Die Deutschen Christen (DC) in der Stadt Braunschweig
In dieser furchtbaren Gemengelage des militanten Staates von
öffentlichem Staatsterror und heiteren Massenfesten wuchs die „Glaubensbewegung
Deutsche Christen“ heran. Für heutige Zeitgenossen muss erklärt werden, dass
der Name „Deutsche Christen“ sich weniger als Gegensatz zu französischen,
englischen, italienischen oder spanischen Christen verstand, sondern als
Hervorhebung des Deutschtums zur Leitkultur für Welt und Glaube.
Entstehung der Deutschen Christen in Preußen und die Richtlinien von
Pfarrer Hossenfelder[1]
Der Name „Deutsche Christen“ soll von Hitler selber stammen,
aber das scheint mehr eine nützliche Legende zu sein.[2]
Idee und erste Organisation jedoch stammte tatsächlich von einem Politiker,
nämlich vom Fraktionsführer der NSDAP im preußischen Landtag Wilhelm Kube.
Diesen Geruch des Politischen wurden die Deutschen Christen (DC) nicht mehr
los. Kube wollte den Einflussbereich der NSDAP auf die Kirche ausdehnen und
schlug vor, eine Kirchenpartei zu gründen, die bei den Kirchenwahlen in Preußen
im Herbst 1932 antreten sollte. Er fand den Berliner Pfarrer Joachim
Hossenfelder als Sympathisanten und Mitgestalter, der einige Richtlinien
entwarf und sie von der ns. Partei genehmigen ließ.
Diese Gründung der DC in Berlin und die Hossenfelderschen
Richtlinien zur dortigen Kirchenwahl 1932 wurden auch in Braunschweig bekannt.
Der Redakteur M(inkner) veröffentlichte sie im Braunschweiger Volksblatt
auszugsweise.[3]
Als Wahlkampfziele wurden genannt: die Zentralisierung der 29 Landeskirchen zu
einer Reichskirche (1), das Eintreten für positives Christentum, artgemäßen
Glauben und heldische Frömmigkeit (4), für entschiedenen Kampf gegen „den
gottfeindlichen Marxismus“, die Innere Mission müsse „Schutz des Volkes vor
Untüchtigem und Minderwertigem“ bieten“ (8), die Judenmission sei eine „schwere
Gefahr“. Die Richtlinien nannten als weitere Ziele die Schaffung einer
„lebendigen Volkskirche“ ohne Kirchenparteien (3.), Ehen zwischen Deutschen und
Juden müssten verboten werden (9), verderbliche Erscheinungen wie Pazifismus,
Internationale, Freimaurertum seien durch den Glauben an unsere von Gott
gegebene völkische Sendung (zu) überwinden“ (10.)
Mit diesen Richtlinien war deutlich, dass die Deutschen
Christen eine völlig nazifizierte zentrale Reichskirche wollten. Das Schlagwort
vom „positiven Christentum“ war dem Parteiprogramm der NSDAP entnommen und
rückte mit den Begriffen artgemäßes Christentum und heldische Frömmigkeit die
DC in die Nähe der Deutschkirche. Der Redakteur nannte diese Richtlinien
„unklar“, das Verbot der Judenmission hingegen „bedeutsam“. Dass derart
hochpolitische Texte mit antidemokratischen, antisemitischem,
antisozialistischen und völkischem Charakter in Braunschweig vorstellbar
wurden, zeigte einen beträchtlichen Stimmungsumschwung in der im Grunde
liberalen Pfarrer- und Leserschaft des Braunschweiger Volksblattes.
Trotz der sehr kurzen Vorbereitungszeit kandidierte die
Glaubensbewegung Deutsche Christen in allen preußischen Provinzialkirchen und
erzielt im Herbst 1932 in einzelnen preußischen Kirchenprovinzen nicht
unerhebliche Stimmengewinne, in den östlichen Kirchenprovinzialkirchen
Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Brandenburg mehr als im Westen (Rheinland,
Westfalen). Man schätzt etwa ein Drittel aller Sitze in den Synoden.
Die Wurzeln der Deutschen Christen
Aber die Deutschen Christen kamen nicht vom Himmel gefallen.
Sie hatten weit zurückliegende Wurzeln.
Eine von ihnen war Ernst Moritz Arndt (1769-1860). Arndt
kämpfte gegen den von der französischen Revolution ausgelösten Säkularismus,
und zur Zeit der Freiheitskriege für ein befreites Preußen, propagierte ein
germanisch-christliches Volksideal und eine konfessionsfreie christliche
Nationalkirche. Er verband diese Idee mit persönlicher Frömmigkeit, die in
zahlreichen bekannten Liedern ihren Ausdruck fanden. Einige wurden 1902 in das
Braunschweiger Gesangbuch aufgenommen, einige weitere in den Gesangbuchanhang
1939. Von Arndt stammte das vielzitierte Gedicht: „Deutsche Freiheit. Deutscher
Gott/ Deutscher Glaube ohne Spott/ Deutsches Herz und Deutscher Stahl/ sind
vier Helden allzumal“. Die Deutschen Christen verstanden sich in einer
ähnlichen Abwehrfront gegen den, wie sie meinten, von der Demokratie
verursachten Säkularismus der Weimarer Republik sowie gegen das „Joch
Frankreichs“ in Form von Reparationszahlungen. Wie Arndt wollten sie
Patriotismus und Pietismus miteinander verbinden
Eine andere Wurzel war der Entwurf des Oberkirchenrates und
Berliner Professors Friedrich Julius Stahl (1802-1861) von einer christlichen
Obrigkeit über ein christliches Volk.[4]
Stahl war Monarchist, Mitbegründer der konservativen Partei und hatte mit
seiner christlichen Staatsidee großen Einfluss auf das konfessionalistische
orthodoxe Luthertum seiner Zeit. Die Deutschen Christen verstanden die
autoritäre Regierung Hitlers als Errichtung eines auf den christlichen
Konfessionen gegründeten christlichen Obrigkeitsstaates, dem die
Verchristlichung des deutschen Volkes durch Volksmission folgen müsste.
Der sich nach der Reichsgründung von 1871 herausbildende
sog. Nationalprotestantismus maß der Nation und der Reichsidee einen fast
religiösen Stellenwert zu. Deutschland hatte „Ewigkeitswert“, das „ewige
Deutschland“ war später der Titel des jährlich vom Westermannverlag in
Braunschweig herausgegebenen Hausbuches. Die Deutschen Christen nahmen diese
Idee auf und propagierten die Nation als Heilsgut, für das man sich opfern
müsse. „Deutschland“ wurde zu einer Ikone. „Deutschland muss leben, auch wenn wir
sterben müssen“. Damit knüpften sie an Denkweisen aus dem 1. Weltkrieg an.
Vor allem war die von der evangelischen Kirche völlig
verdrängte Mitschuld des kaiserlichen Deutschland am Zustandekommen des 1.
Weltkrieges und die unerwartete Niederlage ein drängendes Motiv für die
Deutschen Christen, durch fanatischen Glauben an Heldentum, Sieg und Größe die
Schuld und Niederlage zu beseitigen.
Nach dem 1. Weltkrieg waren zahlreiche völkische
Gruppierungen entstanden, die unterschiedlich religiös oder christlich
eingefärbt waren. Eine der größeren war die „Deutschkirche“, die die Bibel von
allem – wie sie meinten - „fremden“ Einfluss reinigen wollte. Das lief darauf
hinaus, die Bibel als Grundlage der Kirche völlig zu beseitigen, denn sie
gründet auf der jüdischen und griechischen und eben nicht einer arischen
Kultur. Die Deutschkirchler verbogen die Bibeltexte und deuteten sie
„germanisch-nordisch“ um. Das verquere Verhältnis der Deutschen Christen zum
Alten Testament rührt von dieser völkischen Agitation.
Diese völkischen Gruppen waren insbesondere angeregt worden
durch ein weit verbreitetes Werk von Houston Chamberlain (1855 - 1927) „Die
Grundlagen des 19. Jahrhunderts“, 1907 achte Auflage, von dem es in der 1.
Auflage des Lexikons „Religion in Geschichte und Gegenwart“ Bd 1909 hieß: „Was
aber das Buch auch für Theologie und Kirche bedeutsam macht, ist seine ganz
originelle Verbindung des Rassegedankens mit der Religion“.[5]
Die katholische Kirche wäre rassisch gesehen ein Mischmasch, die Erscheinung
Christi müsse jedoch auf seine heidnisch-arischen Wurzeln zurückgeführt werden.
Die später sogar von neutestamentlichen deutsch-christlichen Professoren
behauptete, „arische Herkunft“ Jesu hat hier ihre verworrenen Wurzeln.
Noch weitere Wurzeln wären zu nennen, diese jedoch reichen
aus, um zu verstehen, dass die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ keine
Neuerscheinung in der evangelischen Kirche war. Prägend war die hautenge,
völlig unkritische, bedingungslose Verbindung mit der Person und Partei Hitlers
und eine „rückhaltlosen“ Gefolgschaft.[6]
So ist es nicht verwunderlich, dass Pfarrer, die sich weit
vor 1933 für Hitler begeisterten, die ersten Deutschen Christen in der Stadt
Braunschweig wurden. Ihr Wortführer wurde Johannes Schlott, Pfarrer an St.
Katharinen.
Johannes Schlott
Johannes Schlott (1878-1953), war einer der ersten, der
kirchenpolitisch und auch parteipolitisch hervortrat.[7]
Er war 1933 bereits 55 Jahre, seit 1911 Pfarrer an der Katharinenkirche.
Schlotts Vater war Direktor der Taubstummenanstalt auf der Charlottenhöhe, und
von ihm hatte der Sohn eine ausgeprägte soziale Ader. Johannes Schlott wuchs in einem frommen Elternhaus auf. Der Vater
Gustav Schlott wäre ein „Mann tief innerlicher Frömmigkeit“ gewesen „Er lebte
in der Liebe seines Gottes und Heilandes, und mit warmen Herzen umfasste er
alle, die sich zu derselben Liebe bekannten.“, berichtet ein Zeitgenosse, der
Pfarrer an der Paulikirche Hermann Lagershausen. Gustav Schlott nahm lebhaften
Anteil am kirchlichen Leben und wurde Mitglied der verfassungsgebenden Synode
1920. In der Atmosphäre dieses frommen und engagierten Elternhauses erwachte
beim Sohn der Wunsch, Theologie zu studieren. Seine Vorbilder waren A. H.
Francke in Halle, J.F. Oberlin in Steinertal und Friedrich v. Bodelschwingh in
Bethel, also weniger die großen theologischen Vordenker, sondern die Praktiker
in der Verkündigung. Das war ganz nach dem Geschmack seines Vaters, dem „der
Streit um theologische Begriffe und Formeln ganz und gar zuwider war“, so
Lagershausen. Schlott wurde nach dem Studium Seemannspfarrer in Glasgow in
Schottland und bewarb sich 1911 um die Pfarrstelle von St. Katharinen, da sein
Vater nun schon 60 Jahre alt geworden war.
Schlott
stürzte sich in die Gemeindearbeit und trieb Volksmission. So wie Seeleute im
Hafen der
Seemannsmission
bedurften, so brauchte das städtische Publikum in Braunschweig, das zwar
seine
Kirchensteuer bezahlt, aber dem kirchlichen Leben entfremdet war, dass die
Kirche zu
ihnen
hinginge. Die Liebe zur Mission verband sich bei Schlott mit einer sichtlichen
Hinwendung zu den sozial Schwächeren. Die Arbeitslosen in den bedrückenden
innerstädtischen Wohnverhältnissen zwischen Wollmarkt und Hagenmarkt standen
ihm näher als das Großbürgertum an der Kaiser Wilhelm Straße oder um den
Domplatz.
„Darauf
kommt es im ganzen Leben an“, schrieb Schlott in einer Andacht, „daß wir uns in
die
Not
des andern ganz vertiefen, geradezu hineinknieen, den andern vor scheinbar
unmögliche
Aufgaben
stellen, ihm zu eigner Tätigkeit Mut machen, zu eigner Verantwortung anspornen,
ihn
auf diese Weise von seiner Not erlösen.. Das hat Christus gewollt. Das ist der
Sinn des
Christentums“.
Schlott
gab einen Gemeindebrief für Katharinen heraus, dessen Kopf er möglicherweise
selber
entworfen
hat. Die beiden Katharinentürme geben den Rahmen ab. „Mächtig schallen vom
freien,
gotischen Glockenhaus die uralten Glocken: Das Leben ist dennoch ein Fest. Wir
gehören
der Ewigkeit an“, schrieb er in der Erklärung. Neben den Katharinentürmen die
Lutherrose,
darüber in Braunschweiger Platt „ Nich nalaten“ und das Symbol der Hl.
Katharina,
das
Rad, auf dem sie gefoltert wurde und das - so die Legende - bei der Folter wie
durch ein
Wunder
zerbrach, mit den Worten: „Nun grade“. [8]
In der Mitte neigt sich eine Mutter über ihren gefallenen Sohn. „So hat Gott
die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab..“ zitiert Schlott das
Johannesevangelium. Schlott überschrieb die Seite 1 des Gemeindebriefes mit
einem biblischen Wort in Braunschweiger Platt ein: so etwa die Seligpreisungen
aus Mt. 5: „Heil däne Minschen, dä bi eer Daun infältig met een reinen Harten
nich na eeren Erfolg und dä Lüe Gunsten schulen deiht. Da schallt noch mal deep
in use Herrgott sin Ooge kieken.“[9]
„Heil däne Minschen, dä sick mett ehren Herrgott dorch Dick und Dünn gahn un
sick darüm schurigeln laten.; dä hebbt den Herrgott in hogen Himmel taun besten
Frünn.“ [10]
Selten
legte Schlott einen biblischen Text aus, sondern knüpfte an Sprüche und
Alltagsweisheiten an „Lat dich nich verblüffen. Sieh aufs Ganze“. Schlott
erzählte gern, erfand Geschichten und Personen und gab ihnen lustige,
bezeichnende Namen: Heinrich Plüntje und Jochen Brehmke waren zwei radelnde
Jungen am Rhein. Sanitätsrat Querbaum war immer da, wenn man ihn rief. Pennäler
Strebermann war eben ein Streber, wie der Name sagt. Schlott schrieb so, wie
man auf dem Hagenmarkt und in den engen Gassen um den Wollmarkt redete und sich
stritt und sich freute. Es waren Geschichten vom Großvater, vom alten Kantor,
von der vollen Kinderstube, vom Bauern Griebenkerl, dessen Ernte abgebrannt
war, von den
Konfirmanden
Stübbenjochen und Laura Hilleke, die sich Papierkugeln während des
Erntedankgottesdienstes
zuwarfen, Geschichten von benachteiligten und gekränkten Menschen,
aus
denen aber ein im Grunde fröhliches Gemüt des erzählenden Schlott sprach: „Wir
Norddeutschen,
deren Lebensernst sprichwörtlich ist, haben drei große Lacher hervorgebracht:
Fritz
Reuter, Wilhelm Busch, Wilhelm Raabe.. sie sind sich des Sieges des Guten
bewußt..sie
haben
die Not unter sich getreten..Sie wissen einen Gott im Himmel, der lachet derer,
die die
Not
schaffen oder an ihr vorübergehen... Sie aber schaffen lachend gegen alle Not
des Leibes
und
der Seele. Gott geht mit ihnen und gibt ihnen Kraft zum Schaffen, Kämpfen und
Lachen.“[11]
Evangelium hieß für Schlott „die Kunde von der bewussten Lebensfreude“.
Schlott
trat energisch für den Sonntag als Feiertag ein. „Das ist die Not in unserer
Zeit, dass die Menschen gar nicht mehr wissen, was sie von einem Sonntagmorgen
mit Gemeindegottesdienst haben könnten, was solch ein regelmäßiger Kirchgang am
Sonntagmorgen für Familie, Gemeinde und Volk bedeutet...Wenn unser
Sonntagmorgen der Zeitung gehört, dann können wir keine Glaubensgemeinschaft
miteinander haben, dann haben wir aber auch keine Volksgemeinschaft“.[12]
In
den Andachten finden sich unmissverständliche, behältliche biblische
Einsichten, die manchen gewiss den Weg zum Glauben geebnet haben: „Der Abschied
tut weh. Trotzdem: Sieh aufs Ganze. Einen Tod sind wir alle dem Leben schuldig.
Wer aufs Ganze sieht, wird dankbar gegen Gott. Danket dem Herr, denn er ist
freundlich. Alles Übel ist nur dazu da, dass wir seine Herrlichkeit schauen
lernen. Seine Gnade allein ist unser Leben.“[13]
Schlott war in Braunschweig ein nicht zu Unrecht eben wegen seiner erkennbaren,
praktischen Frömmigkeit außerordentlich volkstümlicher Pfarrer, um den sich
schon zu Lebzeiten zahlreiche, auch krause Anekdoten rankten.
Diese
volkstümliche Frömmigkeit verband sich in einer extrem widersprüchlichen Weise
schon
ziemlich früh mit dem Nationalsozialismus und mündete in gewalttätige Formen.
Schlott wurde schon 1924 zu einem Anhänger Adolf Hitlers, dessen Person ihn
sein ganzes Leben lang faszinierte. „Bereits 1924 stand mein Herz bei unserm
Führer Adolf Hitler“, schrieb Schlott später. Hitler war für
Schlott
der Erfinder des sog. „positiven Christentums“, so stand es im § 24 des
nationalsozialistischen
Parteiprogramms.
Endlich also, so Schlott, eine christliche Partei, jedenfalls eine Partei, die
das Christliche
anders
als alle andere Parteien, auch die konservativen DNVP und DVP, wortwörtlich in
ihr
Parteiprogramm
aufgenommen hatte. „Hitler hält deutsches Christentum aufrecht“, annoncierte
Schlott vor
der
Reichspräsidentenwahl 1932 in der BTZ.[14]
Immer wieder verband Schlott biblische Texte mit der Person Hitlers. Eine
Betrachtung des Psalmwortes „Der Herr im Himmel lachet ihrer“ (Psalm, 2,4)
beendete er mit der Bemerkung, „so gehe auch Adolf Hitler ruhig und sicher
durch die Welt mit seinem unbezwingbaren Glauben. Und noch 1939 schrieb er im
Gemeindeblatt seiner Kirchengemeinde Lehndorf:
„Hitler
ist der echteste Christ, den es heute gibt.“
Im
Februar 1932 trat Schlott in die NSDAP ein[15]
und unterzeichnete seine Andachten in der nationalsozialistischen Lokalpresse,
der Braunschweiger Tageszeitung, mit dem Kürzel PG, Parteigenosse Schlott.
Schlott nahm die Organisation der Deutschen Christen im Lande Braunschweig in
die Hand.
Es kam den Deutschen Christen entgegen, dass sich die
Stadtpfarrerschaft in dieser Zeit erheblich verjüngte, eine junge politische
Bewegung also auf eine sich verjüngende Stadtpfarrerschaft traf.
Erich Schweckendiek,[16]
54 Jahre alt, verließ die Magnikirche in Richtung Berlin, und für ihn kam 1933
der 37jährige Wilhelm Rauls[17].
Für den 71jährigen Carl Kausche, der 39 Jahre lang an der Brüdernkirche gewesen
war, kam der 31jährige Alfred Wagner.[18]
Für den 65jährigen Franz Kühnhold, der seit 1906 an der Martinikirche amtierte,
wurde 1933 der 38 jährige Hermann Grüner[19]
gewählt.
Die Braunschweiger Stadtpfarrerschaft erlebte also einen erheblichen
Personalwechsel und hatte sich beträchtlich verjüngt.
In Berlin fand vom 3.-5. April 1933 die erste Reichstagung
der Deutschen Christen statt.[20]
Der Einfluss der NSDAP war unübersehbar. Noch während der Tagung berichtete die
BTZ unter der Überschrift mit der bezeichnenden Reihenfolge „Hakenkreuz und
Christuskreuz“ von den Referaten. Man wolle „die deutsche Revolution im Sinne
Martin Luthers auch im 20. Jahrhundert voranbringen“, lautete das weitgespannte
Ziel des Mitbegründers und inzwischen zum Oberpräsidenten avancierten Kube. [21]
Am Ende der Tagung wurden folgenden Grundsätze beschlossen, die auch im
Braunschweiger Volksblatt veröffentlicht wurden: „Gott hat mich als Deutscher
geschaffen. Deutschtum ist Geschenk Gottes. Gott will, dass ich für mein
Deutschland kämpfe. Kriegsdienst ist in keinem Falle Vergewaltigung des
christlichen Gewissens, sondern Gehorsam gegen Gott. Der Gläubige hat einem
Staat gegenüber, der die Mächte der Finsternis fördert, das Recht der
Revolution; dieses Recht hat er auch einer Kirchenbehörde gegenüber, die die
nationale Erhebung nicht vorbehaltlos anerkennt. Die Kirche ist für einen
Deutschen die Gemeinschaft von Gläubigen, die zum Kampf für ein christliches
Deutschland verpflichtet ist. Das Ziel der Glaubensbewegung Deutsche Christen
ist eine evangelische deutsche Reichskirche. Der Staat Adolf Hitlers ruft nach
der Kirche; die Kirche hat diesen Ruf zu hören.“[22]
Der entscheidende Satz war die Erlaubnis, revolutionär auf die jeweilige
Kirchenleitung einzuwirken.[23]
Die BTZ referierte ausführlich auch über eine
Rundfunkansprache von Pfarrer Hossenfelder vom Vortag der Tagung, in der er die
weltanschaulichen Grundlagen der Glaubensbewegung ausbreitete. „Gott spricht in
Rasse und Volkstum eine gewaltige Sprache. Das sichtbare Zeichen des
Evangeliums ist und bleibt das Kreuz von Golgatha. Wie es das Siegeszeichen der
ersten Christen war, so werden unter ihm auch die deutschen Christen des
Dritten Reiches die dämonischen Kräfte des Liberalismus und des
Untermenschentums überwinden. Mit dem Evangelium reißen wir unser Volk vom
Abgrund mit dem Führer, den Gott geschenkt hat. Deutsches Volk, Volk Adolf
Hitlers, höre des Herrn Wort: Sei fromm und deutsch, so wird der lebendige
Gott deinen Kindern wieder das tägliche Brot für diese und die andere Welt
geben. Das walte Gott.“[24]
Den Liberalismus, dem die Theologie bleibende Erkenntnisse
verdankt, auf dämonische Kräfte zurückzuführen, verriet geringe theologische
Kenntniss. Die Zusammenstellung von Liberalismus und Untermenschentum, mit dem
vermutlich die politische Linke gemeint war, war peinlich. Hossenfelder scherte
damit für jedes ernsthafte theologische Gespräch aus, und doch blieb er die
nächsten Monate der führende Mann der Deutschen Christen. Besonders glitschig
machten sich in diesem theologischen Brei die frommen Versatzstücke wie „das
Kreuz von Golgatha“, „das Evangelium“, aber sie wirkten auf für Kitsch
empfängliche Amtsbrüder anziehend.
Hossenfelder beendete die Tagung mit einem Sieg Heil auf
Hitler, das Dritte Reich und – die Kirche.[25]
Die Deutschen Christen in der Stadt Braunschweig[26]
Im April 1933 wurde Schlott von der Berliner Zentrale zum
Gauleiter der Deutschen Christen in der Landeskirche ernannt[27].
Als solcher verteilte er die von Pfarrer Joachim Hossenfelder formulierten
Richtlinien und warb für die „Glaubensbewegung“. Aber diese Richtlinien
enthielten einige Forderungen in Hinblick auf die preußischen Kirchenwahlen und
waren damit ab Ende 1932 überholt. Sie waren einigen in der Glaubensbewegung
auch zu offensichtlich nazistisch, auch die Ausführungen über die Innere
Mission stießen nicht wenige ab. Im Mai 1933 wurden daher unter der
Federführung des Tübinger Theologieprofessors Fezer neue Grundsätze formuliert
und verbreitet. Die wurden im Jakobigemeindebrief von Pastor Kalberlah
veröffentlicht. Sie waren wesentlich gemäßigter. Es fehlten alle oben genannten
nazistischen Vorstellungen und rückte die Glaubensbewegung sichtlich von der
NSDAP ab. Selbst die Zentralisierung der Landeskirchen solle „bei pietätvoller
Wahrung geschichtlich begründeter Sonderrechte“ geschehen. Die Grundsätze
betonten ausdrücklich die Stellung der Gemeinde, nämlich Gemeindeverbundenheit
bei der Ausbildung der Pfarrer, „wir verpflichten uns ..zum Dienst in unseren
Gemeinden“ (7), hieß es später. Sonntagsheiligung (7), christliche Erziehung
(6), Ausbau christlicher Liebestätigkeit (5) im Sinne Joh. Heinrich Wicherns
(3) standen im Vordergrund. Pastor Kalberlah schrieb daher begeistert im
Gemeindebrief „Im Sinne und Geiste dieser Glaubensbewegung ist schon seit
Bestehen der Jakobigemeinde bei uns gearbeitet worden“[28].
Das war der Begeisterung wohl etwas viel, denn die „scharfe Abwehr von
Mammonismus, Bolschewismus und des unchristlichen Pazifismus“ (1) gehörte nicht
zum Programm des langjährigen Vorgängers Pfarrer Beck.
Die neuen Grundsätze vermitteln etwas von der Aufbruchstimmung, die die
Deutschen Christen besonders am Anfang verbreiteten. Jene Pfarrer in der Stadt,
die eine Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt hatten, liebäugelten auch mit
einer Mitgliedschaft bei den Deutschen Christen. Sie erhofften sich einen
kirchenreformerischen Aufbruch in der Stadt.
Im Gemeindebrief griff Schlott das Modewort von der
„Gleichschaltung“ auf und schrieb von der Reichstagung: „Auf die
Gleichschaltung mit Gott kommt es an. Wem als Nationalsozialist das Herz für
sein deutsches Volk und für seine deutsch-evangelische Kirche schlägt, der hat
das längst gewusst und nie vergessen. Derer sind viele im deutschen Volk. Sie
haben sich in der „Bewegung der deutschen Christen“ zusammengeschlossen und
kamen zur 1. Reichstagung in Berlin vom 3.-5. April 1933 zusammen. Sie stehen
ganz auf dem Boden der Reichsregierung und gehen mit der NSDAP Hand in Hand.
Wollte Moskau sein Reich ohne Gott, ohne Christus für die Arbeiterklasse mit
dem Ziel der Internationale aufbauen, so will die NSDAP mit Gott durch Christus
das Deutsche Reich als organische Einheit aller Volksklassen, als Glied im
Ganzen der Völker. Zum Aufbau des Deutschen Reiches bedarf es einer Kraft, die
uns nur durch Gott werden kann.; denn sein ist das Reich und die Kraft und die
Herrlichkeit. Das waren die Gedanken, die auf der Berliner Tagung nach allen
Seiten hin mit dem Ziel einer deutschen Reichskirche durchgearbeitet wurden.“
Der Artikel war überschrieben „Die Auferstehung des deutsch-evangelischen
Volkes“.[29]
Dieser Beitrag markiert präzise die Absichten, die die
Deutschen Christen im Frühjahr 1933 prägten: eine bedingungslose Unterstützung
der Regierung Hitler, den Einklang mit der Nazipartei („Hand in Hand“), die
NSDAP als religiöse Partei im Gegensatz zu „Moskau“, die Hoffnung auf
Beseitigung von „Volksklassen“, das bedeutete das Aufgeben der Pluralität der
Gesellschaft zu Gunsten einer „organischen Einheit“. Eingangs triumphierte
Schlott: „Die Zeit der Schmach hat nun ein Ende..Ein neuer Tag! Ein neuer
Frühling! Von Wert ist nur, was in Gott, im Geiste Jesu Christi geschaffen
wird. Ist das Werk von Gott, so wird’s bestehen; ist es ohne Gott, wird es
untergehen. Von Gottes Gnade sind wir abhängig.“ Wie wahr! Die Deutschen
Christen gingen bald unter, jedenfalls als parteinaher Luxusdampfer.
Die Wut der DC über die aufgeschobene Machtübernahme
Die Reichstagung beauftragte die regionalen Zentralen,
„revolutionär“, also möglichst umgehend die kirchenleitenden Ämter zu
übernehmen. Es ging also vor allem um die Macht- und Personalfrage.
Obwohl Landesbischof Bernewitz am 31. März seinen 70.
Geburtstag beging[30],
machte er keine Anstalten, sein Amt niederzulegen, worauf Schlott gewartet
hatte. Am 19. April erschien in der Braunschweiger Landeszeitung ein in seiner
Art in der Landeskirche beispielloser Artikel, in dem Schlott unverblümt den
Rücktritt des Bischof forderte.[31]
Er beklagte die angebliche Zurückhaltung der Wolfenbüttler Kirchenleitung
gegenüber der neuen Reichsregierung und verdächtigte sie, „der roten
Landesregierung“ zuzuneigen. Das war eine für jeden Zeitgenossen erkennbar
groteske und unverschämte, aber auch gefährliche Behauptung. Schlott forderte
Neuwahlen zum Landeskirchentag und drohte andernfalls mit dem Eingreifen der
SA, „oder will man das Schauspiel geben, das die SA eingreift, weil man es
nicht länger ansehen kann?“
Tatsächlich veröffentlichte am 2. Mai die Kirchenregierung
eine Erklärung als Kanzelabkündigung, die auch von allen Kanzeln der Braunschweiger
Stadtkirchen gelesen wurde, in der sie sich nun vorbehaltlos hinter die
Hitlerregierung stellte. Die deutsche Erhebung sei wie eine Sturmflut über
Deutschland hereingebrochen, mancher glaube vielleicht noch, dass der Strom
der Zeit einst im roten Meer münden werde, aber beschämt denke man an die Zeit
zurück, in der der internationale Marxismus zu Gottlosigkeit und
Gotteslästerung aufgerufen habe. Hitler habe einen neuen Anfang gemacht, in
seiner Regierungserklärung, die christlichen Kirchen zu wichtigsten Faktoren
seiner Kirchenpolitik ernannt und damit der Kirche die Türen für neue Aufgaben
weit geöffnet.[32]
Der Landeskirchentag löste sich auf und ernannte Bernewitz zum
zwischenzeitlichen Kirchenkommissar, obwohl Schlott diesen Auftrag selber gerne
ausgeführt hätte. Schlott vermutete einen kirchenpolitischen Schachzug der
Abgeordneten des Landeskirchentages Palmer und Domprediger v. Schwartz und
pöbelte sie in einem Zeitungsartikel in der BTZ als Störenfriede an.[33]
Noch am Abend der Landeskirchentagung, dem 11. Mai, versammelten sich die
Deutschen Christen im Keglerheim. NSDAP Ortsgruppenleiter Posorski begrüßte das
übervolle Haus, und Schlott ließ seiner Enttäuschung darüber, dass er nicht
selber Kommissar geworden war, freien Lauf. „Dass wir überhaupt noch eine
Kirche haben, verdanken wir Adolf Hitler und der SA und SS; wären sie nicht
gewesen, so herrschte bei uns der Bolschewismus wie in Russland.“[34]
Schlott verhöhnte in einem weiteren Zeitungsartikel am 12.
Mai in der Parteizeitung BTZ die Abgeordneten des Landeskirchentages als
„Angsthasen“, die sich einer radikalen Lösung verschlossen hätten: „Wer nicht
mitmacht, kann abtreten. Wer sich entgegenstemmt, wird endgültig
niedergekämpft, bis er im Graben liegt. Um unsern allverehrten Herrn Landesbischof
könnt ihr ohne Sorge sein. Wir verehren ihn wie ihr. Wir haben uns schiedlich
friedlich an einen Tisch gesetzt. Wir sind uns einig. Es ist kein widerwärtig
Wort gefallen. Die letzten Schönheitsfehler werden wir noch beiseitigen“.[35]
Mit den „Schönheitsfehlern“ bemäntelte Schlott die Tatsache, dass es im
Landeskirchenamt keine personellen Änderungen gegeben hatte, obwohl Bischof
Bernwitz offenbar den Deutschen Christen einen Oberkirchenratsposten angeboten
hatte. Aber Schlott und die Deutschen Christen wollten die ganze Macht, den
Bischofssitz, und auf den mussten sie wieder warten.
Einen Höhepunkt erreichte die deutsch-christliche Agitation
mit einer weiteren Versammlung, diesmal im Konzerthaus am 16. Mai, in der die
Pfarrer und Parteigenossen Teichmann und Beye sprachen. Beye sprach zu dem
Thema „Die Juden und die Kirche“. „Das Blut als Urerbe“ werde in der
Reichskirche Gültigkeit haben. Daher kämen Juden „als Hüter germanischen
Christentums“ nicht in Frage. Juden sollten aus der deutschen Kirche fortbleiben
und sich in Deutschland eine „jüdische Kirche“ schaffen. Im übrigen gelte: „Wer
freiwillig nicht selig werden wolle, dem müsse man mit den Fäusten der SA dazu
verhelfen“. [36]
Zum forcierten Tempo der Gleichschaltung erklärte der
württembergische Bischof Wurm spöttisch, die evangelische Kirche sei keine
Ortskrankenkasse, die saniert werden müsse.[37]
Braunschweig Stadt war innerhalb der Landeskirche zum
brodelnden Mittelpunkt deutsch-christlicher Agitation geworden. Diese Agitation
hatte ihre Schärfe auch durch die Gründung einer Regionalgruppe der in Berlin
ins Leben gerufenen jungreformatorischen Bewegung erhalten. Diese befürchtete
eine unzulässige Politisierung der Kirche durch die Deutschen Christen und in
Zukunft eine Einschränkung der Freiheit der Verkündigung der Kirche. Zusammen
mit den neuen Richtlinien der Deutschen Christen veröffentlichte das Volksblatt
auch den Aufruf der jungereformatorischen Bewegung. Es müsse beim Neubau der
evangelischen Kirche „aus dem Wesen der Kirche“ gehandelt werden. Eine
„Vergreisung“ in Ämtern und Körperschaften der Kirche sollte durch
Heranziehung jüngerer Kräfte „besonders aus der Frontgeneration“ beseitigt
werden. Schließlich solle die Kirche „im freudigen Ja zum neuen deutschen Staat
den ihr von Gott gegebenen Auftrag in voller Freiheit von aller politischen
Beeinflussung“ erfüllen können.[38]
Trotz einer Nähe zum Vokabular der Deutschen Christen galt es damals fast als
unanständig, überhaupt noch eine Gegengruppe zu den Deutschen Christen zu
gründen, nachdem sich die synodalen Kirchenparteien bereits aufgelöst hatten.
Inhaltlich war es die Ablehnung, Nichtarier aus der Kirchengemeinschaft
auszuschließen, die die Jungreformatoren grundsätzlich von den Deutschen
Christen schied.[39]
Zur Brauschweiger Regionalgruppe gehörten aus der Stadt Braunschweig Dr. Bode,
Domprediger v. Schwartz, Pfarrer Brutzer, Else Diederichs, Buchhändler
Bodenstab, Pfarrer Saftien.[40]
Eine Gelegenheit zu weiterer deutsch-christlicher
Profilierung bot die von Hitler angekündigte Kirchenwahl am 23. Juli 1933.