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[Kirche von unten]



Ansichten einer versunkenen Stadt

Die Braunschweiger Stadtkirchen 1933 - 1950

von Dietrich Kuessner


18. Kapitel

Die Bindung der Pfarrerschaft an Person und Politik Hitlers

Es war das erklärte Ziel des Propagandaministers Joseph Goebbels, mit allen verfügbaren Mitteln damaliger Kommunikation die deutsche Bevölkerung immer enger an die Person und die Politik Hitlers zu binden. Das ging über eine zeitweise Zustimmung der Bevölkerung zu einigen begrenzten Zielen Hitlers weit hinaus. Das Ziel lautete: Gefolgschaft der Bevölkerung in blindem  Gehorsam.

Es entsprach der persönlichen irrationalen Bindung von Goebbels und seiner Familie an die Person Hitlers, die bekanntlich bis in den schauerlichen Selbstmord beider Familien in Berlin reichte. Es reichte nicht mehr zu einer Loslösung von Hitlers Person, sondern die Bindungen waren derart emotionalisiert, dass eine Trennung lebenszerstörend wirken musste. Was Goebbels seit 1933 und in den folgenden Jahren mit immer größerem Erfolg bewirkte, blieb auch auf die Kirche nicht ohne Einfluss, zumal die religiöse Redeweise für Goebbels zum rhetorischen und psychologischen Bindemittel gehörte.

Die Braunschweiger Landeszeitung veröffentlichte am 1. Januar 1935 die Silvesteransprache von Goebbels unter der Überschrift auf Seite eins: „Gott segne den Führer und sein Werk.“ Goebbels sprach von Enttäuschungen mancher Art, und von Nörgeleien hier und dort, aber es beginne sich eine „Kameradschaft des ganzen Volkes durchzusetzen“. Goebbels beendete seine Ansprache mit: „Die ganze Nation bittet in inbrünstigem, heißen Gebete den Lenker aller Menschen- und Völkerschicksale, dem Führer Gesundheit, Kraft und eine gesegnete Hand bei all seinem Tun und Lassen zu verleihen.

Er ist unser Schicksal, nach dessen Gesetz wir angetreten sind, die Hoffnung, auf die wir bauen, der Glaube, mit dem wir uns fest und vertrauensvoll dem harten Leben stellen. Gott segne den Führer und sein Werk.“

Die Rede Goebbels’ ging über eine Sympathiewerbung für die nationalsozialistische Politik weit hinaus. Sie redete der Bevölkerung Hitler als Schicksal, Hoffnung und Glaube ein. Goebbels hob Hitler über eine wechselhafte Tagespolitik hinaus als ein Schicksal, dem sich die Bevölkerung nicht entziehen, das man schon gar nicht abwählen konnte. Hitler als Gegenstand des Glaubens sollte ihn keinesfalls mit Gott vergleichen, das verbot schon die wiederholter Anrufung Gottes um seinen Segen, aber mit Glaube verband Goebbels Hingabe und grenzenloses Vertrauen, das er selber und das nun auch die Bevölkerung Hitler entgegenbringen sollte. Zu einer lebenslangen Bindung.  

 

Im Sommer 1933 stellte der Juwelier Dörbrandt im Langen Hof eine Hitlerbüste des Braunschweiger Bildhauers Prof. Jakob Hofmann aus. Dazu schrieb die Braunschweiger Tageszeitung: „Der Wahrheit und Frömmigkeit kündende Mund aber auch die schauenden Seheraugen zeugen von der hohen Kunst unseres heimischen Bildhauers, aus totem Stoff höchstes geistiges Leben zu formen.“ [1]

Die Frömmigkeit Hitlers war 1933 ein öffentliches Thema. Sie hatte mit dem tatsächlichen Glauben Hitlers nichts zu  tun. Aber sie gehörte zum zur Schau gestellten Bild, das die Propaganda der deutschen Öffentlichkeit andichtete und das begreiflicherweise von großen Teilen der Kirche aufgenommen wurde.

 

Die Bindung des überwiegenden Teils der Deutschen Evangelischen Kirche an die Person und die Politik Hitlers ist keine Besonderheit der Braunschweiger Stadtpfarrerschaft, aber die Braunschweiger Stadtpfarrer bildeten auch keine Ausnahme von diesem allgemeinen Befund. Die Verbundenheit hatte viele Fäden. Die einen fanden die Politik Hitlers anziehend, weil sie, wie sie meinten, erfolgreich war. Andere sahen in Hitlers autoritärem Staat die brauchbare Alternative zu ihren Erfahrungen in der Weimarer Republik. Eine moralische Bindung ergab sich für sie durch die fällige Unterordnung unter den vorhandenen Staat. Diese Bindung nahm viele unterschiedliche Formen an.

 

Der fromme Hitler – eine Kitschgeschichte

Kitsch ist das sicherste Kriterium für die Popularität des verkitschten Gegenstandes ist. In der kirchlichen Presse, so auch im Braunschweiger Sonntagsgruß, kursierte 1934 folgende Kitschgeschichte. [2] Hitler bekommt auf dem Obersalzberg Besuch von einem Gartenarchitekten und dessen Onkel mit langem, weißem Bart. Der würdige Herr ist der berühmte „Vater Kuhlo“, ein musikalischer Künstler mit dem Waldhorn, der in Bethel, den Bodelschwingschen Anstalten für geistig Behindertc, wohnte und arbeitete. Ein verehrter Mann im Dienst der Kirche. Hitler fragte Kuhlo, warum er ein Horn umgehängt habe. „Da setzte der Posaunengeneral sein  Horn an, und die ganze Fülle der Melodien der schönsten Kirchen- und Volkslieder quoll aus dem Horn, klangen über Berge und Täler. Überall blieben die Einheimischen und die fremden Gäste stehen, hörten und lauschten und staunten. Hitler drückte Vater Kuhlo die Hand und sagte: „Sie haben mir eine unendliche Freude bereitet.“

Wie staunte der Führer, als er hörte, dass Vater Kuhlo fast 80 Jahre alt wäre und wie herzlich lachte er, als Kuhlo sagte: „Herr Reichskanzler, ich habe auch nie geraucht!“ „Ich auch nicht“, erwiderte Hitler. „Ich habe auch nie Alkohol getrunken!“ „Ich auch nicht, erwiderte Hitler. „Ich esse aber auch fast gar kein Fleisch!“ „Tue ich auch nicht!“

Wenige Wochen später besuchte Kuhlo mit mehreren Diakonissen den Obersalzberg. Sie wollten Hitler so gerne einige Lieder singen. „Die verwitwete Schwester des Führers, die das Haus Hitler betreut, empfing die Gäste und erzählte, dass ihr Bruder am nächsten Tag kommen würde. Die Diakonissen baten, dem Führer einige Lieder singen zu dürfen, doch die Schwester bat, vorläufig davon abzusehen. Ihr Bruder komme stets völlig übermüdet und überarbeitet zu ihr, dass er zunächst einmal nur ruhe. Nicht nur Stunden, oft Tage lang. Aber dann wäre er wieder völlig frisch.“ Nach einigen Tagen rief die Schwester die Diakonissen an, ihr Bruder würde sich bestimmt über die Lieder freuen, aber es sollte eine Überraschung sein. „Fröhlich wanderten die Diakonissen los und sangen im Garten vor dem Haus ihre Lieder. Der Reichskanzler erschien, begrüßte alle Schwestern und nötigte sie in sein Haus zu einer Bewirtung.“ Bei diesem Besuch sei den Diakonissen „restlos aufgegangen, was den großen Zauber seiner Persönlichkeit, dem sich niemand entziehen könne, ausmacht: seine Schlichtheit , sein Güte.“ Hitler erklärt den Schwestern die Porträtbilder von Friedrich d. Gr., Luther und Bismarck, die an der Wand des Zimmers hingen. Von Friedrich d. Gr. habe er die Tapferkeit und von Bismarck die Staatskunst gelernt. Der größte von den dreien sei Martin Luther, weil er durch die Bibelübersetzung die Einheit der deutschen Stämme ermöglicht habe. „Seit ich hörte“ fuhr Hitler fort, „dass Bismarck an jedem Morgen die Losungen der Brüdergemeinde gelesen, tue ich das auch. Ich kann Ihnen versichern, das mir bei allen wichtigen Entscheidungen, die ich treffen muss, die Tageslosung der Brüdergemeinde wertvoll geworden ist.“ Eine Diakonisse fragte impulsiv: „Herr Reichskanzler, woher nehmen Sie den Mut zu den großen Umgestaltungen im ganzen Reich? „Aus Gottes Wort“, sagte Hitler und zog aus der Tasche das Neue Testament von Dr. Martin Luther, dem man deutlich ansah, dass es viel benutzt wurde.“

Diese kunstvoll konstruierte Geschichte zielte auf kirchliche Leserinnen und Leser. Diese kennen sich mit Bethel, mit dem Posaunengeneral Kuhlo, mit dem Beruf der Diakonissen, den Losungen der Brüdergemeinde aus. In dieses kirchliche Umfeld wurde Hitler komponiert. Wer sich darin bewegt, kann ja unmöglich gegen die evangelische Kirche sein. Hitler, ein aufgeschlossener Freund der Kirche, der sich über die Choräle von Kuhlo freut, Diakonissen die Hand drückt  und Luther für den größten Deutschen hält, soll der Leser denken.

Der Leser soll sich in zunehmendem Maße mit Hitler identifizieren. Dazu erzählt der Kitschkomponist von den Lebensgewohnheiten von Vater Kuhlo, die ganz dieselben wie Hitlers sind. Eine beglückende Identität, der sich der nichtrauchende und nichttrinkende Leser wohl anschliessen könnte. „Leben wie Hitler und Kuhlo“, lautet die Botschaft. Als Steigerung werden nach Kuhlo nun die Diakonissen in die Geschichte eingeführt und als Spannungselement eine Verzögerung eingebaut. Der bedauernswerte Führer ist völlig kaputt und abgearbeitet, er braucht erst mal Ruhe. Dann aber kommt der erlösende Telephonanruf.

Die Schwestern dürfen singen. Eine Überraschung für den Führer. Darauf wäre er selber nie gekommen. Die Spannung löst sich und wird einem neuen Höhepunkt zugeführt. Daher der Ortswechsel in einen Innenraum. Das kirchliche Umfeld wird um die Person Luthers erweitert. Welche Anerkennung für die Schwestern, die hier für die Kirche stehen. Luther sei der größte Deutsche. Der Höhepunkt wird gesteigert. Hitler liest wie Bismarck die Losungen. Der Höhepunkt erfährt eine letzte unüberbietbare Steigerung: Hitler zieht aus der Rocktasche ein zerlesenes Neues Testament. Hier hat der Kitschkomponist noch ein Überraschung eingebaut. Denn der Leser erwartet, dass Hitler die Losungen aus der Rocktasche zieht. Nein, es ist mehr: es ist das Neue Testament in der Übersetzung von Luther, nicht frisch gedruckt, zerlesen. Hitler liest also das Neue Testament, nicht etwa die ganze Bibel. Das würde die Frage aufwerfen, ob er etwa auch im Alten Testament lese.

Es ist völlig gleichgültig, ob dieser Geschichte, die Pfarrer Nacke im Kasseler Sonntagsblatt wiedergegeben hat, ein historischer Hintergrund zu Grunde liegt. Diese „Legende“ soll die enge Verbindung von Hitler und der evangelischen Kirche suggerieren. Dabei wird die Figur Hitlers allmählich aus der großen Naturkulisse der Bergwelt, die von Kuhlos Chorälen wiederhallt, in die kleine Kulisse des persönlichen Gesprächs mit den Diakonissen transportiert, schließlich in die historische Kulisse mit Luther, Friedrich d. Gr, und Bismarck gestellt, und endlich steht Hitler einsam und allein das Neue Testament lesend vor dem Leser.

Der „Sitz im Leben“ dieser Kitschlegende könnten die Lutherfeierlichkeiten im November 1933 sein, an denen sich der Staat nur mäßig beteiligte und einen solchen Kitsch zur Aufmunterung der Gläubigen brauchte. 

Die Folgen waren weitreichend. „Der fromme Führer“ war ein Klischee, das sich über die Anfangszeit in der evangelischen Kirche gehalten hat.

Die Katholische Kirchenzeitung berichtete eine inhaltlich ebenso kitschige Geschichte unter Überschrift „Mussolini und das Neue Testament“.[3]

 

Gebete für Hitler

Einprägsamer als der Kitsch und tiefer gehend war das beständige öffentliche Beten der Kirche für Hitler. Das Hitlerbild der Gemeindemitglieder konnte durch dieses stetige Gebet für den „Führer“ im sonntäglichen Gottesdienst der Kirche geprägt werden.

Wir können uns über diese Gebete ein genaues Bild machen. In der St. Georgkirche befindet sich ein Gebetbuch aus dem Jahre 1935, das, wie Bleistiftstriche vermuten lassen, auch benutzt worden ist.

1935 gab es Otto Dietz im Auftrag des bayrischen Pfarrervereins mit einem Geleitwort von Bischof Meiser unter dem Titel „Gebet der Kirche“ heraus. Es enthält auf 480 Seiten Gebete für das Kirchenjahr, für besondere kirchliche Feste, Allgemeine Gebete für besondere Anlässe, für Morgen- und Abendgottesdienste und für Jugendgottesdienste. Es sind größtenteils zeitlose Gebete, wie sie auch heute noch benutzt werden könnten, darunter aber auch solche, die immer wieder auf die aktuelle Situation Bezug nehmen.  

 

Zum Gebet der Kirche gehört traditionell seit Jahrhunderten das Gebet für die Regierenden, etwa mit folgendem allgemeinen Wortlaut:

„Segne, die zu seiner Führung berufen sind..“ (S. 7) „,verleihe aller christliche Obrigkeit deinen Geist der Weisheit, Gerechtigkeit und Stärke..“ (S. 15)

 

Während des gesamten Kirchenjahres konnte in dem Allgemeinen Fürbittgebet auch für die damalige nationalsozialistische Regierung gebetet werden:

 

Zu Silvester und Neujahr: „Walte mit deiner väterlichen Gnade über unserm Vaterland und seinem Führer (durchgestrichen). Habe Geduld mit unserm Volk, segne unsre Gemeinde immer von neuem mit den Gaben deines Geistes..“ ( S. 30)

 

oder: „..wir danken dir auch für alles, was du an unserer Gemeinde, an unserer Kirche, ihren Bischöfen und Pfarrern, an unserem Vaterlande und seinem Führer, ja an der ganzen Christenheit und an allen Menschen getan hast. O, du bist allen gütig und erbarmest dich aller deiner Werke.“ (S. 32)

 

oder: „Lasst uns bitten für unsere Kirche, dass sie auch im neuen Jahre bei deiner reinen Lehre bleibe; für unser Volk und seinen Führer, dass Gott mit seinem Segen über ihm in Gnaden walte. Lasset uns beten für unsere Häuser..“ (S. 33)

 

oder: „..Vor allem aber hilf uns zur rechten inneren Erneuerung, dass wir mit dem neuen Jahre auch ein neues Leben anfangen und weise uns deine Wege, dass wir allezeit tun, was vor dir gefällig ist. Deiner väterlichen Obhut befehlen wir unser Vaterland und den Führer und Kanzler unsres Volkes. Ach komme zu uns und segne uns mit der ganzen Kraft deiner ewigen Liebe..“ (S. 38)

 

Allgemeine Gebete zum Epiphaniasfest, dem 6. Januar, dem Fest der Hl. Drei Könige

„ Nimm unser Vaterland und seinen Führer in deinen gnädigen Schutz. Überwinde in unserm Volke die Mächte der Finsternis und stärke ihm den Glauben. Heilige das eheliche Leben in allen Ständen..“ (S. 45)

oder: „Lege deinen Segen auf die Führer unseres Volkes, damit dein heiliger Wille durch sie ausgeführt, der Sünde und Bosheit gewehret, dem Evangelium aber Bahn gebrochen werde...“ (S. 46)

 

oder: „..erhalte unser Volk und Land im Lichte deiner Gnade. Erleuchte die Obrigkeit, dass sie deine Gerechtigkeit mit Freuden übe; gib dem Führer unseres Volkes rechten Rat und rechte Tat zur rechten Zeit. Stärke die Eltern und Lehrer, dass unsere Jugend zu dir geführt werde“.

(mit Bleistift durchgestrichen) (S. 47)

 

Allgemeine Gebete für die Passionszeit ( S. 57 ff)

Die Passionsgebete standen unter der Überschrift „Das Wort  vom Kreuz“:

„Breite das Evangelium von dem Gekreuzigten und Auferstandenen immer mehr aus unter den Völkern, dass dein Heil offenbar werde bis an der Welt Ende.

Verleihe dem Führer unseres Volkes und aller weltlichen Obrigkeit die Gnade, nach deinem Willen zu regieren, auf dass die Gerechtigkeit gefördert, das Übel aber verhindert werde und wir in gutem Frieden unser Leben führen mögen.“ ( S. 63)

 

Oder: „.. Lass dir unsere Heimat und unser Vaterland und die du uns darin zur Obrigkeit gesetzt hast, befohlen sein; segne mit deiner Gnade den Führer und Kanzler unseres Volkes. Tröste alle, die in Trübsal, Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit und andere Nöten sind, mit deinem heiligen Geiste..“ ( S. 61)

 

Zu Ostern:

„Schenke deinen Osterfrieden aller Welt, auch unserm Volk und Land. Sei mit dem Führer (durchgestrichen) unseres Volkes und aller Obrigkeit. Regiere du in unserm Häusern und Schulen..“ ( S. 100)

 

zu: Pfingsten:

„Lass deinen Geist walten über unserem ganzen Lande und seiner Obrigkeit; unsern Führer (durchgestrichen) nimm in deinen gnädigen Schutz.“ (S. 116)

 

oder: „Segne unser Volk und hilf, dass es einen mächtigen Hauch deines Geistes verspüre. Behüte auch unseren Führer und alle Obrigkeit. Heilige unsere Sinne und Gedanken, unser Dichten und Trachten, und mache uns allesamt fertig, deinen Willen zu tun..“ (S. 118)

 

zum Trinitatisfest:

„Breite deine Güte aus über unser ganzes Land. Segne den Führer unseres Volkes mit deinen Erbarmungen. Nimm dich aller Not herzlich an..“ ( S. 123)

 

zum Kirchweihfest

„.. lass alle Kinder, die an dieser Stätte die heilige Taufe empfangen, zu deiner Ehre aufwachsen. Nimm unser Volk und seine Obrigkeit in Obhut, stehe unserem Führer bei mit deinem ewigen Rat. Gieße deine Geist über unsere Kirche aus..“ (S. 130)

 

zum Erntedankfest

„segne jede ehrliche Arbeit. Nimm dich besonders derer an, die unter der wirtschaftlichen Not unserer Zeit seufzen. Beschütze unser deutsches Volk und segne seinen Führer. Walte mit deiner Gnade über Kirche und Schule, Haus und Gemeinde..“ (S. 134)

 

Unter „Das Leben im Glauben“

„Himmlischer Vater. Erfülle deine Kirche mit deinem heiligen Geiste, dass sie die Treue gegen dein Wort durch lebendige Liebe erweise. Segne unsere Heimat und unser Vaterland. Erhalte unserem Volke Gottesfurcht und Nächstenliebe und breite dein Reich immer weiter aus in Stadt und Land. Lass deine Gnade walten über dem Führer und Kanzler des Deutschen Reiches. Segne alle Stände deiner Christenheit, vornehmlich den Hausstand..“ (S. 265) (Führer und Kanzler durchgestrichen).

 

Unter „Volk und Vaterland“: 

„Sei und bleibe du, unser Gott, wie du der Gott unserer Väter gewesen bist; so wollen wir dein Volk sein und dir in aller Furcht und völligem Vertrauen dienen. Du hast der Menschen Herzen in deiner Hand; so sei auch mit dem Führer unseres Volkes. Gib ihm Weisheit von oben; lass ihn die Stimme des Volkes hören, aber auch des Volkes Erzieher und Vorbild sein: mehre in uns die Liebe zur Wahrheit, christlichen Mut, guten Rat. Behüte, lieber Herr und Gott, alle, die Gewalt haben, vor Heuchlern und Schmeichlern. Schütze sie durch deine heiligen Engel. Segne das ganze Land und schaffe unseren Grenzen Frieden durch den rechten Friedefürsten, unsern Herren Jesum Christum. Amen.“.“ (S. 278)

 

Zum Nationalen Feiertag der Arbeit

„Erfülle mit deinem Geiste alle, die für sein (des Volkes) Wohlergehen zu sorgen haben, insbesondere den Führer und Kanzler des Deutschen  Reiches. Gib Gerechtigkeit und guten Willen denen, die zu gemeinsamem Schaffen berufen sind..“ (S. 291).“

 

Unter „Obrigkeit und Volksvertretung“

„Ewiger Gott und Vater. Wir sagen dir Lob und Dank, dass wir im Frieden (eingeklammert) dein Wort hören und deinen Namen bekennen dürfen. Erhalte unserm Volke auch fernerhin dein Wort. Gib allen, die in der Regierung des Landes sein Bestes suchen sollen, voran unserm Führer und Reichskanzler, deine Gnade, dass sie mit Gerechtigkeit das Volk pflegen und leiten, Ordnung und Zucht erhalten, Frieden und Versöhnung fördern. Gib, dass unser Volk in Wahrheit dein Volk sei..“ (S. 284)

 

Anmerkungen zum Fürbittgebet

Der Liturg konnte wie bisher ganz allgemein für „alle Obrigkeit“ beten. Die Formulierung nannte bewusst Sammelbegriffe: alle Notleidenden, alle Armen, alle Eheleute, und nun auch alle Obrigkeit.

So konnte auch für „alle, die zur Führung berufen sind“ oder „ für alle Führer“ gebetet werden. Die Optik für den Mitbetenden änderte sich jedoch, wenn statt des Sammelbegriffes speziell „der Führer“ oder „der Reichskanzler“ genannt wurde. Da bekam der Genannte für die betenden Gemeinde sofort ein Gesicht, das Gesicht Hitlers. Das war vergleichsweise zu Kaisers Zeiten auch so: als für den Kaiser gebetet wurde, da hatte es das Gesicht von Wilhelm II. Also nichts Neues für den Liturgen und für die Gemeinde, aber ein hörbarer, selbstverständlicher Gesichtswechsel. Die Benennung des Führers in der Einzahl machte ihn unverwechselbar mit Adolf Hitler.

Wenn sich der Liturg der Sammelbegriffe bediente, war die Aufzählung: alle Obrigkeit, alle Familien und Häuser, unsre Schulen, alle Kranken und Notleidenden etc relativ beliebig und konnte lange fortgesetzt werden. Das änderte sich, wenn „der Führer“ benannt wird. Da entstanden neue Zusammenhänge. Klassisch ist die Zusammenstellung „der Führer und seine Räte“. Da blieb Hitler in seinen politischen Zusammenhängen. Anders klang es dagegen zu Silvester, wenn die Aufzählung lautet: die Bischöfe, der Führer, die ganze Christenheit“. Der Liturg versetzte Hitler in einen kirchlichen, gehobenen Zusammenhang, Oder wenn es zum Epiphaniasfest hieß: „Vaterland und Führer, Mächte der Finsternis, eheliche Leben in allen Ständen.“ Da befand sich Hitler im Kampf mit den Mächten der Finsternis und zusammen mit denen im beruhigenden, geheiligten Ehestand. War das für den Mitbetenden von der gedanklichen Umsetzung her eine Überforderung oder wirkte sie wie „beliebig Kraut und Rüben“ und sorgt für frühzeitige „Abschaltung“ des Betenden? Eine besondere Aufzählung erfolgte am Kirchweihfest: „heilige Taufe, Obrigkeit und Führer, Geist über unserer Kirche“.

Der Liturg konnte bei der Fürbitte die schlichte Form wählen: „Wir bitten dich für unsere Obrigkeit“, der eine knappe Bitte angefügt wurde, z.B. „segne sie,“ oder: „verleihe ihr deinen Geist“. Es fällt dann auf, wenn es nicht bei einer knapp angefügten Bitte blieb, sondern zu einer wuchtigen Aufzählung kam wie der zur Passionszeit: „dass Gerechtigkeit gefördert, das Übel verhindert werde und wir in gutem Frieden unser Leben führen möge“. Da kann der Mitbetende leicht testen: hat Hitler Gerechtigkeit gefördert? Hat er Übel verhindert? Leben wir unter ihm in gutem Frieden? Hat Gott ihm diese Gnade schon gewährt, dann stehen die Aussichten auch weiterhin auf Gerechtigkeit und Frieden gut.

In der Fürbitte bringt der Liturg die aufgerufenen Gruppen „vor Gott“, bildlich: vor seinen Thron und fügt Bitten an. So wurde in der Fürbitte Hitler vom Liturgen vor Gott hingestellt, nicht in einer Gruppe, sondern als Einziger im Singular. Dort erhielt Hitler nicht nur den Segen Gottes, sondern erhielt, wie der Liturg erwähnte,  „rechten Rat und rechte Tat“. Der kirchliche Raum füllte sich mit einer mystischen religiösen Gegenwärtigkeit, erfüllt von den Bitten des Liturgen, der mitbetenden Gemeinde, vor allem aber vom segnenden und manche gute Gabe bereithaltenden Gott.

So ging es das ganze Kirchenjahr, alle hohen Feste hindurch.

Was bedeutete diese fortwährende, fast beschwörende Benennung Adolf Hitlers im evangelischen Gottesdienst für das Hitlerbild der Gemeinde? Für die Vertiefung des Hitler-Mythus? Für das politische Bewusstsein der Gemeindemitglieder?

Diese Gebetsformen wurden in der Kriegszeit noch enger. Propst Leistikow ermahnte seine Braunschweiger Amtsbrüder Ende August 1940: „Nun stehen wir schon ein ganzes Jahr in diesem Krieg. Wieviel Dank für Gottesgnade muss da in unsern Herzen aufklingen. Aber noch liegt ein schwerer Gang, vielleicht der schwerste in diesem ganzen Krieg vor uns. Dann lassen Sie uns weiterhin treu sein in unsrem seelsorgerlichen Dienst, vor allem im Dienst der Fürbitte für unser Vaterland, für unsre stolze Wehrmacht und für den siegreichen Feldherrn, unsern großen Führer. Lassen Sie uns weiterhin treu sein in unsrer Fürbitte für die Brüder, die nicht mehr unter uns sind..“[4]

 

Hitlerverehrung in Predigten

Es gab Predigtanlässe, in denen der Name Hitlers unvermeidlich erscheint, z.B. bei einem Dankgottesdienst für das fulminante Wahlergebnis bei der Saarabstimmung im Januar 1935, oder wie bereits gezeigt, bei Dankgottesdiensten nach der Mordaktion Hitlers gegenüber der SA und einem Teil des Bürgertums.

Wie bei den Fürbitten tauchte manchmal unversehens das nationalsozialistische Geschichtsbild und der Name Hitlers auch in den Predigten an den hohen Festen, zu Weihnachten, Passion, Ostern, Pfingsten auf.

Hitler hatte seine Soldatenzeit als fruchtbare, ihm Unterhalt und Anerkennung verschaffende Lebenszeit empfunden, die darauf folgende Weimarer Zeit hingegen als Katastrophe. Er stand vor dem beruflichen Aus; sein infantil geplanter Marsch von München nach Berlin im Jahre 1923 brach schon nach paar Metern zusammen und war peinlich. Weimar war für Hitler schrecklich. Dieses jeder historischen Realität hohnsprechende Schreckbild der Jahre 1919-1932 wurde pausenlos in der Parteipropaganda in die Öffentlichkeit getragen und von der Kirche übernommen. Obwohl die Landeskirche unter erschwerten Bedingungen sich endlich wunschgemäß von den staatlichen Bindungen (Thron und Altar) befreit hatte und nach dreihundertjähriger Vakanz endlich wieder einen Bischof in der Leitung ihrer Landeskirche hatte und sich die finanziellen Verhältnisse der Landeskirche und auch die persönlichen der Pfarrer wesentlich erholt und gebessert hatten, stimmte auch die Landeskirche in das unzutreffende, verdrehte Bild der Weimarer Zeit als einer Leidenszeit, einer Passionszeit an.

„Leidenszeit ist es für unser ganzes Volk seit dem Weltkrieg geworden. In seiner ganzen wuchtigen Größe liegt das Leid über unserm Volk.“ Der Sinn des Leides sei es, dass das Reine und Gute in den Gemeindemitgliedern wachse und die Sehnsucht nach Gott und der Ewigkeit geweckt werde, so Pfarrer Walter Benndorf in der Martinikirche.[5]

 

Es lag nahe, wenn man einmal das Bild der Passionszeit für die Weimarer Zeit gewählt hatte, die neue Zeit mit Ostern zu verwechseln. „Was ist im letzten Jahrzehnt über uns dahingebraust. Unseres Volkes gerechte Sache unterlag, brutale Gewalt hat uns zu Boden geschlagen und will uns zu Tode quälen, rohe Kräfte zerstörten sinnlos das deutsche Haus, Enttäuschungen über Enttäuschungen haben wir erlebt...In der Kraft des Auferstandenen lasst uns ..von innen  heraus an der sittlichen und religiösen Wiedergeburt des deutschen Volkes schaffen, das ihm nach Winternacht und Wintergrauen ein neuer Frühling erblühen mag... Deutsche Passionsnächte waren noch immer die Geburtsstunde lichten Heldentums. Es geht wie ein Frühlingsahnen durch die deutschen Eichenwälder. Dem bitteren Karfreitagsleid dieser Tage folgt dennoch ein deutsches Ostern.“ [6] „Ostergewissheit“ hatte Pfarrer Benndorf diese Andacht überschrieben. Die biblische Osterbotschaft aber in Beziehung zu setzen mit der sittlichen und religiösen Wiedergeburt der deutschen Bevölkerung ist eine unverzeihliche homiletische Frivolität. Der Begriff eines „deutschen Ostern“ stammte bereits aus den Freiheitskriegen, war indes eine sprachliche Unverschämtheit. 

 

Das erste Halbjahr 1933 war von unerhörten Hoffnungen gefüllt, insbesondere die auf ein christliches Deutschland, das in seiner Gesamtheit zum christlichen Glauben zurückfinden würde. Damit sollten die seit der Renaissance, der Aufklärung, der französischen Revolution in Gang gekommenen Säkularisierungswellen wieder zurückgeworfen werden. ein leicht erklärlicher, historischer Unfug.

Ausdruck dieser Hoffnung war der dringende kirchliche Wunsch, die deutsche Bevölkerung möchte wieder beten lernen, wie es Pfarrer Benndorf in seiner Andacht über Jakobus 5,16  „Betet füreinander. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“ unter der Überschrift „Ein betendes Volk“ äußerte: „Ein neuer Frühling ist angebrochen in unserm Vaterland, die deutschen Menschen haben aus aller Zerrissenheit sich zusammengefunden und wollen als ein Volk eine schönere deutsche Zukunft bauen. Das kann nur gelingen, wenn das deutsche Volk wieder ein betendes Volk wird.“[7]

 

Wer sich auf die schiefe Ebene der Parallelitäten von Passion = Weimar; Ostern = deutsche Auferstehung begeben hatte,  für den war das Sprachwunder, von dem die Pfingstgeschichte redete, nicht das Wunder, dass alle unterschiedlichen Völker die Jünger in ihren Sprachen von den großen Taten Gottes predigen hören, sondern – man höre und staune – ein Ausdruck „urgewaltiger deutscher Kraft“.  Pfarrer Benndorf zum Pfingstfest 1933 über das Pauluswort (2. Tim. 1,7) „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft“ unter der Überschrift: „Der Geist der Kraft“:

„Wie geben sie (diese Bibelworte) die Stimmung dieser Tage wieder.“ Das Unfassbare sei Wahrheit geworden: „Deutschland ein einig Volk von Brüdern“. „Wir sollten nun endlich bannen alle Furcht und jegliche Sorge und jener urgewaltigen deutschen Kraft vertrauen, in der sich uns der lebendige Gott in diesen Frühlingstagen Deutschlands so wunderbar und sichtbar  gezeigt hat...Pfingsten ruft uns auf zu einer einzigen Tat und die Tat heißt: Die Herzen zu Gott und die Kirche ans Werk zum Bau eines neuen Deutschland“. [8]

Tatsächlich aber durchzogen die deutsche Bevölkerung unter der Hitlerregierung tiefe Gräben: zwischen Linken und Rechten, zwischen Parteigenossen und bloß Volksgenossen, zwischen Aufsteigern und Nutznießern des Systems und den zu kurz Gekommenen, zwischen SA und SS, zwischen Deutschen, die zu Juden gemacht wurden und den Arischen. Es war eine leicht durchschaubare, zerklüftete „Volksgemeinschaft“ von Anfang an. Das Wort von dem „einig Volk von Brüdern“ war eine aufgeblasene Goebbelspropaganda, die auf keiner Kanzel einen Platz hätte haben dürfen, und schon gar nicht zu Pfingsten.

„Da kam wie ein großes Wunder ein neuer Frühling über deutsches Land. Durch einen Mann, einen Propheten, wie Gott ihn nur einmal in Jahrhunderten einem Volk schenkt, und seine Getreuen ward Deutschland im zähen Kampf den Armen des Todes entrissen.“ [9]

 

In der Weihnachtspredigt 1933 sah Benndorf in dem Nebeneinander von Hirten und Weisen an der Krippe die unterschiedlichen Volksgruppen zu einer Volksgemeinschaft vereint. Das Christliche müsse das Bindeglied und die Brücke zwischen den Volksgenossen sein, die den Weg zurück noch nicht gefunden haben. „Heilige Weihnacht, gieße aus über deutsches Land dein Licht, deine Liebe, dein weltüberwindendes Leben.“[10]

 

In seiner Silvesterpredigt sah Benndorf dankbar auf das Jahr 1933 zurück und hoffnungsvoll in das neue.

„Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.“ Haben wir nicht Grund, Ihm von Herzen zu danken, dass er alles, alles wohl gemacht? Dass wir aus einem Jahr allergrößten Erlebens kommen dürfen, wo er seine Macht und Herrlichkeit aufs Neue an unserm Volk geoffenbart hat und durch sein auserwähltes Rüstzeug, unsern Volkskanzler und Führer Adolf Hitler, das Wunder vollbringen ließ, unser in Bruderhass und Zwietracht zerrissenes Volk  zu einigen und es vor dem Abgrund zu bewahren, in den es zu stürzen drohte? Nicht in äußeren, nicht die inneren Feinde unsres Volkes behalten das letzte Wort, das letzte Wort behält Gott. Der Führer ruft dich. Gott braucht dich und deine Arbeit für ihn und sein Werk. Ist das nicht eine wunderbare Geschichte, dass wir Gottes Mitarbeiter sein dürfen?“ [11]

 

Die „Aktualisierung“ eines Bibeltextes ist eine  bleibende Aufgabe. Wie springt der Prediger mit dem Text über den garstigen Graben der Geschichte in die Gegenwart? In einer Predigt über die Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum (Mt. 8,10), der Jesus die Fernheilung seines Knechtes zutraut, beschrieb Benndorf der Martinigemeinde „Die „Männer“ (so die Überschrift) seiner Zeit. Glaube sei etwas Männliches, Grosses, Heldenstarkes und Sieghaftes. „In Millionen von deutschen Männern ist dieser Hauptmann von Kapernaum wieder auferstanden. Wir denken an unsere Brüder, die im Weltkrieg im Donner der Schlachten standen: hinter sich die Heimat, vor sich den Tod und über sich den Lebendigen Gott. Wir denken an unsre Brüder, die im Aufbruch der Nation durchglüht vom Glauben an das neue Deutschland, ihre Leben geopfert. Wir hätten keinen Adolf Hitler und kein Drittes Reich ohne die wunderbaren sittlichen aus dem Glauben geborenen Kräfte.“ Der Prediger erinnerte an Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner, die als Männer des Glaubens dem deutschen Volk den Weg zu Sieg und Freiheit gezeigt hätten. „Und haben wir nicht heute ein ähnliches Erlebnis? Unser gottbegnadeter Führer hat sein Werk geschafft heraus aus dem unerschütterlichen Glauben an Deutschland und an das deutsche Volk und aus seiner inneren Frömmigkeit und seiner Gottesfurcht“.[12]

 

Eine besondere Versuchung stellte die Predigt am sog,. Heldengedenktag dar. Benndorf predigte am 17. März 1935 über 2. Sam. 10,12: „Sei getrost und lass uns stark sein für unser Volk und für die Städte unseres Gottes; der Herr aber tue, was ihm gefällt“ und wiederholte die schrecklichen Irrtümer vom seligmachenden Heldentod im 1. Weltkrieg:

„Aber wir sind getrost auch, weil wir wissen: ihr Sterben war nicht umsonst. Durch vierzehn Jahre schien es so, als wäre all ihr Heldenmut, all ihr Kämpfen und Bluten, ihr Hungern und Darben, ihr Sterben und Siegen umsonst gewesen, durch vierzehn Jahre der Knechtschaft und Zwietracht, der Ohnmacht und Schande und größter Jämmerlichkeit, wie war da deutsches Wesen in die Tiefe gesunken unter all dem hässlichen Geschehen jener Jahre. Die deutsche Seele eilte dem Abgrund zu. Da war es uns oft, als hörten wir das Wort, das Jesus auf seiner Marterstrasse den Frauen zurief, die voller Mitleid über ihn weinten: Weinet nicht über mich, sondern weinet über euch und eure Kinder. Da war es uns, als tönte die Stimme der Gefallenen aus der Ewigkeit zu uns herüber: ihr Deutschen, weinet nicht über uns, sondern über euch selbst und eure Kinder und euer Vaterland.

Aber, Gott sei ewig Lob und Dank, wir durften erleben das Wunder der Wiedergeburt Deutschlands. In letzter Stunde kam uns der Retter, von Gott gesandt, unserer Führer und Reichskanzler Adolf Hitler. Mit seinem unerschütterlichen Glauben an Deutschland und die deutsche Seele, und mit seiner beispiellosen Willenskraft hat er mit seinen Kampfgenossen aus dem Erleben der Front heraus ein neues Reich gebaut... So war ihr Heldentod nicht umsonst. Es erfüllt sich wieder an ihnen das heilige Gesetz des ewigen Gottes: durch Sterben zum Leben. Ihr Opfertod war eine gottgewollte Wiederholung des tiefsten Lebenswunders, von dem die Erde weiß, vom stellvertretenden Leiden und Sterben unsres Heilandes Jesu Christi...Wir danken es unseren Heldenbrüdern, danken es dem lebendigen Gott, der ihren Opfertod zum Segen werden ließ für unser Volk.

Wir sind getrost! Und nun wollen wir auch stark sein für unser Volk, wollen alle Kräfte Leibes und der Seele einsetzen, um im Geiste unsrer toten und ewig lebendigen Heldenbrüder d a s  Deutschland zu bauen, Schulter an Schulter, und Herz an Herz für das sie geblutet und ihr Leben geopfert haben, ein Deutschland der Ehre und der Freiheit, der Zucht und der Ordnung, der inneren Sauberkeit und der Gottesfurcht, ein Deutschland, in dem es heißen soll für alle Zeit: e i n Volk, e i n  Führer, e i n  Gott.“[13]

Am 24. Mai 1936 verabschiedete sich der 67 jährige Pfarrer Walter Benndorf nach 26 Jahren Pfarrer an Martini mit einer Predigt über Hebr. 13,8 „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“. Es war ein ausgedehntes traditionelles Christuslob, vermischt mit dem Bild eines zeitgemäßen Christus als „dem einzig großen Helden, der in seinem Leiden und Sterben ein Heldentum von einzigartiger, überwältigender Größe bewies, und als ein Heiland auch der Männerwelt heldenhafte Frömmigkeit von ihr fordert“.[14]

Wo Jesus als Held gepredigt wurde, war das Lob auf den Führer nicht weit entfernt. Unter dem „Jesus heute“ kam prompt das Lob der herrlichen Gegenwart von 1936. Im Zusammenhang:

„Der Jesus gestern muss aber zum Jesus Christus heute werden. Heute! Wir Deutschen haben Großes erlebt. Nach traurigen Jahren des Niedergangs, der inneren Zerrissenheit, der Schmach und Schande sind wir wieder ein einig Volk geworden, das seine Ehre und Freiheit wiedergewonnen hat durch unsern gottgesandten und gottbegnadetren Führer. Wir danken Gott immer wieder für dieses uns geschenkte wunderbare Heute.“ (S. 9)

Es ist die gebetsmühlenartige Wiederholung dieses verdrehten Propagandabildes, das auf die Dauer sich in der frommen Hörergemeinde festsetzt. Die Phrase von dem „einig Volk“ ohne Sozialdemokraten und Kommunisten, ohne ein Teil des Bürgertum, ohne die Braunschweiger Juden,  damals schon für alle sichtbar eine Ausgrenzungs- und Ausschließungsgemeinschaft -  aber von der Martinikanzel bei diesem feierlichen Anlass noch einmal wiederholt – wer mochte es seinem verdienstvollen Pfarrer Benndorf nicht abnehmen? So hat ein beträchtlicher Teil der Kirche ihre Gemeinden jahrelang in die Irre geführt. Dieses Heute brauche charaktervolle Menschen als „Erbauer und Träger eines neuen schöneren Deutschlands im Sinne unseres Führers, mit unbestechlichem Gewissensernst, stark in der Liebe zum Guten, stark im Abscheu vor dem Schlechten, immer zum Opfer, zum Einsatz ihrer Person bereit, der Volksgemeinschaft zu dienen in Wort und Tat“. (S. 9)

Und dazu die lebenslange Selbsttäuschung: „Ohne das Christentum  könnte auch das neue Deutschland nicht leben und gedeihen. Das darf ich sagen in vollster Übereinstimmung mit unserm großen Führer“ (S.9). So haben sich die treuesten Seelsorger, und nicht nur Benndorf, ein historisches Zerrbild zurechtgedacht und bis ans Ende bewahrt und gepredigt.

 

Der Hitlergruß – ein Gebet [15]

Der Hitlergruß war Anfang der 20er Jahre sozusagen eine Art Losungswort zur Begrüßung. Er bedeutete: man war unter sich, unter einer Fahne und Idee. 1926 wurde er für die Parteimitglieder zum Pflichtgruß. Er bedeutete Zugehörigkeit und Unterwerfung unter die Parteidisziplin. Der Hitlergruß wurde bei Parteiversammlungen von allen Beteiligten mit ausgestrecktem Arm wiederholt mit lautem Rufen durchgeführt. Er bedeutete Zustimmung zum Programm Hitlers. Schon vor 1933 war also bei Millionen von Deutschen der Hitlergruß als eine Art Parteiabzeichen bei Parteiversammlungen im Gebrauch. Im Juni 1933  wurde den Braunschweiger durch die Tagespresse mitgeteilt, dass ab sofort in den Behörden der Hitlergruß zu verwenden sei, nicht nur von Parteimitgliedern. Er hieß nun der „deutsche Gruß“, eine ziemliche Anmaßung, weil Hitler mit Deutschtum gleichgesetzt wurde und im Umkehrschluss jeder nicht Hitlerhörige als Undeutscher deklassiert wurde. Behördenbriefe hatten nicht mehr mit „freundlichem Gruß“ zu enden, sondern „mit deutschem Gruß“, oder ausführlicher: „mit deutschem Gruß Heil Hitler“.

Auch in der Kirchenbehörde bürgerte sich diese Unsitte ein. Unklarheiten, ob ein Pfarrer bei einer Beerdigung den Hitlergruß verwenden dürfe, oder ob er im Konfirmandenunterricht zu verwenden sei

und ähnliche Fragen sollten mit einem Rundschreiben des Reichskirchenausschusses vom 1. September 1936 ausgeräumt werden.[16]  Darin hieß es: „Der Geistliche erweist grundsätzlich auch im Ornat den deutschen Gruß“. Darauf folgten allerdings die wichtige Ausnahme: im Gemeindegottesdienst oder bei einer Amtshandlung habe der Pfarrer weder eine einzelne Person oder eine Fahne sondern nur die Gemeinde und zwar in der agendarisch vorgeschrieben Form zu grüßen. Im Konfirmandenunterricht dagegen gelten die Vorschriften des Schulunterrichtes, also man grüßt zu Beginn die Konfirmanden mit „Heil Hitler“, die den Gruß ebenso erwidern.

Für den Reichskirchenausschuss gab der hannoversche Oberlandeskirchenrat Christhard Mahrenholz bei der Begründung der Regelung „zu bedenken, dass der deutsche Gruß mit dem ausgesprochenen oder unausgesprochen damit verbundenen Heil-Wunsch für uns Christen ein Gebet um Gottes Segen für Führer, Reich und Volk bedeutet.“ Damit bekam der Hitlergruß eine weitere Dimension. Die eines Gebetes.

 

Die Vereidigung auf die Person Hitlers am 20. April 1938 [17]

Der Dom war für größere Veranstaltungen durch den Umbau zu einem Staatsdom ausgefallen. Also ging man in die Martinikirche. Besser man schritt.

Einer der ältesten der Braunschweiger Pfarrerschaft, Pfarrer Otto Münster aus Salder, schrieb zeitnah in seine Kirchenchronik: „Am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, war die gesamte evangelische Pfarrerschaft des ganzen Landes in der Martinikirche in Braunschweig versammelt und legte für unseren Führer und seine Regierung den Treueid ab. Es war doch ein noch nie gesehenes, aber darum unvergessliches Bild, die 200 Pfarrer im Talar und Barett vom Gemeindehof St. Martin zum Gottesdienst in feierlichem, militärisch geordneten Zug ziehen zu sehen“.[18]

Das ist die einzige bisher aufgetauchte Notiz eines Pfarrers über diesen besonderen 20. April. War die Eidesleistung war ganz Normales, worüber man keine großen Worte verlieren muss? Weder in der Braunschweiger Stadtpresse noch im Braunschweiger Volksblatt lesen wir eine Beschreibung dieses außerordentlichen Gottesdienstes. Fand er unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt? Wohl kaum, denn der Gottesdienst fand um 12.00 Uhr mittags statt. War die Martinigemeinde nicht eingeladen? Wer interessierte sich überhaupt für die Eidesleistung?

Jahrzehntelang haben die damaligen Teilnehmer diesen besonderen Eidesgottesdienst für sich behalten. Wegen seiner Alltäglichkeit? Oder doch weil es eine peinliche Erinnerung war, worüber man ungerne sprach? Oder eher weil sie eigentlich so stolz darauf waren?

 Im Amtsblatt war nachzulesen, dass die Vereidigung in einem „feierlichen“ Gottesdienst stattfinden sollte.[19] Aber was hieß hier feierlich? Weil das unklar war, hatte der Helmstedter Propst seinen Pfarrern empfohlen, Gehrock oder Lutherrock anzuziehen, „zu dem Orden und Ehrenzeichen anzulegen sind.“ [20]

Der Wortlaut des Diensteides lautete: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ [21]  Der Text konnte für den kein Problem darstellen, der seit 1933 unablässig von Hitler als dem Retter von Volk und Kirche vor dem Bolschewismus geschwärmt hatte und der ihn als von Gott gesandt ansah. Für jene war der Eid eine geschäftsmäßige Erledigung einer Sache, die längst geklärt war. Aber der Sohn des Dompredigers Karl Adolf v. Schwartz, der schon 1933 „unangenehm“ aufgefallen war, weil er sich zu den Riesebergmorden geäußert hatte, hielt den Wortlaut für nicht tragbar. Er verlangte einen Vorspann bei dem Papier, das die Pfarrer in der Sakristei nach dem Gottesdienst unterschreiben sollten. Da hieß es: „Die an ihr Ordinationsgelübde gebundenen Pfarrer der Braunschweigischen Ev.-luth. Landeskirche haben als Träger des öffentlichen Dienstes heute in der St. Martinikirche den Diensteid geleistet und bestätigen dieses durch eigenhändige Unterschrift“. Das konnte als eine Überordnung des Ordinationsgelübdes über den Diensteid verstanden werden, eine Art Vorbehaltsklausel. Treue zu Hitler soweit das Ordinationsgelübde nicht verletzt werde. Alle Pfarrer unterschrieben diese Formulierung, bei späteren Eidesleistungen fiel sie wieder weg.

 

Der braune Festzyklus und die Kirche

Der Nationalsozialismus hatte schon 1933 einen eigenen Festzyklus entwickelt: der 30. Januar, der 20. April, der 1. Mai, das Erntedankfest, der 9. November. Die evangelische Kirche beteiligte sich an dem nationalsozialistischen Festzyklus in ihrer Weise.

Zum Geburtstag Hitlers gab es in dem oben zitierten, von der bayrischen Landeskirche herausgegebenen Gebetbuch, das auch in unserer Landeskirche benutzt wurde, folgendes besonderes Gebet für diesen besonderen Tag:

„Herr, unser Gott. Am heutigen Tage gedenken wir in besonderer Weise des Führers und Kanzlers unseres Volkes. Du hast ihn mit deiner Barmherzigkeit bis hierher geleitet und sein Wirken mit Erfolg gesegnet. Du hast unter seiner Führung unser Vaterland wider alle Fährlichkeit beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt. Herr, dafür danken wir dir heute von ganzem Herzen. Wir bitten dich: Begnade ihn auch fernerhin mit deinem heiligen Geist, dass er seines schweren Amtes in Segen walten möge. Gib ihm rechten Rat und rechte Tat zur rechten Zeit. Lass untern seinem starken Arm unserem ganzen Lande deine Gnadensonne scheinen, auf dass allenthalben unter uns dein Name geheiligt werde, dein Reich komme und dein Wille geschehe, dir zu Lob und Preis, unsrem Volk zum zeitlichen und ewigen Heil. Amen.“[22]

Wer dieses fromm-schauerliche Gebet öffentlich vor der Gemeinde am Altar verrichten konnte, der musste bei der Eidesleistung, die am 49. Geburtstag Hitlers stattfand, keine Skrupel haben. Das Gebet bediente sich einiger Passagen aus der Erklärung Luthers zum 1. Artikel „wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret.“ Das konnten alle Alten auswendig mitbeten, denn das hatten sie in ihrem Konfirmandenunterricht bereits gelernt. Die Einfügung eines Luthertextes gab dem Gebet eine feierliche Stimmung. Das Ende des Gebetes zitiert den Vaterunsertext. Es spricht die Hoffnung auf ein christliches deutsches Volk unter dem starken Arm Hitlers und der Gnadensonne Gottes aus.

 

Der bayrische Gebetsvorschlag lag auf der kirchenpolitischen Linie der Gesamtkirche. Schon

zum Geburtstag Hitlers im Jahre 1933 hatte der Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses Kapler ein Glückwunschtelegramm geschrieben, in dem es u. a. hieß: „Was der Deutschen Evangelischen Kirchen Herz bewegt, bringe ich zum Ausdruck mit dem Wort der Fürbitte, die zu Ostern vor Gottes Thron gebracht wurde:

Lass Deinem Schutz und Schirm den Kanzler des Deutschen Reiches befohlen sein.. Rüste ihn in seinem neuen Lebensjahr aus mit Kraft aus der Höhe. Hilf ihm, die Bürde der Verantwortung im Regiment zu tragen und lege Deinen Segen auf das schwere Werk der Wiederaufrichtung unseres Vaterlandes zum Wohle des ganzen Volkes und zur Ehre Deines Namens.“[23]

 

Zum 50. Geburtstag Hitlers am 20. April 1939 stand auch die evangelische Kirche Schlange zur Gratulation.[24]  Aus der Braunschweiger Michaeliskirche ist folgende typische Szene überliefert:

„Mit dem ganzen deutschen Volke feierten wir in tiefer Dankbarkeit gegen Gott den fünfzigsten Geburtstag unseres Führers Adolf Hitler. Im Gottesdienst des vorhergehenden Sonntags gedachten wir seiner in Predigt und Gebet. Die Gemeinde erhob sich und sang das Dank- und Bitt-Lied: Ein Haupt hast Du dem Volk gesandt/ und trotz der Feinde Toben/ in Gnaden unser Volk geeint und hoch erhoben. Mit Frieden hast Du uns bedacht/ den Führer uns bestellt zur Wacht, zu Deines Namens Ehre. Wir danken Dir mit Herz und Mund, Du Retter aus Gefahren und flehen aus tiefster Seele Grund, Du wollest uns bewahren, Herr aller Herrn, dem keiner gleich, den Führer und das deutsche Reich, zu Deines Namens Ehre!“

 

Zu Hitlers Geburtstag gab das Landeskirchenamt regelmäßig im Landeskirchlichen Amtsblatt Aufforderungen zur Fürbitte für Hitler an die Pfarrämter,

 

„Wolfenbüttel den 16. April 1940

An alle Pfarrämter der Landeskirche

 

Am 20. April begeht der Führer und Reichskanzler mitten im Krieg seinen 51. Geburtstag. Das ganze deutsche Volk an der Front und in der Heimat schart sich an diesem Tage in Bewunderung und Dankbarkeit um den Mann, der in dieser Zeit weltgeschichtlicher Ereignisse mit starken Händen die Geschicke unseres Volkes lenkt.

Die Herren Pfarrer wollen im Gottesdienst des Sonntags Cantate in der Predigt und im Kirchengebet mit Dank und Fürbitte unseres Führers gedenken.

Weiter ist, soweit es die Bestimmungen hinsichtlich der Luftlage zulassen – im einzelnen ist darüber mit den örtlichen Luftschutzleitern zu verhandeln - , in allen Kirchengemeinden am 20. April ein Glockengeläut in der Zeit von 12 bis 12.15 Uhr zu halten.

i.V. gez. Röpke“. [25]

Diese Anweisung wurde im Gemeindebrief der Michaeliskirche folgendermaßen aufgenommen:

„Am Geburtstag des Führers, den wir in diesem entscheidungsvollen Jahr in der Stille, nicht in lautem Jubel, aber in tiefer Dankbarkeit und Verehrung und mit ernstem Treuegelöbnis begingen, wurden wir erneut dessen inne, welches Wunder der Führer an unserm Volk, dessen erster Soldat und erster Arbeiter er ist, vollbracht hat, indem er es zusammenschweißte zu einer großen und unverbrüchlichen Gemeinschaft des Kämpfens und des Schaffens.“[26]

 

Das Braunschweigische Volksblatt veröffentlichte auf S. 1 eine Huldigung zu „des Führers Geburtstag“, mit besonderem Dank blicken wir auf das vergangene Lebensjahr des Führers, das so unerhört ernste und entscheidungsschwere Stunden, so unermessliche Erfolge, so viel gnädige Bewahrung in der Stunde der Gefahr umschließe. Der Dank bestehe „in dem erneuerten Gelöbnis rückhaltlosen Einsatzes für die Freiheit und den Sieg unseres Volkes..Als evangelische Christen bringen wir am Geburtstag des Führers unsere Fürbitte für ihn vor den allmächtigen Gott. Es ist unser gemeinsames Gebet, dass Gott dem Führer weiterhin Kraft und Gesundheit, Weisheit des Herzens und treue Ratbeber schenken möge. Wir legen das Geschick unseres Volkes in Gottes Hand und befehlen unseren Führer der Gnade Gottes.“[27]

 

Diese Unsitte hielt bis zum Kriegsende an: Propst Leistikow teilte seinen Braunschweiger Stadtpfarrern zum 52. Geburtstag am 20. April 1943 folgendes mit:

„Zum Geburtstag des Führers hat das Landeskirchenamt verfügt: „Am 20. April, dem Geburtstag des  Führers, gedenkt unsere Landeskirche seiner mit besonderer Fürbitte, dass Gott, der Herr, den Führer auch im neuen Lebensjahr bewahre und ihm in seinem hohen Amt Kraft und Weisheit schenke. Der allmächtige Gott wolle unseren Führer im schweren Kampf um Leben und Daseinsrecht unseres Volkes segnen und unsren Waffen  den Sieg verleihen. Am Sonntag Palmarum, wollen die Herren Pfarrer in Predigt und Kirchengebet des Geburtstag des Führers gedenken. In den Gemeinden, in denen am Palmarum-Sonntag kein Gottesdienst gehalten wird, ist das Gedenken am 1. Ostertag nachzuholen.“ [28]

 

Sondergottesdienste gab es auch zum fälschlicherweise so genannten „Tag der Machtergreifung“, dem 30. Januar, zu dem Hitler regelmäßig auch Reden an sein Volk hielt. 1943 fiel dieser Tag mit der verheerenden Niederlage der Hitlerarmee in Stalingrad zusammen. Das Landeskirchenamt verfügte:

„Wolfenbüttel den 28. Jan. 1943 An alle Pfarrämter der Landeskirche

Am 30. Januar, dem 10. Jahrestag der Machtübernahme, gedenkt unsere Braunschweigische ev.-luth. Landeskirche in unerschütterlicher Treue des Führers. Sie weiß sich mit dem ganzen deutschen Volk gerufen und verpflichtet, alle Kraft für die Erringung des Sieges einzusetzen. Unser Gebet ist, dass der allmächtige Gott auch ferner unseren Führer, den Kampf an den Fronten, unser Volk und Vaterland segnen möge.

Die Herren Pfarrer wollen im Gottesdienst am 31. Januar des Tages der Machtübernahme in würdiger Form gedenken. gez. Röpke.“ [29]

 

Bindung und Mythus

Das Wort „Mythus“ hatte in den 30er Jahren Hochkonjunktur. Das Wort Mythus war seinerzeit populär durch den Titel des Buches „Mythus des 20. Jahrhunderts“, das Alfred Rosenberg 1932 geschrieben hatte. Rosenberg meinte mit Mythus „Weltanschauung“. Der Buchtitel wollte die künftige Weltanschauung des 20. Jahrhunderts aus Rosenbergs Sicht behandeln.[30]  In ihrem Mittelpunkt stand die nordische Rasse als „Mythus des Blutes“. Die Millionen deutscher Weltkriegstoter seien für den Mythus des Blutes gestorben und in zahlreichen Hinterbliebenen der „Helden“ lebendig. Das feldgraue deutsche Volksheer sei der Beweis für die mythenbildende Opferbereitschaft. An die Stelle der Prunkuniform sei das feldgraue Ehrenkleid getreten, der ernste Stahlhelm. „Die fürchterlichen Kruzifixe der Barock- und Rokokozeit, welche an allen Straßenecken verzerrte Gliedmaßen zeigen, werden auch nach und nach durch herbe Kriegerdenkmäler verdrängt. Auf ihnen stehen eingegraben die Namen jener Männer, die als Zeichen des ewigen Mythus von Blut und Willen für den Höchstwert unseres Volkes starben: für die Ehre des deutschen Namens.“[31] Rosenberg brach mit allen philosophischen und geistesgeschichtlichen Traditionen und ordnete sie je nach dem ein, ob „dieses nordische Blut“ in ihnen vorhanden war. Das Wort „Mythus“ blieb damals im Schwange, weil sich die evangelische Kirche ausgiebig und sehr kritisch mit den Ansichten von Rosenberg auseinander setzte.

Auf dem Bayreuther Grünen Hügel wurden die Mythen und Sagen der alten Germanen in Szene gesetzt und von Hitler verschlungen.

Wieder anders hatte die biblische Wissenschaft die literarischen Formen in der Bibel behandelt, eine Formgeschichte erarbeitet, in der nun auch Legenden, Sagen und Mythen der Bibel auf ihre spezifische literarische Gattung untersucht wurden. Darauf aufbauend entwickelte der Professor für Neues Testament in Marburg, Rudolf Bultmann, 1943 das Programm einer „Entmythologisierung“ der Evangelien.

Also viel Mythus auf verschiedenen Gebieten.

Wenn man einen personalen Mythus meint, dann verband sich dieser damals mit der Person von Paul v. Hindenburg, Generalfeldmarschall und Reichspräsident, dem angeblichen  Sieger von Tannberg, der die Deutschen vor dem Einmarsch russischer Truppen bewahrt hatte, der 1916 vom Kaiser zusammen mit Ludendorff ins Hauptquartier der Westfront berufen wurde, Hindenburg, der Gediegene, der Redliche, der die Deutschen 1917  und 1918 zu Hindenburgspenden aufrief, um die letzten Reserven zu mobilisieren, dessen Geburtstag am 2. Oktober den des Kaisers in den Schatten stellte. So sah der Hindenburgmythus aus. Ausgeblendet wurden seine Befehle aus dem östlichen Hauptquartier in Kowno, wonach Gefangene auf russischer Seite nicht gemacht werden sollten. Ausgeblendet

wurde, dass er mit Ludendorff die fatale militärische Lage vor dem Kaiser schönredete, aber im September 1918 den Kaiser aufforderte, sofort Waffenstillstandsverhandlungen einzuleiten, weil die militärische Lage aussichtslos war. Dann  schwenkte Hindenburg um, und sprach vom unbesiegten Heer. Wesentlich ist auf Hindenburg die Tatsache zurückzuführen, dass die deutsche Bevölkerung die militärische Niederlage nicht einsah, auch vor den Folgen einer Nichtunterzeichnung des Versailler Vertrages, nämlich dem sofortigen Einmarsch französischer Truppen, die Augen verschloss und ganz wesentlich ein Urheber des schweren Traumas der deutschen Bevölkerung war. Hitlers Verneigung vor dem Feldmarschall Hindenburg am Tag von Potsdam am 21. März 1933 galt  vor allem dem Mythus Hindenburg. Und als Hindenburg im August 1934  verstorben war, beließ es Hitler klugerweise bei diesem  Mythus, wurde nicht selbst Reichspräsident, um allmählich von diesem Mythus Hindenburg zu profitieren.

 

Den „Mythus Hitler“ sehe ich im Zusammenhang mit den anderen Mythen um politische Persönlichkeiten im 20. Jahrhundert: den chinesischen Mythus Mao,  den sowjetischen Mythus Stalin, den vietnamesischen Mythus Ho Chi Mingh, den nigerianischen Mythus Che Guevara, dem andere hinzugefügt werden können. Der Hitlermythus ist kein Einzelfall des 20. Jahrhunderts.

Diese Mythen zeigen strukturelle Übereinstimmungen: sie bilden sich zu Lebzeiten und dauern über den Tod des jeweiligen Politikers fort. Der Mythus löst sich von seiner historischen Figur. Dem Mythus liegt eine überzogene, extreme Ich-bezogenheit des Mythisierten zugrunde. Diese Ichbezogenheit fordert restlose Gefolgschaft. Dem Mythus liegt eine Schrift zu Grunde, die unverändert gilt.[32] Hitlers Schrift „Mein Kampf“ enthielt die Grundgedanken von Hitlers Ideen, wurde zu besonderen familiären Anlässen verschenkt und galt als unveränderliches Buch der Bewegung.

Der Mythus garantiert die Gegenwärtigkeit, besser die Allgegenwart des Mythisierten. Sie kann in der Liturgie erlebt werden, aber auch beim Hitlergruss. Der Hitlergruß vermittelte die Allgegenwart des „Führers“ im Alltag der deutschen Bevölkerung. Dem Mythus eignet Irrationalität. Er ist daher nicht zu widerlegen, sondern nur durch eine andere Religiösität abzuwehren. Er erfordert Gläubigkeit.

Der deutsche „Mythus Hitler“ war mit dem Tode Hitlers nicht gestorben, sondern er blieb lebendig. [33]

Die Deutschen ließen sich daher ihr positives Hitlerbild durch die Niederlage nicht beeinträchtigen, sondern pflegten positive Erinnerungen an ihre Hitlerzeit. Die religiöse Grundstruktur des Hitler – Mythus erleichterte es, in den Hitlermythus einzutauchen, oder ermöglichte eine Dämonisierung Hitlers.



 



[1] BTZ 22.7.1933

[2] Sonntagsgruß 28.1.1934 S. 28 f

[3] Katholische Kirchenzeitung 7.3.1937 Mussolini empfahl darin den Schulkindern die Lektüre des Neuen Testamentes. Die deutsche Kitschform dagegen ist unüberboten.

[4] LAW Rundbrief Leistikows im Pfarrarchiv Lehndorf Nr. 74, dieser Rundbrief vom 30. August 1940

[5] Walter Benndorf „Der Sinn des Leides Feierstunde März 1933 S. 51 f

[6] Walter Benndorf „Ostergewissheit“ Feierstunde April 1933 S. 59 f

[7] Walter Benndorf Feierstunde Mai 1933 S. 69f

[8] Walter Benndorf „Der Geist der Kraft“ Feierstunde Juni/Juli 1933

[9] Walter Benndorf Feierstunde September 1933

[10] Feierstunde Julmond, Dezember 1933 S. 22 f

[11] Walter Benndorf Feierstunde Eismond Januar 1934 Predigt über„Mit Gott“ nach Psalm 60,14 „Mit Gott wollen wir Taten tun.“

[12] Walter Benndorf Männer Feierstunde Hornung Februar 1935

[13] Walter Benndorf Heldengedenkfeier in Feierstunde Wonnemond Mai 1935 S. 71 f

[14] Sonderdruck die Abschiedspredigt von Walter Benndorf gehalten am 24. Mai 1936 gedruckt bei Meyer Braunschweig 1936 über Hebr. 13,8 „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit  S. 8

[15] Tilman Allert Geschichte einer unheilvollen Geste Frankfurt a. M. 2005. Allert hat die im folgenden geschilderte Geste als Gebet nicht entdeckt.

[16] abgedruckt im Material zur Ausstellung 240

[17] siehe Kuessner Überblick S.85 f

[18] Pfarrarchiv  Salder  Kirchenchronik Salder

 

[19] Landeskirchl. Amtsblatt Nr. 5227 1938 S. 22

[20] Pfarrarchiv Esbeck A 5-5 Schreiben vom 14.4. 1938

[21] Landeskirchl. Amtsblatt Nr. 5226 1938 S. 21

[22] Otto Dietz Gebete für die Kirche 285

[23] Ev. Deutschland 23.4.1933 S. 147

[24] siehe Kuessner Der Russlandfeldzug S. 2 ff

[25] Pfarrarchiv Esbeck A 5-5

[26] Michaelisbote Mai-Wonnemond 1940

[27] BV 21. April 1940 S. 33

[28] Leistikowpfarrbriefe Leistikow Braunschweig Stadt Nr. 221 den 15. April 1943

[29] aus Pfarrarchiv Esbeck A 5-5

[30] Alfred Rosenberg Der Mythus des 20. Jahrhunderts  München 1942

[31] ebd 701

[32] Bei aller gebotenen Zurückhaltung finde ich diese strukturellen Momente auch bei der Mythenbildung um Jesus v. Nazareth

[33] Von einem ganz anderen Mythosbegriff geht Ian Kershaw in seinem Buch Der Hitler- Mythos Stuttgart 1999 aus. Für ihn bedeutet Mythos „ein heroisches Image und eine volkstümliche Wahrnehmung Hitlers“ (S. 15). Der Hitler-Mythus vergeht mit dem Untergang des Nationalsozialismus und dem Tod Hitlers



Zum Kapitel 19: Die Volkskirche bleibt trotz Konflikten stabil 1937 - 1939




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