Traueranzeigen, Heldentod-Stimmung und der Trostversuch
der Kirche 1943/44 [1]
Mit der unerwarteten Dauer des Krieges legte sich über die
deutsche Bevölkerung und auch über den Alltag von vielen Familien der
Braunschweiger Stadtbevölkerung eine Trauer- und Heldentod-Stimmung. Besonders
seit der Niederlage von Stalingrad im Januar 1943. Die Stimmung der Bevölkerung
sei in den Wintermonaten durch das Schicksal der Stalingradkämpfer „schwer
betroffen“, schrieb der Generalstaatsanwalt am 26.5.1943 in seinem
Stimmungsbericht an das Reichsjustizminister.[2]
Diese bedrückende Stimmung wurde genährt durch die Trauerannoncen in der
Tagespresse, die sich, mit dem Zeichen eines Eisernen Kreuzes versehen,
deutlich von den bisherigen Trauerannoncen abhoben. Diese Annoncen wurden mit
Aufmerksamkeit verfolgt, denn selbst wenn sich der Tod in der Nachbarschaft
längst herumgesprochen hatte, dienten sie der schmerzlichen Vergewisserung über
die Umstände des Todes und der Kenntnisnahme, wie der Tod von der Familie aufgenommen
wurde. Die Annoncen waren keineswegs einheitlich auf einen Stil getrimmt,
sondern ließen einen großen individuellen Spielraum erkennen.
Die parteigebundene Musterannonce
Als zeitgemäße Musterannonce kann folgender Wortlaut gelten:
„Für seinen geliebten Führer und Großdeutschlands Zukunft fiel in treuer
soldatischer Pflichterfüllung mein geliebter Mann....Er gab wie seine Brüder
Walter und Rudi für die Heimat sein Höchstes. Wir gaben unser Liebstes und sind
bereit unser Letztes zu geben. In stolzer Trauer..“[3]
Der Wortlaut der Annonce erfüllt die sprachliche und inhaltliche Norm, die von
einem nationalsozialistischen Parteigenossen erwartet wurde. Die Norm lautete:
Stolz, Pflicht, Führer, Zukunft, Verpflichtung. In der Trauer war die Witwe
nicht gebeugt sondern von Stolz erfüllt über den Toten, der seine Pflicht nicht
vergessen, sondern „erfüllt“ hatte. Sein soldatischer Dienst war auf die
Zukunft gerichtet, die als „Großdeutschland“ von Hitler gestaltet sein würde.
Dieses Ziel gab dem gewaltsamen Tod einen Sinn und wurde an den Anfang der
Annonce gestellt. Das Ziel bedeutete den Hinterbliebenen alles, der Tod des
einzelnen dagegen wenig. Die Frage „wofür“, die sich viele Hinterbliebene
stellten, war eindeutig geklärt. „Für den Führer“ war gleichbedeutend mit „für
den Sieg“. Denn Hitler galt als der Garant des Sieges. Die Formel „für den
Führer“ erinnerte auch an den Eid des Soldaten, der eine Treue, eine innere
Bindung des Soldaten „bis in den Tod“ beinhaltete. Diese Bindung wurde nun
durch den Tod des Soldaten nicht gelöst sondern besiegelt. Sie erhielt durch
den Tod einen bleibenden, unlösbaren Charakter. Das gab dem Tod des Soldaten
eine Art Bindung „über das Grab hinaus“. Diese mochte dem Toten gleichgültig
sein, denn er war ja tot, aber für manche Hinterbliebene war sie eine Art
Verpflichtung, ein Erbe. Daher war es nicht „tragisch“, sondern vorbildlich,
dass auch an die bisherigen „Gefallenen“ in der Familie gedacht wurde. Geradezu
beispielhaft galt die Verpflichtungserklärung am Ende des Textes, dass auch die
Hinterbliebene „ihr Letztes“ für dieses Ziel geben würden. Die Annonce
rechtfertigte den Krieg, die Kriegsziele und den Soldatentod.
Es entsprach ebenfalls der Parteinorm, wenn die
persönlichen, familiären Beziehungen des toten Soldaten dem großen Ziel des
Endsieges untergeordnet wurden. Dafür folgendes Beispiel: „In
unerschütterlichem Siegeswillen, unbändigem Kampfesmut und großer Liebe zu
seinem Führer und Großdeutschlands Zukunft fiel am 17. Dezember 1942 mein
innigstgeliebter Mann, unser hoffnungsvoller Sohn, Bruder, Schwiegersohn,
Schwager und Onkel, der Oberfeldwebel Werner.. Träger des goldenen HJ
Abzeichens. In Polen wurde er mit dem EK II und in Frankreich mit dem EK I
ausgezeichnet. In stiller, stolzer Trauer..“[4]
Die Hinterbliebene stellte die Eigenschaften des toten
Soldaten, die auf das große politische Ziel Großdeutschland ausgerichtet waren,
in einer dreifachen Aufzählung (Siegeswillen, Kampfesmut, Führerliebe) den
familiären Beziehungen betont voran. Dann erst wurden die familiären Bindungen
genannt. Durch die Erwähnung der Orden und der Feldzüge, in denen sie erworben
wurden, kehrte die Annonce zu dem soldatischen Milieu wieder zurück. Die
Hinterbliebenen erlaubten sich auch keine persönliche Schwäche und
unterzeichneten in „stolzer Trauer“.
Zur Musterannonce gehörte ferner die Bezeichnung
„Heldentod“, die in zahlreichen Annoncen gewählt wurde, meistens in der
Verbindung den Heldentod „finden“ oder auch „sterben“. Er überhöhte den
Schrecken des Sterbens an der Front. „Heldenhaft“ wurde der gewaltsame Tod
durch die Haltung, in der er erlitten wurde. Daher der Zusatz von der
„Pflichterfüllung“ oder „treuer Pflichterfüllung“. Heldenhaft wurde er außerdem
durch das Ziel, für das er erlitten wurde, also: die Zukunft Deutschlands. Der
„Heldentod“ hatte den Charakter eines Menschenopfers, das stellvertretend
erbracht wurde. Indem sich die Hinterbliebenen zu diesem Verständnis eines
Opfer durchrangen, wollten sie dem gewaltsamen, unnatürlichen Tod im Krieg
einen Sinn abgewinnen. Der Begriff stammte aus der Zeit vergangener Kriege und
war seit der Führung des anonymen, technischen, totalen Krieges antiquiert.
„Am ... fand unser einziger herzlicher Junge im Alter von 27
Jahren im Osten im Kampf gegen den Bolschewismus den Heldentod. Er war unser
Stolz und unsere Hoffnung. Sein Leben war Liebe zu den Seinen. In Treue zum
Führer war er schon in frühester Jugend einsatzbereit.“ Es werden die Orden
aufgezählt: EK II, Panzerabwehrabzeichen, Träger des Goldenen Ehrenzeichens der
HJ. „In begeistertem soldatischen Einsatz fand sein Leben höchste Krönung im
Heldentod für Führer und Vaterland.“ Name der Eltern.[5]
Der Heldentod
Heldentod war Krönung. Der Begriff stammte aus der
Religionswelt und war für den Märtyrertod reserviert. Ein Märtyrer erhielt „die
Krone des Lebens“, so lautete eine Verheißung seiner Heiligen Schrift. Der
Heldentod charakterisierte den Gefallenen als säkularen Märtyrer. Wo Führer,
Volk, Vaterland und Nationalsozialismus religiös oder quasireligiös aufgeladen
waren, konnte der Krieg Märtyrer hervorbringen. „Mein sonniger, treuer
Lebenskamerad, mein einziger Bruder, mein guter Neffe, mein lieber
Schwiegersohn, Schwager und Onkel Oberregierungsrat Gerd.. Oberleutnant d.R.
und Batterieführer krönte sein junges strahlendes Leben im Glauben an den
Endsieg durch den Heldentod im Ostern. Er lebte, kämpfte und starb für
Deutschlands Zukunft. Im Leben wie im Sterben furchtlos und treu. In tiefster
Trauer..“.[6]
Der Gedanke des Heldentodes stammte aus einer Zeit, in der
die Mehrheit der Gesellschaft darin übereinstimmte, dass es höhere Güter als
das Leben gebe. Schon Schiller dichtete: „Das Leben ist der Güter Höchstes
nicht“. Gerne wurde auf das römische Dichterwort zurückgegriffen, dass es „süß
und ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben“. Dieses Gedankengut aus der
Zeit des deutschen Idealismus und der Freiheitskriege, auch aus der deutschen
Romantik lag abrufbereit im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung. Spätestens
mit dem ersten Weltkrieg hatte dieses Leitwort seine ethische Gültigkeit
verloren, aber es wurde immer wieder insbesondere an deutschen Gymnasien zu
einem erstrebenswerten Lebensziel deklariert. Tatsächlich war es humanistischer
Schwachsinn. Aber der Nationalsozialismus beutete gerne vorhandene Reste der
deutschen Geistesgeschichte für sich aus und erfand höhere Güter als das Leben,
zum Beispiel „das ewige Deutschland“, oder „die Fahne sei mehr als der Tod“,
oder einen verschwommenen Ehrbegriff.
Die Sammelannoncen der Gauleitung
Die Heldentodstimmung wurde durch schwarz umrandete
hervorgehobene Sammelannoncen verstärkt, die vom Gauleiter für die bei einem
Luftangriff Umgekommenen in der Regionalpresse veröffentlicht wurden. In der
Zeit vom 25. März bis zum 25. Mai 1944 erschienen in der Braunschweiger
Tageszeitung insgesamt 10 Sammelanzeigen mit den Namen von 12-17-22-36-75
Toten. Es häuften sich die Nachrichten, in denen die Familien mehrfach
betroffen wurden. In den Sammelannoncen vom 11.-14. April waren 13 mal zwei
gleiche Familiennamen genannt, sieben mal drei gleiche Familien und drei mal
sogar vier gleiche Familiennamen.
Die Annoncen waren vom Gauleiter mit folgender Deutungen
versehen: „Ihr Tod bedeutet für uns Verpflichtung zu Kampf und Sieg“. „Der
deutsche Sieg wird auch diesen Opfern ihren höchsten Sinn geben“. ,,Die
Gefallenen gaben ihr Leben für den Sieg des Reiches, der diesen Opfern ihren
höchsten Sinn geben wird.“ „Sie sind gefallen im Freiheitskampf unseres
Volkes.“
Die Annoncen ordneten den Tod dem allgegenwärtigen
Parteidogma des Sieges unter. Das Dogma des Sieges sollte die Trauer der
Familie überstrahlen. Damit wurde außerdem der verständliche Wunsch der
Bevölkerung nach einem Ende des Sirenengeheuls und der Keller- und
Bunkerexistenz eingegrenzt. Der Siegeswille der Hinterbliebenen sollte die
befürchtete Gleichgültigkeit „Hauptsache ein Ende, wie wäre egal“ bekämpft
werden.
In diesen Annoncen wurde der Unterschied zwischen der „Front
draußen“ und der Front drinnen“ aufgehoben. Daher wurden die Toten der
Luftangriffe auch als „Gefallene“ bezeichnet. Tatsächlich waren sie von den
Trümmern erschlagen, vom Luftdruck zerrissen oder durch Feuer verbrannt und
nicht in einem wenn auch anonymen Kampf gegen einen Feind getötet worden. Mit
der Bezeichnung „gefallen“ wurden die zivilen Männer, Frauen und Kinder allesamt
zu Soldaten stilisiert, die an der „Heimatfront gefallen“ waren. Das sollte als
„Ehre“ verstanden werden und wurde vielleicht von Gleichgesinnten auch so und
als Erleichterung empfunden. Es war ein Ausdruck des „totalen Krieges“.
Die offizielle Redeformel vereinnahmte die Toten in den
totalen Krieg. „Sie gaben ihr Leben“ konnte von den Hinterbliebenen als eine
unverschämte Inanspruchnahme verstanden werden. Denn sie gaben ihr Leben
keineswegs freiwillig, es wurde ihnen durch den Kriegsverlauf genommen und geraubt.
Der Dreiklang Kampf - Tod - Sieg
Die parteigebundene Musterannonce
verfestigte den Dreiklang von Kampf, Tod und Sieg, der in unterschiedlicher
Akzentuierung das nationalsozialistische Deutschland von Anfang an nach Hitlers
Willen prägte. Die Toten waren auf gespenstische Weise gegenwärtig. Im
sogenannten Horst Wessel Lied, das regelmäßig nach dem „Deutschlandlied“
gesungen wurde und fester Bestandteil der Nationalhymne war, hieß es, dass jene
Kameraden, die von der „Rotfront und Reaktion“ im Straßenkampf totgeschossen
worden waren, nun „in ihren Reihen“ mitmarschierten. „Kameraden, die Rotfront
und Reaktion erschossen, marschiern im Geist in unsern Reihen mit“, hieß es. Da
waren also die kämpfenden mit den toten Kameraden verbunden und die Toten bekamen
eine drastische Gegenwärtigkeit. Sie marschierten mit. Ob sich die
Parteigenossen und mitsingende Deutsche und Braunschweiger den Text immer so
plastisch vorstellten, ist wohl unwahrscheinlich, aber der Tod und die Toten
erhielten einen pathetischem, dazu quasikultischen Charakter, der insbesondere
Jahr für Jahr am 9. November lebendig wurde.
Der schulfreie Staatsfeiertag erinnerte an die Pleite vom
missratenen Putsch Hitlers in München im Jahr 1923, die pompös zugedeckt und
mit einem monströsen Totenkult verbunden wurde. Vor einem riesigen
Parteispalier schritt Hitler zusammen mit anderen Männern jener peinlichen
„ersten Stunde“ wieder zur Feldherrnhalle in München, die „Blutfahne“ von 1923
wurde vorangetragen, Hitler ging feierlich, allein an die Sarkophage, und
grüßte die Toten, als ob sie lebten. Dann wurden die Namen der 16 Toten
aufgerufen, und sie antworteten mit „Hier“, richtiger: ein SS Mann, der neben
einem Sarkophag postiert war, antwortete mit „Hier“. Die Toten wurden wieder
lebendig. Die von „Rotfront und Reaktion“ Erschossenen marschierten nicht nur
in ihren Reihen mit, sondern wurden durch das Ritual zum Leben erweckt. Tote
und Lebende in einer irdisch-überirdischen Volksgemeinschaft.
Dieses Ritual wurde im braunen Veranstaltungskalender der
Städte und Dörfer zum festen Termin, ergänzt durch lokale Tote, in Braunschweig
durch Axel Schaffeld und Gerhard Landmann. Dieses bedrückende Ritual, ein
fester Bestandteil des nationalsozialistischen Alltags, endete, je kleiner die
Region, in einem Besäufnis der SA, so auch in der Pogromnacht am 9. zum 10.
November 1938, als die Synagogen in Brand gesteckt oder zerstört wurden.
Dieser Dreiklang, schon ab Februar 1933 innenpolitisch
schrill intoniert, wurde ab 1939 außen- und militärpolitisch angestimmt und in
den parteigerechten Traueranzeigen hör- und sichtbar.
Die familiären Traueranzeigen
Anders als die parteigenormten Anzeigen waren die familiären
Traueranzeigen kurz. „Am 5. Januar erhielt ich die tief traurige Nachricht,
dass unser lieber Sohn, mein lieber Bruder, der Soldat Otto T. kurz vor seinem
vollendeten 20. Lebensjahr auf dem Feld der Ehre gefallen ist. In tiefem
Schmerz“[7]
oder noch kürzer: „Unser Sohn, Leutnant, Martin Bormann, Pfarrer in
Beierstedt, ist am 23. März auf dem Feld der Ehre gefallen.“ Name der Eltern.[8]
Die Nachricht war denkbar kurz. Statt Stolz in der Trauer wurden der Schmerz
und Verlust hervorgehoben und an den Anfang gestellt. Es fehlte jeder Hinweis
auf eine mögliche Sinnhaftigkeit des Verlustes.
Dieser vorangesetzte Ausdruck des Schmerzes wurde in sehr
vielen Annoncen verwendet: „Wir erhielten die tieferschütternde Nachricht, dass
unser innig geliebter Sohn..“, oder: „In namenlosem Schmerz“, oder: „Schweres
Herzeleid brachte uns die Nachricht..“, oder: „Hart und schwer traf uns die
Nachricht..“, „Ganz unerwartet traf uns die kaum fassbare Nachricht..“, „Nach
bangem Sorgen erhielten wir jetzt die furchtbare Nachricht“, „Unaussprechliches
Leid brachte uns die Nachricht“, „tieferschüttert erhielten wir am 7. Januar
1943 von seinem Hauptmann die überaus schmerzliche Nachricht...“. Der Schmerz
am Anfang einer Trauerannonce ließ alle parteipolitischen Phrasen zunächst
hinter sich.
Zur Parteinorm einer Annonce gehörte die Nachricht, dass der
Verstorbene für den „Führer“ gefallen wäre. Es war eine signifikantre
Verkürzung, wenn das Wort „Führer“ nicht genannt wurde: „Für sein Vaterland
fiel am 23. Februar im Osten unser geliebter Mann..In tiefer Trauer..“.[9]
Der Parteipropaganda lag an einer engen Identifizierung von Volk und Führer,
von Vaterland und dem „Führer“. Diese Identifizierung wurde in dieser Annonce
vermieden und der Titel des „Führers“ fortgelassen. Ähnlich klingt folgender
Wortlaut: „An der Ostfront starb im Alter von 32 Jahren für sein geliebtes
Vaterland...Es war ihm nicht vergönnt, seinen am 9. November 1943 geborenen
Jungen zu sehen. In unsern Herzen wird er weiterleben“.[10]
Die Mutter dachte weniger an die mit Hitler angeblich garantierte Zukunft
Großdeutschlands, sondern an die Zukunft in der Familie, nämlich durch die
Geburt des Jungen. Die politische Zukunft „Großdeutschlands“ trat in den
Hintergrund gegenüber der persönlichen Hoffung auf ein „Weiterleben“ des
Verstorbene „in unseren Herzen“.
Die Eltern vermieden den Namen des „Führers“ in der Annonce,
dass ihr Sohn „ in den schweren Kämpfen um Chartow sein junges Leben für Volk
und Vaterland lassen musste. Stets stand er zu seinem Wort und hat er alles im
fast vollendeten 22. Lebensjahr gegeben. Alle, die ihn kannten, wissen, was wir
verloren haben. In tiefer Trauer..“ (die Eltern).[11]
Eine besonders persönliche Note erhielt die Annonce, wenn
die Erinnerung an den letzten Urlaub wachgerufen wurde. „Nach kurzen, aber so
schön verlebten Urlaubstagen erhielten wir die für uns kaum fassbare
Nachricht..“.[12]
„Auch ich musste meinen herzlieben, sonnigen, lebensfrohen Jungen geben. Mein
Stolz und meine Freude, unser lieber herzensguter Bruder, Schwager, Neffe und
Vetter, mein innigstgeliebter Bräutigam Werner ..“ vier Abzeichen „..liess kurz
nach glücklich verlebtem Urlaub sein Leben im Osten im Alter von 24 Jahren. In
stiller tiefer Trauer.[13]
Der Urlaub war mit dem beiderseitigen Wunsch nach einem
baldigen Wiedersehen beendet worden. Der Schmerz über diesen nunmehr
unerfüllten Wunsch brach sich auch in der Annonce Bahn. „Nach langem Fernsein
auf ein Wiedersehen hoffend erhielt ich die unfassbare Nachricht..“ [14].
„Sein Wunsch, das über alles geliebte Elternhaus wiederzusehen, wurde ihm nicht
erfüllt. Fern seiner Heimat ruht er nun im ewigen Frieden. In tiefem Schmerz..“[15]
„Im festen Glauben und mit großer Sehnsucht im Herzen, uns noch einmal
wiederzusehen, erhielten wir die unfassbare Nachricht, dass unser einziger,
lieber, guter Sohn Horst.. im 21. Lebensjahr am 10. Juli südlich Orel sein
Leben lassen mußte.. Es war ihm nicht vergönnt, seine Lieben und die Heimat
wiederzusehen. In tiefer Trauer..“.[16]
Das beim Abschied damals gesprochene „Auf Wiedersehen“ war keine Floskel
gewesen, sondern ein inniger Wunsch, der nun in der Annonce noch einmal
ausgesprochen wurde.
Der Ausdruck eines besonderen Schmerzes war es, wenn die
hinterbliebene frühverwitwete Mutter
aus Enttäuschung über das ausgebliebene Wiedersehen ihrem
Sohn ein Denkmal ihrer Liebe setzte: „Tieferschüttert erhielten wir am 7.
Januar 1943 von seinem Hauptmann die überaus schmerzliche Nachricht, dass am
26. November 1942 mein einziger, herzensguter, lieber Junge, meines Lebens
Stütze, mein Glück und Sonnenschein, unser einziger, geliebter, lebensfroher
Bruder, Schwiegersohn, Schwager und Onkel, mein innigstgeliebter unvergesslicher
Bräutigam, der Obergefreite Karl.. im blühenden Alter von 28 Jahren in den
schweren Kämpfen um Stalingrad an den Folgen einer schweren Verwundung den
Heldentod fand.. Sein einziger Wunsch war, seine Lieben in der Heimat
wiederzusehen. Besonders hart traf uns die Nachricht, da sein Vater im
Weltkrieg 1914 gefallen ist. Ruhet sanft! Ihr beiden Lieben in fremder kühler
Erde. In stiller Trauer..“ die Witwe als Mutter.[17]
Die Trauer über einen Kriegstoten reichte auch deshalb noch
tiefer, weil der Ort ihres Sterbens ungewiss war und ob es ein Grab für den
Toten gegeben hatte. „Die Vorsehung hat uns unsern heißgeliebten, sonnigen
Jungen, seinen herzensguten Bruder, den Grenadier Hans Joachim .. im Alter von
18 ½ Jahren genommen. Bei einem Gegenangriff.. am 9. August 1943 hat er sein
blühendes Leben geopfert. Du unser Stolz, unsere Hoffnung. Möge dich die fremde
Erde ruhig betten. Deine Bescheidenheit und dein stilles Wesen sollen uns ein
stetes Vermächtnis bleiben. In tiefem Leid..“[18]
Die Eltern wollten öffentliches Zeugnis von ihrer Liebe zu ihrem Sohn geben und
zeichneten ein einnehmendes Bild des 18 Jährigen. Sie gaben einer echten
Empfindung Ausdruck, wenn sie schrieben, dass die Vorsehung ihnen den Sohn
„genommen“ habe. Sie fühlten sich beraubt. Und wie viele Hinterbliebene spürten
sie die leidvolle Tatsache, dass sie beim Sterben und beim Begraben nicht
anwesend sein konnten. Die Erde, in der ihr Sohn begraben war, war eine
„fremde“. Dass die Erde, die den toten Sohn deckt, „fremd“ ist, war für die Eltern
beunruhigend. Dort gehörte er eigentlich nicht hin, spürten sie richtig. Daher
riefen ihm Eltern in persönlicher Anrede zu, als ob sie am Grabrand stünden:
„Möge dich die fremde Erde ruhig betten“. „Ruhig – betten“ - so hatten die
Eltern ihren Sohn, als er noch klein war, „zugedeckt“, zur Nacht „gebettet“. In
der Annonce dominiert das Persönliche deutlich das Parteiliche.
Die Redeweise von der fremden Erde war ein Ausdruck
besonders tiefer Traurigkeit.
„.. in treuer soldatischer Pflichterfüllung im 34.
Lebensjahr im Osten den Heldentod fand. Ruhe sanft in fremder Erde. In tiefem
Schmerz..“[19]
„Ruhe sanft, du lieber Guter, in Russlands kühler Erde. In unsagbaren Schmerz..[20]
Die Vorstellung, dass der tote Soldat irgendwo unbegraben
auf dem Schlachtfeld liegengeblieben sein könnte, vermehrte die Trauer um den
Verlust. Um der schmerzlichen Anonymität des Todes zu entgehen, nannten die
Hinterbliebenen als Zeugen für den Tod den Überbringer der Nachricht, den Ort
des Todes und die Tatsache des Begräbnisses. Vom 18jährigen Sohn schrieben die
Eltern: „Seine Kameraden betteten ihn daselbst zur letzten Ruhe“.[21]
„Wir haben ihn auf dem Heldenfriedhof in Krakau beerdigt. Von seinem Grab
zurückgekehrt, werden wir ihn nie vergessen. In unsagbarem, tiefem Schmerz..“[22]
„Aus der Brust der Männer seiner Kompanie klingt still und leise die alte Weise
vom guten Kameraden. In stiller Trauer..“[23]
Es gab auch hin und wieder den Hinweis auf religiöse
Bindungen und Trost in der kirchlichen Tradition: „Hart und schwer traf uns die
Nachricht von seinem Kompanieführer, dass NN im 32. Lebensjahr nach Teilnahme
am Westfeldzug sein junges Leben am 16. Dezember in den schweren Abwehrkämpfen
im Donbogen für Führer und Vaterland gelassen hat. Sein größter Wunsch, seine
Lieben in der Heimat wiederzusehen, ward ihm nicht erfüllt. Unser Herrgott möge
ihm den ewigen Frieden geben. In unsagbarem Schmerz.. Trauerfeier am 31. Januar
in der Kirche“.[24]
Der Wunsch nach einer Rückkehr in die Familie war größer als
der, den Heldentod zu finden. Die Benennung des Kompanieführers und des
Sterbeortes enthob den Tod des Sohnes der quälenden Anonymität, die für den Tod
an der Front typisch ist. Die Bitte an Gott um Frieden für den Sohn gab dem
Sterben einen Ort und ein Ziel, das die Hinterbliebene zu trösten vermochte.
Dass daneben auch Führer, Vaterland und Westfeldzug genannt wurden, kann als
Hinweis verstanden werden, dass der Wunsch nach einem Wiedersehen in der
Familie nicht als Zeichen von vaterländischer Illoyalität verstanden werden
sollte.
Aus der Parteinorm fiel ein Annoncenanfang, bei dem wie bei
kirchlichen Annoncen in Friedenszeiten der Name Gottes genannt wurde. „Nach
Gottes unerforschlichem Ratschluss fiel am 29. November unser heißgeliebter,
lebensfroher Junge, Bruder und Großonkel, der Sanitätsgefreite Hans Otto.. im
Alter von 22 Jahren. In tiefem Leid..“[25]
Die betroffene Fromme suchte Trost in der Unerforschlichkeit eines sonst als
barmherzig und gnädig angerufenen und verehrten Gottes und bezeugte ihr Suchen
in der Trauerannonce. „Heute erhielten wir die tieftraurige Nachricht, dass
nach Gottes heiligem Willen mein innigstgeliebter Mann, unser lieber
treusorgender Sohn, Bruder, Schwager, Onkel und Neffe der Buchhändler Karl..
Obergefreiter am 21. Februar im Osten den Heldentod starb. In tiefem Leid..“[26]
Ein Bibelzitat am Anfang einer Annonce konnte wie ein
Glaubensbekenntnis der hinterbliebenen Eltern wirken.. „Niemand hat größere
Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Gott der Herr rief
, früh vollendet, gläubigen Herzens, in inniger Liebe seinen Eltern und
Geschwistern zugetan den Gerichtsassessor..“[27]
Das Bibelzitat wurde gerne im Nachruf der Kirchenleitung verwendet und war zu
diesem Anlass problematisch. Die Hoffnung auf Trost im Glauben verriet der
Schluss einer Annonce, in der die hinterbliebene Witwe das beliebte Volkslied
zitierte: „Es ist bestimmt in Gottes Rat, das man vom Liebsten, was man hat,
muss scheiden.“[28]
Es gehörte zu den Lieblingswünschen bei Beerdigungen und hatte eine von Felix
Mendelsohn komponierte, sehr gefühlvolle Melodie. Die Strophe lautete
vollständig: „Wiewohl doch nichts im Lauf der Welt dem Herzen ach so sauer
füllt, als scheiden.“ Trotz der Berufung auf den Rat Gottes begann die Witwe
die Annonce mit „für Führer und Vaterland“. Christlicher Glaube und Bindung an
Hitler schlossen sich nicht aus.
Wo der Kriegstod mehrfach zerstörerisch in das Familienleben
eingriff, tauchte am Horizont der Trauer die Ewigkeit auf: „Schwer traf uns das
Schicksal zum zweiten Mal. Unser unvergesslicher Sohn Otto.. fand im blühenden
Alter von 18 ½ Jahren den Heldentod. Er folgte seinem Bruder Franz nach acht
Monaten in die Ewigkeit nach“.[29]
Von einem 25 jährigen : „Er folgt seinen beiden Brüdern in die Ewigkeit nach.
In unsagbarem Schmerz..“[30]
Vom Spätsommer 1944 an waren persönlich gestaltete
Trauerannoncen der Braunschweiger Tageszeitung nicht mehr möglich. Stattdessen
erschienen kurzgefasste, genormte Redaktionsannoncen und zwar oben mit einem
Eisernen Kreuz für alle Annoncen.
Der Trostversuch der Kirche
Viele betrauerte Soldaten waren auch Angehörige der
evangelischen Kirche. In den Pfarrämtern wurden die Zeitungsanzeigen jener
Toten ausgeschnitten, die zur jeweiligen Kirchengemeinde gehörten. Es wurden
Notizbücher angelegt und die Namen der Toten verzeichnet. Ein solches
Verzeichnis ist in der Johannisgemeinde mit der Aufschrift „1939-1945
Kriegsopfer der St. Johannisgemeinde und der Martin Luthergemeinde“ erhalten.
Es enthält handschriftlich die Namen von 319 toten Soldaten, ihr Alter und den
Dienstgrad, den Ort des Todes und den Namen der Hinterbliebenen. Es gibt darin
auch Hinweise auf „Gedenkfeiern“. Das waren Gedächtnisgottesdienste, in denen
der toten Soldaten gedacht und für die Hinterblieben gebetet wurde. Es wurden
zwischen November 1943 und November 1944 elf Gedächtnisgottesdienste in der
Johanniskirchengemeinde gehalten. Dabei wurden die Namen von einem oder auch
von mehreren toten Soldaten verlesen. Es sind insgesamt 20 Tote, eine
verschwindend geringe Zahl im Verhältnis zu der Gesamtzahl der verzeichneten toten
Soldaten. Ganz wenige wurden auf dem hiesigen Friedhof von Propst Leistikow,
Propst Ernesti, Pfarrer Barg und Pfarrer Schwarze begraben.
Solche Gedächtnisgottesdienste sind auch in der
Magnikirche angeboten worden.[31]
Im Gemeindebrief der Michaelisgemeinde wurden die Namen der toten Soldaten des
Gemeindebezirkes veröffentlicht.[32]
Im Brüdergemeindebrief befindet sic nur einmal eine
Annonce für gefallenen Gemeindemitglieder mit der Einleitung: „Im Osten gaben
ihr Leben aus unserer Gemeinde für Führer und Großdeutschland..“ [33]
Es gab zu diesem Anlass Gedenkkarten, die den
Hinterblieben überreicht werden konnten. Darin hieß es „Zur immerwährenden
Erinnerung an ... Pflanzt über mir ein Kreuz, - das war mein Glaube./ Legt auch
ein Schwert dabei, ich trug es stets in Ehren,/ Dann lasst im Schlaf mich
Siegeslieder hören/ Und Gras mag wachsen über meinem Staube/ Ich hatte nichts
als nur mein Leben/ Fürs Vaterland hab ich es Gott gegeben.“ Einige Exemplare
dieser Karten befinden sich noch in dem Gedenkbuch der Johanniskirchengemeinde.
Sie mögen als Hilfe für den hilflosen Tröster gedacht gewesen sein, dass der
Pfarrer bei den trauernden Familien nicht mit leeren Händen dastand. Glaube,
Schwert, Siegeslieder, Gras mag wachsen – das waren nicht Töne, die den klagenden
Menschen tröstlich erreichen konnten. Ein Gedächtnisgottesdienst schuf
immerhin eine Gemeinde der Mittrauernden, das mochte eine Teilnahme annehmbar
machen.
Es gab außer den besonderen Gedächtnisgottesdiensten auch
noch schlichtere Formen des Gedenkens.
Der Toten konnte in den Sonntagsgottesdiensten fürbittend
gedacht werden. Nach der Predigt wurden bei den sog. „Abkündigungen“, den
Bekanntmachungen für die Gemeinde, die Namen der getauften Kinder, der
aufgebotenen Brautpaare und der Verstorbenen genannt, nunmehr auch die Namen
der bekannt gewordenen verstorbenen Soldaten der Kirchengemeinde. Dabei wurde
nach der Namensnennung der getöteten Soldaten oft noch ein Choral gespielt.
Es gab für diesen Anlass Gottesdienst- und
Gebetsvorschläge, die vereinzelt zwar auch vom Opfer sprachen, aber sprachlich
und gedanklich politische Annäherungen vermieden.[34]
Das hing gewiss vom amtierenden Pfarrer und auch vom Gespräch mit den
Hinterbliebenen ab, wenn es überhaupt stattgefunden hatte. Eine Ankündigung
konnte mit der floskelhaften völkischen Dreieinigkeit „Für Führer, Volk und
Vaterland sind gefallen..“ eingeleitet werden und gab der Bekanntgabe, bzw dem
Gottesdienst bereits einen tagespolitischen Geschmack. In den
Gottesdienstvorschlägen wurde sie vermieden.
Die besondere deutsch-christliche Lesart des kirchlichen
Trostes lautete, dass der Tod des Soldaten
das gottgewollte Opfer sei. Zum Heldengedenktag 1941
schrieb Pfarrer Koenig im Michaelisboten, wo Leben sei, müsse auch Hingabe
sein, das sei ein Lebensgesetz im Kleinen und Großen, im persönlichen Leben wie
im Werden und Sein der Gemeinschaft. Das schmerzvolle Opfer aber sei eine
Gottesordnung, unter die die Gemeinde sich zu beugen habe. „In dieser Haltung
wissen wir uns mit allen denen verbunden, die ihre Opfer dem Vaterlande
gebracht haben. Wo für Führer und Volk ein Glied der Familie sein Leben ließ,
da leiden wir mit, dürfen aber auch von dem Trost sagen, den der Gott der Liebe
in dem auferstandenen Christus gibt: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“. [35]
Das konnte der Grundriss einer Predigt für einen gefallenen Soldaten der
Michaelisgemeinde sein.
Auch Pfarrer v. Wernsdorff stellte im Gemeindebrief St.
Katharinen Opferbereitschaft und Hingabe als die wichtigsten Grundgedanken für
1941 heraus.[36]
„Wir kennen nur das eine Ziel, das groß und leuchtend vor uns steht: es heißt
der deutsche Sieg! Seine Erreichung verlangt die Hingabe aller Kräfte, sie
fordert die Bereitschaft zum letzten Opfer von uns“. Dabei verknüpfte v.
Wernsdorff jene verderbliche, führergebundene Hingabe mit dem Bibelzitat: „Wer
sein Leben behalten will, der wird’s verlieren“. Das Bibelzitat aus dem
Markusevangelium Kapitel 8 Vers 35 spricht von der Hingabe um Jesu willen in
seiner Nachfolge. So setzte sich die häretische Verbindung von Jesus und
Hitler, von Nachfolge und Gefolgschaft, von Evangelium und Nazigedankenwelt,
die schon 1933/34 so grell zu Tage trat, auch 1941 wieder hervor. Der nächste
Vers hätte die Gemeinde und ihren gedankenverirrten
Gemeindepfarrer gerade im Jahr 1941 zur Umkehr mahnen
können. Dort steht der bekannte Vers: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die
ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.“ Hitler und seine
Deutschen wählten vier Monate später mit dem Einmarsch in die Sowjetunion „die
ganze Welt“ mit den bekannten Folgen.
Der Aufruf zu Opfer und Hingabe erzeugte wenig Trost und
erinnerte eher an die Gauleiterdurchhaltephrasen in den Sammelanzeigen. Als
Trost bot v. Wernsdorff den Gemeindemitgliedern den seiner Meinung nach
beispielhaften Kriegseinsatz und Heldentod eines deutschen Offiziers. So
lautete die Überschrift einer brieflichen Benachrichtigung eines
Gemeindegliedes.[37]
Trost sollte der Bericht über die Haltung vermitteln, in der der Sohn gefallen
war. Heldengrab, feierliche Beisetzung , tröstende Worte des Pfarrers „Ihr Herr
Sohn ist gefallen als tapferer deutscher Offizier, dem Vorbild seiner Ahnen
getreu in einer bewundernswerten Haltung“. Das Eiserne Kreuz werde in ruhigeren
Tagen nachgeschickt. „Das Kreuz als triumphierendes Siegeszeichen, es lenkt den
Blick aus der Zeit hinüber in die Ewigkeit“, beendete von Wernsdorff seine
Andacht zum Heldengedenktag 1941. Er und sehr viele seiner Pfarrerskollegen
höhlten durch die Verwechslung des Eisernen Kreuzes mit dem Kreuz Jesu den
protestantischen Glauben an seiner zentralen Stelle aus.
Mit umgedeuteten Bibelzitaten arbeitete die Kirche der
Heldentodstimmung zu. Gerne wurde ein Wort aus dem Johannesevangelium benutzt,
um den tödlichen Einsatz als besonders hohes Gut herauszustellen. „Niemand hat größere
Liebe denn der, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“
Unter die Todesanzeige des Pastors adjunktus beim
Stadtkirchenverband Hans Schmidt setzte der Stellvertreter des Landesbischofs
Röpke diesen Bibelvers aus Joh. 15,13 im Landeskirchlichen Amtsblatt.[38]
Der Evangelist Johannes spricht im Textzusammenhang von Jesus, der für seine
Jünger stirbt, nicht von Soldaten, die „ihr Leben lassen“. Die Situation ist
unvergleichbar. Aber der Tod „im Kampf für Führer und Vaterland“ wie es in der
amtlichen Anzeige eingangs hieß, wurde als ein höchster Akt der Liebe
missverstanden. Unter die Todesanzeige vom Riddagshäuser Pastor Karl Sander
setzte OLKR Röpke den Vers aus der Offenbarung Johannes 2,10 „Sei getreu bis in
den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“.
Trostversuch im Braunschweiger Volksblatt
Der Trostversuch der Kirche wurde an den Holzschnitten und
holzschnittartigen Texten, die das Braunschweiger Volksblatt zu den letzten
drei Andachten zum Heldengedenktag 1939, 1940 und 1941 veröffentlichte,
anschaulich. Zum Sonntag Oculi, dem 16. März 1939, erschien ein Holzschnitt mit
der Abbildung eines abgehärteten Soldatenprofils dazu der Schriftzug:
„Gestritten, gelitten für Deutschlands Ehr/ Es kennt die Namen Gott der Herr“.[39]
Das erinnerte an das Abendlied zur Kinderzeit, in dem Gott der Herr alle Sterne
zählt, „dass ihm auch nicht eines fehlet“ mit dem Trost, dass er auch dieses
Kind nicht vergisst, und „hat dich lieb“. Gott vergisst keinen, die Kinder
nicht, und auch die Namen jener Soldaten nicht, die im Streit für Deutschland
im Weltkrieg umgekommen waren. Die Andacht des Schriftleiters Reinhard
Herdieckerhof hatte das Ziel, die Unterwerfung unter die Zwänge eines
Kriegsablaufes zu akzeptieren. Dazu berichtete er aus dem eigenen Kriegserleben:
„Es muss sein, sagten wir uns oft in den Gräben und bissen die Zähne
aufeinander, wenn wieder ein toter Kamerad ins Erdreich gelegt wurde. Es muss
sein für Deutschland“. Damit dieses Ziel näher gerückt wurde, wurde Deutschland
familiär umschrieben. „Sie haben den Tod erlitten für ihre große Mutter, unser
Deutschland“.[40]
Die zweite Andacht zum ersten Heldengedenktag im Kriege, am 10. März 1940,
stand unter dem Bibelwort „Wachet und betet, damit ihr nicht in Anfechtung
fallet“, dazu der Holzschnitt eines Kreuzritters, der von einer Burg steht mit
folgendem Vers: „Vertraue auf Gott/ Dich tapfer wehr/ Darin besteht Dein Recht
und Ehr/ Denn wer’s auf Gott herzhaftig wagt/ wird nimmer aus dem Feld gejagt“[41].
BV 10. März 1940 S. 19 Die Hitlerwehrmacht hatte Polen überfallen, geteilt und
dauerhaft besetzt. Wie sollte es weitergehen? Von einer zwingenden Verteidigung
des Deutschen Reiches konnte für jeden einsichtig, keine Rede sein. Eben dies
suggerierte der Holzschnitt. Deutschland werde bedroht, es gelte wachsam zu
sein. „Um Deutschlands Grenze stehe ein „Wall von Kreuzen“. Herdieckerhof bezog
diese Kreuze auf die im ersten Weltkrieg Gefallenen. „Im Schutze dieser ernsten
Wacht ist Deutschland nach schweren Kämpfen wieder stark geworden. Die Liebe
zum Vaterland ist wieder erwacht, die Wehrhaftigkeit ist wiedererstanden“. So
beschrieb der Schriftleiter die seit 1933 betriebene immense Aufrüstung
Deutschlands zum erneuten Krieg. In diesem neuen Zusammenhang ermahnte das
Bibelwort, Wachsamkeit und Aufrüstung mit Gebeten zu vereinen. „Die betende
Front ist die heilige Wacht, sie hütet das Tor, durch das Gott kommt“. Unter
die Andacht war eine gefühlvolle Episode aus dem Krieg gegen Polen von
Militärpfarrer Martin Braun gesetzt, die Beschreibung seines ersten Soldatengrabes
„in polnischer Heide“. Vaterunser, „krachende“ Ehrensalven und als „des letzten
Dienstes Krönung tragen sie ein Kreuz herbei“, aus Birkenholz, und „pflanzen es
zu Häupten auf und legen den zerschossenen Stahlhelm darüber“. Mit derlei
blutiger Soldatenpoesie, Kitsch und theologischer Irreführung, das Kreuz zeuge
von dem Leben, das kein Tod verschlinge, war die betroffene Witwe oder Mutter
womöglich zeitweilig zu betäuben, einen anhaltenden Trost konnte die Erzählung
nicht vermitteln, die mit dem Vers schloss: „Bleib du im ewgen Leben, mein
guter Kamerad“. Es ist die letzte Zeile vom viele berührenden Soldatenlied „Ich
hatt’ einen Kameraden“ von Ludwig Uhland aus der Zeit der französischen
Besetzung Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der sterbende Soldat
möchte dem anderen kämpfenden die Hand reichen. Aber der andere kann es nicht
erwidern, weil er die Hand nicht frei hat, er lädt eine Waffe und ruft ihm zu,
„bleib du im ewgen Leben“. Das ist der sentimental flotte Trost, der den
Getroffenen, Sterbenden in die Ewigkeit transportiert. Aber auch die Kirche
hatte im Grunde keinen anderen Trost. „Tot und lebendig in Gottes Hand“,
lautete der Titel der Andacht zum Heldengedenktag 1941.[42]
Dazu der Holzschnitt eines Soldaten mit Stahlhelm, umgeben von acht Kreuzen und
Strahlen um den Helm. Wer es nicht erkennt, erklärt es Herdieckerhoff: „eine
verklärte Gestalt“. Diese Abbildung nahm präzise die im 1. Weltkrieg
verbreitete Postkartenillustration auf, auf der ein Engel einen am Kopf
verbundenen Soldaten in den Himmel trägt mit der Unterschrift: „Wer den
Heldentod stirbt, wird selig“. Der Tod in der „Stoßtruppkompanie beim tiefsten
Tageseinbruch in den feindlichen Linien“ war dann für Herdieckerhoff kein
tragisches Geschick, „sondern ein Aufbruch. Hin zu seinem Herrn und Gott“.[43]
Der Zwang zum Kriegen und Töten konnte nun von Herdieckerhoff als Befehl Gottes
ausgelegt werden. „Das Sterben im Kampf für unsres Volkes Leben von 1914 ab bis
heute ist geschehen auf Gottes Geheiß“. „Der Gott der Geschichte sendet unsrem
Geschlecht den heiligen Zwang, den Weg in und mit und für unser Volk zu gehen.
Wir wissen, dass wir nicht anders können.“ Die Firmierung des Zwanges als eines
„heiligen“ war das Ende des theologischen Nachdenkens über den Krieg und die
Unterwerfung unter diesen Zwang die Verdunkelung der „Freiheit eines
Christenmenschen“. Aus dieser bösartigen Verstrickung hat sich die Kirche nur
teilweise und nur sehr schwer gelöst.
Die Kirche stand in einer seelsorgerlich ausweglosen
Situation. Konnte sie bei einem Trauerbesuch den betroffenen Hinterbliebenen
erklären, warum ihre Gebete um eine gesunde Heimkehr ihres Sohnes oder Mannes
nicht erhört worden waren? Konnte sie dem Tod irgendeinen Sinn abgewinnen, und
war der Hinweis auf das Kreuz Jesu für die Hinterbliebenen irgendwie annehmbar?
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob nicht jede Form,
selbst einer „unpolitischen“ Abkündigung, bereits eine Einbindung in die
herrschende Kriegsideologie bedeuten konnte.
Nach dem Krieg wurde in einigen Kirchen ein Gedenkort für
ein Buch geschaffen, in das die Namen der Toten der Gemeinden verzeichnet
wurden. So hat z.B. die Pauligemeinde im Vorraum ihrer Kirche ein solches Buch
ausgelegt.
Vorbildliches Gedenken in der Brüdernkirche
Richtiger im Kreuzgang der Brüdernkirche. Dort hängt eine
aus den Trümmern gerettete Gedenktafel, die der Brüdernpfarrer Kausche im März
1928 in der Kirche eingeweiht hatte. Es ist eine aus dem Balken eines
Bürgerhauses von Professor Hofmann große, geschnitzte Holztafel mit dem
Bibelwort „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens
geben“. Da drunter lautet der Text: „Ihren im Weltkrieg gebliebenen
Heldensöhnen die dankbare St. Ulricigemeinde.“
„Sie opferten Jugend/ ihr Jugendglück/ Sie kehrten nie
wieder/ zur Heimat zurück/ Sie gaben ihr Alles/ ihr Leben, ihr Blut/ Sie gaben
es hin/ mit heiligem Mut/ für uns.“ Zwei Soldaten in Uniform mit Helm und
„Gewehr bei Fuß“ am rechten und linken Rand der Tafel sehen nach außen, sie
bewachen die Gedenkstätte.
Die Tafel erinnert daran, dass das Heldengedenken in der
evangelischen Kirche eine sehr weit zurückliegende Tradition hat. Der
Kirchenvorstand hat diese Tafel mit einem verständnisvollen Text versehen, auf
den Künstler und den Einweihungstag verwiesen und dazu geschrieben, der Text
sei „äußerst kritisch“ zu lesen, weil er Glaubenstreue und Soldaten-Treue
-Tugend mit einander verwechsle. So kritisch gelesen könne die Tafel eine
Ermunterung zur Friedensarbeit sein.