Ärger, Protest, Widerspruch, merkliche Distanz - keine Opposition
Die bisherige Lektüre dieser Abhandlung vermittelt den
Eindruck einer abgestuften Anpassung der Stadtpfarrerschaft an Person und
Politik Hitlers, bei den Deutschen Christen eindeutiger und radikaler als bei
denen der kirchlichen Mitte, die für die Kirche einen selbständigen Raum neben
der Partei beanspruchten.
Es entsteht heutzutage bei der dritten Generation die Frage
nach Widerstand bzw. Widerständigkeit, einer Art von Opposition. Gab es so
etwas auch in den kirchlichen Kreisen der Stadt Braunschweig?
Es gab keine grundsätzliche Opposition gegen das
nationalsozialistische System mit der Absicht, die Regierung zu stürzen, wie
sie noch in den Resten der linken Gruppen an verborgenen Stellen, im
Schrebergarten, in einem kleinen Laden geleistet wurde.
Aber es gab eine scharfe innerkirchliche Opposition gegen
die Deutschen Christen. Vom Berliner Pfarrer Martin Niemöller war im Herbst
1933 die Bekennende Kirche gegründet worden, die sich über die ganze Deutsche
Evangelische Kirche verbreitet hatte. Nach dem Krieg ist sie als Opposition
gegen Hitler missdeutet worden, aber sie war vor allem innerkirchlich. Auch in
der Braunschweiger Landeskirche hatten sich in Blankenburg, Helmstedt, Wolfenbüttel
und auch in der Stadt Braunschweig kleine Gruppen der Bekennenden Kirche
gebildet, die sich monatlich zur Aussprache über die kirchliche Lage trafen,
Flugblätter gegen die Deutschen Christen verfassten und veröffentlichten und
gegen die Dienstentlassung von gleichgesinnten Amtsbrüdern mit Eingaben und
Rundschreiben protestierten.[1]
Ärger
Oft
gab es Ärger mit der Führung der Hitlerjugend, die ziemlich aufdringlich den
Vorrang ihrer Parteiarbeit vor der traditionellen kirchlichen Jugendarbeit
forderte. So wurde zu Gottesdienstzeiten „Dienst“ angesetzt. Man veranstaltete
Fahrten am Sonntag morgen oder zog mit die Kirchenmauern durchdringenden,
klingendem Spiel an den Stadtkirchen vorbei.[2]
Das machte den Jugendlichen begreiflicherweise Spaß. Es war ein staatlich
genehmigter, sogar geförderter antiautoritärer Trend. Den alten, laschen Eliten
wollte man zeigen, wohin der neue Wind die Jugend tragen werde. Nicht in die
Kirche, sondern in eine neue Zeit, in der sich Unterwerfung und Prahlerei
abwechselten. Als sie zum vierten Mal um die Martinikirche zogen, schrieb
Pfarrer Benndorf einen enttäuschten Brief an die Kreisleitung der NSDAP, die
Abhilfe versprach.[3]
OKR Röpke wandte sich in einem solchen Fall an die SA Brigade 58 und drängte
darauf, „bei aller kameradschaftlichen Verbundenheit“ „zur Erhaltung der
Volksgemeinschaft“ auf solche Störungen zu verzichten.[4] Das war Ärger, unangenehmer und
störender, vor allem nach den offiziösen Zusagen, die Politik auf den
christlichen Werten aufzubauen. Solche Brief verschwanden im Papierkorb, und
das Verhältnis zwischen Parteigliederungen und Ortsgemeinde regelte sich von
Pfarrer und HJ Führung je unterschiedlich von Ort zu Ort. Nach dem Krieg wurden
derlei Proteste als Systemopposition aufgebauscht.
Widerspruch
Mehr
als Ärger konnte es geben, wenn es HJ Jungen im Konfirmandenunterricht darauf
anlegten, den Gemeindepfarrer zu provozieren. Sie grüßten dann zum
Unterrichtsbeginn mit einem zackigen „Heil Hitler“, was z.B. Pfarrer Georg
Althaus[5]
in Timmerlah nicht nur nicht erwiderte, sondern verbot. Es war aber inzwischen
Vorschrift, den Unterrichtsbeginn mit dem deplazierten Hitlergruß zu beginnen.
Das hatte sich bei den Jugendlichen herumgesprochen und langte zu einer
Denunziation. Wenn dann parteifremde Unterrichtsinhalte hinzukamen, konnte sich
der Ärger auswachsen. An den Eingängen von Dörfern und Strassen in der Stadt
waren Schílder mit wegwerfenden Aufschriften wie „Juden unerwünscht“ oder
„Juden betreten den Ort auf eigene Gefahr“ aufgestellt. Das war ein Angriff auf
den christlichen Glauben und hätte in allen Pfarrämtern Proteste auslösen
müssen wie gegen die HJ-Aufmärsche zur Gottesdienstzeit. Die Proteste blieben
aus, nicht so in Timmerlah, wo Pastor Georg Althaus die Jugendlichen in seiner
frommen Art in einem Gebet darauf hinwies, Die Jungens erzählten zu Hause, der
Pastor betet für die Juden. Das kam zur Anzeige, der Pastor kam nach
Braunschweig in den Rennelberg, konnte Weihnachten nicht predigen und wurde am
6. Februar 1936 vor dem Braunschweiger Sondergericht zu sechs Monaten Gefängnis
verurteilt. Vorsitzender Richter war jener Landgerichtsdirektor Lachmund, der
auch schon den Prozess gegen Bischof Beye geleitet hatte und in der
Urteilsbegründung die große, christlich-antisemitische Keule hervorholte. Christus
selbst sei mit Energie und gröbsten Mitteln gegen die Juden vorgegangen. Der
Reformator Luther habe mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, was er von den
Juden halte. Das Volk habe kein Verständnis dafür „dass ein Teil der
Geistlichen es für wichtiger halte, seine Kraft in unfruchtbaren,
unchristlichem Hader um umstrittene Dogmen zu verzetteln, anstatt zu bedenken,
dass auch der Führer des deutschen Volkes einer jener Großen ist, die Gott mit
großen Aufgaben für sein Volk und die ganze Welt beauftragt habe, sodass es
Aufgabe der Kirche wäre, dem durch ihn in Erscheinung tretenden Willen Gottes
nicht entgegenzutreten, sondern ihn zu fördern.“ Die schlichte Christenpflicht
wurde vom Gerichtsurteil als Staatsgefährdung verstanden, und damit diese
Ansicht auch in der Kirche gedankliches Allgemeingut würde, wurde der Pastor
„zur Abschreckung“ mit zwei Monaten mehr als denkbar verurteilt.[6]
Auch
Pastor Paul Barg von der Andreaskirche wurde zur Gestapo zitiert und sollte
sich wegen eines lockeren Vergleiches zwischen Hitler und dem Bolschewismus
äußern, den er auf einem gut besuchten Elternabend der Konfirmanden gezogen
hatte. Das tat er geschickt und blieb ungeschoren.[7] Wieviele Pfarrer der Stadt vor die
Geheimen Staatspolizei geladen wurden, ist nicht bekannt und wurde nach 1945
auch nicht wie in anderen Landeskirchen erfragt und erhoben. Es blieb die
generelle Regel, dass man „vorsichtig“ sein müsse.
Die
Braunschweiger Bekenntnisgemeinde
Zur
Braunschweiger Bekenntnisgemeinde gehörten ca 200 Personen. Sie erhielten die
von Berlin ausgestellte „rote Karte“, eine Art Mitgliedskarte. Zur
Braunschweiger Bekenntnisgemeinde gehörten die Leiterin des sozialpädagogischen
Seminars im Realgymnasium für Mädchen Adelheid Caspar, der Rechtsanwalt Hermann
Dedekind, Clara v. Gossler vom Rittergut in Niedersickte, die die rote
Mitgliedskarte Nr. 152 hatte, der Oberarzt vom Marienstift Dr. Walter Vermeil,
die Buchhändler Hellmuth Wollenmann und Heinrich Bodenstab, der ehemalige
Parlamentsstenograf Karl Bode. Im kirchlichen Dienst gehörten dazu die
Beauftragte für die Jugendarbeit Dagmar v. Hoerschelmann und Annemarie Haedke
und von der Pfarrerschaft Paul Barg von der Andreaskirche und Carl v. Schwartz,
früher am Dom, dann in der Brüdernkirche. v. Schwartz leitete die Bekenntnisgemeinde.
Die Bekenntnisgemeinde organisierte meist in der Petrikirche
„Bekenntnisgottesdienste“, oft mit auswärtigen Predigern, die auch im
kirchlichen Braunschweiger Volksblatt angekündigt wurden. Auf ihren monatlichen
Versammlungen wurden Vorträge gehalten, und v. Schwartz gab einen kirchlichen
Lagebericht.
Die
Versammlungen der Bekenntnisgemeinde wurden regelmäßig von der Gestapo
überwacht. Am 24. Juni 1935 war eine Versammlung vorgesehen, die jedoch von
der Gestapo wegen eines reichsweiten Versammlungsverbotes untersagt wurde.
Daraufhin hielt die Bekenntnisgemeinde einen Gottesdienst in der Petrikirche
ab, und dort sprach Pfarrer Behrens aus Rhode. Der Gestapobeamte notierte
folgende angebliche Äußerungen von Behrens: „Der Kirche sei ein gläubiger Engländer
oder Neger lieber und stehe ihm näher als einem ungläubigen Deutschen.“ Gott
habe nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt erschaffen. Die Kirche wolle
mit dem Hakenkreuz nichts zu tun haben, dieses habe in der Kirche keinen Platz.
Die Kirche lasse sich die Verkündigung nicht nehmen.[8] Diese Wiedergabe spiegelt die
abwehrende und lauernde Haltung des beobachtenden Gestapobeamten wieder. Das
Sammelsurium von angeblichen Äußerungen ist Kriposchrott, wie er häufiger in
den Vernehmungsprotokollen der Gestapo zu finden ist. Pfarrer Behrens bekam für
das Land Braunschweig Redeverbot. Das noch monatelang aufrecht erhalten wurde.
Der
Bekenntnisgottesdienst am 31. Januar 1938 war gut besucht. Es waren nach
Zählung des Gestapobeamten 350-450 Besucher gekommen. v. Schwartz ließ eine
Spende am Eingang und am Schluss des Gottesdienste eine Kollekte sammeln. Der
Gestapobeamte ließ die Kollekte, die 87,05 RM; betrug, einziehen, denn das
Einsammeln verstieße gegen dass Sammelverbot für Kirchen und berichtete umgehend
am 2. Februar an den Innenminister. Das war reine Willkür. Die Vorläufige
Leitung der Deutschen Ev. Kirche protestierte beim Ministerium für Inneres in
Berlin und das wies den Braunschweiger Innenminister an, die Kollekte an das
Landeskirchenamt zurück zu überweisen. Dieses vermerkte die Überweisung mit der
ängstlichen Behauptung, die Summe „aber nur für kirchliche Zwecke zu
verwenden“. Vielleicht herrschten in der Gestapozentrale Wild-West
Vorstellungen vom kirchlichen „Widerstand“.
Auch
eine Familienfeier der Domgemeinde am 26.6. im Vereinshaus der Inneren Mission
in der Peter Joseph-Krahestraße wurde verboten.
Über
die Versammlung am 2.1.1939 gibt es folgenden Bericht des Kriminalassistenten
auf Probe Heidtmann. „Die vom Leiter der Bekenntnisgemeinde Braunschweig Propst
Dr. v. Schwartz angemeldete Monatsversammlung wurde genehmigt und von mir
überwacht. Besucht war die Veranstaltung von ca. 120 Personen – meist alten
Frauen -. Anwesend war ferner Oberkirchenrat Seebaß vom Landeskirchenamt Wolfenbüttel
und Pastor Erdmann – Lelm, der nach der Verlesung des Lageberichtes durch v.
Schwartz einen Vortrag über „Das heilige Abendmahl“ hielt.
Bevor v. Schwartz den in der Anlage beigefügten Lagebericht verlas, stellte er
in zynischer Weise fest, dass außer einem Beamten der Geheimen Staatspolizei
kein ungeladener Gast im Saal sei. v. Schwartz, der bei jeder sich bietenden
Gelegenheit gegen den Staat und dessen Einrichtungen hetzt, hat auch an diesem
Abend durch seinen Lagebericht in ganz unverschämter Weise staatliche
Einrichtungen und Maßnahmen bzw. der Kirchenfrage kritisiert und verächtlich
gemacht. Der von Pastor Erdmann – Lelm, gehaltene Vortrag war rein religiöser
Art und gab zu Beanstandungen keinen Anlass.“ [9]
So ein Bericht genügte in vielen Fällen, den Beschuldigten vor das
Sondergericht zu bringen, wenn die Staatsanwaltschaft mitspielte. In diesem
Fall spielte der Generalstaatsanwalt Müller nicht mit und empfahl, von einer
Strafverfolgung abzusehen. Dies ist eins von vielen Beispielen einer unterschiedlichen
Beurteilung zwischen Gestapo und Braunschweiger Justiz.
Die
unangepasste Predigt des früheren Dompredigers
v.
Schwartz predigte sehr viel. Es sind für das Jahr 1940 46 Predigten erhalten,
von 1941 23 Predigten für das erste Halbjahr, und für 1942 neun Predigten.[10] In seinen Predigten rückte v.
Schwartz ausdrücklich von der lästerlichen Postkartenwahrheit aus dem 1.
Weltkrieg ab, wer den Heldentod stirbt, werde selig.
„Gewiss dürfen wir nicht so sprechen, wie es im letzten
Krieg leider nicht selten geschah. Wer fürs Vaterland fällt, kommt sicher in
den Himmel. Das war unbiblisches Reden, auch wenn es von christlichen Kanzeln
geschah, und gedankenlos dazu. Wer ohne Christus gelebt hat, für den wäre ja
der Himmel nur Hölle“.[11]
Am
15. März 1942, dem sog. Heldengedenktag, predigte v. Schwartz anhand der
Gethsemanegeschichte Luk. 22,39 ff über das Sterben an der Front, wo es nun
keineswegs heldenhaft zuginge, sondern ganz menschlich, mit viel Zittern und
Zagen. „Mancher hat wohl auch im Kampf die Überlegung verloren und lief dem Tod
geradewegs in die Arme. So sieht das Sterben draußen in Wirklichkeit aus.“ Das
war weit weg vom pathetischen Heroismus der Nazipropaganda. Schon in der
Einleitung seiner Predigt hatte v. Schwartz den Gegensatz des Ringens Jesu in
Gethsemane und sein Sterben zu dem, „was wir gewöhnlich unter heldischer
Haltung verstehen“ hervorgehoben und fuhr fort: „Wie es denn oft genug von den
Gegnern der Kirche ausgenutzt ist als Beweis dafür, dass das Christentum zur
Willenslähmung und zum Zusammenbruch der seelischen Kräfte führe.“[12]
Es
war auch nicht im Sinne der Propaganda, dass v. Schwartz das Sterben an der
Front mit dem Beugen unter den Willen Gottes begründete. v. Schwartz
formulierte zu Beginn der Predigt seinen Hauptgedanken folgendermaßen: „Wenn
wir nun als Christengemeinde heute unserer Gefallenen gedenken, dann werden wir
mit hereingezogen in diesen Kampf. Auch bei uns, die wir trauern, verlieren,
hergeben müssen, die wir sorgen und bangen müssen, geht es ja letztlich um den
Gehorsam des Sich-Beugens unter Gottes Willen. Da kann uns die
Gethsemanegeschichte helfen und uns einen Seelsorgedienst tun am Gedächtnistag
der Gefallenen, die der Tod uns nahm, in der Sorge um unsre Lieben, die der Tod
bedroht. Sie zeigt uns am Beispiel unsres Herrn den Tod als die große
Anfechtung und das Gebet als ihre Überwindung.“ Diesen Zielgedanken der Predigt
unterstrich v. Schwartz. Die nationalsozialistische Propaganda pflegte das Bild
vom heroischen Tod für Führer Volk und Vaterland. Gedankengänge über die
Anfechtung vor dem Sterben hielt sie für unpassende Meditationen, die wohl eher
dazu geeignet waren, den Wehrwillen zu schwächen.
Karfreitag
1942 beschrieb v. Schwartz Jesus eingangs als „ von seinen Freunden verlassen,
von einem Jünger verraten, von ihrem Führer verleugnet, von dem Volk, dem er
wohltat und das ihm zugejubelt hatte, preisgegeben, von den jüdischen Hütern
der Frömmigkeit und dem arischen Hüter des Rechts aus der menschlichen
Gesellschaft ausgestoßen.“[13]
Auch dem aufmerksamen Hörer wird bei der Nennung des „arischen Hüters“ nicht
sofort der gemeinte römische Pontius Pilatus eingefallen sein, sondern er wird
eher an Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Rechtshüter gedacht haben.
v. Schwartz wird diese im Zusammenhang zwar eindeutige, beim Hören jedoch
doppeldeutige Wirkung durchaus einkalkuliert haben. Die Predigten v. Schwartz
sind im Durchschlag erhalten. Ich nehme an, daß er den Wortlaut der Predigt der
Gestapo ausgehändigt hatte, allein um Mißverständnissen entgegentreten zu können,
andrerseits hatte die Gestapo damit Material zum Einschreiten gegen den
Prediger in der Hand.
Der
Auszug aus der Predigt zum Heldengedenktag dokumentiert zugleich, dass das
theologische Nachdenken über den Krieg sich im Kern nicht vom dem zur Zeit des
1. Weltkrieges unterschied. „Nur eine einzige Antwort hält stand. Sie lautet:
es muss nach Gottes Willen so sein...... Sie sind im Glauben getrost ihren Weg
gegangen, sie wussten um das Ziel über dem Staube, zu dem Christus den Weg
bereitet hatte, den Weg seines Gehorsams.“ Alle Trauernden und Angefochtenen
sollten „aufsehen auf Jesus, der uns ein Vorbild gelassen hat, dass wir sollen
folgen seinen Fußstapfen“. Sprachlich ist damit sehr viel zurückhaltender, im
Kern jedoch unverändert die Grundaussage formuliert, dass der Krieg Ausdruck
des Willens Gottes ist, und der Tod in diesem Krieg eine Art der Nachfolge Jesu
wäre. Der lutherischen Kirche war die Erkenntnis verschlossen, dass der Krieg
auch Ausdruck des Unwillens und Widerwillens Gottes sein könnte, ein Aufruhr
des Menschen, der in der Wüste der Trostlosigkeit endete, und eine Nachfolge
Jesu strikt in die entgegengesetzte Richtung führen müsste.
Erneutes
Verhör, Reichsredeverbot und Zwangpensionierung
Diese
Art von Predigten gehörten zusammen mit den Versammlungen der
Bekenntnisgemeinde zu den vom Finanzbevollmächtigten im Landeskirchenamt
Hoffmeister und der Partei beargwöhnten Erscheinungen, die aus der
Öffentlichkeit ausgeschaltet werden müssten.[14]
Anfang Januar 1942 wurde die Versammlung der Bekenntnisgemeinde verboten,
nachdem v. Schwartz wie üblich den Lagebericht, den er vorlesen wollte, bei der
Gestapo eingereicht hatte. Am 3. März 1942 wurde dazu v. Schwartz von
Kriminalkommissar Macke in der Gestapodienststelle vernommen. v. Schwartz hätte
sich bei ihm zu bedanken, dass er nicht im KZ säße, weil er die Verlesung des
Lageberichtes durch das Verbot der Versammlung verhindert hätte. v. Schwartz
wurde „Beunruhigung“ vorgeworfen und aufgefordert, 750.—RM zu hinterlegen, die
er am 4.3.1945 mit Zinsen zurückerhielte, wenn er sich bis dahin politisch
einwandfrei verhalten würde. Als v. Schwartz am nächsten Tag die Summe bei der
Dienststelle hinterlegte, konnte er sich die Frage nicht verkneifen, „wie sich
die so geschehene Erziehung zur Feigheit mit der sonst beliebten zu heroischer
Haltung reime“.[15]
Am
Montag dem 13. April 1942 erhielt v. Schwartz erneut eine Vorladung zur Gestapo
und musste dort die Kenntnisnahme eines Bescheides des
Reichssicherheitshauptamtes vom 28. März unterzeichen, wonach über ihn ein
Reichsredeverbot verhängt wäre. Dieses Reichsredeverbot bezöge sich auf alle
pfarramtlichen Tätigkeiten. Nun erschien die Gestapo auch in der Wohnung des
früheren Dompredigers in der Roonstraße und beschlagnahmte Schreibmaschine und
Schreibmaterialien. v. Schwartz teilte dieses Verbot dem Landeskirchenamt am
20. April mit und bat um Urlaub, „bis sich entschieden hat, ob etwa eine
Zurücknahme oder Lockerung des Verbotes möglich ist.“ Am 25. April schrieb
Hoffmeister an das Landeskirchenamt, dass v. Schwartz möglichst noch im April
auf Grund des Gesetzes von 1939 (lex Goetze) in den einstweiligen Ruhestand
versetzt werden sollte. OLKR Röpke beauftragte Pfr. Klapproth mit der
Vertretung der von v. Schwartz versehenen Kirchengemeinden Brüdern und Johannis.
Allgemein
wurde indes über die Gründe gerätselt. OLKR Röpke schrieb sofort die Gestapo
an, v. Schwartz fragte bei der Braunschweiger Gestapo telephonisch nach den
konkreten Gründen, die jedoch keine nennen konnte. Am 7. Mai ging im
Landeskirchenamt die Antwort auf die Anfrage nach den Gründen ein. Sie lautete
sybillinisch: „Gegen den oben Genannten ist wegen seiner in seinen Äußerungen
erzeugten staatsfeindlichen Einstellung mit Wirkung vom 28.3.42 ein Redeverbot
für das ganz Reichsgebiet erteilt.“[16]
Der Bescheid mochte einigermaßen beruhigen, denn es lag offenkundig kein
akuter, aktueller Anlass vor. Mit diesem Bescheid hätte v. Schwartz auch schon
Jahre vorher, aber auch später mit Verbot belegt werden können. Es hätte auch
die Möglichkeit bestanden, bei der Gestapo erneut und nunmehr nach dem Umfang
des Verbotes zu fragen. Galt das auch für Haustaufen?
Der
Kirchenregierung beschloss, v. Schwartz in den Ruhestand zu versetzen und gab
ihm die gesetzlich vorgeschriebene Gelegenheit, sich zur Versetzung in den
Ruhestand zu äußern. v. Schwartz fragte am 24. 5. zurück, „ob von Seiten der
Kirchenregierung geprüft sei, ob die von außerkirchlicher Stelle gegen mich
verhängten Maßnahme – 750 RM Sicherungsgeld und Reichsredeverbot –
gerechtfertigt sind. Ich selbst bin mir in der ganzen Angelegenheit keiner
Schuld bewusst.“ v. Schwartz fuhr bitter fort: „dass analog den Bestimmungen
über die Zwangsversetzung, die ich ja auch schon durchgemacht habe, ich
Anspruch habe, den Grund zu erfahren, aus dem über einen Mann, der über vierzig
Jahre nur für die Belange der Kirche eingetreten ist, die Zwangspensionierung –
zumal so kurzfristig – verhängt wird. Ich sehe davon ab, Einspruch zu erheben,
weil ich sowieso demnächst aus Gesundheitsgründen um meine Versetzung in den Ruhestand
hätte bitten müssen. Ich gedenke erst im Spätherbst nach Braunschweig
zurückzukommen. Vielleicht wäre es im Interesse der überlasteten Amtsbrüder
empfehlenswert, wenn die Kirchenregierung die Möglichkeit erwirken würde, dass
ich zu Amtshandlungen vertretungsweise herangezogen werden kann, soweit meine
Kraft dann noch reicht. Jedenfalls bitte ich, dass bei der Mitteilung im
Amtsblatt nicht geschrieben wird, „auf seinen Antrag in den Ruhestand
versetzt“, weil das der Wahrheit nicht entsprechen würde. Heil Hitler.“[17]
In der Sitzung vom 28. 5. 1942 beschloss die Kirchenregierung die Versetzung in
den Ruhestand aus zwei Gründen: 1) wegen Erreichung des Ruhestandes, 2) aus
Anlass des gegen ihn für das Reichsgebiet ergangenen Redeverbotes. Die Antwort
von OLKR Seebaß an v. Schwartz spiegelt die pikierte Aufnahme des Briefes und
die völlige Verständnislosigkeit für die Situation des Dompredigers.. „Heute
morgen wurde in der K.Reg.Sitzung Dein Brief an Röpke vorgelesen. Wenn
vielleicht – was ich aber nicht glaube – noch etwas Bereitschaft dagewesen
wäre, einen Schritt für Dich zu unternehmen, so ist sie verständlicher Weise
nun gänzlich geschwunden, da man den Schluss Deines Briefes als eine große,
durch nichts verursachte Beleidigung empfindet. Ich weiß nicht, was Dir den
Anlass dazu gegeben hat, zu vermuten, man würde darauf kommen, im Amtsblatt
etwas anderes als die Tatsache Deiner Pensionierung bekannt zu geben..“[18] v. Schwartz zerriss das Original und
reinigte mit den Papierfetzen den Pfeifenpruckler.
Diese
beiden Gründe wurden v. Schwartz schriftlich mitgeteilt und er kommentierte die
Reihenfolge: „Das Feigenblatt Nr. 1 wäre besser hinterher gekommen, aber so
sind sie nun einmal“[19]
Das Mitglied der Kirchenregierung Rauls hatte v. Schwartz bewegen wollen, auf die
ganzer Prozedur zu verzichten und von sich aus die Pensionierung einzureichen.
„..das sagte er mir s. Zt. Das hätte ihnen ja wohl gepasst.“
OLKR Röpke dankte in einem weiteren Schreiben vom 1. Juni 1942 v. Schwartz „für
die langjährige, segensreiche Arbeit im Dienst der Landeskirche von Herzen“ und
wünschte eine „gesegneten Lebensabend mit amtsbrüderlichen Grüßen und Heil
Hitler.“ Das klang nach Erleichterung, nach dem „Fall Goetze“ auch diesen „Fall
v. Schwartz“ zu den Akten legen zu können.
Die nüchterne Nachricht im Amtsblatt vom 5. Juli 1942: „Versetzung in den
Ruhestand: Pastor Dr. v. Schwartz, Braunschweig, St. Ulrici II“ ließ von den
dramatischen politischen und kirchenpolitischen Gründen nichts ahnen. v.
Schwartz kommentierte die Formulierung als „Feigenblatt, um die Hörigkeit
gegenüber der GSTP zu verdecken“ oder als „Güte, um mich nicht als gemaßregelt
erscheinen zu lassen.“
v.
Schwartz musste am Ende seiner Dienstzeit das Gefühl haben, dass sein Dienst in
der Landeskirche von der Kirchenleitung nicht mehr erwünscht war. Allerdings
überschätzte v. Schwartz nicht das Maß an Freiheit und Tapferkeit vor dem
Freunde, das dieser Kirchenregierung noch zu Gebote stand. „Sie tun mir leid in
ihrer Zwangslage“, schrieb er am 2. Juni 1943 an Lachmund, bevor er den
Bescheid der Zwangspensionierung erhalten hatte. „In meiner Antwort an Seebaß
erklärte ich, dass Beleidigungsabsichten mir fern lägen. Durch die
Beleidigungsempfindung verrät sich doch so etwas wie ein nicht ganz sauberes
Gewissen. An sich hätten sie doch die Empfindung haben müssen, daß ich nur
meine Pflicht getan hätte, denn es ist nie ein Verbot erlassen, dass man
nachweisbar geschehene Dinge nicht aussprechen darf in Deutschland. Und man gab
mir auf der GStP zu, dass alles stimmte, was ich hatte vorlesen wollen, war nur
erstaunt, woher ich das alles wisse..(meine Antwort: wir wissen Alles!). Im
übrigen sind sie ja durch mein Alter entschuldigt...“[20] v. Schwartz stürzte Januar 1943 vom
Fahrrad und starb an den Folgen am 30. Januar 1943. Er liegt auf dem
Braunschweiger Domfriedhof an der Stadthalle neben seinen Eltern unter dem
Bibelwort „Seine Knechte werden ihm dienen und sehen sein Angesicht“
(Offenbarung Johannis 22, 3-4) begraben. Das Grab ist noch heute erhalten. Die
Ansprache bei der Beerdigung hielt sein Freund Pfarrer Ottmar Palmer,[21] der wie v. Schwartz von den
Deutschen Christen aus seinem Pfarramt gejagt worden war. Palmer notierte zwei,
die Zeit deutende Bibelworte in seinen Amtskalender: „Die Gerechten werden
weggerafft vor dem Unglück“[22]
und „Darum will ich dich zu deinen Vätern versammeln, damit du mit Frieden in
dein Grab kommst und deine Augen nicht sehen all das Unheil, das ich über
diese Stätte bringen will“.[23]
Kein „Heil Hitler“ bei Wollermanns
Es
gab im Alltag kleine Signale des Unangepassten. So erzählt Ernst August Roloff,
dass sein Physiklehrer Griebenow beim Betreten der Klasse statt „Aufstehen“
ausrief: „Aufstand“ oder „Erhebung“, um auf die Worte „Heil Hitler“ zu
verzichten. Auch beim Betreten des Bücherladens von Wollermann am Bohlweg wurde
der Hitlergruß mit „guten Morgen“ oder „guten Tag“ erwidert.[24] Besucher der Buchhandlung erzählten
von den jungen schicken SS Schülern von der SS Schule, im ehemaligen Schloss
gegenüber gelegen, die dort ebenfalls einkauften. Das „guten Morgen“ war ein
kleines Signal, die geforderte restlose Gefolgschaft zu verweigern. Hellmuth
Wollermann war ausgesprochen kirchlich gesonnen, er verlegte zahlreiche
Schriften zur kirchlichen Lage, bei ihm kauften die Pfarrer die theologischen
Bücher, die sie zur Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten benötigten. In
seinem Geschäft konnte man sicher den Domprediger v. Schwartz rauchend
antreffen. Im hohen Alter von 84 Jahren verstarb Wollermann 1938, wurde auf
dem Domfriedhof begraben, und v. Schwartz beendete seine Trauerpredigt mit dem
Wunsch: „Sein Bild stehe vor uns als das Zeugnis des Evangeliums, das auch uns
frohe Botschaft sei von der Liebe Gottes.“ [25]
Wollermann stammte, 1854 geboren, aus dem westpreußischen Städtchen
Hammerstein, wo sein Vater Lehrer und Organist war. Nach dem frühen Tod des
Vaters, wurden drei der fünf Geschwister auf die Familienangehörigen verteilt,
und die Mutter verzog mit Hellmuth und dem Jüngsten nach Neustettin, wo er
Abitur machte, und in die Buchhändlerlehre nach Braunschweig zu Goeritz kam.
Mit 24 Jahren erstand er die Grünbergsche Buchhandlung am Bohlweg Nr. 13 und
baute diese zu einer angesehenen theologischen Buchhandlung aus.[26] Wollermann engagierte sich sehr
stark bei der Inneren Mission, führte dort mehrere Kassen ehrenamtlich, gab das
Braunschweigische Volksblatt heraus sowie 1903 „die Geschichte der christlichen
Liebestätigkeit im Herzogtum Braunschweig vom Mittelalter bis auf unsere Zeit“,
die Pfarrer Johannes Kühne geschrieben hatte, das „Album der evangelischen Geistlichen
der Stadt Braunschweig mit kurzen Nachrichten über ihre Kirchen“, geschrieben
von Johannes Beste, und zahlreiche andere Bücher zur Geschichte des Landes,
zuletzt 1933/34 zwei Predigtbände mit Predigten von Domprediger v. Schwartz.
Hellmuth Wollermann lebte jenen Typ des preußischen Pietismus, der
persönliche, bibelfeste Frömmigkeit, Unbeugsamkeit des Glaubens und
gesellschaftliches, kirchliches Engagement miteinander verband.
Schon
1901 trat sein Schwiegersohn, Heinrich Bodenstab, zunächst als Lehrling später
als Mitinhaber in die Buchhandlung ein, die sich nun Wollermann und Bodenstab
nannte. Auch Heinrich Bodenstab war kein Braunschweiger, sondern hatte seine
religiöse Sozialisation in Hermannsburg erhalten, heiratete eine Tochter
Wollermanns und übernahm neben seinem Schwiegervater die Buchhandlung, da beide
Söhne Wollermanns – einer sollte die Buchhandlung weiterführen – im 1.
Weltkrieg gefallen waren. Auch Bodenstab verstand sich wie sein Schwiegervater
als „evangelischer Buchhändler“ in Braunschweig. Er führte die Buchhandlung,
nachdem sie ausbombardiert war, auch nach dem Kriege weiter.
Das
Mädchenwerk in der Stadt Braunschweig
Zur
Gruppe der Distanzierten, Widerständigen gehörten Dagmar v. Hoerschelmann und
Annemarie Haedke. Dagmar v. Hoerschelmann wurde 1935 in die Leitung des
Mädchenwerkes der Landeskirche berufen, die ihren Sitz in der Peter Joseph
Krahestraße im Haus der Inneren Mission hatte. Frl. v. Hoerschelmann war 1902
in Petersburg geboren und gehörte zu der im Baltikum verzweigten Familie der v.
Hoerschelmanns.[27]
Sie wohnte in Blankenburg und fand 1933 engen Kontakt zum Pfarrernotbund, zu
Kircherat Palmer und Pfarrer Lachmund. 1935 wurde sie nach Braunschweig zur
Leitung des Mädchenwerkes berufen, das dem Vorsitzenden des Pfarrernotbund Karl
Adolf v. Schwartz unterstellt war. Dagmar v. Hoerschelmann war eine fromme,
pädagogisch begabte, hoch gewachsene Frau mit blondem Haar und einem
fabelhaften Sopran, die nicht zu übersehen war, wenn sie einen Raum betrat. Ihr
schloss sich Annemarie Haedke an, die zunächst BdM Führerin war, im Dahlemer
Burckhardthaus eine Wende erlebte und die theologische Ausbildung zur
Gemeindehelferin erhielt und ab 1936 für die Mädchenarbeit in der Stadt
Braunschweig zuständig wurde. Beide befreundeten sich, zogen zusammen und
blieben bis zu ihrem Tode ein theologisch und kirchenpolitisch gleichgesinntes
Freundinnenpaar. Sie ergänzten sich in ihrer gemeinsamen Arbeit wie Kopf und
Hand. Dagmar v. Hoerschelmann lehnte eine Bezahlung durch die ihrer Meinung
nach geistlich nicht legitimierte Wolfenbüttler Kirchenleitung ab und lebte von
Spenden, die sie aus den Pfarrhäusern erhielt. Die Jugendarbeit beider Frauen
wurde in Braunschweig und bei Freizeiten im Ostseebad Zingst von der Gestapo
scharf auf Einhaltung der polizeilichen Einschränkungen (kein Sport, keine
Volksmusik) auf die rein religiöse Betätigung (Bibelarbeit und Choräle singen)
beobachtet. Beide wurden wiederholt in die Gestapostelle in der Leopoldstraße
vorgeladen uind verwarnt. Da der Besuch einer kirchlichen Freizeit mit dem
Besuch einer BdM Freizeit erkauft werden musste, und später die
Teilnehmerinnern sogar persönlich bei der Gestapo gemeldet werden mussten,
erhielt dieser Zweig der kirchlichen Arbeit den Geruch, völlig anders zu sein
als die parteilich gewünschte Gefolgschaft hinter dem „Führer“ her. Ganz
ähnliche Erfahrungen wurden bei der Jugendarbeit in der katholischen
Nikolaigemeinde gemacht.
Besonders
beliebt wurde die mehrfache Aufführung einer Lukaspassion von Otto
Riethmüller, dem Direktor des Burckhardthauses. Die Lukaspassion verband Texte
und Lieder als Bekenntnisstück miteinander. An einer Aufführung waren bis zu 40
Jugendliche beteiligt.[28]
Dagmar
v. Hoerschelmann brachte ihren Glauben auch in gebundene Form. „Frag nicht nach
mir – nach meinem armen Leben/ mein zuckend Herz kann keinen Trost dir geben.
Frag nicht nach mir. // Frag nicht, wie ich das schwere Leid will tragen/ ich
traf es gar nicht, könnte es nicht wagen./ Frag nicht nach mir// Doch frag nach
Ihm in dessen Schutz ich wandle/ Frag du nach Ihm, in dessen Kraft ich wandle/
Frag nur nach ihm.// O frag nach Ihm, der mir zur Seite gehet/ der Hand in Hand
mit mir im Kampfe stehet/ Frag nur nach Ihm// Fragst du nach Ihm, kann ich voll
Dank bekennen/ Dass meiner Seele Freudenlichter brennen/ Frag nur nach Ihm.“[29]