Die Folgejahre der Hitlerzeit 1945-1947 [1]
Heimatlos in der eigenen Stadt
„Wir sehen keine Befreiung. Wir sehen nur den Zusammenbruch.
Wir sehen das Dunkel, das unermessliche Dunkel vor uns“, fasste Propstei
Leistikow die Stimmung in der Propstei Braunschweig im Oktober 1945 zusammen.[2]
Es sei „für die meisten eine so verwirrende und enttäuschende Zeit“, „eine Zeit
großer Traurigkeit“.[3]
Viele Braunschweiger, ausbombardiert, ohne die gewohnte
Räumlichkeit und Habe, evakuiert, dann nach Hause zurückgekehrt und doch nicht
zu Hause, weil für sie alles nur Ruine war, sie waren in ihrer Stadt heimatlos
geworden. Heimatlos in ihrer eigenen Heimat. Das galt für die Tausende, die um
die Andreaskirche, Petrikirche und Brüdernkirche gewohnt und nun den Verlust
täglich vor Augen hatten. „Da stand mal unser Haus, da haben wir mal gewohnt“ –
es ist noch nicht erforscht, was dieser Verlust für jene Braunschweiger
persönlich, für ihre Familie und die Familiengeschichte bedeutete. Die
Filmaufnahmen der britischen Truppen von diesem zerstörten Teil im Sommer 1945,
kommentiert von Eckhard Schimpf, geben noch heute einen erschütternden
Eindruck vom Zustand der Braunschweiger Stadtmitte im Sommer 1945.
Die Wohnungsnot wurde durch die Einquartierung britischer
Soldaten und Offiziere verschärft.
Um das Fliegerviertel beim Prinzenpark wurde ein
Stacheldrahtzaun gezogen, das Quartier komplett geräumt und von den
Besatzungssoldaten belegt. Andere Braunschweiger hatten ihre Wohnungen für
englische Offiziere vollständig räumen müssen und waren bei Verwandten
untergekrochen. Oder sie waren nur in den oberen Stock gezogen und lebten mit
ihnen beengt zusammen, ohne einzusehen warum überhaupt. Anfang 1947 waren noch
298 Wohnhäuser mit 1.171 Wohnungen belegt, „die für 12.000 Braunschweiger Platz
geboten hätten“ stellte die Stadtverwaltung pikiert fest.[4]
Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten zogen nicht weiter
und ließen sich in den Bunkern und Lagerbaracken der Stadt notdürftig nieder.
Zeitweise verlegte die englische Militärregierung auf Lastwagen täglich
1.000Flüchtlinge aus Berliner Flüchtlingslagern nach Braunschweig. Im November
1945 wurden vom inzwischen eingerichteten städtischen Fürsorgeamt täglich 2.300
Flüchtlinge durchgeschleust.[5]
Auf dem Ostbahnhof blieben Eisenbahnwaggons, beladen mit geflüchteten
Jugendlichen und Erwachsenen, tagelange unversorgt stehen. Jeder musste sehen,
wie er durchkam. Es war kein Ende der Not abzusehen, sondern die Situation
verschärfte sich in den beiden nächsten Jahren.
Wenn Heimat nicht ortsgebunden ist, sondern da gefunden
wird, wo sich die Familie befindet, dann verstärkte sich dieser Moment der
Heimatlosigkeit, denn viele Väter und Söhne waren noch in Kriegsgefangenschaft.
Eckhard Schimpf berichtet in dem Trümmerfilm, dass er im Herbst in seiner
Schulklasse der Einzige unter den ca 50 Schülern war, dessen Vater zu Hause
war. 1945 kehrten nur 3.261 zurück, 13.471 in den nächsten vier Jahren bis
1949.[6]
4.074 Männer galten als „vermisst“, für die wartende Familie ein furchtbarer
Zwischenzustand zwischen tot und lebendig,[7]
Vermisstenanzeigen, Suchkarteien sollten helfen. Pfarrer Walter Staats von der
Johanniskirche bat die Kirchengemeinden, Suchkarteien von ihren
Gemeindemitgliedern anzulegen und sich auszutauschen. Jede Familie war
versehrt, und diese seelischen Verwundungen hinterließen lebenslange Narben.
Die Behörden arbeiteten nur eingeschränkt, die Schulen waren
geschlossen. Braunschweig und das Deutsche Reich befanden sich im quälenden
Wartezustand. Für die Mütter mit ihren Kindern und die arbeitslos gewordenen
Väter begann ein bisher ungewohnter Überlebenskampf. Wer rechtzeitig
„gehamstert“ und Vorräte angelegt oder sich etwas „organisiert“ hatte, konnte
sich durchschlagen. Aber Arbeit und Brot wurden Mangelware, eine neue Erfahrung
für viele Braunschweiger.
Ebenso quälend war die geistige Öde. Deutschland ohne
Hitler, Braunschweig ohne Klagges – es wurde ohne sie immer schlimmer, hatten
viele den Eindruck.
nämlich für die Braunschweiger, die zu
Juden deklariert, verschleppt worden waren, aber überlebt hatten und nun
zurückkehren konnten. Carl Mosberg, 60 Jahre, Gustav Mosberg und seine Frau
Emma und Karl Jacob Herz kehrten aus dem Altersghetto Theresienstadt zurück,
der 25 jährige Horst Günther Herz aus dem KZ Dachau, Fritz Goldschmidt, 59
Jahre, aus dem KZ Auschwitz. Begreiflicherweise lösten sie hier und da Ängste
aus. Würden sie ihren geraubten Besitzt wieder zurückfordern, ihre Häuser und Geschäfte.
Waren deren Geschirr und Möbel nicht „ehrlich“ ersteigert und bezahlt und die
Geschäfte „ordnungsgemäß übernommen“?
Andere kamen in Uniform der Sieger und
beklommen war die erste Begegnung. Günter Gaus erzählt in seinen Erinnerungen
eine.[8]
Die Familie Gaus war um den Jahreswechsel 1938/39 in eine Wohnung in der
Innenstadt umgezogen, wo sie ihr Gemüsegeschäft hatten. Im Herbst 1945 kam ein
britischer Soldat zu ihnen in den Garten hinter dem Haus, wo die
Hausbesitzerin, Mutter Gaus und ihr Sohn saßen. Es war der Sohn jener
mehrköpfigen Familie, die vorher in jener Wohnung gewohnt und neben dem
Gemüseladen ein Schuhgeschäft betrieben hatte, am 28. Oktober 1938 unvermittelt
abgeholt und nach Polen abgeschoben worden war. In die „freigewordene“ Wohnung
war Familie Gaus gezogen. Man kannte sich, weil Familie Frenkel bei Gaus ihr
Gemüse einkaufte. „Nach meiner Erinnerung floss das Gespräch im Garten
spärlich, aber ohne Heftigkeit“. - Der siebenjährige Eckard Schimpf
beobachtete einen englischen Soldat, der vor dem Haus, wo er spielte, stehen
geblieben war und es lange betrachtete. Als er wegging, drückte er dem
Siebenjährigen ein Stück Schokolade in die Hand drückte. „Hier habe ich früher
mal gewohnt“, sagte der und war verschwunden.
Es gab auch Lagertore in der Stadt, die sich für
Kriegsgefangene und Zivilgefangene nun öffneten. Wer im Westen beheimatet war,
machte sich umgehend auf den Weg nach Hause. Im Oktober 1945 befanden sich aber
noch 16.372 Ausländer in der Stadt, sie waren frei, aber mussten ihrerseits
zusehen, wie und womit sie weiterleben konnten.[9]
Sie hamsterten und „organisierten“ im Stadtgebiet, in Gärten und Ställen. Es
kam auch zu Schlägereien und selten machten sie auch von der Pistole Gebrauch.
Aber im Vergleich zu den Unmenschlichkeiten deutscher Soldaten in Weißrussland,
die Häuser ansteckten und Familien abschossen, verhielten sich die ehemaligen
Kriegsgefangenen zivil. Die englische Militärregierung drohte bei Übergriffen
sogar mit der Todesstrafe.
Das Nachrichtenblatt der amerikanischen Heeresgruppe „der Braunschweiger
Bote“.
Die Braunschweiger Bevölkerung erlitt die furchtbaren Folgen
des Krieges, aber sie verstand die Ursache nicht, sie ließ die Niederlage nicht
in den Kopf. Die urmenschliche Frage, die Gott an den Brudermörder Kain
richtet: „Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir“, wurde
täglich durch die Ruinen an die Braunschweiger gestellt, aber sie hörten diese
Frage nicht und verstanden sie nicht. Das wäre die Aufgabe einer zeitnahen
Predigt gewesen, aber die Kirche und ihre Pfarrer waren selber zu sehr
betroffen und verstrickt und dem Hitlersystem verbunden und verpflichtet.
Stattdessen übernahm diese geradezu seelsorgerliche Aufgabe die erste, in
Braunschweig erhältliche Zeitung.
Vom 4. Mai bis zum 8. Juni 1945 erschienen acht, mehrseitige
Ausgaben eines „Braunschweiger Boten“, dem Nachrichtenblatt der amerikanischen
12. Heeresgruppe. Die Absicht des Nachrichtenblattes war es, der Braunschweiger
Bevölkerung die Augen für die Verbrechen in den von den kämpfenden Truppen
geöffneten Konzentrationslagern zu öffnen. Das Bild eines KZ Zuges, der mit
Leichen der Ermordeten aufgefunden wurde, in der ersten Nummer [10],
das Foto „eines der Tausende KZ Opfer“ in der zweiten Ausgabe [11]
zeigten die Hitlerherrschaft aus der Opferperspektive. „Der dickwandige
Folterkeller, zu dem der Hitlerismus Deutschland gemacht hatte, ist
aufgebrochen, offen liegt unsere Schmach vor den Augen der Welt“. Deutschland
sei ein „Abscheu der Menschheit und Beispiel des Bösen“ geworden, hieß es in
einem Aufruf von Thomas Mann in der zweiten Ausgabe. Aus ihm sprach das
Entsetzen der alliierten Truppen beim Öffnen der Konzentrationslager. Unter der
Überschrift „Deutschland war eine Folterkammer“ wurden Bilder von Gardelegen
gezeigt, wo über tausend Häftlinge in eine Scheune getrieben und die Scheune
angesteckt worden war. Unter der Überschrift „Ihr sollt es wissen“ wurde
ausführlich ein Gespräch mit einem Arzt wiedergegeben, der in Kiew mit einem
Ärzteteam Transporte von behinderten Menschen, auch Zigeunern und Juden zu Tode
gespritzt hatte, drei bis vier Transporte von je tausend Personen pro Woche.
Ausführlich wurde der Tod der Naziprominenz thematisiert,
der Tod Hitlers und Mussolinis, der Selbstmord Himmlers, der nach seiner
Gefangennahme in Bremervörde bei einer ärztlichen Untersuchung auf eine im Mund
versteckte Giftkapsel gebissen hatte, der Selbstmord von Admiral Friedeburg,
der die Kapitulationsurkunde unterschrieben hatte, nach seiner Verhaftung bei
Kiel. Die Nachricht vom Tod des ehemaligen Reichsjugendführers und späteren
Gauleiters von Wien Baldur v. Schirach, der mehrfach in Braunschweig gewesen
war und die Ehrenbürgerschaft der Stadt besaß, erwies sich später als falsch.
Er wurde im Nürnberger Prozess zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.
Dass die Militärregierung Gerechtigkeit gegen Jedermann
führen wollte, dokumentierte sie bei der seitenlangen Veröffentlichung von
Strafen, die das Militärgericht gegen ca 300 Braunschweiger wegen Aufenthaltes
während des Ausgehverbotes und sogar Mitführen von Waffen verhängt hatte,
Geldstrafen, vier Tage Gefängnis, aber auch drei Jahre Zuchthaus. Unter den
Bestraften befanden sich auch wiederholt frühere Fremdarbeiter aus den Lagern
in der Stadt: Gerechtigkeit gegen Jedermann.
Durch positive Nachrichten sollte indes der Wille zum
„Wiederaufbau“ geweckt werden. Büssing habe die Arbeit aufgenommen, die
Rüninger und Lehndorfer Mühlen verarbeiteten die restlichen Getreidebestände,
die Pantherwerke, Schering und Schmalbach, Bremer und Brockmann fingen wieder
an zu produzieren. Straßenbahn und Straßenbeleuchtung wurden repariert und in
Gang gesetzt, das Verbot der Ausgehzeit wurde auf 23.00 bis 5.00 verkürzt. Zur
Trümmerbeseitigung wurden auch jene 143 Beamte und Angestellte in der
Stadtverwaltung eingesetzt, die dort entlassen worden waren.
Von der kirchlichen Arbeit berichtete die vierte Ausgabe am
25. Mai 1945, dass die religiösen Feiertage, die von den Nazis abgeschafft
worden seien, wieder zu gesetzlichen Feiertagen erklärt würden. Indes hatten
die Hitlerherrschaft die hohen kirchlichen Feiertage Weihnachten, Karfreitag,
Ostern, Pfingsten keineswegs abgeschafft, auch nicht ihren staatlichen Schutz,
sondern sie in ihrem fatalen Sinn instrumentalisiert und umgedeutet. „Die
Kirchen aller Konfessionen werden in jeder Hinsicht von der alliierten
Militärregierung unterstützt und gefördert“, hieß es in der Meldung weiter.
Das wurde von manchem Industriellen aufmerksam gelesen, weil
sich nun eine Unterstützung der
Stadtkirchen günstig auf das Verhältnis zur Besatzungsmacht auswirken konnte.
In einer anderen Ausgabe wurde der Erzbischof von Canterbury
zitiert, der darin erinnerte, dass nicht alle Deutsche Nazis waren, sondern
einige wenige durchaus das Übel bekämpft hätten.[12]
In der letzten Nummer wurde eine Auslassung des damaligen
Papstes Pius XII unter der Überschrift „Der Papst über den Nationalsozialismus“
wiedergegeben. Darin hieß es, der Kampf gegen die Kirche sei immer bitterer und
bitterer geworden, „Im Widerstand gegen diese Unterdrückung schlossen sich
Millionen Katholiken um ihren Bischof zusammen mit dem Ziele, den katholischen
Glauben zu bewahren und zu beschützen. Unsere Vorstellungen verhallten
ungehört“.[13]
Diese einseitige Darstellung wurde bald zum Maßstab der katholischen
Geschichtsschreibung erhoben. Tatsächlich hatte die römisch-katholische Kirche
den außenpolitischen Kurs Hitlers wenigstens bis 1941 unterstützt, sie teilte
seinen innenpolitischen scharfen antikommunistischen Kurs und auch den Einfall
in die Sowjetunion 1941, sie errichtete während der nationalsozialistischen
Zeit zahlreiche Kirchen und Pfarrhäuser. Für Hitler, der bis ans Lebensende
römisch-katholisch blieb, ordnete der Vorsitzende des deutschen
Bischofskonferenz Kardinal Bertram daher nach der Meldung vom Tod Hitlers ein Requiem
an. Bertram hatte Hitler noch im Kriege beständig zum Geburtstag gratuliert und
Hitler hatte die Glückwünsche erwidert.[14]
Die Kirche ist gefragt
Allmählich kehrten die eingezogenen Pfarrer zurück und
erlebten eine unterschiedliche Aufnahme. Einige nahmen umgehend an ihrem alten
Arbeitsplatz die kirchlichen Geschäfte wieder auf, so Otto Jürgens, im Sommer
1945 aus englischer Gefangenschaft entlassen, in der Johanniskirche und Pfarrer
Wehrstedt, der Aufseher in einem Lager mit französischen Kriegsgefangenen bei
Quedlinburg gewesen war, in der Martinikirche. Hans Joachim Schmidt[15]
war zwar 1940 als Pfarrer der Magnikirche eingeführt, aber sofort zum
militärischen Dienst eingezogen worden. Er kehrte im Sommer 1945 33jährig. Das
Pfarrhaus des Katharinenpfarrers Gennrich war zerstört, seine Frau darunter
tödlich begraben, Gennrich erhielt eine neue Pfarrstelle in
Salzgitter-Lebenstedt. Pfarrer v. Wernsdorff, der in Braunschweig auf einem
Wehrmachtsfürsorgeamt eingesetzt war, wurde von der Kirchenregierung wegen
seiner heftigen Sympathie für den Nationalsozialismus aus kirchenpolitischen
Gründen in das Pfarramt Gr. Biewende versetzt. Das Pfarrhaus vom Jakobipfarrer
Otto Dietz war von der Familie Kalberlah besetzt, deren Pfarrhaus an der Kirche
zerbombt worden war. Die Familie Dietz war evakuiert, Vater Dietz kam mit
durchschossenem Knie im Herbst 1945 aus dem Krieg und sollte zu seiner
Verwunderung nicht an seine alte Predigtstelle zurückkehren. Er erhielt die
Pfarre in Wendhausen, wo er später Propst wurde.[16]
Da an der Martinikirche nur noch für einen Pfarrer Arbeit war, zog Pfarrer
Rohde mit seiner vielköpfigen Familie ins Lehndorfer Pfarrhaus, das Pfarrer
Schlott eigentlich räumen sollte. Er blieb aber und zog nur in den ersten
Stock. Das wurden beengte Verhältnisse für zwei kinderreiche Familien. Da für
Pfarrer Ruess im Siegfriedviertel keine Pfarrwohnung aufzutreiben war, verließ
er die Stadt. Pfarrer Bosse war aus amerikanischer Gefangenschaft geflohen, und
hatte sich auf abenteuerliche Weise zu seiner nach Gielde evakuierten Familie
durchgeschlagen. Da er keine regulären Entlassungsschein hatte, konnte er nicht
sofort in seine Gemeinde nach Braunschweig. Im Juli 1945 nahm er seine Arbeit
wieder in der St. Georggemeinde auf, jedoch ohne Familie, da für diese keine
Wohnmöglichkeit bestand. „Ich wohnte zunächst in der Küche. Ich wurde Maurer
und Tischler und habe im Verein mit Herrn Möhle gebaut und gebessert, um die
Vorkehrungen zu treffen für die Rückkehr meiner Familie. Es war eine Zeit
schwerster Anspannung und Belastung, alle Arbeiten in Haus und Gemeinde
durchzuführen.“[17]
Der Raum für den sonntäglichen Gottesdienst reichte im Pfarrhaus nicht aus,
daher wurde der Vorraum zum Gemeindesaal provisorisch hergerichtet, Schuttberge
um die Kirche von den Kirchenvorstehern und Besuchern der Bibelstunde in den
Bombenkrater gekarrt und die dicken Mauern des Luftschutzkellers abgetragen.
Der neue Gottesdienstraum hatte kein Dach, keinen Fußboden, bei Regen musste
das Wasser hinausgefegt werden. Es fehlten Stühle. „Wegen der Feuchtigkeit und
Kälte musste ich mich entschließen, die Gottesdienste stark zu kürzen.“ Pfarrer
Dosse kam erst im Herbst 1946 aus englischer Gefangenschaft und kehrte in sein
Gliesmaroder Pfarrhaus zurück.
In dieser ruinösen Landschaft luden die Kirchen zu
Gottesdiensten in Gemeindesäle und Kirchen ein. Aus den Gebeten wurden der Name
des „Führers und seiner Räte“ sowie die Fürbitte für die Wehrmacht zu Lande,
Wasser und in der Luft gestrichen. Und die Pfarrer wurden gebraucht: im Sommer
1945 wurden wie eh und je Kinder zur Taufe gebracht, und Eheleute begehrten die
kirchliche Trauung. In der Michaeliskirche fand einen Tag nach der Kapitulation
die erste kirchliche Trauung statt, der weitere 26 im Laufe des Jahres
folgten. In der Johanniskirche wurden 123 Kinder und Jugendliche getauft, die
erste Taufe war nach der Besetzung am 29. April 1945, oft am Sonntag mehrere
Kinder: am 2. und 23. September je fünf Kinder, am 9. Dezember sieben, am 2.
Weihnachtstag 6 Kinder. Einen ebensolchen Ansturm auf die Taufen erlebte die
Stadtrandgemeinde St. Georg, obwohl Kirche und Gemeindesaal zerstört waren. Bis
zum April 1945 waren es fünf Taufen, und nach der Besetzung noch 90 Taufen. Wie
in der Johanniskirche steigerte sich die Anzahl in den nächsten Jahren enorm.[18]
Am andern Ende der Stadt, in der vergleichsweise kleinen Martin Luthergemeinde
wurden nach der Besetzung 77 Kinder getauft, drei am 22. April, drei am 6. Mai
und sieben am 20. Mai.
Die Taufgesellschaft war zeitgemäß gemischt und ließ die
Vergangenheit erkennen. Bei den Taufen in der Johanniskirche waren fünf Vätern
dissidentisch, 14 gottgläubig, dreimal waren sogar beide Elternteile
gottgläubig und begehrten trotzdem die Taufe. Das Taufbegehren hielt in der
Johanniskirche auch in den nächsten Nachkriegsjahren an.[19]
Dem Anstieg der Taufziffer entsprach der Anstieg der der Kirche nicht
angehörigen Elternteile. 1946 waren 17 Väter gottgläubig, fünf dissidentisch
oder glaubenslos. Bei sechs Taufen waren beide Elternteile gottgläubig. Im
Siegfriedviertel war der Anteil der Dissidenten vor 1933 hoch und der der Nazis
nach 1933 auch. So wundert es nicht, dass 1946 28 Väter und drei Elternpaare
sich als gottgläubig bezeichneten und elf als dissidentisch bzw. ausgetreten.
In der Martin Luther Gemeinde waren entsprechend dem hohen Anteil an
Dissidenten 14 Väter dissidentisch und acht gottgläubig, ein Elternpaar
gottgläubig.
Neu war, und auch für die Taufhandlung nicht unwesentlich,
dass bei den Taufen in der St. Georggemeinde 21 Väter römisch-katholisch waren.
Der verlorene Krieg und die Flüchtlingsströme hatten die vormals „reinen“
Konfessionsgebiete konfessionell durchmischt.
Andererseits darf man den Religionsstand der Väter für den Taufgottesdienst
nicht überschätzen. In der Regel nahmen die Väter an einem Taufgottesdienst
nicht teil, das überließen sie den Frauen und gingen in die Kneipe. Dieser
Zustand änderte sich erst mit der neuen Lebensordnung in den 60er Jahren.
„Rückblickend sagen meine Frau und ich von dieser Zeit: „Das
waren unsre schönsten Jahre!“ erinnerte sich das Ehepaar Schmidt. „Die
Magnigemeinde war wie eine große Familie. Welche Freude an den Heiligen Abenden
1945, 1946, 1947 immer wieder heimgekehrte Gemeindeglieder zu begrüßen! Wieviel
schöne Abende, kleine Feste, Hauskonzerte, Gespräche, Dichterlesungen in den
Häusern rund um den Löwenwall! In unserer Wohnung Adolfstraße 36 versammelten
sich an mehreren Abenden der Woche Männer, junge Mütter, der Mädchenkreis und
immer wieder neue Heimkehrer. Da saß der Postschaffner neben dem vertriebenen
Rittergutsbesitzer, der Straßenbahnfahrer neben dem einstigen General. Alle
bewegte die Frage, wie es weitergehen solle.“[20]
Erste Gottesdienste im Dom
Es gab in der Innenstadt nur noch eine zentrale Kirche, den
Dom, der nun nicht mehr Staatsdom war, aber der Landeskirche auch noch nicht
gehörte. Das Landeskirchenamt ließ keine Anstalten erkennen, umgehend eine
Dompfarrerstelle einzurichten. Pastor Barg nahm die Frage eines Gottesdienstes
im Dom in die Hand, ließ Plakate drucken und nannte sich als Prediger. Das
stieß im Landeskirchenamt auf Widerwillen, denn Barg war im Sommer 1945 im
Landeskirchenamt erschienen und hatte den sofortigen Rücktritt von OLKR Röpke
gefordert, ansonsten er die Militärregierung einschalten würde.
Röpke, der als Stellvertreter des Landesbischofs
zurückgetreten war und sein weiteres Schicksal abwartete, bat Propst Leistikow
schriftlich, einen anderen Prediger einzusetzen. Es solle der Eindruck
vermieden werden, dass Barg der künftige Domprediger werde. Auch die Frage, wer
am Dom die Orgel spielen werde, war noch ungeklärt. Wolfgang Auler machte
nachdrücklich seinen Anspruch geltend und ließ seine alten Beziehungen zum
Ministerium spielen.[21]
Im Juli fand ein Gottesdienst statt, in dem OLKR Seebaß die Predigt hielt und
Ellinor Dohrn die Orgel spielte. Frl. Dohrn schrieb ihren Eindruck von diesem
ersten Gottesdienst an Propst Leistikow: „Der erste Gottesdienst im Dom begann
insofern aufregend, da zunächst kein Strom vorhanden war. Glücklicherweise
wurde er um 10 Uhr wieder angestellt. Und dann änderte OKR Seebaß, mit dem wir
zuvor alles eingehend besprochen hatten, noch während des Präludiums das ganze
Programm, sodass mein Vorspiel nun gar nicht passte. Das war schade! Aber sonst
hätten Sie Freude gehabt, wie das große Kirchenschiff bis zum letzten Platz
gefüllt war.“[22]
Der Dom wurde der Andreasgemeinde als der nächst liegende
Kirchenraum für Amtshandlungen zugewiesen. Das Taufregister verzeichnet für den
16. Juni 1945 eine Taufe der Andreasgemeinde; ob sie im Dom stattfand? Es
folgten im August zwei Taufen, im September an drei Sonntagen, an jedem
Oktobersonntag, vier Taufen am 4. November und im Dezember an drei Feiertagen.[23]
Der Dom belebte sich durch Gottesdienste. Im Jahr 1946 waren es 93 Taufen.
Die Fortsetzung des kirchlichen Lebens in den gewohnten
rituellen Formen war für die Pfarrerschaft ein entscheidender Moment, dass es
keine grundsätzlichen Änderungen geben würde. Es war auch ein Wink, dass sie
erneut gebraucht werden würde.
Frauenhilfen
Neben den Gottesdiensten erwiesen sich die
Frauenhilfen mit ihrer Arbeit als kontinuierliches, stabilisierendes Element
der kirchlichen Arbeit. Der Stadtverband der Frauenhilfe und ihr
Geschäftsführer Herdieckerhoff luden die Vorsitzenden und Mitglieder der
Helferkreise zu einem Treffen schon am 31. Mai 1945 ein, bei dem auch ein
Tätigkeitsbericht erstattet werden sollte. Solche Treffen fanden auch im August
und September 1945 im Ev. Vereinshaus statt, bei denen der biblische
Monatsspruch bearbeitet wurde. Pfarrer Kalberlah berichtete, dass sich in der
Lehndorf Siedlung eine Frauenhilfe mit 30 Mitgliedern gebildet hatte. Am 21.
Oktober 1945 wurde das Jahresfest der Frauenhilfen der Stadt in der
Michaeliskirche begangen. Dabei hielt der neue Katharinenpfarrer Siegfried
Stange die Predigt, Ellinor Dohrn hatte mit ihrem Sing- und Spielkreis die
musikalische Ausgestaltung übernommen.[24]
Die Baracke des evangelischen Hilfswerkes
Die Baracke stand auf dem Platz vor dem Bahnhof (heute
NordLB). Eben hieß er noch Adolf Hitler Platz. Nun war er zeitgemäß umbenannt
worden, nicht nach einem der vielen Braunschweiger Demokraten, sondern nach dem
Herzog Friedrich Wilhelm. Es sollte eben alles wie früher sein. Nur das half
nicht weiter. Weiter half die Baracke, die auf dem Bahnhofvorplatz.
Die Situation auf diesem Bahnhofvorplatz wurde von den
Themen zur Bibelwoche 1947, die in allen Kirchengemeinden zwischen Totensonntag
und dem 1. Advent gehalten wurden, so beschrieben: „Weg, wo doch kein Weg ist/
Helfer, wo doch keine Hilfe ist/ Friede, wo kein Friede ist/ Frucht, wo doch
alles vergeblich ist/ Wahrheit, wo doch nur Wahn ist/ Gewissheit, wo doch nur
Angst ist“. Die Zeit vor und nach 1947 wurde mit den Stichworten „kein Weg,
keine Hilfe, kein Friede, vergeblich, nur Wahn, nur Angst“ treffend
wiedergegeben. In dieser Aussichtslosigkeit kamen viele auf dem schwer
zerstörten Braunschweiger Hauptbahnhof in den ersten Nachkriegsmonaten an.
Mütter mit Kindern, die nicht wussten wohin, Evakuierte, die nicht wussten,
was sie zu Hause erwartete, Alte, Gebrechliche, deren Heime aufgelöst worden
waren, Lehrer mit ihren Klassen und Heimerzieher mit ihren Kindergruppen auf
der Flucht in den Westen, Soldaten, die nicht in Gefangenschaft geraten waren,
und sich irgendwohin durchschlagen mussten. „Viele von ihnen kamen zu Fuß, manche
in Zügen, die, völlig überfüllt, die Fenster mit Brettern vernagelt, an der
Zonengrenze eingesetzt waren und auf notdürftig reparierten Schienen gen Westen
ratterten. Hungrig, übermüdet, verzweifelt und ratlos kamen sie in Scharen auf
den von Bomben zerstörten Bahnhof in Braunschweig an in der Hoffnung, irgendwo
Menschen zu finden, die ihnen helfen würden.“[25]
Bald nach Kriegsende betrieben die Innere Mission und die Caritas die
Bahnhofsmission wie zu Zeiten vor dem Verbot.
In einer Ecke des Bahnhofs wurden die
Trümmer weggeräumt und unter freiem Himmel eine Gulaschkanone aufgestellt. Die
Frauenhilfen sammelten in den Kirchengemeinden und organisierten einen
Arbeitsplan auch für die Nacht für bis zu zehn Frauen. Es wurde warmes Essen
von den Spenden der Landgemeinden und laufend Tee gekocht. Ein Zeitzeugin
berichtet: „Die Helferinnen schälten Kartoffeln, putzten Gemüse, schleppten aus
dem fast einen halben Kilometer entfernten Bahnheizwerk heißes Wasser für Tee
heran, heizten die Gulaschkanone und gaben Essen aus. Sie sammelten in den
Gemeinden Geld, Lebensmittel, Tassen, Teller, Bestecke, Kindernahrung,
Bekleidung und vieles andere, was für die Ankömmlinge gebraucht wurde.“[26]
Als die Baracke aufgebaut wurde und dort für ein Jahrzehnt stehen blieb,
konnten sich Kranke und Alte nun ausruhen, Mütter mit Kindern übernachten, die
Zubereitung des Essens war wetterunabhängig. Die Baracke war ein Glanzstück
kirchlicher Arbeit in der Nachkriegszeit.
Die Kindergärten
Bereits 1946 hatten einige Kirchengemeinden, unterstützt von
der Inneren Mission, sechs Kindergärten für 440 Kinder und 1947 10 Kindergärten
für 630 Kinder eingerichtet. Das war mehr als für die städtisch betriebenen
Kindergärten gemeldet wurde.[27]
Einer dieser Kindergärten wurde von der St. Georggemeinde betrieben. Davon
schrieb Pfarrer Bosse unter dem Jahr 1947: „Inzwischen war es auch zur Gründung
eines Kindergartens für den 1. Pfarrbezirk gekommen. Mutig und freudig begonnen
und geführt durch eine frühere Konfirmandin Frl. Jost, und unter größten Schwierigkeiten
fortgeführt und durch den Winter gebracht. Es fehlte an jeglichen
Einrichtungsgegenständen. Auch bereitete die Ofenheizung mancherlei
Schwierigkeiten. Manches Mal wurde der Pfarrer zur Hilfeleistung gebeten und
wurde zum Techniker, für alle Mühe aber reichlich belohnt durch die
Anhänglichkeit der Kinderschar und die Gemeinschaft mit den Müttern, die wir in
regelmäßigen Mütterabenden zusammenriefen. Wesentliche Hilfe erfuhren wir durch
den Ev. Verein Innere Mission und das Hilfswerk. Als Raum diente die kleine
seitliche Vorhalle vor dem Gemeindesaal und in wärmeren Tagen auch die große
Vorhalle. Späterhin wurde in Eigenarbeit auch der Raum hinter der Küche wieder
hergerichtet, wozu uns Herr Pieper aus dem Kirchenvorstand die Farbe zur
Verfügung stellte und willige Gemeindeglieder die Gelder für die
Mauerarbeiten.“ Der St. Georgkindergarten gehörte zu den ersten sechs 1946
eröffneten. Er war eine beispielhafte Gemeindeinitiative und Zusammenarbeit von
Kirchenvorstand, Pfarramt und Gemeindemitgliedern.
Am 1. Mai 1946 eröffnete auch die Johannisgemeinde auf
Initiative von Pfarrer Staats im Gemeindesaal einen Kindergarten. Er war
halbtags geöffnet. Die ausgebildete Kindergärtnerin Frl. Thiel und mehrere
Helferinnen versorgten 45 Kinder. Vorher hatte sich der Kirchenvorstand vom
Zustand des Kindergarten in der Magnigemeinde überzeugt.[28]
Der Magnikindergarten war 1942 von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt
(NSV) übernommen worden. Die Übernahme erfolgte jedoch durch einen
Pachtvertrag, der im Herbst 1945 auslief. Um diese Zeit wurde der
Kirchenvorstand wieder Herr über das Kindertagesheim.
Jugendarbeit nach 1945
In einigen Gemeinden begann wieder eine staatlich
unreglementierte Jugendarbeit. Das wurde als große Erleichterung empfunden. Man
brauchte nichts polizeilich anzumelden und konnte die Arbeit frei gestalten. In
den Gemeinden Pauli, Johannis, Magni und Riddagshausen bildeten sich schon im
Sommer 1945 Jungscharen, also die 10 – 14 jährigen Jungen und Mädchen.[29]
Ein Jahr später meldete Propst Jürgens an das Kreisjugendamt Jugendkreise in
10 Kirchengemeinden, vor allem Jungschargruppen von 10 – 40 Jahre alten Jungen
und Mädchen. Geringer waren die Gruppen der bereits Konfirmierten besucht, so
weit sie überhaupt bestanden.[30]
In einer Aufstellung des Mädchenwerkes vom Dezember 1946 hieß es: In 6
Gemeinden geschieht keine Jugendarbeit, in fünf Gemeinden keine
Jungschararbeit. Die Mädchenjungscharen wurden in zehn Gemeinden von 20 – 40
Mädchen besucht, davon in Jakobi am regesten mit 40 Mädchen, Johannis mit 30
Mädchen, gefolgt von St. Andreas, St. Georg, Magni, Pauli, Katharinen und
Lehndorf.[31]
Pfarrer Stange meldete im Juni 1947 aus der Innenstadtgemeinde Katharinen
folgende realistische Zahlen: Jungmannschaft 9 Jungen, Jungschar 10 Jungen.
Mädchenkreis 19 Mädchen, Jungschar 15 Mädchen.[32]
Käte Nicolmann, die lange Zeit für die Gemeindearbeit in der
St. Georggemeinde zuständig war, schrieb in ihrem Arbeitsbericht: „Obwohl jetzt
wieder viele Türen offen sind, bleibt die Sammlung um das Wort Gottes der Mittelpunkt
aller Kinder- und Jugendstunden. Jahreslosung, Monatsspruch und - Lieder, sowie
die vorgeschriebenen Texte des Jahresplanes des Burckhardthauses geben der
Arbeit in den einzelnen Gemeinden die einheitliche Ausrichtung.“[33]
Die Jugendarbeit litt unter den Mangel an geeigneten Räumen
und Mitarbeitern. 21 frühere teils selbständige Helfer seien gefallen,
berichtete Kolb. Die Kirchengemeinde Riddagshausen wurde ein zentraler Ort für
Jugendgottesdienste. Im Riddagshauser Pfarrhaus war H. Kolb nach seiner
Ausbombardierung im Bebelhof untergekommen.
In der Magnigemeinde traf sich ein reger Jungmännerkreis des
Stadtkirchenverbandes für junge Männer über 18 Jahre, die also meist
Kriegsdienst geleistet hatten. Kolb beziffert die Teilnehmerzahl mit 56 Personen.[34]
Von der Arbeit schrieb Kolb „Neben Singen, Spielen und Vorlesen guter
Erzählungen steht das Hören und Lernen aus dem Gotteswort im Mittelpunkt...
Groß ist die Aufgabe im Bahnhofdienst, größer und schwerer noch in den
Bunkern.. Aus den Bunkern holen wir regelmäßig die Kinder wie die Jugendlichen
heraus, um ihnen ein paar frohe Stunden zu bereiten. Das wöchentliche
Bunkersingen bleibt auch weiterhin Dienst und Freude für uns alle.“[35]
Als Problem für die Jugendarbeit beschrieb Kolb die
Situation der 16-22 Jährigen. Sie seien resigniert und teilnahmslos, verlieren
sich „in Tändeleien und Oberflächlichkeit und Gemeinheit und Sinneslust“. Die
„guten, wertvollen Kräfte“ stürzten sich mit aller Macht in die Arbeit, in
pausenlose Beschäftigung, „um zu vergessen und unterzutauchen, um nicht zu
denken und verantwortlich zu sein für die Allgemeinheit.“ Jeder Annäherung
stehe man ablehnend, zumindest zweifelnd und misstrauisch gegenüber.[36]
Diese Beurteilung zeigt zugleich die Grenzen der kirchlichen Jugendarbeit im
Verständnis von Kolb auf. Natürlich stürzten sich die Jugendlichen in die
geöffneten Tanzlokale und genossen die unreglementierte Freizeit. Sie
feilschten und tauschten auf dem Schwarzmarkt, und öfters wurden sie dabei
erwischt. 1945/46 wurde in 539 Fällen, 1947 in 358 Fällen gegen sie verhandelt,
meist wegen Schwarzhandel. [37]
Und es gab auch echte Jugendkriminalität und Jugendverwahrlosung. Die
Jugendlichen mussten die in sie hinein gepresste Gewalt während der HJ Zeit,
die sie gelegentlich sogar lustvoll aufschlürften, nun wieder loswerden, in
Gewalttätigkeit. Den großen Bereich von Nachkriegsjugend erreichte die
evangelische Jugend von Kolb nicht.
Die heute Älteren, die die damalige Jugendarbeit noch erlebt
haben, hatten gelegentlich das Empfinden, dass methodisch die Formen der
bündischen Jugendarbeit verwendet wurden, die sie an die Hitlerjugend
erinnerten.
Aber auch inhaltlich konnte spürbar werden, dass die
Kontinuität zu den vergangenen Zeiten sehr viel stärker war als eine
Neuorientierung. In einen Referat „Die Ev. Jungmannschaft Braunschweig Stadt
vor ihren sozialen Aufgaben“ notierte der Referent Robert Kempe zahlreiche
praktische Hilfsdienste und unter dem Stichwort „Volk und Vaterland. „Aufgaben
sehen! Rein und stark erhalten. Deutschland braucht Männer, Charaktere,
Persönlichkeiten – nicht mit großen Namen und Reden, sondern die den Dreck
anfassen. Jugend von heute – Männer von morgen“.[38]
Das war eine markige Ansprache, die auch gut in das Jahr 1933 gepasst hätte.
„Rein und stark“ – da winkte Walter Flex aus dem 1. Weltkrieg herüber.
Im Verhältnis zu den enorm angestiegenen
Gemeindemitgliederzahlen, die Propst Jürgens pauschal mit Pauli: 30.000;
Johannis: 28.000; St, Georg 15.000; Michaelis und Jakobi: 12.000, Lehndorf
Siedlung, Magni, Martini: je 10.000 Gemeindemitgliedern bezifferte, waren die
Teilnehmerzahlen an der männlichen und weiblichen Jugendarbeit eher bescheiden.[39]
Auch in der nun aufblühenden Jugendarbeit
der katholischen Kirchengemeinden war Erleichterung und Begeisterung über den
Wegfall der staatlichen Beschränkungen zu spüren. „Vor allem die katholische
Jugend in St. Nicolai erlebte einen furiosen Start“, erinnern sich die
Zeitzeugen von damals.[40]
„In schneller Folge wurden Jungen- Jungmänner- und Mädchengruppen eingerichtet
und Gruppenleiter dafür gefunden.“[41]
Der nationale Ruck
Durch die kirchliche Arbeit ging ein unsichtbarer nationaler
Ruck. Es gelte gerade in der Niederlage „Haltung“ zu bewahren. Auf diesen Tenor
war die erste Predigt von Propst Leistikow am 1.Sonntag nach der Besetzung
gestimmt. Es war aber nicht nur die militärische Niederlage, die die deutsche
Bevölkerung niederschmetterte, sondern mehr noch die Tatsache, dass sie sich
nicht mehr selber regieren und verwalten sollte. Es fehlten ihnen historische
Vergleiche, um diesen Zustand begreifen zu können. Als Propst Gremmelt von
Ölper nach Braunschweig am Weißen Ross von einem amerikanischen Posten
angehalten und gefragt wurde, wohin er wolle, war er schockiert. Er notierte in
seinem Amtskalender: „Sonnabend 14. April. Am Weißen Ross von amerikanischen
Posten angehalten. Ein Deutscher muss einen Amerikaner fragen, ob er in die
Stadt gehen dürfe. Welche Schmach!“ [42]
Das war nicht nur im Braunschweigischen so. Der Münsterer
Bischof v. Galen hatte seine Gemeinde dazu aufgerufen, sich in dieser dunklen
Zeit ihres Deutschtums besonders bewusst zu sein und die Besatzer als Feinde zu
betrachten. Thomas Mann hatte im Braunschweiger Boten vor dieser Tendenz
gewarnt. „Deutschland wird auf Jahre hin verwaltet, die Befreier mussten von
außen kommen, sie müssen es verwalten. Betrachtet sie nun wenigstens nicht, wie
der Bischof Galen es euch vormacht, als eure „Feinde“. Fühlt euch selbst nicht,
wie dieser unbelehrte Geistliche, „in erster Linie als Deutsche“, sondern als
Menschen, der Menschheit zurückgegeben, die nach 12 Jahren Hitler wieder
Menschen sein wollen“.[43]
Dieses nationale Aufbäumen war eine
Reaktion auf die Tatsache, dass das Deutsche Reich nicht nur militärisch
besiegt worden, sondern auch politisch vollständig entmachtet war. So sehr die
Niederlage erwartet war, so wenig die politische Entmachtung und Entmündigung.
Anders schien den Alliierten jedoch eine Trennung von der bisherigen
nationalsozialistischen Führungsschicht nicht möglich. Die Deutschen sollten
sich also von Hitler trennen, der schon zu Lebzeiten für die meisten zu einem
Mythus geworden war.
Entmythisierung Hitlers durch die Hitlerbiografie Konrad Heidens 1936
Wer war Hitler? „Vor der Geschichte, vor den Völkern der
Welt, und vor seinem eigenen Volke wird sein Name für immer verbunden sein mit
der Entfesselung der bösesten Instinkte menschlichen Wesens“, lautete das Fazit
eines Kommentars im Braunschweiger Boten zur Nachricht vom Tod des „Führers“.[44]
Das sollte eine wachrüttelnde Bemerkung für die sein, die ihm die „Gefolgschaft“
nicht aufkündigen mochten aus „Treue“ oder Verblendung. Aber die für sie
niederschmetternde Beschreibung Hitlers förderte nicht die Akzeptanz der
Niederlage und eine Ablehnung Hitlers. Viele Deutsche ließen sich ihr positives
Hitlerbild durch die Niederlage nicht beeinträchtigen, sondern pflegten
positive Erinnerungen an ihre Hitlerzeit. Der Tod des „Führers“ verhinderte
nicht das Weiterbestehen des von ihnen gepflegten Mythus, eher befestigte er
ihn.
War es nur die Fortführung einer jahrelangen Gewohnheit,
dass auch nach Tod und Niederlage die Braunschweiger in der Öffentlichkeit
weiterhin mit „Heil Hitler“ grüßten? Von sich aus verzichteten die meisten
offenbar nicht auf diese Beschwörung der Gegenwärtigkeit Hitlers. Erst durch
die alliierte Gesetzgebung wurde der Hitlergruß verboten und im Braunschweiger
Boten am 1. Juni bekannt gegeben.[45]
Zur Antwort auf die Frage „Wer war Hitler?“ erschien in zwei
Folgen des Braunschweiger Boten eine vorzügliche Kurzbiografie von Konrad
Heiden unter dem Titel „Hitler – ein Porträt“. Heiden beschrieb ausführlich vor
allem die persönlich kümmerlichen biografischen Anfänge Hitlers aus den Jahren
vor und nach dem 1. Weltkrieg.[46]
„Als Mensch mit Privatleben und Beruf war er in normalen Zeiten gescheitert,
als Politiker und Agitator wuchs er im anfänglichen Zerfall Deutschlands nach
dem 1. Weltkrieg erstaunlich rasch.“ Hitler habe das Glück gehabt, dass zur
Zeit seines Regierungsantritts in der ganzen Welt die Wirtschaftskrise einer
Wirtschaftsblüte wich. Heiden rückte damit die beliebte Redensart zurecht, dass
Hitler die Arbeitslosigkeit beseitigt habe. Die Zustände in Deutschland
charakterisierte Heiden folgendermaßen: „Das Leben, das Deutschland nun führen
muss, ist entsetzlich. Aber nicht minder entsetzlich ist die moralische Oede
und Ausgestoßenheit, in der das deutsche Volk sich heute befindet, abgesondert,
gehasst und verachtet von den andern Nationen. Der verlorene Tote unter den
Trümmern von Berlin war es, der sein Volk in diese Wildnis hinausstieß.“
Konrad Heiden, der schon 1933 den Aufstieg des
Nationalsozialismus beschrieben hatte (siehe Kapitel 2) war 1933 emigriert,
zunächst ins Saarland, dann nach Frankreich und schließlich in die USA. 1936/37
hatte er die erste zweibändige, in Zürich verlegte Hitlerbiografie
veröffentlicht. 1948 stellte die Braunschweiger Stadtbibliothek ein Exemplar
ein, das aus den amerikanischen Armeebeständen stammte. Wer jung und
wissensdurstig war, griff zu dieser Hitlerbiografie.[47]
Ernst August Roloff, 21 Jährig, „verschlang“ sie, berichtet er und vermutlich
alle, die durch saubere, unvoreingenommene Auswertung der zugänglichen Quellen
eine Darstellung ihres „Führers“ lasen, „wie er wirklich war und wie alles
wurde“. Es bewahrheitete sich, was schon Lessing vorgemacht hatte, dass durch
gründliche historische Kritik der Mythus in Frage gestellt wird.
Worin bestand die Entmythisierung Hitlers? Heiden holte
Hitler von seinem kolossalen Führersockel herunter und schilderte ihn als einen
„durch die Irrungen seiner Jugend gestörte(n) Charakter“ mit zentnerschweren
Minderwertigkeitsgefühle(n), die nur durch ständige Anerkennung und Bestätigung
wieder ins Gleichgewicht kamen. [48]
Heiden diagnostizierte eine reine Spaltung der Persönlichkeit, in eine
Privatperson und den Führer.[49]
Als Privatperson gab sich Hitler als Filmfreund, der in der Reichskanzlei
abends ein, zwei Filme ansah, der in Operettenmusik und Bauplänen schwelgte.
Hitler aber, der vor dem Reichsgericht erklärte, „es werden Köpfe rollen“,
markierte den Führer. „Hitler ist ein Kind der Einsamkeit, der Führer ist ein
Kind der Masse.“ „Dieses Auseinandertreten der Persönlichkeit gibt der Gestalt
die magnetische Spannung , die beim bloßen Anblick Hitlers mit Recht so
unbegreiflich erscheint. Man erlebt die Verwandlung eines unbedeutenden
Menschen in einen bedeutenden.“[50]
„Diese tief zerrissene, gegen sich selbst schwache und misstrauische Natur hat
trotzdem eine ungeheure Leistung vollbracht. Adolf Hitler hat das deutsche Volk
unterworfen und jene Macht erworben, die das beruhigendste und
niederschlagendste Mittel für alle Zweifel ist.“[51]
Eine ähnliche Diagnose einer schizophrenen Persönlichkeit
stellte 1946 der ehemaliger Chef der Berliner Psychiatrie an der Charite, Karl
Bonhoeffer, fest. In seiner Abhandlung „Führerpersönlichkeit und Massenwahn“
aus dem Jahr 1947 schrieb Karl Bonhoeffer: „Die Entscheidung ob man es mit
einem ethisch Defekten, fanatischen und pseudologischen Psychopathen oder mit
einem aus dem Umkreis des Schizophrenen Kommenden wirklich wahnhaften
Paranoiden zu tun hat, muss bis zur Aufdeckung weiteren Materials offen
bleiben.“[52]
Offenbar kannte Bonhoeffer die Biografie von Heiden nicht, obwohl sein
bekannter Sohn, der Theologe Dietrich Bonhoeffer, wiederholt in der Schweiz
gewesen war.
Heiden stellte außerdem eine innere Verwandtschaft zwischen
der deutschen Bevölkerung und Hitler fest. „Die moralische Verfassung des im
Weltkrieg geschlagenen Deutschlands und des am Beginn des Lebens gescheiterten
Hitler sind nahe verwandt. Beide Male das Verlangen nach einer Ideologie der
Rechtfertigung,...ein gescheiterter Mann und ein gescheitertes Volk verbinden
sich. Hitlers Ehrgeiz ist der Ehrgeiz des deutschen Volkes“.[53]
Auch Bonhoeffer verwies auf eine solche eigenartige Wechselbeziehung zwischen
psychopathischer Führerpersönlichkeit und psychischer Masseninfektion.[54]
Diese Beobachtungen zu „Hitler und die Deutschen“ lösten Hitler aus einer
isolierten Betrachtung und bezogen den jugendlichen Leser mit ein und konnten
ihm seine eigene Befangenheit und Beteiligung am nationalsozialistischen System
erklären. Viele Jahrzehnte später erst nahmen andere Historiker diese Spur auf.
[55]
Es war ein glücklicher Zufall, dass Konrad Heiden schon 1945
den Braunschweigern durch seine Kurzbiografie Hitlers bekannt wurde und ihr die
bisher erschienenen Werke Konrad Heidens genannt wurden. Die Lektüre von
Heidens Hitlerbiografie war der Beginn der Entmythisierung Hitlers. Auf ihr
fußen alle späteren Hitlerbiografien.
Günter Gaus erwähnt die Hitlerbiografie Heidens in seinen
Memoiren nicht, aber ein großes rotes Plakat, das die Engländer im Sommer 1945
in Braunschweig anbrachten mit der Darstellung von toten KZ Häftlingen in
gestreifter Kleidung aus dem KZ Bergen-Belsen,[56]
war für Gaus der Beginn seines Lebensromans, die Anfänge seiner Identitätsfindung,
das Ende von der Wahnvorstellung von der natürlichen Überlegenheit der
Deutschen, den Glauben an ihre gerechte Sache, an ihre gottgewollte, historisch
unausweichliche und auch gebotene Herrschaft über andere. „Die militärische
Niederlage hätte mich von solchen Wahnvorstellungen wohl nicht endgültig
kuriert.“[57]
Diese beginnenden Zweifel habe er gegen wütende Vorhaltungen anderer
verteidigen müssen. Gaus war 1945 ein sechszehnjähriger Braunschweiger.
Die gescheiterte Entnazifizierung oder die sog. „Selbstreinigung“
der Kirche [58]
In dem farbenprächtigen Herbst 1945
erhielten die Pfarrer Post von der englischen Besatzungsbehörde, die sie nach
ihrem politischen Vorleben ausfragte. Die berüchtigten Fragebögen fragten nach
der Mitgliedschaft in den Naziorganisationen und der Zugehörigkeit zu den
Deutschen Christen, ab wann und wie lange. Viele waren im Mai 1933 in die
Partei eingetreten, einige auch für kurze Zeit bei der SA.
Die Entnazifizierung dachten sich die Alliierten als ein
umfassendes pädagogisches Programm, das sie in ihren Besatzungszonen
unterschiedlich durchführten. Die Alliierten gingen von der richtigen
Voraussetzung aus, dass die deutsche Bevölkerung zum großen Teil nazibegeistert
gewesen war und nun vor ihrer Demokratisierung entnazifiziert werden mussten.
Das klang nach Grundreinigung, Entgiftung eines gedanklich und ideologisch
verseuchten Bodens, als eine Art Bodenaustausch. Nicht selten meldeten die
überlebenden Anhänger von linken Gruppen bei der Besatzungsmacht die besonders
belasteten Parteianhänger.[59]
Auf Grund einer solchen Denunziation wurde Pfarrer Johannes Schlott in Lehndorf
Siedlung verhaftet und interniert, aber nach wenigen Wochen wieder entlassen.
Wen konnte es noch treffen, fragten sich nicht wenige. Das aktive
Kirchenvorstandsmitglied der Magnikirchengemeinde Dr. Walter Lerche wurde aus
dem Justizdienst entlassen, weil er einige Jahre Vorsitzender des
Braunschweiger Sondergerichtes gewesen war. Sein kirchliches Engagement
bewahrte ihn nicht vor der Entlassung. Es lag eine Mischung aus Hilflosigkeit
und Ungewissheit über der Bevölkerung.
Es traf die Pfarrerschaft zu einem unerwarteten Zeitpunkt.
Die Kirchen in der Propstei hatten ihre Arbeit ungehindert aufgenommen.
Gottesdienste und Amtshandlungen wurden vollzogen. Den Kirchen war das
Wohlwollen der Besatzungsmächte zugesagt.
Es entwickelte sich daher unter der Pfarrerschaft rasch ein
Gefühl von Trotzigkeit, sich diese Behandlung nicht gefallen zu lassen. Sie
wurde authentisch in Bemerkungen von Pfarrer Max Wedemeyer[60],
dem späteren Pfarrer an St. Jakobi, die er seinem Entnazifizierungsbogen unter
dem Datum des 1. September 1945 hinzufügte: „Der Deutsche-Christen-Bewegung
(die übrigens 1933/34 fast die gesamte deutsche Kirche repräsentierte, mit der
Absicht, den Nationalsozialismus christlich umzuformen und die erst später nach
Misslingen dieser Absicht entartete) gehörte ich als Student in Göttingen
1933/34 durch meine theologische Verbindung korporativ in dem „Studentenbund
Deutsche Christen“ an, der bereits 1934 wegen seiner Kritik an der
nationalsozialistischen Weltanschauung aufgelöst und verboten wurde. Da die
Kirche, wie fast überall, auch in meiner Gemeinde Bornum der einzige Ort eines
weltanschaulichen Widerstandes war und sein musste, überdies die Führung der
Partei auch wohl wusste, dass sich die Gemeindeglieder beim Pfarramt als
einziger Stelle frei und ungestraft auch politisch aussprechen konnten, war ich
selbstverständlich (wie auch meiner vorgesetzten Behörde bekannt ist) gleich
den meisten Amtsbrüdern vielen amtlichen und persönlichen Schikanen durch die
Partei ausgesetzt.“[61]
Drei Hauptgedanken aus dieser Erklärung
wurden für das Verständnis der jüngsten Kirchengeschichte in unserer
Landeskirche typisch. „Überall“ war die Kirche ein Ort des Widerstandes und der
Zufluchtsort für eine ungezwungene Aussprache (1). Die meisten Amtsbrüder
waren Opfer der Schikanen der Partei (2). Die Deutschen Christen beherrschten
1933/34 die Deutsche Ev. Kirche. (3). Wedemeyer erklärte auch den Grund: die DC
hätten die respektable Absicht gehabt, den Nationalsozialismus „umzuformen“.
Wer also 1933/1934 den Deutschen Christen angehört hatte, sollte eher
respektiert als verurteilt werden.
Diese drei Behauptungen sind in ihren
Verallgemeinerungen leichfertig und falsch. Auffällig ist an der dritten
Behauptung, dass für Wedemeyer der Pfarrernotbund, dem im November 1933 7.000
Pfarrer in der Deutschen Evangelischen Kirche angehört hatten, die Bekennende
Kirche überhaupt nicht existierte. Wedemeyers drei Hauptgedanken waren
Erdichtungen einer idealen Widerstandskirche mit Opferrolle im „Dritten Reich“
und einer „Amtsstube“ als Idylle besorgter und politisch gekränkter Seelen;
außerdem ein Entlastungsschein für Deutsche Christen des ersten Jahres, wie
z.B. Martin Erdmann, dem späteren Bischof der Landeskirche. Wedemeyers
außerordentlich kurze Pfarrerszeit – er war seit 1938 in Bornum Pfarrer
gewesen, bevor er eingezogen und 1944 krank entlassen wurde - machte seine
Aussagen über Widerstand, Deutsche Christen und Schikanen der Partei unglaubwürdig
und vermittelt einen Geschmack von Großspurigkeit. Wedemeyer dichtete gern,
schon damals veröffentlichte er gefühlvolle Erzählungen für die christliche
Gartenlaube.
Königslutter unterzeichneten eine längere Entschließung und
schickten sie wenige Tage später an das Landeskirchenamt. Sie enthielt fast
gleichlautende Formulierungen eben dieser verderblichen Behauptung vom
angeblichen Widerstand der Kirche und von den Schikanen, denen die Kirche
ausgesetzt gewesen sei. „Wenn irgendwo gegen diese unheilvolle Entwicklung
klarer Widerstand geleistet wurde, dann in der Kirche und von ihren Pfarrern.
Und dass dieser Widerstand nicht vereinzelt oder wirkungslos, sondern wirklich
auf den Zentralpunkt gerichtet war, zeigt die Welle des Hasses, die – immer
höher anschwellend – die ganze Kirche, jede Gemeinde und vor allem jeden
einzelnen Pfarrer umbrandete“. Diese unheilvolle Entwicklung habe schon bald
nach der Machtübernahme als „Entthronung Gottes, Seiner Ordnungen und Seiner
Gebote“ eingesetzt.[62]
Pollmann nennt in seinem Aufsatz über die Entnazifizierung in der Landeskirche
diese Erklärung eine „für die Einstellung der Pfarrerschaft in der
unmittelbaren Nachkriegszeit so aufschlussreiche“. Die Erklärung fügte
gegenüber der ersten Erklärung Wedemeyers noch die vom antikirchlichen,
gottlosen Nationalsozialismus hinzu, von denen in den Gemeindebriefen jener
Zeit noch nichts zu lesen gewesen war.
Diese Erklärung war als Antwort auf die
Entnazifizierungsfragebogen gedacht. Eine Entnazifizierung in der Landeskirche
erwies sich für sie demnach als ein grundlegendes Missverständnis der
Besatzungsbehörde über die eigentliche Haltung der Landeskirche im „Dritten
Reich“ und als eine Zumutung. Wedemeyer, der der erste Pressesprecher der
Landeskirche und später zum Oberlandeskirchenrat gewählt wurde, verbreitete in
diesen Ämtern unentwegt seine geschichtsverfälschenden Ansichten. Wie eine
breite, undurchdringliche Schicht legte sich dieses Geschichtsbild auf das
Bewusstsein von zwei Braunschweiger Pfarrergenerationen, Väter, Söhne und
Töchter.
Der Stuttgarter Schulderklärung, die 14 Tage später
veröffentlicht wurde, musste die Braunschweiger Pfarrerschaft völlig
verständnislos begegnen.[63]
Darin hieß es: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder
gebracht worden“. Man befinde sich mit dem deutschen Volk „in einer Solidarität
der Schuld“. Die Erklärung war von den Spitzen der neu gebildeten Evangelischen
Kirche in Deutschland unterzeichnet, so von dem bekannten Berliner Bischof Otto
Dibelius, dem späteren Hannoverschen Bischof Hanns Lilje, dem bayrischen
Bischof Hans Meiser, von Gustav Heinemann und Pfarrer Martin Niemöller, der
sieben Jahre lang im KZ gesessen hatte. Diese Erklärung prallte an der
deutschen Bevölkerung, aber auch an den evangelischen Kirchengemeinden völlig
ab. Sie widersprach der Erfahrung, die sie gemacht hatten. Diese lautete im
Herbst 1945: Nicht „durch uns“, sondern „über uns“ ist unendliches Leid gekommen.
[64]
Katharinenpfarrer Stange kommentierte die Reisen, die Niemöller unternahm, um
in Kirchen und Hörsälen die Stuttgarter Erklärung zu erläutern, es dürfe jetzt
bei der Jugend nichts falsch gemacht und „nicht noch mehr verbaut werden, als
es Niemöller durch seine merkwürdigen Reden fortlaufend tut.“ [65]
Kategorisierung der Pfarrerschaft
In der Landeskirche wurde die Entnazifizierung von einer
Entnazifizierungskommission durchgeführt, die vom Pfarrer Hans Buttler[66]
in Alvesse geleitet wurde, der wegen einer beiläufigen Bemerkung sieben Jahre
lang im KZ Dachau gesessen hatte. Zum Quellenbestand im Landeskirchlichen
Archiv stellt Hans Erich Pollmann in seiner grundlegenden Darstellung vornehm
fest, dass die Einzelfälle „sehr unterschiedlich dokumentiert“ seien. Ein Teil
der Unterlagen sei bei der Rückgabe aus der Hand der Militärregierung an die
Spruchkammer verloren gegangen, „außerdem ist der Bestand nachträglich im
Landeskirchenamt umgeordnet worden, was die Nachprüfung seiner Vollständigkeit
erheblich erschwert.“[67]
Die Pfarrer wurden in die Kategorien V: entlastet, IV: nominelle
Naziunterstützer und III: eifrige Naziunterstützer eingeteilt. Nur die
Kategorie III hatte ernste berufliche und persönliche Konsequenzen. Alle
Parteimitglieder und DC Mitglieder wurden automatisch in die Kategorie IV
eingereiht. Das traf für eine Reihe von Braunschweiger Pfarrern zu, die sich
teilweise dagegen wehrten und in die Kategorie „entlastet“ eingereiht zu werden
wünschten. Aber die Ergebnisse der Entnazifizierungskommission wurden nicht
veröffentlicht, der pfarramtliche Betrieb konnte wie bisher weitergehen.
Kategorie IV ging gegen die „Berufsehre“, und vor allem gegen das nach außen
getragene aufgeblähte Bewusstsein vom Widerstand.
Während die Entnazifizierungskommission nach den Richtlinien
der Alliierten die Pfarrerschaft nach Partei- und DC - Zugehörigkeit
beurteilte, war für Otto Jürgens die Predigt das entscheidende Kriteríum. Als
er im Laufe des Entnazifizierungsverfahrens nach seiner Einschätzung des
Kollegen Walter Staats gefragt wurde, erwiderte er: „Natürlich hat er (Staats)
wie wir alle mit wenigen Ausnahmen nicht nazistisch gepredigt“.[68]
Waren für Jürgens die Pfarrer Schlott, v. Wernsdorff und Koenig die „wenigen
Ausnahmen“ in der Stadt gewesen? Was war aus ihnen geworden? Schlott war
kurzfristig interniert worden und wurde vom Landeskirchenamt gedrängt, seine
Pensionierung einzureichen. Schlott wurde im Oktober 1945 67 Jahre alt und
konnte sich „ohne Gesichtsverlust“ pensionieren lassen. Schlott wollte aber nicht,
amüsierte sich vielmehr über die große Zahl derer, die nun alles abstritten und
vergessen hatten. Schlott blieb sich ideologisch treu, richtiger wohl:
uneinsichtig, blieb sogar in der Gemeinde bis kurz vor seinem Tode wohnen. v.
Wernsdorff wurde in die Kategorie III („Förderer des Nationalsozialismus“
eingestuft), was Entlassung und Sperrung des Kontos bedeutete. Später wurde
seine Kategorisierung III zwar mit der Begründung seiner „schweren politischen
Belastung als führender Deutscher Christ in der Stadt Braunschweig“ [69]
bestätigt, aber eine Beschäftigung zugelassen. Er war für einige Monate nach
Frankreich als Pfarrer bei den deutschen Kriegsgefangenen abgeordnet, kehrte
aber im selben Jahr noch in seine Dorfgemeinde Gr. Biewende zurück und kehrte
Anfang der 50er Jahre sogar nach Braunschweig und zwar an die Michaeliskirche
zurück. Eine Entnazifizierungsakte von Pfarrer Koenig liegt nicht vor. Die
Strategie des Landeskirchenamtes während der Verfahren war es, durch Versetzung
die belasteten Pfarrer weiter zu beschäftigen. Die davon betroffenen
Kirchengemeinden waren dabei nicht im Blick. Es hätte auch ein Kolloquium oder
ein Lehrgespräch nahe gelegen, z.B. über die systemstabilisierenden Predigten
während des Krieges von Henneberger und Herdieckerhoff? Waren die oben
zitierten Gebete zu allen Kirchenjahreszeiten und für die Wehrmachtsteile schon
so verinnerlicht und dem Zeitgefühl angepasst, dass sie selbstverständlich und
alltäglich geworden waren und keine Fragen, auch nicht später, aufwarfen? War
die Vereidigung auf die Person Hitler und seine Gesetze am 20. April 1938 mit
dem Tod Hitlers erledigt, obwohl zahllose Gesetze weiterbestanden? Es ist
schwer einzuschätzen, ob diese Fragen gar nicht gestellt wurden, oder verdrängt
wurden oder ein uneingestandenes schlechtes Gewissen der Kirche den Mund
verschloss. Was bedeutete es für die Glaubwürdigkeit der Kirche, wenn sie
sonntags die Erlösung der Welt predigte, aber alltags verstummte über der viel
geringeren Frage der eigenen Mitverantwortung und Miteinbindung in das
Unrechtssystem des nationalsozialistischen Braunschweig?
12 Jahre nach 12 Jahren Hitlerzeit schrieb
Hans Zehrer in der „Welt“ über jene Generation: „Sie trägt die Geschichte, die
erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in sich und mit sich herum und ihr Leben und
ihr Wesen kann nur erlöst werden, wenn diese Geschichte zugleich erlöst, das
heißt aufgearbeitet, gedeutet und auf ihren Sinn hin untersucht wird. Diese
Generation trägt den Schlüssel mit sich herum, der die Türen aufschließt, die
in den Hintergrund und Untergrund der Geschichte führen. Aber sie hat ihn tief
in den Falten ihres Wesens vergraben. Denn der Schlüssel schließt nur, wenn man
zuvor durch das Joch der eigenen Schuld gegangen ist.“[70]
Der Abschied von Propst Hans Leistikow
Propst Leistikow verabschiedete sich im
Gottesdienst am 28. Oktober 1945 von seiner Martin Luther Gemeinde und führte
zugleich als seinen Nachfolger seinen Bekannten und Freund Pfarrer Hans Damrow
ein, der aus seiner Königsberger Gemeinde geflüchtet war.[71]
Leistikow sprach in seiner Predigt etwas geheimnisvoll davon, dass er
„hinausgesetzt“ werde, aber er zerstreute alle politischen Bedenken, indem er
hinzufügte, er werde von Gott selber aus dieser Arbeit herausgeführt.[72]
Leistikow ging formell aus Krankheitsgründen
in die Dorfgemeinde Semmenstedt, war jedoch wegen des Konzeptes des
strukturellen, partnerschaftlichen Nebeneinanders von Propstei und
Nationalsozialisten aus der Sicht der Besatzungsmächte auf die Dauer als Propst
nicht haltbar. Die Gemeinde hätte ihn sehr gerne behalten.
Leistikow hinterließ der Gemeinde
folgendes interessante Projekt. Leistikow war in den letzten Jahren wiederholt
gesundheitlich schwer erkrankt und hatte 1941 sogar das Landeskirchenamt
gebeten, ihn vom Propstamt abzulösen. Leistikow erlebte eine gesundheitliche
Wende durch den Aufenthalt in der Kurklinik von Rudolf Jost bei Stapelburg im
Harz. Dort hatten Vater und Sohn Just auf einem großen Gelände eine Kurklinik
auf Naturheilkundebasis errichtet und nach den Prinzipien Luft, Wasser, Licht
und Lehm ein Kurkonzept entwickelt, das in ganz Deutschland bekannt wurde und
von Kurgästen überlaufen war. Nach dem Kriege wurde die ganze Anlage mit seinen
Häusern und Gartenanlagen von den Grenztruppen der DDR abgerissen, weil es im
Sperrgebiet lag. Leistikow plante nun seit Mai 1945 eine Art Gesundheitshaus
auf dem Gelände seiner Martin Luther Gemeinde, das nach ähnlichen Prinzipien
arbeiten sollte. Es genüge nicht, den Menschen seelisch zu gesunden, sondern
dieser müsse auch lernen können, durch Umstellung seiner Lebens- und
Essgewohnheiten körperlich wieder fit zu werden. Leistikow stellte dieses
Projekt seiner Gemeinde vor, und diese war davon so begeistert, dass innerhalb
weniger Wochen 80.000 RM gesammelt worden waren. Mit dem Weggang von Leistikow
aus Braunschweig versandete dieses Vorhaben, zumal die Währungsreform die
angesparte Summe zusammenschmelzen ließ. Nicht auszudenken, wenn die Propstei
Braunschweig heutzutage über eine eingespielte Kurklinik mit dem Konzept einer
ganzheitlichen Leib/Seelsorge verfügen könnte.[73]
Propst Otto Jürgens
Johannispfarrer Otto Jürgens wurde Anfang
1946 Leistikows Nachfolger im Propstamt, obwohl er wie Leistikow das Konzept
der kirchlichen Mitte mit der Mehrheit der Braunschweiger Pfarrer verfolgt hatte.
Da Jürgens aber kein leitendes Amt bekleidet hatte, blieben seine
Parteimitgliedschaft, die Kandidatur für die Deutschen Christen 1933 und eben
späterhin die strukturelle Einbindung in den Nationalsozialismus als Konzept
der kirchlichen Mitte ohne Folgen. Jürgens war weit und breit unter den
Braunschweiger Stadtpfarrern auch der einzige, der für dieses Amt in Frage kam.
Er war gebürtiger Braunschweiger, 1945 50 Jahre alt, hatte als einzige
Pfarrstelle seit 20 Jahren die von Johannis innegehabt; er kannte die Stadt und
ihre Kirchen und ihre jüngste Vergangenheit. Außerdem ging für ihn mit dem
Propstamt ein persönlicher Wunsch in Erfüllung, das er sich schon 1933 erhofft
hatte, jedoch Wagner gewählt worden war und dann noch einmal 1935, aber
Leistikow gewählt worden war. Nun war es endlich so weit für Otto Jürgens.
Außerdem verstand er sich gut mit dem Personalreferenten OLKR Röpke, der sich
in der Kirchenbehörde trotz allerlei politischer Belastungen behaupten konnte.
Das waren ideale Voraussetzungen für Erwerb und Ausübung des Braunschweiger
Propstamtes. Theologisch fühlte sich Otto Jürgens bis 1933 den Liberalen
verbunden, verfasste auch manche Artikel in deren Zeitschrift „Der Freie
Christenglaube“, war aber nach 1945 in das Lager der gemäßigten Lutheraner
hinübergeschwenkt und vertrat die Landeskirche auch in der Synode der
Vereinigten Ev. Luth. Kirche (VELKD).[74]
Die Verwaltungsstelle der Propstei, das Stadtkirchenamt in
der Adolfstraße lag ganz in der Nähe des Dienstzimmers in der Johanniskirche.
Otto Jürgens fasste die Reorganisation der Geschäfte in der Propstei energisch
an. Schon zum Sommer 1946 wurde erstmals seit neun Jahren wieder ein
Stadtkirchentag einberufen. Dazu sandten die Gemeinden außer den Pfarrern zwei
Abgeordnete, die großen Innenstadtgemeinden Johannis, Magni, Michaelis vier und
die sehr große Pauligemeinde sechs Abgeordnete. In der Sitzung am 12. Juli 1946
wurden zum Vorsitzenden des Stadtkirchentages Dr. Vermeil und Pfarrer Wilhelm
Freise gewählt sowie die Mitglieder des Stadtkirchenausschusses, dessen Vorsitz
Propst Jürgens übernahm. Am 30. April und 28. Oktober 1947 folgten die nächsten
nunmehr turnusmäßigen Tagungen des Stadtkirchentages mit den üblichen
Regularien, wie Berichten und Anträgen.
Die nächsten Probleme
Ein Blick auf die Konfessionsstatistik
jener Zeit signalisiert folgende Fragestellungen: die Stadtbevölkerung war seit 1939 um 7.000 Personen
gesunken. Sie betrug 1939 189.628 Personen und 1946 182. 062. Sie schwoll aber
bis 1950 auf 223.760 Personen an, was die enorme Wohnungsnot in der Stadt
andeutet. Entsprechend war der Anteil der evangelischen Bevölkerung im selben
Zeitraum um 5.000 Gemeindemitglieder gesunken. Sie betrug 1939 135.110 und 1946
129.811 Gemeindemitglieder, stieg aber bis 1950 auf 150.378 Gemeindemitglieder.
Die Vermehrung um ca 20.000 Mitglieder bedeutete eine erhebliche Zunahme der
Gemeindemitgliederzahlen in den einzelnen Gemeinden, vor allem am Rande der
Stadt und erklärt die Zunahme z.B. der Taufzahlen. Sie entsprach der Anzahl der
in Braunschweig nun niedergelassenen evangelischen Flüchtlinge.[75]
Der prozentuale Anteil an der Gesamtbevölkerung sank aber von 71,3 % (1933 und
1946) auf 67,2 %.[76]
Dagegen war die Anzahl der katholischen
Gemeindemitglieder von 15.281 im Jahr 1939 und 21.559 1946 auf 30.671 Mitglieder
1950 gestiegen. Damit stellte sich die Frage, ob und wie eine vernünftige und
geistliche Nachbarschaft zwischen beiden Kirchen gestaltet werden könnte. Ein
anderes Miteinander erschien statistisch noch dringlicher. Es gab 1950 sehr
viel mehr Dissidenten in der Stadt als Katholiken, nämlich 42.666 Dissidenten.
Ihr prozentualer Anteil von 19,1 % übertraf den des katholischen
Bevölkerungsanteils, der 13,7 % betrug. Wie also würde sich das Verhältnis der
evangelischen Stadtpfarrerschaft zu der erheblichen Gruppe der Dissidenten
gestalten. Warteten beide Kirchen in der Hoffnung auf ein christliches
Westdeutschland, womöglich christliches Westeuropa auf eine „reumütige“
Rückkehr? Sollten sich die Illusionen des Jahres 1933 wiederholen, die von
einem Deutschland des positiven Christentums träumten?