Kirche von unten:
Home - Archiv -
Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube
von Dietrich Kuessner
|
Ergebnisse bei der Wahl zum Landeskirchentag in der Stadt Bs |
||||
Gemeinde |
Liste 1 |
Liste 2 |
||
|
Evangelium und Kirche |
Deutsche Christen |
||
Andreas |
393 |
13,60% |
2.490 |
86,40% |
Jacobi |
212 |
10,50% |
1.807 |
89,50% |
Johannis |
1.118 |
22,00% |
3.965 |
78,00% |
Katharinen |
581 |
13,90% |
3.611 |
86,10% |
Magni |
558 |
20,30% |
2.192 |
79,70% |
Martini |
382 |
15,60% |
2.063 |
84,40% |
Michaelis |
312 |
12,60% |
2.166 |
87,40% |
Pauli |
1.058 |
16,90% |
5.213 |
83,10% |
Petri |
379 |
28,30% |
959 |
71.7 % |
Ulrici |
185 |
12,90% |
1.248 |
87,10% |
Dom |
90 |
37,70% |
149 |
62,30% |
Zusammen |
5.268 |
16,90% |
25.863 |
83,10% |
Landeskirche |
21.142 |
17,94 |
96.702 |
82,06 |
Die Wahlbeteiligung war auf den ersten Blick frappierend. Sie war in der Stadt Braunschweig etwa dreimal so hoch wie im Jahr 1929. Damals hatten 11.970 Gemeindemitglieder an der Wahl teilgenommen,[40] dieses Mal waren es 34.131 Gemeindemitglieder.
Die die Wahl organisierenden Pfarrer waren vom Ansturm überrascht und überwältigt.
In der städtischen Presse wurde dieses Ergebnis gebührend hervorgehoben. Die Höhe war ein Ergebnis des ungeheuren Propagandaaufwandes, der von außen gesteuert war. Noch nie waren so viele evangelische Braunschweiger zu einem kirchlichen Wahlgang mobilisiert worden. Es blieb allerdings unklar, ob sie einem Ruf der evangelischen Kirche oder ihres Führers Hitler gefolgt waren. Insofern lässt sich von der Höhe der Wahlbeteiligung nicht auf eine intensivere Kirchlichkeit schließen.
Da die Anzahl der Wahlberechtigten unbekannt ist, lässt sich der prozentuale Anteil nur schätzen. Er wird etwa zwischen 25% und 30 % betragen haben. Das bedeutet allerdings auch, dass ca 70 Prozent der evangelischen Gemeindemitglieder sich dem dringenden Ruf des Führers, an der Wahl teilzunehmen, entzogen haben. Das konnte die auf Totalität und „Restlosigkeit“ eingeschworene örtliche Parteiführung nicht zufrieden stellen. Eine Massenmobilisierung war demnach der NSDAP zu diesem Anlass nicht gelungen.
Ein weiteres Ergebnis war, dass in Stadt und Land Braunschweig die Stimmung ganz deutlich für die Deutschen Christen vorherrschte . Man wollte einen Wechsel in der Landeskirche und offenbar auch in den Kirchengemeinden. Der hohe Landeskirchendurchschnitt von 82 % für die Deutschen Christen wurde in der Stadt Braunschweig, wie die Tabelle zeigt, noch von den Kirchengemeinden Jakobi (89,5 5), Michaelis (87,4 5), Ulrici (87,1 %), Andreas (86,4 %), Katharinen (86,1 %), Martini (84,4 %) und Pauli (83,1 %) übertroffen.
Die herausragenden Ergebnisse in den Kirchengemeinden Jakobi und Michaelis können mit ihren hohen Arbeiteranteilen zusammenhängen, denn seit dem 1. Mai war allgemein eine wachsende Zustimmung von Arbeiterschichten zur NSDAP zu beobachten.
Typisch erscheint mir der Kommentar des Michaelispfarrers
zum dortigen Wahlergebnis. „Damit ist deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das
Kirchenvolk in seiner weit überwiegenden Mehrheit eine Erneuerung und
Entwicklung unserer Kirche im Sinne der Glaubensbewegung will, der auch beide
Pfarrer unserer Gemeinde angehören. Wir wollen nach wie vor das reine, lautere,
teuere Evangelium verkünden, und auf dem einen Grunde, der gelegt ist, die
Kirche als die Gemeinschaft der Glaubenden erbauen. Aber wir wollen auch ein
volles, unbedingtes Ja sagen zum nationalsozialistischen
Staat, dem Staat der Arbeitenden aller Stände, dem Dritten Reich, das uns von
Gott durch seine Werkzeuge, die er sich erwählt hat, geschenkt ist. In dem
unter dem Volkskanzler Adolf Hitler geeinten deutschen Volke soll und will die
Kirche die ewigen Kräfte lebendig erhalten, die unser geprüftes, durch Unglück
geläutertes, im Kampf um seinen Bestand und seine Einheit gestähltes Volk, wie
wir zu Gott hoffen, einer neuen herrlichen Zukunft entgegengehen sollen.“[41]
Der Bericht gibt die Sicht eines deutsch-christlichen Pastors wieder, der den erheblichen Einfluss der NSDAP Ortsgruppe auf die Höhe der Wahlbeteiligung nicht benennt. Trotzdem halte ich es für einseitig und unzutreffend, die „Wahl“ ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer parteipolitischen Einflussnahme zu beurteilen. Es war unbestreitbar, dass die Beteiligung wesentlich höher war und merkwürdigerweise die Pfarrer von dem Andrang so überrascht waren, weil die Eintragungen in die Wählerlisten bereits eine hohe Wahlbeteiligung dokumentierten. Es blieb der positive Eindruck: „unsere Kirchengemeinde wird wieder gebraucht“. Die dadurch erweckte Hoffnung eines besseren Gottesdienstbesuches und regeren Gemeindelebens war offenbar von Anfang an von leisen Zweifeln durchsetzt, aber es überwog eine erste allgemeine Begeisterung. Ich halte es für ungerecht, diesen Idealismus klein zu reden.
Auch in Pauli und Martini mit ihrem eher großbürgerlichen Bevölkerungszuschnitt war die Zustimmung überdurchschnittlich, denn durch die bürgerliche Mitte war Hitler der Durchbruch zur Mehrheit in der Bevölkerung gelungen.
Aus dem Rahmen der Braunschweiger Stadtkirchen fiel das Ergebnis in der Domgemeinde. Wenn auch die geringe Gemeindemitgliederzahl der Domgemeinde das prozentuale Ergebnis schönt, so ist der niedrigste Anteil an deutsch-christlichen Stimmen bemerkenswert. Das hing gewiss mit der Person des Dompredigers zusammen, der sich für die Liste I „Evangelium und Kirche“ stark gemacht hatte.
Allerdings war eine Mehrheit für die Deutschen Christen kein Naturgesetz. Es gab auch Dörfer und Städte, in denen die Deutschen Christen keine Mehrheit erobern konnten, wie z. B. in der Martin Luthergemeinde in Holzminden und in Vorsfelde, wie in den Dörfern Volkersheim und Üfingen.
Man kann diese Unwahl nicht an den Maßstäben einer heutigen politischen Wahl messen. Es wäre verständlich gewesen, dass nach der unerhörten Propaganda jene Wähler, die nicht die Deutschen Christen wählen wollten, zu Hause geblieben wären. Es ist ein Zeichen von Festigkeit und Widerwillen, dass in der Stadt Braunschweig über 5.000 Gemeindemitglieder sich bewusst den Deutschen Christen entzogen und damit nach deren Lesart Hitler die unbedingte Loyalität verweigerten. Noch größer wird die Anzahl der Verweigerer, wenn man die 70 % Nichtwähler hinzuzählen würde.
Es ist bemerkenswert, dass das Braunschweigische Volksblatt lediglich ein vorläufiges Wahlergebnis für die gesamte Landeskirche ohne Spezifizierung und Kommentar und der Sonntagsgruß überhaupt keine Wahlergebnisse, schon gar nicht der einzelnen Braunschweiger Kirchengemeinden veröffentlichte.[42] Das Wahlergebnis verursachte keine Empörung, eher Desinteresse. Es gab offenbar auch keine Nachfragen aus den Kirchengemeinden.
Der Katharinenpfarrer Martin Bücking stellte denn auch bündig fest: „Es war keine Wahl im herkömmlichen Sinn, vielmehr eine Art Kundgebung“,[43] aber die Wahl hätte Interesse für die Kirche und den Eindruck geweckt: „Es gibt noch Kirche und es muss Kirche geben“. Bücking hob den Gegensatz zur Weimarer Zeit hervor, in der jahrzehnte lang „Mächte der Unterwelt“ am Werke gewesen wären. „Denen ist jetzt ihr Handwerk gelegt“. Die Beseitigung von Sozialdemokratie und Kommunisten aus der Braunschweiger Öffentlichkeit wurde ständig hervorgehoben. Bücking gehörte zu den älteren Pfarrern, die 1934 aus dem Amt schieden. Der Virus des Antikommunismus verband gerade die Älteren fest mit dem Nationalsozialismus.
Pfarrer Koenig resümierte eine dreifache Bedeutung der Kirchenwahl: das Volk habe Interesse an der Kirche, Religion sei keine Privatsache mehr, sondern Religion und Kirche würden „in ihrer strukturellen Bedeutung für das Gesamtleben des Volkes wieder erkannt“. „Die Wähler empfanden die Teilnahme an der Wahl als ein Bekenntnis“, für die Besonderheit kirchenpolitischer Gruppierung fehle weithin das lebendige Verständnis. Und drittens bedeute der überwältigende Wahlerfolg der „Deutschen Christen“, dass eine Kirche erstrebt werde, „die den Staat Adolf Hitlers restlos bejahe und in vorbehaltloser Anerkennung seiner Sendung mit ihm Schulter an Schulter arbeite an der Erneuerung unseres deutschen Volkes“.[44]
Koenigs Resume spiegelt den momentanen Eindruck, dass das in der Stadt Braunschweig oft erlittene Winkeldasein der Kirche im öffentlichen Leben nun ein Ende haben werde und dass für die Gruppe „Evangelium und Kirche“ kein Verständnis vorhanden sei. Das ist bei dem geringen Prozentsatz in der Michaeliskirche von 12,6 %, das nur noch von der Jakobigemeinde unterboten wurde, begreiflich.
Es schimmert auch ein kirchenreformerischer Schwung durch, der in der Öffentlichkeit sichtbar werden soll, weil eben die Kirche sich für die „Seele des Volkes“ und deren Gesundung und Festigung zuständig fühlte. Die „restlose“ und „vorbehaltlose“ Anerkennung des „Staates Adolf Hitlers“ signalisierte bereits zu diesem Zeitpunkt den Beginn der Mystifizierung der Gestalt Hitlers, die offenbar mit dem Staatswesen vollständig identifiziert wurde, und eine erschüttende Erblindung angesichts der Öffentlichkeit der Verbrechen eben dieses Staates und seines Apparates im Gebäude der Allgemeinen Ortskrankenkasse in der Fallersleberstraße und im Volksfreundehaus.
Die Wahl erzielte die seit Monaten von Schlott gewünschte Wirkung. Noch am Freitag in der Woche nach der Wahl trat der Landeskirchentag am 28.7. in seiner neuen, rein braunen Besetzung zusammen, denn die gewählten sechs Mitglieder von „Evangelium und Kirche“ hatten noch am Wahltag beim Landesbischof resigniert ihre Mandate aufgegeben.[45] Der Landeskirchentag kam auch nicht wie üblich in einem kirchlichen Raum, meist im Magnigemeindesaal, zusammen, sondern im Gebäude des Landtages.
Noch vor Eintritt in die Tagesordnung gab der Bischof bekannt, dass er und seine beiden theologischen Oberkirchenräte Meyer und Heydenreich zum 1. Oktober zurücktreten und bis dahin einen Resturlaub antreten würden. Der Landeskirchentag wählte den 36 jährigen Braunschweiger Kurt Bertram, der die Liste der Deutschen Christen angeführt hatte, zum Präsidenten des Landeskirchentages. Bertram war seit 1925 Mitglied der NSDAP, 1933 Landtagspräsident und seither Vizepräsident der Braunschweigischen Staatsbank. Bertram galt als Vertrauensmann von Ministerpräsident Klagges, war bis 1945 Mitglied der Kirchenregierung und hatte einen sehr großen, indes unauffälligen Einfluss auf die Geschicke der Landeskirche.[46] Katharinenpfarrer Schlott und der Dorfpfarrer Wilhelm Beye, ein Früherw eckter der ns. Bewegung, wurden zu kommissarischen Oberkirchenräten gewählt. Bischof Bernewitz hatte den Landeskirchentag traditionell mit einem Gottesdienst im Dom eröffnet, in dem er nun seine Abschiedspredigt hielt und die rasante, terroristische Entwicklung seit dem Regierungswechsel in Berlin und Braunschweig rechtfertigte; das war ein bitterer Abschied für alle, die den Landesbischof wegen seiner enormen Aufbauleistung aus einer verfahrenen Situation seit 1923 schätzen gelernt hatten. Der Dom war wie schon in den Wochen davor zur Stätte der Rechtfertigung nationalsozialistischer Verbrechen geworden. Hier lagen die Wurzeln und die innere Folgerichtigkeit seiner späteren Entwidmung als gottesdienstlicher Stätte.
Die Juliwahl bot den Pfarrern die Gelegenheit, die Kirchenvorstände neu zu besetzen und zu verjüngen und den sehr alten Mitgliedern die Möglichkeit, in Ehren auszuscheiden. Dabei machte es sich bemerkbar, dass die Pfarrerschaft der Stadt selber einen Generationswechsel erlebt hatte und sich nun jüngere Mitarbeiter suchte. So stellte Johannispfarrer Jürgens die kritische Frage, ob in der Vergangenheit nicht doch eine Überalterung der Arbeit stattgefunden habe.[47]
In den Kirchenvorständen gab es folgende Veränderungen:
Der Jakobikirchenvorstand wurde zur Hälfte erneuert. Neun Männer gehörten noch dem alten Kirchenvorstand an, die andere Hälfte, davon sechs Frauen, waren nicht wieder aufgestellt worden. Drei der Frauen hatten inzwischen den Wohnort gewechselt. Zwei Männer schieden aus Altersgründen aus. Immerhin bestand der neue Jakobikirchenvorstand im Gegensatz zum vorhergehenden nur noch aus Männern. Das war auch ein modischer Zug der nationalsozialistischen Zeit.[48]
In der Johanniskirche wurden elf Mitglieder des amtierenden Kirchenvorstandes nicht wieder aufgestellt. Der Wahlvorschlag war nicht einvernehmlich zustande gekommen, sondern entsprach dem Wahlvorschlag der DC. Nur vier Mitglieder des alten Kirchenvorstandes saßen 14 neuen „männlichen“ Mitgliedern gegenüber. Die drei Frauen, die dem Kirchenvorstand angehört hatten waren nicht berücksichtigt worden.[49]
Katharinenpfarrer Bücking bedauerte öffentlich das Ausscheiden zahlreicher älterer Kirchenvorsteher, die das 70. Lebensjahr teilweise schon weit überschritten hatten.[50] Er hoffe, dass die bisherigen Provisoren Hans Engelhardt und August Nienstedt, sowie Heinrich Steggewentz sich weiterhin wie bisher auch ohne Sitz im Kirchenvorstand um die Gemeindepflege, Gemeindehaus, Schwesternhaus und Kinderkrippe kümmern würden.
Michaelispfarrer Koenig gab bekannt, dass der Kirchenvorstand zu 80 Prozent aus „Bekennern zur Kirche des Dritten Reiches“ bestehe. Der Kirchenvorstand hatte in seiner letzten Sitzung einen Vorschlag der Deutschen Christen gebilligt. Koenig dankte den bisherigen Mitgliedern „für alle der Gemeinde in treuer Pflichterfüllung durch Rat und Tat geleisteten Dienste.“[51]
In der Paulikirchengemeinde war der Wechsel drastisch. Es wurden vom vorhergehenden Kirchenvorstand nur Emil Grosse, Ferdinand Rieche und Hermann Streif erneut aufgestellt, andere kirchliche hochangesehene Mitglieder wie Generalstaatsanwalt i.R. Holland und der frühere Parlamentsstenograf Bode waren nicht berücksichtigt worden.
Für Pastor Lagershausen war die neue Besetzung des Paulikirchenvorstandes eine schwere Kränkung, da die meisten seiner bewährten Mitarbeiter im Kirchenvorstand an die Luft gesetzt worden waren. Als Lagerhausen am 29. Oktober 1933 seine Abschiedspredigt hielt, bekannte er zwar offen seine Sympathie für die neue nationale Erhebung im Gegensatz zur Zeit der Weimarer Republik, aber unüberhörbar warnte er vor der Gefahr, dass „die Kirche allmählich als eine Unterabteilung des Staates betrachtet“ würde, „die von ihm oder von der gerade herrschenden Partei aus politische Direktiven für ihr Predigen und Handeln zu empfangen habe.“[52] Das konnten die Beteiligten als einen unüberhörbaren Hinweis auf das Zustandeskommen der Liste der Deutschen Christen und der Zusammensetzung des neuen Kirchenvorstandes verstehen. Und die Bemerkung von der „gerade“ herrschenden Partei war eine Ohrfeige für das strotzende Selbstbewusstsein der NSDAP im Oktober 1933. Lagershausen fügte eine weitere, ebenfalls klare Warnung an. Er hielt die aufkommende neue germanische Religion „von Männern wie Rosenberg, Wirth, Reventlow, Bergmann, Frau Ludendorff“ für eine weitere Gefahr. „Lasst euch nicht verführen durch die Schlagworte „deutsch, deutsche Religion, deutsche Kirche!“. Eine scharfe Scheidung zwischen germanischem Heldentum und deutschen Christentum wäre unvermeidlich. Die Abwehr, ja der Kampf gegen diese Gefahr wäre die besondere Aufgabe der „deutschen Christen“. Der später gedruckte Predigttext ließ offen, ob Lagershausen damit die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ meinte oder alle deutschen Christen, also alle Gemeindemitglieder der zuhörenden Pauligemeinde. Die unter der Kanzel sitzenden neuen Kirchenvorstandsmitglieder mussten diese Predigtpassage als Affront gegen ihre Parteiideologie verstehen, denn wenn auch Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ kein parteiamtliches Buch war, so gehörte es doch zur ersten Garnitur der nationalsozialistischen Literatur.
Dort wo die Zusammensetzung unter dem Maßstab der künftigen kirchlichen Entwicklung in der Kirchengemeinde vorgenommen wurde, blieb die Zusammensetzung der Kirchenvorstände vom Sommer 1933 bis zum Kriege stabil. Wo parteipolitische Gesichtspunkte vorherrschten, fielen die Kirchenvorstände auseinander. Für beide Möglichkeiten gab es in der Stadt Braunschweig Beispiele.
Einvernehmlich und personell unverändert arbeitete der neue Brüdernkirchenvorstand bis in die Kriegszeit hinein.
Der Kirchenvorstand von Johannis verkleinerte sich zusehends. Drei Kirchenvorstandsmitglieder wechselten 1934 in den Kirchenvorstand der neu gegründeten Martin Luther Gemeinde am Zuckerbergweg, andere schieden aus persönlichen oder politischen Gründen aus. Ab 1937 trat der Kirchenvorstand überhaupt nicht mehr zusammen, 1940 wurde der auf sieben Mitglieder geschrumpfte Kirchenvorstand wieder durch elf neue auf die gesetzmäßige Zahl von 18 Mitgliedern ergänzt.[53]
Der Kirchenvorstand der Pauligemeinde fiel bereits in den ersten 12 Monate auseinander: einer konnte die Wahl nicht antreten, weil er katholisch war, ein anderer wollte die Wahl nicht antreten, ein dritter legte sein Amt nach drei Wochen „ aus beruflichen Gründen“ nieder, fünf verzogen aus dem Gemeindegebiet, ein weiterer legte sein Amt im August 1934 nieder, und der prominente Ministerialrat Kiehne besuchte überhaupt keine Kirchenvorstandssitzungen.[54] Dadurch war der Kirchenvorstand beschlussunfähig geworden. Ende 1935 wurden dem Landeskirchenamt von den drei Paulipfarrern einvernehmlich 18 Personen zum Kirchenvorstand vorgeschlagen, der mit geringen Änderungen angenommen wurde. Unter den 18 Mitgliedern waren auch wieder drei Frauen (Lehrerin Anna Löhnefink, Helene Lüddersens, und Johanna Tetzlaff). Es bedurfte 1935 bereits einiger Zivilcourage, sich für die Mitarbeit in einem Kirchenvorstand bereit zu erklären, der den Vorstellungen der NSDAP Ortsgruppe nicht entsprach und für den sich im Januar 1936 die Politische Polizei interessierte, die das Landeskirchenamt um Auskunft bat, warum der Kirchenvorstand von Pauli aufgelöst worden sei.[55] Dieser neue Kirchenvorstand hat sich einige Jahre später außerordentlich bewährt, als der Paulipfarrer Goetze aus politischen Gründen 1938 vom Dienst beurlaubt wurde.
Die Vorgänge in der Paulikirchengemeinde waren nicht typisch, aber sie machten deutlich, welchen Einfluss der politische Druck haben konnte. Er machte zugleich deutlich, wie man diesem Druck widerstehen konnte.
Der neue Stadtkirchentag
Außer in den Kirchenvorständen machte sich der Wandel auch im Stadtkirchentag bemerkbar.
Der neue Stadtkirchentag trat am 18. August im Katharinengemeindesaal zusammen. Pfr. Schlott drängte den langjährigen, 71jährigen Stadtkirchenrat Runte zum frühzeitigen Rücktritt am 1. September und wurde zum kommissarischen Stadtkirchenrat ernannt. Pfarrer Kalberlah wurde sein Stellvertreter. Zum neuen Vorsitzenden wurde Landgerichtsdirektor Gerhard gewählt, zum Stellvertreter Pfarrer Benndorf. Gerhard erklärte als künftiges Ziel, alle evangelischen Deutschen zu Gott zu führen. Das war im Hinblick auf die 75 Prozent desinteressierten Nichtwähler für einen gestandenen Juristen ein Phantasieziel, aber es gibt zutreffend die immer wieder geäußerte Hoffnung auf ein verchristlichtes Braunschweig wieder.[56]
Dem Stadtkirchenausschuss gehörten nunmehr Pfarrer Wagner, Ministerialrat Kiehne, Reichsbahninspektor Rose und Schmiedemeister Heinemann an. Es war völlig neu zusammengesetzt. Die Wahl Wagners war eine gewisse Überraschung, weil sich auch Johannispfarrer Jürgens berechtigte Hoffnungen machen konnte, zumal Wagner erst seit einem halben Jahr in Braunschweig als Pfarrer tätig war.
Es wurden außerdem die Mitglieder des Friedhofsausschusses und des Kirchensteuerausschusses gewählt. Damit waren die traditionellen Säulen der Verwaltung Stadtkirchentag, Stadtkirchenrat und Stadtkirchenausschuss neu besetzt aber auch in Funktion. Von einer konsequenten Durchführung des Führerprinzipes konnte keine Rede sein.
[1] Helmut Kahle „Die Wahlen in der Braunschweigischen ev.-luth. Landeskirche“ 1976 unveröffentlichtes Manuskript; Überblick 41 f; Material zur Ausstellung 118 f;
[2] BTZ 5.7. 1933
[3] Magnifestschrift 1981 S. 147; auch BTZ 5.7.1933
[4] siehe Ludewig Landesgeschichte 984 f
[5] Palmer Material zum Kirchenkampf 32
[6] Wilhelm Rauls „Zehn Jahre Pastor an St. Magni (1933-1943) in Festschrift St. Magni 1031-1981 Braunschweig 1981 S. 147: „Während der Anfangszeit in Braunschweig kam eine Frau aus der Friesenstraße schmerzerfüllt zu mir und bat mich, ihren etwa 18jährigen Sohn zu beerdigen. Er war im Gebäude der AOK Am Fallersleber Tore geprügelt und misshandelt worden und an den inneren Verletzungen gestorben. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass für die Friesenstraße der Pastor des anderen Gemeindebezirkes zuständig sei. Dies war ihr bekannt, aber sie bat inständig, dass ich die Beerdigung übernehmen sollte. Sie hatte dann noch die Bitte, dass ich mit keinem Wort die Umstände erwähnen möchte, die zum Tod ihres Sohnes geführt hätten.“
[7] Scholder charakterisiert Müller so: „..ein schwacher Charakter. Der damals 50jährige stammte aus Westfalen, war im Krieg Marinepfarrer geworden und bei dieser Laufbahn geblieben, die ihn 1926 als Wehrkreispfarrer nach Königsberg geführt hatte. Er war in seinem Amt der Typ des frommen Routiniers, der sich allen Situationen anzupassen verstand und die Sprache der pietistischen Kreise Westfalens ebenso beherrschte wie den forschen Ton des Reichswehrkasinos.“ S. 391. Auf einer Kundgebung der Deutschen Christen im Hofjäger
Anfang Juni hatte Pfarrer Beye unmissverständlich erklärt: „Der Reichsbischof soll Müller heißen“. v. Bodelschwingh sei einer, der „von einem Teil der verkalkten Kirchenregierungen zum Reichsbischof nominiert“ sei. Br. Sta 9.6.1933.
[8] Hitler hatte dem katholischen Bischof Berning erklärt, er könne sich „in die evangelische Kirche und ihre Struktur nicht hineinfinden.“ Scholder 389
[9] LAW NL Gremmelt 2 Schreiben von Röpke an Gremmelt vom 3.6.1933 Röpke begründete die Tatsache, dass er das Telegramm nicht mit unterzeichnet hatte, folgendermaßen: „Ich bleibe bei den Deutschen Christen.“
[10] LAW NL Goetze undatierte Durchschrift
[11] BNN 10.6.1933. Das Ablehnungstelegramm hatte folgenden Wortlaut: „Massenversammlung in Braunschweig lehnt den Pastor von Bodelschwingh als Reichsbischof ab und fordert Wehrkreispfarrer Müller.“ Der Adressat des Telegramms war v. Bodelschwingh. Br. Sta. 9.6.1933
[12] Sonntagsgruß 4.6.1933 S. 179
[13] Sonntagsgruß 11.6.1933 S. 188. Auch die beiden nächsten Juninummern des Sonntagsgruß brachten positive Bodelschwinghartikel, am 18.6. S. 194 ein Weißbuch zur Wahl von Bodelschwingh, in dem über die weit überwiegende Zustimmung der Bischöfe bei der Wahl informiert wurde und am 25.6.1933 S. 202 eine Gegenerklärung Bodelschwinghs, in der er den Vorwurf, hinter ihm verstecke sich die Reaktion, zurückwies.
[14] Sonntagsgruß 2. Juli 1933 S. 210
[15] Sonntagsgruß 9. Juli 1933 S. 218
[16] Palmer S. 15 „Die verhängnisvolle Wahl am 23. Juli 1933“;
[17] Landeskirchliches Amtsblatt 1933 S. 27 ff
[18] BrSta. 13. Juli 1933
[19] dazu Scholder Bd I 560
[20] BrSta 19.7.1933; BLZ 22.7.1933; BNN 22.7.1933
[21] BLZ 30.6.1933 „Die Kirche im Dritten Reich“
[22] Quelle BLZ 21.7.33
[23] BLZ 19. Juli 1933
[24] BrSta. 18.7.1933
[25] BrSta. 20. Juli 1933
[26] BrSta 21.7.1933
[27] BTZ 21.7.1933
[28] BLZ 20.7.1933
[29] BAA 19. Juli 1933
[30] BLZ 22.7.1933
[31] BTZ 23.7.1933
[32] Sonntagsgruß 23. Juli 1933 S. 233
[33] ebd S. 237
[34] „Eine Kundgebung nationalsozialistischer Pfarrer“ BV 1933 S. 238
[35] BV 1933 S. 237
[36] RuR August 1933 S. 117 ff
[37] Die Zahlen ergeben sich aus der Summer der beiden Listen, die unten in der Tabelle angegeben sind.
[38] Michaelisbote 3. Jahrgang Nr. 1 August Ernting 1933 o.S.
[39] LAW Akte S 52; BLZ 24.7.1933 „Evangelische Kirche geeint“; .„Überwältigender Sieg der Liste Deutsche Christen in der Stadt Braunschweig” mit Ergebnissen der Stadtgemeinden. Auch BLZ 25.7.1933 mit Stellungnahmen zum Wahlergebnis aus Berlin. BTZ 25.7.1933 „Der Sieg der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ mit Einzelergebnissen der Braunschweiger Stadtkirchengemeinden und aus den sechs Kreisgebieten.
[40] BV 10.11.1929 S. 358
[41] Michaelisbote August Ernting 1933 o.S.
[42] BV am 30. Juli auf S. 124 mit.: 21.340 für Liste I und 96.960 für Liste II
[43] Sonntagsgruß 30.7.1933 S. 120 Martin Bücking „Nachklang zu den Kirchenwahlen“
[44] Michaelisbote August Ernting 1933 Nr. 1
[45] BTZ 30.7.33
[46] BBL 57
[47] Sonntagsgruß 17.9.1933 Otto Jürgens Der Kampf der Kirche für die evangelische Freiheit S. 197 „Ihr geht es um nichts anderes als um Erneuerung und Verjüngung der Kirche“.
[48] Vergleich Gemeindeblatt für St. Jakobi 1929 S. 8 und 1933 S. 31
[49] Zusammenstellung von Herrn Löffelsend
[50] Sonntagsgruß 30. 7. 1933 S. 246
[51] Michaelisbote 3. Jahrg. Nr.1 Ernting o.S.
[52] Sonntagsgruß 5.11.33 S. 353 ff, auch Sonntagsgruß 29.10.1933 S. 350
[53] Löffelsend Kirchenchronik S. 104 und S. 26 f
[54] LAW Personalakte Goetze Bd 5 Brief von 31. August 1934 an Kirchenführer Johnsen
[55] LAW Ortsakte Pauli Bd 4 Schreiben der Politischen Polizei an das Landeskirchenamt vom 6.1.1936
[56] BTZ 20.8.1933