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[Kirche von Unten]

Weiter so – aber Demokratie

Über die ev. Kirche in der direkten Nachkriegszeit

Vortrag am 23.11.2022 in der Akademie zusammen mit H. U. Ludewig,
der den politisch-gesellschaftlichen Anteil ausgearbeitet hat.


von Dietrich Kuessner

(Download als pdf hier)




4. Erklärungsversuche für die Katastrophe


In der Gesellschaft wurde die Frage nach den Ursachen diskutiert. Wie konnte es im Land von Bach und Beethoven, von Kant und Hegel zu einer derartigen Verwüstung der Moral und des Gewissens kommen?

Die Kirche bot folgende Erklärungen: Es waren überirdische Kräfte. Die Deutschen seien aus dem Jenseits von Dämonen überfallen worden. Dieser naive und bequeme Versuch schob die Ursache auf ein unerklärbares religiöses Gebiet. Er verleugnete jede Mitverantwortung der Kirche. Wir nicht – die Dämonen waren es, und wir waren die Opfer der überirdischen Dämonen, nicht Täter.

Die andere Erklärung ging von der unhistorischen, falschen Behauptung aus, dass der Nationalsozialismus eine Abart des Atheismus sei. Er sei ein Abfallen vom wahren, orthodoxen, traditionellen kirchlichen Glauben Das habe mit der Aufklärung begonnen, sich in der französischen Revolution fortgesetzt und schließlich im 19. Jahrhundert mit Karl Marx und Friedrich Nietzsche und andrerseits der liberalen Theologie vollendet. Diese Erklärung öffnete den Weg zu einer schroffen Verketzerung der Aufklärung und der historisch-kritischen Forschung, wie sie sich in der Auseinandersetzung mit der Theologie Rudolf Bultmanns niederschlug.

Karl Barth, der 1935 als Professor für kirchliche Dogmatik von der Bonner Universität entfernt worden war, erinnerte als Ursache an den seit 1871 entstandenen Nationalismus und seine tiefgegründete Verbindung mit einer protestantischen Frömmigkeit, die schon in den Freiheitskriegen von 1807 begonnen hatte. Diese zutreffende Ableitung fand kaum Gehör. Wenn auch das von Preußen 1871 entstandene Deutsche Reich endgültig zerstört war. wollte man wenigstens an einer Idee vom Reich festhalten, und trat tatsächlich auch seine Nachfolge an. Lieber „Weiter so“ auch ohne Preußen, wenigstens in den Westzonen.

Diese Erklärungsversuche erreichten nicht die allgemeine Öffentlichkeit, weil sie viel zu intellektuell waren. Außerdem vermittelten sie keinen Trost. Den fand die Zusammenbruchgesellschaft im langsam sich öffnenden Kino, z.B. in der Gestalt eines heimkehrenden Seemanns, der alles zerstört vorfindet und wieder von vorne anfängt, weil dieses Leben doch schön sein kann und der Himmel den Menschen nicht untergehen lässt. Der Text lautet.

Es weht der Wind von Norden
Er weht uns hin und her
Was ist aus uns geworden?
Ein Häufchen Sand am Meer
Der Sturm jagt das Sandkorn weiter
Dem unser Leben gleicht
Er fegt uns von der Leiter
Wir sind wie Staub so leicht
Was soll nun werden?
Es muss doch weitergehn
Noch bleibt ja Hoffnung für uns genug bestehn
Wir fangen alle von vorne an
Weil dieses Dasein auch schön sein kann
Der Wind weht von allen Seiten
So laß den Wind doch wehn
Denn über uns der Himmel
Läßt uns nicht untergehn
Läßt uns nicht untergehn

Das 54 Jahre alte Hamburger Volksidol Hans Albers, bekannt von zahlreichen Filmen in den 20iger und 30iger Jahren, verkörperte den Seemann. Er verströmte den Willen zu einem neuen Anfang , und aus den Resten religiöser Versatzstücke einen gnädigen Himmel, der die Deutschen nicht untergehen ließe. Das ging gut runter, es verniedlichte mit dem Bild vom Sandkorn nicht die hoffnungslos völlig veränderte Gegenwart, aber bot für einige Kinostunden ein besseres Leben. Mit der Einsicht von Baal Schem Tov, dass eine schonungslose Erinnerung der Anfang von Erlösung sein könnte, hatte der Film nichts zu tun. Es ersparte dem Besucher einen kritischen Rückblick, und ermöglichte ein „weiter so“, der Himmel bleibt blau und offen.

Als literarisches Gegenstück versuchte sich die christliche Gegenwartslyrik der Nachkriegszeit, mit den heutzutage weithin vergessenen Namen wie Reinhold Schneider, Werner Bergengruen, Rudolf Alexander Schröder, Siegbert Stehmann, Manfred Hausmann, Albrecht Goes, Lotte Denkhaus, Hans Egon Holthusen, Max Wedemeyer. Der 1948 erschienene Gedichtband „Der Glaube kann nicht schweigen“ zählt insgesamt 28 Verfasserinnen und Verfasser auf. Aber die harte Wahrheit: Buße, Reue, Umkehr ersparte auch sie ihren Leserinnen und Lesern. Anders das sog. Darmstädter Wort.

Das Darmstädter Wort
Am 8. August 1947 veröffentlichte der kleine linke Flügel der Bekennenden Kirche eine Erklärung, die sich kritisch mit der Vergangenheit der ev. Kirche beschäftigte und deren Sätze so begannen: „Wir sind in die Irre gegangen,“ als wir von einer besonderen deutschen Sendung träumten, von einem starken Staat, von einem Kampf zwischen Gut und Böse und gegen den Marxismus. Die wütende Zurückweisung war für Martin Greschat „ein weiterer Beleg für die damalige massive nationalprotestantische Prägung großer Teile der deutschen ev. Christenheit.“



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