Kirchenmusik in Braunschweig in nationalsozialistischer Zeit
Die nationalsozialistische Zeit war eine musikbewegte Zeit.
Es wurde vor allem auf Straßen und Plätzen gesungen und getrommelt und
gegröhlt. Immerhin, anders als heute, sangen die Jungen und Alten im
Marschtritt noch selber und ließen sich nicht von Lautsprechern ersetzen. Das
war vor 1933, danach wurde das Musizieren geradezu staatstragend. „Chorwesen
und Volksmusik im neuen Staat – Das Volk eine singende Gemeinschaft“ wurde als
Losung ausgegeben.[1]
Auf dem Burgplatz wurde die Absicht am Sonntag, dem 7. Oktober 1934 in Gesang
umgesetzt. Vereine sammelten sich und sangen ab 11.30 Volkslieder. Eröffnet
wurde das gemeinschaftliche Singen mit einem evangelischen Choral von Paul
Gerhardt „Ich singe dir mit Herz und Mund“.[2]
„Hitlerjugend singt und spielt“ hieß der Titel eines Berichtes über eine
musikalische Veranstaltung mit 200 musizierenden Hitlerjungen unter Leitung von
Georg Bittrich. Der Rezensent sah einen „Chor gläubiger deutscher Menschen, die
als Ideale Gott, Volk, Führer, Vaterland und Fahne im Herzen tragen“ und zog
eine Parallele mit dem musikalischen Aufbruch in der Reformationszeit.[3]
Die Nationalsozialisten hatten die frischen Lieder der Jugendbewegung der 20er
Jahre aufgenommen und in ihrer Gruppenarbeit verwendet. Flotte musikalische
Ohrwürmer waren entstanden, die sich in der Erinnerung bis in spätere
Jahrzehnte festsetzten.
Die Kirchenchöre
Der übliche nationalsozialistische Musikrhythmus war der
Marsch. In den Kirchen wurde seit Jahrhunderten ein anderer Ton gepflegt, der
des Chorals. Singefreudige Gemeindemitglieder trafen sich zur Musikpflege, die
vor allem dem Gemeindeaufbau diente. Hochgestochene Kunst trat in den
Hintergrund. Die Kirchengemeinden St. Jakobi, St. Martini, St. Katharinen, St.
Petri verfügten über eigene, teilweise gemischte Kirchenchöre, die die
Gottesdienste und Gemeindefeste dem Kirchenjahr oder dem Jahreskreis
entsprechend begleiteten. Kein Fest der Frauenhilfe, das nicht vom Gemeindechor
mit gestaltet wurde. Keine Adventsfeier, in der nicht unter Leitung und
Begleitung des Gemeindechores gesungen wurde. Seit 1906 bestand ein gemischter
Chor an der Katharinenkirche dessen langjährige Leitung unter Edmund Meyer 1932
auf die junge Hilde Pfeiffer überging.[4]
Aus der Jugendarbeit der Jakobigemeinde erwuchs ein gemischter Chor. Er stand
unter Leitung von O. Fritsche. Die kirchlichen Nachrichten vom Oktober 1936
annoncierten folgende Kirchenchöre: „Brüdern: Knabenchor; Jakobi: Gemischter
Chor; Johannis: gemischter Chor; Martin Luther: Kinderchor, Kirchenchor;
Katharinen: Mädchenchor, gemischter Chor; St. Georg: Kirchenchor; Martini:
Frauenchor; Petri: Kirchenchor; außerdem einen evangelischen Posaunenchor.[5]
Wesentlich für das gottesdienstliche Leben waren die
Kinderchöre, zumal der Kindergottesdienst in den Gemeinden sehr gut besucht
war. St. Ulrici/Brüdern hatte schon länger einen Knabenchor, der die beliebten
Metten und Vespern zu Weihnachten und Ostern sang. Es waren vorwiegend
musikalisch gestaltete Früh- und Abendgottesdienste, in denen die Predigt
zugunsten des Gesanges der Knaben zurücktrat. Katharinen hatte ebenfalls schon
länger einen Mädchenchor. In der Johannisgemeinde war der Kínderchor ca 30
Kinder stark. Er wurde von Ilse Oppermann geleitet. Für einen Chorgesang bei
einer Trauung fiel sogar etwas Taschengeld ab. In der Jakobigemeinde trafen
sich über 20 Kinder regelmäßig wöchentlich zum Singen unter Leitung von Alma
Müller, die seit 1923 den Chor leitete und als Alt-Solistin in Kirchenkonzerten
auftrat.[6]
Der Kinderchor wirkte Sonntag für Sonntag im Gottesdienst der Jakobigemeinde
mit. Diese Kinderarbeit hatte den beträchtlichen pädagogischen Effekt, dass die
Kinder früh in den protestantischen Choral eingeführt wurden.
Der musikalische Geschmack der Zeit war noch ganz vom 19.
Jahrhundert bestimmt gewesen,
daher stammte die Literatur, die in den Gemeinden gepflegt
wurde, wie auch die Lieder des Gesangbuches, vorwiegend aus den 19.
Jahrhundert. Es war auch durchaus üblich, zu besonderen Anlässen, aber
vorwiegend zu Weihnachtsfeiern, Solisten zu engagieren, die dann ein Programm
mit Werken von Mozart, Beethoven, Schubert, Grieg u.a. darboten. Das diente vor
allem der Unterhaltung.
Die Förderung der Kirchenmusik hing stark vom Interesse des
jeweiligen Gemeindepfarrers an einer singenden Gemeinde ab. Pfarrer Gerhard
Kalberlah schilderte in der Festschrift zum 25 jährigen Bestehen der Gemeinde
ausführlich von den Anfängen der Kirchenmusik in dieser damaligen Randgemeinde,
die von der Mitwirkung der Lehrer geprägt war: Lehrer Karl Huß war der erste
Organist, andere Lehrer übernahmen die Chorleitung.[7]
Im Jubiläumsjahr 1936 hatte der Jakobichor 61 aktive und 23 passive Mitglieder,
und hatte 1935 in den Gottesdiensten am Heldengedenktag (17.3.), zu Ostern (21.4.),
am Sonntag Kantate (19.5), am Erntedankfest (6.10), zum Totensonntag (24.11.)
und am 2. Weihnachtstag gesungen; außerdem zwei Konzerte in der Jakobikirche
gegeben: zur Bach-Händel-Schützfeier am 26.9. und am 15.12. ein
Weihnachtskonzert. Außerdem war der Chor auch bei übergemeindlichen
kirchlichen Anlässen zur Einführung von Propst Leistikow im Dom am 28.4. und
zum Reformationsfest in der Brüdernkirche am 3.11. beteiligt.[8]
In der Kirche hatte es einen musikalischen Frühling gegeben.
Die Choräle der Reformationszeit waren neu entdeckt worden. Vor allem für die
evangelische Jugend waren die Liederbücher „Der helle Ton“, „Das neue Lied“ in
Zusammenarbeit mit dem Burckhardthaus entstanden und weit verbreitet.
Evangelische Jugendliche trafen sich in der Stadt
Braunschweig zu einem Sing- und Spielkreis und führten eine neue Form der
„musikalischen Verkündigung“ ein. Erstmals wurde in der Petrikirche im April
1933 die Sprechmotette „Wach auf, wach auf, du deutsches Land“ von Otto
Riethmüller mit großer Resonanz aufgeführt. Die Sprachgestalt wurde durch
Instrumentalmusik, mehrstimmige Chormusik und gemeinsames Singen lebendig
unterbrochen. „Es war ein tiefes Erleben, die Botschaft klang stark in die
Gemeinde hinein. Rein und klar schwangen die jungen von dem Ernst der Aufgabe
ganz erfüllten Stimmen durch den Raum. Mächtig erklang das „Wachet, ihr
Wächter“ voll schlichter Eindringlichkeit, „Betet, ihr Beter“, wuchtig:
„Kämpfet, ihr Kämpfer“, und voller Zuversicht: „Hoffe und harre, du Volk des
Herrn.“ Streich- und Blasinstrumente schufen einen guten Hintergrund für die
Botschaft der Stimmen. Ein besonderes Gepräge erhielt die Feier durch die
tätige Anteilnahme der Gemeinde. Und gerade dieses Mithineinverwobensein der
Gemeinde in das Ganze schuf ein selten feines Band wirklicher Gemeinsamkeit. Es
ist wohl keiner in dem bis zum letzten Platz gefüllten Gotteshause gewesen, der
sich nicht eins gefühlt hätte mit den Brüdern und Schwestern des Volkes
überhaupt. Möge die Botschaft des Abends, das Besinnen auf den Ernst unserer
Tage, unseres Lebens mit uns gehen, Alltag und Werk mit neuem Geiste füllend,
dass dem Erwachen die Treue folge.“[9]
Im Frühjahr 1936 führte der Singkreis unter Leitung von
Dagmar v. Hoerschelmann, der „Landesscharführerin für die Mädchenarbeit in der
Landeskirche“, die ähnlich aufgebaute Lukaspassion von Otto Riethmüller
erstmals auf. Hier wurde der „Verkündigungscharakter“ der Sprechmotette
besonders herausgekehrt. „Nichts konzertmäßiges, sondern reine Verkündigung“,
hieß es in der Besprechung. „Man stand mit unter dem Kreuz“.[10]
Die wiederholten Aufführungen bis in die Kriegszeit hinein blieben für die
beteiligten Jugendlichen ein prägendes, alternatives Erlebnis zum sonstigen
dröhnenden Musikstil der Staatsjugend jener Zeit.
„Jugend singt der Gemeinde vor“ lautete ein Aufsatz, der die
Beteiligung der Konfirmanden am Gottesdienst durch das Einüben reformatorischer
Choräle im Wechselgesang empfahl.[11]
Auf die Gestaltung eines neuen bewegteren
Singens in den Gottesdiensten der Gemeinden waren die Singewochen ausgerichtet. Vom 5.-10. April 1937 veranstaltete
der Stadtverband der Frauenhilfe eine Singewoche.[12]
Ein Festgottesdienst in der Magnikirche stand im Mai 1938 am Ende einer
Singewoche, die von der Stadtmission Halle durchgeführt worden war. Der Gottesdienst
stand unter dem Leitwort: „Lob Gott getrost mit Singen“. Das Lied war damals
noch neu. Es stand nicht im Braunschweigischen Gesangbuch, aber in „Der helle
Ton“ (Nr. 125) der evangelischen Jugend und war der Titel des neuen
Gesangbuches der Frauenhilfe. Es wurde damals zum Leib und Magenlied der
evangelischen Frauenhilfe.[13]
Es ist von „Widerwärtigkeiten“ die Rede, die die christliche Schar zu tragen
habe (Str.1), aber Gott werde „in dieser gefährlichen Zeit“ seine Kirche
erneuern (Str. 3). „Viele Frauenhilfsschwestern waren gekommen, die in der
Singefreizeit die alten evangelischen Kampflieder wieder gelernt hatten.“[14]
In der Woche vor dem 1. Advent 1938 hatte
der Stadtkirchenverband zu einer Singewoche eingeladen, die am 1.
Adventssonntag mit einer Abendmusik in der Petrikirche abgeschlossen wurde.[15]
Die Andreasgemeinde führte mit der
reformierten Gemeinde im April 1940 eine Singewoche mit Gerhard Schwarz durch
mit dem Ziel: „es soll reformatorisches Liedgut wieder lebendig werden.“ Am
Ende der Singewoche improvisierte Gerhard Schwarz auf der Orgel der
reformierten Kirche.[16]
Die Braunschweiger Orgellandschaft und ihre Organisten
Es wirkt heute sehr sonderbar, dass sich die
nationalsozialistische Elite in das Instrument der Orgel verguckt hatte. Hitler
an der Orgel wurde zu einem viel bespöttelten Motiv. Ein Bild von Hitler, dem
„Halleluja“ von Händel lauschend, war kürzlich in der Ausstellung über die
Musik in der nationalsozialistischen Zeit in der Mariendorfer Martin
Lutherkirche in Berlin zu bewundern. Göring hatte sich in seiner Privatvilla
Karinhall ein Orgelwerk von der bedeutenden Orgelbaufirma Walcker einbauen
lassen. Derselbe Orgelbauer errichtete zum Reichsparteitag in Nürnberg 1935 die
größte Orgel Europas, die vom Thomaskantor Günther Ramin eingespielt wurde.
Die Orgelmusik in der Stadt Braunschweig kam in dieser Zeit
neu zu Ehren. Es machte sich gut und zeitgemäß, dass den Organisten der Stadt
besondere Orgeln zur Verfügung standen, die schon durch ihre historischen
Orgelprospekte eine der optischen Prunkstücke in den Stadtkirchen waren. Einige
Orgeln waren um die Jahrhundertwende im Zusammenhang mit der Erneuerung der
Innenräume ebenfalls überholt oder ganz neu eingerichtet worden.[17]
Der Dom erhielt eine neue viermanualige Orgel mit 84 Registern von der Firma
Furtwängler und Hammer. Sie wurde vom Domorganisten Walrad Guericke bedient.
Sein Dienst wurde vom Staat vergütet. In der Orgel der Katharinenkirche waren
beim Umbau 1854 Teile der ehemaligen historischen Fritzscheorgel verwendet worden,
auf der schon Friedemann Bach gespielt hatte. Sie hatte 1931 drei Manuale mit
insgesamt 35 Registern, als Hilde Pfeiffer ihren Dienst dort begann. Die
Martinikirche hatte 1898 eine neue Furtwänglerorgel mit drei Manualen und
insgesamt 52 Registern erhalten. Martiniorganistin war bis in das erste
Kriegsjahr Ilse Schlüter. Die Andreaskirche hatte 1888 eine Ladegastorgel mit
48 Registern erhalten, wobei der Prospekt von 1634 erhalten blieb.
Andreasorganistin war Maria Döring, die nach dem Krieg nach Goslar ging und den
dortigen Propst Rauls heiratete. Die Orgeln der Brüdern- und Petrikirche galten
als überholungsbedürftig. Die Erneuerung der Petriorgel wurde energisch von der
Organistin Ellinor Dohrn betrieben. Statt der bisherigen zweimanualigen Orgel
mit 24 Registern wurde 1937 von der Braunschweiger Firma Dutkowski ein Werk mit
51 Registern und drei Manualen eingeweiht. Sie wurde durch das Orgelspiel von
Frau Ellinor Dohrn zu einem musikalischen Mittelpunkt der Stadt. Auch in die
beiden neuen, um 1900 erbauten Kirchen Pauli und Johannis waren große,
dreimanualige Werke von Furtwängler und Hammer eingebaut worden. Die Pauliorgel
spielte seit 1934 der junge blinde Organist Helmuth Pleus, dessen Spiel bei der
Kirchenvisitation 1937 als hervorragend bezeichnet wurde. Pleus war der
Nachfolger vom Musikdirektor Albert Therig, der 25 Jahre lang die Orgel der
Paulikirche bespielt hatte.[18]
Die vergleichsweise kleinere Orgel von Jakobi mit zwei Manualen hatte ihren
besonderen, einzigartigen Platz über der Kanzel frontal zur Gemeinde hin. Dort
wirkte seit 1923 Walter Klingenberg, „von künstlerischem Format, der mit ganzer
Hingabe seine Orgel zu spielen weiß und uns schon viele erhebende Weihestunden
mit verschafft hat“.[19]
Bescheidener fielen die Orgelwerke in den Kirchen der 30er Jahre aus. Auch die
kleineren, in der nationalsozialistischen Zeit erbauten Kirchen erhielten ein
Orgelwerk. 1937 wurde im Martin Luther Haus eine Orgel mit Hauptwerk und
Rückpositiv und insgesamt 17 Register eingeweiht. Sie wurde bis 1980 von Heinrich
Becker gespielt. An der Bugenhagenkirche amtierte der sangesfreudige, junge
Pastor Hermann Dosse, der oft bei Kirchenkonzerten die solistische Basspartie
sang. Die Bugenhagenkirche hatte ein Orgelwerk von Friedrich Weissenborn mit 9
Registern erhalten. Zu seiner Einweihung sang der dortige Kirchenchor unter
Leitung von W. L. Redlberger die Deutsche Messe von Schubert.[20]
Die Orgel von Bugenhagen war ein Geschenk der dortigen Frauenhilfe gewesen. Die
Ausstattung der Orgel von St. Georg stammte von der Braunschweiger
Orgelbaufirma Dutkowski. Sie hatte 24 Register und zwei Manuale. Sie wurde von
Rose Marie Bosse gespielt.
„Unsere alten und neuen Orgel erklingen jetzt
erfreulicherweise sooft, wie das wohl seit Jahrzehnten nicht der Fall gewesen
ist. Unsere Organisten wetteifern darin, um weitere Schätze zu heben. Sie
finden aber auch aufnahmefähige Herzen,“ befand das Kirchenblatt.[21]
Kirchenmusik am Sonntag Kantate
Die Kirchenmusik hatte im Kirchenjahr außer an den hohen
Feiertagen ihren festen Platz. Der vierte Sonntag nach Ostern Kantate (Singet)
ist seit alters der Kirchenmusik gewidmet. Er wird in den Kirchengemeinden
musikalisch besonders ausgestaltet. Im Jahr 1935 war der Kantatesonntag
anlässlich der Schütz-, Händel-, Bachjubiläen zum „Reichskantatensonntag“
ausgerufen worden. Von den Türmen der Katharinen- und Petrikirche und sogar vom
Bebelhof wurden morgens alte Choräle geblasen.[22]
Ein Kirchenkonzert in der Katharinenkirche mit Werken von Prätorius, Caldara,
Tunder, Schütz und J.S. Bach für gemischten Chor und einem Streichquartett
unter Leitung von Hilde Pfeiffer sollte auf diesen Sonntag einstimmen.[23]
Geistliche Abendmusiken gab es am Vorabend des Sonntag Kantate in der
Andreaskirche und am Sonntag selber in der Paulikirche. Dort sang die
Singakademie unter Willi Sonnen „Die sieben Worte Jesu am Kreuz“.
Der Sonntag Kantate 1936 fiel mit dem Muttertag zusammen.
Die Braunschweiger Frauenhilfen sowie einige Kirchenchöre hatten sich zu einem
gemeinsamen Festgottesdienst in der Brüdernkirche verabredet. Es predigte
Bischof Johnsen und nach dem Gottesdienst blieb man noch auf dem Vorplatz
zusammen und sang zusammen mit dem Posaunenchor der Propstei Choräle.[24]
Zu gleicher Zeit fand in Petri ein Gottesdienst zum 20jährigen Todestag von Max
Reger statt. Walrad Guericke musizierte in der Magnikirche drei Motetten von
Prätorius. Guericke leitete das kirchenmusikalische Institut des Konservatorium
Plock, das an diesem Sonntag sein vierzigjähriges Jubiläum beging. Ernst Wiese
stellte sich an der Orgel als neuer Organist vor und gefiel. Auch in den
folgenden Jahren waren die Sonntage um Kantate ein musikalischer Schwerpunkt in
der Stadt.[25]
Im Kriegsjahr 1941 wurden immer noch trotz oft fehlender
Männerstimmen in den Gemeinden an diesem Sonntag kirchenmusikalische Veranstaltungen
geboten,. In der Magnikirche sang der Wolfenbüttler Oratorienchor unter Leitung
von Walrad Guericke die Bachkantate „Himmelskönig sei willkommen.“[26]
In der St. Georgkirche fand eine musikalische Feierstunde mit Werken alter
Meister statt ausgeführt von Friedrich Gebhardt, Violine, einem
Blockflötenkreis und Kammerorchester. An der Orgel saß Rose-Marie Bosse.[27]
In der Petrikirche sang die Sing und Spielgemeinschaft die Kantaten „Cantate
Domino“ und „Singet dem Herrn ein neues Lied“ von Buxtehude. Die Gemeinde wurde
im Wechselgesang daran beteiligt und sang „Ich will dich all mein Leben lang, o
Gott, von nun preisen.“[28]
In der Katharinenkirche wurde am vorhergehenden Sonntag (Jubilate, 4. 5.1941)
eine Abendmusik mit dem Baßsolisten T.Ph. Krieger geboten.[29]
So blieb dieser 4. Sonntag nach Ostern in der ganzen Zeit ein verlässlicher
kirchenmusikalischer Schwerpunkt in der Stadt.
Die Führungsrolle von Katharinen
Die Katharinenkirche nahm kirchenmusikalisch unter den
Braunschweiger Stadtkirchen den ersten Platz ein. Sie war unter den
Stadtkirchen die geräumigste und bot für Konzerte den größten Platz.
Hier gastierte der Thomanerchor noch unter Karl Straube im
Oktober 1935 mit achtstimmigen Chören und der Motette „Jesu meine Freude“.[30]
Die Katharinengemeinde war auch die reichste Stadtkirche und konnte es sich
erlauben, auswärtige Solisten und Chöre zu Konzerten einzuladen. „Die
Musikpflege in St. Katharinen nimmt einen ehrenvollen Platz ein“, hieß es in
einer Besprechung einer geistlichen Abendmusik eines Hannoverschen Orchesters
und der Solistin Johanna Egli aus Berlin im März 1936.[31]
Im März 1938 sang die Sopranistin Elke Funk-Soldau, Nürnberg, Mozarts „Exultate
jubilate“. Es begleitete das Kammerorchester Rudolf Hartung. Am Totensonntag
1938 gastierte Kammersänger Prof. Albert Fischer, Berlin, Baß, in Werken von
Johann Philipp Krieger („Rufet nicht die Weisheit“ und „Wie bist du, Gott, auf
mich in Zorn entbrannt“), der gemischte Chor sang bei dieser Gelegenheit von
Johann Michael Bach die sechsstimmige Motette „Unser Leben ist ein Schatten“
und der Kinderchor Kompositionen von Buxtehude („Gott der Vater wohn uns bei)“
und Hilde Pfeiffer.[32]
Insgesamt bot die Organistin und Chorleiterin Hilde Pfeiffer ein musikalisches
Programm für das noch kirchlich interessierte Braunschweiger Bürgertum. Zur
Passionszeit, zum Totensonntag und zur Weihnachtszeit wurde in der
Katharinenkirche ein überdurchschnittliches kirchenmusikalisches Angebot
gemacht. Im November 1936 wurde ein Programm mit Orgel- und Chorwerken von Reger,
Fortner und Distler („Christ, der du bist der helle Tag“) geboten, Hilde
Pfeiffer brachte auch eine Orgelpartita von Ernst Pepping zu Gehör, die „eine
Reife des Hörers“ voraussetze, befand der Rezensent. Außerdem fügte Hilde
Pfeiffer auch Eigenkompositionen von fünf geistlichen Liedern hinzu, was im
Verbund mit Distler, Fortner und Pepping ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein
verriet, „eine hochbeachtliche Talentprobe der strebenden Musikerin“[33],
so der Rezensent. Im Oktober 1938 spielte Hilde Pfeiffer den 3. Teil der
Klavierübung von J.S. Bach. Vom weihnachtlichen Orgelkonzert Hilde Pfeiffers im
Dezember 1938 schrieb Gotthardt Schmidtke, die Organistin habe den Beweis
erbracht, dass sie der polyphonen Welt Bachs ganz aufgeschlossen sei.[34]
Durch eine kontinuierliche Chorarbeit war es ihr möglich, am Totensonntag 1940
Buxtehudes „Das Jüngste Gericht“ mit prominenten Solisten aufzuführen. Es
sangen Prof. Albert Fischer, Berlin, Bass, Käte Heike-Isensee, Gertrud Rust und
Dora Rabethge Sopran, der gemischte Chor, an der Orgel Walrad Guericke. Es sei
ein „nachhaltiges Erlebnis“ gewesen.[35]
Das kirchenmusikalische Leben in den Kirchengemeinden war so
lebhaft, dass der Johannispfarrer Otto Jürgens, selber mit einem veritablen
Bass ausgestattet, als Landesobmann für Kirchenmusik zu einem Treffen der
Kirchenchöre in seinen Johanniskirchengemeindesaal im Mai 1939 einlud. Es waren
auch einige gekommen, und der Chorleiter des Kirchenchores der Nachbargemeinde
im Martin Lutherhaus Walter Niebor leitete das Treffen und gemeinsame Singen.
Ein geplantes Singen im Freien „war leider nicht möglich“, hieß es vieldeutig,
offenbar bei der Gestapo beantragt, aber nicht erlaubt worden.[36]
Am 11. Juni 1940 fand in der Katharinenkirche das Jahresfest der
Braunschweiger Regionalgruppe des Niedersächsischen Kirchenchorverbandes statt,
bei dem gemeinsam mit Kirchenchören aus der Landeskirche Werke von Schütz,
Schein, Buxtehude und Bach gemeinsam musiziert wurden. Der Nestor der
Wolfenbüttler Kirchenmusikszene, Ferdinand Saffe, hatte die Freude, ein von ihm
komponiertes Werk vom Bad Harzburger Kirchenchor uraufgeführt zu erleben.[37]
So behauptete die Katharinenkirche ihren Anspruch auf den ersten Platz in der
Kirchenmusik der Stadt, der ihr aber streitig gemacht wurde.
Die Arbeit von Dr. Ellinor Dohrn an der Petrikirche
Die Arbeit von Dr. Ellinor Dohrn wurde zu einem Höhepunkt
und Mittelpunkt des kirchenmusikalischen Lebens in der Stadt. [38]
Sie war am 18. August 1935 als 30 Jahre junge Organistin der Petrikirche
eingeführt worden. Für diesen Dienst war sie durch ihre Ausbildung in Italien
und die Promotion überqualifiziert und hatte auf eine andere Stelle irgendwo in
Deutschland gehofft. Sie betrieb energisch den Umbau der Orgel in der
Petrikirche, worin sie von Propst Leistikow kräftig unterstützt wurde, und
blieb schließlich nach der Orgelweihe im Februar 1937 in der Stadt.
Dr. Ellinor Dohrn wirkte erstmals bei einer Feierstunde zum
Erntedankfest im Oktober 1935 in Petri mit und fiel angenehm auf. „Die neue
Organistin Dr. Ellinor Dohrn spielte mit vollendeter Technik und guter
Registrierung Werke von Händel, Bach und Lübeck.“[39]
Von ihrer ersten Orgelfeierstunde mit einem Bach-Reger-Programm schrieb der
Rezensent, sie sei eine berufene Bach-Interpretin, „denn ihre äußerste solide
Technik, wie sie für Bach eine Grundbedingung sein sollte, ist ihr nie
Selbstzweck. Die Organistin zeigte sich als „Dienerin am Werk“ und gestaltete
daher den Abend zu einer erhebenden Andachtstunde“.[40]
Im Laufe des Jahres 1936 hatte sich um die Petriorganistin
ein Chor gebildet, der sich an dem Lübecker Sing- und Spielkreis unter Walter
Grusnick ein Vorbild nahm. Grusnick kam im Oktober 1936 nach Braunschweig,
stellte im Dompfarrhaus bei Domprediger Schomerus seinen Chor vor und
erläuterte sein Musikprogramm. Er musizierte am nächsten Tag in der Petrikirche
nach einem ersten Teil mit Barockmusik, in einem zweiten Teil erstmals Distlers
„Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Distler war Organist an der Lübecker
Jakobikirche, dem geistlichen Ort der Sing- und Spielgemeinde. Der
Musikkritiker Steuerwaldt lieferte in den Braunschweiger Neusten Nachrichten
eine fulminante Besprechung. „Die stimmliche und musikalische Kultur, mit der
sich der Kreis des alten und neuen Musikgeschehens annahm, war über alles Lob
erhaben und erinnerte an größte Vorbilder.“[41]
Ellinor Dohrn spielte auf der Orgel Bruhns und Bach „in jener meisterlichen
Art, die sich klanglich bewusst dem gebotenen Stil beugt und in einer klar
geprägten Rhythmik wie in der Durchsichtigkeit des architektonischen Baues den
reinsten und höchsten Genuss des Erlebnisses der Form schenkt.“
Am Bußtag 1936 musizierte erstmals der neu gebildete Sing-
und Spielkreis St. Petri im Kreuzkirchenkloster, das später im Krieg zerstört
wurde, die Kantate von Buxtehude „Jesu meine Freude“. „Alle Vortragenden sangen
und spielten mit einer Freude und Hingegebenheit, dass der Abend den
hocherfreulichen Eindruck besten Musizierens mit schärfster Selbstkritik
machte.“ Es sei ein verheißungsvoller Anfang gemacht.[42]
Die Braunschweiger Neusten Nachrichten schrieben: „In St. Petri ist etwas
Neues, Vielversprechendes im Werden: die neugegründete Sing- und
Spielgemeinschaft stellte sich zum ersten Male in einer Feierstunde vor, die am
Busstagabend in der alten Kreuzklosterkirche stattfand. Es ist erstaunlich, was
Dr. Ellinor Dohrn, unter deren Leitung die Arbeit steht, in knapp zwei Monaten
mit dem Chor ereicht hat.“[43]
Als der Sing- und Spielkreis 1937 in der Andreaskirche eine
Abendmusik mit Werken von Schütz, Buxtehude und Bach gab, zu der sich mit Hans
Hartwieg und M. Strasdat, hervorragende Orchestermusiker als Solisten zur
Verfügung gestellt hatten, fand die Musik wieder Aufmerksamkeit im Feuilleton.
„Der Rührigkeit der Organistin Ellinor Dohrn ist die Gründung einer Sing- und
Spielschar von St. Petri gelungen, der sich aus allen Bevölkerungskreisen
zusammensetzt. In nur einjähriger Arbeit hat diese ausgezeichnete Musikerin
ihre Schar zu einem leistungsfähigen Korpus zusammengeschweißt.“[44]
Der Musikkritiker des Braunschweiger Allgemeinen Anzeigers Martin Koegel war
begeistert. Ellinor Dohrn dürfe mit stolzer Genugtuung auf diesen schönen Abend
zurückblicken.
In welche strenge Richtung Ellinor Dohrn den Gemeindegesang
lenken wollte, referierte sie bei einer Betrachtung über das Lied, „Nun komm,
der Heiden Heiland“, das damals im Braunschweiger Gesangbuch nicht enthalten
war. „Sollte es gelingen“ so schrieb sie, „dieses Lied in unsren Kirchen wieder
einzuführen, so würde nicht nur unser Melodieschatz um eine wahre Perle
bereichert, sondern unser Adventserlebnis um einen Gedanken vertieft werden,
der mit der Zeit viel zu sehr in den Hintergrund geraten ist, der Gedanke
nämlich, dass man „des seligen Tag nicht allein mit Freude warten, sondern auch
mit Sehnen und Seufzen danach schreien soll (Martin Luther)“.[45]
Ellinor Dohrn war mit diesem Wunsch ihrer Zeit weit voraus und wurde in dem
Gesangbuchanhang 1939 nicht berücksichtigt. Erst das 1950 eingeführte
Evangelische Kirchengesangbuch setzte es als Nummer 1 an die Spitze der
Adventslieder.
Der März/April 1938 war nicht nur in Braunschweig eine
aufgeputschte Zeit. Aber eben in Braunschweig auch. Im März fanden in allen
Garnisonstädten des Hitlerreiches Militärparaden statt, in Braunschweig die
größte seit Herzogs Zeiten. Vor der Paulikirche saß der Fliegergeneral Felmy
auf einem Pferd und nahm eine endlose Parade auf der Kaiser
Wilhelm Allee der aus den 10 Kasernen herbeigeströmten Soldaten, Geschützen,
leichten Gefechtsfahrzeugen, Maschinengewehreinheiten und Luftwaffensoldaten
ab. „Zuletzt blies das Trompetenkorps des Artillerieregiments, der Kesselpauker
auf seinem Schimmel, der Stabstrompeter auf einem, gut aussehenden Fuchs, (so
zog) die 1. Batterie des Artillerieregiments vorbei.“ Man hatte sogar die
Traditionsfahnen der Husaren aus dem Museum geholt.[46]
Tausende Braunschweiger säumten die Allee. Der General Felmy hatte auf dem SA
Feld, wo sich vorher alles versammelt hatte, den Soldaten den Sinn des Ganzen
erklärt: Hart sei die Schule der Wehrmacht. „Zu Männern sollt ihr werden, zu
Persönlichkeiten heranreifen, die unbeirrt ihre Pflicht tun.“ Die bestünde
darin, angesichts des Todes aus innerer Kraft ein tapferer Soldat zu bleiben.
Diese innere Kraft sei „ganz allein gebunden an den Glauben an Gott, an
Deutschland und den Führer.“[47]
In der Wehrmachtspraxis sah das so aus, dass die Soldaten in fremde Länder
einmarschierten, es besetzten, die Juden verdrängten und die Herrenrasse
markierten. Einen Tag vor der Parade war die Wehrmacht in Österreich
einmarschiert, was eine Massenflucht der jüdischen Österreicher auslöste, im
übrigen aber die deutsche Bevölkerung in einen Taumel versetzte, denn jetzt
erst war das deutsche Reich ein großdeutsches Reich.
In dieser von Militärprotz und Gewalt verseuchten Atmosphäre
feierte die Kirche die Passion Jesu, und am Karfreitag 1938 führte Ellinor
Dohrn im Altarraum der Petrikirche zum ersten Mal die Matthäuspassion von
Heinrich Schütz auf. Sie hatte im Volksblatt dazu eine Einführung geschrieben,
in der es u.a. hieß: „Hier wird der Sänger zum Priester, zum Prediger des
Wortes, zum Künder der in der Schrift beschlossen liegenden ewigen Wahrheiten.
An dieser dienenden Haltung der Musik dem Text gegenüber geht hervor, dass auf
jedes schmückende Beiwerk, auf alles, was nicht unmittelbar zur Verdeutlichung
des Wortes gehört, sondern zur Verschönerung dienen könnte, grundsätzlich
verzichtet wird“.[48]
Frau Dohrn begründete mit dieser rigorosen Auffassung den damals noch nicht
üblichen a capella Charakter der Schützschen Passion.[49]
Noch Jahrzehnte später erinnerte sie sich an die Aufführung: „Die Kirche war so
überfüllt, dass etliche Helfer reihenweise Stühle aus dem am Radeklint
gelegenen Mummehaus holen mussten; auch dann noch standen die Hörer bis auf die
Straße. Das Beglückende jedoch war das Werk selbst, das mit seiner plastischen
Aussage Sänger und Hörer völlig in den Bann schlug.“[50]
„Ob nicht viele mit der Gewissheit nach Hause gegangen sind, dass das Kreuz
Christi der tragende Mittelpunkt unseres persönlichen Lebens und auch des
Lebens unseres Volkes ist und bleiben muss?“ fragte der Rezensent im
Braunschweiger Volksblatt und formulierte die Befürchtung jener Jahre vor einer
Ghettoisierung der Kirchen im nationalsozialistischen Militärstaat.[51]
Die Osterausgabe des Braunschweiger Allgemeinen Anzeigers veröffentlichte eine
Rezension von Gotthard Schmidtke, der von der bisher in Braunschweig nicht
aufgeführten Passion überwältigt war. Er nannte sie eine unsterbliche
Schöpfung. „Wir müssen feststellen, dass wir ergriffen und erschüttert sind und
die ungeheuer stärkende Kraft verspüren, die von dieser Tonschöpfung ausgeht.
So war es auch in der überfüllten Petrikirche. Dr. Ellinor Dohrn liess die
Schönheit der Schützschen Passion in ihren herrlichen Chören und Sprechgesängen
ganz erstehen.“[52]
Auch der Rezensent der BTZ, Willi Wöhler, war vom Werk sehr angetan. Man wisse
nicht, was man mehr bewundern solle, die den sprachlichen Ausdruck
erschöpfenden, sich in großen Bögen spannenden Rezitative, die trotz ihrer
Länge kaum ermüden, oder die manchmal schlagartig aufleuchtenden Chöre, die
unerreicht in ihrer Bewegtheit sind“. Wöhler mochte aber nicht sagen, dass die
Schützsche Passion das geniale Werk eines Christen ist – er schrieb ja für die
Parteizeitung – sondern quälte sich folgende Beschreibung des Komponisten ab.
„Sie (die Musik) kommt aus dem Herzen eines allgemeingläubigen Menschen, der
frei von dogmatischen Fesseln dennoch tief religiös ist.“ Der Ärmste. Es war
wohl auch der vollständige Gegensatz zu dem, was sich in jenen Tagen auf der
Straße und in der Öffentlichkeit tummelte und begeisterte. Am Karfreitag 1940
wurde die Passion erneut aufgeführt.
Der große Zuspruch zu diesen größeren Konzerten in Petri war
durch regelmäßige, kurze halbstündige Orgelkonzerte zäh erarbeitet. In der
Saison 1937/38 spielte Ellinor Dohrn 30 Orgelmusiken, in denen 118 verschiedene
Werke aufgeführt wurden, von Frescobaldi bis Brahms, Reger, Honegger und
Distler. 65 Stücke waren von J.S.Bach.[53]
Sie blieb auch in den nächsten Jahren konsequent bei den wöchentlichen
Orgelstunden, zu denen kein Eintritt erhoben wurde.
Zu Gast an der Petriorgel waren Hans Heintze, der Nachfolger
Günter Ramins als Leipziger Thomaskantor, Kurt Fiebig vom Quedlinburger Dom und
ihr italienischer Lehrer Prof. Fernando Germani.[54]
Germani konzertierte am 17. Januar 1939 in der Petrikirche und fand hohe
Anerkennung in der Stadtpresse. „Germani wirkt nicht durch Klangfülle, wenn er
sie auch nicht meidet, sondern durch das Aufgehen in den feinen und feinsten
Schattierungen, durch Gestaltungsreichtum und durchsichtige Klarheit.“[55]
In jener Zeit begann Dr. Ellinor Dohrn, Bachkantaten
aufzuführen. Am Bußtag, dem 16. November 1938 führte der Sing- und Spielkreis
von St. Petri in der Martinikirche erstmals in der Stadt drei Bachkantaten auf.
Käthe Hecke-Isensee sang die Solokantate „Mein Herze brennt in Qual“, der Sing-
und Spielkreis hatte sich erstmals an zwei große Choralkantaten „Allein zu dir,
Herr Jesu Christ“ und „Wer nur den lieben Gott kann walten“ gewagt. Die
Solisten waren Maria Döring, Sopran, Ilse Schlüter, Alt, Karl Francke, Tenor,
Karl Momberg, Bass.[56]
Die Aufführung fiel im Feuilleton der Lokalpresse durch. Martin Koegel schrieb
vom Chor, guter Wille und ernste Arbeit sei überall zu spüren gewesen. „Aber
bei Bach ist es damit allein nicht getan“. Der Hauptakzent der Aufführung habe
bei den solistischen Leistungen gelegen.[57]
Am Karfreitag 1941 führte Ellinior Dohrn die Kantaten „Sehet wir gehen hinaus
nach Jerusalem“ und „Herr Christ, wahr Mensch und Gott“ auf.[58]
Propst Leistikow gehörte zu den unentwegten Förderern der
Sing- und Spielgemeinde und zog sie auch zu repräsentativen Gelegenheiten immer
wieder heran, so zur Einweihung der St. Georgkirche wo sie Händels Psalm
„Singet dem Herrn ein neues Lied“ unter Mitwirkung von Pastor Drömann, Maria
Döring, Walter Dörmann musizierte.[59]
Die kirchenmusikalische Arbeit von Ellinor Dohrn war in
verschiedener Hinsicht neu. Ihre Chorarbeit war übergemeindlich im Gegensatz zu
allen anderen Kirchenchören der Stadt. Einige Sängerinnen und Sänger kamen
sogar von auswärts. Das sicherte ihr auch eine Hörergemeinde, die weit über die
Petrigemeinde hinausging. Ellinor Dohrn erhob einen durchgehend hohen
künstlerischen Anspruch, der sich nicht auf die gläubige Gemeinde bezog,
sondern auf die kunst- wie musiksachverständige Hörerschar. Aber sie war davon
überzeugt, dass durch qualitätsvolle Kunst der Verkündigung gedient wird. Ihre
Chorarbeit fand daher regelmäßig Beachtung im Feuilleton der Tagespresse. Das
war von der Kirchenmusik in den Kirchengemeinden keineswegs üblich und auch
nicht erwartet worden. Sie konkurrierte damit nicht nur in der kirchlichen,
sondern in der Kunstszene der Stadt.
Sie stellte sich auch der Konkurrenz an den größten Orgeln
in Deutschland. Im Sommer 1943
gastierte Dr. Ellinor Dohrn mit einem Bachprogramm in
Stuttgart, im Ulmer Münster und in der Leipziger Thomaskirche und erhielt
herausragende Kritiken. „Wenn eine auswärtige Organistin einer Riesenorgel wie
unsrer Münsterorgel gleich so sicher begegnet, wie dies hier geschah, so ist
damit ihre bedeutsame künstlerische Überlegenheit auch unmittelbar
festgestellt.“ Die Landeszeitung berichtete von der Konzertreihe[60]
und die BTZ, dass Dr. Dohrn „den Ruf der einheimischen Orgelkunst in andere
Gaue getragen“ habe. „In Dr. Ellinor Dohrn aus Braunschweig war eine mit ihrem
Instrument und den Bachschen Orgelschöpfungen wohlvertraute Künstlerin
verpflichtet worden, die durch ihre feine Registrierwahl, durch ihr eminentes
technisches Können und eine eindrucksvolle musikalische Gestaltung aufhorchen
ließ. Hervorstechende Eigenschaften des sauberen, klares Spiels von Dr. Ellnor
Dohrn sind ausgeprägtes Gefühl für Stil und Tempi bei Bach, eindringlich
tiefgründige Gestaltung und die Vermeidung von Eitelkeiten.“[61]
Ellinor Dohrn war 38 Jahre alt und auf einem Höhepunkt ihrer öffentlichen
Anerkennung, die jedoch von der Stadtpfarrerschaft wie von der Kirchenleitung
kaum reflektiert wurde.
Die Kirchenmusik an den anderen Stadtkirchen
Es wäre indes ungerecht, die Kirchenmusik ab 1935 auf die
Arbeit von Ellinor Dohrn zu beschränken. Ihre Arbeit wirkte sich belebend auf
die kirchemusikalische Arbeit in anderen Gemeinden aus.
Ellinor Dohrn arbeitete mit den beiden benachbarten
Organistinnen in der Andreaskirche Maria Döring und Ilse Schlüter an der
Martinikirche eng zusammen und spornte sie zu eigener chorischer Arbeit an. So
konnten im Mai 1938 in der Andreaskirche die Buxtehudekantaten „Lobt, Christen,
Euren Heiland“ und „Jesu meine Freude“ für dreistimmigen Chor und Solisten mit
eigenen Kräften aufgeführt werden. Der Gottesdienst am Sonntag Kantate 1939
wurde in der Martinikirche musikalisch vom Frauenchor, Kinderchor, Orgel und
Violine festlich gestaltet.
Auch der Organist an der Magnikirche Max Wiese bot ein
anspruchsvolles Programm. Am Bußtag 1938 spielte er in der Magnikirche ein
Regerprogramm, „ein Musiker, der sich erfolgreich um die durchsichtige
Zeichnung der Themen, um farbige Schattierung ihrer Gegensätze und sinngemäße
Steigerung des Klanges mühte.“[62]
Karfreitag 1939 sang der neu gegründete Kirchenchor unter seiner Leitung die
Johannespassion von Heinrich Schütz.[63]
Es war ein Verlust, dass Wiese im selben Jahr umgehend entlassen wurde, weil
seine schwule Orientierung bekannt wurde.
„Wir dürfen uns immer wieder freuen, wenn die Mitglieder
dieser Gemeinschaften in unseren Kirchen Zeit und Kraft einsetzen zur Darbietung
unserer herrlichen Kirchenmusik. Das gilt nicht nur für St. Petri, auch für
alle anderen Gemeinden,“ befand Herdieckerhoff im Braunschweiger Volksblatt zu
lesen.[64]
Kreuzgangmusiken
Die untereinander auch konkurrierenden Chöre führte Propst
Leistikow bei Sommerkonzerten im Kreuzgang der Brüdernkirche 1939 und 1940
zusammen. In der Gestaltung der Kreuzgangmusiken, die im vierzehntägigen
Rhythmus stattfanden, wechselten sich die Organisten Hilde Pfeiffer, Ellinor
Dohrn und Walrad Guericke ab. Im Sommer 1940 erfreute „eine immer wachsende
Gemeinde“ die Abendmusiken im Kreuzgang der Brüdernkirche und in der
Petrikirche. 6. Juli 1940 Bachorgelwerke in Petri, in Brüdern Tonsätze von
Walrad Guericke für Kleinorgel, Flöten und Geigen, Solo und Chöre. Es fehlte bei
der Berichterstattung in der Presse nicht der Propaganda-Ton: die Zuhörer
nähmen die Zusage und Zuversicht mit, „dass alle feindlichen Gewalten zu Schand
und Spott werden müssen. Denn „Gott ist mit uns und wir mit Gott. Den Sieg
wolln wir erlangen“, nämlich in Frankreich und weniger im Glauben.[65]
Leistikow hatte außerdem, um dem kirchenfremden Trend
entgegenzuwirken, in der Brüdernkirche 1939 die Reihe „Stunde der Besinnung“
eröffnet, bei der die Stadtpfarrer reihum Vorträge zu aktuellen Themen
hielten. Die Vortragsabende wurde musikalisch eingerahmt. Im März 1939 sprach
Leistikow vor allem die Konfirmandeneltern an, der Petri Sing-und Spielkreis
musizierte Buxtehudes „Cantate Domino“. Hermann Dosse sang die Solopartie, Karl
Bosse spielte die Orgel.[66]
Dommusiken
Die Kirchenmusik diente auch zur politischen Demonstration.
Als sich immer deutlicher abzeichnete, dass die Umbauten am Dom zu einer
Verdrängung des gottesdienstlichen Lebens führen könnten, richteten der Bischof
und Walrad Guericke [67]vierzehntätige
Dommusiken im Hohen Chor des Domes ein. Damit sollte der Anspruch der
Landeskirche auf den Dom als gottesdienstlichen Raum bekräftigt werden. Die
erste dieser Dommusiken fand am 3. Oktober 1936 statt. Der Hohe Chor war bis
zum letzten Platz besetzt.[68]
Bei der zweiten Dommusik mussten einige Besucher wegen Überfüllung wieder nach
Hause gehen.[69]
Die letzte Dommusik fand im Sommer 1938 statt.
Doch 19. Jahrhundert
Gegen zu viel Buxtehude und Frühbarock und
gregorianische Strenge wurden eher folkloristische Musikgruppen eingeladen. Wen
es nun doch zurück zur Musik des als schmalzig verschrieenen 19. Jahrhunderts
zog, der fand sie beim Evangeliumschor, der unter Leitung von Hans Meurer bei
einem Konzert in Petri viel Zuspruch fand.[70]
Konzerte der Singakademie
Die Kirchenmusik wird in der Kirche als Teil der
Verkündigung verstanden. Sie wird aber keineswegs allein von der Kirche
ausgeübt. Die Aufführung geistlicher Musik hatte sich auch die Braunschweiger
Singakademie zur Aufgabe gemacht. 1930 hatte Willi Sonnen einen Chor der
Singakademie gegründet und gastierte auch in den Kirchen mit großen
oratorischen Werken.[71]
Am 1. Advent 1938 führte die Singakademie zusammen mit der Singakademie
Hannover in der Andreaskirche unter Leitung von Willi Sonnen „Das deutsche Requiem“
von Brahms auf, „eine Aufführungstat, wie sie selten geschehen“.[72]
Am 12.2.1939 wurden in der Martinikirche die Bachmotette „Lobet den Herrn alle
Heiden“ und a capella Werke des 17. und 18. Jahrhunderts aufgeführt. In der
Adventszeit 1939 musizierte die Singakademie Advents- und Weihnachtsmusik in
der Brüdernkirche u.a. die Bachkantate „Sehet, welch eine Liebe hat uns der
Vater erzeiget“ sowie weihnachtliche Chorsätze von Prätorius, Schröter und
Eccard.[73]
Helmut Pleus, Organist an der Paulikirche spielte an der Orgel. Am 1.11.1942
führte die Singakademie in der Magnikirche die Schöpfung von Haydn auf und in
der Passionszeit 1943 die Matthäuspassion von J.S.Bach.
Die Kirchenmusik im „Dritten Reich“ hatte viele Gesichter
und hat eine sehr unterschiedliche Interpretation erlebt. Es war gewiss kein
Nachteil für die Kirchenmusik, wenn Nazigrößen wie der Stellvertreter des
„Führers“ Hess seine Silvesteransprache 1938 mit dem Choral „Nun danket alle
Gott“ beschloss und die Silvesterausgabe des Braunschweiger Allgemeinen
Anzeigers den Choral als Aufmacher auf Seite eins zitierte. Derselbe Choral
ertönte am 24. Juni 1940 aus den Volksempfängern nach der Nachricht vom Ende
des Krieges gegen Frankreich. Pfarrer Herdieckerhoff schilderte seinen Eindruck
vom Lied im Braunschweigischen Volksblatt: „Die Schande von Versailles ist
gelöscht. Die Besiegten von 1918 haben den damals schon verdienten Sieg
hereingeholt... Uns alle erfüllt der Glaube, dass hier Gott gesprochen hat. Er
hat uns wie über Nacht, eine neue ungeheure geschichtliche Aufgabe gegeben. Wir
haben deshalb von Herzen eingestimmt, als am 24. Juni abends durch den Äther
der Choral von Leuthen erschallte: „Nun danket alle Gott/ mit Herzen Mund und
Händen/ der große Dinge tut/ an uns und allen Enden/ der uns von Mutterleib/
und Kindesbeinen an/ unzählig viel zu gut/ und noch jetzund getan.“ Was mag
Hitler bewogen haben, diesen Choral ans Ende der knappen Siegesnachricht zu
setzen? Wie mochten Rosenberg. Himmler und Bormann auf diese Kombination
reagiert haben? Für einen Teil der Zuhörer bedeutete es möglicherweise eine
unangemessene, peinliche Zusammenstellung, für den anderen eine Erinnerung,
vielleicht sogar die Hoffnung auf eine Rückkehr Hitlers zu seinen Zusagen von
1933, seine Politik auf den Grundlagen der Kirche zu bauen.
Auch die Kirchenmusik in den Braunschweiger Stadtkirchen zur
Zeit des Nationalsozialismus hatte viele Gesichter. Sie war im Grunde
„unpolitisch“ und bot die Möglichkeit, in einen ideologie- und nazifreien Raum
zu flüchten. Wenn man das überhaupt wollte und einen Anlass dazu suchte.
Ungewollt zeigte sich das andere Gesicht einer „Kooperation wider Willen“. Es
gab im nationalsozialistischen Gewaltstaat Sonntag für Sonntag vom Sender
Leipzig eine Bachkantate zu hören. Es gab auch jene, die offen mit der braunen
Gesellschaft kooperierten. Zu den systemgetreuen Organisten gehörte der
Domorganist Walrad Guericke, der zum Reichserntedankfest auf dem Bückeberg ein
zeitgemäßes Lied komponierte und mit Sängerinnen und Sängern auf dem Burgplatz
einübte und auch im Staatsdom gelegentlich die Orgel spielte, sogar als Alfred
Rosenberg sprach. Trotzdem unterstützte Guericke die als Protest anzusehenden
Kirchenmusiken im Hohen Chor des Domes zwischen 1936 und 1938.
Zwischen der Organistin Hilde Pfeiffer und Dr. Ellinor Dohrn
entwickelte sich ein offenes Konkurrenzverhältnis. Hilde Pfeiffer zeigte
während des Krieges die Petriorganistin Ellinor Dohrn bei der Gestapo an und
behauptete, sie sei nach den Nürnberger Rassengesetzen untragbar belastet. Das
war bösartig und konnte den Verlust des Amtes bedeuten. Auch wenn die
Petriorganistin alle Behauptungen widerlegen konnte – das hätte ihr nicht
geholfen. Sie hatte aber förderliche Beziehungen bei der Presse, im
Stadtkirchenamt und beim Braunschweiger Propst Leistikow, was ihr wohl eher zur
Hilfe gekommen ist. Sie hat „ihren Fall“ ausführlich in dem hier als Anhang
wiedergegebenen Brief selber geschildert.
So gehört die Kirchenmusik jener Zeit zu den klingenden
Ansichten einer versunkenen Stadt.
[4]
Sonntagsgruß 9.10.1932
[6]
Die Stimme von Alma Müller-Werner ist noch zu hören auf einer CD vom Konzert
zum 50. Kirchweihfest 1961, wo der Chor unter der Leitung des jungen Uwe
Gronostay Dietrich Buxtehudes „Alles, was ihr tut“ und die Bachkantate „Bleibe
bei uns“ musizierte.
[7]
Gerhard Kalberlah St Jakobi zu Braunschweig
Braunschweig 1936 S. 42 f Es waren die Lehrer Langelüddecke, Spannhoff, William
Klemm und Alwin Schulze
[8]
Gemeindeblatt für St. Jakobi 1. März 1936 S. 10
[9]
Sonntagsgruß 30.4.1933 S. 142
[10]
BV 19.4.1936 S. 80 Die Lukaspassion wurde in der Paulikirche und Petrikirche
aufgeführt.
[11]
BV 31. Juli 1938 S. 128
[13]
Das Lied steht heute im EG Nr. 243;
[14]
Beilage zum BV Nr.22 28.5.1938
[15]
BV 27.11.1938 und Beilage zum BV Nr. 39 4.12.1938
[16]
Beilage zum BV Nr. 15 14.4.1940
[17]
Nach Uwe Pape Die Orgeln der Stadt Braunschweig Wolfenbüttel 1966 mit Bilder
von dem Zustand der Orgeln vor 1943
[18]
In Beilage zum BV Nr. 42 vom 17.10.1937 ein Nachruf auf den am 8.10.1937 im
76. Lebensjahr verstorbenen Albert Therig. Therig war am 1.10.1852 in
Schöningen geboren, Musiklehrer in Königslutter, dann am Gymnasium in
Holzminden, danach am Seminar in Braunschweig. 1908-1914 leitete er den
Männergesangverein in Braunschweig und gründete einen Bachverein. Der Herzog
ernannte ihn 1911 zum Musikdirektor. „Gerade die Geschichte der Pauligemeinde
wird mit dem Namen des Entschlafenen allzeit verbunden bleiben“, schloss der
Nachruf im Volksblatt.
[19]
Festschrift St. Jakobi zu Braunschweig S. 42
[21]
Beilage zum BV Nr. 10 6.3.1938
[23]
Das Konzert fand am 6.5.1935 statt. BV 12.5.1935 S. 100 : „Das Konzert
hinterließ durch seine erfreulich ernste und gewissenhafte Vorbereitung einen
sehr guten Erfolg.“
[24]
BV 10.5.1936 S. 96 und BV 17.5.1936
[25]
Musikalisch ausgestalteter Gottesdienst in Martini, heißt es in den
Kirchennachrichten zu diesem Sonntag 1939. Es singen der Frauenchor, ein Kinderchor,
dazu Violinen und Orgel.
[26]
Beilage zum BV Nr. 19 11.5.1941
[28]
Beilage zum BV Nr. 20 18.5.1941
[29]
Beilage zum BV Nr. 18. 4.5.1941
[32]
Beilage zum BV Nr. 46 13.11.19838; Otto Steuerwald in BAA 21.11.1938 eine sehr
lobende Besprechung
Hilde
Pfeiffer hatte im Gemeindeblatt St. Katharinen November 1938 eine Einführung in
das Konzertprogramm veröffentlicht.
[33]
BNN 20.11.1936
[34]
BAA 29.12.1938. Weiterhin Orgelmusik zur Passionszeit von Hilde Pfeiffer Beilage
zum BV Nr. 14 2.4.1939; zum Totensonntag 1939 Musikalische Feierstunde mit
Werken alter und neuer Meister Solokantaten für Sopran von Buxtehude und
Tunder; es singt außerdem der gemischte Chor und der Kinderchor.
[35]
Beilage zum BV Nr. 47 24.11.1940; Beilage zum BV Nr. 49 8.12.1940.
[36]
Beilage zum BV Nr. 20 14.5.1939
[37]
Beilage zum BV Nr. 25 18.6.1939
[38] Ellinor v.d. Heyde Dorn (1905-2000). Literatur: Hilde Kramm
Walter Porträts Braunschweiger Künstler (VII) Im Dienste der musica sacra Dr.
Ellinor von der Heyde –Dohrn in: Salve Hospes Braunschweiger Blätter für Musik
März 1967 S. 24-26; Helmut Kruse Ellinor Dohrn als Petriorganistin 1935 – 1945
in KvU Nr. 125 April 2009
[39] BV 13.10.1935 S. 212
[40] BV 24.11.1935 S. 239
[41]
Der Lübecker Sing- und Spielkreis gastierte erneut am 5.10.1937 in Petri mit
einem Buxtehudeprogramm und einen Tag später in der Volkslesehalle zum Thema
„Deutsche Hausmusik“. Nach Beilage zum BV Nr. 40 vom 3.10.1937. Der Lübecker
Sing- und Spielkreis gastierte 1938 zum dritten Mal mit vier- fünf- und
sechsstimmigen Chorwerken alter Meister und von Distler.
[42]
BV 29.11.1936 S. 230/ Die Braunschweiger Neusten Nachrichten schrieben: „In
St. Petri ist etwas Neues, Vielversprechendes im Werden: die neugegründete
Sing-. Und Spielgemeinschaft stellte sich zum ersten Male in einer Feierstunde
vor, die am Busstagabend in der alten Kreuzklosterkirche stattfand. Es ist
erstaunlich, was Dr. Ellinor Dohrn, unter deren Leitung die Arbeit steht, in
knapp zwei Monaten mit dem Chor erreicht hat.“ (Kruse KvU S. 38)
[43]
nach Kruse KvU Nr. 125 S. 38
[45]
BV 11.12.1938 S. 206
[49]
Kruse weist in seinem Aufsatz in KvU Nr. 125 auf diese Aufführungspraxis hin.
[50]
Brief von Frau v.d.Heyde-Dorn an den Verfasser siehe Anhang zu diesem Kapitel
nach den Anmerkungen
[51]
Beilage zum BV Nr. 17 24.4.1938
[52]
BAA 18.4.1938; dieselbe Rezension auch in BNN/BLZ 18.4.1938
[53]
nach einer zeitgenössischen Aufstellung von Frau Dohrn „Dreißig Orgelmusiken
in der Petrikirche Oktober 1937- Juni 1938“ beim Verfasser
[54]
so Kruse in KvU S. 39
[55]
Beilage zum BV Nr.4 22.1.1939
[56]
Beilage zum BV Nr. 46 vom 13.11.1938
[57]
BAA 17.11.1938; Gerhard Schultz schrieb im BNN 17.11.1938, der Chor sei der
Aufgabe „doch nicht ganz gewachsen gewesen“.
[58]
Beilage zum BV Nr. 14 6.4.1941
[61]
BTZ 4./5. 9. 1943. „Ellinor Dohrn auswärtige Erfolge“ überschrieb die BLZ
15.9.1943 den Bericht über die Konzertreise.
[62]
Albert Trapp in BAA 17.11.1938
[63]
Beilage zu BV Nr. 16 16.4.1939
[64]
Beilage zum BV Nr. 48 vom 27.11.1938
[65] Beilage zum BV Nr. 29 Juli 1940 „Evangelische
Abendmusiken“
[66]
Beilage zu BV Nr. 12 19.3.1939
[67]
Walrad Guericke (1892-1963), Sohn des Helmstedetr Bürgermeisters Guericke,
1910-1914 Besuch der Akademie in München, Kriegsfreiwilliger, verwundet, seit
1.6.1916 als Nachfolger von Kurt Gorns Organist am Braunschweiger Dom. „Möge er
in der jetzigen bedeutsamen Stellung erfolgreich mitwirken, dass die Schätze
alter und neuer Musik für die ‚Königin der Instrumente’ auf das Volk
erzieherisch, veredelnd wirken, dass die in der großen Zeit voll Feuer, Blut
und Tränen erfolgte Wiedergeburt religiösen Empfindens immer wieder zum Segen
unseres Vaterlandes erstarke.“ BLZ 30.5.1916
Der frühere Domorganist, zuletzt Organist an der Magnikirche,
liegt auf dem Domfriedhof in der Nähe von J.H., Wicke begraben unter dem
Bibelwort „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“. (1. Joh.
5,4)
[68]
BV 4.10.1936 S. 197 und BV 18.10.1936 S. 205
[70]
Beilage zum BV Nr. 18 30.4.1939
ein sehr gut besuchtes Konzert in Petri am 22.4.1939 mit einem Chor aus
vorwiegend jungen Sängern .
[71]
Willi Sonnen (1882-1951); in Braunschweig 9.6.1951 verstorben. Nach dem
Musikstudium in Berlin debütierte er 1909 an der Gura-Oper Berlin, ab 1923-26
als Opernsänger am Braunschweiger Landestheater und von hier aus
Gastspielreisen als Wagnerinterpret. Er sang bei den Festspielen in Bayreuth
1924 und 1925. nach K.J. Kutsch/ Leo Riemens Grosses Sänger-Lexikon 3. Aufl. Bd
5 1997
[72]
Gotthardt Schmidtke in BAA 28.11.1938
[73]
Beilage zur BV Nr. 49 3.12.1939; Besprechung in Beilage BV Nr. 51/52
Anhang
Ein Brief von Frau Dr. Ellinor v.d.Heyde-Dohrn an
den Verfasser vom 18.3.1979
„Die
Rückbesinnung auf die Jahre ruft viele Emotionen mit herauf, deren Bewältigung
mir
auch heute noch Schwierigkeiten bereitet. Dazu kommt, dass ich, um verständlich
zu sein, persönliches nicht umgehen kann, was mir ausgesprochen unangenehm ist.
Das
beginnt schon mit dieser schwer begreiflichen Übernahme einer nebenamtlichen
Organistenstelle an St. Petri zu Braunschweig. Nachdem ich mehrere Jahre in
Italien meinen Studien gelebt (allerdings auch einen schweren Existenzkampf
geführt) hatte, wollte ich meinen vom Nazitum bedrängten Eltern in Hannover
nahe sein und dennoch den Kontakt mit der Orgel nicht aufgeben. So nahm ich
unbesehen diese Stelle an in der festen Meinung, es würden sich mir, erst mal
heimgekehrt, bald andere Möglichkeiten eröffnen. Wenn ich mich recht besinne,
betrug mein Monatsgehalt 48.84 M; ich konnte also davon nicht existieren, was
der großzügigen, energischen, Kirchenmusik begeisterten Frau Pfarrer Gertrud
Freise höchst willkommen war, denn nun musste ich im großen Pfarrhaus mit
unterschlupfen und wurde für zahllose Gemeindeveranstaltungen (fast
allabendlich!) mit vereinnahmt. Mit der Zeit konnte ich diese Abhängigkeit
nicht ertragen und erwirkte, dass ich ein winziges Zimmer im
Gemeindekindergarten/Klosterstraße bewohnen durfte. Mein Gehalt hatte sich
inzwischen verdoppelt dadurch, dass mir auch das Chorleiteramt übertragen
wurde.
Meine
Hingabe an die musikalischen Aufgaben blieb von dieser äußerlichen Enge
unberührt. Mit der Gründung der Sing- und Spielgemeinde St. Petri eröffnete
sich meinen Musikanten und mir eine mir bis dahin selbst noch unbekannte
wunderbare Welt. Das Echo und der Zustrom aus allen Gemeinde war ungeheuer, -
wie ich ja immer einen übergemeindlichen Chor geleitet habe, dessen Mitglieder
z.T. von weither (Wolfenbüttel, Gifhorn) zweimal die Woche (vor großen
Aufführungen auch häufiger) zur Probe kamen. Bei allen offiziellen kirchlichen
Feiern wünschte der Propst der Stadt, Hans Leistikow die Mitwirkung der Sing-
und Spielgemeinde St. Petri, - oftmals ging es über die Grenze dessen, was die
Berufstätigen nebenher zu leisten vermochten.
Da
der Propst fürchtete, ich würde Braunschweig schnell wieder verlassen, bot er
mir die für mich neu zu schaffende Position eines Stadtkantors an. Ich musste
ihn bitten, von diesem Plan Abstand zu nehmen, um nicht noch mehr den Unwillen
einiger Kollegen zu erregen, die bereits begonnen hatten, mein ¼ nicht arische
Belastung gegen mich ins Feld zu führen. Mit umso größerem Nachdruck förderte
er den Umbau der alten Ladegast-Orgel in St. Petri nach den Grundsätzen der
Orgelbewegung – eine Tat, die große Opfer von der Gemeinde und der
Stadtkirchenkasse erforderte und mich tatsächlich moralisch an Braunschweig
gebunden hat. Bei dieser Gelegenheit mochte ich nicht versäumen, nachdrücklich
auf den Mut und den Idealismus von Propst Leistikow während all der schweren
Jahre bis nach Kriegsende hinzuweisen. Ohne seinen unbeirrten Einsatz wäre
vieles ungetan geblieben, was den Menschen damals zum Quell der Kraft und
Zuversicht wurde.
Ein
Höhepunkt war für mich die Erstaufführung der Matthäus-Passion von Heinrich
Schütz am Karfreitag 1938 in St. Petri (Voraufführung am 10.4. in der
Trinitatiskirche zu Wolfenbüttel). Die Kirche war so überfüllt, dass etliche
Helfer reihenweise Stühle aus dem am Radeklint gelegenen Mummehaus holen
mussten; und auch dann noch standen die Hörer bis auf die Straße. Das
Beglücklende jedoch war das Werk selbst, das mit seiner plastischen Aussage
Sänger und Hörer völlig in den Bann schlug.
Eintrittsgeld
wurde in St. Petri nie erhoben, die Unkosten durch Kollekten finanziert, hin
und wieder bekamen wir auch Zuschüsse durch die Stadtkirchenkasse, bis der zur
Überwachung der Finanzen in Wolfenbüttel eingesetzte Herr Hoffmeister die
Zuschüsse für meine Arbeit sperrte. Das wurde erst anders, als OLKR Dr. Breust
sich persönlich angerührt fühlte und, seiner politischen Gesinnung zum Trotz,
die Förderung meiner Arbeit in eigene Verantwortung nahm. In ihm ist mir in
jenen Jahren ein regelrechter Beschützer erwachsen, wofür ich ihm bis heute
dankbar bin, obwohl es mancherlei Abhängigkeiten mit sich brachte. So verbot er
mir, Konzertverpflichtungen außerhalb der Braunschw. Landeskirche anzunehmen.
Übrigens hatte ich in St. Petri mit der Finanzierung der Kirchenmusiken kaum
etwas zu tun; das Endgültige hielt Frau Pfarrer Freise in festen Händen, der
Herr Pfarrer hatte nicht viel zu sagen. An Resonanz hat es weder in St. Petri
noch später im Dom je gefehlt. Unter den Pfarrern waren es natürlich einzelne,
die mitsangen oder zu den regelmäßigen Hörern gehörten. In Bezug auf die
Gemeinde war es auffällig, dass die sonntäglichen Kirchengänger weit hinter den
aus der Stadt und weiter her zuströmenden, vorwiegend jugendlichen Hörern
zurückblieben., - eine Beobachtung wie allenthalben gemacht wurde. Ganz
besonders galt das für die reinen Orgelmusiken, die naturgemäß nur einen kleineren,
dafür aber um so treueren Hörerkreis fanden. Von dem Moment der Erneuerung der
Petri-Orgel im Jahre 1937 habe ich, vor allem während der Kriegsjahre,
wöchentlich 1-2 Orgelmusiken gegeben, wozu ein umfassendes Repertoire
erarbeitet werden musste, da es sich ja immer um den gleichen Hörerkreis
handelte.
Nach
der anfänglichen Begeisterung habe ich im Verlauf trotz des stärker werdenden
Drucks auf die Presse „miese Rezensionen“ eigentlich nie bekommen. Im
Gegenteil: ich weiß von einem Fall, in dem sich der Rezensent, PG,
ausgesprochen in Gefahr begab, um das Niveau der Aufführungen an St. Petri
immer wieder herauszustreichen, bis ihm das Rezensieren schließlich unmöglich
gemacht wurde.
Dass
es bei den regelmäßigen Orgelmusiken Überwachungen gab, wurde mir erst
deutlich, als die Kirchenvögtin einmal ganz atemlos den Beginn meines Spiels
unterbrach: „Sie dürfen noch nicht anfangen, Herr Dr. Dürkop ist noch nicht
anwesend!“. Bis dahin hatte ich seine regelmäßige Anwesenheit für
Orgelbegeisterung gehalten. Er war auf kulturellem Gebiet die rechte Hand von
Minister Klagges und der Freund und Ehemann der Organistin an St. Katharinen,
Hilde Pfeiffer. Die beiden Letztgenannten haben mir zweimal eine Vorladung vor
die Gestapo eingebrockt. Die nicht-arische Belastung, welche meinen sieben
Geschwistern und mir im Wege stand, rührte von unserm Großvater Consul Gustav
Simon in Königsberg i.Pr. her. Er war blond, blauäugig, hatte im Krieg 1870/71
bei den Königsberger Kürassieren als Offizier mitgekämpft, -national bis auf die
Knochen, im übrigen von Jugend an getauft. Wir waren stolz auf ihn, weil er
herrlich Geige spielte und ein Freud von Joseph Joachim Brahms und Bülow war.
Seine Frau, unsere Großmutter, war die Generalstochter Therese v. Kusserow,
eine ausgebildete Sängerin. Mit dieser Viertelbelastung durften wir zwar am
Leben bleiben, aber nicht wirken, d.h. Bruder und Schwester, die ein
Medizinstudium absolviert hatten, mussten zwar Beiträge zu der
Reichsärztekammer zahlen, bekamen aber nicht die Approbation. Erst als sie
meinen Bruder in den beiden letzten Kriegsjahren in die vorderste Front nach
Russland schicken konnten, durfte er seinen Arztberuf ausüben. – Ich mußte
ebenfalls Beiträge an die Reichsmusikkammer überweisen, ohne dafür eine
Mitgliedkarte ausgehändigt zu bekommen, die mich zum Unterrichten und
Konzertieren im weltlichen Raum berechtigt hätte. Innerhalb der Kirche wurde
ich als Viertel-Nichtarierin gerade noch geduldet, solange ich keine
Extra-Position einnahem. Es gehört damals für mich zu einer der bittersten
Enttäuschungen, dass der deutsch-christliche Landesbischof Johnsen die Tatsache
des Getauftseins bei meinem Großvater für gänzlich belanglos hielt. Die
Ansichten der beiden Dürkops gingen nun darauf hinaus, meine Viertelbelastung
anzuzweifeln und mich als Halbjüdin hinzustellen, um mir das Handwerk zu legen.
Es gelang mir jedoch jedes Mal, vor der Gestapo den Nachweis meiner richtigen
Angaben zu erbringen. Schlimmer war es ein anderes Mal, als die Gesellschaft
für Musikwissenschaft, deren Mitglied ich war, in Braunschweig ihre
Jahrestagung abhielt und Dr. Dürkop an Stadtrat Dr. Mewes das Ansinnen stellte,
mich – unter vielen hundert Gästen! – des Saales zu verweisen.
Aber
es gab auch Kolleginnen, mit denen ich gern und oft zusammenarbeitet: die Organistin
an St. Martini, Ilse Schlüter, die bei mir Orgelunterricht nahm, mir oft beim
Registrieren half und die Alt Partien in unseren Kantatenaufführungen sang. Sie
heiratete zu Beginn des Krieges Rolf Linack, der nach kurzer Ehe fiel, worauf
sie bald die Stadt verließ. Für die Sopran-Partien holte ich gern außer der
hervorragenden Konzert-Sängerin Käthe Hecke-Isensee die Organstin der
Andreas.Kirche Maria Döring, mit der ich auch weltanschaulich völlig
harmonierte. Sie ist nach dem Kriege als Kantorin nach Goslar gegangen und hat
in späten Jahren den verwitweten Kirchenrat Rauls geheiratet.
Ein besonderes Kapitel waren die vom Juli bis September
alle 14 Tage stattfindenden Musiken im Kreuzgang der St. Ulricikirche., die
Propst Leistikow eingeführt hatte. Die Hauptlast trugen Walrad Guericke, Hilde
Peiffer und ich. Im Kalender 1940 finde ich folgende Aufteilung: „1. Juni
Guericke, 15. Dohrn, 29. Pfeiffer, 13. Juli Guericke, 17. Dohrn, 10. August
Dohrn, 24. Peiffer, 7. September Dohrn, 21. Guericke. Die Brüdernkirche selbst
war schwer renovierungsbedürftig, der Kreuzgang ebenfalls ziemlich
verwahrlost.; dennoch waren die Musiken bei einem gewissen Hörerkreis wegen der
romantischen Stimmung (Vogelgezwitscher) und der großartigen Akustik beliebt.
Für die Verantwortlichen war es jeweils ziemliche Pein, da der Wettergott fast
immer einen Strich durch die Rechnung machte. Platzregen, Sturm, Kälte, total
verstimmte Instrumente, zumal das mühsam herbeigeschaffte Cembalo, mit vielen
Wäscheklammern fixierte und dennoch flatternden Notenblätter.. Walrad Guericke,
ehemals Domorganist, seit Einzug der Nazis in den Dom an St. Magni tätig,
bevorzugte bei diesen Musiken wie auch im Gottesdienst den Blockflötenklang und
hatte stets einen Blockflötenkreis um sich. Nie habe ich ihn Orgel spielen
hören. Außerdem wurde im Sommerhalbjahr die Klosterkirche in Riddagshausen zu
Wochenendmusiken herangezogen. Waren die Musizierenden dort zwar vor den
Unbilden des Wetters geschützt – nur die Zahl der Hörer war davon abhängig – es
machte der Nachhall jede künstlerische Bemühung von vorneherein zunichte.
Außer
bei diesen regelmäßigen Sommermusiken wurde die „Sing- und Spielgemeinschaft
St. Petri“ je nach Bedarf bei feierlichen Anlässen in den verschiedenen
Stadtkirchen wie auch im Lande Braunschweig eingesetzt. Oftmals entsprang es
auch einer Eigeninitiative, ein schwer erarbeitetes Programm noch andernorts
musizieren zu können. Der Chor war immer mit Begeisterung dabei. So haben wir
u.a. gesungen in Wolfenbüttel, Harzburg, Königslutter, Helmstedt, Schöningen,
Gandersheim, Salzgitter, Gifhorn, Hannover.
In
der Petrikirche fanden regelmäßig Morgenandachten statt, bei denen die Orgel
miteingesetzt wurde. Auch fanden dort die Gottesdienste der Bekenntnisgemeinde
statt. Die Deutschen Christen hielten sich an die Magnikirche, wo Herr und Frau
Brutzer den Boden bereitet hatten. Zufällig finde ich in einem alten Kalender,
dass ich dort am 14.,16.,18. und 20. und 21. April bei Veranstaltungen der
Deutschen Christen den Organistendienst versehen habe.
Die
Petri-Orgel war im Februar 1944 durch Bomben zerstört worden, die Kirche in
einem späteren Angriff total ausgebombt. Mit dem Chor arbeitete ich, z.T. in
Luftschutzräumen, unverdrossen weiter, - es ist mir heute unvorstellbar, wie
wir es haben durchführen können. Da die Orgelmusiken nun entfielen, stellte ich
mich Propst Leistikow als Schreibkraft für seine vielen Feldpostsendungen zur
Verfügung. – Sofort nach dem Zusammenbruch fragte er mich, ob ich das Hauptamt
an St. Katharinen oder am Dom übernehmen wollte. St. Katharinen schied aus,
weil ich auf keinen Fall die Nachfolge von Frau Pfeiffer-Dürkop antreten
wollte, die nunmehr als untragbar angesehen wurde. Außerdem war die Orgel dort
abgebaut und man konnte voraussehen, dass es Jahre brauchen würde, bis sie
wieder spielbar sein würde. Im Dom dagegen waren der Orgel doch noch irgendwie
Töne zu entlocken, „sie spielt noch“ wie die Leute sagten, wenn auch
keinesfalls schön. Aber auch dort gab es ein personelles Problem, das mir
schwer zu schaffen machte: den Domorganisten während der Nazi-Epoche des Domes,
Wolfgang Auler. Es war ja nach Kriegsende keineswegs so, dass die Protagonisten
des Tausendjährigen Reiches aus solchen Positionen gleich verschwunden wären;
selbst im Ministerium saßen noch Leute, die versuchten, den alten Kurs weiter
zu steuern. Ministerialdirektor Wolf hat mir verboten, den Titel „Domorganistin
zu führen; nachdem ich schon etliche Zeit am Dom tätig war. Und wem unterstand
der Dom eigentlich, dem Staat oder der Kirche? Als ich das erste Mal vor der
Domorgel saß, setzte sich Wolfgang neben mich mit den Worten: Nun wollen wir
mal sehen, wie wir miteinander hier auskommen..“ Zunächst war die Ratlosigkeit
auch in den kirchlichen Stellen groß.
In
der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch gab es viele Halb- und Nichtskönner, die
sich diese Ratlosigkeit ebenso zunutze machten wie das Verlangen der Menschen,
endlich wieder Musik ohne Bombenangst hören zu können. Und so hatten sich ein
Organist und ein Geiger bescheidensten Formates an OLKR Seebaß gewandt mit der
Bitte, im Dom musizieren zu dürfen, und sofort diese Erlaubnis erhalten,
während ich nie riskiert hätte, in diesem fensterlosen Raum mit einer defekten
Orgel eine Gemeinde einzuladen. Auf unser erstes Konzert kann ich mich
merkwürdigerweise gar nicht besinnen; wir haben uns zunächst bestimmt auf das
gottesdienstliche Singen beschränkt. Unsere Proben hielten wir im
Dom-Heizungskeller ab. Wir waren eine große Schar begeisterter Sänger; ich
stand gerade noch mit einem halben Fuß oben auf der Treppe; wir sangen, bis uns
buchstäblich die Luft ausging.
Unser
größtes Erlebnis der Nachkriegszeit war ohne Zweifel die Aufführung der
Choralpassion a capella von Hugo Distler am Karfreitag 1947 im Dom. Ich hatte
dieses Werk bewußt gewählt. Eine der Bachschen Passionen hätte in ihrer
ästhetischen Schönheit, aber auch mit ihrem enormen äußeren Aufwand unserer
damaligen Armut und Kargheit nicht entsprochen. Dieses strenge, herbe, z.T.
hochdramatische, z.T. meditative Werk in zeitgenössischer Sprache hat den Chor
und die Gemeinde unbeschreiblich gepackt und erschüttert, -- es war wirklich
eine „Sternstunde“ für uns alle, noch heute bei Vielen unvergessen.
Die Getreueste der Getreuen, die in der Vor- und
Nachkriegszeit mir immer zur Seite gestanden hat, war Frau Susanne Hartwieg.
Ohne ihre Hilfe hätte ich die äußeren Probleme gar nicht bewältigen können. Wir
mussten vor jeder Chorveranstaltung den ganzen Dom umräumen, die entsetzlich
schweren Stühle schleppen, für alle Vorarbeiten, Plakate und Programm-Druck sorgen.
Nächtelang hat Frau Hartwieg, später auch mein Mann, an der Kopierung und
Einrichtung von Orchesterstimmen gesessen. Als es die Veröffentlichung der
Neuen Bachgesellschaft noch nicht gab, haben wir 28 Bachkantaten, größtenteils
im Bachjahr 1950, aber auch schon früher aufgeführt – das ganze Notenmaterial
eigenhändig abgeschrieben.“