Eine katholische Notkirche in Querum und eine
evangelische Kirche in der Nazimustersiedlung Lehndorf im Kriegjahr 1940
Gemeindegründung in einer Notkirche in Querum[1]
Es war alles andere als normal, dass sich die katholische
Kirche im Kriegsjahr 1940 in Querum eine Notkirche St. Marien einrichten
konnte. Die Zahl der katholischen Gemeindemitglieder in der Stadt hatte sich
seit 1933 erfreulich erhöht, von 7.560 im Jahre 1933 auf 15.281 1939.
Zahlreiche Katholiken unter anderem aus dem Rheinland, waren im Rüstungsbetrieb
Nimo beschäftigt und in der Schuntersiedlung ansässig geworden. Die drei
Stadtkirchen waren viel zu weit entfernt. Propst Stolte hatte nach vielen
Verhandlungen einen geräumigen Saalbau, den früheren Tanzsaal Brandes in Querum
erwerben können. war der erste Eindruck. Eine Gruppe der NSDAP beabsichtigte,
das Vorhaben zu torpedieren und wollte den Saal aus kriegswichtigen Gründen als
Getreidespeicher beschlagnahmen, was wiederum Propst Stolte durch Verhandlungen
abwenden konnte.
Franz Frese erster Pfarrer
Erster Pfarrer dieser Aufbaugemeinde wurde Franz Frese[2],
der zuvor fünf Jahre in der Mariengemeinde in Hannover als Kaplan
Gemeindeerfahrung gesammelt hatte. Frese war 33 Jahre alt und am 28. Januar
1934 noch von Bischof Bares zum Priester geweiht worden. Er ist später von
Querum aus an die Nikolaigemeinde gegangen und war Dechant des Braunschweiger
Dekanates. In Hannover verließ er eine prächtige katholische Kirche
traditionellen Stils, in Querum aber war er nun Pfarrer geworden und sein
eigener Herr und konnte Gemeinde nach seinen Vorstellungen gestalten.
Frese sah sich schon vor seinem offiziösen Amtsantritt am 1.
Mai 1940 im März den Ort an und seufzte in Abänderung eines
Burschenschaftliedes: „O Querum, Querum, Querum, o quae mutatio rerum.“ Sein
erster Eindruck vom Brandesschen Gaststättensaal war „hell und geräumig“.
Als Propst Stolte am 31.3.1940 sein goldenes
Priesterjubiläum in der Nikolaikirche feierte, kam der aus diesem Anlass nach
Braunschweig gereiste Bischof Machens in diesen Saalbau, und die dortigen
Gemeindemitglieder nahmen ihn mit ihm in einer improvisierten Dankandacht in
Gebrauch. In aller Eile war ein Fronleichnamsaltar aus der Umgebung besorgt
worden. Kniebänke hatte Frese aus Hannover mitgebracht.
Die Notkirche
Frese sammelte handfeste kirchliche Mitarbeiter, die aus dem
zwar leeren, aber heruntergekommenen Saal einen kirchlichen Raum herrichteten.
Es waren Gemeindemitglieder da, die den Saal zum Gottesdienst benutzen und
umbauen wollten. Nach den allergröbsten Putz- und Malerarbeiten wurde schon
einen Monat später der Raum am Himmelfahrtsfest der Mutter Gottes als Patronin
der Gemeinde geweiht. 700 Besucher nahmen an der Einweihung dieser Notkirche
teil, die Bischof Machens vornahm. Für das nahende Pfingstfest war schon eine
Taufe angesagt worden, als wiederum die Partei, die, wie auch in den
evangelischen Kirchen, darauf bestand, dass erst gegen die Luftschutzgefahr
geeignete Räume geschaffen werden müssten, bevor die Notkirche dauerhaft in
Gebrauch genommen werden konnte. In den 10 Tagen bis zum Pfingstfest wurden in
Gemeindeinitiative Laufgräben um das umfangreiche Gebäude gezogen, was die
Partei befriedigte und die Taufe am 2. Pfingsttag in Anwesenheit der Gemeinde
stattfinden konnte. „Armut wohin man schaut“ ist ein Foto vom Innenraum
treffend unterschrieben, aber es wehte ein Hauch von Urgemeinde durch den Raum.
Gemeindeaufbau
Frese nutzte das im Vergleich zur evangelischen Kirche
reichhaltiger gefeierte Kirchenjahr, um die Gemeinde zu sammeln. Schon vierzehn
Tage nach der Einweihung lud er die Gemeinde zu einer Fronleichnamprozession
ein. Auf dem Platz vor dem Gasthaus, nunmehr ein Kirchplatz, war ein Altar
errichtet und 260 Katholiken nahmen an der ersten Fronleichnamsprozession in
dieser Gegend teil. Auch in den nächsten Jahren fand eine
Fronleichnamprozession statt, nunmehr an zwei Altären. In der Kirche war
inzwischen ein zweiter, der Maria geweihte, Altar errichtet worden.
Im März 1941 lud Frese zu Exerzitien (Einkehrtagen) ein, die
von 80 Gemeindemitgliedern besucht waren. Im Juni kam Bischof Machens zur
Firmung von 38 Kindern und sieben Erwachsenen.
Ein Versuch, in der Querumer Schule mit Religionsunterricht
Fuß zu fassen, scheiterte. Aber Frese ließ sich nicht entmutigen. Als die
Partei auch einen Unterricht in kirchlichen Räumen verbot, traf man sich zum
Unterricht für die Erstkommunion nach kurzfristiger Absprache in den
Privathäusern bei den Familien.
1941 hatte Pfarrer Frese insgesamt 26 Kinder getauft, 17 aus
Familien, in denen beide Elternteile katholisch waren, und acht aus
konfessionsverschiedenen Ehen.[3]
Viele jedoch ließen ihre Kinder auch bald nach der Entbindung im St.
Vincenzkrankenhaus und sogar im Landeskrankenhaus taufen oder suchten einen
anderen Raum. Nur drei Brautpaare schlossen ihre Ehe in der Notkirche. Das war
ein beachtlicher Verzicht auf den üblichen Festdekor. „Manche fahren immer noch
nach Braunschweig“, vermerkte der junge Pfarrer in der Statistik. 325
Gemeindemitglieder hätten ihrer „Osterpflicht“ genügt, d.h. sie hatten
wenigstens einmal im Jahr, nämlich um die Osterzeit, gebeichtet und an der
Kommunion teilgenommen. Bitter wird er die 10 Kircheaustritte vermerkt haben,
drei waren wieder zurückgekehrt. Frese nannte für evangelische Verhältnisse
sehr hohe Gottesdienstbesucherzahlen für die Zählsonntage: 255 am Sonntag in
der Fastenzeit, 349 am Sonntag im September. Aber er hielt auch drei
Gottesdienste am Sonntag, wie sich ein Rheinländer später erinnerte. Der hatte
als 60Jähriger zu einem späteren Jubiläum seine Erinnerungen aufgeschrieben. Er
war mit seinen Eltern aus Mönchengladbach nach Braunschweig verzogen, wo sein
Vater im Rüstungswerk die Fremdarbeiter, Italiener, Franzosen, Polen, Russen zu
beaufsichtigen hatte. „Zu den Gründungsmitgliedern von Marien gehörten die
Rheinländer und wenige einheimische Familien. Sonntags fanden in der Regel drei
Gottesdienste statt, um 7.00, um 10 Uhr und um 18.00 für die Werktätigen“.[4]
Diese Verhältnisse stabilisierten sich im nächsten Jahr. Die
Kirche hatte einen gewiss eingeschränkten aber sichtbaren Raum im Dorf besetzt,
sie war präsent und wurde wahrgenommen. Im nächsten Jahr 1942 fanden wiederum
25 Taufen statt, 16 aus „rein katholischen“ Familien, darunter auch eine für
jene Zeit bezeichnende, wo beide Elternteile nicht der katholischen Kirche
angehörten. Aber wieder 12 Austritte, einen Übertritt aus der evangelischen
Kirche und zwei Rücktritte. Zur Erstkommunion am Weißen Sonntag 1943 kamen 30
Erstkommunionskinder und am 2. Ostertag 1944 war mit erheblichen
Reiseschwierigkeiten – der Hauptbahnhof wurde nicht mehr angefahren – Bischof
Machens aus Hildesheim gekommen.
Aber neben den hohen Festen mit ihren hohen
Gottesdienstbesucherzahlen, die Frese auch für das Jahr 1942 nannte (270/ 395),
gab es auch die sehr kleine Zahl bei den Werktagsgottesdiensten mit der Mutter
des Pfarrers und der Wirtschafterin und einigen Wenigen dazu. Entscheidend
jedoch war die Präsenz und die Kontinuität des Gottesdienstes. „Die Gemeinde
hielt zusammen. Man kannte sich untereinander. Man feierte im Pfarrsaal
(Nikolaus und Kommunionsnachfeier im Querumer Waldhaus). Es waren die
Rheinländer, die bis zum Kriegsende den Rückhalt der Pfarrei bildeten. Es
kostete schon viel, seinen Glauben zu bekennen, seine religiöse Einstellung zu
zeigen und regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen. Die Katholiken, die
seinerzeit praktizierten, waren überzeugte Christen, die sich bemühten, ihren
Gauben überzeugend zu leben und ihren Kindern weiterzugeben“.[5]
Offene Kirche für Ausländer
Für ungarische Soldaten, die im Feuerberg hinter dem Ev.
Friedhof stationiert waren, war um 11.30 ein Gottesdienst eingerichtet. Sie
hatten einen eigenen Feldgeistlichen. Auch andere im Werk beschäftigte
Zivilgefangenen fanden in der Notkirche eine Raum für ihre Seele. Ein
französischer Pfarrer hatte für die französischen Zivilarbeiter Bibelstunden im
Pfarrheim eingerichtet. Sie hatten in der Kirche auch wöchentlich Singestunden
gehalten. Daraufhin wurde Frese zur Gestapo vorgeladen, und Kommissar Mack
verwarnte ihn und forderte mehr Zurückhaltung bei dem Umgang mit
Fremdarbeitern. Die angebotene Nähe der Ortskirche zu den Fremdarbeitern wurde
dankbar erwidert. Den Gottesdienst am 1. Ostertag 1943 feierten 600 Christen,
darunter viele Italiener, Franzosen und Flamen.
Einbindung in die Zeit
Die Einbindung in den damaligen Zeitgeist blieb nicht aus,
als der erste junge Mann in der Gemeinde an der Front getötet wurde und als im
Frühjahr die Gefallengedächtnisgottesdienste auch in der Notkirche in Querum
gehalten wurden. In der Chronik vermerkte der Ortspfarrer: „Pastor Frese ehrte
die Gefallenen in seiner Ansprache. Sie sind für uns gefallen und wir alle
müssen uns ihrer würdig erweisen, indem wir so heldenhaft leben, wie sie
gestorben sind“. Dem möglichen mitschreibenden Polizeibeamten im Gottesdienste
war kein Anlass zur Beschwerde gegeben. Der 60jährige Jubilar aus
Mönchengladbach schrieb 1994 wohl treffend. „Die Gottesdienste wurden zeitweise
von den Nazis bespitzelt. Pastor Frese war weder ein Freund noch ein Gegner des
Naziregimes. Er versuchte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste aus
der Situation zu machen.“
Eine Möglichkeit, in nähere Verbindung mit der evangelischen
Nachbargemeinde zu kommen, blieb ungenutzt. Die evangelische Querumer Kirche
wurde durch einen Fliegerangriff beschädigt und die Gemeinde vermochte es
nicht, sich für den Gottesdienst einen Raum notdürftig wieder herzurichten. So
bat Propst Ernesti Pastor Frese, in der Marienkirche evangelische Gottesdienste
halten zu können. Das war kirchenrechtlich ein nicht ganz einfaches
Unterfangen. Frese gestattete dem Propst die Gottesdienste, die nun zwischen
Frühmesse und Hochamt gelegt wurden. Zu seiner Verwunderung dauerte dieser
Übergangslösung sehr viel länger.
Die evangelische Kirche in der Mustersiedlung
Ein halbes Jahr nach der Einweihung der katholischen
Notkirche in Querum wurde ím Oktober 1940 eine evangelische Kirche in der
nationalsozialistischen Mustersiedlung Lehndorf eingeweiht. Eigentlich wurde
alles Material für den Endsieg und für den Bunkerbau in der Innenstadt
reserviert, eigentlich hatte sich die Partei von den Kirchenleuten
verabschiedet, eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass der Oberbürgermeister
Hesse die Fertigstellung des Kirchbaus bis nach Kriegsende verschiebt. Und es
hatte auch allerlei Verzögerungen gegeben. Mal passte der Genehmigungsbehörde
nicht die Spitze des kleinen Dachreiters, mal musste auf Holzmaterial
umgestellt werden, weil Stahl für die Front gebraucht wurde. Mal musste der
Münchner Architekt Gsänger sogar eine zweite, eine dritte Zeichnung einreichen,
was er geduldig auf sich nahm. Mal mussten Luftschutzbunker eingezogen werden.
Und trotz aller Verzögerungen feierte die Gemeinde mit den
Spitzen der Landeskirche und ohne die Spitzen von Partei und Regierung am
Erntedankfest 1940 die feierliche Einweihung. Die Fertigstellung dieses
Kirchbaus gehört zu den zahlreichen, lebendigen Widersprüchlichkeiten des
nationalsozialistischen Systems.
Dem Wunder der Fertigstellung des Lehndorfer Kirchbaus
ordnet sich für mich alles andere an Problematik und Fragestellungen, die sich
mit der Entstehung der Kirche ergeben, unter.
Es hat in Braunschweig über die Entstehung nämlich ein
regionaler Historikerstreit stattgefunden. Der entzündete sich an der
Interpretation des Hitlerbesuches am 16./ 17. Juli 1935 in Braunschweig. Es war
ein Blitzbesuch. Hitler war mit seiner Begleitung in der Nacht vom 16. zum 17.
Juli in der Stadt angekommen, hatte aber keiner Prominenz etwas gesagt. Also
ein Überraschungsbesuch.
Was wollte Hitler in seiner ungeliebten Stadt, die ihn bei
der Einbürgerung so gedemütigt hatte? E.A.
Roloff meint, sein Reiseziel seien die Arbeiten am Grabe Heinrich d. Löwen im
Dom gewesen, dort habe er die Anregung gegeben, für die Herstellung der
Totengruft die Tannenbergarchitekten Gebrüder Krüger einzubeziehen. Dann sei er
nach Lehndorf gefahren und habe dafür gesorgt, dass entgegen der Planung in der
Dorfmitte keine Kirche sondern ein Aufbauhaus errichtet werden sollte. Dazu sei
es bedeutsam, dass sich in der Begleitung Hitlers Hanns Kerrl befunden habe,
den Hitler wenig später zum Minister für die kirchlichen Angelegenheiten
ernannt hatte.[6]
Dieser Version widerspricht Gunnhild Ruben mit dem Hinweis
auf die dünne Quellenlage für derlei Behauptungen.[7]
Der Besuch in Lehndorf habe nur 15 Minuten gedauert, viel zu kurz für
weitreichende Entscheidungen. Reiseziel Hitlers sei eine alte
Ferienbekanntschaft aus Bayern in der Lehndorfsiedlung gewesen, aber durch den
Trubel, den die Ortspartei um den Besuch gemacht hatte, sei das Ziel dieser
Spritztour geplatzt. Hitler habe sich mit seiner Begleitung sehr rasch in den
Harz abgesetzt, um nach seiner Gewohnheit ungestört in der Natur zu
frühstücken. Diesen beiden Versionen lassen sich weitere anfügen, die aber zur
Frage des Kirchbaus nichts austragen. Wichtiger ist folgende Beobachtung: wenn
Hitler gedacht hatte, einen Kirchbau, der in der Öffentlichkeit bereits bekannt
war[8],
ersatzlos durch ein „Aufbauhaus“ ersetzen zu können, hatte er sich in seinen
Partnern getäuscht. Klagges und Hesse bestanden auf einem Kirchenkomplex in der
nationalsozialistischen Mustersiedlung Lehndorf. Das ist bedeutsam für das
Verständnis ihrer Kirchenpolitik.
Es kam also zu einem Kirchenkomplex in Lehndorf, allerdings
nicht, wie schon mal in der Regionalpresse publiziert, mit einer traditionellen
Kirche, sondern eher wie am Zuckerbergweg: Pfarrhaus und Kirche in einem
Gebäude untergebracht, unauffällig in die Straßenzeile eingeordnet. Das war
auch der Wunsch von Propst Leistikow gewesen. Zunächst musste eine neuer
Bauplatz gesucht werden, da der geplante nun für das Aufbauhaus gebraucht
wurde. Er wurde nach einigen Hindernissen in einem Grundstück wiederum zentral,
nämlich direkt neben dem Aufbauhaus gefunden und 1936 vom Stadtkirchenamt fest
gekauft. Nun dokumentierten diese beiden Gebäude unbeabsichtigt das
strukturelle Nebeneinander von lutherischer Kirche und nationalsozialistischer
Stadt.
1937 wurde das wuchtige Aufbauhaus bezogen, das bei der
späteren Generation vielleicht Assoziationen an eine Parteizentrale,
Propagandastelle für die NSDAP Ortsgruppe weckt. Tatsächlich war es ein
ausgedehnter Schulkomplex. Hatte Hitler daran gedacht, oder hatten Klagges und
Hesse die Idee des Aufbauhauses unterlaufen?
1938 wurde das Pfarrhaus bezogen. Diesem wichtigen Ereignis
gingen quälende personelle Auseinandersetzungen voraus. 1935 war die
Kirchengemeinde Lehndorf-Siedlung errichtet worden, und mit Oberkirchenrat i.R.
Johannes Schlott besetzt worden. Die Kirchenleitung wusste nicht, wohin mit
ihm, nachdem er im Zuge der Umbildung der Behörde im Sommer 1934 beurlaubt
worden war. Da bot sich die Kirchengemeinde Lehndorf weit ab vom Zentrum der
Stadtkirchen an. Da könne er nicht viel Schaden anrichten. Nun befand sich in
der Nachbarschaft der Mustersiedlung das alte Dorf Lehndorf mit seiner schönen
Gründerzeitkirche. Der Ortspfarrer Schmieder war in Pension gegangen, und es
bot sich an, von Alt-Lehndorf aus die Mustersiedlung langsam zu betreuen. Aber
der Kirchenvorstand der Dorfkirchengemeinde lehnte Schlott einstimmig ab.
Stattdessen wurde 1936 Pfarrer Klapproth gewählt. Es wäre ein interessantes
Projekt gewesen, zu zweit beide Gemeinden langsam zusammenzuführen. Aber der
Kollege Klapproth dachte nicht an Zusammenarbeit, sondern orientierte sich in
seiner Arbeit zur Jakobigemeinde ihn. So boten Schlott und Klapproth das
abstoßende Bild von zwei Pfarrern, die am Sonntag davon predigen, wie sie die
Welt erlösen, aber schon am Montag das Bild der Unversöhnlichkeit vor Ort der
Gemeinde darboten.
Peter Former hebt in seiner Arbeit über Johannes Schlott zu
Recht hervor, unter welchen schwierigen Bedingungen der Start für Schlott in
der Mustersiedlung war.[9]
Er wohnte mit seiner Familie noch in der Katharinengemeinde, fuhr zu
Seelsorgegesprächen und Hausbesuchen per Fahrrad in den Norden. Er gab auch
einen Gemeindebrief „Der Lehndorfer“ heraus.
Schlott versuche einen Gemeindeaufbau ganz traditionell über
die Kasualien. Zur Anmeldung von Taufen und zum Konfirmandenunterricht mietete
die Gemeinde in der Neukirchnerstraße ein Zimmer, wie seinerzeit Leistikow in
der Auerstraße im Bebelhof.[10]
Er warb unter den Siedlern für die Taufe und zwar mit großem Erfolg: es wurden
getauft. 1936: 91 Kinder; 1937: 85 Kinder, 1938: 73 Kinder, 1939 50 Kinder.[11]
Das war eine enorme Arbeitsleistung und konnte bereits ein solider Grundstock
für einen Gemeindeanfang sein. Mir ist nicht klar, wo die Taufen stattfanden:
in der Kirche von Alt-Lehndorf, oder ab 1938, als er in das Pfarrhaus in
Lehndorf einzog, dort im Pfarrhaus oder in seinem Büro in der
Neukirchnerstraße, wie es ebenfalls Leistikow gehalten hatte.
Die Taufen scheinen ein Gegenangebot zu den sog.
Lebensfeiern“ im Aufbauhaus gewesen zu sein. Schlott notierte 1941: „Diese
„Massentaufen“ in der Partei. So geht’s wirklich nicht. Es ist bei allen diesen
Handlungen ein Individuelles, das mit der Gemeinde versorgt werden will, das
man einfach nicht unterschlagen kann.“[12]
Schlott warb auch für den Konfirmandenunterricht. Es wurden
konfirmiert: 1936: 52 Konfirmanden, 1937: 59 Konfirmanden, 1938: 65
Konfirmanden und 1939: 47 Konfirmanden. Das waren bedeutend mehr Jugendliche
als bei den Konfirmationen in Alt-Lehndorf bei Pfarrer Klapproth und bedeutete
einen erheblichen Arbeitsaufwand. Es kamen sogar vereinzelt kirchliche
Trauungen vor, zwei bis fünf in den folgenden Jahren.
Die Siedlerfamilien waren froh, wenn sie ihre Kinder
zeitweise der Kirchengemeinde überlassen konnten. Dem Angebot zur Kinderstunde
folgten 35 - 50 Kinder.
Schlott hatte sich auch an die erwachsenen Siedler gewandt
und zu einem Treffen eingeladen. Eine Einladungskarte befindet sich noch lose
in der Kirchenchronik. „In der Siedlung soll auf der Sulzbacherstraße eine
ev.-luth. Kirche gebaut werden. Wichtiger ist der Aufbau einer ev.- luth.
Gemeinde. Wer hilft mit? Über das „Wie“ wollen wir am Freitag, den 13. Februar
1936 abends 8 Uhr im Konfirmandensaal gegenüber der Kirche von Alt-Lehndorf uns
beraten.“ Schlott notierte sich auf der Karte die Namen von 5 Ehepaaren, drei
Herren, und drei Frauen. Auch die Pfarrgehilfin Frl. Gerdesmann war dazu
gekommen. Das war kein schlechter kirchlicher Einstieg in eine
nationalsozialistische Mustersiedlung.
Für die Amtshandlungen musste eine Agende für die
Braunschweigische evangelisch-lutherische Landeskirche angeschafft werden. Sie
ist heute noch in der Wicherngemeinde vorhanden mit dem damaligen Siegelabdruck
der Gemeinde. Es zeigt in einer Ellipse das längsgestreckte Kreuz, von dem
Strahlen ausgehen und dahinter ein seitlich verstelltes Hakenkreuz.
Fotoaufnahmen zeigen, allerdings undeutlich, dass auch das Altarkreuz in der
Kirche diese Form gehabt hat.[13]
Ob die Familien in den Stammbüchern, in denen die Taufen beurkundet waren, auch
dieses Siegel vorgefunden haben?
Nach dem Kriege hat man diesen Gemeindeaufbau nicht gelten
lassen und von der völlig daniederliegenden Gemeinde gesprochen. Ich halte das
für ein niederträchtiges Geschwätz von Amtsbrüdern, die es nicht verstehen
können, dass ein überzeugter Nazi auch normale Gemeindearbeit leisten kann, so
widersprüchlich das für uns Nachgeborene klingen mag.
Die Einweihungsfeier am 6. Oktober 1940 wurde ein
rauschendes Kirchenfest, zu dem auch viele Neugierige aus der Innenstadt
gekommen waren. Die Katharinenorganistin Hilfe Pfeiffer half auf der Orgel aus
und dirigierte eine selbstkomponierte Kantate für Chor, Basssolo, Streichorchester,
Oboe und Blockflöte über das Kirchenlied „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“.[14]
Den Stuss des Tages verkündete Oberlandeskirchenrat Röpke, als er erklärte, die
Kirche habe diesen Bau dem Führer zu verdanken.[15]
Richtiger wäre gewesen, woran E.A. Roloff bei seinem Festvortrag in der
Wicherngemeinde am 24.9.1990 erinnerte. „Wenn man heute nach 50 Jahren daran
erinnert, wer alles ein Verdienst daran hat, dass diese Kirche trotz aller
Konflikte doch gebaut werden konnte, dann dürften darunter Klagges und Hesse
eigentlich nicht fehlen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass D.
Klagges ein rechtskräftig verurteilter Verbrecher war.“[16]
An diesem Tag wurde der Gemeinde eine Kirche übergeben, von
der Gunnhild Ruben schrieb: „ Alles Prunkvolle sogar alles Repräsentative fehlt
dieser Kirche. Sie ist schlicht wie die Bauten unserer Siedlung und doch von
einer rhythmischen Eleganz im Zusammenklang der Baukörper. Und sie ist von
einer vorzüglichen Konstruktion, Bauweise und Ausführung bis in das kleinste
Detail. Da ist jeder Punkt durchdacht und sorgfältig ausgeführt. Noch heute
nach 50 Jahren – bei wenigen unserer Nachkriegsbauten können wir gleiches sagen
– sind alle Bauteile in der ursprünglichen Substanz. Die Fenster mit ihren
zweckmäßigen Abdeckungen, die Türen mit ihren Beschlägen, das Dachreiterchen
mit dem A+O aus dem Gsängerschen Entwurf, alles in schadenfreier Konstruktion
der verschiedenen Baukörper, ohne Risse und Senkungen, ohne Makel und
Bauschäden. Hier ist die Meisterhand von F.W. Kraemer schon in seinen jungen
Jahren zu spüren, der diese Dinge vor Ort im Detail zu planen hatte und
sorgfältig überwachte.“[17]
Die Gemeindearbeit ging mit Pastor Schlott erfreulich stabil
weiter. In dieser Siedlung mit jungen Familien wurde unverändert die Taufe der
Kinder gewünscht. 1941: 61 Täuflinge; 1942: 56, 1943 51 Täuflinge. 1944 sank
die Zahl kriegsbedingt wie in allen Gemeinden herab, in Lehndorf auf 28
Täuflinge. Aber angesichts des Aufbauhauses war gerade in Lehndorf die Taufe
auch ein öffentliches Bekenntnis zur Kirche und zu Jesus Christus. Schlott
erleichterte das Taufbegehren dadurch, dass er zwischen Kirche und
Nationalsozialismus keine Gegensätze aufbaute, sondern vielmehr beide eng
aufeinander bezog. In seinem Gemeindebrief „Der Lehndorfer“ schrieb er dazu:
„den einzigen richtigen Weg, den man heute (1939) gehen kann, ist: mit dem
Nationalsozialismus Arm in Arm, verzahnt mit allen Einrichtungen unseres Volkes
wie es in jedem anderen Sektor geschieht.“[18]
Daher verzichtete Schlott auf die Gründung einer Frauenhilfe, um keine
Konkurrenz zur nationalsozialistischen Frauenschaft aufkommen zu lassen. Auch
Jugendliche meldeten sich zum Konfirmandenunterricht an. Ohne Frage ging
Schlott die Jugendarbeit flott von der Hand. Ein ehemaliger Schüler erinnerte
sich: „Sehr oft zog er mit einer Gruppe von Schülern durch die Stadt, durch
Wald und Feld und in Ferienzeiten in die Ferne. Ausgelassener Frohsinn, gewürzt
mit Witz und Humor, füllten seine Wanderungen. Er hasste alle Zivilisation,
schlief mit uns in Hängematten oder im Stroh bei Bauern“.[19]
Es wurden in der Lehndorfer Kirche 1941 34 Jugendliche konfirmiert. Eine
damalige Konfirmandin erinnerte sich, dass sie eigentlich zur Jugendweihe der
NSDAP gehen wollte. „Ich machte – ohne Wissen meiner Familie – einen Besuch bei
Pastor Schlott. Er hat sich damals sehr, sehr viel Zeit für mich genommen. Für
das Gespräch, das ich seinerzeit mit ihm führte, bin ich Pastor Schlott noch
heute dankbar. Das Fazit dieses Gespräches war, dass ich von da an den
Konfirmandenunterricht besuchte und im März 1941 von Pastor Schlott konfirmiert
wurde.“ [20]
1942 wurden 34 Jugendliche konfirmiert, 1943 37 Jugendliche,
1944 29 Jugendliche konfirmiert. Sogar die Zahl der kirchlichen Trauungen stieg
verhältnismäßig: 1942 auf zehn und 1943 auf elf Trauungen.
Schlott hat seine Devise „Hitler ist der echteste Christ,
den es heute gibt“, nie aufgegeben und war damit 1945 nicht mehr tragbar.
Es ist ein Ruhmesblatt der Kirchengemeinde, inzwischen
Wicherngemeinde genannt, und ein Zeichen der Beweglichkeit der Kirchengemeinden
in den 80er Jahre, dass sie als einzige Stadtkirchengemeinde ihre belastete
Geschichte an zwei Vortragsabenden im November 1982 in ihrer Kirche
thematisierte und diskutierte. Mit Beiträgen der Gemeindepfarrer Arnold Kiel und
Hartmut Padel („Die Kirche im „Dritten Reich“- ein Thema für die
Gemeindearbeit?“) und der Gemeindemitglieder Detlef Quandt („die Entstehung des
Gemeindeprojektes“), Rudolf Thaer („Gedanken eines Zeitgenossen“) und Rudolf
Drieschner („Maßlos enttäuscht“) wurden beide Abende zusamt dem Vortrag über
Johannes Schlott und zahlreichen Quellen 1983 dokumentiert. Das ist nun 30
Jahre her. Es gehört zur Schnelllebigkeit von Geschichtlichkeit, dass bereits
beim 50jährigenm Jubiläum 1990 diese Dokumentation vergessen war.