Das Jahr des Kirchbaus im „Dritten Reich“ 1936
Das Kapitel „Kirchbau zur Zeit des Nationalsozialismus“ hat
die Kirchenhistoriker bisher noch nicht erreicht, weil es nicht zur der
Grundthese passt, dass die evangelische Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus
verfolgt und bedrängt und eher dem Untergrund und Widerstand zugerechnet wurde.
Kirchbau und Widerstand aber passen nicht recht zusammen. Zum ersten Mal hat
das Berliner Forum 2008 in Berlin eine grundlegende Ausstellung zu diesem Thema
erstellt mit dem Ergebnis, dass in der katholischen und evangelischen Kirche ca
1000 Kirchbauten, Gemeindehäuser, Pfarrhäuser und Friedhofskapellen errichtet
worden sind.[1]
In der Brüdernkirche wurde diese Berliner Ausstellung im
Jahre 2009 gezeigt zusammen mit einem regionalen Teil und zahlreichen
grundsätzlichen Vorträgen. In der Stadt Braunschweig wurden insgesamt fünf
Kirche errichtet: das Martin-Luther-Haus am Zuckerbergweg, die Rühmer Kapelle,
die Bugenhagenkirche, die St. Georgkirche und die Kirche in der Lehndorf
Siedlung, ein eindrucksvoller Bestand, der das Bild von der totalen
Kirchenfeindlichkeit zur Zeit des Nationalsozialismus widerlegt, denn ohne
städtische Genehmigung und gegen den Willen der gleichgeschalteten
Stadtverwaltung wäre keine dieser Kirchen errichtet worden. Über den Bau des
Martin-Luther-Hauses wurde bereits vorher berichtet.
Der Bau der Rühmer Kapelle [2]
Die Bewohner des Dorfes Rühme gehörten jahrhundertlang zur
Magnikirche und mussten nach einem 5 Kilometer langen Marsch sich dort taufen
und konfirmieren lassen. Einige wenige Unentwegte machten sich auch sonntags
auf den weiten Weg in die Stadt wie der Stellmachermeister August Förster,
dessen Grab noch heute gepflegt wird.[3]
In der Magnikirche waren einige Bänke mit der Aufschrift „Rühme“ für deren
Gemeindemitglieder reserviert. Die Kirchlichkeit war nicht besser als in den
meisten anderen Dörfern des Braunschweiger Landes auch. Anfang des vorigen
Jahrhunderts (1805) wurde für die Dorfbewohner ein Friedhof angelegt. Da noch
vom Trauerhaus aus beerdigt wurde, war eine Kapelle nicht nötig. Dem
Friedhofswärter stand ein Schuppen für die Gerätschaft und für den Leichenwagen
zur Verfügung. Im Laufe der Zeit aber hatte sich die Einwohnerschaft von 300
Personen (um 1877) auf 800 (1935) erhöht und wuchs 1939 auf 3.507 Personen an.
Zwischen dem Dorf und dem neu errichteten VW Vorwerk war auf ehemaligen
Spargelfeldern eine Vorwerksiedlung mit 115 Bauplätzen und 13 Strassen
errichtet worden. Auf der entgegengesetzten Seite, nordwärts des Dorfes,
entstand eine weitere, sog. SA Dankopfersiedlung mit 35 Kleinsiedlerhäusern.
Der im 2. Weltkrieg in der Feldmark gebaute Luftschutzbunker war für 7.000
Bewohner gedacht. Rühme hatte in dieser Zeit also eine enorme
Bevölkerungsentwicklung hinter sich.
1932 wurde erwogen, ob man den Geräteschuppen zu einer
kleinen Kapelle ausbauen könnte. Man beantragte den Bau einer kleinen
Friedhofskapelle für ca 3.500 - 4.000 RM.[4]
Seit 1933 war der 37jährige Wilhelm Rauls Pfarrer an der Magnikirche geworden,
der den Bau tatkräftig förderte. Seit dem 1.4.1934 war das Dorf Rühme in die
Stadt Braunschweig eingemeindet worden. Der Stadtkirchentag beschloss Anfang
1936 für 23.000 RM einen Raum auch für sonntägliche Gottesdienste und für
Taufen und Konfirmationen zu schaffen.
Der Oberbürgermeister war, so schreibt Rauls, dem
Stadtkirchenverband bei der Wahl des Bauplatzes entgegengekommen, einige Gräber
mussten verlegt werden und nun lag der Bauplatz an der Dorfstraße. Der
Architekt August Pramann wurde mit der Planung beauftragt.
Schon vor der Grundsteinlegung hatte die Braunschweiger
Tageszeitung. „Nun auch eine Kapelle für Rühme – sie wird sich in ihrer
Gestaltung gut in die braunschweigische Landschaft eingliedern“ am 12. Mai
1936 mit einer Zeichnung von Pramann den Bau dreispaltig angekündigt.
Am 14. Juni 1936 wurde in Anwesenheit von Bischof Johnsen,
des stellvertretenden Propstes Gerhard Kalberlah und des Ortspfarrers Wilhelm
Rauls der Grundstein gelegt. „Ein schönerer Platz kann so leicht für kein
Gotteshaus gefunden werden, als dieser unter den alten Eichen, mit dem Blick
ins weite Land,“ schrieb die Regionalpresse.[5]
Der dörfliche Männergesangverein beteiligte sich an der Gestaltung der Feier,
und der Posaunenchor der Propstei Braunschweig begleitete die Choräle der
Gemeinde. In der Bauurkunde, die in den Grundstein versenkt wurde, hieß es: „In
einer Zeit, da überall im geeinten deutschen Reich unter Führung des
Reichskanzlers Adolf Hitler neue Bauten entstehen, wird der Grundstein zu
dieser Kirche gelegt.“[6]
Propstei und Landeskirche sahen diesen Kirchbau im Zusammenhang mit dem
Arbeitsbeschaffungsprogramm, das von der Regierung Hitler 1933 in Gang gesetzt
worden war. Bischof Johnsen betonte in seiner Predigt das notwendige
Nebeneinander von Staat und Kirche. Die evangelische Kirche arbeite freudig
und bewusst mit am Dritten Reich. Sie erlebe immer neu die Gnade und Güte
Gottes, die auch an dieser Stätte als reicher Segensstrom ausgehen möge. Hinter
der Zeitlichkeit stehe die Ewigkeit. In fester Bindung gebe der evangelische
Mensch nichts von seinem Glauben auf.[7]
Das Schlusswort bei der Grundsteinlegung sprach der verdienstvolle,
stellvertretende Vorsitzende, Polizeihauptwachtmeister i. R. Hermann Lages, der
sich energisch für den Kirchbau eingesetzt hatte. „Seiner unermüdlichen
Tatkraft und Förderung ist es vor allem zu danken, dass es zur Inangriffnahme
und Durchführung des Kirchbaus gekommen ist.“[8]
Mit dem Prophetenwort „Land, Land, höre des Herren Wort“ war der Artikel im
Braunschweiger Allgemeinen Anzeiger vom 15.6.1936 über die Grundsteinlegung
überschrieben.[9]
Schon vier Monate nach der Grundsteinlegung fand am 18.
Oktober 1936 die Einweihung dieses Kirchbaus statt. Der Rühmer Kirchendiener
Fritz Karsten und der Gemeindediener Wilhelm Schönemann aus Veltenhof hatten
sich an den Ausschachtungs – und Bauarbeiten tatkräftig beteiligt. Eine Art
Gemeindeinitiative. Der Tag wurde ein großes Gemeindefest mit Bischof, Propst
Leistikow, Ortspfarrer Rauls, Männergesangverein und 374 Teilnehmern. Die
Gemeinde sang „Gott ist gegenwärtig“, „Nun danket alle Gott“ und „Die Sach und
Ehr Herr Jesu Christ, nicht unser sondern dein ja ist, darum so steh du denen
bei, die sich auf dich verlassen frei,“, es wurde das Glaubensbekenntnis
gesprochen und im Gottesdienst ein Zwillingspärchen getauft. Kirche wollte sich
auf dem Dorf nicht verstecken, nicht im Untergrund oder im religiösen Ghetto,
sondern öffentlich singend und betend präsent sein. Und dies in aller äußeren
Bescheidenheit. Denn von außen war der Bau eher eine Kapelle, ohne eine einzige
ornamentale Verzierung, schmucklos und mit einer schlichten Holztür als
Eingang, die nicht zu erkennen gab, dass man einen Kirchenraum betreten würde.
Die Kirche hatte auch keinen besonderen Namen, sondern war gut protestantisch
die Kirche von Rühme. Innen jedoch war sie unverkennbar mit Altar, Taufe,
Kanzel eine Kirche für den sonntäglichen Gottesdienst. Eine Altarnische hob den
Altarraum heraus. Für den Altar hatten fünf Landwirte zwei bronzene, von
Pramann entworfene, massive Kerzenhalter gestiftet. Ein Kassettenmotiv aus Holz
bestimmte die flache Decke und kehrte bei der Gestaltung von Kanzel, Altar und
Taufstein wieder. In die Fenster waren pastellartige Farben eingesetzt, die
Taufkanne aus Zinn schmückte wie auch die Oblatendose ein eisernes,
gleichschenkliges Kreuz, ein zeitgenössischer Hinweis auf das beliebte Thema
„Gott und Vaterland“.
„Ein neues Wahrzeichen hat der Stadtteil Braunschweig-Rühme
erhalten“ stand unter dem Foto in den Braunschweig Neusten Nachrichten“ vom
17./18. Oktober 1936.[10]
Mit dem Kirchbau wurde die Rühmer Kirchengemeinde noch nicht
selbständig, sondern blieb eine Tochterkirche von Magni. Pastor Rauls kam zu
den hohen Festen und einmal im Monat zu einem Gottesdienst, seiner Statistik
nach 1937 zu 14 Gottesdiensten, 1938/39 zu je 15 , 1940 zu 16, 1941 zu 17 und
1942 zu 18 Gottesdiensten. Taufen wurden jeweils am Sonntag gehalten, 1936
sieben, 1937 fünfzehn, 1938 acht, 1939 vier 1940 neun. Einige gingen aber auch
wie bisher dazu in die Magnikirche. Nun wurde auch in Rühme konfirmiert: 1937
elf Konfirmanden,1938 vier, 1939 fünf, 1941 sieben und 1942 sechs Konfirmanden.
Der Kirchbau brachte für die Rühmer Christengemeinde eine
spürbare Verbesserung. Nach dem 1. Weltkrieg hatten in der Schule oder im
Gasthof „Zum Wendenturm“ Gottesdienste stattgefunden und 1933-35 nur vier mal
im Jahr. Nun hatten sie ihr eigenes Gotteshaus.
Traditionell wurden auch die Abendmahlsteilnehmer gezählt
und das waren 1937 insgesamt 71, 1938 44, 1939 43 Gemeindemitglieder, 1940 16,
1941 25, 1942 43 Gemeindemitglieder. Das waren gewiss nicht viele, aber diese
hätten wohl kaum den weiten Weg zur Magnikirche gemacht, zumal im Kriege bei
drohendem Fliegeralarm.
Aber auch die kleine Kirchengemeinde hatte Anteil an der
allgemeinen Säkularisierung. Aus der Siedlung mehrten sich seit 1938
Kirchenaustritte. 1938: 16, 1939: 25; 1940: 42; 1941: 50 und 1942: 59 Personen.
Die Austretenden waren zur Hälfte Lehrlinge aus dem VW Vorwerk. Im Verhältnis
zur Anzahl der Lehrlinge dagegen war die Austrittsziffer gering. Auf dem
Vorwerksgelände gab es acht Lehrlingsheime für jeweils 60 Auszubildende.[11]
Das Lehrjahr bestand 1938 aus 272 Jungen aus ganz Deutschland. 1940 befanden
sich 800 Lehrlinge in der dortigen Ausbildung. Demgegenüber war die
Austrittszahl von 50 Lehrlingen ausgesprochen gering. Die allermeisten blieben
formal Mitglieder ihrer Kirche. In Briefen an die Eltern traten die Lehrlinge
sogar dem Gerücht entgegen, dass sie sonntags am Kirchenbesuch gehindert
würden.[12]
Aber natürlich trieben sie vermutlich in dieser Zeit lieber Sport oder
schmökerten in der großzügigen Werksbücherei. Im alten Dorf blieben die
Kirchenaustritte vereinzelt.
Die Rühmer Kirche hatte sich auch für die Zukunft nach Größe
mit ihren 120 Sitzplätzen und Ausstattung als völlig ausreichend und
unterhaltungsfreundlich erwiesen. Es ist unverständlich, dass dieser Kirchbau
später nicht zum Vorbild auch für die Kirchenbauten in der Nachkriegszeit im
Stadtgebiet von Salzgitter, Wolfenbüttel und Helmstedt genommen wurde. 1957
wurde in Nachbarschaft zum Friedhof noch ein Gemeinde- und Pfarrhaus errichtet,
das für die Jugend und Gruppenarbeit dringend nötig war.
Als Ergebnis für das Thema Kirchbau im Dritten Reich bleibt
festzuhalten: die Rühmer Kirche wurde zur Zeit des Nationalsozialismus mit Unterstützung
der Stadt und unter regionaler Berichterstattung errichtet. Das bedeutete einen
Gewinn für die dortige Einwohnerschaft und die Gemeindemitglieder. Es
ermöglichte seelsorgerliche Graswurzelarbeit in einer zunehmend säkularen
Stadtrandgesellschaft.
Die Bugenhagenkirche [13]
Die Bugenhagenkirche ist von Riddagshausen aus gebildet
worden. Die Gliesmaröder gingen in die Klosterkirche zum Gottesdienst und
ließen dort taufen. Allerdings hatten sie ihren eigenen Friedhof. Zu
kirchlichen Veranstaltungen ging man in die Gliesmaröder Schule oder in die
Gaststätte „Gliesmaroder Turm“. Die vorzügliche Chronik, die zum 50 jährigen
Jubiläum 1986 von Pfarrer Dieter Hansmann geschrieben worden ist, berichtet von
Bemühungen des Kirchengemeinderates und der Frauenhilfe schon um 1908 und 1928.
Aber Gliesmarode gehörte nicht zum Kirchenkreis Braunschweig, und der
Kirchenkreis Querum mit Kirchenrat Ernesti an der Spitze konnte nicht die
Mittel für einen Kirchbau auftreiben. Es ist auch die Frage, ob vor 1933
wirklich ein Kirchbau zwingend notwendig war.
Aber zu Beginn der 30er Jahre setzte zwischen Riddagshausen
und Gliesmarode eine lebhafte Bautätigkeit ein. Am Bachrand der Wabe war in
wunderschöner unberührter Landschaft ein Straßenzug entstanden, von dem aus
die Wabesiedlung errichtet wurde. Es wurden aparte Holzhäuser errichtet, von
denen man sich erzählte, dass sie eigentlich für einen Harzort vorgesehen
gewesen wären. [14]
Der Gliesmaroder Gemeinderat hatte im Mai 1933 beschlossen eine
Holzhaussiedlung zu errichten, die Braunschweiger Forstwirtschaft hatte
Interesse bekundet und die Hauseigentümer hatten 40 % Eigenkapital
aufzubringen. Das war also keine nationalsozialistische Glanztat, sondern die
Nazis hängten sich an das beschlossene Siedlungsprojekt an und gaben den neu
entstehenden Straßen die Namen von Parteibonzen: Robert Ley Straße, Fritz
Alpers Allee (!), Hermann Göringstraße – die Allee war schon vergeben – Horst
Wessel Straße, Axel Schaffeldstraße, Adolf Hitler Ring, Die dort einzogen,
konnten es sich leisten. In dieser nunmehr Fritz Alpers Siedlung genannten,
landschaftlich bevorzugten Wohngegend wohnten 1936 u.a. sieben Professoren, 30
Lehrer, mehrere Architekten, leitende Juristen und Kaufleute.[15]
Auch auf der anderen Seite der Berliner Straße waren einige Straßenzüge
entstanden, sodass man von einer Einwohnerzahl von 3.000 Personen ausging. Wie
viele davon indes evangelisch waren, blieb ungeklärt. Ab 1934 gehörte
Gliesmarode zur Propstei Braunschweig und diese hatte die nötigen Finanzen, um
eine Kirche zu errichten. Im Februar 1935 beschloss der Stadtkirchentag im
Magnigemeindesaal die Errichtung einer „Notkirche“ in Gliesmarode für 50.000 RM
[16].
Die Regionalpresse feierte den Kirchbau als Unterstützung der
„Arbeitsschlacht“, die Hitler ausgerufen hatte. August Pramann sollte einen
Entwurf vorlegen, und es war offen, ob er sich für eine moderne Lösung im Stil
des Martin Luther Hauses am Zuckerbergweg oder eine konservative entscheiden
würde, die er 1935 für die neu errichtete Kirche in Kreiensen vorgelegt hatte. Ab
1.4.1935 wurde die Gliesmaroder Gemeinde von Riddagshausen getrennt und
selbständig und erhielt auch einen eigenen Pfarrer. Der 35 jährige Hermann
Dosse war Pastorensohn und vorher einige Jahre Pfarrer im Harzort Stiege
gewesen. Er blieb in dieser Gemeinde bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1966. Am
9. Februar 1936 war die Grundsteinlegung[17]
und am 4. Advent im Dezember 1936 die Einweihung, beide Male unter sehr großer
Beteiligung der Gemeinde, des Männergesangvereins, und unter Mitwirkung von
Bischof Johnsen und des stellv. Propstes Kalberlah. Dosse, der selber ein guter
Sänger war, hatte bereits einen Kirchenchor gegründet, der unter der Leitung
des Organisten, Rektor i.R. August Müller, die deutsche Messe von Schubert
aufführte.. Dosse gab sofort einen Gemeindebrief heraus. „Welch heilige Freude
ist das, wenn mitten im Ort eine Kirche gebaut werden darf“, schrieb er. [18]
Pramann hatte sich für eine ausgesprochen konservative
Lösung entschieden. Er nahm auch nicht die Idee der Holzhaussiedlung von der
gegenüberliegenden Straßenseite auf, sondern es wurde eine Kirche auf einem
erhöht liegenden Gelände, direkt an der Straße gelegen, mit einem leicht
erreichbaren Eingang errichtet. Der Turm erhob sich deutlich über die Häuser
der Umgebung. Diese Kirche wollte, wie seit Jahrhunderten, in der Mitte des
Ortes präsent sein. Überlegungen, wie sie Propst Leistikow angestellt hatte, ob
in Folge der rapiden Säkularisierung ein anderes, bescheideneres Projekt
angemessen wäre, wurden offenbar nicht angestellt. Das erschien auch unnötig,
denn 1936 befand sich die Landeskirche noch im Sog der
Rechristianisierungsphase der ersten drei nationalsozialistischen Jahre.
Die äußere Gestalt und Lage der Bugenhagenkirche
dokumentierte den Anspruch der evangelischen Kirche, in der Gesellschaft des
Dritten Reiches eine unübersehbare Rolle zu spielen. Die Frauenhilfe hatte für
eine Turmuhr gesammelt, die nun der christlichen und unchristlichen
Bevölkerung, dem Straßenverkehr zugewandt, die richtige Zeit ansagte.
Der Innenraum war schlicht, rechteckig, mit einer
kassettenartigen Holzdecke versehen, der Altarraum etwas erhöht, und an der
Altarwand das geheimnisvolle Wort aus dem Johannesevangelium „Das Wort ward
Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit
als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit“. Für den
Gottesdienstbesucher zu weit weg, um gelesen zu werden, zumal ein großes Kreuz
vor den Schriftzügen auf dem Altar postiert war. Die Fenster waren mit
anspruchlosen, farbigen, wiederkehrenden geometrischen Mustern, im oberen Teil
mit einem Kreuz samt dem A und O und dem Christusmonogramm versehen.
„So entsteht ein Gotteshaus nach dem andern und wird
Mittelpunkt der neuen Siedlungen. Dem Martin Luther Haus folgte die Kapelle in
Rühme, jetzt die Bugenhagenkirche und schon wartet das Siegfriedviertel
sehnsüchtig auf die Vollendung seiner Kirche.“[19]
Dieser Kirchenbauboom in einer Stadt war keine
Braunschweiger Besonderheit. Im Jahr 1938 wurden nach der Auflistung in der
Zeitschrift „Kunst und Kirche“ in Berlin sechs, in Hamburg acht, in Stuttgart
sechs, in Nürnberg vier, in Breslau drei Kirchen gebaut.
Die Bugenhagenkirche war das Muster einer Kirchengemeinde,
die für sich beanspruchte, Volkskirche zu sein, in der Hoffnung, dass die gesamte
Bevölkerung christlich bleiben und werden würde, eine „christliche
Volksgemeinschaft“ im Dritten Reich. Die Volkskirche vollzog sich vor allem in
den gängigen Kasualien von Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen.
Noch am Einweihungstag wurden ein Ehepaar getraut und
Weihnachten 1936 sieben Kinder getauft.
Im folgenden Jahr 1937 wurden 62 Kinder getauft, 36
Jugendliche konfirmiert, sieben Ehepaare getraut und 18 Personen kirchlich
bestattet. Das war also nicht die Massenabfertigung, wie sie in den
Innenstadtkirchen noch üblich war, sondern der übliche volkskirchliche Betrieb
mit seinen hohen Erwartungen selbstverständlicher Kirchlichkeit und
Christlichkeit.
Dieser volkskirchliche Rhythmus blieb der Gemeinde erhalten,
auch als der Pfarrer eingezogen war. Unvermindert wurde die Taufe begehrt:
1938: 42, 1939: 52, 1940: 34; 1941: 50, 1942: 96; 1943: 51; 1944: 16; 1945: 28;
1946: 76; 1947: 91.
Auch die Zahl der Konfirmandinnen und Konfirmanden blieb
stabil: 1937: 37; 1938: 37; 1939: 28; 1940: 32, 1941: 33; 1942: 23; 1944: 16;
1945: 10;
Die Begräbnisse vermehrten sich während des Krieges, man
wünschte sich offenbar den Pfarrer am Grabe. 1938 17 Bestattungen; 1939: 18;
1940: 19; 1941: 25; 1942: 27; 1943: 42; 1944: 33; 1945: 54; 1946: 38. Dabei ist
auffällig, dass neun Verstorbene nicht mehr der Kirche angehörten und als
„gottgläubig“ bezeichnet wurden. Trotzdem wurde eine kirchliche Bestattung
gewünscht.
Auch die Taufe wurde begehrt, obwohl bei vier Täuflingen der
Vater „gottgläubig“ war und einmal sogar beide, Vater und Mutter. Was mochte
sie bewogen haben, trotzdem ihr Kind 1943 taufen zu lassen?
Ruhender und für lange Zeit präsenter Pol war die
Gemeindeschwester Anna Wittenberg (1910- 1945).
Über diese Zeit schrieb Pfarrer Dieter Hansmann zu einem
Bild, das die Ecke Friedrich Voigtländerstr./ Berliner Straße zeigt mit dem
Schild: „Juden betreten diesen Ort auf eigene Gefahr“: „Über die Zeit des
„Dritten Reiches“, während der auch die Bugenhagenkirche gebaut wurde, wird
heute (1986) noch vorwiegend geschwiegen. Die NSDAP hatte in Gliesmarode viele
Mitglieder – z.T. aus materiellem Interesse (Arbeitsplatz und Hausbau), z.T.
auch aus nationalem Idealismus. Endlich schien es aufwärts zu gehen, es gab
Arbeit und Brot, feste Ordnungen und Ziele für die Zukunft. Die negativen
Erscheinungen des Systems waren sicher nicht zu übersehen, da wurden „Linke“
verprügelt oder aus dem Amt entfernt. Eine Zeitlang stand an der Ecke Friedr.
Voigtländerstr./ Berliner Straße das böse Schild über die Juden. In Gliesmarode
war ein jüdischer Geschäftsmann bekannt, der aber war ins Ausland geflüchtet
war, ehe es ganz schlimm kam. Überwog nicht das Positive und waren manche
unerfreulichen Dinge nicht nur ein notwendiger Übergang? Vielen gingen erst im
Laufe des Krieges die Augen auf für das dämonische System, dem sie verfallen
waren. Am Ende stand das Entsetzen, die Scham, das Schweigen.“[20]
Die St. Georgkirche [21]
Der Kirchbau im Siegfriedviertel erschien am dringendsten.
In der Walkürensiedlung war in den 20er Jahren ein hochmodernes, dem
Bauhausstil angenähertes Neubaugebiet projektiert worden, das um den
Burgundenplatz einige Geschäfte und als sinngebenden Mitte eine betont
männliche, nackte, muskulöse Figur mit Schwert und Schild in Bronze auf einen
Steinsockel erhob: sozialistische Ästhetik, wie sie auch immer wieder im
„Volksfreund“ abgebildet worden war und später vom Nationalsozialismus bruchlos
übernommen wurde. Der Naziprominente Arno Breker hatte ganz ähnliche Figuren
geschaffen. An diese Walkürensiedlung wurde Mitte der 30er Jahre die
Donnerburgsiedlung angefügt. An ihrer Schnittstelle entstand später ein Markt,
heute am Nibelungenplatz mit einigen Geschäften. In der Mitte sind ein
Parkplatz und Müllcontainer. Die in ihrer Häufigkeit heute schnurrig wirkenden
nordischen Straßennamen setzten sich in den Strassen der Donnerburgsiedlung
fort. Ein Siedlungsgebiet ohne kommunale (Rathaus) oder kirchliche Mitte und
sonstige Möglichkeiten. Das entsprach der säkularen Mentalität der Stadt
Braunschweig in der Weimarer Zeit. Natürlich keine Kirche.
Ein Kirchbau im dortigen Gebiet setzte die Überlegung
voraus, welche Gestalt die Kirche in diesem säkularen Bezirk haben könnte.
Kreispfarrer Wagner (heute Propst) nannte in einem Brief vom 27. Februar 1934
folgende konfessionelle Zusammensetzung des neuen Bezirkes, der als dritter
Gemeindebezirk der Katharinenkirche zugeordnet werden sollte: 4.524
Evangelische, 2.344 Dissidenten, 340 Katholiken, 151 Reformierte, 246
Verschiedene und einen Juden. Das bedeutete einen überproportional hohen Anteil
an Dissidenten. Der Anzahl von Dissidenten betrug nach Angaben von Kreispfarrer
Wagner in der Andreaskirche 4.600 Dissidenten gegenüber 13.000 evangelischen
Gemeindemitgliedern und in der Katharinenkirche 3.400 Dissidenten bei 14.000
Gemeindemitgliedern.[22]
Durch die allmählich einsetzende Rücktrittsbewegung der Dissidenten wäre eine
intensive seelsorgerliche Betreuung dringend notwendig.
Der Stadtkirchentag tagte im Februar 1934 im
Magnigemeindesaal und beschloss einen Kirchbau mit 600 Sitzplätzen in der
Kirche, 250 Plätzen in einem Gemeindesaal und einem Pfarrhaus für insgesamt
257.000 RM[23]
Vier anwesende Reporter der Regionalpresse berichteten über die Baupläne. [24]
Für diese Kirche war im April 1934 ein Wettbewerb ausgeschrieben worden, zu dem
bis an die 16 Meldungen und Skizzen eingegangen sein sollen. Den Zuschlag bekam
wiederum Pramann, obwohl er nicht den ersten Preis gewonnen hatte. Die
Zeitungen veröffentlichten ausführlich die Entwürfe.
Ein Modell, wie es am Zuckerbergweg gegenüber dem Bebelhof
entstanden war und dem dortigen hohen Anteil von Dissidenten entsprach, wurde
nicht diskutiert. [25]
Der Bauplatz konnte keine architektonische Mitte bilden und
lag eher am Südrand des Siegfriedviertels. Die Randgebietlage war keinesfalls
dem Nationalsozialismus anzulasten, sondern war durch die Planung in der
Weimarer Zeit begründet.
Am 1. Oktober 1934 war der dritte selbständige
Gemeindebezirk der Katharinengemeinde gebildet und der 27jährige Pfarrer
Wilhelm Baeck für die Arbeit gewonnen worden. Baeck war überzeugter Deutscher
Christ und zu einer Zeit von der Bayrischen Landeskirche abgeworben worden, als
die Stadt Braunschweig eine deutsch-christliche Hochburg zu werden schien. Er
wurde zusammen mit Pfr. v. Wernsdorff in die Katharinengemeinde eingeführt. v.
Wernsdorff war bis 1945 ein überzeugter und eifriger Deutscher Christ.
Baeck zog in eine Mietwohnung und hielt Gottesdienste in
einer Baracke, die einem Schützenverein gehörte. Die Anfänge der St.
Georgkirche waren wie auch in der Martin-Luthergemeinde etwas „urchristlich“
schlicht. In der Vereinsbaracke des Kleinkaliberschützenvereins Dowesee waren
Gottesdienste 1934 - 1937 umständlich. Der Altar musste erst jeweils
aufgestellt und von Frau Möhle, der Kirchenvögtin, und ihrem Mann hergerichtet
werden, und die Schützentrophäen konnten und durften auch nicht alle abgehängt
werden, aber man war dicht beieinander, eine hörte den andern singen, und
Pfarrer Wilhelm Baeck war auch gut zu verstehen. Vom Gottesdienst drang etwas
nach draußen. Und festlich war es auch. Zum Erntedankfest war der Altar üppig
geschmückt, und die Fahne der Frauenhilfe ist auch auf einem Foto zu sehen. An
einer „richtigen Kirche fehlte nichts, im Gegenteil: die Bewohner des
Siegfriedviertels konnten merken: die Kirche kommt zu uns mit ihrem Singen und
Beten. Das war ein Erfahrungsschatz, den die großen Innenstadtgemeinden nicht
hatten.[26]
Die Konfirmanden mussten wohl wie bisher den Weg zum
Katharinengemeindesaal in die Innenstadt machen. 1935 waren es 134 Konfirmanden
und 1936 100, eine für heutige Verhältnisse unbegreiflich große Zahl, die
andere Unterrichtsmethoden verlangte. Der junge Pastor hatte in St. Georg
Schwierigkeiten mit einem aufsässigen und ständig störenden Konfirmanden, dem
er wegen fehlender Kenntnisse und mangelndem Gottesdienstbesuch die
Konfirmation verweigert hatte. Der ansonsten völlig gleichgültige Vater wollte
indes die Konfirmation erzwingen, wandte sich vergeblich an das
Landeskirchenamt in Wolfenbüttel und sogar ebenfalls vergeblich an die Reichskirchenregierung
in Berlin, beeindruckte die Behörden auch nicht damit, dass sein Sohn das
goldene Ehrenabzeichen der HJ hatte, und trat schließlich zusammen mit seiner
Frau aus der Kirche aus. Ein durchgestandener Konflikt ist eigentlich eine gute
Voraussetzung zur Weiterarbeit unter geklärten Verhältnissen, aber Baeck,
dessen Frau in der Gemeinde einen Jungen bekommen hatte, strich vor diesen
nicht einfachen Gemeindeverhältnisse nach zwei Jahren die Segel und ging 1936
in eine Vorortgemeinde nach Berlin, und machte später eine deutschristlichen
Karriere im dortigen Konsistorium.
Nachfolger von Pfarrrer Baeck wurde der 31jährige Erwin
Bosse, und der blieb, bis er 65 Jahre alt wurde und ging von dort in den
Ruhestand.[27]
Als der Kirchenvorstand am 15. Oktober 1936 über seine Bewerbung beriet,
bemängelten einige, dass Erwin Bosse Mitglied des Pfarrernotbundes wäre. Propst
Leistikow beruhigte die Kirchenvorsteher, die „unerfreulichen Erscheinungen vor
einigen Jahren“ würden sich nicht wiederholen, und Bosse betonte, dass er
positiv zum 3. Reich stünde, durch intensive seelsorgerliche Tätigkeit die
Gemeinde aufbauen und sich kirchenpolitischer Arbeit enthalten würde.
Daraufhin wurde er einstimmig gewählt und tauchte in der Liste der
Braunschweiger Notbundpfarrer nicht mehr auf. Der Kirchenvorstand dankte es ihm
schlecht. Zur nächsten Sitzung am 19.März 1937 erschienen von 18 nur noch vier
Kirchenvorstandsmitglieder, drei gaben schriftlich bekannt, dass sie ihr Amt
niederlegen wollten. Die wenigen verbleibenden bat Bosse, an der Konfirmation
teilzunehmen, die Konfirmanden mit Handschlag zu verpflichten und ihnen die
Konfirmationsscheine zu überreichen. Es waren 110 Konfirmanden. Danach fanden
nur noch drei Sitzungen in Unterzahl statt (30.7./ 14.1.38/ 4.8.39).[28]
Zur Grundsteinlegung am 20.9.1936 [29],
zum Richtfest am 8. April 1937 [30],
zur Fertigstellung des Pfarrhauses am 1. Oktober 1937, zum ersten
Weihnachtsfest im geräumigen Gemeindesaal im Untergeschoss und schließlich zur
Kircheneinweihung am 19. März 1939 fanden jeweils große Gemeindefeste mit viel
Gemeindebeteiligung statt.[31]
Zur Einweihung war die gesamte Spitze der Kirchenbehörde mit dem Bischof und
den beiden theologischen Oberlandeskirchenräten, Röpke und Seebaß, den Pröpsten
Ernesti und Leistikow anwesend, sowie der amtierende Pfarrer Erwin Bosse und
Vikar Ulrich Rüß, der einen eigenen, zweiten Gemeindebezirk erhielt. Sechszehn
am Kirchbau beteiligte Braunschweiger Firmen hatten sich zur Kirche bekannt und
in einer ganzen Seite im Braunschweiger Volksblatt ihr Handwerk inseriert.[32]
Die Feiern enthielten sich jeglichen parteipolitischen Anstrichs, es gab auch
keine Hakenkreuzfahne wie bei der Grundsteinlegung der Rühmer Kapelle, aber
jedes Mal wurde hervorgehoben, dass der Nationalsozialismus die positiven
Rahmenbedingungen für den Bau der Kirchen gestellt hätte. In der Urkunde, die
in den Grundstein eingefügt wurde, hieß es:
„Es ist das vierte Jahr nach der nationalsozialistischen
Revolution. Unser Führer Adolf Hitler hat sechs Millionen unserer arbeitslosen
Brüder in Arbeit und Brot gebracht und unserm deutschen Volk Freiheit und Ehre
wiedergegeben. Während in Russland die christliche Kirche ausgerottet wird und
die Kirchen in Spanien brennen, dürfen wir im Dritten Reich mit Dank gegen
Gott, der das Werk unseres Führers sichtbar segnete, nun schon zum vierten Male
nach der nationalsozialistischen Revolution den Grundstein legen zu einem
Gotteshaus in der Stadt Braunschweig und damit zu unserm Teile beitragen zu der
vom Führer geschaffenen Arbeitsbeschaffung.“[33]
Wie dringend nötig der Kirchbau war, zeigen die Anzahl der
Taufen und Konfirmationen.
Es wurden getauft 1935: 86 Personen, 1936:113; 1937: 106;
1938: 178; 1939: 205; 1940: 221 Personen. Es wurden konfirmiert: 1935: 134
Jugendliche; 1936: 100; 1937: 108; 1938: 110; 1939: 86; 1940: 88; 1940: 88
Jugendliche. Allein die Bewältigung dieser Taufen und des auf zwei Jahre
ausgedehnten Konfirmandenunterrichtes war in diesen provisorischen
Verhältnissen eine außergewöhnliche Belastung. Die hohen Zahlen haben auch
darin ihren Grund, dass viele Eltern aus der Rühmer Siedlung Taufen und
Konfirmationen in der nahe gelegenen Georgkirche vornehmen ließen.
Die am 19. März 1939 eingeweihte St. Georg Kirche machte
einen völlig anderen Eindruck als die letzten Kirchbauten Pramanns. Siegfried,
der germanische Drachentöter und Namensgeber des Wohnviertels, bekam
Gesellschaft durch das christliche Pendant, den Drachentöter Ritter Georg. Wer
die Legende genau liest, erfährt, daß Georg den Drachen nicht tötet. Er
verwundet ihn, die jungfräuliche Prinzessin, um deretwegen er den Kampf mit dem
Drachen führt, bindet ihren Gürtel ab, schlingt ihn um das furchterregende
greuliche Haupt des Drachen und führt ihn im Triumph in die nunmehr von aller
Gefahr und allem Übel befreite Stadt. Die Georglegende ist eine
Auferstehungsgeschichte. Das Böse wird nicht beseitigt, sondern gebändigt und
dem Triumph der österlichen Gemeinde überlassen. Die Kirche selber hat indes
Georg als das Urbild der ecclesia militans, der kämpfenden Kirche, verstanden.
An diese Geschichte erinnert in dieser Kirche nichts: kein
Bild, keine Plastik, nur der Name. Der Betrachter ist überrascht von der Größe
und Höhe des Turmes. Wenn man erwartet hatte, dass der Kirchbau mit der
zunehmenden politischen Festigung des Nationalsozialismus immer unscheinbarer
und kleiner werden würde, hätte man sich getäuscht.
Hier stand eine von der Umgebung nicht zu übersehende,
weithin erkennbare Kirche, zur Bauzeit 1938/39 noch auffälliger, weil ringsum
lauter Spargelfelder waren. Der Turm hatte, anders als bei der
Bugenhagenkirche, nicht die enge Verbindung zum Kirchenkörper, sondern konnte
als selbständiges Bauwerk wahrgenommen werden. Das war wohl auch Absicht. Er
war nicht nur Glockenträger für die weit ins Land schallenden, das Christenvolk
hereinrufenden Glocken, sondern ein Signal: hier ist Kirche und sie ist da! Was
war das für ein Selbstverständnis von Kirche in der nationalsozialistischen
Gesellschaft in einem Großdeutschland, das öffentlich „gereinigt“ war von den
jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern? Die braunschweiger Synagoge war
verwüstet, die evangelische Kirche baute sich dieses Gotteshaus, und das war
immer noch nicht das letzte in der Stadt.
Am Eingang begegnen wir dem merkwürdig weihevollen
hochgestelzten, portalartigen Stil. Die Kirche bekam den Anstrich des
Heroischen. Nicht ganz organisch wirken die in diese hohen Bögen eingelassenen
unproportioniert klein wirkenden Eingangstüren.
Ein Blick in den an diesem Tag festlich geschmückten
Innenraum zeigt einen schlichten viereckigen saalartigen Raum mit Orgelempore,
einen Mittelgang, der auf einen ungewöhnlich hervorgehobenen Altarraum zuläuft.
Um diesen Altar versammelt sich nicht mehr die Gemeinde zum Empfang von Brot
und Wein, sondern er gleicht eher einem katholischen Hochaltar.
Vor den Stufen des Altars war in der Mitte die Taufe
platziert. Damit hat Pramann einen entscheidenden Hinweis der liturgischen
Erneuerungsbewegung aufgenommen: der Taufstein, gelegentlich mehr am Eingang,
im Westteil der Kirche aufgestellt, oder meist seitwärts vom Altar, wird
zentral in die Mitte vor den Altar gerückt. Wer zum Abendmahl an den Altar
geht, wird am Taufstein vorbeikommend an seine Taufe erinnert.
Der Deckel, der den Taufstein abdeckt, ist auffällig
gestaltet. In der Regel schmückt ihn die Taube, das Symbol des Hl. Geistes in
Erinnerung an die Taufe Jesu durch Johannes. „Und da Jesus getauft war, stieg
er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich der Himmel auf und er
sah den Geist Gottes wie ein Taube herabfahren.“ (Mt 3,16) Das ist bei dem
Taufdeckel der Georgkirche anders: keine Taube, kein Schweben, kein
Herabgleiten, sondern ein Festkrallen, adlerartiges Gefieder, spitzer Schnabel,
jedoch einen Heiligenschein. Der Hersteller ist bisher unbekannt. Etwa ein
Reichsadler, der versinnbildlichen soll, daß der getaufte Mensch dem Reich
Gottes eingegliedert wird, das sich dem Dritten Reich nahe dünkte? Dieses
Detail ist auffällig und eigentümlich.
Die Kirche hatte acht
Glasfenster. Sie sind alle im Krieg zerstört. Sie enthielten in kindlicher
Darstellung Erzählungen aus dem Lukasevangelium: hier: Geburt, Taufe,
Jüngerberufung und Bergpredigt. Nicht deutende sondern schlicht nacherzählende,
realistische Bilder aus der Kinderbibel, eine Art biblia pauperum, wie sie das
Mittelalter für die des Lesens unkundige Gemeinde in den Kirchen anbrachte. Für
eine mündige Gemeinde des 20. Jahrhunderts empfinde ich sie als schwer zu
verkraftende Abbildungen, die den Betrachter zum kindlichen Konsumenten des
gottesdienstlichen Geschehens machen.
Die Glasfenster stammten vom
Kunstmaler Wilhelm Hartz. Hartz hatte den Auftrag für die Fenster auf
Empfehlung von Pramann erhalten. Hartz und Pramann, etwa gleichaltrig, kannten
sich aus Düsseldorf. Hartz hatte dort auf dem Gelände der dann anders genutzten
Kunstakademie ein Atelier. Pramann holte Hartz zu Arbeiten nach Braunschweig.
Hartz hatte schon 1927, als Pramann zum ersten Mal nach Braunschweig gekommen
war, die Borekvilla in Riddagshausen künstlerisch mitgestaltet.
Von Hartz stammen schlichte
realistische Landschaften und Gestalten, die er in verschiedenen Materialien
wiedergibt. Er ist bald nach dem 2. Weltkrieg verstorben.
Der Kirchenraum wurde durch das
monumentalen Mosaik an der Altarwand beherrscht. Es stellt die Himmelfahrt Jesu
dar, also den seinen Tod überwindenden, neuen Menschen. Das Mosaik versucht
keine Deutung der Himmelfahrtsgeschichte, sondern bildet den legendären Vorgang
ab, Jesus auf der Wolke thronend und mit erhobener Hand die ihn betrachtende
Gemeinde belehrend.
Es stammt wie schon die
Glasfenster von Wilhelm Hartz. „Typisch Nazi“, hört man häufig über dieses
Mosaik sagen: ein blonder Jesus, blauäugig. Ich halte das für voreilig. Es wäre
eine weiterführende Aufgabe, dieses Mosaik mit anderen Mosaikdarstellungen aus
jener Zeit zu vergleichen.
1936 feierten der Braunschweiger Propst und die Gemeinden
die Grundsteinlegung von drei Kirchen und die Einweihung von zwei Kirchen. Das
war nicht nur für die Stadt Braunschweig, sondern selbst im niedersächsischen
Raum eine Seltenheit. Alle drei Kirchen sind heute noch Zeugen von der
Kirchbaumöglichkeit im „Dritten Reich“ und von der Bereitschaft der Kirche,
auch einer widrigen Zeit das Evangelium nicht schuldig zu bleiben.