Gemeindebriefe in der Stadt Braunschweig zur Zeit des
Nationalsozialismus
Gemeindebriefe sind eine von der kirchenhistorischen Zunft
kaum beachtete Geschichtsquelle. Das ist deshalb bedauerlich, weil die
Gemeindebriefe den Forscher dicht an die Gemeindesituation heranführen.
Es entsteht leicht der Eindruck, dass zur Zeit des
Nationalsozialismus alles kontrolliert, zensiert und verboten war. Es mag daher
erstaunen, dass es im „Dritten Reich“ eine nicht unerhebliche
Gemeindebriefliteratur in der Stadt gab. 1939 wurde der Umfang der
Gemeindebriefe aus Gründen der Kriegswirtschaft um die Hälfte eingeschränkt,
1941 die Herausgabe ganz eingestellt. Das traf auch die städtische Presse. Der
Braunschweigische Allgemeine Anzeiger wurde ebenfalls eingestellt. Das konnte
keineswegs als kirchenfeindliche Maßnahme verstanden werden, zumal das
kirchliche Amtsblatt und überregional z.B. das „Evangelische Deutschland“ zwar
reduziert, aber weiter erschienen.
Unter dem 30. März 1935 erging an alle Pfarrer der Landeskirche
folgendes Schreiben: „Die Braunschweigische Politische Polizei hat, um
sämtliche im Lande Braunschweig erscheinenden Druckschriften und Zeitungen zu
erfassen und der Pressestelle der Braunschweigischen Politischen Polizei
zugänglich zu machen, uns aufgefordert, ihr sämtliche kirchlichen
Nachrichtenblätter und Mitteilungen im gesamten Lande Braunschweig stets
regelmäßig in einem Stück kostenlos zuzusenden.
Wir ersuchen hiermit die Herren Pfarrer, gemäß obiger
Verfügung der Braunschweigischen Politischen Polizei, sämtliche kirchlichen
Nachrichtenblätter und Mitteilungen, die im Pfarrbezirk erscheinen, regelmäßig
und zugleich kostenlos an die Adresse:
Braunschweigische Politische Polizei Braunschweig Bohlweg
51[1]einzureichen
gez. Röpke
Unter dem Datum vom 22. Oktober 1935 wurden die Pfarrer von
OKR Röpke aufgefordert, die Gemeindeblätter in drei Exemplaren an die
Pressestelle des Minister für kirchliche Angelegenheiten in Berlin zu schicken.[2]
Die Abfassung der Gemeindebriefe war demnach nicht frei,
sondern sie wurden so geschrieben, dass sie bei der mitlesenden Politischen
Polizei keinen Anstoß erregten. Es kann sein, dass ab 1939 der Schriftleitung
Texte zugeschickt wurden, die sie veröffentlichen sollten. Pastor
Herdieckerhoff stöhnte in einem Gespräch mit mir über die ihm für das
Braunschweigische Volksblatt zugeschickten politischen Fremdartikel, die er
übernehmen musste. Möglicherweise waren die Gemeindebriefe von dieser Praxis
verschont geblieben, weil sie als zu unbedeutend galten. Bei aller gebotenen
und eingehaltenen Rücksichtnahme auf die Politische Polizei scheint die
Veröffentlichung und Berichterstattung der internen kirchlichen Ereignisse
relativ frei gewesen zu sein. Das ist angesichts der Beschränkung von sonstiger
Vereinsliteratur bemerkenswert. Es spricht allerdings auch dafür, dass die
Gemeindebriefe systemgerecht waren und in das Bild einer
nationalsozialistischen Stadt hineinpassten. Es ist auch ein Beispiel für die
Freiräume im nationalsozialistischen Herrschaftssystem.
Wie so oft findet der Historiker nicht, was er sucht,
nämlich Kommentare zu landesgeschichtlichen Vorgängen und Verbrechen. Nichts zu
den Riesebergmorden, nichts zur Pogromnacht. Auch nicht zu kirchenpolitischen
Skandalen wie dem Prozess gegen Bischof Beye und der Ablösung des
landeskirchenamtlichen Personals, z.B. von Oberkirchenrat Schlott oder zur
Umgestaltung des Domes.
Er muss sich begnügen zu interpretieren, was er vorfindet,
nämlich eine rein binnenkirchliche Berichterstattung, die den Blick fast
ausschließlich auf die kirchengemeindlichen Veranstaltungen gerichtet hat. Man
findet also das, was immer wieder gefordert wird, nämlich einen Blick in den
kirchlichen Alltag, in das gewöhnliche Gemeindeleben. Darin hatten die
Gemeindebriefe offenbar eine Oasenfunktion. Hier war von Ereignissen und
Personen abseits von Märschen, Propaganda und Partei zu lesen.
Die Kirchengemeinden St. Jakobi, St. Martini, St.
Katharinen, St. Michaelis, Brüdern, St. Petri, Bugenhagen, Lehndorf und die
evangelisch-reformierte Gemeinde gaben einen Gemeindebrief heraus. Die ersten
fünf genannten Gemeindebriefe und das reformierte Gemeindeblatt sind in der
Stadtbibliothek gesammelt, von Petri habe ich nur drei Exemplare in den
Ortsakten gefunden, von der Bugenhagenkirche keine, von Lehndorf ein Exemplar.
Sie erschienen monatlich und enthielten die persönlichen Nachrichten über die
Daten und Namen der getauften, konfirmierten, getrauten und verstorbenen
Gemeindemitglieder, sowie herausragende Geburtstage, auch Silberne und Goldene
Hochzeiten. Das war wegen der persönlichen Note ein sehr gern gelesener Teil
der Gemeindebriefes. Allen gemeinsam waren weiterhin Nachrichten über die
Veranstaltungen der Gruppen in ihren Kirchengemeinden. Die Gemeindebriefe
wurden von einer großen Schar von Helferinnen persönlich in die Häuser
gebracht.
Das Gemeindeblatt gewann an Bedeutung, da seit September
1934 das Erscheinen des langjährigen Sonntagsgrußes, des gemeinsamen Blattes
für alle Braunschweiger Stadtgemeinden, eingestellt worden war.
Die Gemeindebriefe hatten nach Entstehung, Format und Inhalt
ihr besonderes Profil.
Das Gemeindeblatt für St. Jakobi
Das in der Stadt älteste Gemeindeblatt war der Gemeindebrief
von St. Jakobi.[3]
Er erschien seit 1910 und auch von 1933 – 1941. Die vier Seiten wurden im DIN A
4 Format in der Waisenhausdruckerei gedruckt, auf Seite eins war eine Abbildung
der Jakobikirche. Diese Abbildung wechselte am 1. Juni 1933. Klein gedruckt
waren neben dem Bild von der Kirche bis 1933 Appelle an die Leserinnen und
Leser gerichtet: „Der Gemeindepfarrer ist zu jeder Zeit zu sprechen, am
sichersten zwischen 9 und 10 Uhr. Verbindet euch mit uns zu einer einzigen
Familie! Unsere Gemeinde will eure Heimat sein. Haltet treu und charakterfest
euer Konfirmationsgelübde. Nur unser evangelischer Glaube bewahrt euch die
persönliche Freiheit als euer höchstes Gut“. Diese Appelle verrieten etwas von
dem Gemeindeprofil, das Pastor Henry Beck, der Gründungspfarrer, der Gemeinde
geben wollte. Vorherrschend war die Absicht von Gemeinschaftsbildung. Zum 25jährigen
Jubiläum des Gemeindeblattes 1935 beriefen sich die Pfarrer Kalberlah und Dietz
ausdrücklich auf diese Tradition, wonach die Gemeinde als Familie und Heimat
verstanden wurde. Im übrigen galt auch Becks Devise: „Wir schließen niemand
aus, wir laufen aber auch niemand nach.“ Die Schriftleiter von 1935 fügten
hinzu: „So wollen wir im kommenden Jahrgang durch das Gemeindeblatt fest, wahr
und offen das Reich Gottes im Dritten Reich mit bauen helfen....erhaltet uns
die Treue, werbt mit uns um neue Leser und stärkt dadurch unsere liebe
Jakobigemeinde und alle ihre kirchlichen Einrichtungen.“ [4]
Die Schriftleitung hatte der jeweilige Pfarrer, von 1929 an
der Pastorensohn Gerhard Kalberlah, geb. 1892, der von der Dorfgemeinde
Sauingen in die Großstadt gewechselt war. Die Liebe zur Natur hatte er wohl vom
Dorf mitgebracht. Sein Vater Gustav Kalberlah war in Alvesse Pfarrer und dort
war er aufgewachsen. Vom Jakobipfarrer Kalberlah sind in den Jahren 1933-1941
keine Predigten mit aktuellen Zeitbezügen enthalten, dafür aber drei
Naturpredigten in den Sommermonaten 1933 („Gottes Herrlichkeit in der Natur“),
1937 („Gottesgaben“), 1939 („Was uns der Sommer lehrt“) abgedruckt.
Kalberlah war in eine Gemeinde mit insgesamt 11.890
Gemeindemitgliedern gekommen, in der 27 % der Wohnbevölkerung, 3.210 Bewohner
nicht mehr der Landeskirche angehörten.[5]
Das war gegenüber den dörflichen Verhältnissen eine neue Situation. Jakobi war
eine typische Arbeiter- und Mittelstandsgemeinde.
Zusammen mit Kalberlah hatte seit November 1934 der am 7.
Oktober eingeführte Otto Dietz die Schriftleitung des Gemeindeblattes.[6]
Otto Dietz stammte aus Schapen, war gelernter Landwirt und führte bis 1927
einen landwirtschaftlichen Pachtbetrieb. Danach machte er das Abitur nach,
studierte Theologie und absolvierte 1933 nach dem 1. theologischen Examen sein
Vikariat in Jakobi und war am 22. Juli 1934 von Bischof Johnsen ordiniert
worden.[7]
Dieses Zweigespann Kalberlah/Dietz war für diese Arbeiter/ Angestelltengemeinde
vielversprechend.
Das Blatt erschien 1938 in einer Auflage von 2.100 Stück und
wurde von 64 Helferinnen der Gemeinde ausgetragen.[8]
Das Blatt kostete 10 Pfennige.
Ab 1933 erlebte das Blatt eine auffällige Änderung. Der
Gemeindepfarrer Kalberlah hielt sich völlig zurück. An Stelle der traditionellen
Predigten auf Seite eins des Gemeindepfarrers traten nun die Appelle der
Kirchenleitungen, des Bischofs, des Reichsbischofs, des
Reichskirchenausschusses. Appelle statt Predigten. Später druckte die
Schriftleitung Predigten von anderen Pfarrern, vor allem von den Pfarrern
Heinrich Klapproth in Lehndorf, von Freise, v. Wernsdorff, auch von v.
Bodelschwingh und Duensing, Goslar ab, die sich jedoch kaum auf die Gemeinde
beziehen konnten.
Ausführlich wurde der Leser über die jeweilige kirchenpolitische
Lage in der Landeskirche und in der Gesamtkirche informiert; 1933/34 vor allem
über die Positionen der Deutschen Christen und ab 1934 über die von
Landesbischof Johnsen.
Die Redaktion der längsten Rubrik „Aus dem kirchlichen
Leben“ behielt sich Kalberlah vor, möglicherweise, um die von Mitarbeitern
eingereichten Berichte einer vorsichtigen Selbstzensur zu unterziehen oder noch
einen völkischen Kringel unterzubringen.[9]
Ausgiebig wurde über die im vergangenen Monat abgehaltenen Taufen, Trauungen,
Beerdigungen, über die besondere Geburtstage namentlich berichtet, von
kirchenmusikalischen Konzerten, von den Veranstaltungen der Gruppen, die
Jahresberichte des Frauenvereins und Männervereins konnten nachgelesen werden,
aus der jungen und alten Gemeinde, von den Fahrten im Sommer und Adventsfeiern
im Dezember. Ebenso wurden der künftige Veranstaltungskalender sowie der
monatliche Bibelleseplan bekannt gegeben. Aufschlussreich sind die
Jahresübersichten über die abgehaltenen Taufen, Trauungen, Beerdigungen und
Kirchenaustritte und -eintritte, sowie über die Höhe der Kollekten und andere
Spenden und über Sitzungen des Kirchenvorstandes Als eine Fundgrube erweist
sich der Gemeindebrief für die Geschichte der Gemeindejugendarbeit in jener
Zeit, obwohl diese unter Einschränkungen zu leiden hatte.[10]
Die persönlichen Nachrichten gaben dem Blatt sein
eigenständiges Gesicht, z.B. das Ableben der langjährigern ersten
Gemeindeschwester Gesine Westermann, die Heirat ihrer Nachfolgerin Lisa Rösch
1939 und das Ende ihres Dienstes, sowie die Einführung der Gemeindeschwester
Helene Oelkers im Januar 1939. Die Tätigkeit der Gemeindeschwester beschränkte
sich nicht auf Krankenpflege, sondern sie „stützt die Arbeit der Pfarrer im
Kindergottesdienst, im Jungmädchenkreis, in der Besuchspraxis und als
Pfarrgehilfin“.[11]
Dazu gehörten der Dank der Gemeinde an den Postbetriebsassistenten Albert
Riesen für seine 25 jährige Mitarbeit im Kirchenvorstand von Jakobi und die
Würdigung des verstorbenen Küsters Karl Nieß. [12]
Es gab auch eine enge Kooperation mit der Kirche
Alt-Lehndorf, wo Pfarrer Heinrich Klapproth seit 1936 amtierte.
Schwerpunkte des Gemeindebriefes waren besondere Ereignisse
in der Jakobigemeinde: die Anstellung eines zweiten Pfarrers Otto Dietz und das
25 jährige Kirchbaujubiläum Ostern 1936[13],
der Bau des zweiten Pfarrhauses, sowie das 450jährige Geburtstagsjubiläum von
Johannes Bugenhagen im Juni 1935[14],
zu dem Kalberlah einen größeren Aufsatz über „Der soziale Gedanke in
Bugenhagens Braunschweiger Kirchenordnung“ beisteuerte, der von anderen
Gemeindeblättern übernommen wurde.
Eine kirchenpolitische Linie nahm das Blatt erstmals mit dem
Abdruck der „Forderungen des deutschen Protestantismus für Staat und Kirche
vertreten vom Evangelischen Bunde“ ein.[15]
Es verriet eine deutliche Nähe zu den Deutschen Christen. „Volkstum ist eine
Gottesschöpfung und der Staat eine Gottesordnung. Darum fordern wir eine
kraftvolle und gerechte, vor Gott verantwortliche Staatsleitung, die bewusst
dem durch Blut und Geschichte geformten Volkstum dient und darum Gehorsam
fordern kann.“ Später hieß es: „Deutsches Volkstum und evangelische Kirche
gehören unlöslich zusammen“. Das waren Töne und Gedanken aus der Zeit vor dem
ersten Weltkrieg, die nunmehr wiederholt wurden, als ob eine katastrophale
Niederlage 1918 und eine Neubesinnung in der Dialektischen Theologie nicht
stattgefunden hätten.
Die Linie der gemäßigten Deutschen Christen begrüßte
folgerichtig Gemeindepfarrer Kalberlah ausdrücklich. „Im Sinne und Geiste
dieser Glaubensbewegung ist schon seit Bestehen der Jakobigemeinde bei uns
gearbeitet worden“[16],
aber das erwies sich als eine selektive Wahrnehmung der Deutschen Christen.
Die Schriftleitung hielt sich mit politischen Kommentaren
und Predigten zurück, erst mit den außenpolitischen Erfolgen Hitlers wurde die
Bindung an Hitlers Politik auch im Gemeindeblatt sichtbar. Am 1. Mai 1938
erschien erstmals ein Text zum Einmarsch der deutschen Truppen im März in
Österreich und zur „Volksabstimmung am 10. April“, außerdem im Blatt am 1. März
1939 ein „Nachklang zur Führerrede“ vom 30. Januar 1939, im Mai/Juni 1940 „Die
Stunde des Sieges“, Jan./Febr. 1941 unter „Gelöbnis und Gebet“ eine
Verherrlichung des Führers. Diese Veröffentlichungen könnten die berüchtigten
von außen eingeforderten Propagandaartikel gewesen sein. Die letzte Nummer
zählte noch einmal die auch im Krieg verbliebene Gruppenarbeit in der Gemeinde
auf. Der Gemeindepfarrer Gerhard Kalberlah mahnte zum Schluss die Gemeinde:
„Wir wollen bereit sein, Gottes Wort zu hören, wo es uns entgegenkommt, ob auch
andere Zeiten kommen und Mittel und Wege beschritten werden, die wir bisher
nicht kannten. Lasst uns als Gemeinde des lebendigen Herrn der Gewalt des
Wortes Gottes fröhlich vertrauen und uns in Treue zu unserer Kirchengemeinde
halten.“[17]
Das Gemeindeblatt von St. Martini „Die Feierstunde“
Die Martinikirche bildete mit dem Altstadtrathaus und dem
Altstadtmarkt ein exzellentes architektonisches, traditionsreiches,
hochgotisches Ensemble. Hier waren die alteingesessenen Kaufleute zu Hause.
Geld und Macht waren die Pfeiler dieses Quartiers. Auf der Nordseite das
Bankhaus Löbbecke, an der Südseite das Landtagsgebäude, von dem aus Oerter 1918
die Republik und Klagges 1933 die nationalsozialistische Herrlichkeit
ausgerufen hatten. Mitten drin die prächtig ausgestattete Martinikirche und
drum herum ca 12.500 Gemeindemitglieder.
Der schreibfreudige und dichtende Pfarrer an Martini, Walter
Benndorf, Jahrgang 1869 und seit 1910 in der dortigen Gemeinde, gab seit 1911
einen Gemeindebrief unter der Überschrift „Die Feierstunde“ heraus. Neben dem
Titelbild der Martinikirche stand eine biblische Losung. Der Gemeindebrief war
nur für den eigenen Gemeindebezirk II. gedacht, denn der Kollege Pastor
Kühnhold, der vier Jahre früher seinen Dienst an der Martinikirche angefangen
hatte, beteiligte sich nicht an dieser Arbeit. Erst seit Oktober 1933 wurde der
Gemeindebrief für beide Bezirke der Martinigemeinde herausgegeben und zwar
zusammen mit dem Nachfolger Kühnholds, Pfarrer Hermann Grüner. Als Benndorf
1936 in den Ruhestand ging, wurde das Erscheinen der „Feierstunde“ eingestellt.
Das achtseitige Blatt im DIN A 4 Format finanzierte sich
durch eineinhalb Seiten Geschäftsanzeigen. Zum Gemeindebrief gehörte zusätzlich
eine mehrseitige Familienbeilage, die auch von Benndorf redigiert wurde.
Auf Seite eins waren vorwiegend Predigten,
Predigtausschnitte, Andachten oder geistliche Betrachtungen meist zum
Kirchenjahr veröffentlicht. Bei den Predigten Benndorfs ist ab 1933 eine
steigende Zustimmung zum nationalsozialistischen System zu bemerken. So waren
seit Frühjahr 1933 und dann zunehmend die meisten Predigten durchsetzt von
Anspielungen auf die „böse“ Weimarer Zeit und die herrliche
nationalsozialistische Gegenwart und ihren Führer Adolf Hitler.[18]
Das Gemeindeblatt wurde ausdrücklich in den Dienst der
Deutschen Christen gestellt. „Es wird wie bisher, so auch fernerhin sich ganz
in den Dienst der neuen Zeit stellen und freudig mitarbeiten an der Erreichung
des Zieles, das unser großer Führer Adolf Hitler auch auf kirchlichem Gebiet
gesteckt hat: e i n Volk zu werden, und die aufrüttelnden und mitreißenden
Gedanken der Glaubensbewegung Deutsche Christen bis in das letzte Haus unserer
Gemeinde hineinzutragen“.[19]
In der Augustnummer der Feierstunde wurden die Hossenfelderschen Richtlinien
der Deutschen Christen veröffentlicht.
Zeitgemäß wurden seit der Oktobernummer 1933 den üblichen
Monatsnamen phantasievolle, angeblich germanische Monatsnamen beigefügt wie
Eismond (Januar), Hornung (Februar), Weinmond (Oktober) und Julmond (Dezember).
Zahlreiche Gedichte, Sprüche und Weisheiten lockerten den
geistlichen Stoff auf. Benndorf, ein gefälliger Reimer, gab auch eigene
Kostproben preis wie in der Januarausgabe 1933: „In allem Kampf und Streite/
der argen Welt/ geh du, Herr, uns zur Seite/ dein ist das Feld/ Laß mich dein
Bild nur sehen/ zu aller Zeit/ und deine Wege gehen/ zur Ewigkeit“ (zur Melodie
„So nimm denn meine Hände“).
Neben Erbaulichem und Lyrischem kommentierten zahlreiche
Abhandlungen zustimmend oder kritisch, auch apologetisch das Zeitgeschehen,
z.B. „Luther“, gegen den Tannenbergbund, gegen die Weihnachtslieder der
Mathilde Ludendorff, gegen ein „Versagen“ der Kirche?[20]
Eine Fortsetzungsreihe behandelte die Nachbarkirchen.
Den Familiennachrichten folgte die Spendenliste samt Namen
des Spenders und Zweck der Spende.
Im Veranstaltungskalender fällt die rege Arbeit des
Männervereins auf. Dort wurden „aktuelle“ Themen wie „Undeutsche Schriften im
Zeitalter des Marxismus“ (16.10.1933 durch Studienrat Dr. Müller), „Volk und Rasse“
(8.1.1934 durch Landgerichtsrat Scholz), „Gottesglaube und Naturwissenschaft“
(9.5.1934 von Benndorf) behandelt. Der Männerverein, der 1931 gegründet worden
war, hatte ca 120 Mitglieder. Die regelmäßigen Helferinnenversammlungen,
Frauenhilfsveranstaltungen, Frauenchor, Jungmädchenwerk machen den Eindruck
einer lebhaften Gemeindearbeit.
Zum 25jährigen Amtsjubiläum im Sommer 1935 widmete das
Gemeindeblatt ihrem Pfarrer Benndorf einen sehr herzlichen und persönlichen
Glückwunsch.[21]
„Eine in Christus ruhende Seele, die geborgen ist in dem Vatergott Jesu, die
getragen wird von dem felsenstarken Glauben an Gottes Liebe, eine solche freie,
hochgemute Seele erschließt sich uns in Benndorfs Predigt“. Auf ihn gingen der
Kindergottesdienst, das diakonische Frauenhilfswerk, der Frauenchor und der
Männerverein zurück. Benndorf war auch Vorsitzender der Herberge zur Heimat und
des Zweigvereins Braunschweig des Evangelischen Bundes. „Als Mensch gütig und
herzlich, offen und treu – so ist Walter Benndorf den Vielen, Vielen, die ihn
kennen und schätzen, immer entgegengetreten.“
Dieses an den vielen hinterlassenen und gedruckten Predigten
Benndorfs nachvollziehbare Urteil
muss nun ergänzt werden durch die andere Beobachtung, dass
Benndorf sich selber und seine Gemeinde an die Person und die Politik Hitlers
anbinden wollte. Benndorf war 1935 66 Jahre alt. Die ersten 45 Jahre seines
Lebens hatte er im friedlichen kaiserlichen Deutschland verlebt. Für ihn waren
die Jahre 1933 ff eine Wiederkehr jener Zeit vor 1914, eine Zeit ohne
Niederlage, mit Erinnerungen an die nationale Auflehnung der Freiheitskriege,
mit großen nationalistischen Hoffnungen auf ein großes Deutsches Reich. Der
Jubiläumsartikel verwies auf seine Kriegsandachten aus dem 1. Weltkrieg unter
dem Titel „Auf den Spuren Gottes in eiserner Zeit“, „Heiliges Warten und
Werden“ und „Vorwärts und durch“. So gehört Benndorf zu den verdienten
Seelsorgern seiner Martinigemeinde, zugleich verbunden mit einer
unbegreiflichen Verkennung des Terrors und des Vernichtungswillens Hitlers.
Eine besondere Note bekam der Gemeindebrief durch die
wenigen Beiträge von Martinipfarrrer Hermann Grüner, der der radikalste
Deutsche Christ unter den Braunschweiger Stadtpfarrern war. Er hatte Ende
Dezember 1933 seinen Dienst angetreten. Er gründete an der Gemeinde eine
„Kampfstaffel der Deutschen Christen“, offenbar ein Pendant zur SA. Weit über
Braunschweig hinaus wurden seine im März 1934 im Gemeindebrief veröffentlichten
Thesen bekannt und berüchtigt, deren erste drei lauteten: „In Hitler ist die
Zeit erfüllt für das deutsche Volk. Denn durch Hitler ist Christus, Gott der
Helfer und Erlöser, unter uns mächtig geworden. Darum ist der
Nationalsozialismus positives Christentum der Tat. Hitler (der
Nationalsozialismus) ist jetzt der Weg des Geistes und Willens Gottes zur
Christuskirche deutscher Nation. Mit lutherischem Glaubensmut wagen wir
Deutsche Christen darum mit bewährten alten Steinen (Bibel und Bekenntnis) und
neuen Steinen (Rasse und Volkstum) im Glauben diese Kirche zu bauen. Hitler will
die Kirche. Er wartet auf uns. Leistung und Erfolg entscheiden bei ihm.
Christus sagt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“. 5. Jeder Diener
Gottes muss in unserer Volksgemeinschaft Nationalsozialist der Tat sein. 6. Ein
Führer – ein Reich, ein Volk – eine Kirche.“[22]
Ob die Martinigemeindemitglieder auf diese überspitzten Verdrehungen positiv
reagiert haben? Das Ineinander von Jesus und Hitler konnte auch von ihnen als
unannehmbar empfunden und beleidigend für ihr Jesusbild und ihren christlichen Glauben
empfunden werden. Wenn die deutsch-christlichen Anwandlungen eingängiger
daherkamen, waren sie möglicherweise sehr viel gefährlicher, etwa wenn Benndorf
dem deutschen Nationalgefühl schmeichelte. „Luthers Reformationswerk entsprang
nicht dem Geist des Widerspruchs und der Unbotmäßigkeit, der Neuerungssucht und
der Freude am Niederreißen. Sie war vielmehr geboren aus seiner glühenden Liebe
zu seinem deutschen Volk und Land, aus seinem tiefen deutschen Gemüt und seinem
heiligen Gewissensernst“, weniger offenbar aus dem theologischen Nachdenken[23].
1936 erlebte die Martinigemeinde einen radikalen
Pfarrerwechsel. Es kamen im selben Jahr Pfarrer Gerhard Rohde und Pfarrer
Erich Wehrstedt an die Martinikirche. Sie setzen die Gemeindebrieftradition
nicht fort. Daher ist das Gemeindeleben nicht mehr so ausgiebig dokumentiert,
Das Gemeindeblatt von St. Katharinen[24]
Pastor Johannes Schlott gab
spätestens seit Oktober 1925 für seinen 2. Gemeindebezirk der
Katharinengemeinde ein vier Seiten langes Gemeindeblatt heraus. Sein älterer,
schreibfreudiger Mitbruder Martin Bücking beteiligte sich nicht an der
Herausgabe und schrieb auch keinen Artikel für den Gemeindebrief.[25] Von den vier Seiten im DIN A 4 Format wurde nur der
Mantel, also Seite eins und vier von Schlott gestaltet, die beiden Innenseiten
von einem anderen Schriftleiter in Süddeutschland.
Es sind die Gemeindebriefe
von 1925 – 1941 erhalten. Schlott hielt nach 1933 die Gemeindebriefe wohl auch
in Rücksicht auf seinen älteren Kollegen Bücking aus der Kirchenpolitik völlig
heraus. Nur im Mai Brief 1933 schilderte er aus eigener Anschauung die erste
Reichstagung der Deutschen Christen in Berlin. Er benutzte den Gemeindenbrief
nicht, um Werbung für die Deutschen Christen zu machen, deren Gauleiter er im
Braunschweiger Land war.
Nach dem Ausscheiden Schlotts
aus dem Katharinengemeindepfarramt im Spätsommer 1933 erschien ein
Gemeindebrief in neuer Form. Der bisher gemeindefremde Mittelteil wurde durch
Geschichten und Nachrichten aus der eigenen Gemeinde ersetzt. Der Gemeindebrief
war also inhaltlich doppelt so umfangreich geworden. Als Nr. 2 erschien im
Februar 1934 eine Predigt des im November als Nachfolger von Schlott
eingeführten Pfarrers lic. Hans Korn und bis Oktober 1935 weitere neun
Predigten von ihm. Sie traten an die Stelle von Schlotts volkstümlichen
Geschichten im Braunschweiger Platt. Im August 1934 war die Antrittspredigt des
Bücking Nachfolgers Hans Georg v. Wernsdorff abgedruckt. Der Gemeindebrief
erhielt nun statt der bisherigen volksmissionarischen, unterhaltsamen Note eine
eher theologische mit grundsätzlichen Themen. Er war nun für beide
Gemeindebezirke, also für die ganze Katharinengemeinde gedacht. Es sind bis zum
Erscheinungsende insgesamt 18 Predigten von v. Wernsdorff erhalten, darunter eine
Predigtreihe zum Vaterunser (1939/1940).
An Gliederung und Umfang des
Gemeindebriefes änderte sich auch nichts, als der Nachfolger von lic Korn,
Pfarrer Hermann Gennrich, sich mit Predigten und grundsätzlichen Überlegungen
am Gemeindebrief beteiligte. Während Korn und v. Wernsdorff überzeugte Deutsche
Christen waren, gehörte Gennrich bewusst den Deutschen Christen nicht an,
sondern vertrat eine lutherische christozentrische Theologie.
So veröffentlichte Gennrich
mehrere grundsätzliche Aufsätze: „Luther und Luthertum heute“ (Oktober 1936),
„Deutsche Männer für Christus und die Kirche“ (Oktober 1937) „Die Bibel und der
heutige Mensch“ (Juni und Juli 1938), „Über Luther hinaus?“ (Januar 1939) und
„Die Ordnung unseres Gottesdienstes“ (August/Sept.1939). Aber auch v.
Wernsdorff veröffentlichte mehrere Grundsatzartikel: „Christen und Juden“ und
„Gedanken zur Liturgie“.[26]
Zur Serie von Aufsätzen gehören fünf vom Paulipfarrer Otto Henneberger[27].
An den Artikeln beteiligten
sich auch andere Gemeindemitglieder, vor allem die Organistin Hilde Pfeifer.[28]
Diederichs veröffentlichte einen umfangreichen Aufsatz zur Männerarbeit[29]
(Juni und Juli/August 1936), auf den in der nächsten Nummer Frau v. Strotha
tapfer Gegenposition bezog. Es beteiligten sich auch der Vikar Karch, Hans
Bandrusch, Walter Schildt und Käte Winter, die aus ihren Arbeitsgebieten
erzählten.
Der Jugenddiakon Alfred
Haferlach beschrieb in dem zweiteiligen Aufsatz „Evangelische Jugendarbeit –
heute“ furchtlos die evangelische Jugendarbeit als Alternative zur
Hitlerjugend.
Außer den grundsätzlichen Artikeln erschienen die
Nachrichten über Taufen, Trauungen und Bestattungen, aber auch die Anzahl der
Kirchenaustritte und Kircheneintritte.
Mit den Überfall der deutschen Truppen in Österreich im
April 1938 und dann mit Kriegsbeginn begannen politisch eingefärbte
Stellungnahmen.
Der Michaelisbote
Die Michaeliskirche ist seit ihrer Entstehung die Kirche der
kleinen Leute an der Stadtmauer, nicht in der Stadtmitte. Sie ist neben St.
Bartholomäus, die kleinste von allen Stadtkirchen, darum herum die Werkhäuser
und Arbeitersiedlungen mit 12.500 Gemeindemitgliedern.
Vom August 1931 an gab Pastor Johannes Koenig für den
Gemeindebezirk II der Michaelisgemeinde einen vierseitigen Gemeindebrief unter
dem Namen „Michaelisbote“ heraus. Koenig war seit 1930 in dieser Gemeinde und
wollte mit dem Gemeindebrief die Gemeindemitglieder seines Bezirkes um sich
sammeln. Der Gemeindebrief diente auch der Abgrenzung von seinem Kollegen
Pastor lic. Otto Lang, mit dem er sich hinsichtlich der Gemeindekonzeption und
Gemeindepflege nicht einigen konnte. Bezeichnenderweise fehlte im Michaelisbote
die Angabe der Gottesdienste in der Kirche. Koenig bezeichnete seine
Gemeindebriefe von der ersten Nummer an mit den altgermanischen Monatsnamen:
August-Ernting; September-Scheiding; Oktober-Gilbhardt; November-Nebelung;
Dezember-Christmond usw. Das im DIN A 5 Format erscheinende Blatt wurde bei
Appelhans gedruckt.
Außer den Nachrichten über Taufen, Trauungen, Bestattungen,
Geburtstage und Goldene Hochzeiten wurde von den Veranstaltungen des
Männerkreises, der Frauenhilfe, des Jungmutter- und Jungmädchenbundes berichtet
und von besonderen Ereignissen in der Gemeinde wie der Einweihung eines eigenen
größeren Gemeindesaales.
Die ersten Seiten waren von allgemeinen, beschaulichen
Betrachtungen gefüllt. Es fällt der Mangel an Predigten, Andachten oder
Auslegungen von Bibeltexten von Pastor Koenig auf. Meistens druckt er
anderweitige Verfasser aus anderen Schriften ab. Es waren oft
Bekehrungsgeschichten aus bedrängten Situationen oder aus der Mission.
An diesem allgemein gehaltenen Charakter änderte sich auch
nichts zu Beginn des Jahres 1933. Erst mit dem Artikel „Die Kirche im
Schmelzofen“ gab sich Koenig als Deutscher Christ zu erkennen.[30]
Die nationale Revolution sei wie ein Schmelzofen. „auf allen Gebieten bricht
unter der genialen Initiative des Führers ein absolut Neues auf, neue Ziele
werden gezeigt, neue Inhalte gegeben, neue Formen geprägt, alles wird zu einem
neuen Ganzen von ungeahnter Kraft und Herrlichkeit vereinigt. In diesen
Umschmelzungsprozeß des gesamten deutschen Lebens muss nun auch die Kirche
hinein.“ Der Michaelisbote veröffentlichte den Aufruf der deutsch-christlichen
Kirchenregierung: „Die neue braunschweigische Kirchenregierung wird eine ihrer
wesentlichen Aufgaben darin erblicken, Schulter an Schulter mit dem neuen Staat
sich für die Erneuerung des deutschen Menschen einzusetzen“, [31]
das Grußwort des Reichsbischofs Ludwig Müller an die Gemeinden und den Aufruf
von Landesbischof Beye: „Am heutigen Tage meiner Einführung in das Amt eines
lutherischen Bischofs grüße ich die Gemeinde im Lande mit dem Gruß unseres
Führers Adolf Hitler.“[32]
Eine deutlichere pronazistische Note erhielt der
Gemeindebrief ab April 1938. Auf jeder der vier Seiten warb Koenig für ein
Bekenntnis zu Adolf Hitler“ anlässlich der „Abstimmung“ nach dem Überfall auf
Österreich. Die Geburtstage Hitler 1939, 1940 und 1941 wurden mit ausladenden
Gratulationen bedacht. Zum 51. Geburtstag im Jahre 1940 verherrlichte Koenig
(Michaelisbote Mai-Wonnemond 1940) Hitler als ersten Soldat und ersten
Arbeiter, er habe das Volk „zu einer großen Gemeinschaft des Kämpfens und des
Schaffens zusammengeschweißt“.[33]
Die Absicht der Gratulation war es, die Gemeinde „in tiefer Dankbarkeit und
Verehrung zu einem ernsten Treuegelöbnis“ zu veranlassen. Zum 52. Geburtstag
veröffentlichte Koenig als Aufmacher in der Aprilausgabe 1941 die
parteiamtliche von hinten bis vorne verdrehte, jedoch
„einzigartige“„Kurzbiografie“ Hitlers als ein „Wunder“, zählte die sog.
außenpolitischen Erfolge auf und wie „ihn blinde Furcht, Hass und Abgunst der
Feinde in einen Krieg, den er nicht gewollt“, gezwungen habe. Pastor Koenig war
offenbar nicht nur selbst stark an Person und Politik Hitlers gebunden, sondern
er band nun auch die Gottesdienstbesucher in der Michaeliskirche an den
„Führer“. Darin unterschied sich der Michaelisbote von anderen Gemeindebriefen.
Während der Katharinengemeindebrief seinen Leserinnen und Lesern theologisches
Futter bot, mischte Koenig in seinem Gemeindebrief Frommes und Politisches zu
jenem lila-braunen Brei, wie er für die Deutschen Christen typisch war. Das
fand bei einem Teil der Gemeinde offenbar Anklang.
Brüderrundbrief
Pfarrer Alfred Wagner gab seit Oktober 1934 einen achtseitigen
Gemeindebrief im DIN A 4 Format unter dem Titel „Wille und Weg zur Gemeinde“
heraus, der sich mit 700 bezahlten Exemplaren stabilisierte. Er war nach
Aufmachung und Umfang der aufwendigste und repräsentativste unter den
Gemeindebriefen. Zur Brüderngemeinde gehörte das Geschäftsviertel des
Kohlmarktes. Zielgruppe des Gemeindebriefes waren u.a. die großbürgerlichen
Gruppen um den Kohlmarkt, wie sie sich in der Zusammensetzung des
Kirchenvorstandes widerspiegelten. Zum Kirchengemeinderat gehörten u.a. sieben
Kaufleute, zwei Fabrikanten (Inhaber noch heute renommierter Geschäfte), fünf
Handwerksmeister, ein Juwelier, ein Oberstudiendirektor.
Ein Schwerpunkt der Gemeindebriefe waren die Predigten oder
Andachten, die Wagner gehalten hat. Es waren insgesamt 26 von ihm namentlich
gezeichnete Predigten für die Zeit vom November 1934 bis März 1937. Es sind in
der Regel Predigten zum Kirchenjahr, Textauslegungen, ohne deutsch-christliche
Anwandlungen und Ausfälle. Der Predigt war eine Überschrift vorangestellt: „Das
ewige Wort“, „Das Wort vom Kreuz“, „Die rechte Speise“,, „Glaubensgehorsam“,
„Gottes Hausgenossen“, „Der Herr der Ernte“ usf. Diesen Predigten liegt in der
Regel ein Bibeltext zu Grunde. Es sind also nicht thematische Predigten, wie
sie gerne von Deutschen Christen verwendet wurden. Es gibt aber Auslegungen zu
dogmatischen Fragen: „Gibt es einen Teufel?“,[34]
„Von der Taufe“.[35]
Nur zwei Predigten waren politisch motiviert. Nach der für
die Hitlerregierung erfolgreichen Saarabstimmung im Januar 1935 wurden
allüberall Dankgottesdienste dafür gehalten, dass das Saargebiet wieder „heim
ins Reich gekehrt sei“, so auch in der Brüdernkirche. Wagner verknüpfte die
politischen Ereignisse seit 1871 mit dem Willen Gottes und dankte Gott, dass
„wir heute einen so großen Sieg feiern mitten im Frieden, ohne dass Granaten
krachten und Menschenleiber von ihnen zerrissen wurden“.[36]
Die Predigt stand unter der Überschrift „Gott und Volk“ und benutzte den
Psalmvers 125, 2b „Der Herr ist um sein Volk her von nun an bis in Ewigkeit“
zur Deutung der Lage. „Auch heute, wo das Deutschtum einen so gewaltigen Sieg
feiert, ist es uns ein herzliches Anliegen, unsere Kniee vor dem Ewigen zu
beugen und unsere Herzen zu ihm zu erheben, denn wir wissen, dass dieser Sieg
nicht Menschenwerk ist, sondern Gottes gnädiger Wille sich von Neuem zu dem
Reich und zu dem Volk der Deutschen bekannt hat.“ Wagner deutete das Gottesvolk
des Psalmes in das deutsche Volk um. In der Rückkehr des Saargebietes spüre man
deutlich die Nähe Gottes.
In einem Gottesdienst zum 2. Jahrestag des
Regierungsantritts Hitlers am 29. Januar 1935 in Brüdern wurde aus dem immer
wiederkehrenden Grundgedanken der Beauftragung Hitlers zur Regierung durch den
göttlichen Willen und der Bindung des evangelischen Christen als Mitglied eines
von Gott geschaffenen Volkes die Mahnung entnommen, „dass uns aber auch das
Recht genommen ist, uns diesem Staat zu widersetzen, sei es auch nur durch
Nörgelei an menschlichen Unzulänglichkeiten“.[37]
Der 450. Geburtstag Johannes Bugenhagens wurde von Wagner
durch einen historischen Grundsatzartikel zu dessen Theologie und durch eine
Predigt vom 23.6.1935 gewürdigt.[38]
Eine Besonderheit der Gottesdienste in der Brüdernkirche
waren die Frühgottesdienste zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, die sog.
Metten, die sehr beliebt waren und von dem Knabenchor der Gemeinde mitgestaltet
wurden. In der Weihnachtszeit gab es also am 24. abends die Christvesper, am
25. um 6.00 die Christmette und um 10.00 den Hauptgottesdienst. Diese Metten
hatten noch nicht den liturgischen Reichtum, mit dem sie heutzutage in der
Brüdernkirche ausgestattet werden.
Am Karfreitag wurde im Gottesdienst die Litanei angestimmt.
Die liturgischen Traditionen in der Brüdernkirche beginnen also nicht erst mit
Max Witte in der Nachkriegszeit, sondern erheblich früher.
Selten werden die Leserinnen und Leser des
Brüderngemeindebriefes seinerzeit so viel Gelegenheit gehabt haben,
Lutherzitate, längere Auszüge aus den Erklärungen aus Luthers Großem
Katechismus, aus Predigten und Briefen zu lesen, wie damals 1935-1937, z.B.
Luthers Erklärung zur dritten und vierten Vaterunserbitte, eine Auslegung zum
Psalm 104, über das Leid, „von der Würde des weltlichen Berufes, über
Verantwortung für die rechte Erziehung der Jugend, über den Glauben und freien
Willen.[39]
Das Bedürfnis, an die Reformation und Theologie Luthers anzuknüpfen, war
seinerzeit groß und in Mode.
Wagner startete ab März 1936 auch eine Reihe zur
Erwachsenenbildung und druckte kleine Abschnitte für eine Laiendogmatik aus den
Nachrichten des Ev. Bundes unter der Rubrik „Evangelische Besinnung“ ab, in
denen über „Der unbekannte Gott“, „die Offenbarung Gottes“, „Gott in Christus“,
„Die Herrschaft Gottes“, „Was ist Sünde?“, „Gottes Gericht“, „Rechtfertigung“
u.a. abgehandelt wurde. Der Leser wurde in seinem Bedürfnis, auch in Lehrfragen
unterrichtet zu werden, ernst genommen. Wagner richtete eine „Stunde
evangelischer Lehre“ ein, „dass wieder rechte Lehre in unserer Gemeinde
wachse“.[40]
Wagner unterhielt den Leser durch Historisches („Warum unsere
Kirche keinen Turm hat“), und veröffentlichte die Reihe der evangelischen
Pfarrer an der Brüdernkirche, Dr. Endtricht berichtete aus der Geschichte des
Johannishofes, der früher dort stand, wo heutzutage das alte Reichspostgebäude
steht.[41]
Zum heiklen Thema der Christianisierung der Germanen
veröffentlichte er einen Beitrag von Kurt Hutten.[42]
Vor allem waren es die persönlichen Nachrichten aus der
Gemeinde, über Taufen, Trauungen und Beerdigungen, vom 25jähriges
Gemeindejubiläum der Diakonisse Schwester Martha,[43]
vom Tod der unermüdlichen und bis ins hohe Alter regen Karoline Brauckhoff, von
den beliebten monatlichen Familienabenden im Sächsischen Hof oder im Würzburger
Hof und Berichte von Ausflügen der Frauenhilfe, die das Interesse der Leser
fanden.
Die Gemeindebriefe waren mit der Wiedergabe von Artikeln
von Paul Althaus, Wilhelm Stapel, August Winnig, Otto Henneberger ein
Spiegelbild der damaligen theologischen Mode. Er war von deutsch-christlichen
Phrasen frei, er gab sich fromm, „gut lutherisch“, völkisch einwandfrei,
zunehmend auch „entpolitisierend“.
Wagner selber trennte sich im Laufe des Jahres 1935 von
den Deutschen Christen und tendierte zu einem orthodoxen Kirchenverständnis.
„Wer zu dieser Kirche gehört und sich von ihr löst, trennt damit sich zugleich
von Gott.. Das mag eine harte Rede sein. Aber sie ist notwendig angesichts der
Leichtfertigkeit, mit der die Menschen sich heute schon wieder von der Kirche
trennen“.[44]
Unermüdlich warb Wagner daher für den Gottesdienstbesuch und den Besuch des
Abendmahls. [45]
In der Frauenhilfe wurde der Gottesdienst zentrales Thema. Am Muttertag 1935
hielt Wagner für die Frauenhilfe im Anschluss an den Gottesdienst eine
Abendmahlsfeier. Das 10-jährige Bestehen der Frauenhilfe wurde am 7.6.1936 mit
einem Abendmahlsgottesdienst begangen und zum Abendmahl blieben 80
Frauenhilfsmitglieder.
Dieser Wandel von den Deutschen Christen zur lutherischen
Mitte hin konnte auch von dem neuen Kollegen befördert sein, den Wagner auf der
zweiten Pfarrstelle von Brüdern erhalten hatte. Es war der frühere Domprediger
Karl v. Schwartz. Wagner verließ die Gemeinde auf eigenen Wunsch in Richtung
Thüringen, woher er gekommen war.
Ab November 1937 redigierte der Nachfolger, der 28 Jahre
alte Pfarrer Dr. Kurt Uhrig den Brüderngemeindebrief. Uhrig kam aus dem
Hessischen, hatte bereits Gemeindeerfahrung, war kurz auf einem Dorf und dann
zwei Jahre, von 1935-37, in einer Großstadtgemeinde in Frankfurt a.M. gewesen.
1936 war er ordiniert worden. Er hatte promoviert, also ein junger, kluger
Pastor, der sich noch etwas in der evangelischen Kirche umsehen wollte, bevor
er sich in seiner Heimat fest niederlassen würde. Er hatte wieder eine
Großstadtgemeinde gesucht und war vom Raum der Brüdernkirche begeistert. Der
betagte Kirchenrat Schmidt von der Johanniskirche schrieb von der
Vorstellungspredigt Uhrigs: „Predigt in fesselnder und redegewandter Form.
Kindergottesdienst auch fesselnd, die ziemlich zahlreich erschienene Gemeinde
durchaus befriedigt, von 14 Kirchenvorstehern waren 11 erschienen“. Sie wählten
ihn alle.
Von Uhrig sind bis 1941 sieben Predigten (u.a. zwei zur
Konfirmation, zum Erntedank, zum Jahreswechsel) wiedergegeben, außerdem
Predigten von Leistikow, v. Wernsdorff, v. Bodelschwingh.
Uhrig berichtete von einigen Großveranstaltungen in Brüdern.
Auffällig sind die teils rührenden Holzschnitte, die zum Kindergottesdienst
einladen wollten. Da gaben sich ein deutsches Ehepaar und ein BdM Mädchen und
ein Hitlerjunge die Hand und schritten durch ein Portal. [46]
Verschiedene umfangreiche Vorträge gaben der Innenstadtgemeinde intellektuelles
Futter: von Otto Henneberger „Luther der Evangelist der Deutschen“, von Uhrig
„Christentum auf britisch“, der auch vom Katharinengemeindebrief übernommen
wurde. Darin wollte Uhrig nachweisen, dass die anglikanische Kirche keine
ordentliche christliche Kirche sei. Der Vortrag ist ein Beispiel für das
Eindringen der Propaganda während des Krieges.[47]
Seit 1938 öffnete sich der Brüderngemeindebrief ziemlich
aufdringlich mit Texten und Bildern der nationalsozialistischen Propaganda,
mehrfach zum Geburtstag Hitlers, ganz ähnlich wie Pastor Koenig im
Michaelisboten. Den Einmarsch Hitlers in Prag, der den Bruch des Münchner
Abkommens bedeutete, und die Einverleibung Memels kommentierte der
Gemeindebrief als „große Geschichtsstunde: Aus Schmach und Schande hat uns der
Führer herausgerissen und in einer unerhört kurzen Zeit einen steilen Weg zur
Höhe geführt“. Der für jeden erkennbare Rechtsbruch des Völkerrechtes wurde in
Kauf genommen. Der Weg von Volk und Kirche „führte in die Höhe“.
Diese fünf verschiedenen Gemeindebriefe enthalten insgesamt
ca 40 Predigten, die in den Braunschweiger Stadtkirchen zwischen 1933 und
1941gehalten worden sind. Die Predigten wurden zu verschiedenen, meist
kirchlichen, einige auch zu tagespolitischen Anlässen gehalten. Das bestehende
politische Unrechtssystem wurde als von Gott gegeben vorausgesetzt und bejaht.
Innerhalb dieser Bejahung jedoch erwiesen sich viele Predigten als geistige
Orte abseits von Propaganda und Parteiphrasen. Das war ein doppelköpfiger
Charakter dieser Predigten.
Die zahlreichen Gemeindenachrichten sind ein
widersprüchliches Spiegelbild für die Gemeindesituation im
nationalsozialistischen Kirchenalltag. Sie zeigen ein kirchliches Eigenleben
neben der Partei, und die Kirchengemeinde auch als einen geschützten Ort. Je
nach der Grundeinstellung des Gemeindepfarrers waren sie dazu
deutsch-christlich verseucht, oder boten das Bild einer Mitläuferkirche.
Der Gemeindebrief der evangelisch-reformierten Gemeinde[48]
Von den Gemeindebriefen der landeskirchlich-lutherischen
Stadtgemeinden hebt sich der Gemeindebrief der evangelisch-reformierten
Gemeinde ab. Die „Nachrichten aus der evangelisch-reformierten Gemeinde zu
Braunschweig“ erschienen bereits 1907, sie sind also das älteste Gemeindeblatt.
Aus finanziellen Gründen hatte es in den Jahren 1933 und 1934 sein Erscheinen
einstellen müssen, aber ab 1935 bis 1941 konnte Pfarrer E. Frielinghaus wieder
ein Blatt herausbringen. Die 3.601 Gemeindemitglieder sammelten sich in der
Bartholomäuskirche und in der Mühlenkirche in Veltenhof. Das Blatt diente vor
allem der Sammlung der über das ganze Stadtgebiet verstreuten
Gemeindemitglieder.
Es enthielt vor allem Nachrichten aus der Gemeinde,
Gottesdienstzeiten und Veranstaltungen der Gruppen.
Pastor Frielinghaus hatte sich dem Kreis des Braunschweiger
Pfarrernotbundes angeschlossen und gehörte dort dem „linken“ Flügel, den sog.
Dahlemiten an, die jeden Kompromisskurs konsequent ablehnten. Das wird auch am
Gemeindeblatt deutlich. Huldigungen an Hitler, wie sie in allen lutherischen
Gemeindeblättern üblich waren, kamen im reformierten Blatt kaum vor. Deutlich
ist die Distanz zur Person und zur Politik Hitlers. Es gab die Ausnahme eines
Dankgottesdienstes anlässlich der Saarabstimmung im Januar 1935, in dem
Frielinghaus zeitgemäß Gott als Herrn der Geschichte ganz besonders am Werke
sah. „Da ließ Gott eines Tages den Führer die Einigung Deutschlands gelingen.
Da gibt Gott fort und fort unserm Führer die Gelegenheit, das große Werk der Erziehung
unseres Volkes zu beginnen und weiter zu treiben.“ Nach dem Volksentscheid an
der Saar stehe noch der Volksentscheid für Jesus Christus an.[49]
Ansonsten enthielt sich Frielinghaus zustimmender Kommentare insbesondere zur
Außenpolitik Hitlers ab 1938.
Ursula Führich-Grubert bedauert latentente antisemitische
Passagen in den Äußerungen von Frielinghaus,[50]
aber diese ändern nichts an dem grundsätzlichen Eindruck, dass sich in den
Gemeindebriefen keine Spur von deutsch-christlichen Ausfällen findet und von
einer Bindung an Hitler auch keine Rede sein kann. Darin hebt sich das Blatt
von den Gemeindebriefen der lutherischen Stadtkirchen sympathisch ab.
Im Vergleich fällt auf, dass Frielinghaus das vorsichtig
kritische Wort des Reichskirchenausschusses an die Gemeinden veröffentlichte.[51]
Der Reichskirchenausschuss hatte provisorisch im Auftrag des
Reichskirchenministers Kerrl die Zentralleitung der Deutschen Evangelischen
Kirche übernommen. In seinem Wort an die Gemeinden erinnerte der
Reichskirchenausschuss, den Glauben an Jesus Christus nicht zu verfälschen. Er
beanstandete, dass der christliche Glaube in vielgelesenen Wochenzeitungen und
Zeitschriften verächtlich gemacht werde, Aufmärsche und Versammlungen am
Sonntag Vormittag abgehalten würden und der Religionsunterricht, die
evangelische Kindergartenarbeit und die evangelische Jugendarbeit nicht
beeinträchtigt werden dürften. Die Entkonfessionalisierung der Familie bedeute
die Entchristlichung des Volkes. In den lutherischen Gemeindebriefen befindet
sich kein Hinweis auf dieses Wort des Reichskirchenausschusses, das
offensichtlich schon als zu systemkritisch verstanden wurde.
Neben den Gemeindebriefen konnte das Blatt der Lutheraner
„Ruf und Rüstung“, das bei Wollermann gedruckt wurde, und das Blatt der Inneren
Mission „Braunschweiger Volksblatt“, die beide ebenfalls bis 1941 erschienen,
gelesen werden.
Ein Blick auf diese kirchliche Regionalpresse widerlegt das
Urteil vom totalen, autoritären Staat, in dem alles verboten wurde. Es gab
viele Freiräume in Hitlers militantem Staat.