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[Kirche von unten]



Ansichten einer versunkenen Stadt

Die Braunschweiger Stadtkirchen 1933 - 1950

von Dietrich Kuessner


10. Kapitel

Die Deutsche Glaubensbewegung und Otto Henneberger und Kaplan Bernwad Neisen

 

Die Organisation der Deutschen Glaubensbewegung (DG)

Die Deutsche Glaubensbewegung war ein Sammelbecken für alle völkischen, völkisch- religiösen und freireligiösen Gruppierungen, die in der Weimarer Zeit entstanden waren. Den unterschiedlichen Gruppierungen war gemeinsam ein religiös überhöhter Nationalismus, extremer Antisemitismus und eine dogmatische Kirchen- und Christentumsfeindlichkeit.  1934 hatten sie sich in Scharzfeld zur Deutschen Glaubensbewegung zusammengefunden. Der führende Kopf der Deutschen Glaubensbewegung war Wilhelm Hauer (1881-1962), Professor für indische Religion in Tübingen. Er war selber vor dem 1. Weltkrieg als Missionar der Baseler Mission in Indien gewesen, hatte sich von der Kirche abgewandt und war ab 1934 Führer der „Deutschen Glaubensbewegung“. 1937 trat er der NSDAP bei und wurde 1941 Hauptsturmführer der SS. Nach 1945 wurde er als Mitläufer eingestuft, seine Deutsche Glaubensbewegung vom Nürnberger alliierten Gerichtshof verboten,  aber er blieb  seinen Überzeugungen treu und bildete die „Arbeitsgemeinschaft für freie Religionsforschung“.

Von 1933 bis 1944 gab Hauer die Zeitschrift „Deutscher Glaube“ heraus, die auch sorgfältig im Landeskirchenamt gelesen wurde. Ihr Symbol war das Hakenkreuz mit Sonnenrad, die Edda eine Glaubensurkunde.

 

Die Deutsche Glaubensbewegung erstrebte die völlige Trennung von Kirche und Staat, eine konfessionslose Schule, also die Beseitigung der Religionsunterrichtes und proklamierte ein „neues Heidentum“, ohne persönlichen Gott, ohne Jenseits, mit germanischen Göttern als Symbolfiguren. Sie war scharf antisemitisch und agitierte gegen die evangelische Kirche als „verjudete“ Kirche und mit der Alternative: „Deutsch oder christlich“. Der Christengott sei rassefeindlich, antivölkisch und international. Statt Gott Vater, Sohn und Hl. Geist proklamierte sie „Volk - Blut - Boden“.

 

Bis 1935 hatten sich 300 Ortsgruppen gebildet, in denen Winter- und Sonnenwende gefeiert und als Alternative zur Taufe eine „Lebensweihe“ begangen wurden. Die deutsche Art wäre göttlichen Ursprungs und die deutsche Heimat ihre Kirche.

 

Auch Gedanken aus Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ wurden aufgenommen, und es wurde öffentlich diskutiert, ob die Deutsche Glaubensbewegung sich auf den Nationalsozialismus berufen könnte oder sogar eine Spielart des Nationalsozialismus wäre. Die offene Frage war, wie sich Hitler und die Partei zur Deutschen Glaubensbewegung stellen würden. Aber Hitler ließ der Diskussion freien Lauf und traf keine Entscheidung, zumal Rosenberg innerhalb der nationalsozialistischen Elite als Außenseiter galt. Es kursierten abfällige Bemerkungen von Goebbels und Göring über Rosenbergs Buch, dessen privaten und keineswegs parteiamtlichen Charakter er selber häufig hervorhob. Aber untere Parteigruppierungen übernahmen ab 1937 den Feiertagsrhythmus für ihre Parteiarbeit und „tauften“ und „konfirmierten“, wie man auf den Dörfern sagte, „unter der Fahne“. Dieser Scheinkultus blieb jedoch besonders innerhalb der dörflichen Gesellschaft isoliert. Nach 1945 kehrten nicht wenige wieder in die Kirche zurück.

 

In den Kirchen sorgte die Deutsche Glaubensbewegung indes für Irritationen, weil Hitler in seiner Regierungserklärung vom März 1933 die Kirchen als Säulen seiner Politik bezeichnet hatte. Außerdem gehörte ein geordnetes, möglichst problemloses Verhältnis zu den Kirchen anfangs zu seiner Kirchenpolitik. Mussolinis Lateranvertrag von 1929 war ihm dabei ein Vorbild. Das ungeklärte Verhältnis von Deutscher Glaubensbewegung und Nationalsozialismus schuf einen Freiraum für eine anhaltende öffentliche Diskussion, den die Kirchenpresse ausgiebig nutzte, wo immer sich die Deutsche Glaubensbewegung bemerkbar machte.

 

In der Stadt Braunschweig fand die Deutsche Glaubensbewegung  Zulauf aus der dissidentischen Bevölkerung. In Braunschweig, Wolfenbüttel und Schöppenstedt bildeten sich Ortsgruppen. Die Braunschweiger Ortsgruppe stand unter der Leitung von Franz Groh, dem früheren nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten. Aber Franz Groh war keine Empfehlung für die städtischen Nationalsozialisten, denn er war 1931 von seiner Landtagsfraktion hinausgeekelt worden, weil er sich der Fraktionsdisziplin nicht gebeugt hatte. Groh, so erzählte mir sein fast gleichaltriger Freund Oehlmann aus Studientagen in Göttingen, habe die Gruppe bis Kriegsende geführt. Die Braunschweiger Ortsgruppe habe aus 100 – 200 Mitgliedern bestanden, die aus allen sozialen  Bereichen stammten. Der Anteil von Freidenkern sei ausgesprochen klein gewesen. Zur Gruppe habe auch Prof. Berger von der Lehrerausbildungsanstalt gehört und sein Student Thomas Thomsen.[1] Pfarrer Schwarze schätzte in der Visitation 1937 die Gruppe der Deutschen Glaubensbewegung in seiner Pauligemeinde auf 300 Personen.

 

Stellungnahme von Wilhelm  Rauls

Im Januar 1934 veröffentlichte der Magnipfarrer Wilhelm Rauls eine ausführliche Stellungnahme zum Buch des führenden Mitglieds der Deutschen Glaubensbewegung  Ernst Bergmann „Die Deutsche Nationalkirche“ unter der Überschrift „Deutsche Nationalkirche oder Kirche des Evangeliums?“[2]. Rauls zitierte darin folgendes Glaubensbekenntnis der vom Bergmann erstrebten Nationalkirche: „Ich glaube an den Gott der Deutschreligion, der in der Natur, im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt. Ich glaube an den Nothelfer Christ, der um die Edelkeit der Menschenseele kämpft. Ich glaube an Deutschland, das Bildungsland der neuen Menschheit“. Rauls definierte die Nationalkirche als Gottlosigkeit und stellte leicht resigniert fest: „Wir sind ein Volk geworden, dass sich in weiten Kreisen von Gott gelöst hat.“ Diese Gottlosigkeit könne nicht mehr in den Formen des Marxismus auftreten, sondern lege sich ein nationales Kleid zu. Bergmanns Ideen hatten mit Marxismus nichts zu tun und Rauls verkannte, dass bestimmte Formen von Kirchenfremdheit bis weit in die Aufklärung zurückreichten. Rauls benannte, was gegen das gebräuchliche und klassische Luthertum verstieß, als „Gottlosigkeit“. Das war eine Vereinfachung, die sich aus der polemischen Situation erklären lässt, und Rauls schloss folgerichtig: „Die deutsche Religion, die unser Volk braucht, ist die Religion Luthers, das Evangelium von der Rechtfertigung durch den Glauben. Dieses Evangelium ist die Kirche ohne Einschränkung, ohne Wenn und Aber unserem Volke schuldig.“  Rauls gehörte nicht zu den Deutschen Christen, die vom christlichen Volk in einem christlichen Staat träumten, aber ihn erfasste die Enttäuschung über den schwindenden Einfluss der Kirche, die aber auch in der Magnikirche durch die zunehmenden Kircheneintritte nur zeitweise aufgehellt wurde.

 

Am 8. März 1934 hatte die Deutsche Glaubensbewegung mit ihrer Führergestalt Reventlow in Braunschweig eine große Veranstaltung unter dem Thema „Der deutsche Weg zu Gott“ abgehalten. Diese Braunschweiger Großveranstaltung wurde eine Woche später von den Deutschen Christen mit  einer Gegenveranstaltung im Keglerheim unter der Verkehrung des Thema „Der Weg Gottes zu den Deutschen“ beantwortet. Hauptredner war der bisher in Braunschweig nicht bekannte Paulipfarrer Otto Henneberger.

 

Otto Henneberger

Der Thüringer Otto Henneberger war auf Empfehlung des deutsch-christlichen Kreispfarrers Wagner im Dezember 1933 vom Paulikirchenvorstand auf die frei gewordene Stelle von Pfarrer Lagershausen gewählt worden. Damit war die Hoffnung auf eine deutsch-christliche Karriere im seinerzeit deutsch-christlichen Braunschweig verbunden. Landesbischof Johnsen, der Nachfolger von Beye, ernannte Henneberger bald zum Gauobmann der Deutschen Christen in der Landeskirche. Henneberger war 42 Jahre alt, theologisch und kulturgeschichtlich bewandert, rhetorisch begabt, gesellig, klein an Gestalt und um viel Aufmerksamkeit bemüht. In der thüringischen Landeskirche war er in einem übergemeindlichen apologetischen Pfarramt tätig. Für diesen Posten hatte er sich durch eine Schrift „Kirche und Freidenkertum“ empfohlen, die 1931 von der Apologetischen Zentrale in Berlin-Spandau verlegt worden war. Henneberger billigte zwar der Freidenkerbewegung einen „Wahrheitskern“ zu, der jedoch unter der offenen Leugnung Gottes tief verborgen wäre.. „Das Freidenkertum lebt von dem Nein wider Kirche und Gott. Sein erster Kampfruf lautet: Zertrümmert die Kirche! Sein letztes Kampfziel heißt: Selbstherrliche gottlose Welt!“. Diese Auseinandersetzung hatte ihn bei dem starken Freidenkeranteil in der Stadt Braunschweig für das Pfarramt in der Paulikirchengemeinde empfohlen.

Zum Einführungsgottesdienst am 17. Februar 1934 durch Kreispfarrer Wagner waren die meisten Kirchenvorsteher im Braunhemd erschienen. Henneberger predigte über das Wort aus dem Timotheusbrief „Das ist je gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen.“ Der „Sonntagsgruß“, das evangelische Wochenblatt für Stadt und Land Braunschweig, widmete dem Ereignis am 25.2.34 einen langen Bericht. Die Predigt vermied deutsch-christliche Phrasen und rechtfertigte die Konzentration des Pfarramtes auf das Predigtamt. „Die weihevolle und packende Predigt hinterließ einen tiefen Eindruck“, stellte der Berichterstatter fest.

 

Henneberger hatte unter dem polemischen Titel „Stimme des Blutes oder Wort Gottes?“  um die Jahreswende 1933/34 in einem handlichen Heft für die Gemeinden die Argumente gegen das Deutschchristentum (Niedlich, Dinther, Wirth) und die zersplitterten religiösen völkischen Gruppen (Tannenbergbund, Ludendorff u.a.) aufgelistet und gefolgert, das Volk dürfe nicht zum Herrn der Kirche und die Stimme des Blutes nicht zu ihrem Inhalt gemacht werden. Das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und der Kirche würde nicht theoretisch sondern durch lebendige Beziehung  geklärt, nämlich – und nun erfrischend offen – „dadurch, dass die Kirche einerseits Hitler und seiner Bewegung ihrem Auftrag gemäß das Evangelium lauter und rein verkündigt und andererseits Hitler und seine Bewegung sich diese Verkündigung gefallen lässt. Auch ihm ist die Kirche das Evangelium schuldig.“ Gefahr wäre im Verzuge, wenn sich der Nationalsozialismus als verkappte Religion darstellte. „Mit religiöser Verehrung wird dann der Führer als göttlicher Held gepriesen und mit schwärmerischer Glut das Dritte Reich als Reich des Heils, als Reich Gottes erwartet. Möge die Gefahr  solchen Schwärmertums, das ja nur die eigentliche Gottesferne verhüllt, gebannt werden.“

 

Auf der Gegenkundgebung am 14. März 1934 drehte Henneberger das Thema der Deutschen Glaubensbewegung „Der Weg der Deutschen zu Gott“ um und behauptete, gut lutherisch, das Gegenteil: „Der Weg Gottes zu den Deutschen“. Es gäbe keinen Weg der Menschen zu Gott, das sei der typische Weg der religiösen, selbstherrlichen Menschen, sondern nur einen Weg Gottes durch Jesus zu den Menschen und durch sein Wort bekannt gemacht. Mit dieser Alternative ließ sich gut argumentieren, und Henneberger veröffentlichte seine Argumentationskette in der Schriftreihe des Männerwerkes.[3] 

Henneberger sparte auf der Gegenkundgebung nicht mit polemischen Attacken. Die Deutsche Glaubensbewegung wäre ein „Bekenntnis zum Heidentum“, Ludendorff ein von der Synagoge ausgeschickter Erzpriester und die Kirche des Herrn Reventlow eine germanische Abart der Synagoge. Diese Attacken lösten wütende Gegenrufe vor allem junger Besucher aus[4]. Sie wollten sich den unsinnigen Vorwurf eines „jüdischen Einflusses“ auf die Deutsche Glaubensbewegung nicht gefallen lassen.

Damit hatte Henneberger aber auch bei den regionalen Nationalsozialisten ins Fettnäpfchen getreten. Der nationalsozialistische Kreisnachrichtenleiter meldete in seinem internen Tätigkeitsbericht für den Monat April, es wären in der letzten Zeit in kirchlichen Kreisen Schriften erschienen, die Alfred Rosenberg angriffen, z.B. eine Schrift des Pfarrers Henneberger. Am 7. April erhielt Ministerpräsident Klagges einen Bericht über die deutsch-christliche Versammlung, in dem es abschließend hieß: „Störung der Volksgemeinschaft... geeignet, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören... Gefahr, dass Zweifel bei denjenigen Volksgenossen geweckt werden, die noch nicht fest in unserer Bewegung stehen.“[5] Hinter den Parteikulissen war das Urteil über die Schrift Hennebergers widersprüchlich. Im Brief vom 9. Juni 1934 an Goebbels hielt der Braunschweiger Innenminister Jeckeln ein Verbot der Schrift für erforderlich, „da die Ausführungen..die NSDAP und ihren Führer verächtlich machten.“ Im Berliner Innenministerium war man dagegen anderer Ansicht und Staatsekretär Daluege entschied, ergebenst von der Einziehung der Druckschrift abzusehen, da ihr Inhalt im wesentlichen unbedenklich wäre.[6]

Henneberger schrieb noch im selben Monat ein weiteres Heft  „Die religiöse Gestalt der deutschen Nation“ und datierte es auf den 20. April 1934, „dem 45. Geburtstag des Führers“, wie er am Ende der Arbeit bedeutungsvoll vermerkte. Henneberger, der gerne in großen Zusammenhängen dachte, sah „die Idee der deutschen Revolution“ vom Januar 1933 im scharfen Gegensatz zur französischen Revolution: dort die Verkündigung der Menschenrechte und des Individuums, hier der totale Staat, „der alles Besondere aufruft zu gehorsamer, dem Ganzen mit seinen Gaben und Kräften dienender Einordnung“.[7]  Der Nationalsozialismus bedeute nach einer Periode der Verweltlichung und Gottlosigkeit in Deutschland eine Rückkehr des Religiösen zum deutschen Menschen. Diese Sehnsucht würde durch Hitler erfüllt. „Der neue Staat will Religion. Der Führer hat es unmissverständlich ausgesprochen, dass das Reich auf religiösen Fundamenten ruht, die der Wesensart der Nation entsprechen, und dass es im besonderen auf der Grundlage eines positiven Christentums sich erbaut. Es ist von höchster Gefährlichkeit für den Bestand des Reiches, an dieser grundlegenden Bestimmung des Führers zu rütteln.“  Henneberger nahm also Bezug auf die Regierungserklärung Hitlers vom März 1933 und deutete den schillernden Begriff eines positiven Christentums aus dem nationalsozialistischen Parteiprogramm so, dass die NSDAP sich im Unterschied zu KPD und SPD als eine christliche Partei verstünde. Henneberger interpretierte den Parteiparagrafen vom positiven Christentum als lutherisches Christentum. Der nationalsozialistische Staat mit dem Parteiprogramm des positiven Christentums war demnach für die evangelische Kirche der ideale Partner, um im Volk Gehör zu finden für das Wort Gottes und um die Volkskirche zu erhalten.

Die Aufgabe der Volkskirche wäre es, Dom der Nation zu sein. In diesem Dom der Nation waren Luther und Hitler, lutherisches Bekenntnis und nationalsozialistische Politik zwar beide für sich und doch je nach Gelegenheit mal enger, mal distanzierter aufeinander bezogen. Gegenüber dem Nationalsozialismus hätte die Kirche eine pädagogische Aufgabe, nämlich den nationalsozialistischen Staat vor der Versuchung der Unkirchlichkeit oder eines Religionsersatzes zu bewahren, wie es die Deutsche Glaubensbewegung in Anspruch nahm.

 

Das war das in vielen Variationen und weiteren  populären Schriften für die Hand der Gemeinde vorgetragene Denkmodell Hennebergers. Die Doppelgesichtigkeit von außerordentlicher Nähe zum nationalsozialistischen System und Staat und die polemische Distanz zur Deutschen Glaubensbewegung und den damit liebäugelnden nationalsozialistischen Parteigruppierungen gaben der Position Hennebergers den typischen, von Fall zu Fall je nach Gelegenheit changierenden Charakter. Das erklärt auch, dass sich Henneberger nach dem Krieg von dieser Schrift nie unmissverständlich distanziert hat.

Wie unmenschlich nah sich dieses Nebeneinander von lutherischem Christentum und Nationalsozialismus entwickeln konnte, veranschaulicht das Kapitel „Wider Juda“,  in dem Henneberger das Alte Testament als ein „völkisches Buch“ missverstand, und das jahrzehntelange Klischee einer Verbindung von Marx, Lenin und dem Judentum bediente. Nur von der evangelischen Kirche aus könne der „Freiheitskampf gegen den ewigen Juden siegreich geführt, der zersetzende Einfluss Judas abgedämmt werden.“ Sprachlich und gedanklich verwendete Henneberger die ordinären antisemitischen Phrasen, die die evangelischen Christen gegenüber der Judenverfolgung nicht nur widerstandslos machten, sondern geradezu eine theologische Begründung für ihre Beseitigung aus „dem deutschen Volkskörper“ lieferten.

Diese Schrift fand eine wütende Erwiderung von Seiten der völkischen Nordlandzeitschrift: „Wenn es aber Herr Henneberger und die evangelische Kirche noch nicht wissen sollten, so wollen wir es ihnen noch einmal mit aller Deutlichkeit klar machen: Wir, die neue Deutsche Jugend, lehnen das Christentum als undeutsch ab..Wir wollen den üppig wuchernden Baum undeutscher Wesensart nicht vernichten, indem wir  ihn nur fällen, sondern wir wollen ihn mit der Wurzel ausroden“.[8] Verständlich, dass sich die Kirche wie in einem Kirchenkampf empfand.

 

Die Deutsche Glaubensbewegung im Spiegel des „Sonntagsgrußes“

In den Braunschweiger Stadtkirchen fühlte man sich durch die Aktivitäten der Deutschen Glaubensbewegung irritiert. Die Hoffnung auf eine christliche Kirche in einem christlichen Staat schien bedroht, denn einen christlichen Staat lehnte die Deutsche Glaubensbewegung kategorisch ab.

Der Herausgeber des Stadtbraunschweiger Kirchenblattes „Sonntagsgruß“, der Petripfarrer Freise, öffnete daher  das Blatt für eine auffällig breite Polemik. „Germanenglaube oder Christusglaube“ hieß ein ganzseitiger Artikel im Februar 1934, in dem die verschiedenen völkischen Gruppen (Deutschkirche, Hermann Wirth, Bergmann, A. Rosenberg, M. Ludendorff) knapp beschrieben und als eine Sehnsucht nach dem lebendigen Gott beschrieben wurden. Es sei ein „Geisteskampf der Gegenwart“ im Gange, bei dem sich die Deutsche Glaubensbewegung als dritte Konfession neben der evangelischen und römisch-katholischen Kirche etablieren wolle.[9] Im Männerkreis der Petrigemeinde informierte Pfarrer Brandmeyer im Februar die zahlreichen Teilnehmer über die Ziele der Deutschen Glaubensbewegung, die Kirche stünde in einem Kampf, „der umso schwerer und ernster ist, als er nicht, wie in den vergangenen Jahren, gegen atheistische Gottlose, sondern gegen Fromme und Gläubige geführt werden muss“.[10]  Der Stadtkirchenverband Braunschweig veranstaltete am 31. Mai 1934 einen gut besuchten Abend im Wilhelmsgarten unter dem bezeichnenden Thema „Zur religiösen Entscheidung des deutschen Volkes“.[11] Das Braunschweiger Stadtvolk solle sich für eine nationale Kirche mit einem positiven Christentum und gegen jene „widerchristlichen Gegner“ entscheiden, „die vom deutschen Menschen und nordischen Grunde eine Nationalkirche ohne Gott und Christus zimmern wollten“.  Dazu sprachen Kreispfarrer Alfred Wagner und Pfarrer Otto Henneberger. Pfarrer Kalberlah bat in einem Schlusswort, diese Entscheidung in die Kirchengemeinden und in die Häuser zu tragen, „damit so aus vielen tragenden Säulen eine Deutsche Evangelische Kirche wachse, in der positives Christentum werde in der nationalen Kirche“.[12] Pfarrer Grüner veröffentlichte einen scharfen Artikel gegen die Deutsche Glaubensbewegung..[13]

In einem Leitartikel „Ziel und Methode der ADG“ warf Otto Henneberger der Bewegung ideologischen Liberalismus vor, ein damals geradezu tödlicher Vorwurf.[14] In ihr beziehen „freidenkerisch-atheistische Kräfte unter einem völkisch-religiösen Vorzeichen ihre alte Kampfstellung gegen Reich und Kirche“. Damit verdächtigte Henneberger die Glaubensbewegung als linkes Gedankengut, das Hitler ein Jahr vorher auszurotten und zu vernichten versprochen hatte. Der Vorwurf des Freidenkerischen war übel, aber nicht völlig unzutreffend. Henneberger hatte gerade seine Schrift „Die religiöse Gestalt der deutschen Nation“ verfasst und daraus stammte auch der Leitartikel. Auch Henneberger nannte als entscheidende Frage: „Wird die religiöse Gestalt der deutschen Nation im Heidentum erstarren oder vom Evangelium erfüllt werden?“ (ebd S. 194))

Zur Abschreckung und Klarstellung veröffentlichte der Sonntagsgruß die Beschreibung einer deutschgläubigen Lebensweihe (statt Taufe), Jugendweihe (statt Konfirmation), Eheweihe (statt Trauung) und Nachtweihe statt Abendmahl.[15]  Das war von der Glaubensbewegung eine klare Alternativkultur, und ein Versuch, für den Lebensrhythmus abseits von der Kirche ein Ritual zu gestalten.

 

Spott in „Ruf und Rüstung „Was die andern sagen“  

Auch in der Zeitschrift des Braunschweiger Pfarrernotbundes „Ruf und Rüstung“, die am Bohlweg in der Buchhandlung Wollermann und Bodenstab vertrieben wurde, fand eine regelmäßige Berichterstattung über die Deutsche Glaubensbewegung statt unter der Überschrift „Was die andern sagen“. Sie wurde vom Domprediger v. Schwartz betreut. Genüsslich zitierte v. Schwartz folgendes Kampflied der Bewegung:

„Trotzig haben wir gerungen/ 15 Jahre um die Macht/ und der Sturm ist uns gelungen/ wenn auch Rom und Juda lacht// Juden raus, Papst hinaus aus dem deutschen Vaterhaus.

Nein wir haben nicht geblutet/ namenlos und ohne Ruhm/ dass der Deutschen Art verjudet/ weiter durch das Christentum/ Juden raus, Papst hinaus aus dem deutschen Vaterhaus.

Ohne Priester ist begraben/ mancher tote Kamerad/ denn die schwarzen Pfaffen gaben/ ihre Gunst dem Weimarstaat// Juden raus, Papst hinaus aus dem deutschen Vaterhaus.

Fort mit eurer Judenbibel/ eurer salbungsvollen Art/ Knechtsinn, Demut sind vom Übel/ wir sind aufrecht, stolz und hart// Juden raus, Papst hinaus aus dem deutschen Vaterhaus.

Mag der Christ auch Palästina/ Jahre weihen Herz und Hand/ Wir sind frei vom Berge Sina/ deutsch ist unser heilges Land// Juden raus, Papst hinaus aus dem deutschen Vaterhaus.

Papst und Rabbi sollen weichen/ Heiden wolln wir wieder sein/ nicht mehr in die Kirche schleichen/ Sonnenrad führt uns allein// Juden raus, Papst hinaus aus dem deutschen Vaterhaus.“[16]

„Hier verbirgt sich  der Charakter des alten Freidenkertums“, resümierte v. Schwartz.[17]

 

Die Auseinandersetzung im Katholischen Kirchenblatt und Kaplan Bernward Neisen

Beide Kirchen waren im Visier der Deutschen Glaubensbewegung. Auch in der katholischen Kirche war die Irritation über die Aktivitäten der Deutschen Glaubensbewegung in der Stadt Braunschweig, über Referenten aus dem Ludendorff-Verlag, über die zwei Auftritte von Hauer und über die Rolle Rosenbergs innerhalb der nationalsozialistischen Partei beträchtlich. Kaplan Bernward Neisen, Jahrgang 1903, Anfang dreißig und seit 1932 an der Nikolagemeinde tätig, war ein wirbelnder Aktivposten der Gemeinde.[18]  „Hemdsärmelig“ und „unverblümt“, sagte man ihm von seiner späteren Gemeindearbeit nach, einer, der auf Kirchendistanzierte zuging und die Gemeinde für Außenstehende öffnen wollte. Er hatte eine Hauerveranstaltung im Konzerthaus besucht, und das Katholische Kirchenblatt räumte ihm für seinen Bericht eine ganze Seite ein. Neisen hatte sich an der lebhaften Diskussion beteiligt und Prof. Hauer mit der katholischen Religionszugehörigkeit Hitlers konfrontiert. „Vor mir liegt die polizeiliche Abmeldung unsres Führers Adolf Hitler vom 16.9.1933.“ Auf dem Schein stünde „katholisch“. Ob der Führer denn nicht in das tiefste Wesen deutscher Art vorgedrungen sei, was Hauer den Kirchen heftig bestritt.[19] Hauer erwiderte, man solle den Führer aus der Diskussion herauslassen. Neisen erwähnte in seinem flammenden Artikel Leo Schlageter als einen Verteidiger der katholischen Kirche, der 1923 im Ruhrstreik wegen Sabotage von einen französischen Militärgericht hingerichtet worden und bald zum Nationalheld des Nationalsozialismus aufgebauscht worden war. „Unser Nationalheld Schlageter war Christ, sogar katholischer Christ. Schlageter starb mit einem Kreuz in der Hand“, schrieb Neisen.[20] Es war eine beliebte Argumentation, der Deutschen Glaubensbewegung die kirchennahen Zitate von nationalsozialistischen Größen entgegenzuhalten. Auf Seite eins derselben Kirchenblattnummer wurden unter der Überschrift „Drei Worte über Kirche und Staat“ Ausführungen von Rust und von Gauleiter Bürkel folgendes zitiert. „Gibt es einen besseren Helfer für den Staat als die Kirche?“ Göttliche Gebote seien besser als Gesetze und Paragrafen. „Aufgabe des Katholizismus und Protestantismus ist es, dem Führer der Volksgemeinschaft von der Religion her zu dienen, das ist der Wille des Herrgottes, unsre Menschen als anständige brave Deutsche zu erziehen, die vor seinem göttlichen Richterstuhl stand halten können.“[21] Neisen berichtete von weiteren Veranstaltungen.[22]

Rosenbergs „Mythus“ wurde auf den römischen Index gesetzt und später auch seine polemische Erwiderung „An die Dunkelmänner der Zeit“.

 

Es kam zu keiner Zusammenarbeit zwischen der Nikolaikirche und den evangelischen Stadtkirchen, aber das Katholische Kirchenblatt berichtete von ähnlichen Auseinandersetzungen in Hamburg, wo große Gegenkundgebungen in der protestantischen  Michaeliskirche stattgefunden hatten, wobei der Referent die Frage Hauers geschickt umdrehte: Kann ein Deutscher etwa Heide sein?[23]

Beiden Kirche ging es  in dieser Auseinandersetzung darum, die Deutsche Glaubensbewegung als eine

schmutzige völkische Abart des Nationalsozialismus  darzustellen und zugleich um einen eigentlichen, christlich fundierten, mit den Kirchen kooperablen Nationalsozialismus.

 

Die Auseinandersetzungen hielten auch in den nächsten Jahren an.[24]

Die Regionalpresse nahm von dieser Auseinandersetzung 1934 keine Notiz. Dagegen bewegte die Braunschweiger Bevölkerung und ihre Stadtkirchen ein angeblicher Staatsstreich gegen Hitler und seine Regierung Ende Juli des Jahres 1934.



 



[1] Gespräch des Verfassers mit Hermann Oehlmann am 27.8.1979 und folgender Briefwechsel

[2] BV 1934 S. 6 vom 14.1.1934; siehe auch BV 22.4.1934; BV 19.5.1935 S. 103;

[3] Otto Henneberger Der Weg Gottes zu den Deutschen“ Potsdam o.J.

[4] Buchhändler W. Maus schilderte seinen Eindruck von der Versammlung in RuR 1934 S. 139 f

[5] Bericht vom 15.3.1935 in NdStaWf 12 A Neu 13 Nr. 16135

[6] Daluege an den Braunschweiger Innenminister am 21.1.1935 in ebd  Anm 5). Jeckeln hatte fünf Mal bei Goebbels wegen eines Verbotes der Schrift Hennebergers  vorgefühlt. Schreiben Jeckelns am 9.6.1934; 9.8.1934; 6.10.1934; 16.11.1934; 8.1.1935 in ebd Anm 5

[7] Henneberger Die religiöse Gestalt  S. 11

[8] nach RuR ebd Maus 1934 S. 140

[9] Wilhelm Färber „Germanenglaube oder Christusglaube“ Sg 11.2.1934 S. 42

[10] Sonntagsgruß 11. März 1934 S. 78 „Aus dem kirchlichen Leben“

[11] Sonntagsgruß 27.5.1934 S.167; Sg 10. 6.1934 S. 181 f; BV 10.6.1934 S. 92

[12] Sonntahgsgruß 10.6. 1934 S. 182

[13] So veröffentlichte der Martinigemeindebrief „Die Feierstunde“ im April 1934 einen Artikel des Gemeindeblattes der Lutherkirche Hannover unter der Überschrift „Religion ohne Christus? Deutsche Glaubensbewegung oder Christusglaube“

[14] Sonntagsgruß 24.6.1934 S. 193 f

[15] Sonntagsgruß 6. September 1934 S. 282 f

[16] RuR 1935 S. 75;: ein ähnliches „Festlied“ in RuR 1935 S. 89

[17] RuR 1935 154

[18] BAH Priesterkartei Bernward Neisen (1903-1977), Priesterweihe 1928, 1932-35 Kaplan in Braunschweig, 1935-1937 Stadtkaplan in Duderstadt, 1937-1941 Pastor in Buchholz, 1941-1947 in Blankenburg, 1947-18971  in Bremerhaven, 1971 Ruhestand, 6.11.1977 verstorben. Es sei das Typische an Neisen, hieß es in einem Nachruf der Kirchenzeitung 20.11.1977, „dass er mit seiner unverblümten, zuweilen hemdsärmeligen Art gerade solche Menschen ansprach, die meist ins Abseits geraten waren“. Neisen war außerordentlich beliebt, „er blieb Mensch unter Menschen, ein Mann der Praxis und nicht der geistreichen theologischen Debatten, dabei von persönlicher Frömmigkeit und einem demütigem Glauben.“

[19] Katholisches Kirchenblatt 31.3.1935

[20] ebd

[21] ebd

[22] Im Katholischen Kirchenblatt 7. Juli 1935 berichtete Kaplan Neisen unter der Rubrik Braunschweiger Wochenschau von einer Veranstaltung der Ludendorffbewegung mit 2.500 Zuhörern im Hopfjäger, bei der ein Dr. Gerstenberg referierte: „Die Todesgefahr ist die Rassenmischung“.

[23] Katholisches Kirchenblatt 7.4.1935

[24] Als die Deutsche Glaubensbewegung im Sommer 1935 in Wolfenbüttel unter der Parole „Kann ein Deutscher Christ sein?“ agitierte, ließ die Frauenhilfe Plakate drucken und lud zu einer Gegenversammlung in den Gemeindesaal der Mariengemeinde ein, der die Massen nicht fassen konnte. Man zog in die Marienkirche um, die die Hunderte vollständig füllten. Wenig später trommelten auch die Männer zu einer Gegenkundgebung und füllten die Marienkirche ein zweites mal bis auf den letzten Platz. Der auf beiden Versammlungen gehaltene Vortrag von Bischof Johnsen wurde im Gemeindebrief der Marienkirche abgedruckt.

Als der Führer des Landesringes Hannover-Braunschweig 1937 erneut unter dem Thema „Bolschewismus in der Bibel“ agitierte, reagierte die Kirche mit einem Bekenntnisgottesdienst in der Braunschweiger Katharinenkirche und Henneberger antwortete vor einer 900 köpfigen Gemeinde in der Wolfenbüttler Trinitatiskirche „auf die unerhörten Angriffe gegen Bibel, Kirche und kirchliche Amtsträger“.(BV 1937 S. 55)

Im Januar 1938 zitierte das Braunschweigische Volksblatt folgendes Weihnachtslied „O du fröhliche, o du selige/ jubeldurchdrungene Weihnachtszeit/ Tannenbaum und Kerzen/ Weihnachslicht im Herzen/ freuet euch, freuet euch/ ist`s Weihnachtszeit// Heimlich leises Weben/ kündet neues Leben freuet euch.. Sollt dem Glücke trauen/ neues Deutschland bauen, freuet euch.“

Wie weit die Glaubensbewegung in die Kirchengemeinden hineinwirkte, ist kaum festzustellen. Es ist denkbar, dass die ab 1936 einsetzenden vermehrten Kirchenaustritte eine Folge ihrer Agitation gewesen sind.

 



Zum Kapitel 11: Der Putsch Hitlers gegen die SA und das Bürgertum („Röhmpusch“) im Juni 1934 und seine Bewertung durch die Stadtpfarrerschaft




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