesgenossen verfassungsmäßig erforderliche Genehmigung beraten und beschlossen werde.“

Die Diskussionsbeiträge der Geistlichen in der Landesversammlung waren unterschiedlich. Generalsuperintendent Karl Stöter empfahl als Vortragender des Gesetzesentwurfes dessen Annahme, Die Zeit für Reformen sei günstig, „denn wir Braunschweiger leben in einer kirchenfriedlichen Zeit“.
Ein kräftiges Voranschreiten sei besser als „behagliches tatenloses Zuwarten“. Das könne „sehr bedenklich und gefährlich“ werden. Generalsuperintendent Carl Kelbe hingegen bestritt die Zuständigkeit der Landesversammlung für ein derartiges Gesetz. Die Interessen der Landesversammlung seien politischer Natur. Schon der Einrichtung von Kirchenvorständen sei kein überzeugender Erfolg beschieden. Statt einer Synode schlug er die Stärkung eben der Kirchenvorstände vor, die „lebensfähiger“ gestaltet werden sollten. Kelbe befürchtete mit der Bildung einer Synode also einen Überbau, der für die Kirchengemeinden keine geistliche Belebung erbringen würde. Konsistorialrat Ernesti befürwortete dagegen eine Gesetzesannahme. Caspari unterstützte den Antrag, der mit einer sehr großen Mehrheit gegen nur drei Stimmen (Kelbe, v. Veltheim, Patron von Destedt, und v. Alten, Amtsrichter in Thedinghausen) angenommen wurde. (Johannes Beste „Die Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche“ 1889 § 104 S. 668-672, hier S. 669) v. Heinemann hatte vor der Abstimmung noch einmal betont, sein Antrag ziele nicht auf eine vollständige Veränderung der Landeskirche sondern auf eine konstituierende Synode.
Aber die Landesversammlung hatte damit signalisiert, daß eine schrittweise Trennung von Kirche und Staat, und das bedeutete eine größere Selbständigkeit der Landeskirche, zu diesem Zeitpunkt durchaus diskutabel war.
Der zu Beginn des 11. Landtages beschlossene Antrag blieb im Staatsministerium liegen. Stattdessen erhielt der Braunschweiger Bürgerverein, der auch einen Vorstoß zur Synodenbildung unternommen hatte (siehe Beste S. 668), vom Staatsministerium einen Bescheid vom 29. April 1864, eine Umgestaltung der Verhältnisse in der Landeskirche sei unnötig. Dieser ablehnende Bescheid wurde durch eine von 75 Pfarrern unterzeichnete rechte Pfarrerinitiative des Pfarrers Wolff in Hehlen vom Dezember 1864 unterstützt, die sich gegen die Errichtung einer Synode aussprach. (Beste ebd.)
Erst der 12. Landtag, dem v. Heinemann nicht mehr angehörte, erhielt zu Beginn unter dem 10.12.1866 einen Bescheid, wonach Seine Hoheit eine Vorsynode einberufen wolle. Damit wartete jedoch das Staatsministerium bis zum Ende der Landtagsperiode. Endlich erschien die Verordnung des Herzogs vom 16. April 1869 zur Einberufung einer Vorsynode. (GvU Nr. 28 3.5.1869 S. 129 ff) Die Kirchenvorsteher wählten laut Wahlausschreiben (GvU Nr. 29 vom 3.5.69 S. 141 ff) zwischen dem 10. und 20. Juni die Wahlmänner, und die Wahlmänner wählten zwischen dem 10. und 20. Juli die Abgeordneten der Vorsynode. Das Staatsministerium erließ am 15. August eine provisorische Geschäftsordnung (GuV 2.9.12869 S. 337 ff) und berief eine dreiköpfige Vorbereitungskommission ein, der Oberbürgermeister Karl Wilhelm Heinrich Caspari (Heinrich Caspari (1805-1880); siehe Pingel in Biog. Lex S. 120), der Landsyndikus Johann Wilhelm Oesterreich (Johann Wilhelm Oesterreich (1800-1880) siehe Lent in Biog. Lex. S. 448) und Generalsuperintendent Friedrich Pfeifer (Friedrich Pfeifer (1805-1875) Pfarrer an der Katharinenkirche in Braunschweig und Generalsuperintendent siehe Joh. Beste Album der ev. Geistlichen S. 23) angehörten. (GuV Nr. 68 vom 2.9.1869 S. 353 f)
Die Landessynode trat am 1. Oktober 1869 zusammen.

Die kirchenpolitische Funktion der Fürbitte am 18. Sonntag nach Trinitatis
Das Gesetz für die Synode sah vor, dass am jeweiligen Sonntag vor Synodenbeginn in den Kirchen des Landes eine Fürbitte für das Gelingen der Synode abgehalten werden sollte. Das ist bis heute so geblieben. Die vom Konsistorium formulierten Fürbitten gaben zugleich auch die Stimmung wieder, die die Synode nach Vorstellung des Konsistoriums umgeben sollte.
Die Fürbitte für die konstituierende Synode, der eine längere „Abkündigung“, also Bekanntgabe über das Entstehen und die Notwendigkeit einer Synode voranging, hatte folgenden Wortlaut:

Allmächtiger, ewiger Gott, du beständiger Hort deiner Kirche, der du durch deinen heiligen Geist sie gegründet hast und bis hierher behütet hast, wir danken dir für solche Treue und Güte und bitten dich: behalte sie ferner unter dem Schirm deiner göttlichen Obhut, damit sie bleibe und noch mehr werde ein Haus deiner Ehre und eine Wohnstätte deines Segens, da du uns segnest mit himmlischen Gütern durch Christus. Sieh nun zum Ende in Gnaden herab auf das Werk, das zu deines Namens Preis und zu deiner Kirche Erbauung soll beraten werden. Begleite mit deinem Beistand die Arbeit Derer, die berufen sind zu solcher Beratung . Gib, du Geber der Weisheit, ihnen Weisheit, Rat und Verstand, zu erkennen, was deiner Kirche und Gemeinde zu ihrer Wohlfahrt dienlich ist, und verleihe, du Regierer der Herzen, ihnen ein festes und gewisses Herz, dass sie wohl eingedenk ihrer schweren Verantwortung, nur, was sie als deinen heiligen Willen erkannt haben, beschliessen.“

Es folgt eine Fürbitte für den Herzog. Diese Fürbitte hat neben der selbstverständlichen und erstrangig geistlichen auch eine kirchenpolitische Funktion. Sie soll den Gemeindemitgliedern klar machen, dass das Konsistorium ohne Wenn und Aber hinter der Einrichtung der Synode steht. Daher wird die Synode ein Werk genannt, durch das der Namen Gottes gepriesen werden soll. Es ist nicht üblich, dass Gott als Geber der Weisheit und Regierer der Herzen genannt wird. Die mitbetende Gemeinde soll aufhorchen, die Mitglieder der Synode als verantwortliche Männer anerkennen, die sich um die Wohlfahrt der Kirche kümmern werden. Einen durch und durch positiven Eindruck von dem Synodenunternehmen soll die gottesdienstliche Gemeinde aus dieser Fürbitte mit nach Hause nehmen.
Das war offenbar auch nötig, denn es gab auch Gegenstimmen zu einer synodal verfassten Kirche, besonders in monarchistisch gesinnten Kreisen der Kirche. Es ist daher durchaus fraglich, ob auch in allen Gottesdiensten der Landeskirche diese Fürbitte in dieser Form gehalten worden ist.

Eröffnungsgottesdienst mit Predigt von Konsistorialrat Hille
Vor Zusammentritt der Synode versammelten sich die Synodalen in der Brüdernkirche zum Gottesdienst, in der Brüdernkirche, nicht im Dom wie es dann leider später zur Tradition wurde. Die Brüdernkirche erinnerte an Bugenhagen und dessen Kirchenordnung, der Dom, im herzoglichen Eigentum, an die Staatsnähe der Landeskirche. Konsistorialrat Hille predigte zur Eröffnung an diesem 1. Oktober über 1. Petrusbrief 2,5 „Ihr nun, meine Brüder, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause“. Hille entwarf als Ziel ein Kirchenbild, das weder katholische Geistlichkeitskirche sei, in der Gemeinde nicht gelte, noch liberale Gemeindekirche, in der das Amt nichts bedeute, sondern „eben dies: ein mit Gottes Geist erfülltes geistliches Amt und durch dessen hingebenden und begeisterten Dienst eine mit Gottes Geist erfüllte priesterliche Gemeinde, damit herrlich werde Gottes geistliches Haus“. (Predigt zur Eröffnung der Vorsynode Braunschweig 1869 Ps Bibliothek Brosch 115). Hille, der die paritätisch besetzte Synodalen von Laien und Pfarrern vor sich hatte, beschwor die Balance zwischen Amt und Gemeinde. „Was Gott will, ist in eben diesem geistlichen Hause eine ihrer mitpriesterliche Berufung und Aufgabe bewusste Gemeinde, die im Hochgefühl dieses Bewusstseins sich nicht will beherrschen lassen durch das geistliche Amt und dessen jedesmalige menschliche Träger, sondern, wo es Glauben und Gewissen betrifft, einzig gebunden durch Gottes Wort, auch dem Amte seiner Verkündigung gegenüber die evangelische Freiheit sich wahrt; aber dabei nie vergisst, wie sie auch ihrer Seits als Gemeinde des Herrn nichts ist ohne das von Gott in ihr geordnete Amt.“ (ebd S. 8) Mit Freiheit und Amt waren die beiden Kernbegriffe genannt, die die Liberalen wie die Lutheraner je für sich reklamierten. Hille entwarf das Bild eines geistlichen Hauses, in dem für beide Platz und Aufgabe bereit standen.

Die Namen der gewählten und berufenen Mitglieder der Vorsynode 1869

01. Ahrens, Ackermann, Ostharingen.
02. Apfel, Hermann, Superintendent, Seesen.
03. Bank, Bernhard, Generalsuperintendent, Holzminden.
04. Bode, Wilhelm, Handelsdirektor, Braunschweig.
05. Bode, Albert, Kreisassessor, Holzminden.
06. Caspari, Heinrich, Oberbürgermeister, Braunschweig.
07. Cruse, Adolph, Kreisdirektor, Helmstedt.
08. Eimecke, Christoph Friedrich, Gemeindevorsteher, Watzum.
09. Engelbrecht, Obergerichtsadvokat, Braunschweig.
10. Freist, Friedrich, Superintendent, Timmerlah.
11. Gravenhorst, Karl Theodor, Schulrat, Braunschweig, berufen.
12. Guthe, Karl, Superintendent, Königslutter, berufen.
13. Kelbe, Carl, Generalsuperintendent, Blankenburg.
14. Körner, Steinbruchbesitzer, Velpke.
15. Kuhn, August, Generalsuperintendent, Helmstedt.
16. Kühne, Staatsanwalt, Blankenburg.
17. Lerche, Kreisdirektor, Gandersheim.
18. Nolte, Gustav, Superintendent, Ampleben, berufen.
19. Oesterreich, Johann Wilhelm, Landsyndikus, Braunschweig, berufen.
20. Pfeifer, Friedrich, Generalsuperintendent, Braunschweig.
21. Pini, Otto, Pastor, Wolfenbüttel.
22. Rölecke, Ludwig, Superintendent, Wolsdorf.
23. Schmid, Albert, Obergerichtsrat, Wolfenbüttel.
24. Skerl, August, Pastor, Braunschweig.
25. Stegmann, Wilhelm, Superintendent, Watzum.
26. Stöter, Karl, Generalsuperintendent, Gandersheim.
27. Wolff, Ludwig, Superintendent, Halle a.d.W.
28. Wolff, Friedrich Theodor, Bürgermeister, Holzminden.

Die Vorsynode war paritätisch mit je 14 sog. „weltlichen“ und geistlichen Abgeordneten besetzt. Zu den geistlichen Abgeordneten gehörten die fünf Generalsuperintendenten von Braunschweig, Holzminden, Helmstedt, Blankenburg und Gandersheim, sieben Superintendenten und zwei Pfarrer. Das kirchenleitende Gewicht überwog bei weitem. Die 14 nichtordinierten Abgeordneten setzten sich aus fünf Juristen, fünf Kommunalbeamten, zwei Landwirten, einem Schulrat und einem Steinbruchbesitzer zusammen.
Vier Synodale hatte der Herzog berufen: Schulrat Gravenhorst, Landsyndikus Oesterreich, Superintendent Nolte und Domprediger Thiele. Thiele aber bat, ihn aus Krankheitsgründen aus der Berufung zu entlassen. Für Thiele wurde Superintendent Guthe berufen. Die beiden Geistlichen verstärkten das lutherische Lager.

Bei dem engen Zusammenhang von Staat und Kirche und für die Durchsetzung der Beschlüsse der Synode war es bezeichnend, dass nicht wenige Synodale gleichzeitig auch der Landesversammlung angehörten. Mitglieder der Landesversammlung waren folgende Mitglieder der konstituierenden Synode: Kreisassessor Albert Bode, Handelsdirektor Wilhelm Bode, Oberbürgermeister Caspari, Gemeindevorsteher Eimecke, Generalsuperintendent Kelbe, Gemeindevorsteher und Steinbruchbesitzer Körner, Kreisdirektor Lerche, Obergerichtsrat Schmid, Generalsuperintendent Stöter.
Außerdem war Konsistorialrat Ernesti als einer der drei Geistlichen in die Landesversammlung gewählt worden. Der Landesversammlung gehörte außerdem Superintendent Brodkorb aus Benzingerode an.

Die Verhandlungen der Vorsynode wurden fast ständig vom Vorsitzenden Staatsminister Wilhelm v. Campe und dem für Inneres und Kultur zuständigen Staatsminister Geheimrat Schulz, gelegentlich auch vom Staatsminister Zimmermann besucht. Das war das repräsentativste Aufgebot der damaligen Braunschweiger Staatsregierung. Zuständig für Kirchenfragen war der Pastorensohn Wilhelm Schulz, geb.1806 in Dahlum, Jurist, seit 1861 im Ministerium für das Ressort Inneres und Kultur verantwortlich. Die Spitze des Staatsministeriums bestand aus drei Staatsministern, von denen einer den Vorsitz führte. Er griff mehrfach und zwar einschneidend in die Debatte ein und verkörperte „das Kirchenregiment“. Tatsächlich fungierte er als Minister, formal jedoch als Kommissar des Landesfürsten, dem die „Kirchengewalt“ zustand. Das war eine fahl gewordene Formalität. Herzog Wilhelm hatte das Interesse an seinem Herzogtum längst verloren, war oft außerhalb des Landes und hatte die Staatsgeschäfte dem Staatsministerium überlassen. Es ist ein Manko der Landesgeschichtsschreibung, dass die Darstellung der Wirksamkeit des Staatsministeriums weit hinter der des Hofes zurückbleibt.
Außer dem Kultusminister Geheimrat Schulz nahmen die Konsistorialräte Dr. Ernesti und Dr. Hille und Obergerichtsrat Grotrian als Vertreter „Unsres Konsistoriums“ auf der Regierungsbank an den Verhandlungen teil.

Zum Präsidenten der Vorsynode wurden dem Herzog zur Auswahl die Abgeordneten Caspari (24 Stimmen), Schmid (24 Stimmen) und Kelbe (19 Stimmen) präsentiert. Der Herzog wählte Caspari als Vorsitzenden und Kelbe als Stellvertreter, er ging also nicht nach dem Stimmenverhältnis. Der damals 64jährige Heinrich Caspari war seit 20 Jahren Vorsitzender der Braunschweiger Stadtversammlung mit dem Titel Oberbürgermeister und verfügte über eine langjährige Erfahrung in der Leitung von Gremien. Er präsidierte auch die folgenden Synoden bis zu seinem überraschenden Tod im Jahre 1880. Vizepräsident wurde Generalsuperintendent Kelbe aus Blankenburg.

Der Verlauf der Vorsynode
Vom 1. – 16. Oktober 1869 kamen die Synodalen im Haus der Landesversammlung in Braunschweig zusammen und berieten in insgesamt 11 Sitzungen und zwei Lesungen eine Synodalordnung. Dazu hatte das Kultusministerium den Wortlaut eines „Gesetzes die Errichtung einer Landesynode und eines Synodalausschusses für die ev.-luth. Kirche des Landes betreffend“ ausgearbeitet. (Entwurf in amtliche Verhandlungen 1869 Anlage 5 mit einer knappen Begründung)

Termine und Themen

1. Sitzung: 1.Oktober 1869 Freitag.
Eröffnungsrede von Kultusminister Schulz, Abnahme des Gelöbnisses, Wahl des Präsidenten und seines Stellvertreters, Einbringung der Vorlage des Staatsministeriums. Antrag Kelbes und Beschlussfassung, zwei Lesungen abzuhalten.

2. Sitzung: 4.Oktober 1869 Montag.
Unerwartete Debatte bei der Aussprache betr. § 1 über den Antrag des Abgeordneten Nolte, Kreissynoden einzurichten, die auch eine Grundsatzdebatte auslöst.
Lange Debatte über den § 2 betr. die Zusammensetzung der Synode.

3. Sitzung 5.Oktober 1869 Dienstag.
§ 3 Zusammensetzung der Synode.
§§ 4-7
§ 8 das passive und aktive Wahlrecht.

4. Sitzung: 6. Oktober 1869 Mittwoch.
§ 8 Anträge zu § 8 aktives Wahlrecht.
§§ 10-14 ohne Debatte angenommen.
§§ 16-17 ohne Debatte angenommen.

5. Sitzung: 7. Oktober 1869 Donnerstag.
§ 20 Wirkungskreis der Synode; Unantastbarkeit des Bekenntnis, aber Entscheidung über Agenden, Gesangbücher, Katechismen.
Schema des Berichtes des Konsistoriums über die Zustände,
folgenreicher Antrag Skerls über die Beteiligung der Landeskirche an einem Zusammenschluss der Landeskirchen und dessen Annahme; lebhafte Debatte über eine Union.

6. Sitzung 8. Oktober 1869 Freitag.
§ 20 Abs. 3 und 4
Grundsätzliche Anfrage Kuhns zum Verhältnis zwischen Staat und Kirche.
§ 22 gestrichen
§ 27 Zusammensetzung des Synodalausschusses.
§ 28 Antrag Schmid, der Synodalausschuss soll gutachterlich bei der Besetzung des Konsistoriums gehört werden.

7. Sitzung 9. Oktober 1869 Sonnabend.
§ 28 abschnittweise Wirkungskreis des Synodalausschusses.
magere Mitwirkungsmöglichkeit.

8. Sitzung 12. Oktober 1869 Dienstag.
2. Lesung § 1+2.

9. Sitzung 13. Oktober 1869 Mittwoch.
§ 20 Ablehnung von Skerls Zusatzantrages betr. Teilnahme an einem Zusammenschluss der Landeskirchen.

10. Sitzung 14. Oktober 1869 Donnerstag.
Beratung des Schreibens an den Herzog mit insgesamt 36 Änderungswünschen in 16 Paragrafen der Regierungsvorlage.

11.Sitzung 16. Oktober 1869 Sonnabend.
Rückäußerung des Herzogs Herzog Wilhelm und darin Ablehnung einer Änderung der Zusammensetzung der Synode und der Anhörung des Synodalausschusses bei der Personalbesetzung des Konsistoriums.
Kompromiss durch Oesterreich.
Namentliche Schlussabstimmung.
Knappe Schlussansprache des Kirchenkommissars.

Hauptgegenstände und Hintergründe

Die Synodalen, die die Vorlage in der ersten Sitzung am Freitag ausgehändigt bekommen hatten, konnten sie über das Wochenende studieren.
An der Vorlage des Staatsministeriums entzündete sich eine überaus gründliche, zahlreiche Anträge diskutierende Debatte. Diese war von den unterschiedlichen Erwartungen und kirchenpolitischen Zielvorstellungen des Staatsministeriums, der sog. Positiven, der Bekenntnislutheraner, und der liberalen Abgeordneten geprägt.

Die Vorstellung des Staatsministeriums von der künftigen Landessynode
In seiner kurzen Eröffnungsrede vermittelte Geheimrat Schulz Geheimrat Schulz sein Verständnis von einer Landessynode und von ihren Aufgaben. (Sb 1 S. 2) Durch eine Synode würde der Organismus der Landeskirche „erweitert“. Keineswegs sollte die Landessynode die Kirchengewalt des Landesfürsten ersetzen. In dieser „Erweiterung“ sollte die Synode eine doppelte Aufgabe haben, nämlich apologetisch den Indifferentismus seiner Zeit sowie Gegner der Kirche bekämpfen und das Gemeindebewusstsein neu beleben und kräftigen. In der den Synodalen vorliegenden Begründung des Gesetzes war ein viel weiterer Wirkungskreis genannt, nämlich „dem Kirchenregiment in den gesamten landeskirchlichen Angelegenheiten beratend, in Bezug auf den Erlass von Kirchengesetzen aber und in Aufbringung von Geldmitteln im Wege kirchlicher Besteuerung mit dem Recht der Zustimmung zur Seite (zu) stehen.“ (Anlage 5 S. 3)
Die angeblich „kirchenfriedliche Vergangenheit“ hielt der Staatskommissar für beendet. Von den Abgeordneten der Vorsynode erwartete das Staatsministerium, dass sie annehmen, „was ihr das Kirchenregiment entgegenträgt“. („Möchten unsere Beratungen uns hierin einig und einmütig zugleich in der Zuversicht finden, das die hochwürdige Vorsynode, indem sie annimmt, was ihr das Kirchenregiment entgegenträgt, der Kirche einen Dienst erweist, aus dem ihr Heil und Segen blüht“. ebd) Das klang nach möglichst debattenloser Annahme der Vorlage. Stattdessen veranstalteten die Abgeordneten eine heftige Aussprache mit unangenehmen Fragen an das Staatsministerium.

Ein unerwarteter Auftakt

Den Synodalen lag der Entwurf eines „Gesetzes, die Errichtung einer Landessynode und eines Synodalausschusses für die ev.-luth. Kirche des Landes betreffend“ (Anlage 5 S. 1-12) und eine knappe Begründung (Anlage 5 S. 1-4) vor. Bei der Behandlung des unverdächtigen § 1, der lediglich die Einrichtung einer Landessynode und eines Landessynodalausschusses feststellte („Für die evangelisch-lutherische Kirche Unseres Herzogthums soll eine Landessynode und ein Ausschuss derselben bestehen“) beantragte Superintendent Nolte zusätzlich die Einrichtung von Kreissynoden. Die Einrichtung von Kreissynoden war auch vom Konsistorium erwogen worden, erschien aber „problematisch und bei der Eigenthümlichkeit der hiesigen landeskirchlichen Verhältnisse haben erhebliche Bedenken von der Einrichtung von Kreissynoden abrathen müssen“. (Anlage 5 S. 2) Angesichts dieser Begründung war der Antrag Noltes ganz schön aufmüpfig. An diesem Antrag entzündete sich eine Grundsatzdebatte. Generalsuperintendent Kelbe formulierte seine grundsätzlichen Bedenken überhaupt gegen die Einrichtung einer Synode: „Ich gehöre zu denen, die wenig Vertrauen zu den neuen kirchlichen Verfassungsbildungen haben. Ich fürchte, es wird sehr schwer halten, dass solche Verfassungen Wurzeln fassen, denn es fehlt ihnen in der lutherischen Kirche an allen geschichtlichen Voraussetzungen... In den mir zugänglich gewesenen Kreisen hat die Regierungsvorlage mehr überrascht, als befriedigt, vielfach hat sie auch enttäuscht.“ (Sb 2 S. 6; Chamloth S. 2) Kelbe bezweifelte, dass eine Landessynode das kirchliche Leben in den Kirchengemeinden wecken würde, denn sie wäre nichts weiter als ein Organ der Kirchenregierung.
Kelbe sprach ein bleibendes Grundproblem an, nämlich das Verhältnis der Landessynode zu den Kirchengemeinden und die Stellung der Synode zur Kirchenleitung an. Er befürchtete nicht zu Unrecht, daß es der Synode an Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit gegenüber der Kirchenleitung fehlen würde. 1907 formulierte der Leipziger Kirchenhistoriker Hauck „Will man leistungsfähigere Synoden, so muß ihnen größere Freiheit der Bewegung gewähren, so muß man sie aus Kontrollapparaten zu Organen der kirchlichen Selbstverwaltung umbilden.“ (Hauck, Artikel „Synode“ in RE Aufl.3 Bd. 19, S. 277)
Neben diese resignative Einstellung Kelbes trat die Haltung der Positiven, der Bekenntnislutheraner, die im Grunde gar nichts ändern wollten. Ihr Sprecher, Superintendent Wolff, sah in Sorge für die Kirche den Verhandlungen entgegen. Er fürchtete, die Grundlagen der Verfassung sollten geändert werden und das bischöfliche Regiment zum Teil aufhören. (Sb 2 S. 7) Zu den unermüdlichen Bekenntnislutheranern gehörte auch Superintendent Guthe, Königslutter, der den Antrag seines Ampleber Kollegen unterstützte. Nach elf Wortmeldungen zum Thema Kreissynode, die gar nicht zur Vorlage gehörte, riss offenbar Kultusminister W. Schulz der Geduldsfaden; er griff in die Debatte ein, wünschte, es bei der Vorlage der Landesregierung zu belassen, abzustimmen oder die Regierungsvorlage einer Kommission zu überweisen. (Sb 2 S. 7 f) . Das hätte einen Affront gegenüber des Staatsministerium bedeutete, die Synode beließ es bei der Fassung der Regierungsvorlage und lehnte den Antrag Noltes mit großer Mehrheit bei nur vier befürwortenden Stimmen ab. Das Ergebnis war verwirrend, weil der Antrag von jenen eingebracht war, die eigentlich gegen den synodalen Gedanken überhaupt waren, jene, die eine Kreissynode befürworteten, ihn aber ablehnten, jedoch nicht grundsätzlich. So war es nicht verwunderlich, dass in der 2. Lesung erneut zwei Anträge gestellt wurden, die Kreissynoden in den Text des § 1 aufzunehmen. Sie seien „Zubringer und Zubereiter für die Landessynode“ (Synodale Pini) (Sb 8 S. 74). Auf Druck des Kirchenkommissars verzichtete der Antragsteller auf Aufnahme in den Gesetzestext und verwandelte seinen Antrag als Wunsch an die Kirchenregierung, für die nächste Synode eine Vorlage zu diesem Thema zu machen. Das fand allgemeine Zustimmung auch des Kirchenkommissars, der damit sein Gesicht und seine Vorlage unverändert gewahrt hatte.

Die Zusammensetzung der Synode (§ 2)
Noch in derselben 2. Sitzung kam es zu einer ausgedehnten Debatte über die Verteilung der Sitze für Geistliche und Laien. Die Vorlage des Ministeriums sah eine Parität von 14 Geistlichen und 14 Laien vor, dazu je zwei durch den Herzog ernannte geistliche und Laien-Mitglieder vor. Der liberalste Abgeordnete, Handelsdirektor Bode, Mitglied der Landesversammlung, beantragte hingegen ein Verhältnis von 12:24, also die Anzahl der weltlichen Abgeordneten erheblich auf 24 zu vermehren, (Sb 2 S. 9) Staatsanwalt Kühne schlug ein Verhältnis von 7 geistlichen und 17 weltlichen Abgeordnete vor. Superintendent Wolff hingegen beantragte, dass die sechs Generalsuperintendenten, der Domprediger und die sieben weltlichen Kirchenvisitatoren ständige Mitglieder der Synode sein und je sieben Geistliche und Weltliche gewählt und vier weitere, darunter ein Patron, ernannt werden sollten. Das war nicht nur ein Schlag gegen den Proporz der Regierungsvorlage, sondern gegen das Wahlverfahren, und wurde wegen mangelnder Unterstützung gar nicht zur Debatte gestellt. (Sb 2 S. 10) Generalsuperintendent Stöter begründete eine Mehrzahl der Laien mit der zuversichtlichen Behauptung: „Wir gehen der freien Gemeinde oder der Volkskirche entgegen. Dieser wird durch die Vermehrung des Laienelementes in der Synode der Weg gebahnt.“ (Chamloth S. 15; Sb 2 S. 10)
Superintendent Apfel dagegen empfand den diskutierten Gegensatz von Geistlichen und Laien als unglücklich. „In einer Synode sollte überhaupt von Geistlichen und Weltlichen eigentlich keine Rede sein. Beide hätten unabhängig vom Proporz eine sich ergänzende Aufgabe. Wenn in derselben nur 1/3 Geistliche und 2/3 weltliche Abgeordnete sind, so sind die Geistlichen da, um zu raten und durch die Mehrzahl der Weltlichen werde den Gemeinde Vertrauen eingeflößt.(Chamloth S. 16)
Da sich eine klare Mehrheit gegen die Regierungsvorlage abzeichnete, griffen Konsistorialrat Hille und der spätere Staatsminister Schulz jedoch vergeblich zugunsten der Regierungsvorlage ein, denn die Synode beschloss auf Antrag von Stöter eine grundsätzliche Mehrheit der Laiensitze, ohne sie genau zu bestimmen. (der Antrag Stöters lautete: „unter Beseitigung der numerischen Parität des Entwurfs zu beschließen, dass die Zahl der geistlichen Abgeordneten ermäßigt, die Zahl der weltlichen dagegen erweitert werde.“ (Sb 2 S. 10)
In der 2. Lesung wurde dieses Verhältnis vom liberalen Abgeordneten Schmid mit 12:18 näher bestimmt, woraufhin Schulz wütend protestierte und höchstens ein Verhältnis von 12:16 dulden wollte. (Sb 8 S. 77)

Die Stellung des Bekenntnisses
Ein besonders empfindlicher Punkt war für die lutherische Synodenminderheit die Wahrung des Bekenntnisses. Der § 20 der Vorlage sah vor, dass der Inhalt des Bekenntnisses kein Gegenstand der kirchlichen Gesetzgebung wäre. Das war der lutherischen Minderheit nicht genug. Die Synode sollte nämlich auch über Katechismus, Gesangbücher und Agenden beraten und beschließen dürfen. Für die Erzlutheraner war das Bekenntnis des 16. Jahrhunderts unantastbar wie auch die Heilige Schrift. Superintendent Wolff, Halle beantragte, dass Änderungen des Katechismus, von Gesangbuch und Agenden aus der Beratung der Synode herausgenommen und allein von der herzoglichen Kirchengewalt erlassen werden sollten. (Sb 5 S. 34)
Gegen Wolff votierte sein Amtskollege Skerl von der Braunschweiger Katharinenkirche, der feststellte, dass Bekenntnisse immer nur unter äußerem Druck entstanden wären. Wenn unsere Kirche ähnliche Notstände zu ertragen hätte, wie im Jahre 1530, so würde sie auch wieder zu einem neuen Bekenntnis kommen. Da uns solche Notstände fern liegen, hat das Regiment wohl daran getan, im Entwurfe die Frage vom Bekenntnis unberührt zu lassen.“ (Chamloth S. 65)
Besonderes Unverständnis für die krasse Auffassung des Bekenntnisses zeigten die Laien im Plenum.
Obergerichtsrat Schmid sah die Laien durch Taufe und Konfirmation genauso wie den Pfarrer unter der Verpflichtung des Bekenntnisses stehend und bedauerte, dass sich die Pfarrer als ausschließliche Träger der christlichen Kirche betrachteten. Nicht auf der Unfehlbarkeit des Lehrstandes, sondern auf der Gemeinschaft der Gläubigen beruhe nach protestantischen Grundsätzen das Wesen der Kirche. „Woher schreibt sich dies Misstrauen gegen uns Laien, dass wir das Bekenntnis schädigen wollen?“ ( Sb 5 S. 37 Chamloth S. 64)
Für Handelsdirektor Bode war das Bekenntnis „Machwerk der Menschen, in welchem er nichts Göttliches erblicke“ (Sb 6 S. 39), für Guthe hingegen war die Kirche „die Wahrheit; sie trage die Wahrheit in sich und gehöre nicht zu denjenigen, welche die Wahrheit suchten. Es seien deshalb bestimmte Sätze erforderlich, welche jenes Urrecht des Protestantismus der Verfassung gegenüber sicher stellten“. (Sb 5 S. 37) So prallten die gegensätzlichen Auffassungen über den Charakter des Bekenntnisses scharf aufeinander. Am Ende der Aussprache mit fünf Abänderungsanträgen und elf Wortmeldungen wurde die Vorlage unverändert angenommen.

Schließlich wünschten die Bekenntnislutheraner eine andere Positionierung der Bekenntnisfrage im Gesetz, die in der Vorlage erst im § 20 behandelt wurde. Superintendent Guthe stellte den Antrag, zwischen den Paragrafen 1 und 2 noch einen weiteren Paragrafen einzufügen, in dem als Aufgabe und Pflicht der Landessynode definiert war, „die dem Bekenntnis unserer Landeskirche dargelegte öffentlich geltende Lehre des ev.-luth. Glaubens zu schützen und ihre Aneignung zu fördern“. Die Synode wäre „mit ihren Beschlüssen an das Bekenntnis gebunden“ (Sb 2 S. 13). Da der Antrag nicht genügend unterstützt wurde, beantragte nun Superintendent Wolff einen ähnlich gleichlautenden Antrag, scheiterte indes ebenso an mangelnder Unterstützung.(Sb 3 S. 15) Dieselbe Prozedur wiederholte sich in der zweiten Lesung. Die Laiensynodalen wehrten sich, Bekenntnispenetranz mit Bekenntnistreue, die sie auch für sich in Anspruch nahmen, zu verwechseln.

Beteiligung an einer Deutschen Evangelischen Kirche
Eine weitere heftige Bekenntnisdebatte entzündete sich an dem Zusatzantrag von Pastor Skerl, dass die Landessynode berechtigt wäre, im Einverständnis mit der Kirchenregierung „eine Beteiligung der Landeskirche an einer größeren Vereinigung der evangelischen Kirche überhaupt zu beschließen“. (Sb 5 S. 43)
Seit 1852 gab es die Eisenacher Konferenz als einen losen Zusammenschluß der evangelischen Kirchen. Der Antrag folgte einem Trend zur Einigung der Landeskirchen zu einer evangelischen Kirche in Deutschland. Superintendent Wolff hingegen befürchtete durch diesen Antrag, eine Vermischung der Bekenntnisse, wie er sie in der Bildung der Kirchen der Altpreußischen Union bereits geschaffen sah. Die „Union“, nämlich aus lutherischen und reformierten Kirchen, wurde für das folgende Jahrhundert zum Schreckgespenst aller Lutheraner. In der Braunschweiger Landeskirche wurden diese Ängste immer wieder besonders nach dem 2. Weltkrieg von den Braunschweiger Bekenntnislutheranern vorgetragen, die den Eintritt der Landeskirche in die EKD kategorisch ablehnten. Ihre Tradition reicht bis in das Jahr 1869 zurück. „Kirchliche Verbindungen mit solchen Kirchen einzugehen, in welchen die Übung des ev.-luth. Bekenntnisses nicht in ungestörtem Recht ist, steht weder dem Kirchenregiment für sich, noch unter Zustimmung der Landessynode zu,“ formulierte Wolff u.a. als Gegenantrag. (Sb 6 S. 48) Der liberale Gegenpol, Handelsgerichtsdirektor Bode, erwiderte kräftig, er sähe zwar mit Schrecken dem Zeitpunkt entgegen, „wo wir aufhören, Braunschweiger zu sein“, aber die Souveränität der kleinen deutschen Territorien wäre „ein schief gewickeltes Kind“ und wenn die evangelische Kirche mit ihrer Zersplitterung fortführe, würde sie sich „durch Verdunkelung und Verketzerung selber zerfleischen“. (Sb 6 S. 49) In erster Lesung wurde der Antrag Skerls nach 13 Debattenbeiträgen mit 16:11 Stimmen angenommen. Superintendent Wolff meldete nach der Bekanntgabe des Ergebnisses geschäftsordnungswidrig Protest an, der vom Vorsitzenden Caspari als „ungehörig“ zurückgewiesen wurde. (Chamloth S. 93). Am folgenden Tag stellte Superintendent Guthe zutreffend fest: „Es geht durch unsre Versammlung und unsre Besprechungen ein tiefer Gegensatz in den Bestrebungen, wie wir die Kirche bauen wollen“. (Chamloth S. 116). Die Angst vor einem weiten Rückfall in mittelalterliche Verhältnisse grassierte unter den liberalen Abgeordneten. „Ein großer Teil unserer lutherischen Geistlichen ist orthodox,“, befand der Abgeordnete Bode, „ich und meine Wähler wollen ihn nicht, wenn ich auch die Orthodoxen nicht incommodiren will. Die Orthodoxen haben vielfach das Kirchenregiment in Händen und benutzen es zu Verketzerungen und Verfinsterungen. Da blickt man ordentlich mit Neid auf die Katholiken, die sich doch wenigstens vom Papst, einer historischen Macht, vorschreiben lassen, was sie glauben sollen, und nicht von einem Haufen zusammengelaufener Theologen.“
Immer wieder kamen die lutherischen Synodalen auch bei anderen Verhandlungsgegenständen auf ihre Abstimmungsniederlage vom Vortage zu sprechen und ernteten bei der Behauptung „es ist gestern der Beschluß gefasst, die bisher geltende lutherische Kirche in unserm Lande zu beseitigen,“ heftige Zwischenrufe (Nein! Nein!). Immerhin beantragte in der 2. Lesung Sup. Wolff die Streichung des Skerlsschen Zusatzes aus der 1. Lesung und hatte nach 14 synodalen Wortbeiträgen Erfolg. Mit 16:11 Stimmen wurde eine Beteiligung der Landeskirche an einer evangelischen Kirche in Deutschland nun abgelehnt.

Berichtspflicht des Konsistoriums
Das Synodengesetz verpflichtete das Konsistorium zu einem Vorhaben, das bis in die Gegenwart wirksam ist. Im § 20 wurde die Bestimmung aufgenommen, wonach der Landessynode „über Zustände und Verhältnisse der Landeskirche eingehende Mitteilung“ gemacht werden sollte, auf die sie mit Anträgen und Beschwerden gegenüber der Kirchenregierung reagieren könnte. Diese Bestimmung hatte zur Folge, dass sich in den Synodenprotokollen ausführliche und informative, vom Konsistorium verfasste Berichte befinden, die über die Zustände der Landeskirche in den Jahren 1872 - 1911 berichten. Sie bildeten in den ordentlichen Synodaltagungen einen Kernpunkt tagelanger Debatten.

Der Synodalausschuss
Als Gremium zwischen Synode und Konsistorium war ein Synodalausschuss gedacht. Er sollte zwischen den Sitzungsperioden die Synode vertreten, gegebenenfalls mit dem Konsistorium verhandeln und an der Schlichtung von Streitfällen beteiligt sein. Die §§ 27 - 29 beschrieben die Zusammensetzung (zwei geistliche und zwei weltliche Synodale) und den Wirkungskreis. Die Synode erhöhte die Anzahl auf fünf Mitglieder (Sb 6 S.56) Den Liberalen lag an einer Stärkung des Synodalausschusses. Daher schlug Obergerichtsrat Schmid vor, dass der Synodalausschuss gutachterlich zu hören sein solle, wenn im Konsistorium eine Stelle besetzt werden solle. (Sb 6 S. 58) Dieses Anhörungsrecht des Synodalausschusses bei Berufung der Konsistorialräte löste eine besorgte Debatte aus, an der sich mehrfach Konsistorialrat Hille und der Kultusminister Geheimrat Schulz beteiligten. (Sb 7 S. 62-65) Trotzdem wurde der Antrag mit 15:12 Stimmen angenommen.

Erhebung von Kirchensteuern
Ein weiterer weitsichtiger Gegenstand wurde im Absatz III des § 20 angesprochen, nämlich die eventuelle Erhebung von Kirchensteuern. Diese sollten durch die Landessynode bewilligt werden. „Wenn für allgemeine kirchliche Zwecke Geldmittel im Wege der kirchlichen Besteuerung durch Leistung der Kirchengemeinden auf Proposition unserer Kirchenregierung aufgebracht werden sollen, bedarf es der Bewilligung von Seiten der Landessynode.“ Geheimrat Kommissar Schulz erklärte zwar diesen Absatz für „prophetisch“ und als „Rahmen ohne Füllung“ (S. 82), aber er führte dazu, dass aus der Mitte der Synode wiederholt die Einrichtung einer Landeskirchenkasse gefordert wurde, was an der Kirchenregierung scheiterte und unter ganz anderen Verhältnissen erst 1922 verwirklicht wurde. Es wäre der Landeskirche viel Elend erspart geblieben, wenn die Kirchenregierung schon Jahrzehnte vorher auf die Landessynode gehört hätte. Es blieb bei einem „Entwurf eines Gesetzes betreffend die Bildung eines Centralfonds aus dem Vermögen der Pfarrer und der Pfarrwittwenthümer, zur Bestreitung der Gehalte der Pfarrer und Superintendenten, der Ruhegehalte emeritirter Pfarrer, der übrigen Pfarr-Verwaltungskosten, so wie der Pfarrwittwen- und Waisenpensionen“, Braunschweig o.J.

Das Verhältnis zwischen Synode, Konsistorium und Herzoglicher Gewalt

Es blieb 1869 unklar, ob auf die künftige Landessynode ein Teil der herzoglichen Kirchengewalt übergehen sollte. Das bisherige auf Unterordnung angelegte Verhältnis des Konsistoriums zum Staatsministerium schien durch die Installation eines neuen Verfassungsorgans gestört, zumal das Verhältnis der Landessynode zum Konsistorium undefiniert blieb. In § 22 der Regierungsvorlage hieß es ausdrücklich, dass die verfassungsmäßige Zuständigkeit der Kirchenregierung und „insbesondere“ der bisherige amtliche Wirkungskreis „Unseres Herzoglichen Consistoriums“ unverändert bestehen bleibe. „Es treten hierin nur diejenigen unmittelbaren Beschränkungen ein, welche die ausdrücklichen Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes ergeben“. (Anlage 5 Entwurf S. 9) Solche von der Vorsynode eventuell beschlossenen „möglichen Beschränkungen“ sollten jedoch den bisherigen verfassungsmäßigen Zustand nicht berühren. Danach sollte sich also gar nichts ändern. Der Abgeordnete Oesterreich beantragte, diesen Paragrafen ganz zu streichen, weil der bisherige amtliche Wirkungskreis nicht festgelegt werden sollte. (Sb 6 S. 54) Die Konsistorialmitglieder Hille und Grotrian widersprachen Oesterreich postwendend, aber die Abgeordneten Schmid und Oesterreich wiegelten ab, der Paragraf sei wohl ein „Ausdruck von Befürchtung, dass die neuen Einrichtungen dazu missbraucht werden könnten, den verfassungsmäßigen Rechten der Kirchenregierung und ihrer Organe Eintrag zu tun“. (ebd S. 55) Damit hatten sie den Sinn des § 22 genau erfasst, der defensiv die bisherige Verfassungslage absichern wollte. Umso erstaunlicher ist es, dass die Synode den § 22 ersatzlos in der 1. und 2. Lesung strich. Der Abgeordnete Kelbe wünschte sich in diesem Zusammenhang eine genauere Beschreibung der Befugnisse des Kirchenkommissars und bezeichnete ihn respektlos als „Briefträger der höheren Behörde“ (ebd S. 54). Der Erzlutheraner Superintendent Wolff gab zum Eingang der nächsten Sitzung prompt seinen Eindruck wieder, „die letzten Bestimmungen hätten die Tendenz gezeigt, dem Kirchenregiment eine Vormundschaft, unserm landesfürstlichen Bischof einen Oberbischof zu setzen“. Durch die Versammlung gehe ein „Zug, das bischöfliche Regiment von seinen bisherigen Fundamenten herunter zu bringen“ (Sb 7 S. 61 und 62) und Kollege Guthe bekräftigte: „Wir können nicht verhehlen, dass ein tiefer Gegensatz in den Bestrebungen, wie wir unsere Landeskirche bauen wollen, durch diese Versammlung geht. Er und seine Freunde ließen sich von der Meinung leiten, dass es sich darum handele, den öffentlich geltenden Glauben der evangelisch-lutherischen Kirche des Landes zu verfassen. Bei einem großen Teil der Versammlung dagegen – und namentlich in den Schmidschen Anträgen und Ausführungen ziehe sich der Gedanke durch, irgend welche Cautelen in die Verfassung der Kirche hineinzubringen, durch welche dahin gewirkt werden könne, dass die Pricipien unseres landesfürstlichen Regiments aufgegeben und von Grund aus beseitigt würden. Anstreben der Union sei nichts anderes, als Beseitigung des bisherigen kirchlichen Bestandes.“ (Sb 7 S. 63)
Es blieb die Frage offen, ob die Synode dem Staatsministerium beratend zur Seite stünde oder strukturell gegenüber. „Das Kirchenregiment steht der Synode konstitutionell gegenüber,“ (S 17) befand Obergerichtsrat Schmid, dem Regiment bliebe immer noch das Veto. Das war aber keineswegs einhellige Meinung in der Synode.
Der Synodalentwurf ließ auch die andere Frage offen, wer in Zukunft als Kirchenregiment zu betrachten wäre. Obergerichtsrat Schmid erbat sich eine klare Definition des Begriffs „Kirchenregierung“. Als Pragmatiker sah er die Kirchenregierung in der Anwesenheit des Kultusministers repräsentiert. Dies lehnte Geheimrat Schulz kategorisch ab und verwies auf seinen Status als Kommissar des Herzogs. Tatsächlich verband der Begriff „Kirchenregierung“ nicht eine einzige Institution, sondern ein System von Entscheidungsträgern ähnlich dem heutigen Begriff „Kirchenleitung“. Eine Definition erschien deshalb prekär, weil man durch eine multifunktionale Definition die formal alleinige Trägerschaft der Kirchengewalt durch den Herzog nicht beschädigen wollte.

Die Frage der Zuordnung von Landessynode, Staatsministerium und Konsistorium und wie sich „Kirchenregierung“ in Zukunft zu verstehen habe, wurde noch dadurch kompliziert, dass die Rolle der Landesversammlung bei der Ausübung der herzoglichen Kirchengewalt ungeklärt war. Die Bekenntnislutheraner lehnten jede Beteiligung der Landesversammlung an der Kirchengewalt entsetzt ab, weil in der Landesversammlung auch katholische und jüdische Abgeordnete sitzen konnten. Die liberalen Abgeordneten der Vorsynode, die zugleich Mitglieder der Landesversammlung waren, kündigten dagegen in der Debatte ungeniert an, dass sie für jene Passagen, für die sie in dieser konstituierenden Synode keine Mehrheiten erhalten hatten, nunmehr eine Mehrheit in der Landesversammlung zu erhalten hofften. Das letzte Wort schien noch nicht gesprochen.
Es blieb also wesentlich der Landessynode vorbehalten, welchen Freiraum sie sich durch ihre Arbeit schaffen würde, die auch das Staatsministerium und das Konsistorium respektieren würden.
Es ist erstaunlich, dass die Synode in den folgenden Jahrzehnten trotz dieser erheblichen Schranken ein enormes kirchenreformerisches Programm entwickelte und der Landeskirche ein neues Gesicht gab.

Zuspitzung des Konflikts zwischen Synode und Kirchenkommissar

Die konstituierende Synode endete mit Paukenschlag. In der letzten Sitzung am 16. Oktober verlas der Präsident einen förmlichen Bescheid der Kirchenregierung, dass zwei beschlossene Paragrafen unannehmbar wären, nämlich die Zusammensetzung der Synode mit ihrem knappen Übergewicht an weltlichen Abgeordneten und das Begutachtungsrecht des Synodalausschusses vor der Ernennung von Konsistorialräten. Staatskommissar Schulz riskierte damit ein Scheitern der Synode und während der Präsident bereits zur Abstimmung aufrief, meldete sich der Abgeordnete Oesterreich zu Wort, und beantragte, das Begutachtungsrecht fallen zu lassen, es aber bei dem beschlossenen Verhältnis von Laien und Geistlichen in der Synode zu belassen, jedoch der Staatsregierung insofern entgegenzukommen, dass es ins Ermessen der Kirchenregierung gestellt werden sollte, ob die vier vom Herzog zu ernennenden Abgeordneten geistliche oder weltliche Abgeordnete wären. Damit war der herzoglichen Kirchengewalt die Möglichkeit gegeben, die in der Vorlage vorgesehene Parität wieder herzustellen. Es gab eine kurze zustimmende Debatte, die Synode stimmte zu und Kirchenkommissar Schulz erklärte erleichtert, er stimme „ohne weitere schriftliche Communication mit der Herzogliche Kirchenregierung dem Vorschlag zu. (Sb 11 S. 98). Damit war nebenbei die bisherige aufrechterhaltene Verbindung zum Herzog als Farce erwiesen. Die Entscheidung lag beim Staatsminister. Er war eben doch nicht „Briefträger“ wie der Abgeordnete Kelbe spitz bemerkt hatte, sondern hatte die Entscheidungsgewalt.
Der Entwurf wurde nun im Ganzen zur Abstimmung gestellt, Handelsdirektor Bode und Obergerichtsrat Schmid stimmten dagegen, so blieb der herzoglichen Vorlage auch dieser Schönheitsfehler nicht erspart. (Das Protokoll vermerkt nur eine Gegenstimme; das Tageblatt meldete, dass Bode und Schmid gegen das Gesetz gestimmt hätten.)
Die Synodalen Wolff und Guthe gaben eine begründende Erklärung für ihr ihren Anhang irritierendes, zustimmendes Votum, die nicht in die amtliche Veröffentlichung aufgenommen wurde, aber bei Chamloth nachzulesen ist.

Der Staatskommissar schloss die Synode mit einem dürren Satz. Er hatte hörbar die Lust an derartigen Synoden verloren. Der Abgeordnete Schmid hatte beantragt, innerhalb eines Jahres die erste Landessynode einzuberufen. (Sb 3 S. 18 f) Den freudigen Eindruck einer baldigen Einberufung einer neuen Synode machte die Schlussansprache nicht. Die Synodalen hatten sich nicht als folgsames Instrument in das bisherige Staat-Kirche Verhältnis eingeordnet, sondern sich als selbständig agierendes „Gegenstück“ (Schmid) erwiesen.
Die Synodalen hatten die Erfahrung machen müssen, das im Konfliktfall der Entscheidungsraum der Synode gering blieb. Das Staatsministerium hatte faktisch ein Vetorecht gegenüber allen Synodalbeschlüssen, ohne dass dieses Recht in der Synodalverfassung formuliert worden war.
So zeigte der Schlusstag noch einmal auf drastische Weise die künftigen Grenzen der Landessynode auf und beleuchtete das ungeklärte Problem der Zuordnung dieses neuen Verfassungsorgans zur herzoglichen Kirchengewalt und zum Konsistorium. Diese Problematik der fehlenden verbindlichen Zuordnung der Verfassungsorgane untereinander besteht bis heute.

Das Ergebnis der Beratungen
Das Ergebnis der Beratungen war ein stabiles Verfassungsorgan, das einen sichtbaren Wandel in der Landeskirche schuf. Die Landessynode bestand aus 28 gewählten und je zwei ernannten geistlichen und weltlichen Abgeordneten, also insgesamt 32 Synodalen. Die Landessynode sollte alle vier Jahre tagen und konnte zusätzlich zu außerordentlichen Synoden einberufen werden. (§ 4) Es gab in der Folgezeit insgesamt 11 ordentliche und 6 außerordentliche, mehrtägig tagende Synoden. Zu jeder Sitzungsperiode schied die Hälfte der Synodalen aus; konnte aber wiedergewählt werden (§ 5). Wählbar war jeder Pfarrer und jedes männliche Gemeindemitglied, das auch nach dem Kirchenvorstandsgesetz von 1851 wählbar, also 30 Jahre alt, war und in wirtschaftlich selbständigen Verhältnissen lebte. Wahlberechtigt waren lediglich die Kirchenvorstandsmitglieder, die in geheimer Wahl jeweils einen oder mehrere Wahlmänner wählten. In der Debatte scheiterten alle Anträge, den Kreis der Wahlberechtigten zu erweitern etwa dadurch, dass man wenigstens eine doppelte Anzahl als die der Kirchenvorstandsmitglieder für wählberechtigt bestimmte. Die Wahl des Synodalen erfolgte in einer Wahlmännerversammlung des jeweiligen Wahlkreises. Als Wahlkreis fungierten die Generalsuperintendenturen.
Die Synode wurde durch den Herzog berufen (§ 13) und von seinem Kommissar eröffnet und geschlossen (§ 16). Ein Gottesdienst sollte der Eröffnung vorangehen. Er wurde zumeist im Braunschweiger Dom, der Hauskirche des Herzogs, vom Domprediger gehalten. So war selbst durch den Gottesdienst die enge Anbindung an das Staatswesen dokumentiert. Die Synode wählte aus ihrer Mitte drei Kandidaten für den Synodalpräsidenten und seinen Stellvertreter und präsentierte diese drei dem Herzog, der den Präsidenten bestimmte (§ 18). Der Wirkungskreis der Synode bestand nicht im Erlaß von Gesetzen, sondern in der Beratung und Zustimmung von Kirchengesetzen, deren Entwürfe von der Kirchenregierung vorgelegt wurden (§ 20). Die Kirchengesetze wurden in der staatlichen Gesetzes- und Verordnungssammlung veröffentlicht. Allerdings wurde bei der Veröffentlichung die Zustimmung der Landessynode mit erwähnt (§ 21). Über ein eigenes Amtsblatt verfügte das Konsistorium noch gar nicht, die erste Ausgabe erschien erst 1888. Zur Beratung und Beschlußfassung war die Anwesenheit von wenigstens Zweidrittel der Synodalen erforderlich (§ 23). Die Synode tagte öffentlich (§ 25), das bedeutete, dass die Presse über den Verlauf der Synoden berichten konnte. Zu Beginn jeder Tagung sollte außerdem ein fünfköpfiger Synodalausschuß gewählt werden, bestehend aus je zwei geistlichen und weltlichen Abgeordneten, wobei der fünfte ein geistlicher oder ein weltlicher Abgeordneter sein konnte. Der Synodalausschuß sollte zwischen den Tagungen als Synodalvertretung fungieren (§ 27) und die Vorlagen für die Synode vorberaten und begutachten (§ 28).

Die Presse
1869 konnten in Braunschweig zwei Tageszeitungen gelesen werden: Die Braunschweiger Anzeigen waren eine Art Magazinblatt im mittleren Format mit Kurzmeldungen aus der Region, Meldungen von Vereinen, Clubs („Club zur Gartentür“, Kegelclub „Zur Walze“ 8 Uhr Conferenz wegen Vertilgung des Überschusses“), Konzerten, Anzeigen zur Anstellung von Dienstboten, jedoch keine überregionalen politischen Meldungen oder gar Kommentare und Besprechungen. Die Braunschweiger Anzeigen veröffentlichten jedoch sehr ausführliche protokollartige Berichte von der Synode, meist einen halben oder einen ganzen „Bogen“ stark, leicht zeitversetzt, meist sechs oder sieben Tag nach der Verhandlung. Es kam weniger auf die Aktualität einer Meldung an, sondern eben auf den Vollzug des Berichteten. (Synodenberichte in den Braunschweiger Anzeigen am 2.10./ 4.10./ 6.10./ 7.10./ 12.10./ 13.10./ 14.10./ 15.10./ 16.10./ 20.10./ 21.10/ 24.10/).
Außerdem erschien das Braunschweiger Tageblatt, eine größeres Format als die Anzeigen, mehr zeitungsmäßig, mit Nachrichten aus aller Welt, auch mal mit Zusammenfassungen und mit Kommentaren. Das Braunschweiger Tageblatt berichtete über die konstituierende Synode zeitnah, oft schon am nächsten Tag, aktuell und umfassend. Es zitierte ausführlich aus dem jeweils am nächsten Tag vorgelesenen Protokoll und fügte wenige eigene Beobachtungen hinzu, z.B. den Schluss der Sitzungen, die in der Regel bis 13.30 –14.00 dauerten oder das (es liegen Berichte vor im Braunschweiger Tageblatt vom 6.10./ 7. 10./ 8.10./ 9.10./ 11.10./ 14.10. Für die letzten drei Sitzungen: 18.10.). Abstimmungsverhalten einzelner Synodaler oder über die Zuhörer. Am Eröffnungstag der Synode, dem 1. Oktober, veröffentlichte das Tageblatt den vollständigen, 31 Paragrafen umfassenden Text des Gesetzes zur Einrichtung einer Landessynode. Auf Seite 1 war ein ausführlicher Bericht über das für Dezember einberufene vatikanische Konzil, unter der Überschrift „Das ökumenische Concil“, zu lesen, auch über das beabsichtigte Unfehlbarkeitsdogma und die ablehnende Haltung der deutschen Bischöfe.
Die Informationsdichte war erstaunlich hoch. Sie sollte auch in den folgenden Jahrzehnten nicht nachlassen. Eine Besonderheit dieser ersten Synodenperiode.

Das auf der konstituierenden Synode geschaffene Synodalgesetz leitete in der Landeskirche einen bis heute anhaltenden, kirchenreformerischen Prozess ein. Die Landessynode wurde im Laufe ihrer Geschichte zum gleichberechtigten Verfassungsorgan neben dem Konsistorium. Aber das Gesetz hatte noch eine lange Nachgeschichte. Es wurde erst 1871 veröffentlicht und damit wirksam. Das hatte folgende Gründe.

Die lange Nachgeschichte
Sofort nach Schluss der konstituierenden Synode äußerte sich der Kirchenpatron v. Grone aus Westerbrak in einer „Denkschrift die gegenwärtig beabsichtigte Einführung einer modernen Synodalverfassung in der Evangelischen Landeskirche des Herzogthums Braunschweig betreffend“. (handgeschriebene 32 Seiten NStaWf 12 neu 9 4998). Das Verlangen nach sogenann-ten Synodalverfassungen sei eine „entschieden krankhafte Erscheinung auf kirchlichem Gebiet“, und die Zusammensetzung der Synode „von durchaus unorganischer und entschieden widerkirchlicher Natur“. Stattdessen sollten Inspektionssynoden „von entschieden kirchlichem Charakter“ eingerichtet werden. Die Aufgabe der Kirche seien Verkündigung, Verwaltung der Sakramente und Kirchenzucht, also kein „äußerlich experimentierendes, vielgeschäftiges Auftreten und so auch nicht ein derartiges Machen von Verfassungen nach rein menschlichem Belieben“. v. Grone bat in seinem Begleitbrief vom 26. November 1869 den Herzog, das Gesetz nicht zu publizieren. Die Antwort des Staatsministeriums, auf v. Grones Vorstellungen und Anträge in der Denkschrift könne nicht eingegangen werden, datierte vom 8. Dezember 1869. Der Kirchenpatron war vom Kultusminister noch vor Weihnachten ziemlich rasch und bündig abgefertigt worden.

Der Synodale Wolff wurde indes nach Beendigung der Vorsynode von seinen lutherischen Gesinnungsgenossen so scharf wegen der Zustimmung kritisiert, daß er eine Verteidigungsschrift abfaßte und seine Zustimmung mit dem bekenntnistreuen Wortlaut des Gelübdes der Synodalen und dem § 20, wonach das Bekenntnis nicht Gegenstand des Gesetzes sein dürfte, begründete. Zu anderen Verbesserungen wäre keine Zeit geblieben, da er die Gesetzesvorlage erst am 22. September erhalten und am 27. zur Vorsynode hätte abreisen müssen. Er veröffentlichte seine am Schluss der Synode zu Protokoll abgegebene Erklärung. (L Wolff, Meine Zustimmung zu den Beschlüssen der Vorsynode zu Braunschweig 1869, Braunschweig 1870)

Größere Überraschung bescherte indes der 11. Landtag, der im Dezember 1869 eröffnet worden war. Diesem lag der Beschluss der konstituierenden Synode zur Stellungnahme vor. Die Kirchenkommission, der die Abgeordneten d. Dobbeler, Schäfer, Köpp, Ernesti und Brodkorb angehörten, fertigte bereits unter dem 6. Januar eine gründliche Stellungnahme an. (Verhandlungen der Landesversammlung vom 12. November 1868 - 15. März 1870 Protokolle Anlage 58) Darin wurde die Selbständigkeit der Landeskirche ausdrücklich betont und respektiert. Die Tatsache, dass die Landesversammlung im letzten Jahrhundert sich immer wieder mit rein kirchlichen Angelegenheiten beschäftigt und Entschlüsse gefasst habe, sei zwar zur „gewohnheitsmäßigen Übung“ geworden, bilde jedoch eine „himmelschreiende Dissonanz“ zur Landschaftsordnung von 1832. Es müsse der Landesversammlung selber daran liegen, diese Dissonanz aufzuheben und was sie bisher geübt habe, in andere, berechtigte Hände zu legen. (Anlage 58 S. 3). Die Landesversammlung könne sich also nur hinsichtlich der staatlichen Belange zu diesem Gesetz äußern. „Ist das Gesetz staatlich gesund, so kümmert uns seine etwaige kirchliche Krankheit nicht“. Eine saubere Trennung bei den gemischten Angelegenheiten in einen jeweils staatlichen und kirchlichen Teil, sei bisher keinem Kirchenrechtler gelungen. Der Ausschussvorsitzende de Dobbeler empfahl der Landesversammlung Zustimmung ohne Aussprache der einzelnen Paragrafen. In der Kommission war die Landeskirche nicht einstimmig aufgetreten, denn während Konsistorialrat Ernesti das Gesetz verteidigte, wehrte sich der Benzingeroder Superintendent und Abgeordnete Brodkorb und versuchte durch einen Antrag die Zusammensetzung der Synode noch zu ändern, was jedoch keine Mehrheit in der Kommission gefunden hatte.

Die Landesversammlung versagte sich jedoch einer debattenlosen Zustimmung und bei Eintritt in die Aussprache in die einzelnen Paragrafen, was der Kommissionsvorsitzende gerade verhindern wollte, beantragte der Abgeordnete Bode in der Sitzung am 18. Januar 1870, das Gewicht der Laien in der Synode erheblich zu verstärken; das Zahlenverhältnis von Geistlichen und Laien sollte 12:24 betragen. Diesen Antrag hatte er bereits in der konstituierenden Synode gestellt, aber dort keine Mehrheit erhalten. Nun versuchte er im Landtag sein Glück.

Bode wurde vom Abgeordneten Schmid, der ebenfalls Mitglied der Synode gewesen war, unterstützt. Beide waren von der Landesversammlung zu Präsidenten des Landtags vorgeschlagen worden, Schmid hatte sogar mit 43 Stimmen (von 46) die meisten erhalten, Bode 38 Stimmen, aber der Herzog hatte Caspari (39 Stimmen) ausgesucht, Schmid jedoch zum Vizepräsidenten. Der Einfluss von Bode und Schmid in der Landesversammlung war groß, sodass es keine Überraschung war, dass der Antrag Bodes in namentlicher Abstimmung mit 30:12 Stimmen angenommen wurde. Schmid brachte seinen in der konstituierenden Synode gescheiterten Antrag ein, dem § 20 des Gesetzes folgenden Absatz 5 hinzuzufügen: „An den Rechten der Staatsgewalt, gesetzliche Bestimmungen jeder Art, welche nicht rein geistliche Angelegenheiten der Kirche betreffen, ohne Zustimmung der Landessynode zu erlassen, aufzuheben oder abzuändern oder authentisch zu erklären, wird hierdurch nichts geändert.“ (Prot. 15 S. 90) Dieser Absatz war überflüssig, wenn er nicht umgekehrt gelesen wurde. Er sollte nicht die Selbstverständlichkeit der staatlichen Gewalt zementieren – daran lag Schmid gar nichts –, sondern feststellen, dass in rein geistlichen Angelegenheiten ausschließlich die Landessynode zu entscheiden habe. Auch diesem Antrag stimmte am folgenden Tag, dem 19.1.1870 die Landesversammlung zu, wie auch dem dritten Abänderungsantrag, in der Eingangsformulierung den Begriff der Kirchenhoheit neben dem der Kirchengewalt zu erwähnen. (Die Eingangsformulierung sollte lauten „kraft der ihm zustehenden Kirchenhoheit und Kirchengewalt...“ )

Diese einschneidenden Beschlüsse der Landesversammlung lösten in der Landeskirche einen selten dagewesenen Sturm der Entrüstung aus. Es kursierte eine ziemlich polemische Erklärung an die Staatsregierung mit der Aufforderung „den Beschlüssen der konfessionslosen Landesversammlung keine Folge zu geben von Seiten der Kirchenregierung.“ Der Hinweis auf die Konfessionslosigkeit des Landtages hatte nichts mit der Konfessionszugehörigkeit der Abgeordneten zu tun, denn natürlich befand sich unter den Abgeordneten kein einziger Dissident. Die Erklärung behauptete, dass sich ein jüdischer und ein evangelisch-reformierter Abgeordneter bei der Abstimmung der Stimme enthalten habe, um darauf hinzuweisen, dass nicht ein rein lutherisch zusammengesetzter Landtag über Fragen der lutherischen Landeskirche diskutiert und abstimmt. Ob dieser Protest auch so inszeniert worden wäre, wenn der Landtag debattenlos zugestimmt hätte, bleibt zwar offen, ist aber sehr unwahrscheinlich. Es war ein Argument, mit dem man Stimmung in der Landeskirche machen konnte. Unter den Erstunterzeichnern waren Herr v. Grone, Kirchbrak, ein Kreisgerichtsdirektor, auch der Kirchenpatron von Meinbrexen, ein Schuldirigent, der sich von den polemischen Passagen distanzierte, aber hinsichtlich der Entscheidung der Landesversammlung zustimmte. Außerdem unterschrieben noch sechs Pfarrer im Umkreis von Holzminden. Dieselbe Erklärung wurde von weiteren 7 Pfarrern und einem Rektor und „Gehülfsprediger“ aus dem Umkreis von Schöningen und Vorsfelde unterschrieben, eine weitere Unterschriftenliste mit neun Unterschriften aus dem Umkreis von Schöppenstedt, darunter auch Superintendent Nolte aus Ampleben, eine nächste Liste mit Unterschriften aus dem Bereich Vechelde trug die Unterschrift von Domprediger Thiele. 14 Unterschriften aus der Inspektion Blankenburg wurde von Generalsuperintendent Kelbe angeführt. (Alle Unterschriftenlisten in Nieders. StaatsWf 12 Neu 9 Nr. 4998)
Es war eine Kampagne, die dem Herzoglichen Konsistorium insoweit recht war, als sie eine Änderung der Sitzverhältnisse in der Synode ebenfalls strikt ablehnte. Andere Vorstellungen gingen aber weiter. Pastor Dedekind aus Ellierode bat den Herzog, auf dessen Initiative dic konstituierende Synode zustande gekommen sei (was ja ein beträchtlicher Irrtum Dedekinds war), seinen Synodalentwurf zurückzuziehen. (In ebd Schreiben Dedekinds an die Kirchenregierung vom 28.2.1870) .Also in der Landeskirche war was los.

Davon völlig unbeeindruckt beriet die Landesversammlung in ihrer 36. Sitzung am 1. April 1870 über eine Antwort des Staatsministeriums, die den Beschluss der Landesversammlung ablehnte. Sie erklärte sich zwar mit der Einfügung des Begriffes der Kirchenhoheit in der Einleitungsformel einverstanden, lehnte aber ein Sitzverhältnis von 24:12 kategorisch ab. Die Kommission schlug der Landesversammlung vor, auf diesen Vorschlag des Staats-ministeriums einzugehen, aber auch Bode ermäßigte seinen Antrag und schlug nun ein Sitzverhältnis von 15:10 oder 18:12 vor. Sein alter Vorschlag sei wohl etwas „zu unbescheiden“ gewesen, lenkte Bode ein, aber behauptete, es habe Druck auf die Kirche und das Staatsministerium gegeben. Er ließ offen, ob er damit die kursierende Protesterklärung meinte. Diesem Antrag stimmte die Landesversammlung mit 29:11 Stimmen zu, also wiederum eine passable Mehrheit gegen die Vorstellung des Staatsministeriums. (Verhandlungen der Landesversammlung Sitzungsberichte S. 287 ff). Nun ließ das Staatsministerium die Landesversammlung „verhungern“ und reagierte erst ein Jahr später mit einem Schreiben vom 28. April auf die Entscheidung. Die Landesversammlung befasste sich also erneut in der 72. Sitzung am 24.5.1871 mit der Angelegenheit und stimmte mit der mageren Mehrheit von 25 Jastimmen (von 46 Abgeordneten) der Entscheidung des Staatsministeriums zu. Am 20. Juni 1871 wurde das Gesetz zur Einrichtung einer Landessynode im offiziellen Gesetzesblatt veröffentlicht. (GuV Nr. 34b 20.Juni 1871 S. 145 ff)
Im Nachruf auf Staatsminister Schulz im Tageblatt war zu lesen, er habe das Synodalgesetz gegen alle Änderungswünsche aus der Versammlung verteidigt, die es ohne Änderung angenommen habe. Das war unrichtig und vermittelte einen falschen Eindruck.

Trotzdem hatte das Staatsministerium keine Eile mit der Einberufung einer Synode, die ja im November 1871 hätte zusammentreten können. Es dauerte noch ein Jahr.



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