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3. Kampf der Kirche gegen die bürokratische Entnazifizierung
Das Ziel der Besatzungsmächte war eine Entnazifizierung der deutschen Bevölkerung sowie eine allmähliche Demokratisierung. Dazu setzten sie Untersuchungsausschüsse ein, verteilten Fragebögen über Mitgliedschaft in der NSDAP und weitere Tätigkeiten, verhängten zu Hunderttausenden Geldstrafen und Arbeitsverbote. Gegen diese Verfahren protestierten die Betroffenen und wurden von der evangelischen Kirche kräftig unterstützt. Die Leitung der hessischen Landeskirche wandte sich mit einem Kanzelaufruf an die Kirchengemeinden, verbot ihren Mitgliedern jede Mitwirkung an den Ausschüssen und forderte den Schluss der Entnazifizierungsverfahren. Sie wurden schließlich in deutsche Hände gelegt, die die scharfen Verurteilungen aufhoben und die Betroffenen entlasteten.
Noch nachhaltiger waren die Aktivitäten der Kirchenleitungen für die zahlreichen Straftäter. Die Alliierten hatten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess gegen die Spitzen der Naziführung Göring, Hess, den Oberkommandierender der Wehrmacht Keitel, Außenminister Ribbentrop und andere die Todesstrafe verhängt, andere freigesprochen oder zu langer Haft verurteilt. In der Bevölkerung der westdeutschen Besatzungszonen war das Echo überwiegen ablehnend. Das sei „Siegerjustiz“ sagte man. Andere konnten zu ihrer eigenen Entlastung sagen: „Das waren die Schuldigen. Nicht wir.“
Dem Nürnberger Prozess folgten zahlreiche weitere Prozesse gegen die Mitglieder der Berliner Regierungs- und Parteistellen. sowie gegen die durch die Euthanasiemorde schwerbelasteten Ärzte. Es erfolgten hunderte Todesurteile, von denen 288 in den Haftanstalten Landsberg und Werl vollstreckt wurden. Im Mai 1946 wurden im Prozess gegen die Mannschaft des KZ Mauthausen 58 Todesstrafen verkündet und später neun Urteile in lebenslange Haft umgewandelt. 48 Urteile wurden vollstreckt. Im Ärzteprozess, in dem 7 Todesurteile und 7 Freisprüche ergingen, wurde auch der Organisator der Euthanasiemorde, Karl Brandt, zum Tode verurteilt. In seinem Schlusswort berief er sich auf ein Zitat v. Bodelsschwinghs, dem Leiter der Betheler Anstalten: Brandt, sei ein Idealist und kein Verbrecher. Unter dem Galgen beschimpft Brandt das Gericht. „Recht ist hier nie gewesen. Wir sind die Opfer“.
v. Bodelschwings Gnadengesuch war keineswegs das einzige, sondern es erreichte die Militärgerichtsbarkeit eine Flut von Gnadengesuchen. In den Landeskirchenämtern von München und Stuttgart wurde ein besonderes Referat mit einem Oberlandeskirchenrat eingesetzt, der diese Gesuche bearbeitete. Die Gefängnispfarrer spielten dabei eine makabre Rolle. Es wurden als entlastende Momente für manchen Massenmord angeführt, wenn der Häftling wieder in die evangelische Kirche eintrat, fleißig die Gefängnisgottesdienste besuchte, die Herrnhuter Losungen las und zu Weihnachten das Krippenspiel mit organisierte. Ernst Klee berichtet in seinem Buch „Wie die Kirchen den Nazis halfen“ von folgendem Vorgang in der Anstaltskirche des Landsberger Gefängnisses: Nach der Hinrichtung fand ein Gottesdienst statt, an dessen Ende die letzten Worte der Mörder verlesen wurden, darunter solche: „Vor dem Angesicht Gottes, vor dem ich im nächsten Augenblick stehen werde, versichere ich, dass ich der Verbrechen nicht schuldig bin, die man mir zur Last gelegt hat.. Ich sterbe unschuldig.“ Er hatte als Adjutant im KZ Buchenwald die Hinrichtungen im Lagerkrematorium überwacht und zwar so, dass die Häftlinge an Wandhaken aufgehängt und langsam zu Tode gewürgt wurden. Ein anderer :„Mein letztes Gebet ist: Herr Gott, vergibt meinen Mördern“. So wurden unter den Augen der ev. Kirche die Täter zu Opfern umstilisiert.
Die Entnazifizierung scheiterte vor allem an dem Widerwillen der deutschen Bevölkerung, die sich an die Atmosphäre und die Strukturen eines autoritären Staates gewöhnt hatte und daran auch ohne Hitler festhielt. Für die mitverantwortlichen, verbrecherischen Seiten des autoritären Staates galt die Devise: Abspalten und vergessen.
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