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[Kirche von unten]



Ansichten einer versunkenen Stadt

Die Braunschweiger Stadtkirchen 1933 - 1950

von Dietrich Kuessner


28. Kapitel

Die Braunschweiger katholischen Kirchengemeinden im Kriege 1939 - 1944 [1]

Der Überfall auf Polen lag in der Linie der bisherigen, nunmehr erkennbar räuberischen Außenpolitik Hitlers. Erst Österreich, dann einen Teil der Tschechoslowakei, dann den andern Teil mit Prag, dann Memel, dann Danzig, nun war Polen in einem hoffentlich begrenzten Konflikt fällig. Beide Kirchen hatten bis hierher die Außenpolitik sichtlich unterstützt. Mit dem deutsch-sowjetischen Freundschaftsabkommen August 1939 hatte sich Hitler mit dem Bolschewismus verbündet, dem die radikale und kompromisslose Ablehnung beider Kirchen galt. Trotzdem änderte sich die Haltung der Kirchen zum Hitlerstaat nicht. Nun waren sie zum Siegen verdammt. Der Krieg war ein Götzendienst an Großdeutschlands Größe.

 

Zum Siegen verdammt

Den katholischen Christen war der Dienst an der Front und mit der Waffe als Dienst für das Vaterland eingeschärft worden. Sie kämpften um ihres Gewissens und um Gottes willen für einen gerechten Frieden unter Hitler und für den Sieg ihrer Waffen in seiner Armee (Kapitel 23).

Der Einzelne sei derart verwachsen mit seinem deutschen Volk und Land, dass er „Opfer bis zum Verbluten“ bringen müsse.[2] Der katholische Soldat wurde mit einem Heiligen verglichen. In dem Beitrag „Ein heiliger Soldat“ wird von Erlebnissen aus dem 1. Weltkrieg berichtet, wo ein Soldat bei einer Feldmesse die Wandlung als heiß ersehnte Gegenwart Jesu mitten an der Front erlebte. „Endlich haben wir ihn in unserer Mitte, den wir wochenlang entbehrten“. Jesus schlug dem heiligen Soldaten jedoch nicht die Waffe aus der Hand, sondern der Soldat wurde zum Siegen ermutigt. „Lasst uns siegen, die Krone wächst in jedem Augenblick“.[3] Es mag berufsbedingt zu verstehen sein, wenn der Feldbischof in einem Aufruf an seine Soldaten vom „aufgezwungenen Waffengang gegen Polen“ sprach, den Gott sichtbar gesegnet habe. Den toten Soldaten habe „nichts Großes und Schönes in ihrer Hingabe für Deutschlands Ehre und Zukunft“ gefehlt. Daher sei es „ein heiliges Sterben“ gewesen.[4]

Obwohl der Überfall auf Polen einem grundkatholische Land galt, rechtfertigte das Katholische Kirchenblatt den Überfall als eine moderne Fassung der Ostkolonisation. Damals wurde „altes Land unter dem Zeichen des Kreuzes dem Reich zurückgewonnen. 700 Jahre später! Wieder ist die Frage des Ostens als brennende Frage aufgestanden. Wir junge deutsche Katholiken beten zur Allmacht Gottes, dass diese Frage bald wieder völlig gelöst sei im Sinne der großen deutschen und christlichen Geschichte“. Gerade war der deutsch-sowjetische Vertrag öffentlich geschlossen worden, damit war eine „Frage des Ostens“ beantwortet. „Mit dem Kreuz gen Osten“ war der Artikel überschrieben.[5] Gegen das katholische Polen? Die Besetzung Polens wurde damit gerechtfertigt, dass es dem polnischen Volk an Ordnungsliebe mangele und es zu keiner „selbständigen Verbesserung seiner Lebensverhältnisse“ fähig sei. Daher befinde es sich auf „einer niedrigen Stufe des Kulturzustandes“.[6] 

Im Silvesterrückblick zählte das Kirchenblatt die militärischen Erfolge: die „Heimkehr der Ostmark“ und „des Sudetengaus“, die Rückkehr von Memel, Danzig und Ostoberschlesien und endete mit dem Gebet: „Segne unser deutsches Volk in deiner Güte und Kraft und senke uns tief ins Herz die Liebe zu unserm Vaterland. Lass uns ein heldenhaftes Geschlecht sein“. Die häufige Verwendung des Wortes „Vaterland“ will dem betenden Frommen die kritische Überlegung ersparen, dass dieses Vaterland inzwischen judenrein, arisch sauber, seit 1934 zum Krieg rüstend und außenpolitisch bereits vollständig isoliert war. Zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginn zitierte das Katholische Kirchenblatt 1940 fett gedruckt die Worte Hitlers nach dem Frankreichfeldzug „In Demut danken wir dem Herrgott für seinen Segen“. Mit dem Führer solle nun auch der fromme Katholik sich ins Dankgebet begeben, wird dem Leser nahegelegt.[7] Bei einem Resume des bisherigen Kriegsverlaufes stellte der ungenannte Artikelschreiber fest, dass sich die Außenpolitik Hitlers für die Kirche gelohnt habe. Die Anzahl der Bischofssitze habe sich seit der „Rückgliederung“ im Frühjahr 1938 „glatt verdoppelt“.[8]

Je ungewisser der Ausgang des Krieges war, desto mehr wurde vom Sieg geredet. Der katholische Bischof des Ermlandes wurde mit einem Aufruf auf Seite eins in Fettdruck „Unsere ganze Kraft für den Sieg“ zitiert. „Gerade als Christen sind wir entschlossen, unsere ganze Kraft einzusetzen, damit der endgültige Sieg unseres Vaterlandes gesichert werde. Gerade als gläubige, vom der Liebe Gottes durchglühte Christen stehen wir treu zu unserm Führer, der mit sicherer Hand die Geschicke unseres Volkes leitet.“[9] Zum 52. Geburtstag Hitlers 1941 gratulierte das katholische Kirchenblatt und beugte sich dem Zwang zum Siegen: „Wir gedenken des Führers in Dankbarkeit und Vertrauen und geloben ihm Pflichterfüllung.“ Das neue Lebensjahr werde „ein Jahr des Willens und der Arbeit, ein Jahr des Sieges“ werden. „Zur Größe Deutschlands mögen ihm alle „Unternehmungen“ gelingen. Da wurde der Götze Größe mit den Wünschen der Kirche behängt.

 

Die Zusammenstellung der kirchlichen Äußerungen des Hildesheimer Katholischen Kirchenblattes liest sic heute schmerzlich und unbegreiflich. Es ist kein Trost festzustellen, dass von einigen evangelischen Kanzeln der Braunschweiger Stadtkirchen noch viel grobschlächtiger die Gemeinden  in die Irre geführt wurden. Es gab eine Ökumene der Verirrung, der Diskriminierung und unter Fluch des Sieges. Eine Verirrung und Anbetung des Götzen „Größe“.

 

Kriegsandachten und Heldengedenken

Zum Heldengedenktag 1939 ordnete das Generalvikariat an, die Kirchen zu beflaggen und ausdrücklich nicht halbmast, sondern „Vollmast“,[10] und nach dem Einmarsch der Francotruppen in Madrid im März 1939, und zum Sieg über die linke Republik sollte in den Kirchen der Hildesheimer Diözese ein Te Deum angestimmt werden mit folgender Begründung: „Der Sieg über den gottlosen Kommunismus und Bolschewismus in Spanien ist ein Sieg des Glaubens über Unglaube und Gottlosigkeit, des Christentums über Christenhasser, der katholischen Kirche über den Todfeind, der ihr Vernichtung geschworen hat“.[11] 

Nach Kriegsbeginn wurden die Pfarrämter in der Diözese angehalten, Kriegschroniken anzulegen und Kriegsandachten zu halten. In der St. Josephkirche hatte Pfarrer Ludwig Groß an jedem Dienstag und Donnerstag Nachmittag besondere Andachten und für Freitag früh eine hl. Messe „zum Gedenken der im Felde stehenden Soldaten“ angeboten.[12] Das Bischöfliche Generalvikariat hatte offenbar in Vorahnung, dass zu viel  Persönliches die Gedenkrede  überwuchern könnte, angeregt, „über das persönliche Gedenken hinaus eine ewige Wahrheit (zu) behandeln, welche geeignet ist, die Gemeinde religiös zu erbauen im Sinne des Satzes der Totenpräfation: „Deinen Getreuen, o Herr, wird das Leben nicht hinweggenommen, sondern erhöht.“ Damit hatte der Tod des Soldaten doch eine Sinndeutung erfahren: der Tote war „erhöht“. Das konnte der tröstliche und beruhigende Schluss jeder Ansprache sein.

Bischof Machens konnte nicht ahnen, dass das erste Pontifikalrequiem für die Gefallenen des Bistums ausgerechnet auf den Tag der Kapitulation der 6. Armee bei Stalingrad fiel, dem 31.1.1943. Für den 11. Februar 1943 war ein gesungenes Requiem in allen Kirchen des Bistums angeordnet.[13] Am 7. November 1943 hatte Bischof Machens erneut ein Pontifikalamt für die Gefallenen im Hildesheimer Dom gehalten und in allen Kirchen ein Requiem am 21.11. 1943 angeordnet.[14] Dazu wurden wie in den evangelischen Stadtkirchen der Toten fürbittend und sinndeutend gedacht. In der St. Josephkirche wurden am 21. November 1943 die Namen der Toten aufgerufen wurden. Der in der katholischen Kirche noch tiefer verankerte Opfergedanke legte die Redewendung nahe sie seien „für uns“ gefallen. So notierte es in der Kirchenchronik auch der junge Pastor Franz Frese von der Notkirche St. Marien in Querum, und die Gemeindemitglieder  sollten sich durch eine heldenhafte Lebensführung der Opfer würdig erweisen.[15] Das war sehr viel zurückhaltender formuliert als das, was man in den evangelischen Stadtkirchen hören konnte, aber es bedeutete trotz der Zurückhaltung doch eine Einbindung in den Hitlerstaat, dem man immer wieder jahrelang seine Einordnung und den angeblich biblisch gebotenen Gehorsam bekundet hatte. Es gab kein Entkommen mehr, und umso weniger, als der Krieg sich seinem sichtbar verlustreichen Ende zuneigte.

Die Todesanzeigen im offiziösen Kirchlichen Anzeiger meldeten unter dem zeitgemäßen Orden des Eisernen Kreuzes mit Hakenkreuz den Namen, die Orden, die Einsatzorte des Toten und auch den Grund: „In treuer Erfüllung seiner soldatischen Pflicht starb den Heldentod“,[16] „Im Kampfe seiner Panzerdivision gegen den Bolschewismus brachte er am ersten Tage des Einsatzes im Osten in vorderster Front in heldenhafter Pflichterfüllung sein Leben zum Opfer“,[17] „..starb für sein Vaterland“, „im Dienste für das Vaterland“, „in Ausübung seiner soldatischen Pflicht starb in den Kämpfen bei..den Heldentod für das Vaterland“. Es fehlte ein Bibelwort, wie es in den Anzeigen des Landeskirchenamtes üblich war, und entging auf diese Weise einer biblisch missbräuchlichen Deutung des Todes an der Front.

 

„Metallmobilisierung“ zum Endsieg

In der Heimat wurde auch tüchtig gekämpft, z.B. durch den unerschütterlichen Glauben an den Endsieg. Dieses Unwort „Endsieg“ prägte die Schlagzeilen. Es sollte einreden, dass am Ende des Irrsinns ein deutscher Sieg stünde. Das war nötig, weil inzwischen „Blitzsiege“ nicht mehr zu feiern waren und Niederlagen und Verluste, persönliche in den Familien sowie militärische an der Front, die Siegessaussichten verdunkelten. Tatsächlich kannte und kennt ein Krieg keine Sieger, nur Verlierer. Die Heimat sollte für den Endsieg Metalle sammeln. Dazu forderte die Regierung eine grundlegende Bestandaufnahme von Metallen in beiden Kirchen, wieder eine irrationale Maßnahme des Irrsinns gegen die Rohstoffreserven der USA und Sowjetunion. Die Abfuhr von Glocken war im Verhältnis zu den evangelischen Stadtkirchen mager, denn Laurentius hatte überhaupt keine Glocken besessen. Aber die Aloysius Glocke in Bronze aus der St. Josephkirche wurde „geopfert“.

Die Metalle, also Taufschalen, Kelche, Abendmahlsgeräte, Opferdosen, Leuchter u.a., wurden wie bei den Glocken in vier verschiedene Kategorien zwischen „entbehrlich“ und „historisch wertvoll, daher unentbehrlich“ eingeteilt. Im Dekanat wie in der Propstei wurde nun ängstlich sortiert, wovon man sich zur Not trennen sollte. Der Sammeleifer machte selbst vor metallenen Türklinken nicht Halt.[18] Die katholischen Sammelsachen wurden in den Keller des Küsterhauses der Laurentiusgemeinde verfrachtet. Die Metallgroßhandlung Henry Weiland bestätigte Pastor Hennies am 21.1.1944, dass sie 187 kg Messing, 3 kg Kupfer, 6 kg Neusilber, 4 kg Zink, 30 kg Hartblei, 18 kg Eisen abtransportiert habe. Es war das Ergebnis der „Metallmobilisierung“ auch in den katholischen Kirchengemeinden Bündheim, Grauhof, Helmstedt, Liebenburg, Salzgitter, Schladen, Schöningen. Vor dem Abtransport hatte noch der Kunstsachverständige der Regierung Seelecke die abgegebene Gegenstände durchgesehen und einiges zurückgestellt. Das könnten die Gemeinden sich wieder abholen und damit den Endsieg feiern.[19]

 

Kasualpraxis im Krieg

Wie in den evangelischen Kirchen war die Zahl der kirchlichen Trauungen in den drei Kirchen gleichbleibend hoch und im Vergleich zu den Jahren 1935-1937 erheblich höher. Es wurden kirchlich getraut 1940 199 Brautpaare (1935: 85), 1941:  93 (1936: 90) und 1942 106 (1937: 73) Brautpaare. Das Verhältnis der Trauungen, in denen Braut und Bräutigam katholisch waren (1. Ziffer) zu den konfessionsverschiedenen Braut paaren (2. Ziffer) war ziemlich ausgeglichen. Es betrug 1940: 66:51 (1935: 37:48); 1941: 41:55 (1936: 42:48); 1942: 49:57 (1937: 39:34).[20] Das erhebliche Übergewicht von konfessionsverschiedenen Brautpaaren, das in den Jahren vor 1933 typisch war, hatte sich verändert. Auffällig ist, dass 1940 die „rein“ katholischen Eheschließungen sogar überwogen. Das wird allerdings bedeutet haben, dass die sog. Mischehepaare, anders als vergleichsweise 1935, auf eine katholische Trauung verzichteten. 

Es gab wie in der evangelischen Kirche offenbar auch ein Traubegehren mit gottgläubigen Brautpartnern. Das Generalvikariat sprach für diesen Fall ein generelles Verbot aus, für das es allerdings Ausnahmeregelungen gebe, die jedoch nicht vom Pfarrer sondern nur vom Generalvikariat entschieden werden dürfte.[21] Im Oktober 1943 klagte das Generalvikariat darüber, dass immer häufiger ein Dispens beantragt werde, aber die genauen Angaben für eine Entscheidung fehlten.[22] Offenbar gab es in manchen Pfarreien die Haltung, dass jene Trauungen lediglich gemeldet werden müßten, der Entscheid aber im Pfarramt lege. Wenn der gottgläubige Ehepartner aber ungetauft oder ausgetretenes Mitglied der evangelischen Kirche ist, kam eine kirchliche Trauung von vorneherein nicht in Frage.

Das war ein bemerkenswertes Urteil über die von einem Pfarrer vollzogene Taufe.

1944 hielt es das Generalvikariat für nötig, noch einmal auf die Problematik konfessionsverschiedene Ehen hinzuweisen. „Aufs strengste verbietet die Kirche den Abschluss bekenntnisverschiedener Ehen, d.h.  der Ehen von Katholiken mit andersgläubigen Christen“. Sie seien eine Gefahr für den Glauben des katholischen Gatten und die katholische Erziehung. „Die Trauung eines Katholiken vor einem nichtkatholischen Geistlichen und die Zustimmung zur nichtkatholischen Taufe sind unter der Strafe des Kirchenbannes verboten.“[23]

 

Auch das Taufbegehren blieb für Kriegszeiten erstaunlich hoch. Es wurden im Jahr 1940 435 Kinder, 1941: 361 und 1942: 346 Kinder getauft. In der hohen Zahl von 141 Taufen in der St. Laurentiuskirche von 1940 waren die Taufen in der Landesentbindungsanstalt enthalten. Ob Taufen auch in den nächsten Jahren dort stattgefunden haben, ist statistisch unklar.

 

 

Taufen im Jahr 1940 – 1942 im Vergleich mit dem Jahr 1935-1937

Jahr

Nikolai

St. Joseph

St. Laurentius

 

beide kath.

einer

led

 beide kath.

einer

led

beide kath

 Einer

Led

1940

143 (44)

58 (31)

9

37 (8)

16 (14)

10

141 (23)

34 (7)

47

1941

119 (54)

60 (32)

29

29 (15)

16 (6)

5

48 (21)

14 (8)

14

1942

128 (79)

56 (47)

28

35 (19)

22 (10)

5

39 (31)

10 (3)

9

 Quelle: BAH Kirchliche Statistik für das Bistum Hildesheim Generalia II 1412

 Die Zahlen in Klammern geben die für die Jahre 1935/36/37 an

 

Die Kirche befand sich auch während des Krieges keinesfalls in einem homiletischen Notstand, sondern ging ihrer seelsorgerlichen Tätigkeit in aller Öffentlichkeit wie in den Jahren 1933-1939 routiniert, gewiss auch segensreich nach, und zwar erheblich vermehrt in allen drei Gemeinden.

Sogar die Kirchenaustritte, die Ende der 30er Jahre über 200 Mitglieder lag, fiel, und zwar spürbar. Sie betrugen 1940 161 Gemeindemitglieder, 1941: 152 und 1942 116 Personen. Das ist auffällig, weil die Parteipropaganda durchaus nicht nachließ. AUSTRITTE 1943/44 !!!!

 

Visitation der St. Josephgemeinde im Mai 1942

In der Regel fanden alle fünf Jahre eine Visitation statt. Der Visitationsbericht des Jahres 1942 unterschied sich kaum von dem aus dem Jahre 1937, das lag an den gleichbleibenden Visitationsfragen. Trotzdem bleibt es auffällig, dass trotz der Kriegsumstände und Einschränkungen die Gottesdienste dem Bericht nach stark besucht wurden. In der Gemeinde arbeitete seit 1939 Pfarrer Ludwig Groß. Es fanden sich zur Sonntagsmesse 300 Männer ein, am Nachmittag bis zu 120 Personen darunter 20 – 40 Kinder. Zum Verein katholischer Mütter und Frauen zählten sich nach wie vor 320 Mitglieder, zur Pfarrcaritas 63 Gemeindemitglieder. Zu den monatlichen Versammlungen der Männer kamen 20, zur Monatskommunion 35 Männer. Formal gehörten zum Männerapostolat 80 Männer. Treffpunkte auch im Kriege waren der Bonifatiusverein (92 Mitglieder), Borromäusverein (80) und Franz Xaveriusverein (32). Ruhender Pol in der Mitarbeiterschaft war der langjährige Organist und Lehrer Picker.

Aus der oben abgebildeten Kasualtabelle ist erkennbar, dass die Anzahl der Taufen in der Josephkirche in den Kriegsjahren 1940 bis 1942 gegenüber den Jahren 1935-1937 erheblich zugenommen hatten; aber danach wurde im Visitationsbericht nicht gefragt. Auch im Kriege ging

der gängige kirchliche „Betrieb“, wenn auch zeitbedingt reduziert, weiter.

Die Visitationsberichte wurden im Hildesheimer Generalvikariat nicht mehr individuell beantwortet, sondern Bischof Machens gab einen Allgemeinen Visitationsbescheid aus dem Jahr 1941 zur Antwort, in dem der Predigtdienst eingeschärft wurde. Auch im Frühgottesdienst solle sie nicht entfallen, sondern „aus wenigen, gut vorbereiteten Sätzen bestehen“. Auch bei Bestattungen dürfe die Glaubenspredigt niemals ausfallen, sie könne allerdings kurz sein und sich auf wenige gute Gedanken beschränken. Christenlehre solle auch bei wenigen Kindern gehalten werden und der Pfarrer in der Öffentlichkeit an der Dienstkleidung erkennbar sein. Ein aufmunterndes Wort aus der Behörde an die visitierte Gemeinde fehlt, aber auch das war ein ökumenischer Befund.

 

Aus der Laurentiusgemeinde ist ein Wochenplan für die Belegung des Gemeinderaumes im Pfarrheim bekannt, der die Gruppenarbeit von Pastor Dr. Hennies widerspiegelt: Sonntag 20.00 Uhr Versammlung der Männer; Montag 16.00 Uhr Seelsorgestunde für die Mädchen der Unterstufe; 17.00 Seelsorgeunterricht für die Mädchen der Mittelstufe; 20.00 Uhr Heimstunde der Jungmänner. Dienstag 20.00 Versammlung der Frauen; Mittwoch Heimstunde für Jungfrauen; Freitag 16.00 Uhr Seelsorgerstunde der Jungen der Unterstufe; 17.00 Uhr Seelsorgeunterricht der Jungen der Mittelstrufe; 18.00 Uhr Ministrantenstunde; 20 Uhr  Kriegsbittandacht; 20.30 Uhr Heimstunde der Studenten.[24]

 

Jugendarbeit

Die Jugend war vollständig besetzt mit Krieg und Kriegspielen, mit Sammeln von „Lumpen, Knochen, Eisen und Papier“ für den Endsieg, mit HJ und BDM Dienst und dem eher als „spannend“ empfundenen Aufenthalt in den Bunkern oder Kellerräumen während der endlosen Alarme. Der stundenmäßig eingeschränkte Schulunterricht und die Abwesenheit der Väter schufen Freiräume zu Hause und in der Freizeit, die altersgemäß ausgefüllt wurden. In diesem allmählich verrohenden Kriegsmilieu wirkte dagegen die kirchliche Jugendarbeit, die Hermann Kolb an der Paulikirche und Bernward Treuge in der Nikolakirche anboten, auf Nachdenkliche, Neugierige und Unangepasste unter den Jugendlichen anziehend. Sie hatte in Folge ihrer inhaltlichen und formalen Andersartigkeit den Geruch des Verbotenen, das Gefühl von „Untergrund“. Diese Jugendarbeit hing wesentlich von der Ausstrahlung der Personen ab, die damals für die Jugendarbeit verantwortlich waren: auf evangelischer Seite Hermann Kolb, Jahrgang 1910, auf katholischer Seite Bernward Treuge, Jahrgang 1911. Dechant Stuke nannte seinen Kaplan Treuge einen „begnadeten Jugendseelsorger.“ „Er verstand es trotz argwöhnischer Bewachung  der Geheimen Staatspolizei die Pfarrjugend St. Nikolai in kritischster Zeit zusammenzuhalten und an Hand des Chorals sowie des wertvollen alten und neuen Liedgutes die katholische Jugend immer fester zu formen.“[25] Die damals Jugendichen besannen sich im Alter auf das „Gemeinschaftserlebnis“ im Saal des Kindergartens an der Friesenstraße. „Ein von Treuge ausgewähltes Thema wurde mit Liedern, Meditation und Exegese von Bibeltexten und Gedichten verlebendigt, Töchter der Familie Harbert steuerten Instrumentalmusik bei.“ Im Keller des Pfarrheims von St. Joseph traf sich eine Jungengruppe „in der Tradition der Sturmschar der dreißiger Jahre.“ Das war der Hinweis auf das damals Unangepasste. Sie nannten dann als ihren persönlichen Eindruck die Zeit nach der Befreiung Braunschweigs vom Nationalsozialismus „Vom Untergrund in die Öffentlichkeit“.[26]

 

Die erneute Weihe des Bistums Hildesheim an die Mutter Gottes 1940

Es war ein sehr ernstes, persönliches Anliegen von Bischof Machens und zugleich ein Wunsch nach vermehrter Sicherheit in einer Zeit wachsender Unsicherheit, dass das Bistum Hildesheim erneut der Gottesmutter Maria geweiht wurde. Diese Weihe fand seit 1940 immer wieder zentral in Hildesheim und in allen Kirchengemeinden des Bistums statt. [27]

In einem Hirtenwort informierte der Bischof im Mai 1940 die Gemeinden von dem Vorhaben der Weihe.[28] Er erinnerte daran, dass der Hildesheimer Dom ein Mariendom sei und die Bischöfe Bernward und Godehard „glühende Marienverehrer“ gewesen seien. Er begründete das Vorhaben zu dieser Zeit mit dem „gewaltigen Geistesringen um Christus und das Christentum“. „Haben wir nicht eine starke Hilfe nötig?“ „Maria breitet als die Patronin ihren Schutzmantel in mütterlicher Liebe über alle Pfarreien und Familien der Diözese aus und in treuer, vertrauensvoller Kindesliebe schauen Bischof, Priester und Gläubige zu ihr als der himmlischen Schutzherrin auf.“ Der Bischof erinnerte an das alte Stoßgebet „Maria, Mutter und Magd/ all unsre Not sei dir geklagt!“ Noch flehentlicher sollte das volkstümlichste aller Marienlieder gesungen werden: „Meerstern, ich grüße dich, o Maria hilf/ Gottesmutter süße, o Maria hilf/ Maria hilf uns aus unsrer tiefen Not“. Der dreimaligen Hilferuf wiederholt sich in den beiden anderen Strophen. „Dich als Mutter zeige/ gnädig uns zuneige/ Rose ohne Dornen/ Du von Gott Erkorne“ und dazwischen immer wieder „O Maria hilf“. Maria ist aus  Not und Elend herausgehoben. Sie ist eine Rose ohne Dornen. Sie erscheint wie ein rettendes Land, das der Elende mit seinem Hilferuf wenigstens im Glauben zu erreichen hofft.  

Der Bischof forderte die Gemeinden bis zum Tag der ersten Weihefeier zu einer langen Vorbereitungszeit auf, in der sich die Gemeindemitglieder in die zahlreichen, dogmatisch definierten Funktionen von Maria vertiefen sollten. Damit sollten sie im Monat Mai als „Maienkinder“ in der „Maiandacht“ umgehend beginnen. „Maria mit dem Kinde lieb/ uns allen deinen Segen gibt“, schloss der Bischof sein Hirtenwort.

In einem weiteren Hirtenwort[29] beschrieb der Bischof jene zahlreichen Facetten der Marienverehrung, die sich im Laufe der katholischen Frömmigkeitsgeschichte gebildet hatten: Maria als Gottesmutter, als Gottesgebärerin, als Gottesbraut, als Christi Helferin beim Erlösungswerk, als Austeilerin der Gnaden, als Letzte der Urkirche, Marias Jungfräulichkeit und Gnadenfülle, zusammenfassend: Maria als „unsere Mutter“. Von der irdischen Mutter habe der Fromme das natürliche Leben, von Mutter Maria das Gnadenleben. Der Hildesheimer Domorganist hatte eine schlichte Melodie zu folgendem Liedtext komponiert: „Tückische Bosheit zum Schutze uns zwang/ leite die Herzen auf blutigem Gang/ bleib bei den Braven in blutiger Schlacht/ schütze die Krieger auf einsamer Wacht// Rosenkranzkönigin sieh unsre Not/ hilf uns im Kriegssturm der uns bedroht/ flehe um Sieg dort am himmlischen Thron/ bitte um Frieden beim göttlichen Sohn“.

Das Lied übernahm die nationalsozialistische Propaganda von der Kriegsursache und beschwor Sieg und Frieden, und zwar in dieser verräterischen Reihenfolge. In Polen hatte Hitler demonstriert, wie fürchterlich ein Friede nach dem Sieg seiner Truppen aussehen werde. Das Lied romantisierte außerdem die sich den Soldaten unauslöschlich einprägenden Schrecken und Verbrechen an der Front, die zur Vernarbung und schützenden Verhärtung ihres Innenlebens führten, als ein Tun „der Braven“.

Zur Akzeptanz der Marienfrömmigkeit auch in der protestantische Diaspora veröffentlichte das Katholische Kirchenblatt auf üppigen zwei Zeitungsseiten einen Gang durch die Stadt Braunschweig

und entdeckte an Kirchen und Privathäusern verblasste Erinnerungen an mittelalterliche Marienfrömmigkeit. Der Dom und die Klosterkirche Riddagshausen waren der Gottesmutter geweiht worden, am Giebel der Andreaskirche befand sich ein Abbildung von der Flucht der heiligen Familie nach Ägypten, auf dem Altstadtmarkt befand sich ein Marienbrunnen, über der Brautpforte der Martinikirche ein Bild vom Tod der Gottesmutter. Die Ave Maria Glocken waren verklungen. „Möge die Marienweihe unsres Bistums uns einen Schritt  der Einigung näher bringen. Sprechen sie das Weihegebet mit für unsere protestantischen Brüder und Schwestern im Bistum, die ihre Mutter noch nicht wiedergefunden haben.“[30]

Maria wurde als Gegenbild für die Welt angesehen. „Seht ihren Glauben. Andere trauen nur der eigenen Einsicht und trügerischen Menschenweisheit. Seht ihre Demut. Die Welt predigt Überheblichkeit und Stolz. Seht ihre Reinheit. Weithin herrscht eine entsetzliche Verwirrung sittlicher Begriffe und im Verein damit greifen die Verirrungen auf sittlichem Gebiete immer weiter um sich

Seht ihre Christusliebe. Weite Kreise lehnen Christus und sein Werk, die Kirche ab.“ [31]

Das in der Marienfrömmigkeit verehrte Bild von Maria konnte auch als Gegenbild des von den Nationalsozialisten verbreiteten Frauenbildes interpretiert werden, obwohl dies katholischerseits nicht beabsichtigt war. Hier die enge Verbindung mit Christus, dort die Hingabe an den Führer; hier das Abbild der Kirche, dort ein Abklatsch der Parteidoktrin; hier die dem Weltstreit bereits Enthobene, dort die unbedingte Kämpferin für eine braune Naziwelt.

 

Am 18. August 1940 war die zentrale, ganztägige Weihefeier im Hildesheimer Dom, bei der am Vormittag in einer Prozession die Marienreliquie durch den Dom getragen wurde. Prof. Algermissen hielt eine deutende Ansprache an diesem „Tag der Sicherheit, der Kraft und Freude“. Er benannte damit das beim Bischof tief sitzende Gefühl der Unsicherheit als Motiv für die Weihehandlung und umgab es mit der verfänglichen, leicht veränderten parteieigenen Formel „Kraft und Freude“, offenbar als Ausdruck des „eigentlichen“, kirchlichen Angebots von Kraft durch Freude, nämlich Kraft durch Marias Fürbitte. Vor der Weihehandlung deutete noch einmal der Bischof die Weihe als „innerste, persönliche Hingabe an Maria, ein Hingabe, die die Nachfolge ihrer Tugenden einschließt“. „Wir können uns freuen, dass wir droben im Himmel eine Mutter haben, die uns durch ihre mächtige Fürbitte bei ihrem göttlichen Sohn in allen Nöten und Schwierigkeiten hilft und beschützt“. In einer beliebten Auslegung der Gestalt Evas in der Schöpfungsgeschichte – das Wort rückwärts gelesen ergibt das Ave (Maria) – rückte der Bischof Maria sehr dicht an ihren Jesussohn heran: „Mit Christus steht auch seine Mutter in der vollendeten und siegreichen Feindschaft gegen die Schlange“, sie sei daher „in gewissem Sinne sogar Miterlöserin geworden“. Da betrat der Bischof in der Hingabe seiner persönlichen Frömmigkeit ein kontroverstheologisch umkämpftes, von der Volksfrömmigkeit hingegen längst besetztes Gelände.[32]

Die liturgische Ordnung bestand aus Lesungen, Gebeten und Liedern. Es gab keine neutestamentliche Lesung, aber eine Zusammenstellung von sieben alttestamentlichen Bibelstellen, die allegorisch auf Maria gedeutet wurden[33] und als zweite Lesung die Entstehungslegende vom Hildesheimer Dom, wonach  Kaiser Ludwig nach einer Messe im Walde die mitgebrachte Marienreliquie vergaß und als ein Diener sie holen wollte, sie nicht wieder aus dem Ast lösen konnte. Ein Wunder also und ein Hinweis, an Ort und Stelle eine Kapelle zu bauen. An dieser Stelle soll nun der Hildesheimer Dom stehen, und die Marienreliquie ist immer noch erhalten. Das abschließende Weihegebet, das die ganze Gemeinde gemeinsam sprach, lautete u.a. „Im Angesicht des gesamten himmlische Hofes erneuern wir heute die Weihe unserer Vorfahren und stellen uns voll kindlichem Vertrauen unter deinen mütterlichen Schutz. Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin. Verschmähe nicht unser Gebet in unsrer Not, sondern erlöse uns jederzeit von aller Gefahr o, du glorreiche, gebenedeite Jungfrau. Unsere Frau, unsere Mittlerin, unsere Fürsprecherin versöhne uns mit deinem Sohn, empfehle uns deinem Sohn, stell uns vor deinen Sohn. Sei du uns auch fortan eine mächtige, gütige Patronin. Beschirme unser Bistum...nimm gnädig an die Weihe deines Volkes, heilige unbefleckte Mutter Gottes; schließ uns und all unsre Anliegen in dein makelloses, gnadenvolles Herz und zeige uns, wenn unser Auge bricht, Jesus.“

Der Teilnehmer betrat einen total anderen, dem Alltag enthobenen Erlebensraum und wurde zum Kind, das unter den schützenden  Mantel Marias flüchtete und das sich von der, mit vielen machtvollen Attributen Angebeteten, alle weitere Hilfe aus den Alltagsnöten erhoffte. Dass die christliche Frömmigkeit kindliche Ausdrucksformen kennt, ist dem Frommen bis ins Alter geläufig. Aber um die Ecke lauert ein Infantilismus, der ein Erwachsenwerden des Glaubens verhindert und den Glauben in einer verspielten, unernsten Verformung belässt.

Die Kirchenchronik der Josephkirche enthält einen eingehende Bericht von der Marienweihe, an der am Morgen des 18. August 1940 173 Frauen, 65 Männer und 35 Kinder teilgenommen hatten. Darauf folgten noch im ganzen Bistum und in Braunschweig spezielle Weihen am 13.10. der Frauen und Mütter mit einer besonderen liturgischen Ordnung, am 27. Oktober Weihe der Jugend, am 17. November Weihe der Männer, an der auch zahlreiche Soldaten auf Urlaub oder in Braunschweig stationierte teilnahmen.

Im Frühjahr desselben Jahres wurde im Braunschweiger Norden eine neue katholische Gemeinde

errichtet und nach Maria benannt, die Marienkirche in Querum (Kapitel 24).

Am 17. August 1941, 16. August 1942 und 15. August 1943 wurden die Weihefeiern wiederholt. Das Hirtenwort für die Feier im Jahr 1943, das ausdrücklich am 8. August 1943 langsam zu verlesen sei, schloss mit einem Gebetsvorschlag für den Gottesdienst am 15. August: „Zu dir rufen wir in heißem Flehgebete um Segen für Vaterland und Kirche: Königin des Friedens, führe uns zu einem baldigen, glücklichen und dauerhaften Frieden  in Christus, deinem Sohn. Erbitte uns von ihm ein starkes, christliches Deutschland. Amen“.[34] Ein „glücklicher Friede“ war nach der schweren Niederlage bei Stalingrad eine leere Hoffnung, die auch durch kein Gebet gefüllt werden konnte. Ein „christliches Deutschland“ weckte noch einmal Erinnerungen an das Jahr 1933, und beschwor eine  Verbindung von Christentum und Hitlerismus, die uns im Nachhinein grotesk vorkommt, damals jedoch mehr als zehn Jahre andauerte. Ein „starkes“ Deutschland beschwor den Götzen „Stärke“ und gehörte 1943 in kein christliches Gebet. Wem sollte jene erbetene Stärke dienen? Gab es einen anderen Führer als Hitler?  

Am 20. August 1944 verteidigte Bischof Machens in einem ausführliches Hirtenwort[35] eingangs den Marienkult gegen den Vorwurf, die Herzfrömmigkeit sei „weichlich und undeutsch“. Gerade auf deutschem Boden sei die Verehrung des Herzens Marias frühzeitig üblich geworden. „Gerade im Feuer des Leides erweist sich Marias Herz als heldenartig starkes Herz“. Maria beweise unter dem Kreuz „unbeschreibliche Heldengröße“ und „heldenhaften Willen“. Offenbar soll das Heldische Marias das  typisch Deutsche an ihr sein. Der große Hoffnungsanker der Kirche in schwerer Zeit sei das „Siegesgebet der Christenheit“. Aber mit der Marienweihe war auch ein kräftiger Sühneakt verbunden. „Mit der Bitte verbinden wir die Sühne und Genugtuung für das, was wir und andere ihrem Herzen an Leid und Kränkung zugefügt haben“. „Wir müssen unser Leben so gestalten, dass es ihr gefällt.“ Das Hirtenwort sollte am 6. und 13. August 1944 vorgelesen werden. 

In der steigenden Not ballte sich auch die Marienfrömmigkeit. Der 22.2.1945 war die hundertjährige Wiederkehr der Erscheinung Marias in Lourdes, so glaubten die Frommen. In Lourdes versammelten sich seither hoffnungslos Erkrankte und verzweifelt auf himmlische Hilfe Wartende, dann,  - so war wohl der leitende Gedanke -  müsste Maria auch im Februar 1945 der Kirche und dem deutschen Volk helfen.

Herz Jesu Frömmigkeit kombiniert mit der Marienfrömmigkeit bot dem Gläubigen die Möglichkeit, im Glauben in die schwierigen Zeitläufte einzugreifen und sie womöglich umzudrehen. Es war eine Form von hilfreich empfundener Selbstsuggestion. Eine weitere Gebets- und Sühnandacht wurde in der St. Josephkirche am 11.2.1945 gehalten. Es war der Gedenktag, an dem 1858 die „unbefleckte Gottesmutter“ in Lourdes erschienen war. Pfarrer Groß  schrieb in die Kriegschronik: „Vor dem ausgesetzten Allerheiligsten wollen wir voll eindringlicher Innigkeit für Vaterland und Diözese beten und uns voll Zuversicht wieder dem unbefleckten Mutterherz Mariens weihen.“

 

Die Spannung zwischen dem gesteigerten Schutzbedürfnis der Kirche sowie der Hoffnung auf wirksamen Schutz unter dem Mantel der Himmelkönigin und dem sichtlichen, sich steigernden Verbrechen im Kriege an der Front und in der Heimat zerriss symbolisch, als der Hildesheimer Mariendom durch den furchtbaren Bombenangriff auf Hildesheim am 22. März 1945 mit der Altstadt 7völlig zerstört wurde und die Statue der Mutter Gottes über dem Westportal in der Mitte zerbrach und der obere Teil abstürzte.[36] Sie zerriss faktisch während der Errichtung des Galgens auf den Hildesheimer Marktplatz und dem Aufhängen zahlreicher ausländischer katholischer Glaubensgenossen (siehe Kapitel 31).

 

Seelsorge an polnischen Katholiken

Anders als in den evangelischen Stadtkirchen öffneten sich die katholischen Kirchen für die zahlreichen Ausländer, die sich in der Stadt befanden. In der Josephkirche fanden Weihnachten 1940 und Ostern 1941 polnische und französische Gottesdienste statt, die von eigenen Feldpredigern gehalten wurden. Ein ukrainischer Priester hielten Gottesdienste für jene katholischen Ukrainer, die dem Ritus nach orthodox geblieben waren, aber rechtlich den Papst als Oberhaupt anerkannten, die sog. Unierten. Italienische Priester hielten im Frühjahr 1945 Messgottesdienste.[37] Pastor Groß berichtet von einem Holländer, der ein  „sehr reges Mitglied des Gemeinde“ gewesen sei.[38]

Wie nahe Irrsinn, Verbrechen und Barmherzigkeit benachbart sein konnten, führt das Schicksal der polnischen Mütter vor Augen, die aus Polen zum Arbeitseinsatz für den deutschen Endsieg in Lagern auf dem Fabrikgelände der Stadt oder in gesonderten Lagern „untergebracht“ waren.[39] Wenn sie schwanger wurden, wurden sie bis 1942 wieder in das besetzte Polen zurückgeschickt. Als diese Rückkreisen den deutschen Behörden zu teuer wurden, wurden sie im Landeskrankenhaus entbunden, um sie bald wieder an ihren Arbeitsplatz zu schicken. Ab 1943 wurde in der Broitzemer Straße eine Baracke als das sog. Entbindungsheim aufgestellt, in dem die ausländischen Mütter entbinden mussten.[40]

Mit keiner Ausländergruppe beschäftige sich das Generalvikariat mehr als mit den in der Diözese vorhandenen polnischen Frauen und Männern. In kurzer Zeit veröffentlichte es vier Anweisungen, die meist Anordnungen des Ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten waren.

Die Taufe dieser Kinder war für die streng katholischen Polinnen grundlegende Sitte. Die Taufe versprach den Säuglingen den Himmel. Das war ein wichtiger Trost zu einer Zeit, wo der Himmel auf Erden bedeckt war. Die Kirchen standen den Polinnen für eine Taufe offen. Diese Taufen von polnischen Kindern hatten in der Laurentiusgemeinde bereits Tradition. Für das Jahr 1940 wurden von der Laurentiuskirche außer den 47 Taufen in der Gemeinde auch 141 Taufen in oder aus der Landesentbindungsanstalt gemeldet, bei denen beide Elternteile katholisch waren.[41] Das fiel völlig aus dem sonstigen Jahresdurchschnitt. Wie viele davon polnische Täuflinge waren, lässt sich nur anhand der Kirchenbücher feststellen.[42]

Damals amtierte in der St. Laurentiusgemeinde seit 1937 Pastor Gregor Holz.[43] Holz war 47 Jahre alt, als er nach Braunschweig kam. Nach vier Jahren starb er in Braunschweig nach einer Gallenblasenoperation. Sein Nachfolger war ab 1941 der 37jährige Dr. Carl Hennies, ein gebürtiger Goslarer.[44] Pastor Holz wie Dr. Hennies tauften polnische Kinder in der Laurentiuskirche.[45]

Die kirchliche Statistik vermerkte unter der Rubrik Taufen von Kinder von unehelichen Müttern für die drei Gemeinden 1940: 66 Taufen, 1941: 49 und 1942: 45 Taufen, davon im Laurentius 1940 47, in Nikolai 1941: 29 und 1942: 28 Taufen. Diese Taufen von Kindern von ledigen Müttern stiegen 1943 auf 22 in der Nikolaigemeinde und 35 in der Laurentiusgemeinde. 1944 verschwanden sie aus der kirchlichen Statistik.[46] Bernhild Vögel berichtet auf Grund der Durchsicht der Kirchenbücher, dass zwei Drittel der Taufen in St. Joseph  1944 auf polnische Kinder im Entbindungsheim entfallen, aber in der Taufstatistik der Gemeinde nicht erscheinen.[47] Die Taufen fanden in unregelmäßigen Abständen sonntags statt.[48]

Das Generalvikariat veröffentlichte 1943 im Kirchlichen Anzeiger Richtlinien des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten zur Vornahme von Taufen, die offensichtlich auf eine länger bestehende Praxis unausgesprochen Bezug nahmen. Darin hieß es, „es bestünden keine Bedenken dagegen, dass deutsche Geistliche Kinder der zur Zeit im Reichsgebiet eingesetzten Arbeitskräfte polnischen Volkstums taufen und bei Beerdigungen verstorbener Polen mitwirkten. Die Taufen könnten in der Kirche und notfalls auch in geeigneten profanen Räumen erfolgen.“ Einschränkend verfügte der Minister allerdings, dass nicht polnisch gesprochen werden dürfte, der Gottesdienst „in ganz schlichter Form“ ablaufen und an dem Gottesdienst keine Deutschen und nur der engste polnische Familienkreis teilnehmen dürften. Es dürften auch deutsche und polnische Kinder nicht gleichzeitig getauft werden.[49] Offenbar hatte es auch solche Taufgottesdienste gegeben.

Der Bescheid des Ministers nannte als Taufort auch „andere dafür geeignete Räume“. Ein solcher Raum wurde ab 1943 in der Entbindungsbaracke Broitzemer Straße, die von Frau Gertrud Becker geleitet wurde, zur Verfügung gestellt. Andere Hilfskräfte waren Polinnen und polnische und russische Hebammen. Die Baracke lag im Seelsorgebereich der St. Josephkirche. Da die Gestapo Taufhandlungen in den Kirchen verbot, gingen Pfarrer Groß von der Josephkirche und Pfr. Hennies von der Laurentiuskirche in das Entbindungsheim und tauften die Kinder dort. Sie wurden per Post oder Telephon von der Heimleiterin Becker angefordert. Pfarrer Groß berichtete nach 1945: „Für die Taufspendung stellte Frau Becker ihr eigenes Zimmer zur Verfügung und ließ alle Angehörigen der Mutter – oft waren wir bis zu 20 Personen – an der Tauffeier teilnehmen“. [50]

Es fanden im Entbindungsheim von Mai 1943 – April 1945 527 Geburten statt, 270 von ihnen waren Polinnen, 161 Ukrainerinnen und 93 Russinnen.[51] Säuglinge von „arischen“ Vätern oder sonst wie „rassisch wertvollen Erzeugern“ wurden mit ihren Müttern in das Wohnlager entlassen. Von Mai 1943 bis April 1945 starben in diesem Entbindungsheim 360 Säuglinge und Kleinkinder vorsätzlich an Unterernährung und Vernachlässigung. Bernhild Vögel berichtete über dieses Verbrechen mitten in der Stadt erstmals vor der evangelischen Studentengemeinde und später in der umfassenden Abhandlung „Entbindungsheim für Ostarbeiterinnen“. [52] Der Heimleiter Moese berichtete von den Zuständen im Juli 1944: „In einer Ecke des Waschraums lag ein Berg Decken, die beschmutzt waren mit Exkrementen von Säuglingen. Die Exkremente waren voll dicker Maden. In dem Baderaum waren..drei Leichen von Kindern. Wie ich mich aus der Unterredung mit Frau Becker erinnere, lagen die Leichen da schon so lange, dass ich sie gar nicht ansehen wollte.“[53]

Von ca 100 Kindern, die Pfarrer Groß im Entbindungsheim getauft hatte, starben  90 oft schon wenige Tage nach der Taufe. Nicht selten waren beim Eintreffen von Pfarrer Groß zur Taufe die Säuglinge bereits tot.[54]  Pfarrer Groß wurde wegen dieser Kontakte von der Gestapo verhört, ließ sich aber von seiner seelsorgerlichen Tätigkeit nicht abhalten. Die letzte Taufe im Entbindungsheim nahm er am Weißen Sonntag, dem 8. April 1945 vor.

Die Pfarrämter übernahmen auch die Bestattung der Säugling- und Kinderleichen, jedoch nicht auf dem katholischen Friedhof an der Helmstedter Straße, sondern auf dem eigentlich geschlossenen katholischen Friedhof an der Hochstraße und zwar ohne die üblichen „kirchlichen Ehren“, „in aller Stille“, wie der Fachausdruck heißt.[55] Mütter oder Angehörige waren nicht anwesend. Die Leichen lagen abgestellt in der früheren Friedhofskapelle in mehreren Margarinekartons übereinander gestapelt. Dort standen sie manchmal Tage und Wochen lang. Als Kaplan Bernward Treuge von der Nikolaikirche eine Bestattung von mehreren solcher, in Kartons abgestellten Säuglingen vornehmen wollte, kamen ihm „aus der Kapelle soweit man das kleine Gebäude so bezeichnen darf, oft die Würmer entgegengekrochen“, die Aaswürmer. Kaplan Bernward Treuge war erst seit März 1941 an die Nikolaikirche tätig und 30 Jahre alt.[56] Im hohen Alter erinnerte er sich noch: „Die toten Kinder wurden zu unserm Friedhof an der Turmstraße gebracht und aufgestapelt. Ich habe nur einige Male in die Kartons hineingeschaut und von daher konnte ich Ihnen schon sagen, dass die Kinder ohne jede Bekleidung und Bettung lagen.“ [57]

Auch für die Beerdigung oder Urnenbestattung erwachsener Polen hatte der Minister für die kirchlichen Angelegenheiten Anweisungen gegeben. Bei Beerdigungen von ausländischen Arbeitskräften dürften 10-15 Mitgefangene teilnehmen.[58] Bei der Leiche eines Lagerführers mehr. Vom November 1944 ab wurden die Leichen auf dem Ausländerfriedhof am Brodweg in „Gemeinschaftsgräbern“ begraben, meist mit einem allgemeinen „Massensegen“ versehen.[59]

 

Besondere Gebets- und Sühnandachten

Neben den Weiheakten für Maria, die bereits sühnenden Charakter hatten, fand auf eine Anregung des Papstes am 24. November 1940 ein spezieller Sühnetag von den Katholiken in der ganzen Welt statt. Der weitere Verlauf des Krieges erschien ungewiss. War Hitler saturiert? Der Luftkrieg Görings gegen England war gescheitert. Churchill, seit Mai 1940 englischer Premier, hatte sich geschworen, den Krieg nicht eher zu beenden, bis Hitler tot und der Nationalsozialismus aus Deutschland und Europa ausgerottet sein würde. Die Kriegspolitik Hitlers und Churchills versprachen kein Ende des Krieges. Für das religiöse Weltbild des Papstes war der Zorn Gottes ausgebrochen. Dieser Zorn musste besänftigt werden. Die beschworene Sühnefrömmigkeit stammt aus der Antike. Die antike Gottheit ist durch Schuld der Menschen beleidigt und gekränkt worden, der schuldige Mensch entgeht dem Zorn der Gottheit durch Sühneleistungen. Aus der Antike war diese Vorstellung in die frühmittelalterliche Frömmigkeit gedrungen. Der Krieg und sein Elend wurde demnach als Folge des Zornes Gottes gedeutet. Wie ein wütender Vater durch vermehrte Liebeserweise des Kindes wieder beruhigt wird, so hoffte die Katholische Kirche, dass der durch Gottlosigkeit und Antichristentum erzürnte Christengott durch vermehrte Frömmigkeit und Gebetanhäufungen wieder versöhnt und beruhigt werde. Es war eine stellvertretende massenhafte kollektive Sühnanstrengung der Kirche für die Gott- und Kirchenentfremdung anderer. Papst Pius XI hatte diese Sühnetheologie bereits durch zwei Enzykliken 1928 und 1932 wieder belebt und als speziellen Sühnetag den Herz Jesu Tag bestimmt. Das Herz Jesu Fest erinnerte die Gläubigen an eine „Erscheinung“, in der Jesus einer frommen Frau sein Herz zeigte, um auf die Undankbarkeit der Welt aufmerksam zu machen. Krieg, Siege des Bolschewismus und Niederlagen der Hitlerarmee wurden offenbar als Zeichen des Zornes Gottes gedeutet, die sich zum Kriegsende verdichteten.

Das Generalvikariat ordnete in der Diözese besondere Gebets- und Sühneandachten an und Bischof Machens erläuterte in einem Hirtenwort den Sinn dieses „Welt-Sühn- und Bittages“ im November 1940.[60] Es käme darauf an, „den Himmel im gemeinsamen Gebet zu bestürmen, dass Gott, der Allmächtige seinen Segen über die Erde gieße.“ Machens zählte ein dreifaches Ziel des Gottesdienstes: für die Gefallenen ewiges Leben und Seligkeit zu erflehen (1), für die Betroffenen übernatürliche Kraft und himmlischen Trost zu erflehen(2), und ein beständigen, dauerhaften Frieden der Gerechtigkeit und Liebe, des Glückes zu erbitten (3). „Wer möchte fehlen,  bei dem Ansturm auf Gottes gütiges Vaterherz?“ Was erwartet der Herr von uns? dass wir in uns gehen, dass wir umkehren, dass wir Sühne leisten, dass wir wie Kinder demütig und vertrauensvoll flehen“. „Geliebte! Glaubt mir nur, wenn wir so den großen Welt- und Sühnetag begehen, geschart um den Nachfolger des hl. Petrus und Christi Stellvertreter auf Erden, wenn Millionen von Christen, nein, Hunderte von Millionen mit der gleichen Bitte auf dem Herzen, frei von Schuld, mit dem Licht der Gnade in der Seele, mit Reueschmerz und heiliger Entschlossenheit im Herzen, als echte Gotteskinder vor dem himmlischen Vater stehen und immer wieder sein gütiges Vaterherz bestürmen, dann öffnen sich die Vaterhände, um reiche Gaben auszustreuen, dann erhebt sich die Vaterhand, um uns zu segnen.“

„Wir beten für unser Volk und unsere Wehrmacht, für unsere Soldaten zu Wasser, zu Lande und in der Luft und für die Verwundeten und Kranken. Wir beten, dass Gott uns nach seiner Weisheit und Güte den Sieg verleihe und uns einen Friedens schenke, in dem unser Vaterland mächtig und stark dasteht, einen Frieden in Christus, aufgebaut in Gerechtigkeit und gegründet in Liebe, einen Frieden der Wohlfahrt und des Glückes, der die Gewähr für den Bestand bietet“.

Das Hirtenwort bietet einen tiefen Einblick in das kindliche Gemüt des Bischofs, das in seiner ausufernden Phantasie von Sieg und Glück träumt und in naiver Weise den Gemeindemitgliedern eine bestandssichernde Zukunft vorgaukelt. Das ernstliche Gebet des Stellvertreters Christi, möchte man meinen, müsste reichen, um den zürnenden Gottvater zu erreichen und zu erweichen, aber die Vorstellung von massierten Gebeten wirkt unappetitlich. Religionsgeschichtlich wirkt dieses Hirtenwort wie einen Rückfall in pagane Gebetsformen.

Das Hirtenwort sollte am kommenden Sonntag die Predigt ersetzen und vollständig vorgelesen werden. Auch in den Braunschweiger Kirchengemeinden wurde die Predigt ersetzt und im November

Gott bestürmt,[61] wie die Kirchenchroniken von St. Joseph und St. Marien berichten.

 

Der Tod von Propst Stolte 1944 und sein Nachfolger Johann Stuke

Überraschend starb im März 1944 Propst Stolte während einer Genesungskur in Bad Ems. Die Arbeit im Dekanat war durch den Aufbau der „Reichswerke Hermann Göring“ im Salzgittergebiet und die Tausende von katholischen Arbeitern, die zunächst der Pfarrei Wolfenbüttel zugeordnet worden waren, weit ausgeufert. Schon seit Mai 1939 hatte die Pfarrei Wolfenbüttel 28.231 Gemeindemitglieder.[62] Es scheint nicht so, dass viele evangelische Kirchen für Messgottesdienste zur Verfügung gestellt worden sind. Die Kirchenpolitik der kirchlichen Mitte war schwer beschädigt durch die Verhaftung und Einlieferung in das KZ Dachau des Bündheimer Pfarrers Christoph Hackethal im April 1941, der 1942 dort starb, weiterhin durch das Urteil des Braunschweiger Sondergerichtes (drei Jahre Zuchthaus) gegen Pfarrer Walter Behrens, der seit 1938 von Wolfenbüttel aus amtierte, und die Verhaftung und Einlieferung ins KZ Dachau 1943 von Pfarrer Wilhelm Gnegel, bis 1938 an der St. Josephkirche, dann in Watenstedt tätig.[63]   Nach den schweren Bombenschäden am Vincenzkrankenhaus sah Dechant Stolte sein Lebenswerk zerstört und konnte dessen Anblick nicht ertragen. Stolte starb mit 77 Jahren an Herzversagen. Er war 1866 geboren und hatte seit 1917 das Dekanat Braunschweig 27 Jahre lang geleitet und geprägt. Er hatte die Stadt als Welfensitz, als Hauptstadt des Freistaates und als Regierungssitz der Nationalsozialisten erlebt und die Kirchengemeinden mit Hilfe von vielen gewachsenen persönlichen Beziehungen durch die meisten Klippen hindurchgesteuert. Er blieb von Widerwärtigkeiten der Hitlerjugend nicht verschont. Stolte war aber auch für die Kirchenbehörde kein einfacher Partner gewesen und hat sehr auf die Selbständigkeit seines Dekanates bestanden. Ein regelmäßiger Gottesdienstbesucher, Professor Egbert Harbert, der in seiner Gemeinde am Löwenwall wohnte, berichtete später von seinen Gottesdiensten: „An der  hiesigen Nikolaikirche... wirkte unser wackerer und tapferer Kartellbruder, Propst und Dechant Joseph Stolte. Er und seine sonntäglichen Predigten wurden - trotz Konkordat - von NS Spitzeln regelmäßig überwacht. Sie konnten ihm aber nichts anhängen, weil er seine auf die Nazis gemünzten Anklagen immer als Delikte der freimaurerischen Kirchenverfolgung in Mexiko tarnte. Er predigte permanent jeden Sonntag über Mexiko. Zu den sogenannten „Mumme“ Abenden des Philisterzirkels des KV lud er ein, indem er auf offener Postkarte nur den Datumsstempel aufdrückte. Jeder KVer wusste dann, dass damit die Bahnhofswirtschaft abends 20 Uhr gemeint war.“[64] Das Votivbild vom Abendmahl zu seinem 50 jährigen Priesterjubiläum im März 1940 versah Stolte mit dem Wort aus dem 2. Kor. 4,4+5 „Weil wir dieses Amt durch Gottes Erbarmen haben, deshalb verzagen wir nicht. Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, den Herrn.“[65] Die Erinnerung Harberts aus dem Jahre 1964 gibt etwas von der Aura wieder, die Propst Stolte schon zu Lebzeiten umgab: ein Mann mit Beziehungen, widerständig auf die listige Art, durchsetzungsfreudig, streitbar, und in alledem ein selbständiger treuer Diener seiner Kirche, im Kreis der viel jüngeren Amtsbrüder gewiss auch gelegentlich schwierig. So weigerte er sich an der Amtseinführung des jungen Pfarrer Ludwig Groß in St. Joseph teilzunehmen. St. Joseph sei nur ein Seelsorgebezirk und keine eigenständige Pfarrei, so belehrte er den jungen Kollegen und wies ihn auf diese Weise darauf hin, wer in den katholischen Kirchen der Stadt das Sagen hatte. Pfarrer Groß schrieb daraufhin in die Kirchenchronik die hübsche aber seltene Beschreibung: „Selbsteinführung“.

Die Traueransprache in der Nikolaikirche hielt Bischof Machens. Am Trauergottesdienst nahmen auch Propst Leistikow, Kalberlah als stellvertretender Propst und Pastor Schwarze teil. Dechant Stolte liegt auf dem katholischen Teil des Friedhofes an der Helmstedter Straße begraben.

 

Zu seinem Nachfolger wurde vom Generalvikariat der bisherige Göttinger  Studentenpfarrer Johannes Stuke gewählt.[66] Stuke war Braunschweiger und hatte in Braunschweig Abitur gemacht. Sein Vater war jener 1940 in den Ruhestand getretene Bezirkschulrat über die katholischen Schulen der Stadt und in Braunschweig in Mascherode wohnen geblieben (siehe Kapitel    ). Es war für Stuke ein sehr schwerer Anfang, nicht nur wegen der sehr langen Zeit seines Vorgängers, sondern vor allem wegen der baldigen Zerstörung der Nikolaikirche.

Propst Stuke hatte im November 1944 eine besondere Kriegsbittandacht eingeführt, in der spezielle Bitten und Wünsche der Gemeindemitglieder in der Andacht öffentlich benannt wurden. Das entsprach den räumlich beengten Verhältnissen in den Gottesdiensten, nachdem die Nikolaikirche zerstört worden war. Je näher die Gemeindemitglieder betend zusammenrückten, umso konkreter wurden die Gebetsanliegen. Am 7.12. 1944 wurde eine solche Andachtsform auch in der St. Josephkirche gehalten.



 



[1] Wolfram Wette Zwischen Verständigungspolitik, Obrigkeitsglauben und Kriegstheologie: Katholische Kirche und Zentrumspartei in: Deist/ Messerschmidt/ Volkmann/ Wette Ursachen und Voraussetzungen des Zweiten Weltkrieges Frankfurt a.M. 1989 S.71 ff

[2] Katholische Kirchenblatt  29.10. 1939 zitiert aus einem Buch von Bischof Gröber „Der Christ und der Krieg“, das im Jahr der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 erschienen war. So auch „Ja, wir lieben dieses Land“ Katholisches Kirchenblatt 26.11.1939.

[3] Katholisches Kirchenblatt 8.10.1939

[4] Katholisches Kirchenblatt 5.11.1939

[5] Katholisches Kirchenblatt 24.9.1939

[6] Katholisches Kirchenblatt 5.11.1939 „Wie deutsche Kultur nach Polen kam“.

[7] Katholisches Kirchenblatt 1.9.1940

[8] Katholisches Kirchenblatt 10.11.1940 „Die Kirche im Großdeutschen Reich“ wertete eine Zusammenfassung aus dem Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten aus.

[9] Katholisches Kirchenblatt 2.3.1941

[10] Kirchlicher Anzeiger 1939 S. 18

[11] Kirchlicher Anzeiger 1939 S. 22 Zu einem Foto, auf dem spanische Generäle in Barcelona vor einer Menge von Gläubigen anlässlich einer Messe im Freien auf dem Katalanenplatz in Barcelona zum Gebet niederknieten, schrieb Bertholt Brecht folgende Zeilen: „Die Glocken läuten und die Salven krachen/ Nun danket Gott als Mörder und als Christ/ Er gab uns Feuer, Feuer anzufachen/ Wisst: Volk ist Pöbel; Gott ist ein Faschist“. Diese Verse mögen manchem katholischen Frommen als Rechtfertigung für die Begründung des Generalvikariat vorgekommen sein.

[12] BAH Priesterkartei Ludwig Groß (1905-1958) Priesterweihe 20.2.1932, 1932 Kaplan in Blumental, 1934 in Wolfenbüttel, 1935 in Nikolai, und ab 15.10.1938 bis 1949 in St. Joseph, 1950 Dechant in Goslar und 1952 Dechant in Salzgitter, wo er mit 53 Jahren starb.

 

[13] Kirchlicher Anzeiger 1943 S. 3 f „Requiem für die Gefallenen des Bistums“.

[14] Kirchlicher Anzeiger 20.10.1943

[15] Pfarrarchiv St. Marien Kirchenchronik

[16] Kirchlicher Anzeiger 10.3.1942

[17] Kirchlicher Anzeiger 22.9.1941

[18] Ablieferung von Türklinken Kirchlicher Anzeiger 6. Juni 1943 S. 56

 

[19] Meldung von Pastor Hennies an das Generalvikariat vom 21.1.1944 in BAH Generalia II 1258

[20] BAH Kirchliche Statistik für die Jahre 1940-1942 Generalia II 1412.

[21] Kirchlicher Anzeiger 9.12.1940 S. 77 f; Kirchlicher Anzeiger 20.10.1943

[22] Kirchlicher Anzeiger 20.10.1943  S. 1

[23] Kirchlicher Anzeiger 5.1.1944 S. 1

[24] 100 Jahre St,. Laurentius 12

[25] BAH Kirchenchronik St. Nikolai 1945-1947

[26] Unterwegs zwischen Zeit und Ewigkeit 13

[27] Zur Marienverehrung und Mariologie Handbuch der Kirchengeschichte 320 ff

[28] Katholisches Kirchenblatt 5.5.1940 „Weihe des Bistums an Maria“

[29] Katholisches Kirchenblatt 18. 8. 1940 „Hirtenwort zur Erneuerung der Weihe der Diözese Hildesheim an die Gottesmutter“

[30] Katholisches Kirchenblatt 20.10.1940 „Marienverehrung in Braunschweigs katholischer Zeit“

[31] BAH Hirtenwort zur Erneuerung der Marienweihe unseres Bistums“ in: Kirchlicher Anzeiger 6. Juli 1943

[32] Das Attribut der Miterlöserin (corredemptorix) verletzte, dogmatisch gesehen, die alleinige Erlöserschaft durch Christus, frömmigkeitsgeschichtlich sprach der Bischof hingegen nur aus, was längst tief sitzende katholische Volksfrömmigkeit war und durch die groß aufgezogene Weihe des Bistums nur wiederbelebt wurde. Maria war die eigentliche, vordringliche Adresse des in Not geratenen katholischen Frommen. Auch hier erwies sich die katholische Kirche als die Kirche des Relativismus, relativ nämlich die dogmatische oder die alltagsfrömmige Sicht. Dringlich legte der Bischof das gefühlvolle Marienlied „Meerstern“ den Gläubigen ans Herz, die katholische Entsprechung zu dem protestantischen „Stille Nacht“, das aber längst auch in der katholischen Kirche heimisch geworden war.

[33] Es waren folgenden Bibelstellen: Hohe Lied 6,9; Judith 13,23, und 15, 10; Psalm 44,3; Sirach 24,24; Sprüche 8,17 und 8,25; Sirach 24,22 und abschließend Luk.1,28.

[34] Kirchlicher Anzeiger 6. Juli 1943

[35] Kirchlicher Anzeiger 18. Juli 1944 S. 61 ff

[36] Hermann Seeland „Zerstörung und Untergang ‚Alt Hildesheims’ Chronik vom 30. Juli 1944 bis 8. Mai 1945 Hildesheim 1947

[37] BAH Kirchenchronik St. Joseph S. 318 f

[38] Bernhild Vögel „Entbindungsheim“ 112 zitiert eine Eintragung aus der Kirchenchronik St. Joseph

[39] Bernhild Vögel  „Entbindungsheim für Ostarbeiterinnen Braunschweig Broitzemer Straße 200“ Kleine historische Bibliothek herausgegeben von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts Hamburg 1989 (zitiert Entbindungsheim) eine Aufzählung der Geburten in den Lagern in der Stadt S. 191 f;  Karl Liedke Gesichter der Zwangsarbeit  Braunschweig 1998 (2. Auflage)  S. 89 –135.

[40] Karl Liedke Gesichter „Das Entbindungsheim Broitzemer Straße 200 S. 163 - 175

[41] BAH Kirchliche Statistik 1940 Generalia  II 1412

[42] Bernhild Vögel „Entbindungsheim“ 122 berichtet von  der Taufe von Janina Przyczkawna am 18. Juli 1943 in St. Laurentius durch Pastor Dr. Hennies und der Taufe von Daniela Dmochowska am 24. August 1943 in St. Laurentius und von einer Taufpatin bei einer Taufe im „Entbindungsheim“ am 11. März 1945. Bernhild Vögel 135.

[43] BAH Priesterkartei Gregor Holz (1890-1941), Priesterweihe 1921. Holz war Rheinländer, hatte auch nicht wie üblich in Münster studiert sondern in Wien und Fulda. Er war Kaplan in Hannover, ab 1934 Pastor in Großilsede und ab 15. 10.1937 Pastor an St. Laurentius. Er starb am 1.10.1941 in Braunschweig.

[44] BAH Priesterkartei Carl Hennies (1905-1969), Priesterweihe 28.1.1934, promovierte 1930 zum Dr. phil., 1936 Kaplan in Duderstadt, 1941-1944 Pastor in Laurentius, 1944 in Grauhof, 1946 in Ottbergen, 1949 in Alfeld, 1959-1969 Dechant in Alfeld und 1968 in den Ruhestand. 1969 verstorben. „Sein Engagement im ökumenischen Bereich hat ihm über die Pfarrei hinaus Anerkennung gebracht. Auf der Votivkarte zum Requiem 1969 setzte er folgende Verse aus einem Bonhoeffergedicht: „Komm zum höchsten Fest auf dem Wege zur Freiheit, Tod leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern unsres vergänglichen Lebens und unsrer verblendeten Seele, dass wir nun endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leide. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.“ 

[45] Bernhild Vögel Entbindungsheim 72/73: „Die Gestapo versuchte auch zu verhindern, dass sich die katholische Kirche um die polnischen Frauen und Kinder kümmerte. In den ersten Monaten konnten einige Frauen ihre Babys für kurze Zeit aus dem Heim holen und in der Kirche St. Laurentius von Pastor Dr. Hennies taufen lassen. Ab November  1943 war es offensichtlich verboten, Kinder, die im „Heim“ bleiben sollten, in den Kirchen taufen zu lassen. Die Gestapo habe auch dem Pfarramt St. Joseph die Taufspendung im „Entbindungsheim“ nicht gestatten wollen, berichtete Pastor Groß 1947 den Ermittlungsbehörden. Erst auf wiederholtes Drängen der Heimleiterin seien die Taufen geduldet worden.“

[46] BAH  Kirchliche Statistik Generalia II 1412

[47] Frank Schaffrath/ Bernhild Vögel „Vom Schicksal polnischer Kinder in der Stadt Braunschweig“ in Festschrift für Gerhard Heintze „Gib ewigliche Freiheit“ Blomberg 1987 S.445 (zitiert Festschrift).

[48] ebd 444

[49] Kirchlicher Anzeiger 13.12.18943 S. 70; siehe auch: Heintzefestschrift 443

[50] Ein Bild von einer Tauffamilie vor dem Entbindungsheim bei Liedke Gesichter 166. Bilder vom „Entbindungsheim“ Bernhild Vögel 94-96

[51] Bernhild Vögel Entbindungsheim, 31

[52] Frank Schaffrath/ Bernhild Vögel „Vom Schicksal polnischer Kinder in der Stadt Braunschweig“ in Festschrift Heintze  441 ff

[53] Bernhild Vögel, Entbindungsheim 107

[54] Frank Schaffrath/ Bernhild Vögel, Festschrift 444

[55] Ein Namensverzeichnis mit Geburts- und Sterbedatum bei  Karl Liedke Gesichter 169 ff; ein Lageplan des Friedhofes an der Hochstraße auch mit  belgischen, holländischen, italienischen und französischen Gräbern bei Frank Schaffrath/ Bernhild Vögel Festschrift Heintze  453

[56] BAH Priesterkartei Bernward Treuge (1911-1991) Priesterweihe 19.3.1938; 1938 Kaplan im Konvikt Duderstadt,, 1941- 1947 in Nikolai, 1947 Präses im Konvikt Duderstadt, 1957-1974 Regens im Priesterseminar in Hildesheim, also Predigerseminardirektor; 1974-1985 im Generalvikariat Leiter des Referates für Priesterfragen; nach Eintritt in den Ruhestand Pfarrer in Holle-Henneckenrode bei Hildesheim, am 19.2.1991 in Göttingen verstorben. Bischof Hohmeyer schrieb in dem Nachruf: Er war vielen Mitbrüdern ein „Vordenker“ im Leben der Kirche. Auf der Votivkarte zum Requiem stand das Psalmwort „Der Herr ist meine Zuflucht; zum Schutz habe ich mir erwählt den Höchsten. Er befreit mich aus allem Verderben“.

[57]  Bernhild Vögel/ Frank Schaffrath, in: Heintzefestschrift 444

Da der Brief von Pfarrer Bernward Treuge vom 27.5.1986 die bisher einzige schriftliche Äußerung aus den katholischen Kirchengemeinden zu den Vorgängen im Entbindungsheim in der Broitzemerstraße ist, gebe ich ihn hier im Wortlaut wieder. Er spiegelt auch etwas über die Kommunikation der Pfarrer untereinander wider.

 

Henneckenrode den 27.5.1986

Sehr geehrte Frau Vögel! Zu Ihrem Schreiben vom 26.ds. Monats kann ich Ihnen leider nur wenig Aufklärendes mitteilen,. Ich kann mich nicht erinnern, dass bei Zusammenkünften der Geistlichen in Braunschweig, soweit diese bei den damaligen Zeitverhältnissen überhaupt stattfinden konnten, die Rede von den Kindern der polnischen Arbeiterinnen gewesen wäre. Es ist mir auch nicht in Erinnerung, dass Pastor Groß notdienstverpflichtet war. Am 14. Oktober  war er jedenfalls in Braunschweig. Daran erinnere ich mich, weil es dann den schweren Luftangriff gab, durch den die ganze Innenstadt zerstört wurde. Auch das Haus von Pastor Groß wurde zerstört, und er musste in das Pfarrheim umziehen.

Die toten Kinder wurden - ich weiß nicht einmal von wem – zu unserm Friedhof in der Turmstraße (gemeint ist die Hochstraße D.K.) gebracht. Dort wurden sie in die alte und sehr kleine Leichenhalle gebracht und aufgestapelt. Ich habe nur einige Male die Kartons hineingeschaut, und von daher konnte ich Ihnen schon sagen, dass die Kinder ohne jede Kleidung und Bettung lagen. Von einem besonderen Zustand der Leichen habe ich in diesen Fällen nichts gemerkt.

Ich weiß wohl, dass mir aus der Kapelle, soweit man das kleine Gebäude so bezeichnen darf, oft die Würmer entgegengekrochen sind. Der Friedhof war ja eigentlich schon still gelegt, und die Bestattungen wurden dort nur deshalb vorgenommen, weil der neue Friedhof an der Helmstedter Straße zu eng wurde. Es wurde uns dort erst ganz am Ende des Krieges eine Erweiterung ermöglicht, wo dann auch noch Ausländern beerdigt wurden.

Wenn Herr Pastor Groß die Betreuung der Ausländerinnen bzw die Taufen ihrer Kinder übernommen hat, dürfte es höchstwahrscheinlich  seine ganz eigene Initiative gewesen sein. Ich kann mich nicht erinnern, dass es darüber, wenn überhaupt, mehr als zufällige Informationen gewesen sind, die unter den Geistlichen zum Austausch kamen. Man muss ja bedenken, dass wir bei den damals gegebenen Verhältnissen kaum zum Austausch zusammenkommen konnten. Ich selbst musste neben meinen normalen Aufgaben allein 9 Lazarette betreuen. Es blieb ja auch wenig Zeit, da man durch die oftmaligen Alarme auf lange Zeiten hin unbeweglich war.

Sie sprechen von dem Grauenvollen der damaligen Zeit. Ich weiss (nicht D.K.), ob Sie selbst diese Zeit miterlebt haben. Wenn nicht, dürften Sie sich kaum hineindenken können. Es war ein ganz anderes Klima, dass das allgemeine tägliche Leben weithin verrohen liess,. Es gab weithin nicht mehr den Lebensraum für menschliche Reaktionen. Jeder lebte mehr oder weniger unter vielerlei Bedrohungen, und es gab keinen Lebensbereich, der nicht einer allgemeinen Verrohung ausgesetzt war. Jedenfalls war es mir persönlich sehr bewußt, dass die Zerstörung der Städte nichts war im Vergleich zur Zerstörung des Menschen.

Leider kann ich Ihnen über das, was ich Ihnen schon am Telephon sagte, und was ich hier noch ergänzen konnte, nichts mitteilen. Es sind immerhin mehr als 40 Jahre vergangen, und dann kann man auch schon einiges vergessen.

In der Hoffnung, Ihnen dennoch geholfen zu haben, bin ich mit freundlichen Grüßen B. Treuge.

 

[58] Kirchlicher Anzeiger 6.6.1943 S. 66

[59] Propst Stuke verzeichnete im Taufbuch, dass Ende April 33 Säuglinge auf dem Ausländerfriedhof am Brodweg beerdigt wurden, anonym in Sammelgräbern. Er habe die Angaben erst Wochen später von der Stadt geliefert bekommen. Bernhild Vögel Entbindungsheim 126. Bischof Heintze reagierte auf die Abhandlung von Schaffrath Vögel mit einem Brief an Bernhild Vögel, in dem er schrieb: „Was sie berichten, ist auch für unsere evangelische Kirche beschämend.“  Bernhild Vögel in Festschrift Heintze 2002  „Wie es weiterging“ 363

[60] Kirchlicher Anzeiger 7.11.1940 S. 69 ff Hirtenwort zum Welt-Bitt und Sühnetag

[61] In die Kirchenchronik von St. Marien trug Pastor Frese ein: Die Pfarrgemeinden sollten den eucharistischen Gott „im Gebete bestürmen, dass er die Sache unseres Vaterlandes in unsren Tagen segnen und der Welt einen glücklichen Frieden schenken“ möge.

[62] Engfer Dokumentation 327

[63] Engfer Dokumentation  534 ff

[64] Egbert Harbert Rückblick auf das Jahr 1933 in Mitteilungen der Carolina Wilhelmina zu Braunschweig Heft 2 1983 S.39

[65] BAH Priesterkartei Joseph Stolte

[66] BAH Priesterkartei Johannes Stuke (1904-1978), 1928 Priesterweihe, 1928 Kaplan in Göttingen, 1930 in Hildesheim, 1933 in Hannover und Religionslehrer am Oberlyzeum in St. Ursula Hannover, 1939 Pastor  in Göttingern (St. Michael) und Studentenpfarrer, 1944-1949 katholischer Propst in Braunschweig an St. Nikolai, Mitglied des 1. Braunschweiger Landtages Februar-November 1946, 1949- 1978 Generalvikariatrat und Domdechant  Hildesheim.



Zum Kapitel 29: Zerstörung der Kirchen und ihre verschiedenen Deutungen 1944




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